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Durham und seine Cathedrale

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LXXV. Der Niagara-Fall Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXXVI. Durham und seine Cathedrale
LXXVII. Bonn
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DURHAM

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LXXVI. Durham und seine Cathedrale.




Durham, Hauptort und Bischofsitz der gleichnamigen Grafschaft, zeichnet sich unter den Städten Englands weder durch Größe (sie hat nur 10,000 Einwohner) noch durch Industrie aus; aber eine der ältesten, stolzesten und schönsten [77] Cathedrale der Christenheit machen sie weltberühmt. Dieser romantische Bau, von den Sachsen begonnen, von den Normannen fortgeführt und erneuert, dankt seine Entstehung einer Veranlassung, wie sie nur in jener finstern Zeit möglich war, in welcher Unwissenheit und Aberglaube die Vernunft in ehernen Fesseln hielten und die Einfalt und der fromme Sinn der Menge einer schlauen Priesterkaste zur Ausbeute ausschließlich Preis gegeben war. Die wunderliche Geschichte ist folgende.

Dänische Piraten machten zu Anfang des zehnten Jahrhunderts die Ostküsten von England so unsicher, daß sie verödeten. Bei ihren häufigen Einfällen unternahmen sie nicht selten Streifereien tief in’s Innere, und, was ihnen an Zahl abging, ersetzten sie durch den Schrecken, der sie begleitete. Jeden ihrer Schritte bezeichnete Sengen und Brennen, Mord und Raub. Bei einem solchen Streifzuge kamen sie einst auch in die Nähe von Lundisfarne, Kloster und Wallfahrtsort mit dem Grabe des heiligen Cutbert. Die Mönche flohen: – die Piraten raubten das Wenige, was sie fanden, steckten das Kloster dann an und zogen weiter. Als die Priester zurückkehrten, fanden sie rauchende Trümmer; aber mit heiligem Eifer räumten sie den glühenden Schutt auf, nach dem Sarge Cutberts zu forschen. Zu ihrer Freude und ihrem Erstaunen fanden sie ihn unversehrt – und, als bei’m Aufnehmen der Deckel sich öffnete, sahen sie, o Wunder! daß der Leichnam, der vor vier hundert Jahren begrabene, noch unverwest war, noch frisch wie eine Leiche von gestern. Sorgfältig verschlossen sie den Schrein wieder und bargen ihn bei anbrechender Dunkelheit in eine nahe Felsenhöle, wo sie sich über den Wiederaufbau des Klosters beriethen. Die Furcht vor der Dänen Wiederkehr erfüllte ihre Herzen mit Kleinmuth, und, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben, überließen sie sich dem Schlafe. Da erschien ihnen in der Nacht der Heilige und verkündete, daß es sein Wille sey, künftig an anderer Stelle zu ruhen: er werde sie ihnen selbst bezeichnen. Scharfsinnig deuteten die frommen Väter die nächtliche Offenbarung dahin, der Heilige wolle sich im Lande erst umsehen, und gehorsam und wohlgemuth nahmen sie am andern Frühmorgen den Sarg auf ihre Schultern und wanderten damit landeinwärts. Die Kunde von dem Wunder lief ihnen überall voraus, und wohin sie kamen, in Stadt und Dorf, in Burg und Schloß, riefen die Glocken Willkommen entgegen, empfing man sie festlicher und ehrfurchtsvoller wie reisende Könige. –

Kein Wunder, daß das dem Heiligen gefiel und er lange zauderte in seiner Wahl; und noch weniger Wunder, daß sich die frommen Männer über solch Zaudern nicht grämten. Viele Jahre lang ging es so fort; es war ein lustiges sorgloses Leben; doch um so viel Jahre auch alterten und steiften die Beine der reisenden Priester. Das Angenehmste ermüdet, wenn es zu lange dauert, und der Genuß selbst wird dem Alter eine Last. Das fühlten auch die Mönche und schon manchen Morgen pilgerten sie verdrossener von dannen als sonst. – Sie hatten einst Nachtlager in Aukland bei’m Bischof gehalten und zogen die Straße nach New-Castle durch tiefen Wald. Es war ein heißer Tag, der Weg ein weiter. Auf einer waldlichten Höhe, die den labenden Hinunterblick auf ein grünes, trauliches Thal, von einem krystallnen Strom bewässert, bot, – setzten die Müden den Sarg ab und ruhten. Wie schön ist’s hier, sagte der Eine; wären wir doch am [78] Ziele, seufzte ein Anderer! kein schöneres Plätzchen zu einem Kloster gibt’s auf der ganzen Erde, bemerkte ein Dritter; beifällig winkten alle übrigen. Sie ruhten und ruhten lange, und keiner mochte zuerst aufbrechen; da warf die scheidende Sonne röthliche Strahlen auf das enge Haus des Heiligen. Auf sprangen die Männer, sie faßten die Henkel des Sargs: aber o Wunder! er wich nicht von der Stelle. Vergebens strengten sie alle Kräfte an; – er stand wie eingewurzelt. – Cutbert’s Versprechen ist erfüllt, riefen Alle. Freudig verkündigten die Mönche das Geschehene, und herbei strömte die fromme Einfalt in großen Schaaren, die Reichen mit Geschmeide und Geld, die Landleute mit Schaufeln und Wagen, Handwerker mit Werkzeug, Arme mit arbeitseifrigen Armen, bauen zu helfen das neue Haus des Heiligen an der gewählten und durch die Wahl geweiheten Stätte. Ritter und Fürsten schenkten Wald und Gründe, meilengroß, rund umher, und, ehe 3 Jahre verflossen, erhob sich mitten in der Wildniß das prächtigste Gotteshaus und die reichste Abtei von ganz Nord-England. Ueber den Sarg aber, der unberührt auf seiner Stelle blieb, ward ein Altar gebaut von köstlichem Marmor, der Hochaltar des neuen Doms.

Zwei hundert Jahre später schlug der Blitz in den Thurm, und die Kirche brannte nieder. Auch dieß zweite Mal bestand nicht blos der Heilige die Feuerprobe, und ging unversehrt aus Schutt und Asche hervor; auch bei der feierlichen Wiederöffnung des Sarges vor einer zahllosen knieenden Menge fand sich der Körper[WS 1] unversehrt und die Augen blinzten freundlich, als hätten sie Leben.[1] Die Frömmigkeit verdoppelte ihre Opfergaben und selbst aus den entferntesten Ländern, die der Wunder-Ruhm des Heiligen erfüllte, strömten reiche Geschenke herbei zum Wiederaufbau eines Gottes- und Mönchshauses in niegesehener Pracht. Vierzig Jahre wurde gebaut, noch andere hundert Jahre wurden auf des Tempels Verzierung im Innern und Aeußern verwendet. Dennoch ist er nie vollendet worden. Die Dämmerungszeit der Reformation nahete; der Eifer für solche fromme Werke erkaltete. – Wären die Thürme, die nur zur Hälfte ihrer beabsichtigten Höhe aufgeführt sind, ausgebaut, so würde diese Kirche das prächtigste Gebäude seiner Art seyn. Aber auch in seinem unvollendeten Zustande gewährt es, bei der Harmonie seiner Theile und der Reinheit seines Styls, einen grandiosen Anblick, den die schöne, erhabene Lage des Gottestempels noch verherrlicht.

[79] Die Länge der Cathedrale mißt 411 Fuß, ihre Höhe fast hundert. Fest und stark wie ein Fels und auf Felsen ruhend verbürgt ihre Bauart noch Dauer für Jahrtausende.




  1. Vor einigen Jahren (1827) bei Gelegenheit einer Ausbesserung im Innern der Kirche, wurde der Sarg Cutbert’s, der nämliche, der die Wanderung vor 800 Jahren auf den Schultern der Mönche gemacht, dem Marmorschrein enthoben und im Beiseyn von geistlichen und weltlichen Behörden geöffnet. Die irdischen Reste des Heiligen waren wie die anderer Menschen; ein Häufchen Staub, Gebein und Asche: aber neben dem Schädel lagen die Reste einer Larve, und o Wunder! zwei gemalte Augen von einer glasartigen Masse – sahen aus den bleichen Höhlen so freundlich, wie vor 800 Jahren, auf die jetzt freilich weniger gläubigen Umstehenden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Köper