Drei Sommer in Tirol/Oberinnthal — Oetzthal und Schnals
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Landeck ist ein Dorf, wie anderswo oft nicht die Städte
sind – anderthalbtausend Einwohner, ansehnliche Häuser,
an den Anhöhen malerisch aufgestaffelt, reinliche Gassen, eine
schöne Brücke, eine große gothische Kirche, ein stolzes Schloß
in der Höhe – dazu ein muthiger lebendiger Strom und ragende
Berge. Dieses Dorf liegt zu zwei Theilen auf beiden
Seiten des Inns und heißt der eine linker Hand Perfux, der
andre Angedair, wunderliche Namen, deren Bedeutung Niemand
weiß.
Die schöne Kirche zu Landeck steht auf einer Höhe über dem Dorfe und würde noch viel bessern Eindruck machen, wenn sie nicht in neuerer Zeit aufs albernste herabgeweißt worden wäre. Die Sage von der Gründung des ersten Gotteshauses ist vorne im Chor auf einem Gemälde dargestellt. Man erfährt daraus daß vor sechshundert Jahren oben im Gebirge auf Trambs ein bäuerliches Ehepaar gelebt, dem ein Wolf und ein Bär zwei Kinder fortgetragen. Die hülflosen Eltern stiegen eiligst herunter zu Marien „im finstern Walde," die in jener Zeit auf dieser Stelle verehrt wurde und gelobten in der Angst ihrer Seele eine Kirche daselbst zu erbauen. Und während sie beteten, trugen Wolf und Bär die Kinder im Rachen herbei und legten sie unversehrt vor den Eltern nieder. Darnach entstand da eine vielbesuchte Wallfahrt, die man seiner Zeit zu Unsrer lieben Frau im finstern Walde nannte. Die jetzige Kirche ist aber spätern Baues und wohl erst mit dem Jahre 1506 vollendet worden, wie die Jahreszahl andeutet, [204] die über dem großen Portale steht. Hinten in dem Schiffe zur rechten Hand ist ein gothischer Altar aus gleicher Zeit und daneben das Grabmal des edlen und gestrengen Oswald von Schrofenstein, der viel gethan zum Bau der jetzigen Kirche und gestorben ist 1497. Er führte einen Steinbock im Wappen, bei dem ältern alpinischen Adel ein vielbeliebtes Abzeichen. Auch im Chore der Kirche ist ein Denkschild, der jenes Ritters Gedächtniß bewahrt. Ein früherer dieses Geschlechts fiel mit Herzog Leopold bei Sempach. Schrofenstein, die Burg, liegt von Landeck aus zu sehen, auf dem andern Ufer des Inns im Bergwalde, schmales, thurmartiges Gemäuer von gelblicher Farbe, scheinbar an den Schrofen hingelehnt, in Wirklichkeit aber auf einer freistehenden Felsenstufe. Es ist schwer hinauf zu klettern; manche unternehmen aber das Wagniß dennoch, gelockt von dem vierhundertjährigen Wein, der nach der Sage noch immer im Burgkeller geschenkt wird, obgleich ihn nach Staffler die Bayern schon vor dreißig Jahren ausgetrunken. Uebrigens ist es auch der Mühe werth, der Schönschau willen hinzugehen.
Vor die Kirche zu Landeck, unter der Linde, die ehemals stand, verlegt die Ueberlieferung eine schöne Begebenheit. Herzog Friedrich nämlich, mit der leeren Tasche, war in Reichsacht von Constanz entronnen und, wie wir andern Orts erzählt, über Bludenz und den Arlberg nach dem getreuen Land Tirol gegangen. Weil aber der feindliche Bruder, Herzog Ernst, im Lande lag und Prälaten und Ritter zu ihm standen, so hielt sich Friedrich verborgen und nahm sein Versteck bei Hans von Müllinen auf der Burg Berneck im Kaunserthale und dann bei etlichen vertrauten Bauern in den Hochthälern. Aus einem solchen Orte kam er nun einmal nach Landeck herab, um die Stimmung des Volkes zu versuchen. Im Dorfe wurde damals zur Feier der Kirchweihe ein bäuerliches Reimspiel aufgeführt. Der Herzog ging als Pilgram verkleidet, selbst unter die Gaukler und sang den Landleuten im Schatten der grünen Linde eine Geschichte vor, wie ein ehrenhafter, fürstlicher Herr, der es zu allen Zeiten mit den Bauern gehalten, in Widerniß und Fehde hart bedrängt, seine Herrschaft verloren habe und als [205] Flüchtling im Elend irre. Als nun der Fürst so seine Ballade sang, rührten sich die Bauern und riefen allzusammen: das ist ja die Geschichte von unserm lieben Herzog Friedel; dieser aber warf alsbald Muschelkragen und Pilgerstab von sich mit den Worten: Und euer Herzog Friedrich bin ich selber. Sofort dann mächtiges Freudengeschrei von allen Seiten und helle Begeisterung, so daß die Bauern den Herzog auf dem Schild erhoben und jubelnd durch die Gassen von Landeck trugen. Nebstdem versprachen sie mit festem Handschlag in allen Nöthen ihm beizustehen und gegen seinen Bruder, gegen geistliche und weltliche Herren zu helfen, was auch seine Richtigkeit hatte, denn die Anhänglichkeit des Landvolks hat dem Herzog die Grafschaft Tirol erhalten.
Später beim bayerischen Einfall, 1703, versammelten sich einige muthige Männer ebenda zu Landeck im Linserischen Hause und beredeten das Verderben des feindlichen Heerhaufens, der über Finstermünz ins Vintschgau ziehen sollte. Die Männer tagten, während in demselben Hause die fremden Officiere tafelten, und nach der blutigen Stunde an der Pontlatzer Brücke ging es in Erfüllung, was sie beschlossen. Kaiser Leopold schickte ihnen dafür einen goldenen Becher, der im Gerichtsarchive aufbewahrt und bei feierlichen Festmahlen auf kaiserliche Gesundheit geleert wird. Diese beiden Begebenheiten liegen auch zu Grunde, wenn das Dorf Landeck vom Freiherrn von Hormayr das tirolische Grütli genannt wird.
Das Schloß zu Landeck ist ein stolzes, aus Bruchstein aufgeführtes Gebäude, schön gelegen auf einem Felsenschopfe, der aus dem Inn aufsteigt. Rechts und links an der Vorderseite ist der Bindenschild von Oesterreich aufgemalt, derselbe, von welchem weiland Michael Behaim gesungen hat:
Der schöne edle Wurzegart,
Durchsprengt mit rothen Rosen zart,
Der sieht gar unverhölzet;
Da mitten durch hat sich geschaart
Ein weißer Bach auf schneller Fahrt,
Der sich dadurch her wälzet.
Manches Gelaß in der Burg mahnt noch an die Zeit, wo die ritterlichen Pfleger zu Landeck hier oben saßen, zumal [206] die prächtige Vorhalle erinnert an jene Tage; auch etwa, doch mißliebiger, das Burgverließ. Die Stuben des Burggesindes lassen sich noch leicht unterscheiden von den Herrenkämmerchen. Mehrere von diesen sind obwohl in späterem Geschmacke getäfelt. Einige derselben werden bewohnt und dienen armen Leuten zum Unterschlu[p]f. Die Aussicht ist besonders lobenswerth. Die schönen Straßenzeilen des Dorfes, stufenweise übereinander, der grüne Fluß und die weißen Gebäude, die auf der Höhe des andern Ufers aus Büschen und Bäumen hervor scheinen, sind ein lustiger Vorgrund – drüben jenseits des Zusammenflusses der Sanna mit dem Inn steht der Burgstall von Schrofenstein im wilden Park und daneben, schon wieder auf ganz anderm Grunde, das alte Dorf zu Stans, erhaben auf seinem Berghang, dessen reicher Fruchtwald auf dem obern Plane verhüllend über die Dächer der Häuser gewachsen ist und kaum dem Kirchthu[r]m noch die Freiheit läßt hervorzuspitzen, während von der untern Halde der grüne Rasen weggespült und so die braune Erdwand zu Tage gekommen ist. In der Höhe überall kahle Hörner mit silbernem Scheitel.
Landeck ist übrigens ein lebendiger und wohlhabender Ort. Es gehen hier drei vielbefahrene Straßen auseinander – die eine über den Arlberg, die zweite nach Innsbruck, die dritte über Finstermünz nach dem Süden. Daher viel Geschäft mit Fuhrwägen und Reisenden und deßwegen auch drei große Gasthöfe, städtisch eingerichtet und mit allen erlaubten Bequemlichkeiten versehen. Urichs Haus und das Jäger’sche gehören zu jenen tirolischen Landwirthshäusern, in welchen die Leute freundlicher, die Bedienung besser, die Einrichtung anmuthiger und die Rechnungen billiger sind als in der Stadt. Die Landecker Post aber haben die reisenden Engländer in den Fremdenbüchern weit und breit dergestalt überschrieben und schlecht gemacht, daß sie wenigstens anglomanen Deutschen nicht empfohlen werden kann. Nosse bonos libros magna pars est eruditionis, schrieb einmal ein seliger Gelehrter, und so mag man auch einen großen Theil der Kunst angenehm zu reisen auf die Kenntniß von den guten Wirthshäusern zurückführen. Die Engländer, das praktische Geschlecht, das sonst Niemanden sorgfältiger aus dem Wege geht [207] als sich selber, äußert in dieser Beziehung wieder viel Zusammenhalten und weitläufigen Sinn, und wenn sie sonst nichts miteinander reden, so besprechen sie sich doch auf den Blättern der Fremdenbücher schriftlich und geben sich in ihrer heiligen Insularsprache Rath, welche Wirthshäuser zu meiden und welche aufzusuchen seyen, nicht immer zur Freude der Besprochenen. Diesen Gebrauch des Qualificirens in den Fremdenbüchern haben jetzt übrigens auch unsre Landsleute angenommen, verwenden ihn aber ganz verkehrt. Sie schreiben nämlich in ihrer offenen biedern Weise ihre Gesinnung gleich in das Buch des Wirthes selbst, desjenigen Wirthes nämlich, bei dem sie gegessen, getrunken und die Nacht verbracht haben, der ihnen auch zuschaut, während sie ihr Geheimniß in dem Buch veröffentlichen. Es ist unter diesen Umständen nicht zu verwundern, daß sie alle mit Bewirthung und Bedienung „ausgezeichnet zufrieden“ sind. Ist ein schönes Mädchen im Haus – und in Tirol ist dieß die Regel – so wird auch dessen in Ehren gedacht. „Ausgezeichnet zufrieden, besonders mit dem schönen Maidele“ – kann man alle Fremdenbücher des Lands unter eins gefaßt – wohl mehrere duzendmale lesen. Wenn sie dann ihre ausgezeichnete Zufriedenheit gar zu lecker darstellen, hat der Hausvater sofort nichts eiliger zu thun, als den Wonneruf wieder auszukratzen. Dieß ist die Geschichte der vielen Lacunen im Fremdenbuche zu Z***.
Zur Erklärung des schönen, reinlichen und herrenmäßigen Aussehens des Dorfes Landeck wollen wir indessen noch beifügen, daß in Tirol die Städte überhaupt dünn gesäet sind und daß sich namentlich auf der langen, gegen vierzig Stunden zählenden Straßenstrecke, die von Innsbruck über Finstermünz nach Meran zieht, zwischen diesen beiden Städten, das kleine Nestchen Glurns bei Mals ausgenommen, keine dritte findet. Diesen Umstand haben sich die Dörfer und Flecken zu Nutzen gemacht und sie versehen ohne Ringmauern in Handel und Wandel die Dienste ihrer zinnengekrönten Schwestern. Deßwegen findet man denn auch, wie wir vor kurzem bemerkt, in Tirol gar so viele schöne und wohlgestaltete Dörfer. Telfs, Silz, Landeck, Prutz, Nauders, Mals und die Orte des Vintschgaues haben alle dieses stattliche Ansehen. [208] Fahren wir nun, um schneller ins Oetzthal zu gelangen, am Inn hinab nach Imst. Der Fußweg auf dem rechten Ufer, der über liebliche Berghalden nach Schönwies führt, soll zwar noch um ein Gutes anziehender seyn als die Landstraße, es ist aber nicht möglich alle schönen Steige abzulaufen, und über die Straße selbst ragt die wilde Natur des Innthales mächtig genug herein, um uns mit dem, was wir sehen, zufrieden zu stellen. Bald kommt man nach Zams, welches noch in fruchtbarer, geräumiger, mais- und obstreicher Feldmark liegt und als die älteste Pfarre in weiter Gegend bekannt ist, von der noch jetzo vieler Dörfer Seelsorgen abhängen. Links über dem Inn hinter dem Weiler Letz in einer schaurigen Felsenhöhle tost ein herrlicher Wasserfall, den man nicht wie wir vorbeigehen soll. Dann sieht man, wie sich Kronburg erhebt, eine alte Veste, die einst den Starkenbergern gehörte und von Herzog Friedrich gebrochen wurde, noch in den Trümmern stolz und herrschend auf einem Felskegel, der selbst ungemein ernst und groß aus dem Thale aufsteigt, frei von allen Seiten und im schönsten Ebenmaße vom breiten Fuße zum spitzen Haupte sich verjüngend. Lange will sich das Auge nicht von dieser Erscheinung abwenden, von dem gekrönten Berge, der wie ein Fürst in der Landschaft sitzt, drohend und Verehrung heischend. Die Gegend ist sonst hier herum wild und enge; scharfe Wände stehen am Wege, Wasserfälle schäumen herunter. Erst allmählich bildet sich wieder breiterer Thalgrund, in dem sich leider auch der Inn mehr gehen läßt und oft überfluthend viel weiter greift als er soll. In solcher fruchtbaren Fläche liegt ein freundliches Dorf, Mils benannt, und diesem gegenüber das Dörfchen Untersauers, welches, wie Staffler bemerkt, eine Colonie von Landfahrern ist, die meistens nur dort verweilen, um von ihren Zügen auf einige Zeit auszuruhen. Diese Landfahrer oder Lahninger, Dörcher, wie man sie jetzt gewöhnlich nennt, sind ein seltsamer Schlag von Leuten, und führen ein abenteurliches Leben. Sie kommen hauptsächlich im Oberinnthale, etwa von Imst aufwärts bis gegen Nauders vor. Ihr eigentliches Wesen ist, daß sie das ganze Leben in der Welt herumfahren und mit Obst, Geschirr und andern kleinen Waaren handeln. Viele [209] besitzen keinen eigenen Herd, um sich zur Ruhe zu setzen, die reichsten nur ein kleines Häuschen. Ihr Fahrzeug ist ein Karren, den sie selber ziehen, wenn nicht ein Eselchen oder eine abgejagte Mähre aushilft. Der Lahninger, der arme Mann, will aber nicht allein in der Fremde herumfahren; er sehnt sich nach einem süßen Weibe, nach einem freundlichen Augentrost, und manchmal scheint er recht glücklich zu seyn in seinem Werben, denn man sieht mitunter ganz hübsche Frauen vorgespannt. Solchen Verbindungen steht übrigens die weltliche Behörde zumeist entgegen, in Berücksichtigung der Armuth und des unsichern Erwerbsstandes der Brautleute. Da soll’s denn manchmal vorkommen, daß sie nach Rom pilgern und sich am Grabe der Apostel trauen lassen. Neu vermählt kommen sie ins Vaterland zurück, zeigen der Behörde päpstliche Briefe und Siegel vor, werden aber, da sich diese nichts darum kümmert, gleichwohl mit Gefängniß und Ruthenstreichen bestraft. So bringt das Dörcherpaar in der Haft seine Flitterwochen zu, welches Leiden sie aber nur noch fester zusammenkittet, so daß sie das ganze Leben nicht mehr von einander lassen und auf allen Heerstraßen mit vereinten Kräften an dem Karren schieben. Gewöhnlich sind sie auch reich mit Kindern gesegnet – die Säuglinge erhalten ihre Wiege unter dem Dache des Wagens, die Erwachsenen ziehen selber mit und bilden später wieder neue Dörcherfamilien. Manche davon sind am Wege hinter den Haselstauden auf die Welt gekommen. Es ist ein eigener Anblick, diese Geschlechter, oft zu sechs und acht Personen vornen und hinten ziehend und schiebend an der fahrenden Stiftshütte, ihrem Besitz, ihrem Schatzkasten und zum Theile ihrer Wohnung, etwa einmal mit sorgenvollen, trüben Blicken, hin und wieder auch, wenn die Zeiten gut sind, guter Dinge und voll frohen Muths.
Wenn man von Mils etwa eine Stunde in der schönen Niederung fortgefahren, geht’s noch einmal über einen steilen Berghang und allgemach zeigt sich dann der große Flecken Imst, Hauptort des Oberinnthales, Sitz der Behörden und andrer angesehenen Leute. Gleich rechts vom Flecken geht der prächtige Tschirgant in die Höhe, hier wie eine ungeheure [210] Pyramide anzusehen, ein höchst eindrücklicher Klotz. Zu seinen Füßen steht sehr anmuthig der schlanke Kirchthurm von Karres.
Imst ist ein gut gebauter Flecken, aber ohne erhebliche Merkwürdigkeiten. Angenehm ist ein Spaziergang auf den Calvarienberg, auf dessen vorderster Höhe ein Kirchlein des heiligen Johannes steht mit offener Aussicht über den Markt und seine bergige Umgebung.
Dieser Flecken besaß im vorigen Jahrhunderte großen Ruf als der Sitz des tirolischen Vogelhandels, der einst auf Moorfieldsquare zu London seine Niederlagen hatte und auch im Orient und zu Konstantinopel seine Sänger auf den Markt brachte. Seine Gönner in England gingen so weit die Kanarienvögel der Tiroler selbst über jene der canarischen Inseln zu erheben. Alle übrigen Kanarienvögel, behaupteten sie, sängen wie Heidelerchen, die tirolischen aber wie Nachtigallen. Letzteren allein sollte jener seelenerhebende Zug Philomelens glücken, den die Engländer jug nennen. Zur Erklärung dieses Talents nahmen die britischen Naturforscher sogar ihre Zuflucht zu der Hypothese, daß die meisten der aus Tirol eingeführten Kanarienvögel von Eltern erzogen worden seyen, deren Ahnen den Gesang bei einer Nachtigall gelernt. Uebrigens ist dabei zu bemerken, daß die wenigsten der von den Tirolern verhandelten Vögel in Tirol zur Welt gekommen waren, denn die Mehrzahl wurde erst in Schwaben angekauft, wo zu damaliger Zeit die Gärtner zum Besten der reisenden Händler große Vogelhecken unterhielten.
Die meisten Begebenheiten des Spindler’schen Vogelhändlers spielen in der Gegend von Imst. Auch die Art und Weise, wie dieser Handel betrieben wurde, ist in jenem Romane nach den Angaben alter Leute, welche bald nur mehr als Sage fortleben werden, glücklich und anziehend geschildert, der treffliche Name Tammerl aber, den der ehrenwerthe Vogelhändler, Seraphins nachmaliger Schwiegervater, führt, ist jedenfalls einer Firma in Zams entlehnt, wo eine Baumwoll- und Seidenzeugfabrik unter dem Schilde: Tammerl und Comp. zu finden ist. Früher waren überhaupt noch bessere Jahrgänge für [211] die oberinnthalische Metropole – es war da einmal auch viel Bergsegen und großer Gewerbfleiß. Jetzt ist die Kanarienzucht aufgegeben, der Bergsegen eingegangen und der Gewerbfleiß, der sich in einigen Fabriken bethätigt, ist auch nicht mehr so einträglich als zu andern Zeiten. Dazu kommt noch daß am 7 Mai 1822 der ganze Markt von 220 Häusern bis auf 14 abbrannte. Dieß hat die Imster völlig arm gemacht und es ist eine Frage, ob sie sich je wieder in die alte Blüthe hineinarbeiten werden. Sonst zeigen sie viele schöne Anlagen, insbesondere für die Kunst. Staffler macht acht Eingeborne namhaft, die als Bildhauer und Maler gelebt und sowohl inner als außerhalb ihres Vaterlandes Anerkennung gefunden haben. Darunter ist der neueste Aloys Martin Stadler, zu München, zu Neapel und Rom gebildet, wohlbekannt wegen manches schönen Altarblattes, das er in tirolische Kirchen gemalt.
Lassen wir nun den Flecken um wieder weiter zu ziehen. Man muß erst auf der Landstraße hoch hinaufsteigen, nach Karres wo die niedliche Kirche steht, deren dünner gothischer Thurm so fern ins Land hineinschaut. Von da sieht man ins Pitzthal, das weit hinten von grausem Gletscher beschlossen wird, und ebenso erschaut man den grünen Rücken des breiten Venetberges, der voll milder Alpen und schöner Forste ist und aus der Gegend von Landeck herüberreicht bis an den Pitzabach, welcher bei Karres in den Inn fällt. Unterhalb dieses Dorfes geht der Weg ins Oetzthal von der Landstraße ab. Diese selbst würde uns in fünf Stunden dem Inn entlang nach Stams führen, nach dem ansehnlichsten und reichsten, wiewohl jüngsten der tirolischen Stifter. Es ist im Jahre 1272 gegründet worden von jener Elisabeth, der Mutter Conradins, und ihrem zweiten Eheherrn, dem Grafen Meinhard von Tirol, als Gedächtnißmal zur frommen Erinnerung an den letzten Hohenstaufen, der zu Neapel enthauptet worden. Die Cistercienser- Abtei zu Stams ward, wie Freiherr von Hormayr sagt, das St. Denys der tirolischen Fürsten. Die Görzer und die früheren Habsburger, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche und Sigmund der Münzreiche sind da begraben mit ihren Frauen und Kindern. Im Jahre 1552 wurde das Kloster [212] durch die Kriegshaufen des Herzogs von Sachsen verwüstet und selbst der Gräber nicht geschont; deßwegen ist auch an Altertümern nur wenig mehr vorhanden.
Wir gehen also von der Straße ab und gegen Roppen zu, das auf der andern Seite des Stromes liegt. Rechts steigen da bewaldete Berge auf, links steht der Tschirgant, der nunmehr, nachdem man um seine Vorderseite herumgekommen, aus einer Pyramide ein langer Bergkamm geworden, und sich am Inn hinunter langsam verläuft. Er ist öde und wild zerrissen; nackte Felsenwände wechseln mit gelben Erdfällen, die ihre Striemen von dem Joche herab bis an die Straße gezogen haben. Desto lieblicher und freundlicher hebt sich der Eingang des Oetzthales hervor – da ist alles schön bebaut, mit Hanf, Flachs, Mais und anderm Getreide, Obstbäume sind reichlich verstreut und die Dörfer Au und Sautens, die sich einander gegenüber liegen, das eine auf der Berghöhe, über welche dunkler Wald von Lärchen und Fichten hinzieht, das andere in hügeliger Niederung, zeigen manches zierliche Haus. Letzteres erfreut sich auch einer hübschen Kirche, einer der schönsten Dorfkirchen im Lande. Oetz ist ebenfalls ein stattliches Gemeinwesen und zu seinem stolzen Aussehen trägt nicht wenig bei St. Jörgens Kirche mit ihrem gothischen Thurme, die auf ragendem Felsen senkrecht über dem Dorfe prangt. Auch hier trefflicher Anbau und reicher Wachsthum, selbst von heikeln Früchten, denen die Lüfte von Oetz, die von rauhen Nordwinden durch die Lage der Berge geschützt sind, besser bekommen sollen, als irgend andre im Innthale. Deßwegen behaupten auch Manche, dieses Dorf habe das mildeste Klima in ganz Nordtirol.
Ja, was ist denn das! gar nicht einkehren heute! rief am letzten Wirthshause von Oetz mit milder Stimme die Kellnerin, die auf den Stufenplatz vor der Pforte getreten war, und lächelte so freundlich dazu, daß wir – zwei Fußgänger nämlich – obwohl nach Umhausen trachtend, doch gerne anhielten, um uns wenigstens zu entschuldigen. Sie, die pflichtgetreue Schenkin, ließ aber keine Ausrede gelten und zog uns mit sanfter Gewalt in die Zechstube. Dort setzten wir uns zu [213] einer Halben, und plauderten mit dem Mädchen, während sich draußen ein Gewitter erhob und in gräulichen Regengüssen herniederfuhr. Als dieß vorübergezogen, war’s zu spät geworden um noch weiter zu gehen, und so blieben wir in Oetz, wo wir denn auch in allen Züchten „ausgezeichnet zufrieden“ waren, „besonders mit dem schönen Maidele.“
Gleich hinter diesem Dorfe geben sich schon einzelne Züge des Oetzthales zu erkennen, der großartigen, manchmal wilden und schauerlichen, manchmal friedlichen und idyllischen, nie reizlosen, cascadenreichen, schrofenstarren Landschaft, die sich eine lange Gasse an dem Bache hinaufzieht, bis wo dieser an den Fernern entspringt. Es ist bekanntlich unter den Nebenthälern Nordtirols das berühmteste wegen seiner Schönheiten. Die beständig abwechselnden Engen und Weiten, die Schluchten, die sich in breite Dorffluren öffnen und grüne Wiesenbreiten, die sich in die Klamm verlieren, die unzähligen Wasserfälle und die ragenden Bergwände sind die Reize des äußern Thales, Gletscher und Alpenwildnisse die des innern. Auch für die Botaniker hat es bekanntlich vieles voraus, und manche Gewächse, die in den südlichen Gegenden des Landes heimisch sind, kommen diesseits der Ferner nur im Oetzthale vor, während zugleich auch die Flora der Voralpen und der Hochgebirge bis zum Fahrwege herunter reicht.*)[1]
Oberhalb Oetz also – es war ein kühler Augustmorgen, die Luft feucht, voll jagender Frühnebel und in der Gegend knallte es lebhaft zur Feier einer Kirchweihe – oberhalb Oetz rücken die Thalwände zusammen und bilden das G’steig. Der Bach stürzt in rauschenden Fällen über Felsen und Trümmer durch die Schlucht und der Weg geht daneben hinauf durch den Lärchenwald. Aus diesem herauskommend, ersieht man das Dorf Dumpen, wo eine Brücke über die Oetz geht mit der Aussicht auf schöne Wasserfälle, die rechts und [214] links von der Höhe rauschen. Hier wird auch das Thal wieder breiter und gibt Raum für Getreidfeld und Wiesen.
Bei Dumpen gerade neben dem Wege steigt über tausend Fuß die Engelswand empor, ein schwindelnd hoher senkrecht abgeschroffter breiter Felsenstock, auf dessen oberstem Plane etliche schwer zu begehende Höfe liegen. Engelswand soll das Riff deßwegen heißen, weil einst ein spielendes Kind durch einen Jochgeyer von der Au im Thale hinweg auf diesen Grat getragen, von einem Engel aber dem Jochgeyer entrissen und der entzückten Mutter, einer Gräfin von Hirschberg, in die Arme gelegt worden. Die Geschichte ist zuerst 1825 durch Eduard von Badenfeld in einfachster Gestalt ans Licht gekommen, hat aber unter verschiedenen spätern Händen schon manche Ausschmückung erhalten und wird wahrscheinlich zuletzt eine lange Novelle werden. Uebrigens glauben die bäurischen Skeptiker im Oetzthale nicht mehr an diese Sage, sondern behaupten, die Engelswand habe ihren Namen von einem gewissen Angelus, der ein Bauer gewesen und auf der Höhe seinen Hof gehabt.
Die Oetzthaler feierten übrigens an diesem Tage, am 5 August, das abgewürdigte Fest Mariä Schnee durch Kirchenbesuch in der Frühe. Die Kirchengänger begegneten uns in zahlreichen Haufen, was ein günstiger Umstand war für Besichtigung der Thaltracht. Die Männer nicht schlank, aber gedrungenen Baues, tragen spitze Hüte, dunkle, an der Brust mit Seide ausgenähte Jacken und braune Strümpfe, sehen prunklos, aber zierlich aus. Die Weiber, und zumal die alten, haben manches Auffallende. Die spitze Haube, in Tirol Schwazerhaube genannt, ist dasselbe was im Vorarlberg Kappe heißt, nur in jedem Thale der Zeichnung nach diakritisch festgestellt; die Taille ist lang und durch ein steifes Mieder gehalten, aus welchem kurze, bauschige Aermel hervorstechen, die den obern Arm bedecken, während der untere in schwarzen Handstutzen steckt. Der Rock ist kurz aber mächtig, zumal auf der Rückseite weit über das Mieder vorspringend. Die Waden endlich, was für das Wahrzeichen der Thalweiber gilt, stecken vom Knie bis an die Knöchel in den Höslen, worunter [215] man eine Art von Strümpfen versteht, die aus langen Wolllappen hergestellt werden. Diese langen Binden werden nämlich so lange sie sind und je länger desto besser um die Wade gewickelt und machen so bei den Stutzerinnen, unter die jedoch nur mehr alte Weiber zu zählen sind, einen dicken, geschwollenen Kreis um das Glied – ungefähr von dem Umfange eines mäßigen Butternapfs. Es ist dieß dieselbe Strumpfart, die allenthalben in den deutschen Alpen von Tirol und ebensowohl in den bayerischen Vorbergen, bald bei Männern und Weibern, bald nur bei diesen oder bei jenen zu finden ist, dieselbe, die Albert Schott auch bei den Frauen in den deutschen Gemeinden jenseits des Monte Rosa entdeckt hat und die dort denselben Namen Hosen (hoso) führt, der auch im bayerischen Gebirge zusammengesetzt als Beinhöslen gang und gäbe ist. Das was uns an dem Alpler als Hose erscheint, heißt er ziemlich überall das Gesäß (Gsäß).
Wir nähern uns Umhausen, das mit ragendem Spitzthurm in schöner freier Flur liegt. Die volkreiche Gegend zieht viel Nutzen aus den fruchtbaren Flachsfeldern, deren Erträgniß in guten Jahren auf fünfzehnhundert Centner steigt. Zu diesem Segen hat sie aber auch die Schrecken der Bergfälle, die von Zeit zu Zeit verwüstend herunterbrechen, geduldig hinzunehmen. Hier in der Nähe ist jener berühmte Wasserfall des Hairlachbaches, einer von den besuchtesten, da er nicht weit von der Landstraße entlegen und die Fremden ihm bis auf eine halbe Stunde entgegenfahren können. Die weißen Staubwolken, wie sie links aus dem Bergwald aufsteigen, lassen sich schon vom Dorfe aus sehr deutlich gewahren; doch sind bis an den Fuß des Falles noch immer dreiviertel Stunden zu gehen. Der Pfad zieht links über die Wiesen hin, dem Bache entlang, an welchem die Umhauser ihre bequemen Dreschmühlen haben, etliche Hämmer, die vom Rade gehoben auf die unterlegten Garben fallen, dann in einen lichten Wald und zuletzt in die Schlucht selbst, wo er alsbald durch Trümmer und Schutt ziemlich rauh und steil wird. Der Donner des Sturzes kommt immer näher, der blendend weiße Qualm bricht immer deutlicher durch das Gehölz und endlich stehen wir ihm selbst gegenüber. [216] Da kömmt er oben aus einem Felsenthor im dünnen Fichtenwald hervor und stürzt wie fließendes Silber über den ersten Absatz der kahlen Bergseite, und weil er da an einer Klippe anprallt, so wirft er sich, in seinem Zorne scheinbar ums Doppelte mächtiger geworden, in ungeheuerm Schwunge weit über die untere Wand heraus und fällt welterschütternd in die Tiefe. Unten und oben geht rauchend der Schaum auf in dem sich wechselnde Regenbogen bilden, damals besonders reich und glanzvoll, weil die heiterste Sommersonne in den Gischt schien. Wem’s zu wild und tobend wird, der mag sich dabei Trost holen in der friedlichen Aussicht, die an derselben Stelle in das Thal hinaus und auf die Wiesen von Umhausen führt.
Der Bach aber, der in seinem fünfthalbhundert Fuß hohen Sturze die Wanderer herbeizieht, erquickt sie auch mit seinen Forellen, und im Wirthshause zu Umhausen, bei Herrn Marberger, hat seit vielen Jahren jeder einkehrende Fremde seinen Teller voll zu sich genommen. Dort ist auch ein reichhaltiges Fremdenbuch mit vielem wässerigen Schnickschnack, den die Cascade den Leuten eingeflößt hat.
Bis hieher halten schroffe Wände, stolze Berge und freundliches wohlbevölkertes Thalgelände noch verträglich zusammen; hinter Umhausen aber kommen wilde, ausschließlich wilde Partien und das Zahme sucht man da für etliche Zeit vergebens. Fast eine Stunde lang dräut eine schauerliche Schlucht, eine von den vielen, wo die Berge nach Regenwetter beweglich werden, dem Wanderer an den Kopf fliegen und den Pfad verschütten. Manche Stellen gibt es, wo das lockere Gerölle so steil am Wege steht, daß es Jahr aus Jahr ein auch an den trockensten Tagen herunterbricht, wie es denn überhaupt die Natur des Thales ist, daß es wegen des Reichthums an Wässern, der feuchten Atmosphäre und des zur Verwitterung geneigten Gesteines von Felsbrüchen, Bergfällen und Muhren sehr viel zu leiden hat. Unter solchen Betrachtungen gelangt der Oetzthalfahrer an eine Stelle, wo hoffentlich auch in dem Kühnsten ein bebendes Entsetzen lebendig wird. Steile mürbe Wände von beiden Seiten stellen ihre drohende Stirne einander gegenüber und dazwischen hat sich der Bach seinen Runst [217] durchgerissen. Derselbe hat nun von Umhausen aufwärts schon allerwege rührig gebrummt und gedonnert, aber hier wird das Getöse grauenvoll. Das sieht aus wie ein Stück Weltmeer, mit dem ein brüllender Orkan sein Wesen treibt, um es in wüthender Brandung an ein Riff zu jagen – so bäumen sich die Wogen, so sieden die Wässer, so tobt alles durch einander. Dabei hört man auch noch mitten durch den Höllenlärm das dumpfe Aneinanderprallen der unsichtbaren Felsenblöcke, die der Bach in seinem Grunde daherwälzt. Wie lange mag es dauern, fragt sich der Zeuge dieses Schauers, bis das rasende Element all das Felsenwerk, wie es ihn ängstigt und wüthend macht, zusammenreißt? und wenn er sich nicht bedächte, daß das Ding vielleicht schon Jahrtausende so forttobt, möchte er ihm wohl kaum mehr eine Viertelstunde Zeit geben. Gerade wo es am fürchterlichsten tost, geht ein schwankes Brückchen über die Wässer, welche es zu allen Zeiten mit ihrem Schaum übergießen. Da wird sich der Langsamste beeilen, um schnell drüber zu huschen und vom jenseitigen festen Ufer desto behaglicher den Graus zu betrachten.
Es ist kein Wunder, daß der Volksglaube in dieser Schlucht des Schauders eine Schaar von boshaften Hexen wohnen läßt, die den Wanderer bei Nacht mit Teufelsspuk fast bis zum Wahnsinn plagen. Der Oetzthaler betet und bekreuzigt sich, wenn er nach Gebetläuten den unheimlichen Pfad zieht. Wer nicht beten und sich nicht bekreuzigen will, wird besser thun ihn gar nicht zu gehen.
Auf diese enge Wildniß folgt dann wieder die offene Gegend von Lengenfeld, lachende Fluren mit Wies und Feld, reich besetzt mit Häusern und Hütten, jetzt voll idyllischen Lebens, vor langen Zeiten, wie noch die Sagen melden, ein einsamer Bergsee. Jenseits der Oetz gewahrten wir den schönen Wasserfall des Lehnbaches, auf einer Anhöhe zeigte sich schön gestellt die Dreifaltigkeitskirche von Kropfbühel.
Lengenfeld ist ein großes, gut gebautes Dorf, das durch einen schönen Fichtenhain und einen Fernerbach in zwei Theile geschieden wird. Auf den Jöchern, die das Thal begränzen, liegen schon bedeutende Gletscher, die da und dort in aller [218] Ruhe auf die grüne Ebene herunterschauen. Aus einem solchen kömmt der Bach, dessen wir so eben gedacht und dessen ungestüme Wuth die Lengenfelder zu einem kostbaren Dammbaue genöthigt hat. Die Lengenfelder trinken lauter solches Fernerwasser – wenigstens sagten sie im Wirthshause es gebe kein anderes. Frisch ist dieß Getränke allerdings und man behauptet sogar, es solle sehr gesund seyn, aber solche die nicht daran gewöhnt, würden an der trüben, milchweißen Farbe leichtlich Anstoß nehmen.
Wer gern an die alten Zeiten deutscher Nation zurückdenkt, der nimmt’s vielleicht gut auf, wenn wir ihm sagen, daß in die stillen Gründe von Lengenfeld auch der unglückliche Conradin von Hohenstaufen zu zwei verschiedenenmalen reisig eingeritten ist, im März und im Julius 1264 nämlich, nicht gerade um wichtige Thaten zu verrichten, sondern wohl nur um sein väterliches Erbgut zu beschauen. Zwei seiner Urkunden sind zu Lengenfeld ausgestellt.*)[2]
Im Wirthshause zu Lengenfeld fanden wir einen alten Herrn röthlichen Gesichts, schwarzer Tracht, der uns freundlich ansprach: Comment vous portez-vous, Messieurs? Ueberdieß wußte er noch zu sagen: il fait beau temps und parlez-vous français? Nachdem wir dieß alles beantwortet hatten, schlugen wir vor zur deutschen Muttersprache herunterzusteigen, was aber unser neuer Freund so lange als möglich aufhielt, da er immerzu der guten Hoffnung war, es werde ihm noch etwas Französisches einfallen. Während des deutschen Gespräches, das sich endlich doch einstellte, fragten wir Reisende auch nach den Sagen, die, wie die Bücher melden, in diesem Thale zu Hause sind. Was? Sagen? – hob aber der andre an – wir haben keine Sagen im Oetzthale! Je nun, bemerkten wir, man liest doch da und dort davon und in manchem Buche wird nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß gerade dieses Thal mit solchen Ueberlieferungen reich gesegnet sey. Alles nur Blendwerk! rief darauf der alte Herr – wir haben keine Sagen, sag’ ich. Wir sind aufgeklärt im Oetzthal, so aufgeklärt [219] als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Trèsbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ.
Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr’schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe.
Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein „geborner Oetzthaler“ trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. „Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen [220] aber eine Art gewiß nicht ungerechten Aergers abgedrungen, indem ich mein geliebtes heimathliches Thal so dargestellt sah, als wären wir erst seit vorgestern aus den Wäldern hervorgegangen und noch immer vom tiefsten Aberglauben umnachtet.“ Deßwegen glaubt er auch feierlich versichern zu müssen, und erbietet sich sogar zum Nachweise, daß die meisten dieser schönen Mähren „die meisten der in diesem Aufsatze vorkommenden Anekdoten entweder im ganzen Oetzthale unbekannt, oder von dem Herrn Verfasser eigentlich mährchenmäßig verstellt, oder daß sie höchstens an langen Winterabenden in der Kunkelstube erzählt worden, nicht als werde daran geglaubt, sondern um zu kurzweilen.“ Wunderlich ist die Andeutung, daß die Mährchen deßwegen nicht zur Nacherzählung geeignet seyen, weil sie nur in den Kunkelstuben erzählt werden, als wenn nicht gerade da ihr sicherstes Asyl wäre. „Denn da in der Zeit von sechs bis neun Uhr an den Winterabenden, wo die Landleute beim Span-, Kien- oder Oellicht zusammensitzen, da vorzüglich theilt eine Generation der andern ihren Schatz von Erfahrungen und Lebensansichten mit; da wird der ganze Vorrath an volksmäßigen Dichtungen, Erzählungen, Mährchen, Liedern durchgegangen und mitunter durch neue Zugaben aus der Zeitgeschichte vermehrt. Bei keiner andern Gelegenheit, selbst beim Bierkruge nicht so sehr als da, kommt das reiche Capital an natürlichem Witz in Umlauf, mit dem das Volk ausgestattet ist.“*)[3] Uebrigens mag sich der Leser wieder beruhigen, denn ein Freund, der dazumal mit Herrn von Badenfeld im Oetzthale wanderte, hat uns versichert, daß bei Sammlung dieser Mähren alle wünschenswerthe Vorsicht und Unbefangenheit obgewaltet habe.
Die lachende Flur von Lengenfeld endet eine Stunde oberhalb des Dorfes in abermaliger Wildniß. Hier wieder schwere Berge, die eng aneinander treten und in ihrem Trachten sich nahezukommen den Bach aufs neue fürchterlich reizen. Auch der Weg muß sich oft recht ärmlich schmiegen und drücken. Zuweilen wird’s weiter, aber nicht freundlicher. Dunkler Fichtenforst, [221] starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd’ ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte.
Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist.
In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen [222] Dorfe Oetz zum Wanderstabe gegriffen hatten und nachdem wir noch den ermüdenden Gang zum Wasserfalle bei Umhausen gemacht, und zur Erquickung lediglich ein zartes Forellenpaar gekostet, nachdem wir den Tag über im heißen Sonnenbrand an den nackten Felsenwänden heraufgegangen, ohne weiteres zu essen und zuletzt noch dem Fuhrmann seinen Karren über die Steig hinauf geschoben hatten, kamen wir mit etwa zehn Stunden in den Beinen bei einbrechender Nacht sehr hungrig in Sölden an und verlangten in einfachen Worten, sie möchten uns Schweinsrippchen oder Hammelbraten oder etwas ähnliches zum Nachtmahl geben. Der Wirth entgegnete darauf, es wäre zwar Fleisch vorhanden, aber weil es Freitag sey, werde er keines zurichten lassen. Umsonst beriefen wir uns darauf, daß wir Reisende seyen, umsonst ermahnten wir, er solle die Aufklärung im Oetzthale nicht Lügen strafen – der Herbergsvater zu Sölden blieb bei seinem ersten Worte, und etliche gesottene Eier, die man uns vorsetzte, umschlossen denn auch in ihrer engen Schale alles was unsre weiten Bedürfnisse decken sollte. Wir waren damals fast ärgerlich über den Mann, jetzt aber, nachdem die Empfindlichkeit längst vergangen, scheint mir der Wirth einer Ehrenerwähnung werth, weil er festgehalten an seiner Ueberzeugung und nicht für schnödes Geld Hammelbraten und Gewissensruhe hingegeben.
Bis zur Kirche in Sölden kann man mit Karren nothdürftig fahren, aber von da an ist nur mehr Fußweg. Nachdem man noch einige Zeit durch Wiesen gegangen, ist die grüne Flur wieder zu Ende und es stellt sich ein rother mit Alpenblumen buntgefärbter Berghang entgegen, an dem ein steiler Pfad hinaufführt. Oben genießt der Wanderer einen schönen Blick ins kleine Thalgelände das er verlassen, und wenn er noch etwas vorgestiegen ist, auch einen andern in einen grausigen Schlund, wo der Weg unsicher und oft verfallen hoch über dem schäumenden Bache hinzieht, während hängende Felsen von allen Seiten hereinnicken. Da muß er nun hinunter, und wenn er so anderthalb Stunden zwischen den Wänden fortgewandelt, öffnet sich wieder ein enges Thälchen, sanft und grün, in dem die Hütten von Zwieselstein ersichtlich sind.
[223] In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht’s dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer „aber“ d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus.
Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte, [224] auf die weiße Capelle und in die Fensterchen der hölzernen Hütten fiel die Morgensonne und darüber stieg der blaue reine Himmel auf. Wie wir da aus der schattigen Schlucht, die noch kein Strahl erreicht hatte, hinauf blickten in jene erleuchtete Höhe, so wollte es uns bedünken als läge dort unser wahrer Weg der allein ans Ziel führe. Diese Ahnung hätte uns freilich nur betrogen, denn als wir noch auf gut Glück den rauhen Pfad im Thale etwas weiter verfolgten, sahen wir bald das ersehnte Kirchlein von Heiligkreuz vor uns, wie es sich dem Bach zur Seite freundlich winkend auf seinem grünen Hügel erhebt.
Als wir auf dem Platze waren, trat der Meßner aus dem Gotteshause und sagte uns grüßend, der Herr sey noch am Messelesen und wir möchten einstweilen auf der Bank vor dem Widdum, der Priesterwohnung ausrasten. Dieß thaten wir auch gehorsam und betrachteten die Gegend, die so schmal und still vor unsern Augen lag. Man hat erst im Jahre 1804 in diesem engen Thalschnitt eine Kirche erbaut, einfach und klein, wie sie für die hundert Aelpler, die unter die Seelsorge gehören, ausreicht. Rund herum ist auch ein kleiner Friedhof. Neben diesem liegt das Häuschen des Caplans, hölzern aber heimlich, mit einigen Blumentöpfen vor den Fenstern. Etwas weiter oben stehen vier oder fünf ärmliche Hütten, die den Hauptstock des Sprengels ausmachen. Etliche Gerstenfeldchen und ein paar Erdäpfelbeeten zeigen ungefähr, was hier noch durch Anbau dem Boden abzugewinnen ist; dagegen bringt er ungezwungen die schönsten Alpenblumen hervor und prangt auch sonst im lebhaftesten Grün. Unten in der Schlucht braust der Bach. Diesseits sind die Höhen nicht weit zu verfolgen, da die niedersten Abdachungen zu nahe liegen und den Blick auffangen; aber jenseits des Baches geht’s von diesem an schräge hinauf über Schrofen und Fichtenwald bis zu den Fernern, die weiß und reinlich auf dem Sattel ruhen. Mancher braune Felsklotz sticht trotzig aus der eisigen Decke, und besonders schön war es anzusehen wie diese stolzen Hörner, von heiterer Sonne beschienen, ihre blauen Schatten über den weißen Schnee hinwarfen. Aus den Fernern lösten sich etliche silberne Wasserfäden [225] ab und stürzten ungehört über den Berghang in die Tiefe.
Wir saßen also auf der Bank vor dem Herrenhause, schauten immer wieder aufs neue zu jenen Fernern hinauf und sagten einander: dort wohnen die Feen des Oetzthales! In solche Herrlichkeiten verlegt nämlich die Oetzthaler Sage den Wohnsitz der „saligen Fräulein," elfenhafter Jungfrauen, welche die Hirtenknaben lieben und die Gemsenjäger hassen. Von diesem Hasse und jener Liebe erzählen die Aelpler mehr als eine schöne Geschichte. Indessen haben die saligen Fräulein auch sonst bequemer gelegene Wohnungen im niedern Thalgelände, und zumal bei Lengenfeld ist durch eine Grotte der Eingang zu ihren gefeiten Hallen im Innern des Gebirges. Vor dieser Grotte saß einst im schönen Mai ein junger Hirte und kochte sein Mittagsmahl. Unversehens erscholl von Lengenfeld her die Mittagsglocke, der Knabe kniete nieder um zu beten und warf in seiner Unvorsicht den Topf um. Alsbald trat ein Fräulein aus der Grotte und gab ihm andere Speise für die welche er verschüttet. Dabei kamen die beiden, der schöne Hirtenknabe, und das schöne Fräulein, in ein freundliches Gespräch, und als der eine sich geletzt, nahm ihn die andre bei der Hand und führte ihn in ihr wunderbares Schloß. Dort wurde er mit lieben Worten aufgenommen und die Elfen sagten ihm, er möge kommen zu allen Stunden, aber Niemand dürfe davon wissen und niemals dürfe er jagen gehen auf die Gemsen, die allesammt ihre Hausthiere seyen. Dem Hirtenknaben gingen neue Tage auf, schönere als er je erlebt, bis ihm nach manchen Monden ein Wort entfuhr, das seinem Vater seine Liebe verrieth. Als er darauf wieder an den Berg kam, war dieser verschlossen und keine Bitte, keine Klage konnte ihn wieder öffnen. Der Knabe, verging fast in seiner Sehnsucht und starb schier vor Gram, aber das salige Fräulein, seine Liebe, kam nicht mehr zu Tage. Und zuletzt machte er sich auf und ging um Rache zu nehmen auf die Gemsenjagd, ersah ein Thier, verfolgte es und schoß. Aber kaum war’s gethan, so stand das salige Fräulein, das ihn einst geliebt, in all ihrer Schönheit schützend bei dem werthen Wilde, blickte den Jäger an, [226] schwermüthig aber milde, als thäte sie vergangener Tage gedenken, und der untreue Knabe stürzte von dem Blick geblendet in den Abgrund.
Als nun der Caplan aus der Kirche trat, gab er uns freundlichen Willkomm und erregte auch sonst manche angenehme Hoffnung in den beiden Pilgern; denn da gestern, wie bekannt, Fasttag gewesen und der Wirth zu Sölden jedem Manne nur ein Ei gewährt hatte, so war ihnen noch etlicher Hunger übergeblieben. Dafür wurde nun trefflich gesorgt, und ehe die Sonne im Mittag stand, stand eine kräftige Suppe und ein auserlesener Gemsziemer und eine noch mehr hervorzuhebende Gemsleber auf der Tafel. Nebenbei tranken wir vom rothen Wein des Etschlands und plauderten bis zum späten Nachmittage, festgehalten durch einen stürmischen Regenschauer, der sich urplötzlich emporgezogen hatte an dem Himmel, der noch um Mittag so heiter gewesen war.
Wer macht sich wohl im bequemen geselligen Flachlande eine richtige Anschauung von dem Leben dieser hochgebirgischen Dorfcapläne? Drei Viertheile des Jahres liegen sie unter Schnee, und in der „abern" Zeit läßt ihnen Mutter Natur kaum die Erdäpfel im Garten reif werden. Jahr aus Jahr ein leben sie da in ihrem engen Häuschen mit der nächsten Aussicht auf den Friedhof, und verlassen es nur um den Verrichtungen in der Kirche oder der Seelsorge auf den Höhen herum nachzugehen oder zu einem einsamen Spaziergang, der unveränderlich den Wiesenpfad thalein- oder auswärts verfolgen muß, denn ringsherum sind steile Wände. Wenn im Winter der Weg in die Kirche oft erst mühsam gebahnt werden muß, so läßt sich denken was für Fährlichkeiten zu bestehen, wenn etwa ein Sterbender auf entlegenem Hofe nach dem Priester begehrt und dieser in finstrer Nacht, in Sturm und Schneegestöber, dem Rufe folgen muß, auch wenn es bis dahinaufginge, wo wir heute früh auf dem sonnenhellen Bergrande das ferne Capellchen glänzen sahen. Ist dann der Weg auch gangbar, so drohen noch immer die Schneestürze, und davon weiß mau in Heiligkreuz wie im ganzen Oetzthale Schauerliches zu erzählen, als z. B. daß gleich im Jahre 1817 [227] zu Nörder auf dem Wege nach Zwieselstein siebzehn Personen verlahnet[WS 1] wurden, die sich alle in ein Haus geflüchtet hatten, das sie für besonders sicher hielten – ein Unglück bei welchem nur der achtzehnte, ein alter Mann, mit dem Leben davon kam. Ueberhaupt sind die Arten wie man hier zu Lande mit Tode abgehen kann, kaum zu zählen, und der lange Weg durchs Oetzthal herauf bis zum Ferner läuft oft wie durch eine Allee von Martertäfelchen, kleinen Abbildungen des Todfalls mit beigeschriebener Bitte um ein Vaterunser, welche die Hinterbliebenen am Pfade aufrichten lassen. Manche sind in Fernerklüfte gefallen, andere vom Schrofen gestürzt, andere durchs Eis in den Bach gebrochen, andere hat der Strom im Sommer fortgerissen, andere ein fallendes Felsstück erschlagen, andere ein rutschender Baum erdrückt, andere sind in der Lahne erstickt, andere im Gerölle umgekommen und so fort, nur von mörderischen Ueberfällen ist nicht die Rede. Um übrigens zu unsern Bergcaplänen zurückzukehren, so führen sie auch im Sommer kein sehr geselliges Leben, da der Nachbar oft mehrere Stunden zum Nachbar hat, auch die Gießbäche in der schönen Jahreszeit nicht selten den Pfad mit sich fortreißen und den Verkehr für mehrere Tage unterbrechen. Drum ist das enge Häuschen mit ein paar Büchern, ein paar Singvögeln und ein paar Blumentöpfen gleichsam die Cajüte, in der der einsiedlerische Priester die langen Monate durchsteuert – das enge Häuschen, welches zwar zuweilen einen guten Keller hat, in dessen Küche aber frisches Fleisch jeweils eine Zufälligkeit. Besondere Wonnen- und Freudentage die das stille Einerlei des Jahreslaufs unterbrechen, wären wohl schwer namhaft zu machen; doch hält einer oder der andere die Jagd auf „Murmenten,“ auf Murmelthiere für ein hohes Vergnügen. Gleichwohl sind die Fälle nicht gar selten daß solche Priester zehn und zwanzig Jahre bei ihren Kirchen und ihren anhänglichen Schäflein geblieben sind, obgleich es ihnen in dieser langen Zeit nicht an Gelegenheit fehlen konnte den Ort ihrer Wirksamkeit zu wechseln.
Für gesellige Naturen mag es eine Labsal seyn, daß sie Niemand hindert müden Wanderern Herberge zu geben. [228] Da findet sich doch alle vierzehn Tage einmal Anlaß etwas zu reden; man hört wieder von der Welt und in neuern Zeiten oft von fernen Ländern, von den britannischen Inseln, von Scandinavien und dem äußersten Thule. Mancher Engländer, mancher Normann bleibt durch Unwetter aufgehalten etliche Tage sitzen und erzählt zur Kürzung der Stunden von seinem Lande und seiner Vaterstadt. Davon haftet dann Vieles im Gedächtniß und man muß sich oft wundern, wie der geistliche Gastfreund, der nie über die Gränzen seines Bisthums hinausgekommen, an einem andern Ende des Welttheils ganz gut Bescheid weiß und Verhältnisse kennt, die aus Büchern gar nicht zu lernen wären. In allen Fällen wird man die Aufnahme freundlich finden und wenn sich auch der Tisch nothwendig nach dem richten muß was vorhanden ist, so wird das Lager doch überall befriedigen. Billige Rechnung ist ein Ehrenpunkt, da man’s lieber ganz umsonst thäte, wenn die Mittel ausreichten. In manchen Häusern darf sich die Köchin gar nicht in die Sache mischen, weil der Hausherr fürchtet, sie möchte zu fiscalisch dareingehen. So kommt dann der gute Wirth selbst mit der Kreide, schlägt die einzelnen Posten vor, ladet den Gast ein seine Erinnerungen zu machen, wozu freilich nie ein Grund gegeben ist, schreibt jedes Sümmchen nur nieder, wenn es vorher gebilligt worden, und so wird denn im friedlichsten Einverständniß der Betrag der mäßigen Vergütung festgesetzt.
Gegen Abend also machten wir uns, gelabt und gestärkt, wieder auf um nach Vend zu gehen. Der treffliche Caplan gab uns noch eine Strecke weit das Geleit, und dann nahmen wir herzlichen Abschied. Der Weg war in seiner Art wenig verschieden von dem den wir in der Frühe von Zwieselstein nach Heiligkreuz gegangen waren, doch eher etwas bequemer. Hie und da stehen ein paar Hütten an dem Wege – sonst große Einsamkeit und wegen der vielen Spuren von Lahnenstürzen, wegen der Steingerölle und der wilden Schrofen etwas Melancholie. Nach zwei Stunden eröffnet sich das heitere Thal von Vend, wo das letzte Dorf im Oetzthale, das höchste im Lande steht, 6048 Wiener Fuß über dem Meere, höher als [229] die Schneekoppe im Riesengebirge. Es finden sich hier fünf Bauernhöfe, und darin wohnen etliche vierzig Menschen die keine Felder mehr bauen, aber schöne Alpenweiden besitzen und durch Viehzucht einen ziemlichen Wohlstand unterhalten.
Das Thal von Vend ist ein Seitenstück zu der Landschaft von Galthür: hölzerne Alpenhäuser und eine weiße Kirche, glatte Wiesen, ein ruhigfließender Bach, niedere grüne Berge. So grauenvoll der Winter seyn mag, so harmlos und artig scheint das Gelände im Sommer. Wir haben der Ueberraschung schon einmal gedacht, die den Pilger befällt, wenn er Tage lang am tobenden Bache aufwärts gegangen, an Schrofen und dräuenden Felsen vorbei, durch grause Schluchten, über Lawinenbahnen und Steingerölle, zeitenweise die ernsten Gletscher im Auge – wenn er nun immer tiefer ins Gebirge hineinkommt und zuletzt wo der Schauer am größten seyn soll, in den grünen Wiesenplan eintritt und statt des verwüsteten Tummelplatzes dämonischer Gnomen den ebenen Tanzboden friedlicher Elfen findet. Dasselbe Gefühl kehrt auch hier wieder, und man kann es noch an vielen andern Stellen erleben.
Das Wirthshaus zu Vend ist eine sehr ärmliche Anstalt und kann vielleicht auch nicht viel besser seyn. Frisches Fleisch kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor, sonst hält man zum Bedarf der Fremden geräuchertes Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, eine höchst unleckere Nahrung. Das Brod wird alle vierzehn Tage vom äußern Thale hereingeholt und ist also dreizehn Tage altbacken. Der Wein – in jedem Betracht das beste was zu haben – kommt im Winter auf Schlitten über Zwieselstein herein, und dazu muß als Bahn, wenn der Pfad ausgeht, auch der gefrorene Bach behülflich seyn. Die Betten waren nicht lang genug für uns, was anzudeuten scheint daß die Reisenden der Mehrzahl nach kürzer sind als wir.
Den Abend füllten wichtige Gespräche über die Fernerfahrt die wir vorhatten. Einige Bauern gaben darüber ihre Gutachten ab, die aber sehr weit auseinanderwichen. Die einen erklärten den Gang für höchst bedenklich, die andern für ein Kinderspiel, vorausgesetzt daß gut Wetter sey. Der Wirth nannte Nicodemum von Rofen als den besten Mann für Gletscherreisen. [230] Dieser würde morgen früh erscheinen um, als am Sonntag, in die Kirche zu gehen, und der würde uns führen wohin wir wollten. Unter großen Hoffnungen schlüpften wir zuletzt in die kleinen Betten und verfielen in sanften Schlaf.
Am andern Morgen, es war der des 6 August 1842, erschien Nicodemus von Rofen und erklärte sich, wie voraus gesagt war, ohne Umschweife bereit uns übers Niederjoch nach Schnals zu führen, vorher aber gedenke er noch zur Sonntagsandacht ins Amt zu gehen, welches sammt Predigt bis zehn Uhr dauern sollte. Zu gleicher Zeit lud uns auch der Wirth ein mit ihm in die Kirche zu wallen, da das Haus geschlossen werde. So gingen wir bescheiden und mit niedergeschlagenen Augen auf die Kirche zu. An der Pforte bemerkte uns sofort der Gastfreund, hier sollten wir stehen bleiben, denn die Plätze im Innern seyen alle ausgetheilt und für uns keine Unterkunft. Blieben also einige Zeit an der Thüre stehen, bis die männliche Alpenjugend immer dichter herandrängte und mit breiten Ellenbogen auch den Raum auf der Schwelle besetzte. Unter dieser Bedrängniß mußten wir wider Willen ins Freie treten. Mittlerweile fing es zu tröpfeln an und wir verehrten unsern Gott in leisem Regen, waren etwas trübselig und mischten in unser Gebet hie und da ironische Betrachtungen über die sieben Seligkeiten der Bergreisen. Dieß dauerte eine gute Weile. Endlich kam der Wirth mit den Schlüsseln und wir trachteten fröhlich der Herberge zu und versprachen uns, da vorderhand keine Hoffnung zum Aufbruch war, viele Belehrung von den Gesprächen die wir mit den Betern führen wollten, wenn sie nach dem Gottesdienste durstig ins Wirthshaus kommen würden, nahmen auch zu diesem Zwecke schon vorhinein einen guten Platz. Alsbald wälzten sich die Vender und ihre Nachbarn in dickem Haufen zur Stubenthüre herein, besetzten alle Bänke und Stühle die noch frei waren, und etliche welche nicht mehr unterkommen konnten, blickten von der Schwelle begehrlich ins Gemach. Um diese Zeit nahte der Wirth, fragte ob es uns hier nicht zu lärmend sey, und als wir mit einem vernehmlichen Nein geantwortet, drehte er seine Rede und bat uns freundlich, ja sehr freundlich, zu bedenken, daß [231] die Stube gerade für so viel Männer gebohrt sey als in die Kirche gingen, daß da an Sonn- und Feiertagen jeder seinen Platz haben wolle und daß er gar keinen Frieden genießen würde bis auch die andern auf der Schwelle noch zu sitzen kämen. Dabei stellte er uns vor, wie angenehm und ruhig unser Schlafgemach sey, und es wäre ihm sehr lieb wenn wir da hinüber gingen. Ei was? brummte da der eine von uns, wir sind ja hier wie die Parias; erst wollen sie uns nicht in der Kirche leiden, und nun nicht einmal im Wirthshause! Ach! sagte der andere, es sind gute Leute; thun wir ihnen den Gefallen. Nun nahm der Wirth vergnügt unser Trinkzeug und trug’s hinüber, und wir folgten in unser armseligstes aller Schlafgemächer. Stühle waren nicht darinnen, und so legten wir uns in nothwendiger Verkürzung auf die Betten. Leider wußten wir gar nicht was wir anfangen sollten. Lesen, Schreiben, Rechnen schien alles nicht am Platz und an der Zeit. Auch zum Reden fielen uns nur ärgerliche Bemerkungen ein, die wir lieber unterdrückten. Alle Viertelstunden aber ging einer hinunter und traf verabredetermaßen mit Nicodemus von Rofen zusammen um das Wetter zu beurtheilen, denn beim ersten sichern Anzeichen von Besserung sollte es weiter gehen.
Endlich, es war um halb zwölf Uhr und der Regen hatte schon seit einiger Zeit aufgehört, endlich sagte Nicodemus: es hebt, und mahnte zum Aufbruch. Er ließ sich noch eine fette Suppe geben, während wir einige Lebensmittel zu uns steckten und die Rechnung berichtigten. Bei letzterem Geschäfte gewannen wir übrigens die Ueberzeugung daß es in Vend zwar ziemlich schlecht, aber auch ziemlich theuer zu leben sey.
Nun hatte sich Nicodemus gestärkt, griff nach seinem Stabe und wir zogen davon. Allererst ging es eine jähe Anhöhe hinan, von wo wir rechts nach Rofen hineinsahen. Zu Vend läuft nämlich das Thal abermals in eine Gabel aus, deren eine Zinke zum Hochjoch, die andere zum Niederjoch führt. Im grünen Grunde der ersteren liegen die beiden ansehnlichen Rofner Höfe, die letzten Häuser im Oetzthale, nur noch zwei Stunden von dem vielbesprochenen Rofener Wildsee, und Nicodemus, dem der eine davon gehört, deutete mit Stolz auf [232] sein väterliches Erbe. In dieser Wildniß hat nämlich, wie alte ehrwürdige Sagen berichten, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche eine Zuflucht gefunden als er geächtet und gebannt heimlich dem Costnitzer Concil entflohen war (1416). Dazumal, als hundert Feinde ihm nachstellten und der eigene Bruder nach der Grafschaft Tirol strebte, lebte Friedel manchen stillen Tag auf dem Rofnerhofe und die Rofnertochter soll sogar ihr Herz an ihn verloren haben. Später, als er wieder zu seinem Lande gekommen war, gedachte er dankbar dieses Asyls und verlieh dem Hofe ausgezeichnete Ehren, Steuerfreiheit nämlich und die Rechte einer Freistätte. Erstere genießt er noch, letztere ging unter Joseph II ein. Auch wurde der Hof zu einem eigenen Burgfrieden erhoben und dem Schloßhauptmann zu Tirol untergeben. Noch zur Zeit aber spricht Nicodemus von seinem Hof nicht anders als ein Ritter von seiner Burg, und es nimmt sich sehr stolz und fürnehm aus, wenn der Bauer etwa anhebt: So lange ich auf Rofen sitze u. s. w. Uebrigens gehörte auch die Gemeinde Vend bis in dieses Jahrhundert herein ins Gericht nach Castelbell im Vintschgau und ins Bisthum Chur. Jetzt steht sie sammt den Rofner Höfen unter dem Landgerichte zu Silz im Innthale und unter dem Bischofe zu Brixen.
Obengedachter Wildsee im Rofnerthale wurde in letzterer Zeit öfter besprochen; aber schon im Jahre 1773 hat er einem öffentlichen Lehrer an der Universität zu Wien, Namens Joseph Walcher, ein gutes Schriftchen entlockt: „Nachrichten von den Eisbergen in Tirol,“ wohl die ersten, die über diese entlegene Gletscherwelt unter das deutsche Publicum gebracht worden. Damals wo Niemand ohne Schauer an diese winterlichen Einöden dachte und die weißen Fernerketten nur allmählich die Augen neugieriger Naturforscher auf sich zogen, damals mag dieß Büchlein den Leser sehr überrascht haben. Wir lernen daraus unter anderm, daß zu jener Zeit noch manche der Meinung seyn konnten, es hätten die Gletscher in Tirol erst im dreizehnten Jahrhundert ihren Anfang genommen, indem damals mehrere sehr kalte Winter aufeinander gefolgt seyen und sich deßhalb auf den hohen Bergen das Eis dergestalt [233] gehäuft habe, daß die darauffolgende Sonnenhitze nicht mehr vermögend gewesen es gänzlich zu zerschmelzen. Die Bildung des Rofner Eissees wird von Joseph Walcher schon richtig so beschrieben, daß der an der linken Seitenwand des Rofnerthales gelegene Vernagtferner zeitenweise von seiner Höhe, oft aus stundenweiter Entfernung, in den Thaleinschnitt heruntersteige, diesen als quergelegter Eisdamm ausfülle und so den Bach, der aus dem Rofnerferner, dem innersten des Thales kommt und sonst ruhig abfließt, zum See aufstaue. Reißt dann mit zunehmender Sommerwärme der See den Damm durch, so ergeben sich jene verheerenden Ueberschwemmungen die alles flache Uferland, die Oasen von Vend, Sölden, Lengenfeld und Umhausen betreffen und nicht die mindeste der Plagen sind, denen der starkmüthige Oetzthaler ausgesetzt ist. Manchmal war die Wasserfluth, die sich da plötzlich löste, so mächtig, daß selbst das Innthal noch davon zu leiden hatte.
Der erste Ansatz dieses Eissees, so weit sichere Nachrichten vorhanden, fällt ins Jahr 1599. Im Jahr darauf brach er verwüstend aus. Darnach lag sein Bett lange Zeit trocken, aber 1677 fing er abermals an sich zu bilden und 1678 und 1680 zerbrach er den Damm mit großem Schaden des Oetzthales zum zweiten- und drittenmale. Als Peter Anich von Perfuß, der geniale Landmann, sein Vaterland Tirol aufnahm, um 1760, war der Seeboden wieder Weideland; er gab durch Punkte den einstigen Umfang des Wassers an und schrieb dazu: gewester (d. h. gewesener) See. Deßwegen spricht auch Friedrich Mercey, der im Jahre 1830 mit der Anich’schen Karte in der Hand Tirol durchpilgerte und das Tagebuch später zu Paris herausgab, in dieser Gegend von dem fameux lac Gewester, ein komisches Mißverständnis, das sich bei Lewald, der hier von einem Gewesteinersee erzählt, fast noch verschlimmert zeigt.
Im Jahre 1771 kam der Vernagtferner wieder an den Bach herab und zwei Jahre darauf erfolgte ein Ausbruch, der aber allmählich und daher mit weniger Zerstörung vorbeiging als die früheren. Seitdem zog der Gletscher vor- und rückwärts, erreichte jedoch die Thaltiefe lange Zeit nicht wieder. [234] Im Jahre 1840 soll er nach Stafflers Angabe zwei Stunden ober dem Bach gestanden seyn. Bald darauf fing er wieder zu wachsen an, und als wir in Vend waren, hörten wir schon, daß der Ferner nicht mehr sehr weit vom Bache entfernt sey. Im vorigen Jahre berichteten die Zeitungen, daß man die Thalsperre sicher voraussehe. Der Gletscher wuchs im August täglich um mehr als drei Wiener Fuß. Endlich am 1 Junius heurigen Jahres schob sich der Eisdamm quer über den Bach und bald war der See wieder da, eine Viertelstunde lang und zwanzig Klafter tief. Von Innsbruck kam der Landesgouverneur mit einer Gefolgschaft sachkundiger Männer nach Vend, um das Mögliche vorzukehren. Am 14 Abends brach das Wasser durch und unter fürchterlichem Drängen und Toben war in einer Stunde der See abgelaufen. In Vend waren alle Brücken, Schneidemühlen und Scheunen am Ufer niedergeworfen, in Sölden die schönen Wiesgründe zerwühlt, viele Häuser beschädigt, Kirche und Pfarrwohnung bedroht. In gleicher Art hatte die wüthende Ache auch Lengenfeld ins Mitleid gezogen, und erst bei Umhausen verminderten sich die Spuren der Verwüstung. Der Schaden wurde auf 100,000 Gulden geschätzt. Nicodemus von Rofen hatte als Führer, Rathgeber und kecker Spion in dem gefährlichen Lager des Ferners rühmliche Dienste geleistet. Ganz auf dieselbe Weise hat sich im Jahre 1716 der Gurgelsee im nächst anliegenden Gurglerthale gebildet, zum größten Entsetzen der Einwohner, die in Processionen an den Ferner wallten und den Himmel um Rettung anflehten. Da jedoch seitdem dieser See alle Jahre unschädlich abrinnt und wieder einläuft, so haben sich die Gurgler an diesen Nachbar gewöhnt und hegen zur Zeit keine Besorgnisse mehr.
Nicodemus Klotz von Rofen ist ein Vierziger, eher klein als groß, ledig, ernsthaft, aber doch kein Feind des Scherzes. Er trägt den spitzen Hut, die braune Jacke und die braunen dicken Strümpfe, die Tracht der Oetzthaler, und dabei spricht er ein alterthümelndes, wenig abgeschliffenes Deutsch, von jener scharfkantigen Art, wie es in den innersten Thälern gewöhnlich erklingt. Er rühmt sich der einzige Mann der Gemeinde [235] zu seyn, der die Gebirge und die Gletscher ringsherum alle bestiegen. Er hatte von Jugend auf seine Herzensfreude an den feierlichen Fernern und kletterte vordem mit seiner Büchse allein auf die Hörner, neugierig was da für eine Aussicht, oder nach seinen Worten: für eine „Einsicht zu fassen“ sey. Er ist daher gewiß der verlässigste Führer im Vender Thal, und geht von da aus überall mit, wohin man immer will, über den kleinen Oetzthaler Ferner und das Niederjoch oder über das Hochjoch nach Schnals, an der Wildspitz vorbei ins Pitzthal, über den Gebatschferner ins Kaunserthal oder links hinüber nach Langtaufers und ins obere Vintschgau. Da, auf letzterer Fahrt, beträgt der Gang über das Eis indessen mehrere Stunden, und dieser hatte in seiner Gefährlichkeit selbst den kecken Alpensohn etwas verdutzt gemacht. Vor kurzem waren nämlich Bergsteiger aus Albion da gewesen und hatten ihn aufgenommen sie nach Langtaufers zu führen. Als sie eine gute Weile auf dem Eise fortgegangen, wurde aber der Ferner durch Klüfte, Brüche und Schrunden so unwegsam daß gar kein Mittel mehr schien weiter zu kommen. Nicodemus schlug vor zurückzugehen; die Engländer aber wollten ihre Mühe nicht verloren haben und forderten ihn gebieterisch auf sie weiter zu geleiten. Nun gelangen zwar noch einige Uebergänge, aber an einem breiten und tiefen Gletscherspalt fiel der eine der fremden Reisenden und glischte hinunter, so daß ihn Nicodemus nur noch beim Schopfe zurückziehen konnte. Als er so vom Tode gerettet war, besah er sich von oben bis unten, sagte lachend: das war gut – und nun hatte keiner mehr etwas gegen die Umkehr einzuwenden. Nicodemus aber hatte sich das zur Warnung dienen lassen und wollte Niemand mehr nach Langtaufers führen, ehe denn er einmal wieder nachgesehen, ob sich nicht das Eis gewendet habe und der Ferner neuerdings gangbar sey.
Wir ließen also die Rofnerhöfe rechts liegen und gingen links ins Niederthal ein und darin fort, einen öden, gar nicht kurzweiligen Weg, der oft von Fernerbächen durchschnitten ist, über welche wir nicht immer ungenetzt kamen. Außerdem war aber weder Gefahr noch Unbequemlichkeit, denn der Steig ging [236] ganz mählich an der Halde hin, welche düster und mißfarbig an den Wänden von Glimmerschiefer abbrach, und nur etwa an den Ufern der stürzenden Wässer freundlichern Krautwuchs zeigte. Im Frühjahre ist das Thälchen dagegen sehr blumenreich, und da überzieht die Abhänge vor allem der duftende Speik (Primula glutinosa), die geehrteste aller Alpenblumen. Rückwärts blickend hätten wir jetzt wohl auch die prächtige Wildspitze sehen müssen, die höchste des Oetzthalerstockes, welche 11,912 Wiener Fuß über das Meer emporsteigt, aber auf den Höhen lagen noch trübe Nebel, was wir wegen der gerühmten Schönheit jener Ansicht sehr bedauerten.
So hatten wir eine gute Strecke zurückgelegt als wir zu einem Bildstöckchen kamen, auf dessen Tafel ein sitzendes Weib gemalt ist mit einem neugebornen nackten Kind im Schooß. Die Mutter Gottes schaut aus den Wolken gnädig herab. Der Rofner Bauer erzählte, hier habe sein Oheim vor Jahren in Wind und Wetter ein gebärendes Weib gefunden, und in ihren Todesängsten sie gerettet. Dessen zum Angedenken habe er die Tafel machen lassen. Sie aber, setzte er hinzu, sie war ein Lottermensch von Schnals. Mein Gott! sagte einer von uns, so gibt es also auch hier in diesen keuschen Wildnissen solche Opfer der Verführung, und sie gebären an den Fernern, um ihre Schmach den Augen der Menschen zu verbergen! Aus Sittsamkeit forschte keiner mehr nach nähern Umständen, und so erfuhren wir erst drüben im Vintschgau mit frohem Erstaunen daß ein Lottermensch nichts Unehrlicheres bedeute als ein Bettelweib, wornach sich denn die Beurtheilung des Falles wesentlich berichtigte.
Dann kamen wir auch bald zu einer kleinen schwarzgrauen Hütte, welche ungemein kunstlos aus übereinander gelegten Steinen an die Halde hingebaut war. Die Vorderseite ragte kaum mannshoch über den Boden auf; Fenster hatte sie nicht, aber eine niedere Thüre. Aus dieser trat ein Mann, anzusehen wie Robinson Crusoe, in Thierhäute gehüllt, mit verwirrten Haaren, ungewaschen vielleicht seit Monden. Er zeigte sehr viele Freude daß wir uns zu ihm heraufbemüht, und wir dann auch nicht minder daß wir so angenehmen Eindruck [237] auf ihn machten. Im ersten Augenblicke hatten wir allerdings über ihn gestutzt; indessen war er ein glänzendes Beispiel mehr daß auch unter rauhem Kittel ein edles Herz schlagen könne, denn nicht allein grüßte er sehr herzlich und mit dem heitersten Lachen, sondern bot uns auch gleich eine Schüssel voll Milch an. Dafür ließen wir ihn einen Schluck von unserm Vintschger Branntwein thun, womit er sich mehr als königlich belohnt erklärte. Auch lud er uns ein in sein Haus zu kommen; von uns aber fand es jeder zu mühsam sich so tief zu bücken. Doch warfen wir einen oberschlächtigen Blick hinein, und gewahrten in der Finsterniß etwas wie eine Schlafstelle aus Loden und Heu. Am Thürpfosten bemerkten wir auch ein geschnitztes Heiligenbild angeheftet, und vor diesem, sagte uns der edle Wilde, verrichte er seine Andachten. Nachdem wir in dieser Art von allem Wissenswerthen Notiz genommen, sprach Nicodemus: Bhüt Gott, Schnalser! und wir zogen weiter.
Der wilde Mann war übrigens ein Schafhirt aus Schnals, aus dem Thale das jenseits der Ferner liegt. Solcher Schäfer gibt es mehrere in der Revier. Die Vender verpachten nämlich ihre Weiden an die Leute von enthalb der Berge, und diese schicken ihre Heerden mit den Hirten über die Gletscher und lassen sie hier den Sommer zubringen. Deßwegen ist denn auch, wie wir noch diesen Abend in Erfahrung bringen sollten, der Ferner in Schnals ein viel geläufigeres Thema als in Vend.
Nachdem wir nun zwei Stunden im Niederthal fortgegangen waren, kamen wir endlich an den Murzollferner, der eigentlich der Ausläufer zweier andern ist die sich oben vereinigen und in dieser Spitze zu Thal gehen. Die Ansicht gewährt noch wenig von der Schönheit der Gletscherwelt, denn das Thal ist enge, der Blick bergaufwärts beschränkt, der herabziehende Ferner selbst mit Schutt und Geröll bedeckt, daher schmutzig und rußig so weit man sieht. Außen herum an den untern Kanten hat er mächtige Schuttwälle aufgeworfen. Murzoll war übrigens dieses Jahr vollkommen ausgeabert (spr. ausg’appert), und was er obenauf an Rissen und [238] Schrunden haben mochte, das lag alles klar am Tage. Um diese Zeit, wenn nämlich die Sommersonne den tückischen Schnee aufgezehrt und die Ferner „das Hemd ausgezogen haben,“ so daß sie Gestalt und Wesen ihrer Oberfläche nicht verbergen können – um diese Zeit werden sie am liebsten begangen. Dann lauern wenigstens keine heimlichen Gefahren und es locken nicht jene leichten Schneebrücken, die beim ersten Tritte einbrechen und den Wanderer wie die Fallbretter in den alten Ritterburgen hinuntersenden in die kalte Gruft zur ewigen Ruhe.
Nicodemus führte uns nun auf Murzoll – er gebrauchte die Namen seiner Ferner und Berge ohne Geschlechtswort – und wir gingen einige Zeit auf dem Eise fort, um den Pfad im Geröll, der immer mühseliger wurde, zu vermeiden. Murzoll dagegen zeigte sich zu dieser Zeit recht eben und zusammenhängend; nur hie und da zog sich ein handbreiter Spalt hindurch. Allmählich aber wurde auch Murzoll etwas unwegsam und wir suchten wieder den Fußpfad auf dem festen Lande zu gewinnen, den die Schnalserhirten durch unterlegte Felsblöcke zur bequemen Treppe erhoben hatten. Nachdem wir ungefähr drei Stunden auf dem Wege gewesen, machten wir bei einer zerfallenen Steinhütte Halt, die in den Zeiten ihres Glanzes wohl ein getreues Ebenbild der andern gewesen war, in welcher wir den Schäfer von Schnals gefunden. Hier nahmen wir etwas Brod und Käse ein und stärkten uns mit dem Vintschger, auf kahlem Boden, rings von Gletschern umsäumt, dicht ober unsern Häuptern einen wolkigen verschlossenen Himmel. Letzteres erpreßte uns manchen trüben Seufzer, denn jetzt, wenn je, standen wir an der Pforte alpinischer Erhabenheit. Neben uns auf dem braunen Felsgeschiebe, mitten zwischen ewigem Eis und Schnee war eine kleine Heerde Schafe in der Sommerfrische, die mit ihren Schellen fröhlich klingelten und zutraulich herankamen. Sie bleiben während des Hochsommers hier obdachlos im Freien und suchen bergauf und ab ihr Futter.
Indessen sollte uns doch nicht alle Freude verloren gehen und nicht alle Erwartung getäuscht werden. Die Nebel die [239] sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid[WS 2] an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein.
Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt.
Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des [240] Oetzthales auf der Ferse, über Vend bis nach Heiligkreuz gelaufen sey, um dort noch immer voll Entsetzen und halbtodt vor Ermattung beim Caplan wieder zur Fassung zu kommen. So gingen wir demnach unsern Weg, jeder für sich – der Führer voran, Todtenstille ringsum – kein anderer Laut als das leise Knirschen unsrer Tritte.
Der Gletscher schien uns nicht sehr breit, etwa eine halbe Stunde, vielleicht nicht so viel. Der Weg führte etliche hundert Schritte von den Felsenwänden, die zur Rechten ihre Häupter in den Wolken verbargen, schnurgerade über das weiße Feld hinauf. Die schmutzige Spur von Menschentritten und Viehtrieb zeichnete ihn wenigstens von unten auf gesehen sehr kenntlich. Uns schien alles recht sicher und bequem, zumal da der Gletscher, seiner höhern Lage wegen, nicht ausgeabert und die Klüfte daher alle überschneit waren. Nicodemus mochte gleichwohl hie und da Gefahr wittern, denn etlichemale hielt er an und stieß mit dem Stocke bedenklichen Gesichtes in den Schnee, ohne Grund zu finden. Er pflegte dann den Kopf zu schütteln, ging aber nichtsdestoweniger bald mit einem weiten Schritte vor, uns befehlend in seine Fußstapfen zu treten, was wir denn auch folgsam thaten.
Jetzt war’s ungefähr 3 Uhr, und sehr düster auf dem Ferner – neben und über uns, vor und hinter uns dichte stockende Nebel. Nun begann aber auf einmal zur Linken das Jagen wieder. Das zog und zerrte, huschte und flog, und plötzlich riß es auseinander und aus dem bewegten Wolkenreigen stieg ein ungeheures Horn, schrecklich geschartet an den Wänden, von tiefbrauner, feuchtglänzender Farbe, und um das braune Haupt legte sich wie ein Heiligenschein eine Scheibe hellblauen Himmels, die auch mit einemmale sichtbar geworden. Nicodemus blieb stehen, drehte sich überrascht um und sagte leise: das ist Similaun – und so leise flüsterte er’s, als wenn er fürchtete durch lautes Wort das Ungethüm zu reizen. Wir aber hatten eine innige Freude über den titanischen Klotz, und diese wuchs noch immer als auch die letzten Schleier an den Flanken des Hornes verflogen, und dieses in seinem schimmernden Braun mit unbeschreiblicher Pracht vom [241] weißen Ferner sich abhob und in den blauen Himmel ragte. Das ist Similaun – wiederholten wir, um den Namen ja nicht zu vergessen – und schauten vorwärts schreitend immer wieder auf dieß stolze, stumme, trotzende Haupt mit dem niegesehenen Ausdruck von Größe und Wildheit.
Similaun, so schroff er scheint, ist dennoch schon etlichemale bestiegen worden. Er reizt dazu um so mehr als er nach der Wildspitze der höchste Grat ist im Oetzthaler Fernerstock und zwölfthalbtausend Fuß mißt. Der erste der seinen Scheitel betrat, war der Priester Thomas Kaaserer von U. L. Frau in Schnals. Es geschah im Jahre 1834. Ihm folgte der Landarzt von Algund bei Meran, Franz Rodi, der das Wagniß am 27 August 1839, aber bei sehr ungünstigem Wetter vollführte. Am 22 Junius 1840 bestieg der Nämliche die Spitze zum zweitenmale, willig gefördert und geleitet von den Schnalsern, die unten im Thale auch Böller aufstellten, und die kühnen Steiger, als sie den Gipfel erreicht hatten, mit Freudenschüssen begrüßten. Der Himmel war dießmal rein. Die Aussicht wird als unermeßlich geschildert; sie soll hinausgehen bis ins deutsche Reich und man will selbst bayerische Städte gesehen haben. Gegen Morgen zeigt sich der Großglockner, gegen Abend der Ortles und die Schweizergletscher, ja die kecken Männer behaupteten sogar der Montblanc sey ihnen erschienen. Die wimmelnden Eishäupter und Schneeköpfe in der Nähe sind gar nicht zu zählen. Uebrigens sieht man so weit oben oft viel mehr als man nachher den Leuten unten glaubbar machen kann.
So waren wir nahezu ans Ende des Ferners gekommen. Der Himmel hatte sich jetzt ganz aufgethan, die Sonne schien fast warm, und überhaupt glaubten wir zu merken daß sie in den Thälern den schönsten Tag gehabt, während wir da oben in und über den Wolken gegangen waren. Nunmehr öffnete sich auch das Land gegen Süden; nahe prächtige Ferner die sich gegen Schnals hinunterlagern, und hohe Gebirgsstöcke traten auf, lange zackige blaue Kämme, die weit und breit hinzogen nach Welschland oder zum Ortles, und unten wie in Meerestiefe lachte auch schon zu erquickender Herzensstärkung das grüne [242] Thal von Schnals. Da standen wir und schauten bald auf Similaun, den schauerlichen, so hoch über uns, bald auf das stille Paradies in der Niederung so tief unter uns, und wollten nun rasch über den letzten Auslauf des Gletschers weg. Ehe dieß aber vollbracht, hatten wir noch eine neckische Fährlichkeit zu bestehen.
Der Weg zum Ziele führt nämlich hier rechts an den zerklüfteten Wänden hin, und zwar noch immer auf dem Ferner, der da in mäßiger Breite schief abwärts hängt, bald aber ganz senkrecht in einem thurmhohen spitzen Zipfel, gleich einem gefrorenen Wasserfall, zwischen tausendzackigem Gestein ins Thal hinunter geht. Die letzte kurze Strecke, ehe wir auf festen Boden kamen, war die bedenklichste – rechts die Felsenwand, links der gefrorne Wasserfall, in der Mitte durch auf schiefem Eise der schlüpfrige Pfad. Der eine von uns legte sich nieder, um sich mittelst der Hände über die verdächtige Stelle zu schieben; der andere wollte aufrecht darüber steigen. Leider geriethen ihm nur wenige Schritte – jählings glitschte er aus, fiel zu Boden, kam ins Rutschen, packte in der Zerstreuung den andern Liegenden an einem Fuße, dieser als einer der auf der glatten Fläche keinen Halt hatte, mußte folgen und so glitten wir aneinander gekettet, der eine voraus, der andere hintennach, pfeilschnell dem Wasserfalle zu, über den wir wie zwei geflötzte Holzblöcke hinabgeschossen wären, um unten an den Felsen zu zerschellen, wenn nicht der Hinterpart trotz aller Eile den kleinen Runst eines Eisbächleins entdeckt hätte, das in derselben Richtung floß welche wir eingeschlagen hatten. In diesen stemmte er nun schleunigst seinen Vorderarm, und da das Rinnsal gewunden war, so gab es bald eine Hemmung, und der todesmuthige Convoi blieb so noch zur rechten Zeit lebensfroh auf dem Eise hängen. Nicodemus, der sorglos vorausgegangen war, weil ihm in seiner Geübtheit die offene glatte Bahn viel weniger Bedenken gemacht, als die überschneiten Fernerklüfte, Nicodemus hatte unterdessen seine Augen am grünen Thal von Schnals geweidet, kam aber jetzt auf unser Rufen herbei und führte einen nach dem andern ans Land, nicht ohne Mühe, denn da unten [243] wo wir hielten, war’s noch um ein Gutes schlüpfriger als oben wo wir abgefahren.
Die Stelle scheint überhaupt eine von denen zu seyn, wo einem gern etwas begegnet. Zwei unserer Vorgänger, Dr. Stotter u. Ludwig v. Heufler, die trefflichen Botaniker von Innsbruck, die am 18 Sept. 1839 über den Ferner gingen, wissen auch etwas davon zu erzählen. Es kam ihnen nämlich auf dem schmalen gefährlichen Wege ein Trieb von mehreren hundert Schafen entgegen, und um die furchtsamen Thiere nicht zu verscheuchen, mußten sie sich an die überhängenden Wände seitwärts vom Wege anklammern und geduldig warten bis sie alle vorübergezogen waren, was fast eine Stunde dauerte. Diese Lage konnte für solche Dauer unmöglich befriedigen, und die meisten geben wohl unserm Abenteuer den Vorzug, da es mit angenehmer Bewegung auch den Vortheil der Zeitersparniß verband.
Jetzt standen wir also auf festem Felsenboden und blickten mit noch einmal so viel Vergnügen in die freundliche grüne Tiefe. Dabei sahen wir auch auf die Uhr und brachten heraus daß wir gerade 37 Minuten auf dem Ferner gewesen waren. Im Ganzen hatten wir von Vend bis daher nicht volle fünf Stunden gebraucht und Nicodemus fand darin Grund genug, uns manches Schöne über unsern rüstigen Schritt zu sagen. Hier ließen wir auch den werthen Führer ziehen, der im Sinne hatte noch nach Rofen zurückzugehen. Wir boten ihm, da im voraus nichts bestimmt worden war, sechs Zwanziger als Führerlohn, und er meinte für das bissel Weg sey das übrig Geld genug. Auch legte er seine Zufriedenheit in einer sehr kräftigen Danksagung an den Tag, und gewiß war es ebenfalls nur zur Verlautbarung seiner stillen Freude, daß er uns, allerdings in ganz ungefährlicher Richtung, von oben herab noch etliche große Steine nachwälzte, um die Wirkung bewundern zu lassen, wie sie über das Geröll krachend in den Abgrund sprangen. Wir befanden uns mittlerweile auf einem steilen Felssteig, der mit rothbraunen Blöcken verfriedet ist, und wendeltreppenartig an dem Geschröfe abwärts zieht. Hier setzten wir unsre Bergstöcke ein und halfen uns in raschem Schusse zu [244] Thale, kamen zuerst, nachdem wir uns von der Schrofenwand losgelöst, auf magere Wiesen, die über und über mit kleinen und großen Felstrümmern, den Zeichen ungeheurer Steinmuhren beschüttet waren, und so mehr und mehr aus der Region des Schreckens in die des Grünen, zu Zirbelnüssen und Lärchenbäumen, zu Hütten und Häusern, zu Kornfeldern und in die liebliche Au von Unsrer lieben Frau zu Schnals. Ehe wir aber so weit waren, drehten wir uns noch einmal um und besahen den riesenhaften Vorhang von Eis, der aus dem Ferner herunterhängt, und so leicht hätte unsers Lebens Ziel werden können. Dann betrachteten wir auch die Felsenwand an der wir herabgeklettert, und fanden es fast wunderlich daß wir nun gar keine Spur des Steiges mehr entdeckten, der uns ins Thal geführt. All die Aussicht über die Berge des südlichen Landes hatte sich jetzt wieder verloren. Zur linken Hand zog sich die Schnalser Landschaft in eine enge Schlucht zusammen. Auf den Höhen saßen schöne Gletscher, deren klaffende Risse blau hernieder schienen. Da drinnen, zu hinterst in dem schmalen Gelände ist der Fineilhof zu suchen, berühmt in der Sage wie der Rofnerhof, weil Herzog Friedrich, als er diesen verlassen hatte und eine neue Zufluchtstätte suchend über den Ferner gegangen war, beim dortigen Bauern eine Weile unerkannt lebte und dann den Hof auf immer „von gemeiner Obrigkeit freite.“ Die Sage läßt den Fürsten hier die Schafe hüten und auch auf dieser Seite des Ferners mit einer schönen Hirtin eine Idylle spielen, was diesseits wie jenseits seine Richtigkeit haben mag, da er ein sehr wohlgebildeter Herr war. Auf einem nahen Hofe soll damals ein Bauer, Namens Forcher, Vorherr gesessen seyn, der den Flüchtling über die Ferner geführt und dafür einen Wappenbrief erhalten habe, und es ist eine durch Freiherrn v. Hormayr wieder neuerdings angeregte Thatsache, daß der königlich bayerische Baurath Vorherr in München von diesem Beschützer Herzog Friedrichs abstammt.
Wir aber glaubten wärmere Lüfte zu fühlen, das tiefe Thal schien uns grüner, lachender als was wir bisher gesehen, und so sagten wir uns, wir seyen jetzt, wenn auch noch [245] mitten im Hochgebirge, doch schon jenseits der großen Wasserscheide und eigentlich unter hesperischem Himmel. Stattliche Männer mit großrandigen spitzen Hüten und grünausgeschlagenen braunen Jacken kamen des Weges, riefen uns mit lautem Gruße an, fragten neugierig ob wir übers Joch gegangen, und freuten sich unsrer That die sie, als von landfremden Leuten vollbracht, des höchsten Lobes würdig fanden. Darüber fast etwas aufgebläht, traten wir mit stolzen Schritten ins Wirthshaus, wo zum einnehmenden Gegensatze mit der finstern Vender Herberge an den hellen Fenstern und um den großen runden Tisch sieben oder acht kräftige Zecher saßen, die bei unserm Erscheinen alle aufstanden und uns mit rüstigen Grüßen empfingen. Auch sie sagten uns nur Ehrenvolles über unser Wagstück, und erzählten dieß und jenes von verschiedenen Fernerfahrten. Ueberhaupt wird den Schnalsern nachgeredet daß sie, frisch und aufgeweckt wie ihre Art, auch sehr ehrgeizig seyen, und etwas Großes darein setzen daß so viele fremde Herren ihre Gebirge in Augenschein nehmen. Es läßt sich noch zu ihrem Ruhme beifügen daß dieß Hochgefühl kein unthätiges ist, vielmehr ist bekannt daß sie schon oft, wenn Similaun oder ein anderes Joch bestiegen werden sollte, nicht allein unentgeltlich als Führer mitgezogen, sondern mit manchem Aufwand von Zeit und Mühe durch Aussuchung und Vorbereitung der thunlichsten Gletscherwege und Wildsteige zu solchen Zwecken behülflich gewesen sind. Auch Franz Rodi preist Joseph Rafeiners und Joseph Weitthalers, seiner Führer, Uneigennützigkeit und erzählt, daß dieselben keinerlei Entgelt für ihre Mühsal angenommen, sondern sich mit der Ehre begnügt haben. Die ernsten Vender stehen ziemlich scheu zu ihren Fernern und wollen nicht viel davon wissen; die frohsinnigen Schnalser aber nehmen die ganze Revier fast wie ihr angestammtes Reich in Anspruch, um so mehr als ihre Schafe bis gegen Vend hinab auf die Weide gehen, und sie sprechen von ihren Eiswildnissen und ihrem Similaun wie regierende Alpenkönige von ihren unterthänigen Ländern. Es ist ein großer schöner Schlag von Menschen, dem diese hochfahrenden Reden sehr wohl anstehen.
[246] Das Wirthshaus zu Unserer Lieben Frau – das untere nämlich, denn es sind deren zwei – hat unsre Erwartung weit übertroffen. Seppele, der Wirth, ist ein einundzwanzigjähriger Knabe, groß und schön mit langen krausen Haaren von dunkler Farbe, ein Musterbild von einem Schnalser, und seine etwas jüngere Schwester steht als Schnalserin eben so preiswürdig da. Beide waren überaus freundlich und dienstbeflissen und halfen zusammen um uns das Daseyn angenehm zu machen. Seppele setzte uns das Beste auf was er hatte, nämlich frischen Braten vom Fleisch des Gstrauns, worunter aber der Leser nicht etwa ein fremdartiges Thier der Alpenwelt, sondern lediglich einen Hammel verstehen wolle, der in Tirol allgemein mit diesem aus dem italienischen Castrone verstümmelten Namen belegt wird. Ueberdieß hatten wir einige andere Zuspeisen und vortrefflichen Wein. Wir betrachteten uns diesen Abend schlechtweg als eine paar rare Leute, dieweil wir, was zwar auch vielen andern vergönnt, aber doch noch ungleich mehreren versagt ist, einen Gang über die Oetzthaler Ferner gemacht hatten, freuten uns immer wieder von neuem über das schöne Gelingen, wiederholten uns alle die vorübergegangenen Ereignisse des Tages, die stille Sonntagsandacht im Regen, als uns die Vender zum Gotteshause hinausgeellenbognet hatten, den trüben Abschied vom Wirth, die Votivtafel mit dem Lottermensch, die biedere Manier Nicodemus des Rofners, den Gang durch die Wüste der Gletscher, das ragende Horn Similaun, die unterbrochene Fahrt nach dem gefrorenen Wasserfalle, die jähen Sprünge von dem Ferner herab und die hallenden Grüße der Männer von Schnals, als wir in ihr Thal traten. Daran hatten wir viel zu reden und lange Zeit redeten auch die starken Schnalser drein, und als diese am späten Abend fortgingen, blieben wir noch erinnerungsvoll über dem Glase sitzen, und dabei strömten uns, wie wir meinten, immer noch bessere Gedanken zu und frischere Ansichten von dem Reisen in der Welt. Und den der sich einmal in solcher Lage befunden, in einem gastlichen Hause, am Fuße der Ferner, auf denen er den Tag zugebracht, einen solchen, sag’ ich, wird’s nicht grämlich machen, [247] wenn er hört daß wir an diesem Abende sehr viel Wein und sehr wenig Wasser getrunken haben, und erst nach Mitternacht zu Bette gegangen sind.
Am andern Tage bereitete uns Seppele’s Schwester noch ein vortreffliches Frühstück und der Bruder machte uns dazu die Rechnung, welche nicht ganz einen Gulden betrug für die Person, daher auch eine der billigsten war, die wir im Gebirge bezahlt, obgleich nicht zu vergessen ist, daß hier das Seidel Wein nur mehr vier Kreuzer kostet, während es in Vend auf acht oder neun zu stehen kommt. „Wünsch’ wohl auf zu leben,“ sagte uns Seppele zum Abgang, und dieser Abschiedsgruß bleibt von jetzt an der übliche bis man wieder auf den Brenner kommt.
Unsere Liebe Frau von Schnals liegt also in einem grünen kesselartigen Hochthale und ist ein Dorf das zumeist aus zerstreuten Höfen besteht, welche in weitem Kreise die Kirche umlagern, die ehedem ein besuchter Wallfahrtsort war. Jedoch ist nur die Gegend um das Dorf so offen und mild, denn alsbald schließt sich das Thal wieder und nackte morsche Wände, an denen der Pfad nur mit Mühe sich hält, engen den Bach ein. Der Weg geht in der Höhe immer am Abgrunde hin, lange Zeit mit keiner andern Aussicht als auf öde, kahle Schrofen.
Hoch an dem Tobel fortziehend gelangten wir zur Carthause von Schnals, auch Allerengelsberg genannt, welche König Heinrich von Böhmen im Jahre 1326 stiftete. Der Prior der Carthauser war Hofcaplan der Grafen von Tirol und hatte Sitz und Stimme auf der Prälatenbank der tirolischen Landtage. Er lebte mit seinen Brüdern in allerdings sehr ascetischer Gegend von schmackhaften Fischen und gutem Weine. Aus dem See zu Haid ob Mals, der dem Kloster angehörig, zappelten die edelsten Flossenträger im Küchenbrunnen zu Schnals. Kaiser Joseph hob die Carthause auf und seitdem ist die königlich böhmische Stiftung in bösen Abfall gerathen. Die Zellen der frommen Mönche sind jetzt armen Leuten zur Wohnung hingegeben. Auf den alten Mauern wachsen junge Gräser.
[248] Nach diesem blickten wir links ins grüne wilde Pfossenthal[WS 3] hinein, aus welchem jene herauskommen, welche bei Zwieselstein im Oetzthale auf Gurgel gehen und über den großen Ferner steigen. Dann sahen wir jenseits des Baches St. Katharina, eine kleine Kirche auf schauerlich schroffer Höhe. Während dessen schlängelte sich der Weg diesseits immer an kahlen Sandwänden hin und tief in der Schlucht rauschte der Bach. Nur selten stehen einsame Häuschen da oder dort in der Aussicht. Nach und nach aber erscheinen die grünen Rebengelände, die sich vom Vintschgau augenlabend hereinziehen und den Hof zu Ladurn bekränzen, der bemerkenswerth und ausgezeichnet ist, weil davon das Geschlecht der Ladurner stammt, das sich clanartig, wohl mehrere hundert Köpfe stark über Vintschgau, Etschland und ganz Tirol verbreitet und damit nicht zufrieden sogar einen Absenker nach Petersburg getrieben hat, welcher dort Schlachten malt. Zu gleicher Zeit beginnen die Berge jenseits der Etsch in die Schlucht hereinzublicken und die Burg Jufal erscheint stolz und groß auf hoher Warte, einst der Eppaner, dann der Matscher Eigenthum, von Markgraf Ludwig von Brandenburg dem Herrn Erhard von Halben vergeben, im sechzehnten Jahrhundert bei Hans Schwicker Sinkmoser, dem Kellner zu Tirol, seit 1815 einem Bauern verkauft und dem gänzlichen Verfall entgegensehend. Unten wird die Schlucht enger und finstrer, oben hebt sich der Weg unter riesigen Kastanien und schattigen Linden immer mehr in die Höhe, je näher des Thales Ende rückt, und nahe an den Pforten des Schlosses hat er die höchste Stelle erreicht. Von da aber sieht man wieder einmal hinunter in ein Hauptthal, ins Land, das die Etsch durchströmt, ins schöne Vintschgau. Die gelben, verbrannten Berge der Sonnenseite standen den mächtigen Jöchern enthalb des Stromes zu großartigem Widerspiel entgegen; jene eine heiße, steil aufsteigende Sahara, diese voll Gras und Laub und Schatten, voll Wiesen und Wälder bis hinauf an die beschneiten Zinnen. Da sah man hinüber bis an die Suldnerferner und ich glaube sogar bis an den Ortles,
whose head in wintry grandeur towers
and whitens with eternal sleet,
while summer in a vale of flowers
is sleeping rosy at his feet.
Es ist dieß zwar vom heiligen Libanon in Syrien gesagt, aber es gilt auch hier von den weißen, ewigen Fernern, die in winterlicher Größe sich aufthürmen, während der Sommer im Vintschgau unten rosig zu ihren Füßen schläft. Und jetzt schlief er auch wirklich am heißen Sommermittage in südlicher Siesta und athmete nur leise durch die Rebenlauben, und während die Gletscher klar und unumwölkt am blauen Himmel ihre schneeigen Glieder zeichneten, lag ein weicher blauer Duft über dem Thale, aus welchem weithin die Schlösser und die Dörfer, die Weingelände, die Kornfelder und die Kastanienbäume dämmernd sich erhoben. Mitten drinnen strömte in schönem Zuge die Etsch und daneben schlenderte wie ein gelber Faden zwischen Büschen und Bäumen die Heerstraße daher. Auf dieser entdeckten wir weit draußen ein eiliges schwarzes Pünktchen, in dem wir allmählig den Stellwagen erkannten. Um mit ihm zusammenzutreffen, mußten wir gleichwohl auf die Schau der schönen Malereien verzichten, mit welchen Hans Schwicker Sinkmoser, der Kellner zu Tirol, die Burg hatte schmücken lassen, und so stiegen wir rasch die hohe, steile, rebenbekränzte Halde hinab, und nachdem wir, von schwerer Hitze bedrückt, das Dorf Staben, welches unten an der Etsch liegt, erreicht hatten, rollte auch zu gleicher Zeit der Stellwagen daher, der uns in seinen weiten Kasten aufnahm und in drei Stunden nach Meran brachte.
- ↑ *) S. geognostisch-botanische Bemerkungen auf einer Reise durch Oetzthal und Schnals von Dr. Michael Stotter u. Ludw. Ritter v. Heufler. N. Zeitschrift des Ferdinandeums. 6. Bändchen. 1840. Dort ist auch S. 127 ff. die Literatur über das Oetzthal aufgezählt.
- ↑ *) Hormayr’s Taschenbuch für vaterl. Gesch. 1838. S. 65.
- ↑ *) S. Schmellers bayer. Wörterbuch. 4, 56.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Lahn, Lawine im bairischen
- ↑ Gejaid: Jagd
- ↑ Vorlage: Pfofenthal; Seitental des Schnalstals in Südtirol
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