Ein Ausflug ins Teufelsmoor

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Georg Kohl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Ausflug in’s Teufelsmoor
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[460]
Ein Ausflug in’s Teufelsmoor.
Von J. G. Kohl.

Mit dem Namen „Teufelsmoor“ bezeichnen die Geographen auf unsern Landkarten einen beinahe acht Quadratmeilen großen Moorstrich, der ungefähr die Mitte des Herzogthums Bremen ausfüllt und ehemals eine zusammenhängende Wildniß gebildet haben mag, jetzt aber durch die eingedrungene Cultur und die ihm nun einverleibten Dorfschaften und Ackerfluren in eine Menge einzelner Moorstriche zerlegt ist, deren jede ihren besonderen Namen trägt.

Im Lande selbst wird der Name „Teufelsmoor“ (oder Düvelsmoor) kaum mehr in dem weiten Sinn, in welchem er auf den Landkarten erscheint, gebraucht. Vielmehr hört man die Leute nur immer von dem „Wallhofer Moor“, dem „Gieler Moor“, dem „Wilster Moor“, dem „Gnarsenberger Moor“ und den andern kleinen Moorabschnitten sprechen. Es geht bekanntlich in der Welt überall so, daß die großen, weltumfassenden geographischen Namen nur in der Ferne bekannt sind, während an Ort und Stelle Localbenennungen gelten. Der Name „Düvels-Moor“ ist jetzt im Lande selbst nur noch einem Dorfe, das ungefähr in der Mitte der ganzen Moorgegend liegt, eigen geblieben.

Am Eingange zum Teufelsmoor im Thale der Hamme, eines Flusses, der in die Weser mündet, liegt ein kleines Sandgebirge, der sogenannte „Weiherberg“, den aber das Volk kurzweg „Up’r Wehe“ (Auf der Wehe) nennt. Der höchste Gipfel dieser Düne soll 350 Fuß über dem Meeresspiegel liegen. Es ist die höchste Anhöhe weit und breit, und sie ist im morastigen Herzogthume Bremen so berühmt, wie der Blocksberg in Norddeutschland. Die Mythe sagt, daß ein „Hüne“, den Sand verstreuend, im Lande umhergewandelt sei, und jene Düne am Eingange des Moores aufgebaut habe, wie der griechische Hercules seine berühmten Felsensäulen am Thore des mittelländischen Meeres.

Die Abhänge und sanftgewölbten Rücken dieses kleinen Sandgebirges sind in das Gewand eines schönen, reichen Kornfeldes gehüllt, auf dem unangebauten Gipfel wurzelt ein kleiner Fichtenwald, in dessen Mitte sich eine Pyramide aus Granitsteinen, ein Monument für den größten Wohlthäter des Teufelsmoors, erhebt. Sie ist dem Andenken des wohlbekannten Herrn Findorff gewidmet, der im vorigen Jahrhundert zuerst mit Nachdruck und Erfolg die dem bösen Geist gewidmete Wildniß bekämpfte, in dem wüsten Bezirke die lieblichsten Oasen voll wohlhabender Dörfer und lachender Feldmarken schuf, und, ein zweiter „Hüne“ oder Hercules der Neuzeit, diesen Augiasstall, wenn auch nicht völlig, doch in verschiedenen Richtungen ordnete und ausputzte.

Von diesem hochgelegenen Monumente aus, das ich an einem schönen, hellen Juliabende bestieg, konnte ich die ganze interessante Gegend, die ich am folgenden Morgen durchpilgern wollte, weit hin überschauen. Die Niederung, in welcher das Teufelsmoor aufgewachsen ist, läßt sich als eine mehrere Meilen breite Kluft zwischen zwei Haide- oder Geestrücken bezeichnen, deren Ränder ich von meinem Standpunkte aus sowohl im Osten, als im Westen, wie eine Reihe niedriger Hügel sich hinziehen sah. Auf diesen Hügeln und so auch auf dem breiten Landrücken, dessen Ränder sie sind, giebt es kein Moor. Dagegen ist der ganze Zwischenraum damit angefüllt.

Der „Weiherberg“, der, wie gesagt, wie eine Art Riegel vor dem Eingange des Thales oder Kessels liegt, trug vielleicht selbst dazu bei, in dieser Mulde die trägen Gewässer aufzustauen und den Morast zu veranlassen. Jahrhunderte lang schlugen sich aus dem stockenden Wasser die Binsen, Riedgräser, Sphagnen und andere saure Sumpfpflanzen nieder, vermoderten und verweseten unvollkommen, häuften sich aufeinander, schwängerten sich mit allerlei vegetabilischen Auslaugungen und füllten so den ganzen Thalkessel mit einer 10 bis 20 Fuß dicken schwammigen, schwarzen Torfmoorschicht, einem „Hochmoor“.

Die Flüsse haben sich nachher durch diesen schwarzen, dickflüssigen Suppenbrei wieder Wege und Canäle ausgebahnt, haben zu beiden Seiten den Torf eine englische Meile weit weggerissen und in solchen schwimmenden Stücken, wie sie kurz nach Christi Geburt Plinius in der Weser treiben sah, in’s Meer hinausgeführt. Dadurch sind mitten in der Moorgegend breite bis auf den Untergrund ausgeschnittene Rillen entstanden, die jetzt mit Gräsern und Schilfen bestanden sind, und welche die Leute im Gegensatz zu dem braunen Hochmoore „das Grönland“ (das grüne Land) nennen.

Diese grünen, langgestreckten Schilf- und Grasniederungen, durch die sich viele Canäle und Flußarme ziehen, sind an dem Hauptflusse des Teufelmoores, der Hamme, wohl eine Stunde breit. Ich konnte sie vom Weiherberge aus wie grüne tief eingelegte Bänder weithin verfolgen. Zu beiden Seiten derselben erhebt sich das Hochmoor mit ödem Scheitel und vom Grabscheit des Menschen vielfach zernagt und zerarbeitet. Seine braunen melancholischen Flächen erstreckten sich vor meinen Augen weitin und verloren sich nach Bremervörde und den Elbgegenden zu im Nebel des Horizonts. Und als dritte Landesabstufung erhoben sich dann, wie schon gesagt, zu beiden Seiten des nackten Hochmoores, jene noch etwas höheren, hügligen und sandigen Geestränder, hie und da [461] besetzt mit kleinen Hainen und Gehölzen, die aber mir jetzt nur wie grüne Flecken auf dem gelben Sanduntergrunde erschienen.

Von meinem Hügel, an dessen Abhange ich in einem kleinen Dorf-Hotel übernachtete, machte ich mich am andern Morgen in Begleitung eines der Wege kundigen Eingeborenen in besagtes Labyrinth von grünen, gelben, schwarzen Landparzellen und schimmernden Wasserstreifen hinaus, um mir die Sache mehr in der Nähe anzusehen.

Eine Zeit lang verschaffte uns noch der von den Weiherdünen aus im Lande verbreitete Sand trockene Füße und Wege. Bald aber kamen wir in das wässerige „Grünland“ hinab und waren dann genöthigt, uns nach einem Schiffe umzusehen. Wie in Nordamerika alle Ansiedelung mit einer Eisenbahn, so fängt hier in diesen Mooren aller Anbau, jedes Dorf mit einem Canale an. Ein Canal muß vor allen Dingen zuerst von dem Hauptflusse aus in den Busen des Moores hineingeschnitten werden. Er giebt den Zusammenhang mit der übrigen Welt. Auf ihm wird es möglich, den zu beiden Seiten abgeschnittenen Torf zu versenden und zu verwerthen und dadurch dem Colonisten eine Existenz zu verschaffen. Anfänglich ist die ganze Ansiedelung nichts als so zu sagen ein Torfbergwerk, zu dem der Canal den Hauptschacht abgiebt. Je mehr dieses Bergwerk vorwärts und zu den Seiten sich in die Masse einfrißt und den Torf bis auf den Unterboden abarbeitet, desto mehr Wiesen und Ackerfelder kommen an den Tag, und desto reicher und blühender wird das Dorf.

Wir erreichten einen solchen Canal, an dessen Ufern schon viele Ansiedler saßen, überredeten einen derselben, der eben daran wollte, sich zu rasiren, diese Operation zu verschieben, sogar auch seinen anderthalb Zoll dicken Buchweizenkuchen, der schon in der Pfanne zum Imbiß für ihn schmorte, im Stiche zu lassen und sofort mit uns in’s Schiff zu springen, um uns dem auf der andern Seite des „Grünlandes“ liegenden Orte Teufelsmoor zuzuführen.

Ein Moordorf im Teufelsmoor.

Wir fuhren eine Stunde lang aus einem Canale in den andern durch verschiedene Flußarme, lauter kaffeebraune Gewässer ohne Sand und Grand, ohne die von den Dichtern besungenen Bachkiesel, auf lauter Moorgrund fließend, wie sie hier in dem Teufelsmoor nicht anders üblich sind, und durch dichte Gras-, Ried- und Schilfwälder, unter denen überall der braune Spiegel der Moorwasser-Ueberschwemmung hervorschimmerte, und bekamen so endlich das besagte am Rande des Hochmoores gelegene Dorf in Sicht.

Es bot uns Heranschiffenden eine gar anmuthige Front dar, schöne, weitläufige Gehöfte und von Wohlhäbigkeit schimmernde Bauernhäuser unter dem Schatten eines Eichenhaines und mit künstlich geschaffenen Wiesengründen, die zu unseren Grünlandsümpfen hinabfielen und mit Geflügel und Vieh bedeckt waren. Es waren die Besitzungen einiger der ältesten und daher reichsten Colonisten.

Das Land pflegte bei dem Beginne solcher Moorcolonien billig zu sein und als Lockspeise freigebig verschenkt zu werden. Die ersten Anbauer schnitten sich aus dem wüsten Hochmoore die Morgen bei Hunderten heraus. Sie waren trotzdem nicht reich, aber ihre Nachkommen wurden es, da allmählich Alles zugänglicher, besser genutzt und höher verwerthet wurde. Die großen Grundbesitzer konnten zuletzt mit ihren Knechten nicht alle Arbeit, für die sich Aussicht eröffnete, mehr leisten. Sie siedelten daher auf ihren weitläufigen Ländereien Hintersassen oder sogenannte „Achtermeier“ an, die ihnen dafür 12 Tage im Jahre, – d. h. eben so viel Tage, als der Bauer dem Edelmann in der Moldau frohnt, – arbeiten mußten. Und die anfänglich so dürftig sich durchbringenden Torfcolonisten saßen daher am Ende wie vornehme Lehnsherren auf ihren Gehöften.

Die Dinge, nachdem sie einmal in Gang gekommen waren, schritten am Ende so schnell fort, daß jetzt auch schon jene „Achtermeier“ wieder reich und unabhängig geworden sind. Ja sie sind nun sogar bereits mehr eine Last, als eine Hülfe für ihre bäurischen Lehnsherren. Die Verhältnisse haben sich so rasch verändert, daß, was vor 50 Jahren sehr vortheilhaft erschien, jetzt höchst onerös geworden ist. Damals z. B. bekamen die Achtermeier die Erlaubniß, eine Anzahl Kühe auf ihres Lehnsherrn Weide zu treiben und dafür einen Thaler per Kuh zu entrichten. Jetzt aber sind die Weiden und Viehzuchtproducte so werthvoll geworden, daß dieser stipulirte Thaler per Kopf um das Zehnfache hinter dem, was man heutzutage fordern würde, zurückbleibt und natürlich den Grundherrn drückt.

Wir besahen uns einige dieser schönen reichen Gehöfte, die [462] aus dem unwirthlichen Schooße des Moores hervorgewachsen sind, und setzten dann unsere Reise durch das sogenannte „Niederende“ und „Oberende“ fort. Dies sind die Benennungen der beiden Hauptabtheilungen der weitläufigen Colonie, und die Prediger dieser Gegend pflegen, wenn sie auf der Kanzel das Teufelsmoor zu erwähnen haben, diesen unchristlichen Namen ganz zu umgehen. Sie nehmen das Wort nicht in den Mund und bezeichnen ihre Leute nur als „die vom Niederende“ und „die vom Oberende“. Die Regierung und ihre weltlichen Behörden geniren sich dagegen in dieser Beziehung nicht und gebrauchen in ihren officiellen Erlassen den hergebrachten Namen. Das Volk hat diesen Namen sogar noch weiter hin benutzt und unter andern das Wort „de Düvelsmöörschen“ daraus abgeleitet, mit welchem in der That schreckhaften Namen die Einwohner der Gegend selber bezeichnet werden.

Hinter dem sogenannten „Oberende“ der Düvelsmöörschen kamen wir auf einen Abschnitt des noch fast völlig uncultivirten und wilden Hochmoores hinaus. Es war das sogenannte Wallhöfer Moor, das sich drei Stunden weit wie ein wüstes Plateau vor uns ausdehnte. Obgleich wir mitten in der schönsten Jahreszeit dort waren, in der Alles umher, was nicht Moor war, grünte und blühte, und in der alle Gebüsche vom Gesange der Vögel erklangen, so war doch auf diesem Plateau Alles todt und öde, als wäre es der tiefste Winter.

Vögel giebt es da nicht, weil kein Gebüsch und keine Gelegenheit zum Nesterbau vorhanden ist. Keine Lerche jubelt in den Lüften. Selbst Fuchs und Hase können in diesen Sümpfen nicht wohnen und leben. Obgleich die Sonne lieblich strahlte, stolperten wir in Wasserstiefeln auf tiefen schmutzigen Morastwegen wie im trüben November. Die Oberfläche war überall mit verschiedenen Sorten schmieriger und schwammiger Moose bewachsen. Wir konnten uns einbilden, es wäre ein riesiger verfaulter, auf der Erde hingestreckter Baumstamm, auf dessen todter Rinde wir wie kleine Käfer kröchen.

Obgleich man im Grunde genommen sich auf dem Rücken einer Niederung befindet, so hat man doch den Eindruck, als wandele man auf einer hoch erhabenen Anhöhe. Solche Oeden sahst Du zuvor nur an den Enden und Gipfeln der Erde, auf dem Rücken der Hochgebirge und dicht unter dem Wolkenschleier. Auch mag der weite Blick, der sich über die unbegrenzte Fläche eröffnet, dazu beitragen, diese Illusion zu unterstützen. Sie wird dadurch noch vollkommenet, daß die Leute auch den Rücken dieses Hochmoores mit einer Anzahl armseliger Hütten bedeckt haben, die an die Sennhütten der Schweizer Alpenhöhen erinnern.

Wie in der Schweiz die Hirten auf „die Alm,“ so ziehen hier im Teufelsmoor im Frühling die Torfarbeiter auf’s Hochmoor, um ihren Torf zu ernten. Aus Strauchwerk und Torferde bauen sie sich temporäre Wohnungen, die das Primitivste von menschlichen Wohnungen sind, was man sehen kann, und in der Dürftigkeit ihrer Ausstattung noch unter den Sennhütten stehen. „De Huttens“, so nennen sie diese Sommerwohnungen des Hochmoores, sehen aus, wie alte vermooste Strohdächer, die man vom Hause abhob und auf den Boden stellte. Die Leute beziehen sie schon ganz früh im Frühling am Ende April oder Anfang Mai, wo ihre Torfarbeiten beginnen. Es sind die ärmeren Bewohner entlegener Dörfer, die wenig eigenen Grundbesitz haben, und die den großen Grundeigenthümern kleine Abschnitte des Moores abpachten oder abkaufen und diese dann für sich ausbeuten.

Da im Moore nichts Eßbares wächst, ja nicht einmal ein trinkbares Wasser träufelt, so müssen sie sich ihre Lebensmittel mitbringen, und diese sind besonders im Verhältniß zu der schweren Arbeit unsolide genug. Ihre Frauen gießen ihnen zu Hause die im Laufe der Woche gewonnene Buttermilch in ein Faß, backen Schwarzbrod dazu und verproviantiren damit ihre Männer auf dem Hochmoore. Die Buttermilch, wie man sich denken kann, macht allerlei Gährprocesse durch, sprengt zuweilen wie Champagner die Gefäße, und muß doch zum Frühstück wie zum Abendessen getrunken werden und auch zu Mittag statt der Suppe gelten.

Diese Hüttenwirthschaft in den Hochmooren scheint so trost- und freudlos, wie der Anblick der Hochmoore selbst. Von Festen und von irgend einer Art von Naturfeier unter den Leuten habe ich bei den Bewohnern der „Huttens“ nicht gehört. – Auch hat dasselbe kein Zweiglein eigenthümlicher Literatur oder Volkspoesie erzeugt, wie das Sennenleben in den Alpen. Die Beschäftigung der Leute ist so schwer, so einförmig und so unappetitlich, wie die Sclavenarbeit der Neger in den Diamantenwäschen Brasiliens.

Den ganzen Tag bewegen sie sich schleichend und mühselig im kalten schwarzen Sumpfe. Da stehen sie auf plumpen schwerfälligen Holzschuhen postirt in tief ausgehöhlten Gräben, in denen sie die träufelnden Morastschollen lösen, um sie 10 oder 12 Fuß hoch auf die Oberfläche hinaufzuschwingen. Oben fangen ihre Helfershelfer die übelriechenden Moderbrocken mit eisernen Gabeln auf und packen sie auf Schiebkarren, um sie zu einem geebneten Platze zu transportiren, auf dem sie weiter verarbeitet und geformt werden sollen. Die Räder der Karren sind dabei, um das Einsinken zu vermeiden, mit dichtem Strohgeflechte umwunden, und zuweilen die Füße der Arbeiter desgleichen.

Auf dem „Lagerplatze“ wird der ganze Brei gleichmäßig ausgebreitet, und hier beginnt dann das „Petten“ (das Treten). – Der Torf, wenigstens die beste Sorte desselben, der sogenannte „Backtorf“, muß wie das Brod geknetet oder wie die Trauben gekeltert werden. Die armen Düvelsmöörschen gebehrden sich dabei, wie die Traubenfaßtreter am Rhein. – Stunden lang treten und tanzen sie mit bloßen Füßen in dem Teige herum, um ihm größere Compactheit und gleichmäßige Dichtigkeit mitzutheilen. Es ist der schwerste Theil ihrer schwierigen Arbeit.

Zuweilen trifft es sich, daß noch im Mai starke Nachtfröste eintreten und dabei der ganze Brei sich mit einer Eiskruste bedeckt. Diese Kruste haben sie dann nicht selten am andern Morgen bei der Fortsetzung ihres Knetens mit den bloßen Füßen zu durchbrechen, und dabei fallen oft genug Verwundungen vor, und sicher noch öfter treten Gicht, Rheumatismus, Podagra und andere Gliederleiden ein. Man sagte mir, daß man sich bisher vergebens bemüht habe, diese Arbeit durch Maschinenkraft oder durch Thiere verrichten zu lassen, und daß nur der Mensch sie gut zu Stande bringen könne. Selbst lederne Fußüberzüge oder Stiefeln, die den Meisten ohnehin zu kostspielig sein würden, sollen dem Zwecke des Knetens hinderlich sein. Es gehört der nackte, gelenkige menschliche Fuß mit seinen fünf Zehen dazu.

Nach dem „Petten“ wird die ganze zerarbeitete Masse auf dem Lagerplatze ausgeebnet wie ein kolossaler Kuchen, einen halben preußischen Morgen groß und von der Dicke, von welcher die Torfstücke werden sollen. Mit breiten Holzschuhen springen sie nun hinauf, treten den Brei nieder und bearbeiten ihn auch noch mit Bretern und Schaufeln ganz glatt und eben. Bevor sie diese Masse in solche Stücke, wie sie gewünscht werden, von der Form und Größe unserer Ziegelsteine, zerlegen, machen sie eine Pause von ein paar Tagen, damit der Brei einige Consistenz gewinne. Diese Zwischenzeit muß je nach dem Zustande der Witterung abgemessen werden. Ist die Masse noch zu weich, so würde die Zerlegung nichts helfen. Alles würde wieder in einander verfließen. Wollte man damit aber zu lange warten, so würde der ganze Kuchen anfangen sich zu zerspalten und von langen Rissen durchsetzt werden.

Das Zerlegen geschieht in zwei Tempos. Zuerst werden Längslinien hindurchgeschnitten in einem Abstande von 9–10 Zoll, so lang jedes einzelne Torfstück werden soll, und auf diese Weise das Ganze in „Bänke“ zertheilt. Nach einer abermaligen kleinen Pause von ein paar Tagen, damit die Schnitte etwas vernarben, schreitet man dann zu den Querschnitten, die in den engeren Abständen der Breite der Torfstücke gemacht werden. Und so sind denn diese – der Form nach – fertig und können zum völligen Ab- und Austrockuen abgenommen werden.

Dies Austrocknen geschieht auch recht vorsichtig, sehr gradatim und schrittweise. Die Torflaibe sind anfänglich noch so schlaff und weich, daß man sie nicht gleich in jeder beliebigen Weise aufstellen kann. Sie müssen erst ein wenig auf die lange Kante und dicht neben einander gelegt werden, damit sie sich gegenseitig stützen, in langen sogenannten „Diken“ (Deichen). Wollte man sie gleich in hohen luftigen Pyramiden auftempeln, so würden sie Gefahr laufen, wie an der Sonne geschmolzener Käse auszulaufen und zusammenzusinken. In den „Diken“ liegen sie wieder je nach dem Wetter 8–14 Tage, bis sie, wie die Leute sich ausdrücken „kräftig“ genug werden zum „Ringeln“. Dies Ringeln besteht darin, daß man die nun schon ziemlich steifen Brocken zu kleinen runden spitzen Kegeln so übereinander legt, daß sie nur mit den Enden aufeinander fassen, und daß möglichst große Zwischenräume zwischen ihnen bleiben. Die Kegel sind inwendig hohl, und in dieser Aufstellungsweise [463] können Licht und Luft am besten einwirken, die Törfe völlig stärken und auch innerlich austrocknen.

Das Beste thut daran der Wind, der durch die durchlöcherten Ringeln hinzieht, wie dies auch schon Plinius, wo er in seiner Historia Naturalis vom Torfmachen im nordwestlichen Deutschland spricht, sehr richtig anmerkt, indem er von den alten Chauken sagt, daß sie „die brennbare Erde ihres Landes, mit der sie ihre Speisen kochten und ihren Leib wärmten, mehr mit Hülfe der Winde als der Sonne trockneten.“ Da der Wind natürlich die Spitzen der kleinen Kegel kräftiger angreift, als den Fuß, der auf dem feuchten Boden steht, und in den der Regen hinabsinkt, so wird es zuweilen nöthig gefunden, in diesen Pyramiden das Unterste zu oberst zu bringen oder, wie sie hier sagen, „umzuringeln“. Die kleinen mühsam gebauten Kegel werden umgerissen und dann so wieder aufgebaut, daß nun die bisher untersten Törfe der Wohlthat des Luftzugs, der auf die Spitzen wirk, theilhaftig werden.

Ist der Sommer, wie er es in Nordwestdeutschland oft zu sein pflegt, sehr naß, und kehren Gewitter und Regenschauer häufig wieder, so dürfen die armen geplagten Leute sich die Mühe nicht verdrießen lassen, wie Penelope ihre Arbeit zu zerstören und wieder herzustellen, ihre Pyramiden aufzubauen und einzureißen, unaufhörlich zu „ringeln“ und wieder „umzuringeln“.

Ist diese Bäckerei, bei der man, wie man sieht, nicht, wie beim Brodbacken, über Nacht zum Ziele kommt, die sich vielmehr durch mehrere Monate hinschleppt, endlich gelungen, sind die Torfkuchen innerlich ganz trocken, so beeilt man sich, um die fertige Waare vor ferneren Unfällen – beim Torf heißt das vor Naßwerden – zu schützen. Wie man sie zum Trocknen immer lockerer zerstreuen und vereinzeln mußte, so geht man umgekehrt nun darauf aus, sie immer mehr zu sammeln und in größeren Massen zu vereinigen. Wie jene Zerstreuung, so kann auch diese Vereinigung nur allmählich und stufenweise geschehen. Zunächst legen sie die Brocken noch auf dem Lagerplatze selbst schnell in sogenannte „Klikken“[1] zusammen. Es sind längliche Haufen von 8–10 Fuß Länge, 3 Fuß Breite und 5–6 Fuß Höhe. In diesen „Klikken“ steht der Torf meistens einen Theil des Spätsommers, und kann darin schon manchen Regenschauer, wie es in jener Zeit zu kommen pflegt, vertragen und abschütteln. Es schadet ihm nicht viel, wenn er nur innerlich ganz durchtrocknet ist.

Ist ein fahrbarer Canal in der Nähe, so kann er auch gleich aus den Klikken in die Schiffe verladen und in die Welt verfahren werden. Sonst wird er aus den Kliken zunächst zu den Schiffsplätzen gebracht und dort in großen „Hopen“ (Haufen) aufgestapelt. So kann er nun im Herbste wohl Monate lang liegen, und der bösen October- und November-Witterung trotzen, bis man die Schifffahrt mit ihm antreten und den Markt beziehen kann. Soll die Waare durchgewintert werden, so werden dafür noch größere „Hopen“ (Haufen) gebaut, die wohl 50 kleine Schiffsladungen und mehr enthalten. [474]  

Mitten in dieser Zeit der Haupternte, in welcher ich das Land besuchte, ist der Anblick ein recht unterhaltender. Da aus verschiedenen Ursachen nicht Alle mit ihren Arbeiten ganz gleichmäßig fortschreiten, so sieht man alle möglichen Zustände des Torfs und alle Verrichtungen auf einmal. Hier stehen die Leute noch in den Gräben und klauben die klebrige, schwere Masse los. Dort tanzen sie auf den hochliegenden Lagerplätzen, und kneten den Boden mit hundert beweglichen Beinen. Auf einem anderen Stücke wiederum sind sie mit großen Tranchirmessern beim Aufschneiden und Zerlegen beschäftigt, eine Operation, die sie aus freier Hand, ohne Zirkel und Meßkette sehr geschickt und mathematisch genau vollbringen. Dort wiederum bauen sie ihre Pyramiden, wie Kinder ihre Kartenhäuser, „ringeln“ die Brocken, und „ringeln sie um“.

Zu solchen lebhaften Scenen kommt man aber nur stellenweise, nämlich da, wo das Moor schon angegriffen, wo bereits ein Canal, eine Lebensader in seinen finsteren Busen eingedrungen ist. Und zwischen diesen Stellen liegen wieder ganz unberührte todte Strecken, wo noch keine Ausbeutung möglich gemacht werden konnte. Da, wo ein schiffbarer Canal bereits eingesenkt wurde, glaubt man in das Innere eines offen zu Tage gelegten Bergwerks zu blicken. Der Hauptstrom des Canals geht wie ein offener und horizontaler Schacht gerade fort in das Moor hinein. Die sogenannten „Inwieken“ (oder Seitencanäle) münden unter rechten Winkeln, wie die Stollen, in diesen Hauptschacht ein, und das ganze Wassersystem verzweigt sich durch die Umgegend, wie die Adern eines Blattes. An den Seiten der Canäle, die mit Schiffen bedeckt sind, ist die braune Waare in hohen Mauern und „Hopen“ aufgestapelt. Und rund herum ist die hohe, breite Modermasse in verschiedenen Stufen, in den mannigfaltigsten Formen, wie in einem labyrinthischen Steinbruch zerschnitten, und fällt vom Graben zerklüftet in bunt gestalteten Plateaux und Terrassen mit steilen Wänden zum Wasser ab.

Am Ausgange nach dem Flußthale und dem angrenzenden „Grünlande“ zu, wo es in die Welt hinausgeht, verbreitert sich natürlich das Loch, weil da schon länger gearbeitet wurde, während es sich nach innen hin zuspitzt und an dem Canale zusammenzieht. Die ganze breite, dreieckige Höhlung ist, wie die Kupfergrube bei Falun in Schweden, mit geschäftigen Menschen gefüllt. Ihre „Huttens“, jene rohen Torfmoor-Sennhütten stehen zuweilen gar nicht unmalerisch vertheilt auf den Kanten, aus den Spitzen und Vorgebirgen und in den Schluchten und Rissen, welche durch die Bearbeitung des Moores entstanden sind.

Ich begreife nicht, daß unsere Maler das Leben und Treiben an solchen merkwürdigen Moorhäfen und Torffabrik-Stätten, die sich überall an den zerfressenen Rändern unserer Hochmoore darbieten, noch so wenig aufgefaßt und dargestellt haben. Und doch würden solche Darstellungen nicht nur höchst eigentümliche Bilder, sondern auch Scenen geben, die tausend und tausend Mal in unserm nordwestlichen Deutschland vorkommen, den Bewohnern des Innern desselben sehr geläufig sind und daher eine vaterländische Bedeutung besitzen.

Viel Farbenpracht würde bei diesen Bildern freilich nicht entwickelt werden können. Denn Wege und Stege, Land und Wasser, die „Huttens“ und ihre berußten Bewohner, Alles ist mit der einen dunkeln Tintenfarbe des Moores überzogen.

Die Leute scheinen für die Naturfarbe ihres Landes eine patriotische Vorliebe zu gewinnen. Wenigstens ist die schwarze Farbe bei ihnen in so hohem Grade die Feiertagsfarbe, daß ihre Weiber z. B. für den Sonntag, und namentlich, wenn sie zum Abendmahle gehen, ihre ganze Kleidung, alle ihre seidenen Bänder, ihre Schürzen, auch ihre Sommerstrohhüte und die Blumen auf den Hüten kohlschwarz färben. Wenn man sie zur Kirche strömen sieht, glaubt man eine von einem allgemeinen Unglück betroffene Bevölkerung trauernder Pilger vor sich zu haben.

Auf den noch ganz wilden Partieen des Teufelsmoores findet man nicht nur eine solche ab- und zufluthende Hüttenbevölkerung, wie ich sie beschrieb, sondern auch eine permanente. Die armen Leute des Moores, die ersten noch unbemittelten Besiedler eines noch uncultivirten Strichs wohnen Winter und Sommer in eben solchen primitiven „Huttens“, die in ihrer inneren Einrichtung an die Zeiten erinnern, wo noch nicht das Fensterglas, die Ziegelsteine, auch keine Säge und Hobel erfunden waren. Denn von allen diesen Dingen und Instrumenten ist kaum etwas bei dem Bau ihrer Wohnungen verwendet.

Die Mauern oder Fundamente derselben bestehen aus in kleinen Dämmen aufgehäuften Torfsoden. Die Dächer – ich sagte schon, daß das Ganze eigentlich nichts als ein auf den Boden gesetztes Stück Dach sei, – sind aus schilfbedecken Zweigen und Sträuchern componirt. Im Inneren ist Alles ein zusammenhängender, der Wärme wegen möglichst enger Raum, in welchem durch einige unbehobelte Baumäste für die Schlafstätten der menschlichen Bewohner und für die Stallung der einen mageren Moorkuh und der drei zottigen Moorschafe, aus denen ihr Viehstand besteht, Abtheilungen zu Stande gebracht sind.

Die uralte, etwas abgetrocknete Oberfläche des Hochmoores bildet die Flur und die Tenne des Hauses. In der Mitte derselben ist statt des Heerdes ein wenig Sand aufgehäuft, das der Hütteneigenthümer sich unten am Rande des Moores, wo einmal ein Schiff mit einer Sandladung anfuhr, und wo ein wenig von diesem kostbaren Artikel liegen blieb, zusammenkarrte. Dies Häufchen Sand bildet den Heerd. Ein Paar wurzelreiche Torfsoden, die man draußen grub, glimmen und schwehlen Tag und Nacht auf diesem Sandheerde. Um ihn, der sich in der Mitte der Hütte befindet, kriechen die kleinen mageren und scrophulösen Kinder herum. Neben ihm sitzt die Mutter auf einem Klotze, wie eine Irländerin ihr kurzes Tabakspfeifchen im Munde, als wäre die Atmosphäre noch nicht räucherig und trübe genug.

Diesem Sandheerde, als erwarteten sie da alles Heil, sind die Gesichter Aller zugewandt, die der Kinder und auch die der Ziegen, Schafe, Kühe und Schweine, die, wenn Du bei den Leuten Platz genommen hast, dicht hinter Deinem Rücken grunzen und brüllen und Deinen Rockzipfel beschnüffeln. Für den Rauch und alle sonstigen Dünste giebt es nur einen einzigen Ausgang, die enge Thür, die nach Süden hin in der Torfmauer ausgeschnitten ist, und zugleich auch der Eingang für Menschen und Vieh und für die aus- und einkriechenden treuen Hunde ist. – Die Aeste und natürlichen Auswüchse, welche man an den Dachsparren und dem Gebälke des Hauses belassen hat, dienen zum Aufhängen der Kleider, der Werkzeuge und aller kleinen Habseligkeiten, die rings in dem Hüttchen herumhängen, wie in der Trödelbude eines Lumpenhändlers in dem Judenviertel von Amsterdam.

Ich hatte mir bisher gar nicht vorgestellt, daß es in unserm Deutschland noch solche Zustände gäbe. Ich denke mir aber, diese „Huttens“ der Hochmoore sind der Beachtung und der Beschreibung werth, erstlich, weil sie sich noch jetzt aus allen wilden Mooren vom Teufelsmoore bis nach Holland hin vielfach finden, und dann aus historischen Rucksichten, weil sie vermuthlich das urälteste Wohnhaus jener Gegenden sind, und uns einen Begriff davon geben können, wie die alten „Chauken“ und „Angrivarier“ hier gehaust haben mögen. Das ganze germanische Land und Volk hat hier wahrscheinlich mit selben „Huttens“ angefangen, wie noch jetzt hier im Moor fast jede Colonie zu allererst mit ihnen beginnt.

Was mit der Zeit aus den Nachkommen dieser armseligen Hüttenleute werden kann, das sah ich mir nun am folgenden Tage an, an welchem ich mich aus dem so eben geschilderten Wallhofer Moore, auf der Nordseite der Hamme-Niederung, in eine schon ganz cultivirte und mit zahlreichen „Fehncolonien“, stark bevölkerten und wohlhabenden Dörfern, besäte Partie des Teufelsmoores auf der Südseite dieser Flußmulde hinüberschiffen ließ.

Hier ist seit etwa 100 Jahren aus einem mehrere Meilen langen Striche das garstige Teufelsmoor bis auf wenige Reste weggegraben, und es leben dort nun in einer Localität, wo ehedem, wie gesagt, nicht einmal wilde Vögel oder Füchse existiren konnten, Tausende von zufriedenen Menschen. Ich spazierte einen ganzen Tag lang durch eine Reihe von freundlichen Dorfschaften, von denen die eine vor 30, die andere vor 50, noch eine andere vor 100 Jahren begründet war.

Man kann keinen stärkeren Gegensatz und keinen wohlthuenderen [475] deren Contrast sehen, als den eines solchen Colonistendistricts mit dem zur Seite liegenden unheimlichen Hochmoore.

Eine schönere, erfreulichere und nützlichere Eroberung hat die Civilisation der Neuzeit wohl nirgends zu Stande gebracht, als in der Beseitigung der nordwestlichen deutschen Hochmoore und in ihrer zauberhaften Umwandlung von Wüsten zu lachenden Fluren. – Wie bei den vom Meere bedräuten Marschen die Deiche, so waren hierbei umgekehrt, wie gesagt, die Canäle die vornehmsten Zauberstäbe und die Seele des ganzen Unternehmens. Beide Erfindungen, die des Deiches wie die des Canales, sind von den Holländern ausgegangen und von ihnen oder von denen, welche ihnen nachahmten, durch die ganze Niederung zwischen Schelde und Elbe aus ausgebreitet worden.

Es ist bemerkenswerth, daß wir den Marschen-Deich und seine zauberischen Wirkungen in den Marschen zuerst gehabt, den Moorcanal aber erst viel später erhalten haben. Schon zur Römerzeit gab es Deiche in Batavien, und auch alle unsere deutschen Marschen waren längst eingedeicht und blühend, als in unsern Mooren, wegen der fehlenden Canäle, noch alles Leben schlummerte, stockte und faulte. Die Holländer begannen mit Entwässerung, Canalisirung und Bebauung ihrer Moore und mit Anlegung ihrer Fehncolonien erst im 16. Jahrhunderte. Im folgenden 17. Jahrhunderte rückte diese Cultur zuerst in den nordwestlichsten Zipfel von Deutschland, in Ostfriesland ein, und erst seit dem 18. Jahrhunderte fing man in Nachahmung der Ostfriesen und Holländer auch im „Teufelsmoore“ und in den anderen Morästen zwischen Weser und Elbe sich zu rühren an.

Zum Theil gingen die Impulse dazu von den Regierungen aus, – auch erwachte der Associationsgeist, und den Regierungen stellten sich Gesellschaften zur Seite, – aufopferungslustige und unermüdlich eifrige Männer traten als Reformatoren auf, wie der genannte Findorff im Teufelsmoor, – aber fast jedes Moorland hat so seinen Findorff erzeugt. Ohne die kräftig helfende Hand eminenter Geister und starker Vergesellschaftungen wäre die Sache nicht in Gang gekommen, und die Hüttenbewohner hätten, wie die Moose der Moore, in ihren elenden Zuständen noch Jahrhunderte lang, wie zu der Chaukenzeit, fortvegetirt.

Indem ich, wie gesagt, am folgenden Tage durch die Dörfer Huttenbusch, Neu St. Jürgen, Otterstein, Mooringen, Lünighausen, Westerwehe wandelte, kehrte ich zu Zeiten bei den guten Leuten ein und ließ mir von ihnen erzählen, wie ihr Vater oder Großvater als ein armer Hüttenbewohner mit einer Kuh oder mit ein paar Schafen ausgesetzt, wie weit er anfangs für diese Thiere das spärliche Gras und Heu zusammengesucht, wie mühselig er erst den Buchweizen, dann seine Kartoffeln und endlich ein kleines Getreidefeld cultivirt habe, – wie ihm dann der Canal zu Hülfe gekommen, und wie nun der Torf kräftig weggeschafft, ausgeräumt und verhandelt worden sei, wie dadurch die Capitalkräfte sich gemehrt und gestärkt hätten, und mit ihnen dann die Heerde, die Stallungen, das Wohnhaus und der Acker so erweitert und gewachsen wären, wie ich sie jetzt im Besitze des Enkels sähe.

Nach einer allgemeinen seit frühesten Zeiten hergebrachten Gewohnheit haben unsere niedersächsischen Bauern, wie in ihren alten westphälischen Dörfern, die Möser in seinen patriotischen Phantasien geschildert hat, auch in diesen neuen Colonien ihre Gehöfte in weiten und gemächlichen Abständen neben einander gelegt und haben sie mit frischen Gehölzen von Eichen und anderen Bäumen, unter denen die hellfarbigen Wohnungen hervorschimmern, umgeben. Hier im Teufelsmoore haben sie vielfach die Mode, das Balkenwerk der Häuser mit einer recht muntern blauen Farbe, und das Gemäuer dazwischen mit glühendem Roth zu überziehen, und dies giebt zwischen dem schattigen Grün der Bäume recht freundliche Contraste.

In den meisten dieser weitläufigen Gehöfte wohnen jetzt wohlhabende Bauern. Und Nothleidende, Dürftige findet man in solchen Moorcolonien – selbst in den kleineren Häusern kaum. – Das Getreide stand überall in schönster Fülle, und da, wo sonst kein Häschen hinreichende Nahrung für sich fand, waren jetzt die Halme so lang, daß, wie einer der Bauern sich ausdrückte, ein Mann sich aufrecht in’s Feld stellen und die Aehren sich über dem Kopfe zubinden könnte. – Die Wiesen, über die sonst die Irrlichter tanzten und anderer Spuk, denen das Teufelsmoor seinen Namen verdankt, sein Wesen trieb, waren jetzt mit völlig befriedigten und schmucken Wiederkäuern reichlich bedeckt.

Da man in den Mooren meistens nicht Alles ganz bis auf den tief liegenden Untergrund herabgraben darf, vielmehr noch ein wenig von dem ursprünglichen Moore liegen lassen muß, um das Land über dem Niveau der Flüsse und ihrer Ueberschwemmungen zu erhalten, so blickt überall, wo er nackt gelassen wurde, jener alte braune Untergrund noch zwischen dem auf diesen Canevas eingesticken Teppiche der Aecker, Gärten und Gehölze hervor. Das ganze heitere Bild schwimmt noch gewissermaßen in dem alten braunen Rahmen, der überall auf den Wegen, an den Gräben, in der Ackerkrume, im Staube des Landes sich zu erkennen giebt. Auch stehen noch überall neben den freundlichen Häusern, wie Trümmer oder Ruinen eines noch nicht völlig niedergerissenen Gebäudes, dicke hohe Blöcke des alten Hochmoores selbst, die zuweilen ein paar Morgen im Umfang haben.

Diese schwarzen, auf den Seiten regelrecht abgeschnittenen Torfbänke nehmen sich recht wunderlich und fremdartig in der so heiter umgestalteten Umgebung aus, zu der sie nicht mehr passen wollen. Es sind die Brennstoffmagazine der Bauern, die nun ganz sparsam damit umgehen, und sie vorsichtig beschneiden und benutzen, wie ein Stück Rindenrest, von dem man das Brod bereits verbrauchte.

Die Oberfläche dieser Bänke ist mit sorgfältig getretenen und sauber zerschnittenen Torfkuchen, wie ich sie oben beschrieb, bedeckt. Und zu den Seiten der grade abgestochenen Mauern sind, wie eine Raritätensammlung, die alten Wurzelstöcke und Baumäste, die man als Ueberreste untergegangener Wälder in den unteren Schichten des Moores fand, in Reihe und Glied aufgestellt. Die Leute ziehen sie aus dem Moorgrunde hervor, putzen sie aus, lassen sie mit ihren Torfkuchen trocknen und verbrauchen sie als Brennholz.

Alle hiesigen Bauern, die ich über dies merkwürdige Fossil sprach, waren mit dem Umstande bekannt, daß man viele der alten Stämme aus der Tiefe herauszöge, die vom Feuer angebrannt und verkohlt seien, und erwähnten mir desselben als eines Beweises, daß einst lange vor ihnen und auch noch vor der Bildung ihrer Torfmoore ein untergegangenes Geschlecht von Menschen auf dem Untergrunde existirt, gehaust, geheizt, gebraten und gekocht haben müsse. Ich brauche nicht zu sagen, daß es sehr bekannt ist, daß unsere Moräste auch noch sonst die Sammelplätze vieler anderer Antiquitäten sind, die auch auf solche alte Urbewohner hindeuten.

Im Ganzen, kann man sagen, hat der Mensch auf dreierlei Weise und in drei großen Perioden in diesen Moorgegenden gewohnt. Zuerst, ehe es Moore gab, in unvordenklichen Zeiten als Jäger in dichten Wäldern auf dem niedrigen trocknen Grunde, – darauf schon zu Zeiten der Römer, nachdem die Wälder in dem aufgestauten Wasser verschlungen und die Sumpfpflanzen vermodert und aufgeschichtet waren, auf den Hochmooren, in den „Huttens“ als armseliger Torfbauer und Haidschnuckenschäfer, – dann wieder seit 100 Jahren nach Wegräumung der Moore auf dem geputzten, gedüngten und von Neuem bewaldeten Untergrunde als wohlhäbiger Ackerbauer zwischen Kornfeldern und künstlich bewässerten Wiesen.



  1. Das Wort „Klik“, Plur. „Klikken“, heißt so viel, als kleine Massen, Portionen. Es hängt wohl mit unserm hochdeutschen „Kleks“ zusammen.