Eduard Keller, Erinnerungen aus seiner Kindheit

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Textdaten
Autor: Joseph Epple
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Titel: Eduard Keller, Erinnerungen aus seiner Kindheit
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Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Kohlhammer Verlag
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen an die Kindheit des Geigers Eduard Keller
Siehe auch Schwäbisch Gmünd
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[1]
Eduard Keller
geb. 9. März 1815 in Gmünd
gest. 13. Okt. 1904 in Stuttgart.


Erinnerungen aus seiner Kindheit
aufgezeichnet von
Schullehrer Epple in Gmünd
geb. 1789 in Biberach
gest. 1846 in Gmünd.


Stuttgart
Druck von W. Kohlhammer
1904.

[3] Eduard Keller ist geboren den 9. März 1815 in Gmünd, einer Stadt im Königreich Württemberg.

Schon als ganz kleines Kind äußerte er eine ungemeine Freude an Musik. Wenn er schrie und weinte, und man gab einige Akkorde auf einem Instrument an, so beruhigte er sich sofort und sein Gesicht nahm einen heiteren, lächelnden Ausdruck an. Hatte ihn seine Mutter oder die Magd auf dem Arm, und ich spielte Klavier, so riß er mit aller Gewalt nach dem Instrument, bis er die Tasten erreicht und solche erklingen ließ. Seine Mutter, die eine sehr schöne Stimme hatte, und eine durchaus gebildete Frau war, sang ihm, wenn er in seinem Bettchen lag, liebliche Wiegenlieder. Darüber ward er voll Freude und zappelte lächelnd mit Händen und Füßen.

Einmal nahm ihn die Magd mit auf den Marktplatz, woselbst das Musikkorps eines damals in Gmünd liegenden österreichischen Regiments gerade spielte. Als das erste Tonstück mit einem Forte anfing, konnte [4] ihn die Magd beinahe nicht mehr auf den Armen halten, – er riß die Person vorwärts bis zu dem Baßinstrument, dessen mächtige Töne ihm besonders zu gefallen schienen. So ergriff ihn auch in der Kirche der majestätische Ton der Orgel und die Harmonie des Gesangs.

Diese seine freudigen Äußerungen in Mienen und Geberden, wenn er Musik hörte, veranlaßten mich zu dem Entschluß, ihn frühzeitig in derselben zu unterrichten. Vorher aber nahm ich den Anschauungsunterricht mit Sprech- und Denkübungen mit ihm durch und ging zur Leselehre über. Er war damals in seinem 2. Jahr. Um nun einem so kleinen Kinde so praktisch wie möglich den Laut und die Namen der Laute beibringen zu können, kam ich auf folgenden Einfall. Ich schnitt aus einem Lautierbüchlein alle Buchstaben des Alphabets, kleine wie große, heraus, pappte solche auf gedörrte Zwetschgen, und sowie er den Laut und die Namen der aufgepappten Buchstaben angeben konnte, bekam er die Zwetschgen zu essen. Es war auffallend, wie schnell er nach dieser Zwetschgenmethode lesen lernte. In 2–3 Monaten las er alle aus ein- und zweisilbigen Wörtern bestehenden Sätze ohne Anstoß durch, und faßte auch den Sinn des Gelesenen leicht auf. In seinem 3. Jahr konnte er alle deutsch gedruckten Bücher fertig und [5] deutlich lesen. Da er nun aber alles, was er lernen sollte, nur mittelst der Zwetschgen sich beibringen lassen wollte, so sagte ich ihm hierüber einmal: „Mit den Zwetschgen hat es nun ein Ende! Du mußt jetzt ohne dieselben weiter lesen und rechnen lernen, denn sieh! ich müßte ja eine Menge Büchlein zerschneiden, um genug Wörter und Ziffern zu bekommen, und das wäre zu arg, da jedes Büchlein Geld kostet.“ „Ei“, sagte er, „mach du nur mit meinen lieben guten Zwetschgen fort, denn wenn ich alle Buchstaben in meinem Bauch beisammen habe, dann drucke ich dir selbst ein Lautierbüchlein und du darfst dann dafür kein Geld mehr ausgeben.“ Ich mußte herzlich über diesen Einfall lachen und fragte ihn, woher er wisse, daß die Buchstaben gesetzt und gedruckt würden? Er erwiederte: „Der Joseph hat es mir gesagt.“ Dieser Joseph war sein zweitältester Bruder, welcher damals bei einem Buchdrucker in Gmünd in der Lehre war. Nach und nach gewöhnte ich ihm aber doch die Zwetschgen ab und er nahm täglich mehr und mehr zu in der Fertigkeit des Lesens, Kopfrechnens und Denkens. In seinem 4. Jahr fing ich mit dem Schreibunterricht bei ihm an, und bald konnte er sehr ordentlich schon auf Papier, lateinisch und deutsch schreiben. Ich wohnte in seinem elterlichen Haus und erteilte dort mehreren Zöglingen [6] Unterricht im Klavier- und Guitarrespielen und Singen. Er sang meistens mit und ahmte das Spielen mit seinen kleinen Fingerchen auf dem Tische nach.

Am meisten aber zog ihn das Violinspiel an und er äffte, die Melodie summend, mit 2 kleinen Stöcken mein Geigen nach.

Ich selbst bin kein Geiger und getraute mir nicht, ihn diese Kunst zu lehren, doch wollte ich ihm jetzt schon die Kenntnis der Noten mit den ersten Vorübungen der Musik beibringen. Dieser Unterricht fand aber keinen Eingang bei ihm, da er lieber zu geigen begehrte, als die trockenen Noten zu lernen. Ich kam in nicht geringe Verlegenheit, da ich nirgends eine Geige ausfindig machen konnte, die für ein Kind von kaum 4½ Jahren passend gewesen wäre. Er sprach von nichts anderem als einem Geiglein und wollte sich nicht beschwichtigen lassen. Acht Tage lang versuchte ich ihn damit zu trösten, daß ich von fernher ein Geiglein bekommen werde. Während dieser Frist, die beinahe abgelaufen war, erzählte ich im Wirthshaus einem Freund, der zugleich ein Musikus war, meine Noth. Zu meinem freudigen Erstaunen theilte mir dieser mit, er besitze noch eine kleine Violine, die er vor einigen Jahren seinem verstorbenen Knaben von der Leipziger Messe zum Christgeschenk heimgebracht habe. Ich ging natürlich frohen Herzens [7] mit ihm, nahm, innig dankend, das Geiglein in Empfang, verbarg es unter meinem Rock und eilte nach Hause. Die Mutter war gerade in der Küche und ich zeigte ihr meine Errungenschaft. Ein entsprechend kleiner Bogen war auch dabei. Auch ihre Freude war groß über den goldenen Schatz. Ich ließ denselben einstweilen bei ihr und trat, ohne mir etwas anmerken zu lassen, ins Zimmer, wo der Knabe gerade mit Zeichnen von Formen beschäftigt war. Er erzählte mir gleich, die Magd habe ihn in die 3. Knabenklasse der Elementarschule getragen. Dort habe er ein mit Kreide auf die große Tafel geschriebenes 4silbiges Wort, das ein 12jähriger fauler Schüler nicht herausbuchstabieren konnte, ohne Anstoß gelesen und dafür vom Lehrer einen Kreuzer geschenkt bekommen. Er erzählte mir weiter, die Tafel habe in der Mitte einen Riß, und so oft der Lehrer mit der Kreide beim Schreiben an diesen Riß gekommen sei, wäre ein mehlartiger Staub weggefallen, der den unteren Theil der Tafel und den Fußboden bedecke. Darüber hätte er angefangen zu lachen und dem Lehrer gesagt: „Sie sind ein Schullehrer und ein Müller zugleich, da Sie Buchstaben und Mehl miteinander machen können.“ Darauf habe der Lehrer auch gelacht. Mich freute seine kindliche Erzählung sehr; ich gab ihm ebenfalls einen Kreuzer und sagte: [8] „Komm, jetzt wollen wir miteinander Noten lernen.“ Über diesen Antrag wurde er ganz mißmuthig und sprach: „Ich mag doch die Noten gar nicht lernen, weil ich keine Geige habe. Gelt, du hast gesagt, in 8 Tagen würdest du eine bekommen, aber noch ist keine da und wird auch keine kommen!“ „Wenn sie aber schon da wäre,“ erwiderte ich ihm und ging hinaus, sie zu holen. Als er das kleine, nette Ding sah, war er ganz außer sich vor Freude. Er sprang und hüpfte, küßte und drückte bald mich, bald das Geiglein, bald seine Mutter, die gleich mir der Thränen sich nicht erwehren konnte. Ich mußte ihm gleich das Geiglein stimmen und die meinige zur Hand nehmen. Er suchte begierig die Töne, die ich ihm langsam anspielte, und fand sie auch größtentheils zu seinem hohen Entzücken. Als er nachts zu Bett gelegt wurde, bat er, sein Geiglein auch bei ihm schlafen zu lassen. Man legte es neben ihn und er schaute es an und liebkoste es, bis er einschlief. Morgens, beim Erwachen, fragte er nicht wie sonst, nachdem er jedesmal zuvor sein kurzes Gebet verrichtet hatte, nach dem Frühstück, sondern gleich nach seinem Geiglein. Noch im Hemdchen, ehe er sich anziehen ließ, fing er an zu spielen. Er lernte nun über Hals und Kopf die Noten. In einigen Tagen konnte er schon mehrere Dur-Tonleitern spielen. Da ich aber, wie [9] schon bemerkt, kein schulgerechter Geiger bin, so ließ ich den Kleinen durch den Stadtmusikus Neher, der ein guter Violinspieler ist und nach richtiger Methode lehrte, unterrichten. Die Fortschritte des Kindes waren auffallend. Er hatte ein außerordentlich feines Gehör, jeder Mißton griff ihn heftig an. Als er sich eines Tages übte, hörte er vor dem Haus das widrige Geschnatter mehrerer Enten. Er schlich sich sogleich mit seiner Geige hinunter, suchte den Ton, aus dem sie so häßlich schrien, fand, daß es B auf der G-Saite war und sagte zu den Enten, deren es sechse waren: „O ihr Esel! Könnt ihr drei hinteren nicht D nehmen? Müßt ihr auch so schreien, wie die andern? Würdet ihr D nehmen, so wäre es doch ein Terzenklang.“ Darauf stimmte er, geigend und singend zugleich, den Ton an, aber die Enten blieben halt bei ihrem Unisono. Da wurde er zornig und ging, indem er sagte: „Marschiert, ihr Esel.“

Ein andermal hörte er zwei Mädchen aus der Nachbarschaft sehr laut weinen. Mit der Geige in der Hand ging er auf die Beiden zu und sagte dem ersten Mädchen, indem er den Ton A anspielte: „Weine du aus diesem, und du (der anderen F angebend) aus diesem Ton, dann thut’s schön und nicht wüst.“ Dieser Vorschlag verwandelte sofort das Weinen der Mädchen in schallendes Gelächter. Leute [10] aus der Nachbarschaft, die Zeugen dieser kleinen Szene waren, können dieses heute noch beglaubigen, ebenso obigen Vorgang mit den Enten. Überhaupt hatte er drollige Einfälle. Er las gern heitere Gedichte und witzige prosaische Aufsätze.

Sein Vater, ein Goldarbeiter, hatte kein musikalisches Gehör und wollte ihm öfters dreinreden, wenn er sich übte. Einmal sagte er zu ihm: „Warum geigst du bald hoch, bald nieder?“ Da trat der Knirps vor seinen Vater hin, der eben an seinem Werktisch arbeitete und fragte: „Was bist du?“ „Ein Goldarbeiter,“ war die Antwort. „Nun, so bleib du bei deinem Geschäft und rede mir nicht in das meinige.“ Darauf ging er wieder zu seinem Notenpult und übte sich weiter in der Aplikatur. Kaum hatte er dies eine Zeitlang getan, so rief ihm sein Vater barsch und drohend zu: „Wenn du nicht anders und schöner geigst, so stehe ich auf und verklopfe dich tüchtig.“ Da wurde das kleine Männchen zornig, hielt inne zu geigen und sagte vor sich hin: „Wart, wenn ich einmal groß bin, dann will ich dich ‚wichsen’“. Auf diese Rede fuhr der Vater von seinem Stuhl auf und wollte wirklich seine vorherige Drohung in Ausführung bringen. Der Kleine jedoch, dieses ahnend, sagte schnell: „Vater bleib nur sitzen. Du hast mich nicht recht verstanden, ich meinte mit dem ,wichsen’ [11] nicht dich, sondern deine Stiefel.“ Dabei deutete er mit seinem Bogen in die Ecke, wo die ungeputzten Stiefel des Vaters standen. Durch diesen Einfall besänftigt, lachte der Vater und setzte sich wieder ruhig auf seinen Stuhl. Als ich abends nach Hause kam und mir obiges erzählt wurde, sagte ich zu dem Vater allein, er möchte den Knaben nicht mehr beim Üben tadeln und erklärte ihm, wie schwer die Erlernung des Violinspiels sei und daß die Übungsstücke nicht jedesmal angenehm klingen könnten etc. Und so unterblieb das Tadeln des Vaters für immer.

Bei der Mutter hingegen verhielt es sich ganz anders. Sie hatte ein außergewöhnliches Gefühl für Musik und sang sehr schön, daher der Knabe sie ungemein liebte und oft zu ihr sagte: „Mutterchen, wenn ich falsch geige, so sage mir’s nur, denn du hast ein feines musikalisches Gehör und hast in Stuttgart und Wien schon große Meister der Geige gehört.“ Ebenso folgte er mir in allem bereitwillig, und weil er wußte, daß ich es war, der ihm das Geiglein geschenkt und ihm alle Tage Unterricht geben ließ, so hing er mit inniger Zärtlichkeit an mir. Alle Tage vor- und nachmittags, wenn ich aus der Schule kam, ging er mir ein Stück weit entgegen und hüpfte vor Freude, sobald er mich kommen sah. Da ich in seinem elterlichen Haus wohnte, so mußte man ihn auf seine [12] inständigen Bitten oft bei mir schlafen lassen. Jede Nacht, bevor er einschlief, bat er mich, ihm die Biographie eines großen Tonkünstlers oder Dichters zu erzählen. Bei der Lebensgeschichte Mozarts rief er begeistert aus: „O, wenn ich nur auch ein Mozart werden könnte!“

Da ich in heiteren Stunden mich in Gedichten versuchte, so plagte er mich immer, welche zu machen. Ich las ihm aber meistens die von Schiller vor, unter denen ihm vorzüglich „Der Gang nach dem Eisenhammer“ gefiel. Bald konnte er dies herrliche Gedicht auswendig und übte sich aus allen Kräften, um es gut deklamieren zu können. Auch freute ihn sehr das Gedicht von Langbein: „Das Kinderspiel am Sabbath“.

Im Oktober 1820 sagte ich zu ihm: „Eduard, in 6 Wochen ist das Cäcilienfest, welches von der hiesigen Musikgesellschaft feierlich begangen wird. Wenn du recht brav bist, darfst du dich dann auch auf deiner Violine hören lassen.“ Nun lernte er über Kopf und Hals. Er studierte Märsche und Rondeaus ein, namentlich die Kavatine aus Rossinis „Tankred“: „Nach so vielen Leiden“, von Küffner, und gab sich alle Mühe, dieselbe mit Ausdruck vorzutragen. Täglich fragte er: „Ist’s noch nicht Cäcilienfest?“ Endlich kam der langersehnte Tag. Abends zog man den [13] Kleinen hübsch an und trug ihn, weil es Glatteis hatte, in den Gasthof zur Traube, woselbst das Konzert stattfinden sollte. Eröffnet wurde es mit einer Sinfonie von Gyrowezt. Eduard stellte sich zu den Pauken. Mächtig ergriff ihn die Harmonie des aus 20 Musikern bestehenden Orchesters. Er wußte nicht, wo er zuerst hinschauen, sich zuerst hinwenden sollte. Bald stand er bei der ersten Violine, bald bei den Blasinstrumenten, bald bei den Bässen. Nach der Sinfonie wurde ein von mir gedichteter und in Musik gesetzter Chor aus C-Dur mit vollem Orchester aufgeführt. Einen 4stimmigen Gesang mit Orchesterbegleitung hatte Eduard noch nie gehört. Er war wie außer sich und ein männlich tiefer Ernst lag auf dem Gesichtchen des 5jährigen Kindes. Jetzt kam die Reihe an ihn. Die Noten wurden aufgelegt, sein Geiglein gestimmt, da er dies mit seinen schwachen Fingerchen noch nicht selbst konnte. Damit ihn nun die Zuhörer besser sehen und hören konnten, und er selbst zu klein war, um auf den Pult schauen zu können, so stellte man ihn auf einen Stuhl. Einer der Herren Lehrer hielt ihn hinten an den Höschen, damit er nicht fallen konnte. Das Zeichen wurde gegeben und begeisternd fing er an zu geigen. Als der Marsch und das Rondeau zu Ende waren, wurde ihm ein rauschendes Applaudium, für welches er mit [14] freudigem Gesicht nach allen Seiten sich verneigend, dankte. Vom Stuhl heruntergehoben, kam er zu mir. Ich küßte ihn und munterte ihn auf, das zweite Stück eben so schön zu spielen. Er erwiderte: „Gib acht! mein Leibstück (die Kavatine von Rossini) will ich noch besser spielen.“ Noch einige Gesangsstücke wurden aufgeführt und dann trat er vor dem Schlußchor nochmal auf. Noch stärkeren Beifall zollte man ihm. Alles herzte, streichelte, küßte ihn. Man setzte ihn auf den Ehrenplatz, worauf er sich nicht wenig einbildete. Er erklärte mir: „Jetzt will ich meinen eigenen Wein und meinen eigenen Braten haben, denn ich bin jetzt auch ein Musikant.“ Dies Verlangen wurde ihm erfüllt. Er bekam in einem ganz kleinen Bouteillchen seinen eigenen Wein und auf einem niedlichen Tellerchen sein Stückchen Braten. Man trank allgemein auf seine Gesundheit, was er auch trinkend und dankend erwiderte. So blieb er ungefähr eine Stunde in der fröhlichen Gesellschaft. Dann wurde er, da er anfing, schläfrig zu werden, nach Hause getragen und zu Bett gebracht. Des andern Tages erzählte er immer von dem Konzert und sagte zu mir: „Mein Geiglehrer meint, ich müsse jetzt eine etwas größere Violine haben, weil meine Finger sich strecken und ich nun auch größer werde.“ „Ich werde nach Stuttgart an einen guten Freund [15] schreiben und bald wird eine größere Geige hier sein,“ erwiderte ich ihm. Und wirklich erhielt ich eine passende Violine von Herrn Hofmusikus Scheffauer. Sie war mittlerer Größe, hatte ein schönes Äußere und einen starken und reinen Ton. Er bildete sich jetzt viel darauf ein, daß er nun eine größere Geige brauche und meinte, die große Geige mache auch ihn größer, sowohl in körperlicher als auch musikalischer Hinsicht. Ich schenkte ihm ein Futteral, ein Kolophoniumbüchschen und ein Pult, das man zusammenlegen konnte. All diese Sachen waren ganz nach seinem Wunsch und erhielten seinen freudigen Beifall. Ich sagte ihm nun: „Da du eine größere Geige hast, so brauchst du deine kleine nicht mehr, und ich bin willens, solche zu verkaufen.“ Mit Thränen in den Augen bat er mich um Gottes willen, doch ja sein liebes Buttergeiglein, wie er es nannte, nicht herzugeben, sondern in einem Kasten aufzubewahren, oder dieselbe wenigstens seinem Geiglehrer, der auch einen kleinen Knaben hatte, zu lassen. Ich gewährte ihm seinen Wunsch, weil es mir ohnehin nicht ernst war, das Geiglein wegzugeben. Er nahm nun zärtlich Abschied von dem Geiglein, streichelte und küßte es, spielte zum letztenmal noch die Kavatine darauf und sagte in seiner kindlichen Einfalt: „Ach du liebes Geiglein! du hast mir viele Freude gemacht, besonders [16] am Cäcilienfest, nun behüt dich Gott, ich werde dich nie vergessen und wieder zu mir nehmen.“

Mit der größeren Geige ging es nun auch an das Einstudieren größerer Tonstücke.

Von der Ouverture an bis zur Schluß-Polonaise des in Quartett gesetzten „Tankred“ wurden alle Stimmen durchgeübt und nebst diesen noch andere Quartette, Polonaisen etc. gelernt, so daß der Knabe, der nun 6 Jahre alt war, schon bedeutende Fortschritte machte. Jetzt komme ich zu der Erzählung des wichtigsten Ereignisses aus dem Leben dieses Kindes.

Im Monat Juni 1821 hieß es in Gmünd, daß Seine Majestät Wilhelm I. von Württemberg daselbst eintreffen und den Schießübungen der dort sich befindenden Artillerie anwohnen werde. Da durchzuckte mein Inneres der mir von Gott eingegebene Gedanke: „Wie! wenn du den Knaben vor dem Könige spielen lassen könntest und dadurch bewirken würdest, daß er nach Stuttgart zu weiterer Ausbildung kommen dürfte.“ Der Gedanke wurde zur That und man höre, auf welche Weise! Genau in Kenntnis gesetzt, daß der König in 3 Tagen bestimmt komme, verfaßte ich eine kleine Bittschrift, welche der Knabe selbst abschreiben mußte. Hier folgt sie ihrem Inhalt nach wörtlich:

[17] „Euer Königliche Majestät! Unser lieber Herrgott hat mir Talent für die Musik gegeben, und mein lieber Lehrer, bei dem ich seit zwei Jahren Unterricht im Violinspielen habe, sagt auch, ich könne schon recht ordentlich geigen. Allein ich möchte halt gar zu gerne nach Stuttgart, um mein Instrument noch besser und recht lernen zu können. Meine lieben Eltern können mir aber diesen Wunsch nicht gewähren, weil selbe hierzu kein Vermögen haben. Ich weiß mir daher keinen anderen Rath, als E. K. M. allerunterthänigst zu bitten, mich allergnädigst nach Stuttgart thun lassen zu wollen! Ich werde gewiß recht fleißig sein und mich der allerhöchsten Huld und Gnade würdig zu machen suchen. Von meinen bisherigen Fortschritten im Violinspielen will ich sogleich eine Probe ablegen, wenn es Allerhöchstdieselben allergnädigst befehlen wollten.

In der süßen Hoffnung, daß diese meine allerunterthänigste Bitte erhöret werden möchte, nenne ich mich in tiefster Ehrfurcht E. K. M. allerunterthänigster Eduard Keller, 6 Jahre und 2 Monate alt.“

Nun wurde mir die Nachricht zu theil, Se. Majestät werden zu allererst die Taubstummen- und Blindenanstalt in Gmünd besuchen. Sowohl die Eltern des Kleinen als auch ich, ersuchten den Vorsteher und Lehrer dieser Anstalt, Herrn Professor Ritter, daß [18] selbiger erlauben möchte, daß der Knabe mit seiner Mutter in das Institutsgebäude kommen dürfte, um dort Sr. Majestät eine allerunterthänigste Bitte überreichen zu können, und von deren Inhalt wir den Herrn Professor in Kenntnis setzten. Er hatte die Güte, unserem Ansuchen mit Freude entgegenzukommen und dasselbe bereitwillig zu gewähren.

Tags darauf kamen nun Se. Majestät morgens 10 Uhr wirklich in Gmünd an. Der Knabe ging mit seiner Mutter in das genannte Institut und beide blieben an der Stiege stehen. Se. Majestät traten nun ein und besichtigten die Anstalt von oben bis unten. Als Allerhöchstdieselben mit großer Zufriedenheit das Institut wieder verließen, trat der Kleine mit seiner Bittschrift vor, verneigte sich und gab sie, folgende Worte sprechend, in die Hände des Königs: „Herr König, sind Sie doch so gütig und lesen Sie diese Schrift, die ich selbst geschrieben habe und erfüllen Sie gütigst meine Bitte!“ Der König lächelte, nahm den Knaben am Kinn und sagte zu ihm: „Ja, Kleiner, was hast denn du schon zu bitten?“ Dieser erwiderte naiv: „Herr König, ich kann geigen, aber ich möchte es halt in Stuttgart noch besser lernen.“ Nun wagte es auch die Mutter des Kindes, die näheren Umstände ehrfurchtsvoll vorzutragen, und sie wurde mit aller Huld und Gnade angehört, und Se. [19] Majestät entließ sie mit dem Trost, daß das Weitere geschehen werde. Während Se. Majestät sich hierauf zum Schießthal begaben, wo die Artillerie ihre Schießübungen vornahm, bestellte ich 3 Musici, nämlich den Lehrer Eduards, Herrn Stadtmusikus Neher, Herrn Lehrer Horn und Herrn Johannes Killinger zu mir und sagte ihnen, sie möchten sich bereit halten, den Kleinen zu akkompagnieren, weil derselbe sich nachmittags vor dem König hören lassen dürfte.

Sogleich ließ ich auch die Instrumente auf die Post tragen, dem Gasthaus zur goldenen Kanne, wo Se. Majestät speisen würden.

Um 2 Uhr nachmittags fuhren Se. Majestät wieder in die Stadt zurück und stiegen in der Post ab, um dort zu speisen.

Ich machte es nun möglich, den Adjutanten Sr. Majestät, Grafen v. Spizenberg, zu sprechen, und trug ihm meine Bitte vor, dem Kleinen Gelegenheit zu geben, sich vor Sr. Majestät hören zu lassen. Der Herr Graf fragte mich, ob der Knabe auch so geige, daß man es anhören könne, und was er denn eigentlich geigen wolle? Ich erwiderte, der Kleine spielte rein und fertig, am liebsten eine Piece aus „Tankred“, welche Oper in Quartett gesetzt er ganz durchgeübt habe. Dies freute nun den Herrn Grafen, und er rieth mir, die Veranstaltungen zu treffen, da Se. Majestät [20] gerade bei der Tafel seien. Sogleich eilte ich fort und holte den Kleinen mit seinem Geiglein. Die drei anderen Herren ließ ich ebenfalls herbescheiden. Ein Zimmer neben dem Speisesaal wurde uns angewiesen. Der Kleine stellte sich, nachdem die Instrumente gestimmt waren, in die Thüre, die von unserem Zimmer aus in den Speisesaal führte. Leise wurde das Zeichen gegeben, und rasch fingen wir mit der schönen Ouvertüre aus Tankred an. Se. Majestät und dero Umgebung schauten immer nur nach dem Kleinen, der dieses wohl bemerkte und selbst auch von Zeit zu Zeit nach dem König hinblickte, dessen beifälliges Lächeln ihn freute. Nach Beendigung dieses Tonstücks sprach der König mit seiner Umgebung, und wir konnten deutlich aus seinen beifälligen Mienen ersehen, daß die Rede von dem zu seinem Alter noch sehr kleinen Knaben war. Nach kurzer Pause wurde nun eine andere Nummer aus der Oper aufgeschlagen und Eduard spielte ebenso eifrig wie beim ersten Stück. Wir machten nun eine etwas längere Pause, um abzuwarten, ob auf allerhöchsten Befehl noch eine weitere Nummer verlangt würde, was denn auch später auf einen Wink des einen Adjutanten des Königs geschah.

Während der stattgehabten Pause redeten auch wir untereinander und sprachen gegenseitig die freudige [21] Hoffnung aus, daß wahrscheinlich das Glück des Kleinen gemacht sei.

Unterdessen schlich sich der Kleine, von uns im Eifer des Gesprächs gerade nicht beachtet, in den Speisesaal hinein.

Dort betrachtete er zuerst, weil er sah, daß Se. Majestät gerade im Gespräch waren, eine an der Wand hängende Tafel, worauf die Preise der Viktualien aus dem Hungerjahr 1817 verzeichnet waren. Während dieser kurzen Betrachtung kehrte sich der Kleine öfters um, um zu sehen, ob Se. Majestät noch sprächen. Als er sah, daß Allerhöchstdieselben wieder aßen, ging er zu Sr. Majestät hin, neigte sich, nahm die Hand Sr. Majestät in seine winzigen Händchen und sprach: „Grüß Gott, Herr König! Gesegnete Mahlzeit! Gelten Sie, Herr König, ich hab doch recht gegeigt, wie ich es in meiner Schrift versprochen habe?“ Jetzt erst bemerkten wir den Knaben an der Seite des Königs und erschraken nicht wenig. Ich besonders war in nicht geringer Verlegenheit, weil ich fürchtete, man könnte glauben, ich hätte ihn angewiesen, in den Speisesaal zu gehen, was mir bei Gott nie in den Sinn gekommen ist. Aber es war nicht mehr zu ändern, denn der Kleine hätte unmöglich mehr mit Anstand von der Seite des Königs durch ein Zeichen oder einen Zuruf hinweggebracht werden können.

[22] Was uns aber alle beruhigte, war die Herzlichkeit und Freundlichkeit im Benehmen des Königs. Es herrschte allgemeine Stille und man vernahm folgendes weitere Gespräch zwischen Sr. Majestät und dem Kleinen: Der König: „Ja, ja, lieber Kleiner, du hast recht brav gespielt. Kannst du auch gut lesen und schreiben?“ Der Knabe: „Herr König, daß ich schreiben kann, haben Sie an der Schrift gesehen, die ich Ihnen heute morgen gegeben habe, und lesen kann ich auch in allen Büchern.“ Der König: „So! nun das ist brav. Wer sind deine Eltern, Kleiner?“ Der Knabe: „Mein Vater ist ein Goldschmied und meine Mutter hat auch einem Goldschmied gehört.“ Der König: „Hast du auch Geschwister?“ Der Knabe: „Ja, Herr König, noch drei. Einen Bruder, der in Wien bei einem Goldschmied arbeitet, und einen, der hier bei einem Buchdrucker lernt, und noch eine Schwester, die in die Schule geht. Der große heißt Baptist, der andere heißt Joseph, ich Eduard und die Schwester Nanni.“ Der König: „Nun, und was willst denn du eigentlich werden?“ Der Knabe: „Ein rechter Musikus.“ Der König: „Nun, das ist auch recht.“ Der Knabe (indem er mit den Epaulettes des Königs spielt): „Aber, Herr König, Sie haben schöne goldene Sachen an Ihrem Rock! O, wenn ich nur auch solche an [23] meinem Kittel hätte, das wäre nett!“ Der König (indem er den Knaben liebreich zu sich nahm und mit seinen Locken spielte): „Wenn du einmal groß bist, so kannst du auch so etwas bekommen.“ Der Knabe (Se. Majestät bei der Hand nehmend und sein Händchen in die des Königs einschlagend): „Aber fein gewiß, Herr König?“ Statt der Antwort lachten Se. Majestät sehr freundlich. Währenddessen putzte der Kleine an dem Rock Sr. Majestät etwas weg und sagte dann: „Es hat arg geregnet und die Gäul’ haben Ihnen den Rock verspritzt, aber die Gäul’ sind doch lieb und das Reiten ist auch schön. Ich möchte nur auch einen Gaul zum Reiten haben! Gelten Sie, Sie können gut reiten? Sie haben gewiß den allerschönsten Gaul, weil Sie der König sind? (Der König lächelte nur statt aller Antwort.) Aber es gibt doch noch einen größeren Herrn als der König ist.“ Der König: „Der Kaiser?“ Der Knabe: „Ja, und noch einen größeren!“ Der König: „Und welchen denn?“ Der Knabe: „Der Papst in Rom!“ Der König: „Woher weißt du das?“ Der Knabe: „Ich habe es gelesen. Aber ich mag halt doch Sie am liebsten, weil ich Ihnen hab’ geigen dürfen.“

Im Verlauf dieses Gesprächs blickte der Kleine nach einem Teller, worauf große Kirschen mit Papier schön eingeziert waren. Se. Majestät reichten sogleich [24] einige der Kirschen dem Kind: „Nicht wahr, Kleiner, die Kirschen sind dir doch lieber als das Geigen.“ Der Knabe: „Herr König, nein! Kirschen essen kann jeder Bub ganz leicht, aber geigen nicht.“ Der König (dem Kleinen ein Goldstück zeigend): „Ich muß dir dann doch auch etwas schenken, da du so nett gespielt, und ich meine, daß dieses Geld dir doch lieber sei als das Geigen?“ Der Knabe: „Herr König, ich danke für das Geld, will es aber auch nicht, denn wenn Sie mich bezahlen, so bin ich nur ein Spielmann und kann dann gehen. Lassen Sie mich lieber etwas lernen, wie es in meiner Schrift steht, damit ich ein rechter Geiger werde, dann ist es recht.“ Der König: „Nun wir wollen sehen, was zu thun ist. Sei nur recht brav und lerne immer recht fleißig.“ Der Knabe: „Ja, Herr König, das will ich.“

Nun verließ der Knabe den König, und man sah es wohl, daß Se. Majestät durch die kindlichen Fragen und Antworten des Kleinen erfreut und gerührt waren. Nachdem Eduard nun noch eine Nummer gespielt hatte, brachen Se. Majestät mit Begleitung auf und traten, von lautem Vivat und Segenswünschen der Menge begleitet, die Rückreise nach Stuttgart an.

Ich ging nun mit dem Knaben die Stiege hinunter, um ihn nach Hause zu führen. Als er die [25] große Menge Menschen vor dem Posthaus auf dem Marktplatz sah, welche ihm freundlich zunickten, freute es ihn sehr. Er ging, sein Geiglein in der Hand und seine Noten unter dem Arm, ganz vergnügt durch die Reihen und lächelte nach allen Seiten.

Zu Hause angelangt, fragte ich ihn: „Wer hieß dich denn in den Saal und zum König hineingehen?“ Gewöhnt, immer bei der Wahrheit zu bleiben, sagte er mir: „Als ich unter dem Geigen manchmal nach dem lieben König hinblickte, sah ich, daß er mir immer freundlich zulächelte, da dachte ich, daß ich zu ihm hineingehen wolle. Und als ich mich von euch unbewacht sah, schlich ich mich beherzt in den Speisesaal und betrachtete zuerst die Tafel an der Wand, worauf die theure Zeit angezeigt war, und dann sah ich den Herrn Postmeister Wahl, unsern Herrn Vetter, und sagte leise zu ihm: Gelten Sie, ich darf schon zum König hingehen? Und er sagte: ,ja’, und ich ging hin und sprach mit ihm, was du ja schon gehört hast“ etc.

Dieser Tag blieb ihm und uns allen ein heiliger Tag und wird es auch bleiben, solange wir athmen werden. Seine Eltern und ich ermahnten ihn unter Freudenthränen, immer recht brav und fleißig zu sein und Gott zu danken für dieses große Glück, das ihm widerfahren. Er gelobte dies, selbst bis zu Thränen [26] gerührt und reichte jedem sein Händchen. Als er nachts von seiner Mutter zu Bett gebracht wurde und wie gebräuchlich sein Gebet verrichtete, ehe er einschlief, sagte er zu ihr: „Liebs Mutterle, nun will ich für allemal, wenn ich mich hinlege und aufstehe, auch ein Vaterunser für den guten König beten!“ Er hielt auch dies Versprechen getreulich.

Ungefähr 8 Tage nach diesem glücklichen Ereignis kam Se. Exzellenz der Herr Graf v. Spizenberg nach Gmünd und stieg in der „Post“ ab. Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr saß ich gerade im unteren Zimmer und gab dem Kind des Postpächters Wahl Unterricht in Elementar-Gegenständen, als der Herr Graf eintrat. Ich stand vom Stuhl auf, um ihm meinen Respekt zu bezeigen. Er wandte sich freundlich zu mir mit den Worten: „Ei, Herr Lehrer! es wird Ihnen schon eröffnet worden sein, was Se. Majestät wegen dem Kleinen allergnädigst zu beschließen geruht hatten?“ „Noch weiß ich nichts, gnädiger Herr,“ erwiderte ich. „Der Erlaß Se. Majestät sollte aber doch schon hier im Oberamt sein? Ich kann Sie versichern, Se. Majestät haben auf der ganzen Fahrt von hier bis Stuttgart sehr viel von Ihrem Eleven, und zwar sehr gnädig gesprochen! Wahrhaftig, Sie haben den rechten Augenblick gewählt, des Kleinen Glück für immer zu gründen, an [27] dem es aber auch, was wir bisher von ihm merkten, nicht verschwendet sein wird, da der liebe Kleine durch sein Spiel Talent für die Musik, und durch sein Gespräch mit Sr. Majestät viele andere Geistesgaben verrieth!“

„Nur Ihnen, Exzellenz, habe ich es zu danken, daß dem Kleinen das hohe Glück geworden, sich vor seiner Majestät hören lassen zu dürfen“, erwiderte ich, innigst dankend. „Nun“, sagte der Herr Graf weiter zu mir, „wird es Ihnen heute oder morgen eröffnet werden, was Ihro Königl. Majestät durch einen Kabinettsbefehl allergnädigst in Hinsicht des Kleinen beschlossen haben.“ Se. Exzellenz stiegen nun wieder in den Wagen und fuhren weiter. Ich gab die unterbrochene Unterrichtsstunde zu Ende und ging dann sogleich zu den Eltern des Kleinen, um ihnen zu sagen, was ich soeben vernommen hatte, worüber sie sich dankbar freuten. Dem Kleinen mußte ich alles extra erzählen, er träumte immer nur von Stuttgart.

Den andern Tag, morgens um 7 Uhr, holte mich meine Schwester in einem Hause, wo ich gerade Unterricht im Gesang und Guitarrespielen gab, und sagte mir, ich solle schnell ins Oberamt kommen. Ich eile sogleich dahin, und es wurde mir von dem damaligen Oberamtmann Stängel eröffnet, daß S. M. befohlen hätten, daß der Knabe nach Stuttgart zu kommen und [28] daselbst sich von dem Herrn Kapellmeister und einer hiezu aufgestellten Kommission prüfen zu lassen habe.

Ich veranstaltete sogleich das Nöthige, und des andern Tages schon fuhren wir, nämlich der Geigenmeister des Kleinen, dessen Mutter und ich, nach Stuttgart. Während der Reise erzählten wir dem Kind von den Herrlichkeiten der Residenzstadt und wie groß und schön der Palast des Königs dastehe. Sein Verlangen, das vielgerühmte Stuttgart zu sehen und besonders das Orchester im Theater zu hören, steigerte sich von Ort zu Ort.

Als ich ihn fragte, ob es ihm denn nicht Angst sei, eine Probe vor so guten Geigern und vornehmen Herren ablegen zu müssen, sagte er: „Nein, ich sage und geige was ich kann und weiß, und was ich nicht kann und weiß, das werde ich schon noch lernen.“ Der Mut des Kleinen hob auch den unsern. Nachmittags 3 Uhr langten wir in Stuttgart an. Als wir zum Thor einfuhren, äußerte der Knabe eine große Bewunderung, und des Fragens und Erklärens war kein Ende mehr.

In dem uns bestimmten Gasthaus zogen wir uns an und begaben uns zu dem Herrn Kammerdirektor v. Kohlhaas. Er und seine Gemahlin nahmen uns sehr liebreich auf, und er versicherte mich, daß S. M. ihm allergnädigst befohlen hätten, für den Kleinen zu [29] sorgen und ihm über alles zu berichten, S. M. haben den Kleinen in Gmünd liebgewonnen.

Die Probe wurde eines Hindernisses wegen nicht am nächsten, sondern übernächsten Tag abgehalten. Vormittags 9 Uhr wurden wir in den Saal des Theaters, wo die Singproben gehalten werden, bestellt. Es war ein sehr unfreundlicher Regentag. Wir fuhren in der Kutsche zum Theater. Als wir in den Saal eintraten, waren schon einige Herren von der Hofkapelle da, die den Kleinen zu akkompagnieren beauftragt wurden. Von einem Fenster aus konnte man das prachtvolle Residenzschloß betrachten, und der Kleine, der nicht im geringsten schüchtern war, sich aber doch ungemein höflich und bescheiden benahm, beaugenscheinigte alles und konnte sich nicht genug verwundern. Von den umstehenden Personen fragte er bald diese, bald jene um Auskunft über alles, was er sah und hörte, und erwarb sich durch seine Kindlichkeit, durch seine naiven und passenden Fragen und Antworten die Liebe und Freundlichkeit aller Anwesenden.

Nun trat Herr Kapellmeister Lindpaintner herein, und gleich nach demselben der Herr Kammerdirektor v. Kohlhaas mit noch einigen anderen Hofherren, deren Namen mir aber nicht bekannt waren. Die Instrumente – Violine, Altviola und Violincello – wurden nebst der Geige des Kleinen gestimmt. Er durfte nun zuerst [30] eine Nummer aus Tankred vortragen, hierauf eine Art Polonaise, und man lobte ihn sehr. Nun wurden ihm aber Noten aufgelegt, die aus dem Musikkasten des Theaters genommen waren. Der Kleine sah die Violinstimme verwundert und begierig an. Aus welcher Komposition dieses Tonstück war, wußte ich nicht und mochte auch nicht danach fragen. Die Mutter des Kindes, sein Lehrer und ich hielten uns ferne, um ja nicht zudringlich zu erscheinen. – Als der Knabe seine Stimme durchgesehen und umgeblättert hatte, sagte er zum Herrn Kapellmeister: „Sie, aber da sieht es so finster aus wie in einem dicken Tannenwald, bei diesen Noten. Es sind ja fast lauter Triolen, sechzehntel, zweiunddreißigstel und sogar vierundsechzigstel Noten. Diese kann ich einmal nicht so geschwind zeigen, obwohl Adagio vorgezeichnet ist.“

„Das sollst du auch nicht, lieber Kleiner. Geig du nur die Noten so geschwind als du kannst, denn die Herren und ich wollen nur wissen, ob du alle Noten, außer den deinigen, recht kennst“, antwortete der Herr Kapellmeister. Der Kleine wurde nun über das Tempo, die Tonart u. s. w. gefragt. Nachdem er seine Antworten hierüber genügend gegeben hatte, sagte der Herr Kapellmeister: „Nun geige die Noten nacheinander her und zeige uns, daß du sie richtig lesen gelernt hast.“ Der Knabe strich die Saiten seiner Geige, [31] ob sie stimmte, und wollte anfangen. Allein in eben dem Augenblick stürzte ein Platzregen hernieder, der sehr stark an die Fenster des Saales schlug, so daß sie klirrten. Zugleich zog die Wache auf dem Schloßplatz auf und mit einem Male schlugen mehr denn ein Dutzend Tambours auf ihren Trommeln an. Dieses zusammen erschütterte ihn mächtig, da er solches noch nie gehört hatte. Schnell legte er seine Geige weg, ließ die Herren alle stehen und sprang an das Fenster, um die lärmenden Tambours und die Soldaten zu sehen und bat einen mit einer Dekoration geschmückten eben am Fenster stehenden Herrn, er möchte ihn doch in die Höhe heben, damit er besser hinaussehen könne. Ich eilte hin, um dies zu thun, allein der freundliche Herr hatte ihn schon auf den Arm genommen und ließ ihn hinaussehen. Da sagte er: „Ei, was Tambours und Soldaten! Aber warum haben die denn keine Regenschirme? Sie werden ja ganz naß und verderben die schönen Flinten und Säbel und ihre Kleider, und die Offiziere ihre silbernen und goldenen Dinger an ihren Röcken. Ach, sie dauern mich arg. Warum stehen sie denn aber so hin und rühren sich nicht. Sie sollen doch nach Hause gehen!“ Alle Anwesenden lachten herzlich über diese kindlichen Äußerungen.

Wie nun das Auf- und Abziehen der Wache vorüber war, verlangte er wieder auf den Boden, nahm [32] seine Geige und sagte: „Jetzt will ich anfangen so gut ich kann, und den Notenwald hergeigen.“ Er traf zwar jede Note, allein unzusammenhängend. Übrigens war das dem Herrn Kapellmeister schon genug, dem es bloß daran lag, zu prüfen, ob der Knabe nicht mechanisch abgerichtet sei.

Man ließ ihn zum Schluß noch etwas von den Stücken, die er gelernt hatte, spielen, und somit war die Probe fertig und wir gingen, den Anwesenden dankend und uns empfehlend, in unsern Gasthof zurück. Nachmittags führten wir den Kleinen, da das Wetter sich wieder aufgeheitert hatte, in den Hauptstraßen Stuttgarts spazieren. Da gab es ein Sehen und Bewundern. Alle Augenblicke blieb er stehen, von dem Residenzschloß konnten wir ihn fast gar nicht wegbringen. Mit Gewalt wollte er in dasselbe hinein und den König besuchen, der so freundlich mit ihm gewesen sei. Um ihn zu beruhigen, ließen wir uns durch einen Thürsteher in das Schloß einführen. Wie ihn die Pracht der Ausstattung anzog, kann ich nicht schildern. Da er nun aber wieder zum König selbst wollte, sagte ich ihm ernstlich, daß dieses nicht sein dürfe, daß niemand ohne besonderen Befehl zum Monarchen dürfe u. s. w. Er gab sich zufrieden und wir fuhren nach Cannstatt in den Frösnerschen Badegarten, in welchem er sich mit Schaukeln, Reiten u. dergl. [33] Spielen sehr ergötzte. – Abends war Theater, es wurde eine Oper von Rossini, „Die Jungfrau vom See“, gegeben. Vor 1/2 6 Uhr gingen wir hinein, wo uns in der Choristenloge ein Platz angewiesen war. Er besah das ganze Theater um und um, und alles zog ihn mächtig an. Jetzt wurde im Orchester gestimmt. „Ach, was Musikanten“, sagte er. „Sieh nur, wie viele Geigen und die großen Bässe“, u. s. f. Die Ouverture fing an! Der Kleine zitterte vor Lust und Entzücken. Der Vorhang rollte hinauf, mächtig ertönte der Chor, und ganz außer sich, einer Bildsäule gleich, stand der Knabe da – Stellen, die ihn besonders angesprochen hatten, sang er noch im Bette nach, bis er einschlief. Immer sprach er nur von der schönen Musik in Stuttgart.

Als wir nun des andern Tags zum Herrn Kammerdirektor v. Kohlhaas gingen, um uns zu verabschieden und nochmals unsern Dank auszusprechen, sagte der Kleine: „Darf ich nicht gleich hier bleiben? Ach, es ist hier gar so schön und die schöne Musik! Ich mag gar nicht mehr nach Gmünd. Nicht wahr, ich darf in Stuttgart bleiben?“ – „Vorher mußt du nochmals heim und deine Sachen dort in Richtigkeit bringen, dann wird man schreiben, daß du kommen sollst. Ich komme bald selbst nach Gmünd, dann mußt du auch meiner Frau etwas geigen, und bis dahin mußt du [34] recht fleißig und brav sein.“ – Der Kleine gab sich zufrieden und wir reisten des anderen Tages wieder heim.

Nach Verlauf von etwa 4–6 Wochen kam der Herr Kammerdirektor mit seiner Gemahlin, und Eduard geigte mehrere Piecen zu Beider Zufriedenheit. Dann sagte mir der Herr Kammerdirektor, der König habe beschlossen, entweder durch das Kameralamt Gmünd zu des Kleinen Ausbildung eine gewisse Summe anzuweisen, oder aber ihn nach Stuttgart zu thun, wenn die Eltern einverstanden wären. Die Eltern waren für das letztere, weil der Kleine selbst durchaus nur nach Stuttgart wollte, und es geschahen nun alle nöthigen Schritte, um für das Glück des Kindes zu sorgen.

Im Oktober 1821 machten die Eltern des Knaben, Herr Lehrer Horn und ich eine Reise nach Kocherthürn, um einen Vetter der Eltern, den katholischen Dekan Keller, zu besuchen. Unsere Reise führte uns über Stuttgart. Wir gingen mit dem Kleinen wieder zu dem Herrn Kammerdirektor v. Kohlhaas und baten ihn, ob Eduard nicht gleich in Stuttgart bleiben könne, wenn wir nach etwa 8–10 Tagen wieder zurück kämen. Er sagte, er wolle sehen, ob es sich möglich machen ließe, wir sollten jedenfalls auf dem Rückweg wieder nach Stuttgart kommen.

Von Stuttgart reisten wir am selben Tag nach Ludwigsburg und stiegen im Gasthaus zum Löwen ab. [35] Die Mutter des Kleinen besuchte dann eine Jugendfreundin namens Reuschle, welche eine sehr geschickte Arbeiterin im Sticken, Flechten u. s. w. war und mehreren Hoffräulein der verwitweten Königin-Mutter Unterricht ertheilte. Dieser Freundin nun erzählte die Mutter, daß wir zu einem Vetter reisen, um ihm auf seinen Wunsch den Kleinen vorzustellen und welche glücklichen Aussichten derselbe durch die Huld des Königs habe. Da es gerade an der Zeit war, daß die Freundin zur Stunde bei einem Hoffräulein mußte, so schieden Beide mit dem Versprechen, am Abend zusammen zu kommen. Durch die Freundin erfuhr nun auch die Kammerdame der Königin, daß der kleine Knabe aus Gmünd hier sei, von dessen Talent die Kunde schon hierher gedrungen war. Die Nachricht gelangte zu den Ohren der Königin selbst, und Allerhöchstdieselben befahlen, daß der Kleine bei Hof sich im Violinspiel und Deklamieren hören lassen solle. – Der Wille Ihrer Majestät wurde uns durch einen Hofbediensteten kundgethan und uns befohlen, daß wir uns bis abends 8 Uhr im Schloß einfinden sollten. Der Kleine war darüber voll Freude und konnte kaum die Stunde erwarten, die ihn mit seinem Geiglein ins Schloß rief. Um 3/4 8 Uhr stellten wir uns ein, Eduard, Herr Lehrer Horn, Stabstrompeter Herrmann von der Artillerie und ich. Um 8 Uhr wurden wir in den Saal geführt, woselbst Ihre Majestät die Königin mit dem [36] Hofpersonal waren. Wir verneigten uns tief und legten unsere Noten auf. Ein Hofherr fragte mich, was der Kleine spielen werde, und ich erwiderte, daß wir außer dem in Quartett harranguierten Tankred von Rossini keine anderen Kompositionen hätten, weil wir auf der Reise seien und nicht geahnt hätten, welches Glück uns hier zu zu theil werden würde. Nach Beendigung der Ouverture lobte man den Kleinen sehr, und nach kurzer Pause wurde eine andere Nummer gespielt. Jetzt wurde verlangt, daß der Kleine auch etwas für sein Alter Passendes deklamieren sollte. Er entschied sich für ein Gedicht von Langbein: „Das Kinderspiel am Sabbath.“ Er trug es ungemein nett vor, ohne alle Unsicherheit und mit passendem Gebärdenspiel. Sowohl von Ihrer Majestät der Königin als auch von den Anwesenden wurde dem entzückten Kind rauschender Beifall gezollt, und Ihre Majestät befahlen, daß es vor sie geführt werden sollte. Die Königin saß auf einer Erhöhung an einem Spieltisch, auf welchem Karten lagen. Der Kleine stieg hinauf, neigte sich tief, nahm Ihre Majestät bei der Hand und sagte: „Guten Abend, Frau Königin! Aber Sie sind dick! Fast wie der gestorbene Herr König!“

Ihre Majestät und deren Umgebung lachten, und Allerhöchstdieselben fragten den Kleinen, ob er denn den verstorbenen König Friedrich gesehen habe? worauf er [37] erwiderte: „Lebendig habe ich den Herrn König selig nicht gesehen, aber zu Hause habe ich sein Bild, und meine Mutter hat gesagt, er sei sehr gut getroffen. Sehen Sie, Frau Königin, dort hängt er.“ (Dabei deutete er auf eine Seite des Zimmers, an welcher das Bild des Königs hing.) „Das ist das Bild des seligen Herrn Königs in Lebensgröße, ich habe es schon vorhin angesehen. Ach, das ist groß und schön!“

Der Kleine wurde nun gefragt, was er mit Seiner Majestät in Gmünd gesprochen habe u. s. w. Er antwortete kindlich, wie es ihm in den Sinn kam, und seine Antworten wurden beifällig und freundlich aufgenommen. – Von Ihrer Majestät gnädig entlassen, ging er bescheiden im Saal umher und besah sich alle Gemälde, immer nach deren Bedeutung fragend.

Ein kleines Prinzeßchen, das neben ihm stand, nahm er freundlich bei der Hand und sagte: „Aber Sie sind ein schönes Frauenzimmer und so nett angezogen! Sie würde ich heiraten, wenn ich groß wäre! Aber des Apothekers Amalie in Gmünd ist auch schön!“ Das Prinzeßchen lachte laut bei dieser Rede, und alle Damen und Herren stimmten mit ein.

Die Prinzessin Helene, Tochter des Prinzen Paul, ließ mich zu sich kommen und befragte mich über die Methode, die ich bei der Erziehung des Kleinen angewendet und durch welche ich ihm so schnell das [38] Lesen beigebracht hätte. Ich gab hiervon unterthänig befriedigenden Aufschluß. – Ihre Majestät verlangte auch eine Schrift von dem Kleinen zu sehen. Da wir aber nichts von seiner Hand Geschriebenes bei uns hatten, so fragte ich einen Hofherrn, ob ich es nicht allerunterthänigst wagen dürfte, den Kleinen morgen eine Dankschrift für die allerhöchste Gnade, daß er vor Ihrer Majestät sich hören lassen durfte, schreiben zu lassen, was mir auch sogleich zugesagt wurde, und welche Schrift den andern Tag Ihrer Majestät durch einen Hofherrn überreicht worden ist.*)

Nun mußten wir noch eine Piece aus Tankred spielen und wurden dann allergnädigst entlassen. – Nachdem wir in einem andern Saal Erfrischungen zu uns genommen hatten, begaben wir uns in unseren Gasthof zurück und setzten andern Tages unsere Reise fort. Nach einigen Tagen kam folgendes im Schwäb. Merkur, Nr. 264: Ludwigsburg, im Oktober 1821. Ein kleiner Knabe aus Gmünd, Namens Eduard Keller, 6 Jahre und 6 Monate alt, hat sich hier vor Ihrer Majestät der verwitweten Königin auf der Violine hören lassen, wie schon früher vor Seiner Majestät dem König selbst. Was man an ihm besonders bewundert, ist sein schöner Bogenstrich, seine fertige Applikatur und sein Taktgefühl.

[39] Ungefähr 8 Tage blieben wir bei unserem Vetter, der eine große Freude an dem lieben Kleinen hatte. Nach Verfluß dieser Zeit reisten wir wieder ab, um über Stuttgart nach Hause zu kommen. Am letztgenannten Orte gingen wir gleich zum Herrn Kammerdirektor. Dieser sagte uns, daß Eduard gleich in Stuttgart bleiben könne, indem schon alles für ihn besorgt sei. – Der Knabe wurde dem Herrn Hofmusikus Malté in Pflege und Unterricht gegeben. Malté war ein braver Mann und guter Lehrer im Violinspiel.

Als der Abschied herannahte, tröstete der Kleine uns, anstatt daß wir ihn trösten sollten und sagte: „Ich bin recht gern in Stuttgart. Ihr dürft nicht weinen, geht nur heim.“ Da Herr Malté ein Töchterchen hatte, das in gleichem Alter mit Eduard war, und sogleich schöne Spielsachen vor ihm auskramte und mit ihm theilte, so wurde der Abschied ihm dadurch sehr erleichtert, dessen wir froh waren. – – – Hier brechen leider die Erinnerungen ab, da die Fortsetzung derselben verloren gegangen ist.



[Beilage]

Euer Königliche Majestät!

fragten huldreichst nach einer Schrift von mir. Hier ist eine Probe wie ich schreibe. Mit dieser verbinde ich zugleich meine allerunterthänigste Danksagung für die hohe Gnade, die ich hatte, mich vor Euer Königlichen Majestät auf der Violine hören zu laßen. Ich bin


Euere Königlichen Majestät

allerunterthänigst gehorsamster

Eduard Keller aus Gmünd, 6 Jahr 4 Monat alt.