Ein Abenteuer Passalacqua’s
Der bekannte und berühmte Alterthumsforscher Passalacqua, dem wir in Betreff der Kenntniß des alten Egyptens sehr viel verdanken, erlebte in dem alten Theben ein Abenteuer, das eine so furchtbar ernste, Vieler Leben, wie das Passalacqua’s selbst, bedrohende Wendung nahm, daß es interessant ist, ihm bei der Erzählung desselben, zu folgen.
In der Nekropolis von Theben, wo immer noch eine unerschöpfte Fundgrube egyptischer Alterthümer ist, hatte Passalacqua eine im Sande begrabene Mumie entdeckt. Die Erfahrung, daß solche Mumien meist sich über einem in den Felsen gehauenen Grabe befinden, entflammte die Begierde des Alterthumsforschers mit aller Macht und Abd-el-Hamid, der in Sachen der Ausgrabungen erfahrene und gewandte Führer der arbeitenden Fellahs, bestärkte ihn mächtig in seiner Ansicht und rieth, sogleich an’s Werk zu gehen, da das Felsengrab sich sicher finden werde. Bei dem alten Araber war es natürlich nicht das Interesse, welches Passalacqua hatte, sondern die Absicht, Geld zu verdienen, die ihn trieb, Jenen in seinen Ansichten und Hoffnungen zu bestärken; dennoch war die Abstimmung Beider wesentlich dazu dienlich, das gefährliche Unternehmen augenblicklich zu beginnen. Gefährlich war es darum, weil es in eine bedeutende Tiefe zu graben nöthigte und der Sand, der Alles deckte, gegen den Einsturz seiner Massen keine Sicherheit lieh. Abd-el-Hamid aber, an solche Abenteuer gewöhnt, griff mit seinen Leuten rasch das Werk an, dessen Fortgang Passalacqua mit den Augen einer glühenden Liebhaberei verfolgte. Sie wurde indessen immer bedenklicher und gefährlicher. Der nicht fest aufeinander gekittete Sand rollte unaufhörlich nach und drohte die Arbeiter zu verschütten.
Passalacqua wollte die Arbeit einstellen lassen, eben weil er das Schlimmste für die armen Fellahs fürchtete, allein Abd-el-Hamid [632] Hamid stammte sich dagegen und meinte, bei solchen Aussichten auf Erfolg sei es unverantwortlich, die Arbeiten einzustellen; Vorsicht werde den nicht zu leugnenden Gefahren begegnen und sie unschädlich machen, kurz, er bot Alles auf, die Nachgrabungen nicht einstellen zu lassen. Die Fellahs fuhren denn nun in der Arbeit fleißig fort, und in einer Tiefe von etwa zwanzig Fuß stieß man auf einen mit Erde gefüllten Schacht von zwölf Fuß Durchmesser, der kreisförmig aus Ziegelsteinen erbaut war. Dieses Bauwerk konnte keinen anderen Zweck haben, als den, die Sandlage zu tragen, als man in so bedeutender Tiefe das Grab in den Felsen einmeißelte. Der Schacht war fünfzehn Fuß tief und wurde nicht ohne große Anstrengungen endlich geleert; seine Basis auf dem Felsen lag nun etwa fünfunddreißig Fuß unter der Oberfläche und hier entdeckte man denn den Zugang zu einer Grabkammer durch einen senkrecht abteufenden Schacht, der etwa zehn Fuß lang und fünf Fuß breit war. Es war nicht leicht, die Mauer und die schwere Erdschicht über derselben zu stützen, allein Abd-el-Hamid erklärte sie für hinlänglich sicherstellend, und bei seinen Erfahrungen glaubte Passalacqua ihm vollständig trauen zu können. Die Grube hatte die Form eines Trichters, dessen äußerster Mündungseinfang hundert Fuß Weite hatte. Die Araber arbeiteten mehrere Tage fort, ohne daß irgend ein Hinderniß eingetreten wäre oder ein gefährlicher Umstand Sorge gemacht hätte. So unheimlich es auch dem Unternehmer war, so that doch Abd-el-Hamid Alles, ihn zu beruhigen.
Es war an einem Decembernachmittage, als die Last der Erdschicht einen Ziegelstein losdrückte, augenblicklich erlag die runde Mauer ihrer Last und die Erde stürzte mit unaufhaltbarer Macht und Schnelle nach der Tiefe. Die meisten der arbeitenden Fellahs flohen, als es noch möglich war, aber vier der Unglücklichen lagen in einer Tiefe von vierzig Fuß unter der mächtigen Erdschicht, die sich über sie gelagert hatte und deren Einsturz weit umher Alles in eine erstickende Sandund Staubwolke einhüllte.
Das ganze Dorf war schon zusammengelaufen; die Frauen heulten grauenhaft, als Passalacqua zur Stelle des Unglücks kam. Das Geschrei war betäubend. Die Fellahs zerrissen ihre Kleider. Bald erschallten ihre gräßlichen Verwünschungen, die natürlich Passalacqua galten und dem Treiben der Ungläubigen, die nach den alten Dingen grüben und dadurch die Gläubigen dem Tode überlieferten. Wer den namenlosen Fanatismus dieser Muhamedaner kennt, kann es leicht ermessen, welche Gefahr für Passalacqua sich hier bildete, der Allein und ohne persönlichen Schutz einer exaltirten wilden, fanatischen Menge gegenüberstand. – Daß er verloren sei, erkannte er mit sicherm Blicke und auch dem Muthvollsten mußte in solcher Lage das Herz pochen. So lange als möglich die Hoffnung aufrecht zu halten, so wenig er selbst hatte, und so weit als möglich sein Verderben hinauszuschieben, war das, was hier gebieterisch sich geltend machte. Darum redete er mit aller ihm möglichen Entschiedenheit die Menge an und forderte sie aus, vereint Hand anzulegen, um die Verschütteten zu retten. „Will sie Allah erhalten, so finden wir sie lebend!“ sagte er, und dieser Satz, dem Fanatismus des Muhamedaners entsprechend, that seine Wirkung. Wer Werkzeuge zur Hand hatte, griff sogleich an, die Uebrigen eilten zum Dorfe, um sie sich zu holen, und bald wimmelte es an der Unglücksstelle an eifrig arbeitenden Menschen jedes Alters und Geschlechtes.
Vier Stunden hatten sie ununterbrochen mit allem erdenklichen Eifer gearbeitet, aber, je mehr Erde man herausschaffte, destomehr fiel und rutschte wieder nach. Passalacqua sah sein Verderben hereinbrechen und die Angst des nahen, grausamen Todes unter den Händen dieser Wilden ergriff lähmend seine Seele. Die untergehende Sonne beleuchtete die nahen Höhen und der ekelhafte Ruf der Schakals und Hyänen tönte schauerlich in seine Ohren. Es schien ihm sein Grabgesang. – In dieser trüben Stimmung überraschte ihn ein Geräusch. Er blickte hinter sich und sah, wie der Grieche Ianny d’Atanasy mit mehreren bewaffneten Männern sich ihm näherte. Es war wohl tröstlich, Beistand in solcher Noth zu finden, aber die Nachricht, die ihm der Grieche brachte, war keineswegs geeignet, seine Stimmung zu ändern. Er erzählte, daß die Fellahs blutige Rache an ihm zu nehmen übereingekommen wären. Bewaffnete Araber zeigten sich unter der stets wachsenden Menge und ihre Blicke, Geberden und Worte ließen keinen Zweifel aufkommen, daß sie nur das völlige Dunkel der Nacht abwarten wollten, um ihre fanatische Rachsucht an Passalacqua zu befriedigen, die bei dem Gedanken, seine Habe zu plündern, bedeutend an Reiz für das heillose Gesindel gewann.
Der Grieche trieb ihn zur Flucht und es gelang ihm, unter dem Schutze der schnell hereinbrechenden Nacht nach dem Hause des Griechen zu gelangen, der selbst an der Unglücksstätte zurückblieb, eines Theils, um die Araber zu beobachten, andern Theils, um sie zu fortdauernder Arbeit zu ermuthigen.
Nach Verlauf einiger Zeit kam er zurück und seine Mienen bezeugten mehr, als seine beruhigenden Worte, daß keine Hoffnung mehr sei. Der Tod der unschuldigen Opfer seiner Liebhaberei lag eben so schwer aus Passalacqua’s Seele, als der Gedanke, der Rache einer völlig fanatisirten Bevölkerung nicht mehr entrissen werden zu können. – Die Früchte seiner mühsamen und kostspieligen Forschungen und Bestrebungen, seine reichen Sammlungen – Alles war dahin. Daß kein Schlaf in sein Auge kam, ist leicht begreiflich. Die Araber arbeiteten fort – aber für den trostlosen Mann schlichen die Stunden in der quälendsten Trägheit dahin, und jeden Augenblick glaubte er das Toben der racheschnaubenden Menge zu hören.
Endlich, es war gegen drei Uhr nach Mitternacht, ließ sich ein verworrenes Geräusch aus der Ferne vernehmen. Es wurde deutlicher. Pistolenschüsse knallten. Alle eilten zu den Fenstern. Man sah einen gewaltigen Zug mit Fackeln sich langsam heran, bewegen. Ein betäubendes Geschrei ließ sich vernehmen. – Es war kein Zweifel mehr, sie hatten die fruchtlose Arbeit eingestellt und suchten nun das Opfer ihrer Wuth, den Preis ihrer räuberischen Pläne auf.
Die Männer traten von den Fenstern zurück, und der brave Ianny d’Atanasy und sein Bruder rüsteten die Waffen, wie Passalacqua selbst, um wenigstens den muthigsten Widerstand zu leisten.
Während dieser Beschäftigung, die in aller Eile vor sich ging, sah Einer, daß sich eine Fackel von dem Zuge trennte, und in aller Eile verauslief. Er sagte das und es war der erste Strahl schwachen Hoffnungsschimmers, der in die Nacht der Seele des gequälten Mannes fiel. Der Lärm kam immer näher, doch ließ sich nichts demselben entnehmen, weil das Geschrei zu verworren war. Indessen rief der am Fenster Stehende: „Es kommt mir wie Freudengeschrei vor! Vielleicht sind die Verschütteten gerettet!“
Jetzt nahte der Fackelträger und rief freudig: „Sie sind gerettet – Allah sei gepriesen!“ –
Da richtete sich Passalacqua mit einem Seufzer, der die Last von der Seele warf, empor, beugte sein Knie und pries den, der die Unglücklichen und ihn gerettet. Sie waren wirklich unversehrt hervorgezogen worden. Es klang wie ein Wunder, und war wirklich eins! –
Die Araber, wie auch etliche wehrten, hatten unter Abd-el-Hamid’s Leitung immer eifriger fortgearbeitet. Endlich war die Grube so weit geleert, wie sie am Morgen vor dem Einsturz gewesen war – und – eine kleine, in den Felsen gehauene Nische, welche die Fellahs nicht hatten leeren wollen, aber auf Passalacqua’s Befehl dennoch endlich entleert hatten, wurde ihre Rettungsstätte.
Sie maß nach allen Dimensionen nicht über vier und einen halben Fuß, allein die vier Männer flohen im Augenblicke der Todesgefahr hinein, und hier hatten sie, vierzig Fuß tief bedeckt, während voller sechs Stunden ihre Erhaltung durch Gottes Gnade gefunden. Sie hatten sich so enge, als möglich, zusammengedrängt, und die Rücken zweier derselben füllten den Eingang der Nische aus, daß kein Schutt hineindringen konnte, und ihnen die wenige Luft frei erhielt, die ihrer Erhaltung nothwendig war.
Wunderbare Fügung Gottes war es, daß, als die Geretteten eben aus der Grube an die Luft gebracht waren, und sich erholten, die Grube wieder völlig zusammenstürzte, wie sie vor wenigen Stunden zusammengestürzt war.
Jubelnd drängte sich der Haufe in das Gemach, und brachte die Geretteten zu Passalacqua, der die schmutzigen Fellahs mit einer Freude umarmte, als wären sie seine Kinder.
Es ist begreiflich, daß er die Grabkammer in ihrer Ruhe ließ, die noch heute verschüttet ist, denn wie viel auch spätere Forscher boten, sie auszuräumen – kein Fellah ließ sich dazu mehr herbei.