Drei Tage aus dem Leben eines großen Königs
Friedrich Wilhelm I., der Vater Friedrich des Großen, war im Gegensatz zu seinem Vorgänger auf dem preußischen Königsthron ein äußerst sparsamer und praktisch veranlagter, aber auch sehr jähzorniger Herrscher. Diese seine Persönlichkeit hauptsächlich kennzeichnenden Charaktereigenschaften zeigten sich auch in der Art, wie er die Erziehung seines Erstgeborenen geleitet wissen wollte. Da die Gesundheit des am 24. Januar 1712, einem Sonntag, geborenen jungen Friedrich recht schwankend war, sorgte er dafür, daß dieser jede dem Unterricht nicht gewidmete Minute im Freien zubrachte. Ja, er stellte für ihn später sogar einen vollständigen Stundenplan auf, der genau innegehalten werden mußte. Danach wurde der Kronprinz z. B. Punkt 6 Uhr, ob Sommer oder Winter, geweckt. Latein durfte der junge Friedrich nicht lernen. Sein Vater hielt dies für überflüssig. Ebensowenig sollte er sich mit den französischen Dichtern beschäftigen. Der Geschichtsunterricht beschränkte sich auf die Ereignisse der letzten hundertfünfzig Jahre.
Es war am 1. Oktober 1722, vormittags gegen zehn Uhr, als Friedrich Wilhelm ganz überraschend das Zimmer seines Sohnes betrat, um sich von dessen Fortschritten in den Wissenschaften zu überzeugen. Beim Eintritt klangen ihm lateinische Worte an das Ohr. Er stutzte, und seine Stirn zog sich in drohende Falten. Am Mitteltisch saßen der kleine Fritz und sein Lehrer Duhan.
„Was macht ihr da?“ fragte Friedrich Wilhelm streng und faßte das spanische Rohr mit silbernem Knopf, das ihn überallhin begleitete, fester.
„Ich dekliniere mensa, der Tisch“, erwiderte der erblaßte Prinz.
Des Königs Antlitz rötete sich vor Zorn. „Latein treibst du mit meinem Sohne, du Schurke!“ fuhr er den Lehrer an, und ließ dann seinen Rohrstock auf dessen Rücken tanzen, bis Duhan zur Tür hinausflüchtete. – Der kleine Friedrich war indessen vor Angst unter den Tisch gekrochen[1].
Da lachte der König und rief ihn hervor. „Komm, du kannst nichts davor, das der Duhan meinen Befehlen so schlecht gehorcht. – Zeig mir deine Abrechnung vom letzten Monat.“
(Der Prinz erhielt zur Bestreitung seiner persönlichen Bedürfnisse jährlich 360 Taler, über die er genau Rechnung führen mußte.) Der Prinz reichte seinem Vater den sauber beschriebenen Zettel, auf dem folgendes vermerkt war:
Vom 1. September bis 1. Oktober. Vor 2 Farbentafetn Tlr. 16 Gr. Vor 6 Pfund Puder „ 12 „ Vor Stiblettenknöpfe „ 2 „ Vor 12 Ellen Zopfband 1 „ 6 „ Vor Schnur zu Peitsche „ 4 „ Vor die königl. Knechte zu Bier „ 4 „ Vor 1 Rotkelchen „ 4 „ Vor die Schuh auf den Leisten zu schlagen „ 1 „
„Ich bin mit der guten Haushaltung zufrieden, Fritz“, sagte der König, jetzt völlig besänftigt, strich dabei seinem Ältesten über das Haar und verließ dann das Zimmer.
Am Abend desselben Tages begab sich Friedrich Wilhelm in die Gemächer seiner Gemahlin, der Tochter des Königs Georg I. von England, um mit ihr eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Vor der Portière eines großen Raumes, den die Königin als Aufenthalt zu bevorzugen pflegte, blieb er erst wie gebannt stehen und riß dann mit einem Ruck die Portière auseinander. Auf einer improvisierten Bühne spielte der in den Kleidern seiner Schwester Wilhelmine steckende Kronprinz mit mehreren anderen Kindern eine französische Komödie, während seine Mutter, die Hofdamen und die Dienerschaft die Zuschauer machten. Es kam zu einem heftigen Auftritt. Friedrich Wilhelm jagte die Gesellschaft mit zornigen Worten auseinander und rief seinem Sohne zu: „Du wirst ein schlechter Herrscher werden! Schäme dich, in Weiberröcken Firlefanz zu treiben! Du erhältst acht Tage Stubenarrest.“ Diese Strafe wurde unnachsichtlich vollzogen. Ihr folgten bald andere, noch strengere. Vater und Sohn entfremdeten sich immer mehr, bis der Kronprinz im Januar 1728 jenen unglückseligen Fluchtversuch machte, der ihn als Gefangenen auf die Festung Wesel und seinem Freunde Katte den Tod brachte.
Am 31. Mai 1740, nachmittags drei Uhr, starb Friedrich Wilhelm I. Der Schwarm der Hofleute sieht einer sonnigen Zeit entgegen, glänzenden Festen, bei denen Üppigkeit, Überfluß und Freude herrschen werden. Denn der neue König ist so jung, ist ein Kavalier, ein Philosoph, ein Dichter. Wissenschaft und Künste werden blühen, Galanterie und Mode herrschen. So hofften die Höflinge. Es kam anders. Als erster wird der Oberzeremonienmeister von Pöllnitz zu Friedrich II. gerufen. Der junge König stand allein am Fenster. Als er sich zu Pöllnitz umwandte, sah dieser, daß seine Augen voll Tränen waren.
„Heil und Segen für Ew. Majestät!“ sagte Pöllnitz, indem er sich tief verbeugte und die Hand des Königs küßte. Aber dieser trat einen Schritt zurück und sagte:
„Lassen wir diese Zeremonien für den Huldigungstag. Jetzt bedarf ich Ihrer zu anderen Dingen. Sie sind ein Meister in den Sachen der Etikette. Sie werden auch ferner die Leitung dieser Dinge an meinem Hofe übernehmen, und sie werden damit beginnen, das Leichenbegängnis des Königs zu arrangieren.“
„Nach der von dem hochseligen König festgesetzten einfachen Norm?“ fragte Pöllnitz lauernd.
„Nein! Ich muß leider mein Regiment mit einem Ungehorsam gegen die letzten Anordnungen meines Vaters beginnen. Ich darf dieses einfache, prunklose Leichenbegräbnis, welches er fordert, nicht statthaben lassen. Die Welt würde es falsch deuten und mir eine Unehrerbietigkeit vorwerfen. Mein Vater muß mit allen einem Könige schuldigen Ehren bestattet werden. Das ist mein Wille. Die näheren Anordnungen überlasse ich Ihnen. Kaufen Sie alles Nötige und reichen Sie mir die Rechnungen ein. Noch eins, Pöllnitz, vor allem keine Betrügereien, keine mit doppelter Kreide geschriebenen Rechnungen. Ich werde dergleichen niemals verzeihen. Achten Sie darauf!“
Pöllnitz machte seine Verbeugung, und als er ging, war es ihm, als sei der Blitz vor ihm eingeschlagen. Das war nicht der junge, verschwenderische, üppige, vertrauensvolle Herrscher. Das war ein König, der zu befehlen verstand, der ohne fremden Rat seine eigenen Wege gehen würde.
Und die Schar der Hofschranzen, die auf ein bequemes Leben gehofft hatte, wartete, als sie von dieser ersten Äußerung des neuen Herrn erfuhr, mit Zagen auf das Kommende.
Und die Überraschungen trafen Schlag auf Schlag ein. Keine herrlichen Feste wurden gefeiert, nein, genau ein halbes Jahr nach seinem Regierungsantritt zog Friedrich II. in den Krieg gegen Österreich, begannen jene langwierigen Kämpfe, aus denen Preußen als Großmacht mit einem Länderzuwachs von 1400 Quadratmeilen mit über 31/2 Millionen Einwohner hervorging.
Ein gewisser Baron Warkotsch, ein feingebildeter Mann, den Friedrich sehr gern um sich sah, besaß bei dem Orte Strehlen in Schlesien mehrere Güter. Von den Österreichern bestochen, wollte er den König seinen Feinden in die Hände spielen. Im November 1760 bewohnte Friedrich in Woiselwitz ein kleines Haus, welches vierhundert Schritt von Strehlen entfernt lag und von dreißig Mann bewacht wurde. Zu Strehlen lagen sechstausend Mann Preußen. Der Wald, der von hier zu dem Heere der Österreicher führte, hätte allen Versuchen der Preußen, ihren Monarchen zu befreien, ein Ziel gesetzt. Warkotsch wußte dies. Er teilte seinen Plan dem bei Münsterberg stehenden österreichischen Oberst von Wallis mit, und dieser nahm ihn mit Eifer auf. Warkotsch hatte einen Bedienten namens Kappel, der sein volles Vertrauen besaß und den Briefwechsel besorgte. Am 29. November befand sich Warkotsch beim Könige und beritt mit dem General von Krusemark die Gegend von Strehlen. Erst spät kam er nach Hause. Das Wetter war rauh und kalt.
In dieser Nacht sollte die Festnahme Friedrichs ausgeführt werden. Wallis hatte das Eintreffen von vier Schwadronen [23] Husaren zugesagt. Nur eine Meldung war noch zu erledigen, welche den Baron veranlaßte, den Diener zu wecken und mit einem Briefe zu Wallis zu senden. Kappel bestieg sein Pferd und verließ mit dem Briefe das Schloß. In der stillen dunklen Nacht, auf einsamem Wege im dichten Walde, regte sich jedoch sein Gewissen. Er beschloß, den Brief nicht an Wallis, sondern dem Pfarrer Gerlach in Strehlen auszuhändigen. Es war Mitternacht, als er die Zügel seines Pferdes an die Fensterlade des Pfarrhaues befestigte und den Pfarrer weckte. Gerlach las den Brief, welcher aktenmäßig lautete: „Es ist nichts weiter Vorgefallen. Des Königs Kutsche steht vor der Tür. Es ist nirgends ein Piket, auch keine Hauptwache, auch kein Marketender. Das Hauptquartier ist nicht pompös. Bin heute darin gewesen. Ich sah eine Schildwache auf der Gasse. Es stehen nur zwei Schildwachen vorm Zimmer, welches gar sehr klein ist. Fürchten Sie sich vor nichts. Sie machen das größte Glück. In Pogart stehen wegen der Deserteure zwanzig Mann. Sie haben nun den Wegweiser. Morgen geht die Kriegskasse und die Artillerie ab. Eilen Sie. Ich kann nicht gut sagen, daß der Vogel nicht in einigen Tagen ausfliegt. Adieu.“ – Es war klar, daß in dieser Nacht der König aufgehoben werden sollte. Eine Stunde später befand sich Kappel beim Könige. Friedrich war tief erschüttert durch den ihm widerfahrenen Undank. Warkotsch rettete sich durch die Flucht. Kappel erhielt eine Försterstelle bei Oranienburg und Pfarrer Gerlach die beste Pfarrstelle in Schlesien. Für Menschen, deren Treue erprobt war, empfand der große König stets eine unvergängliche Dankbarkeit. Und doch starb er, der sich selbst in seinen letzten Lebensjahren den Einsiedler von Sanssouci nannte, einsam in seinem Potsdamer Schlosse am 17. August 1786. Die Nachwelt bewunderte und ehrte in ihm mit Recht den Feldherrn, Staatsmann und Weltweisen, und das Volk krönte ihn mit einem Namen, den nur die Überzeugung von der wahren Größe eines Herrschers aufkommen läßt, mit dem Namen: Friedrich der Große.
Anmerkungen
- ↑ Alle diese Einzelheiten sind geschichtlich.