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Drei Wochen in Kissingen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Abner Weyman Colgate
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Titel: Drei Wochen in Kissingen
Untertitel:
aus: Rhön-Spiegel
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1868
Erscheinungsdatum: 2007
Verlag: Rötter Verlag, Bad Neustadt a. d. Saale
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Erscheinungsort: Bad Neustadt a. d. Saale
Übersetzer: Thomas Künzl
Originaltitel: Three Weeks at Kissingen
Originalsubtitel:
Originalherkunft: The Galaxy Miscellany, New York, August 1868
Quelle: Originaltext bei der Cornell University
Kurzbeschreibung:
Die Übersetzung steht unter der GFDL und unter der CC-BY-SA 3.0. Eine OTRS–Freigabe dafür liegt vor.
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Nachdem ich meinen Vortrag über meine körperlichen Unannehmlichkeiten beendet hatte, betrachtete mein Londoner Arzt mich ruhig über die Ränder seiner Brille. Mit hängenden Mundwinkeln und einer Haltung, solche Sachverhalte schon oft gehört zu haben, erklärte er die Ursachen meiner Unpässlichkeit und endete damit, ich solle für drei oder vier Wochen nach Kissingen gehen.

Ich kann nicht sagen, dass ich wirklich erfreut war. Hatte ich doch erwartet, auf eine Tour durch die Schweiz oder für einen Monat nach Baden-Baden oder Biarritz geschickt zu werden. Was den Ort Kissingen anging, hatte ich nie von jemanden gehört, der dort hin gefahren wäre und kaum einer wusste wo er überhaupt lag. Ich richtete mein Augenmerk auf eine Karte, denn mir war wohl das salzige Getränk gleichen Namens bekannt, welches in der Drogerie in der Fifth Avenue verkauft wurde — aber tatsächlich in obskures deutsches Kurbad geschickt zu werden, nur daran zu denken bereitete mir Heimweh!

Dieses alles ereignete sich am oder um den 1. Juni 1867. Ein oder zwei Tage später rollten wir aus dem Bahnhof Charing Cross über die Themse, vorbei an den schmuddeligen Dächern der Londoner Häuser, vorbei an den Feldern Kents, hinunter zu den weißen Klippen Dovers. Darauf mit der Fähre über den Kanal und durch eigenartige alte Städte Frankreichs und Belgiens — dem Rhein entlang — vorbei am Drachenfels, Ehrenbreitstein und Bingen — dann Richtung der bayerischen Grenze — bis ich mich an einem kühlen Samstag Nachmittag an einem Platz wieder fand, an dem ich die Eisenbahn verlassen und einen sechsstündigen ‚behutsamen‘ Ritt nach Kissingen unternehmen musste. Es war schon beinahe dunkel, als ich vom Portier des Hotels de Russie empfangen wurde und ging gehorsam in das erste Zimmer, nur besorgt um Ruhe und um alles andere dem nächsten Morgen zu überlassen.

Ein regnerischer Sonntag an einem Ort, an dem du keine Seele kennst und die Sprache nicht sprichst, ist natürlich kein sehr erfreulicher Anfang. Ich war jedoch beruhigt, als ich feststellte, dass hier mehr Menschen waren, als ich zu dieser frühen Saison erwartet hatte. Von einem sehr angenehmen und zuvorkommenden Portier, er sprach Französisch, erfuhr ich, dass das übliche tägliche Programm folgendes war: Morgenpromenade an der Quelle mit Musik, von sechs bis acht; Frühstück von acht bis neun, das Bad folgt an einer beliebigen Stunde des Vormittags; Mittagessen um eins; Promenade mit Musik wieder von sechs bis acht am Abend, gefolgt vom Abendessen und ins Bett um zehn. Er sagte, es gäbe hier zur Zeit nur einige Engländer und er wüsste nicht von Amerikanern. Der Hauptteil der Besucher waren Deutsche und Russen — und nur wenige aus anderen Nationen. Er gab mir den Namen des wichtigsten Arztes, den ich am Nachmittag besuchen konnte.

Mit diesen Informationen und zwei Gläsern Rakoczy, fuhr ich mit meinem Frühstück fort, welches ich völlig alleine im großen Esszimmer aß. Es gab einen Morgengottesdienst in der englischen Kirche, der erträglich abgehalten wurde, aber ich konnte keinen meiner Landsleute entdecken.

Während des Mittagessens erhielt ich meinen ersten Eindruck der Kissinger Gesellschaft. An die zweihundert anscheinend gut aussehender und gekleideter Leute setzten sich an den table d‘ hóte des Hotel de Russie, welches das größte und erste Haus am Platz zu seien schien. Dort waren drei Tische, die sich über die gesamte Länge des Raumes erstreckten, der mittlere geteilt von einem Brunnen. Das Abendessen wurde in Gängen nach französischer Art serviert, wobei jeder Teller separat aufgetragen wurde. Obwohl ich aufmerksam zuhörte, konnte ich kein englisches Wort hören. Eine Gruppe, hauptsächlich Damen, die sich direkt gegenüber von mir setzten und von denen sich herausstellte, dass sie Russen waren, war besonders interessant wegen ihrer Lebhaftigkeit und Schönheit, sowie ihrer eigenen Art des Gesichtes — mit einem richtig klassischen Profil, mit großen grauen Augen und klarem oliven Teint. Wie die meisten Reisenden, die die Gesellschaft besserer russischer Damen genossen haben, konnte ich mich nicht deren ‚wirkungsvoller Art‘ — wie wir sagen — sowie ihrer bezaubernden Anmut entziehen.

Das Hotel de Russie lag, nebst einigen anderen, auf der einen Seite der Hauptstraße, während sich auf der anderen die öffentlichen Kuranlagen befanden. Ein besonderes Areal von ungefähr fünf Morgen, bekannt als ‚Kurgarten‘, ist den speziellen Anforderungen des Bades gewidmet und der soziale Fokus von Kissingen. Er ist mit dichten parallelen Reihen schattiger Bäume gegliedert, die Promenaden bilden und dort befinden sich die Quellen Rakoczy, Pandur und Maxbrunnen, welche stattlich überbaut sind.

Die chemischen und medizinischen Eigenschaften dieses Wassers sind so weithin bekannt, so dass eine langatmige Beschreibung nicht notwendig ist. Rakoczy, Pandur und Maxbrunnen sind im Wesentlichen gleich im Aufbau, unterscheiden sich aber hauptsächlich in ihrer Stärke. Der erst genannte ist der stärkste und jenes, welches unser künstliches Kissinger Wasser nachahmt. Sie werden fast ausschließlich für Krankheiten der Leber und zur Verdauungsförderung benutzt. Die Karbonate des Eisens, des Kalkes und des Magnesiums und die Chlorverbindungen des Magnesiums und das Natriums sind die Hauptbestandteile. Letzteres (gewöhnlich Salz) ist im Übermaß vorhanden. Unser künstliches Kissinger Wasser ist eine gute Nachahmung, aber es hat weniger Kohlensäure und normalerweise einen stärkeren Salzgeschmack als das Original.

Eine weitere Seite wird durch den Kursaal flankiert, ein kunstvolles Steingebäude mit angrenzenden weitläufigen Arkaden. Die Wege wurden gut mit bequemen Bänken ausgestattet und die zentrale Achse wird von einem Musikpavillon überspannt. Der Kursaal ist eine große Halle, erhaben und gut proportioniert, die Wände sind verziert und der Fußboden für Walzer und Tänze vorbereitet. Fünfhundert können einen Ball genießen, ohne sich zu drängen. Es gibt keine Spieltische, wie in größeren deutschen Kurorten und die Halle wird in Verbindung mit den Arkaden hauptsächlich bei regnerischen Wetter als Ort der Erholung genutzt. Ein Klavier stand auf der einen Seite und hier und dort unterhielten sich Gruppen beim Schach und Domino. All diese allgemeinen Gärten und Gebäude in Kissingen sind hauptsächlich Patronat des Exkönigs, Ludwig I., geschuldet, dessen liberaler und kultivierter Geschmack soviel für die Künste in Bayern bewirkt hat.

Das Haus des Dr. W.´s war von solcher Größe und Geschmack, dass ich einen hohen Eindruck vom medizinischen Personal Kissingens bekam. Ich verbrachte eine Stunde sehr angenehm mit dem Doktor, der Englisch sprach und der sehr gastfreundlich war. Mir fiel ein großer farbiger Stich von New York City auf, welcher an der Wand seiner Bibliothek hing. Er riet mir — natürlich — meinen Aufenthalt nicht weniger als drei Wochen zu planen und gab mir folgende Richtlinien, die ich hier wiedergebe, wie er sie mir in mein Notizbuch diktierte:

Gehe jeden Morgen von sechs bis acht; trinke vier Gläser Rakoczy, mit je einer halben Stunde Abstand. Die ersten Tage das Wasser vor dem Trinken etwas wärmen. Frühstück zwischen acht und neun, nur Brot und Kaffee. Um zehn oder elf ein warmes Bad in der Saline und Pandur (zwei der Quellen) gemischt — für fünfzehn Minuten am ersten Tag und stufenweise höher bis zu einer halben Stunde. Nach dem Bad entweder so warm wie möglich gut eingepackt liegen oder kraftvoll spazieren. Mittagesseen um eins. Es darf nichts gegessen werden, das sauer, roh oder fettig ist. Tee, Gebäck und frisches Obst sind verboten. Ein oder zwei Gläser des sehr hellen weißen Rheinweins oder Rotwein ist das einzige Getränk, das beim Abendessen erlaubt wird. Kein Wasser während der Abendpromenade. Ein gutes herzhaftes Abendessen um acht Uhr, und zehn Uhr zu Bett gehen.

Das war mein Tages-Regime. Es waren zweifellos keine unangenehmen Auflagen; aber ich protestierte gegen das herzhafte Abendessen vor dem Schlafen gehen, da es durchaus gegen meine bisherige Erfahrung und Erziehung sprach. „Das macht nichts!“ meinte der Arzt, „Das muss hier jeder so machen; Sie werden sehen, dass es das gut so ist.“ Und Ich muss zugeben, dass ich niemals einen tieferen und erholsameren Schlaf gefunden habe, als nach diesen herzhaften Abendessen.

Entspannt ging ich in Richtung Kurgarten zurück und entdeckte, dass sich die Leute zur Abendpromenade versammelten. Der Boden war noch feucht vom Regen des Vorabends und die Sonne war den ganzen Tag nicht herausgekommen. Alle Musiker waren an ihrem Platz und genau, als es sechs Uhr schlug, hob der Kapellmeister seinen Taktstock und die Musik begann. Acht ausgewählte Musikstücke, unterbrochen von kurzen Pausen wurden innerhalb von zwei Stunden aufgeführt. Ich mischte mich unter die Menge, die unter den Bäumen hin und her lief. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich war sehr angetan vom aristokratischen Verhalten und ordentlichen Benehmen der Leute. Im Gegensatz zu den Gesellschaften, die ich in größeren deutschen Kurbädern erlebt habe. Das Fehlen von Spieltischen und die vergleichsweise Abgelegenheit von Kissingen mag ein Grund dafür sein. Während der Zeit meines Aufenthalts konnte ich nicht feststellen, irgendeine zweifelhafte Persönlichkeit gesehen zu haben, noch habe ich mein Zimmer von außen abschließen müssen. Ausschweifungen schienen äußerst unbekannt zu sein. Die gesundheitlichen Regeln ließen solche kaum zu und, so wurde mir erklärt, die Leute kämen nach Kissingen wegen ihrer Gesundheit, nicht um sich zu zerstreuen. Frühes Aufstehen und das Leben an der frischen Luft war tatsächlich so stimulierend, dass alles andere unnötig macht.

Ich stand am nächsten Morgen auf und stellte einige Minuten nach sechs Uhr fest, dass die Promenaden mehr bevölkert waren als am Vorabend. Die Sonne schien hell und die Gesichter der Leute wirkten so frisch wie die grünen Blätter und das Blau des Himmels über ihnen. Die Damen waren in ihren hübschen Morgentoiletten mit vollem Elan unterwegs. Jeder war erfreut den anderen zu treffen und fast jeder schien Bekannte zu haben. Die weiß-blaue Flagge Bayerns flatterte auf dem Dach des Kursaals. Die Musik — jeder weiß, was deutsche Musik ist — und der Sonnenschein schienen zweifellos neues Leben in unsere Kapelle gebracht zu haben und die Morgenluft war köstlich erfüllt von ihrer Melodie. Ich lenkte meinen Weg zur Ausgabe der Rakoczy Quelle, wo ein halbes Dutzend Männer in Uniform bemüht waren, das Wasser auszuschenken. In der Nähe standen Wärmebecken, jedes mit flachen Warmwasser-Bassins auf der Oberseite, in der viele ihre Gläser einige Minuten vor dem Trinken stellten, um die Kälte zu entfernen.

Dem Auge bot sich hier ein wunderbarer Anblick, beste Musik für die Ohren, frischste Morgenluft für die Lungen und unbegrenzt Rakoczy, um den Appetit auf das Frühstück anzuregen. Und dennoch, wie ich diese fröhlichen und lebhaften Spaziergänger beobachtete, dachte ich daran, dass ich sehr alleine war; alleine in der Menge. Aber schließlich wurden mir doch einige Gesichter geläufig. Es gab einige Engländer, mit lebhaften Gang, mit weißen Backenbärten und kunterbunten Schals, begleitet von ihren drallen Frauen und Töchtern mit Waschschüssel-Hüten und düsteren Merino-Kleidern. Es gab da das grauäugige russische Mädchen und ihre Freunde, die mir gegenüber beim Abendessen saßen und mit ihrem Trinkglas an der Wasserausgabe schwatzten und lachten; und da war der dicke Bankier aus Bordeaux, der das Ende des Tische belegte und der langsam und schnaubend herum lief. Da war der fesche junge Deutsche, der mit mir im gemächlichen Coupé fuhr, dabei jeden mit seinem Hut grüßte und dann neue Bekanntschaften machte. Diese und viele andere, mehr oder weniger bemerkenswerte Personen gingen an mir vorüber wie eine Abfolge von Bildern. Gelegentlich hörte ich jemanden Englisch sprechen, von dem ich mich sofort abwendete und merkte mir Gesicht und Kleidung des Sprechers, um Ihn sorgfältig in Erinnerung zu behalten.

In einem nahe gelegenen Buchladen wurde die Morgenausgabe der „Kurliste von Kissingen“ verkauft. Ein kleines Blatt, das eine Liste der Besucher, der Ankünfte, etc. enthält. Jeder Name wurde in der Reihenfolge der Ankunft nummeriert und der Wohnsitz und Beruf oder Rang hinzugefügt. Meine Nummer war 797 und da es nur wenig Durchreiseverkehr gab, musste dies auch die tatsächliche Zahl an Gästen zu dieser Zeit gewesen sein. Am Höhepunkt der Saison waren es zwei- oder dreitausend. Es gab Leute aus jeder Ecke der Welt, aus Europa, Asien und Afrika, Nord- und Südamerika und den Inseln des Meeres, die auf und ab gingen und aus der selben Quelle tranken.

Am Ende der Promenade, abseits der Quellen, stand ein Dutzend älterer Landfrauen in einer Reihe, mit Körben frischer Blumensträuße zu ihren Füßen, die schnell an die glücklichen Herren verkauft waren, die Damenfreunde hatten, an die sie sie verschenkten und manche der favorisierten Schönheiten beendeten ihren Morgenspaziergang mit drei oder vier Sträußen in ihren Händen.

Nicht weit weg von den alten Blumenfrauen stand eine weitere Gruppe von Damen, die über Tischen mit weißen Decken gebeugt waren und auf denen eine Vielzahl von Brot, Biskuits, Brötchen sauber und frisch gebacken lagen. Es gehörte zu den Gewohnheiten, beim Verlassen der Promenade, eine eigene Auswahl an Gebäck für das Frühstück mitzunehmen und sobald die Musik vorüber war, gingen die Leute in allen Richtungen davon, ein jeder mit einem Papierpäckchen mit Backwaren darin. Ich nahm mein Frühstück im Esszimmer des Hotels ein; aber fand mich, wie am Vortag, alleine darin. Es gab sicherlich ein Geheimnis wegen der Frühstücke in Kissingen, aber ich war noch nicht dahinter gekommen. Von einem Kellner, der einen strengen Dialekt mit einer Spur Französisch sprach, bekam ich heraus, dass die Morgenmahlzeit gewöhnlich im eigenen Zimmer oder in den kleinen Gärten hinter den Hotels eingenommen wurde.

Um zehn Uhr war meine Badestunde. Was mich in dieser Angelegenheit erwartete, lag irgendwo zwischen Badewanne und Sarkophag, mit einer Abdeckung, die nur ein Loch für den Kopf frei ließ. Ich badete mich eine Weile in einer warmen und salzigen Mischung; dann zog ich mich warm an und ging kräftig im Kurgarten auf und ab, bis ich den Grad an Hitze erreichte hatte, den mein Freund der Doktor vorschrieb.

Gelegentlich, während der Promenade, eröffnete ich das Gespräch mit einigen Engländern, die sich auf die gleiche Bank setzten wie ich. Aber ich empfand sie, wie immer, als die unkommunikativsten Menschen. Durch den Aushang in der Halle meines Hotels fand ich heraus, dass die meisten meiner Mitbewohner Russen waren; tatsächlich, auf meiner eigenen Etage, war ich der einzige, der es nicht war. Das Zimmer neben meinem war durch einen Gentleman besetzt, der wie ein Kosake aussah, mit militärischem Aussehen, der sehr gutes Englisch sprach und dessen junge hübsche Frau das Zentrum des Interesses auf der Promenade war.

Vier oder fünf Tage nach meiner Ankunft begann etwas Neues. Ich sah einen Mann, den ich vorher schon gesehen hatte! Ja! Er kam auf der Promenade genau auf mich zu. Ich erspähte meinen Freund und New Yorker Gefährten, S____. Sein weiter weißer Schmutzmantel bedeutete für mich das, was das lang ersehnte Segel für einen Schiffbrüchigen war. Ich fühlte, dass ich gerettet war.

S____ machte mich mit seiner Familie bekannt und benachrichtigte mich auch über die Anwesenheit eines wechselseitigen Freundes, ein junger deutscher Baron, den ich lange schon als einen Korrespondent gekannt, aber nie getroffen hatte. Von der H____ und ich brauchten nicht lange, um uns kennen zu lernen. Andere Bekanntschaften folgten schnell und zwei oder drei weitere amerikanische Familien kamen ungefähr zur gleichen Zeit an. Ich stellte bis zum Ende der Woche fest, dass ich viele Freunde hatte und meine Bekanntschaften ein halbes Dutzend Nationalitäten zählte. Mein kosakischer Nachbar und seine hübsche Frau waren sehr freundlich und ich kannte bald so viele Russen, das es durchaus ein Studium wurde, alle ihre Namen zu behalten.

Es schien mir wenig bemerkenswert, dass es so wenig französische Gäste gab, dennoch war Französisch hier, wie überall sonst auf dem Kontinent, die Sprache der Gesellschaft. Das Gespräch beim Abendessen, die Grüße in der Straße und die kurze Unterhaltung auf der Promenade, wurden meistens in dieser Sprache gemacht. Amerikaner sind natürlich keine Linguisten und ich hörte nie auf, mich über die selbstverständliche Mühelosigkeit zu wundern, mit der eine Gruppe Deutscher oder Russen, nachdem sie mich kennen lernten, ihre eigene Sprache vergaßen und das Gespräch auf Englisch oder Französisch fortsetzten.

Bezüglich der Kleidung herrschte natürlich überall die Pariser Mode vor. Hier und da sah man jedoch einen Einschlag Regent Street, einen wunderlichen holländischen Kopfschmuck oder ein reichhaltig besticktes Baschlik oder Haube der russischen Damen. Letztere ist eine eigenartige Bedeckung die alles verbarg, außer das Gesicht und dessen lange Enden um Hals und Schulter gewickelt wurden.

Kein Ort verwirklicht die Idee des Weltbürgertums so sehr, wie ein deutsches Kurbad während der Saison. Einige hundert oder einige tausend Leute aus jedem Viertel des Erdkreises haben nichts anderes zu tun, als sich gegenseitig zu unterhalten — welch angenehmere Art gibt es, so viel Informationen zu geben oder zu erwerben, als diese?

Einige meiner Freunde waren in Kissingen während der vorhergehenden Saison gewesen, als bayerische Truppen, die die österreichische Sache unterstützt hatten, ‚heiß‘ von den Preußen durch die Stadt getrieben und ihren letzten Standort im Kurgarten hatten. Es war schwer zu glauben, dass in eben diesen Anlagen, in denen wir saßen und uns unterhielten, knapp ein Jahr zuvor ein solch blutiger Kampf stattgefunden hatte. Einer der heißesten Kämpfe fand direkt vor dem Musikpavillon statt; die Hauptpromenade war die Kampflinie und der Kursaal war ein Hospital. Die Hotelfassaden sind noch heute erschreckend durchbohrte Zeugnisse der Wogen der Schießerei, die gegen sie schwappten und viele der Bäume hatte ihre Spitzen verloren. Hier und da, wo ein Kanonenschuss in eine Wand oder in ein Schaufenster eingeschlagen war, war eine Inschrift „10 Juli, 1866“ als Andenken angebracht.

Ich entdeckte, ich hatte besonders von den Russen, die scheinbar eine Art des sozialen Gleichgewichtes der Kräfte in Kissingen hielten, viel zu lernen. Lasse einen Russen einmal herausfinden, dass Du niemals in St. Petersburg warst und er wird nicht müde, Dir die Großartigkeit dieser Hauptstadt zu erklären. Es ist eine besondere Form des Nationalstolzes, dass eine Stadt, die auf dem selben Breitengrad wie Grönland liegt und ein halbes Jahrhundert jünger ist als New York, Paris an Pracht und der Strahlkraft ihrer Gesellschaft gleichkommt. Es überrascht, wenn man so viel über ihrer Schlitten- und Eislauffeste hört, über ihre Opern und Bälle und die anderen Festlichkeiten, mit denen die langen Nächte erfüllt sind und wie sie die kurzen, aber schwülen Sommer verbringen, dass wir uns in einigen Dingen ähneln und wie sehr wir uns in anderen unterscheiden. Sie vergleichen den weiten Osten Europas mit dem weiten Westen Amerikas — beides Nationen der Zukunft; die Entente Cordiale, die sich kürzlich zwischen unseren jeweiligen Ländern entwickelt hat, fand vollen Niederschlag in ihrem Interesse, welches sie scheinbar an unserem kleinen amerikanischen Zirkel in Kissingen hatten. Herr Sewards Erwerb von Alaska war gerade vollzogen worden. Dass Kaiser Alexander in Paris nur knapp dem gleichen Schicksal entfliehen konnte, welches die Karriere unseres letzten Präsidenten plötzlich beendete — beides innerhalb weniger Tage — trug dazu bei, unsere Sympathien zu zementieren. Ihre Gefühle gegenüber Engländern waren zweifellos sehr differenziert. Sie sprachen kaum mit ihnen. Wie ein englischer Geistlicher mir eines Tages erklärte: „Sie vergeben uns nie die Sache mit Sewastopol, wissen Sie!“

Wir hatten keine Aufregungen in Kissingen und doch gab es genug Möglichkeiten der Langeweile zu entfliehen. Jeden Donnerstag Abend gab es im Kursaal eine Réunion zwischen neun und elf mit Musik und Tanz. Ein oder zweimal hatten wir ein Feuerwerk, um die Ankunft einer höher gestellten Person zu würdigen. Weiterhin gab es wunderbare Wanderwege in alle Richtungen. Fluß auf- und abwärts gab es einen ebenen Weg, der von regelmäßigen Baumreihen gesäumt war und tatsächlich eine Fortsetzung des Kurgartens darstellte. Auf der einen Seite gab es den Hügel Altenberg, auf der anderen Seite ruhte mit Würde die Ruine der Bodenlaube, geeignet für schöne Schlendereien an den langen Nachmittagen. An der Saline, einem staatlichen Gradierwerk, eine halbe Meile oberhalb im Tal, gab es ein beliebtes Freiluft-Café. Dort tranken wir häufig nach Abendessen unseren Kaffee und bestaunten den wundervollen artesischen Brunnen, der die Sole liefert. Oder manchmal fuhren wir nach Trimberg, eine weitere feudale Ruine, welche einen wunderbaren Ausblick bot und tranken unseren Kaffee in der großen Halle des Schlosses, die kein Dach mehr hatte. Manchmal an Feiertagen schlenderten die bayerischen Landfrauen, in ihrer wunderlichen Feiertagskleidung durch die Anlage, dann und wann wurden wir von einem Kurzbesuch einer Schülertruppe auf ihrem Fußmarsch überrumpelt.

Die langen Juni Tage waren wunderbar für ein Leben an der frischen Luft und es war warm genug, einen Spaziergang um halb neun zu genießen — zwischen Abendessen und dem zu Bett gehen.

Alle Quellen in Kissingen, sowie die Parks, die Kurgärten und die öffentlichen Gebäude sind Eigentum des bayerischen Staates und die Verwaltung des ganzen liegt in den Händen des Badecommissärs, einem Beamten, der notwendigerweise eine hohe gesellschaftliche Position mit gutem Durchsetzungsvermögen vereinigen muss. Er ist tatsächlich eine Art Großherzog im kleinen, der alles überwacht, was zum Behagen oder zur Wohlfahrt dient, für alle diejenigen die sein ‚Reich‘ aufsuchen. Auch die Polizeieinrichtungen sind unter seiner Kontrolle, genauso wie in einem gewissen Umfang, der medizinische Stab — und er dient immer als Zeremonienmeister bei den wöchentlichen Réunions. Die Gärten etc. sind geöffnet und allen frei zugänglich und da es kein Glückspiel mehr gibt (das Spielen wurde hier 1848 verboten), wird eine Steuer von fünf Florine pro Saison (ungefähr zwei Dollar) von jedem Gast erhoben, der länger als eine Woche bleibt. Das ist sicherlich angemessen, wenn man die hervorragende Leistung der Musik berücksichtigt, die Höflichkeit der Angestellten und die vollkommene Art, in der die Gebäude und Gärten regelmäßig in Ordnung gehalten werden. Der Kursaal ist nicht mit den ausgezeichneten Einrichtungen in Wiesbaden oder Homburg zu vergleichen, noch ist die Situation so malerisch wie in Baden Baden; aber die lange Folge von Übeln, die unmittelbar dem Rouge-et-Noir und dem Roulette folgen, sind hier ebenfalls unbekannt.

Ich hatte reichlich Gelegenheit, während der langen Tage, die ich unter den Bäumen Kissingens verbrachte, Vergleiche zwischen deutschen und amerikanischen Kurbäder zu ziehen, wobei die letzteren, das muss festgestellt werden, deutlich schlechter abschnitten. Unsere Landsmänner können Arbeit systematisieren, aber sie können nicht Angenehmes systematisieren, so wie es auf dem Kontinent üblich ist. An keinem unserer sommerlichen Erholungsorte gibt es irgendwelche Arrangements, um die Gäste regelmäßig zusammen zu bringen. Es sind einfach Aneinanderhäufungen von Hotels, von denen jedes seinen eignen Vorplatz und Wohnzimmer, seine eigene Musik und Zeitpläne hat und jeder Hauswirt ist peinlich darauf bedacht, seinen Rivalen klein zuhalten. In einem Wort, es gibt keine soziale Mitte, kein Kurgarten mit den Attraktionen einer gepflegten Anlage, kühlen Arkaden und den vielen Sitzgelegenheiten sowie der Musik zu festgelegten Zeiten, die die Leute an der frischen Luft hält und zusammenführt. In einem deutschen Kurbad kann jeder sicher sein, einen anderen mindestens zweimal am Tag auf der Promenade zu treffen. Man ist von morgens bis abends draußen und man kümmert sich nicht — oder weiß es gar nicht — ob seine Freunde im gleichen Hotel sind oder nicht. Tatsächlich sind die Hotels wenig mehr als Schlafsäle und es ist gleichgültig, ob man zur Essenszeit seinen table d‘ hóte anderswo oder bei sich im Hause einnimmt.

Die gesunde Gewohnheit, sein Frühstück außerhalb des Hauses einzunehmen, ist in amerikanischen Kurbädern wenig bekannt. Ich werde den kleinen schattigen Garten hinter dem Hotel de Russie so bald nicht vergessen, wo wir an jedem lieblichen Morgen Brot und Kaffee hatten — es erschien wie Ambrosia und Nektar — nach unserem zweistündigen Spaziergang und dem appetitanregenden Rakoczy.

Es war lange, nachdem ich Kissingen verlassen hatte, bevor ich etwas anderes zum Frühstück essen konnte als Brot und Kaffee oder mich damit versöhnte, dafür ins Haus zu gehen. Was für ein Unterschied zu einem Tag in Saratoga, mit dem großen lauten Speisesaal, mit den schmierigen Tellern und die Augen der Gäste, die von dem ausschweifenden Tanz der vorhergehenden Nacht glänzen, die schläfrig und leer auf dem Tisch herum starrten.

Das Regime in Kissingen sollte zweifellos sorgfältig von den Verantwortlichen studiert werden. Sie scheinen exakt den ausgewogenen Punkt zwischen Ernährung, Anwendungen und Schlaf getroffen zu haben. Gesellschaft, Einsamkeit und Unterhaltung bereiten eine gesunde und genussvolle Mischung.

Ordnung regiert überall. Es gibt eine Zeit und einen Platz für alles. Sogar mein Doktor hatte einen bestimmten Baum, unter dem er immer während der Morgenpromenade stand, so dass er von jedem seiner Patienten gefunden werden konnte, der seines Rates bedurfte. Alle Hotels passen ihre Speisepläne der Diät an, die durch das medizinische Personal vorgeschrieben wurde. Raucher (Achten Sie darauf! Im Tabak verliebten Deutschland!) werden auf die drei äußeren Alleen des Kurgartens ausgegrenzt. Ein Gendarm in einer Spinat-farbigen Uniform, wird hie und da angetroffen, aber ich hatte nie die Gelegenheit sein Eingreifen anzufordern.

In Amerika gibt es so wenig eine stillschweigende Rücksichtnahme, so wie dies in der europäischen Gesellschaft üblich ist, wo jeder genießen kann, ohne dabei den Genuß und Komfort des Nachbarn zu stören. Wie häufig werden wir an unseren Orten allgemeiner Unterhaltung und Amüsements gestört durch die stürmischen Exzesse anderer, die so unvernünftig sind, wie sie dümmlich sind? Es ist wahr, wir sind ein Volk, das bekannt ist für seine Galanterie gegenüber Frauen, aber, wie einer unserer Schriftsteller (Willis) sagt, das gute Benehmen von Männern gegenüber Frauen ist ein Impuls der Natur, während gutes Benehmen unter Männern ein Zeichen der guten Erziehung ist. Die Ruhe und Ordnung der Dinge wie wir sie im Ausland sehen, können den Mangel an Freiheit andeuten und bedeuten — vielleicht — Despotie und Bajonette. Aber ist nicht Freiheit die gerechte Verteilung von Privilegien und Genüssen unter uns allen? Für jeden, der sich mehr nimmt als seinen gerechten Anteil, muss ein anderer weniger haben, was kaum gerecht ist — wenn wir tatsächlich alle frei und gleich sind.

Aber die Definition von Freiheit findet auf einem empfindlichem und gefährlichem Boden statt und wir können nur feststellen, dass so perfekt wie das europäische System erscheint — unser Land eher zu republikanisch für Regierungshandeln in so allgemeinen Dingen ist. Wir müssen unsere Zeit abwarten und hoffen, dass wir bald mit unseren freien Institutionen die Dinge besser machen, als sie im Ausland abgewickelt werden.

Die Erholung und die Zerstreuungen der Allgemeinheit haben einen unermesslichen Einfluss auf ihre Gesundheit, Glück und allgemeines Wohlbefinden und zweifellos ist es Zeit, dass in diesem Land dieses Thema ernsthafter und allgemeiner betrachtet werden muss.

ABNER W. COLGATE.