Ein Besuch auf der preußischen Flotte

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Titel: Ein Besuch auf der preußischen Flotte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 334–336
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[334]
Ein Besuch auf der preußischen Flotte.

In der Meerenge Gellen, zwischen Stralsund und Rügen, liegt das kleine Eiland Daenholm, die Hauptstation, gewissermaßen das Mutterhaus der jungen preußischen Flotte. Nach dieser Insel also lassen wir uns von einem östlichen Außenwerke Stralsunds, dieses mächtigen preußischen Seebollwerks, überfahren.

Unsere Blicke werden zuerst von der großen Sternschanze angezogen, die auf dem linken Theile der Insel auf einem Hügel sich hoch über die Meeresfläche erhebt und mit ihren schweren Geschützen nach Rügen und Stralsund hin und nach beiden Längen die Meerenge beherrscht. In der Mitte der Insel erheben sich ansehnliche Gebäude, das Wohnhaus des Commandanten und die Kaserne; rechts führt uns ein längs eines Canals sich schlängelnder Fußsteig zu einem kleinen, zum Aufenthalt für geringere Schiffe ausgebaggerten Bassin. Hier ist das eigentliche Asyl für die kleineren, [335] nur zum Schutze der Küsten dienenden Fahrzeuge unserer jungen preußischen Marine.

Schon von fern fallen uns eine Menge preußischer Kriegsflaggen auf, welche, anscheinend dicht über dem Wasserspiegel schwebend, lustig im Winde flattern; näher kommend, erblicken wir ein zahlloses Gemisch von kleinen, kaum drei Fuß hohen, am Bug und Stern abgerundeten, auf beiden Seiten mit zwei mächtigen Geschützen versehenen Fahrzeugen – den sogenannten Ruderkanonenbooten. Am Ufer erheben sich in einer langen Reihe die zu ihrer Aufnahme während des Winters oder für vorkommende Reparaturen bestimmten festen Schuppen. Ueberall, auf allen Booten rege, geschäftige Thätigkeit. Hier wird unter der Leitung eines alten ergrauten Sergeanten, der schon mit den Rispiraten an der Nordküste von Afrika sich herumschlug und die Expedition nach China und Japan mitmachte, die frisch eingezogene Mannschaft der Seewehr am Geschütz und mit dem Zündnadelgewehr ausgebildet; dort manövriren zwei Ruderjollen: bald vor-, bald zurückgehend, bald mit raschen Wendungen seitwärts ausbiegend, suchen sie dem Gegner die Blöße abzugewinnen; gleichmäßig, wie auf einer mittelalterlichen Galeere, senkt sich eine Masse von mächtigen Rudern in die blaue Fluth; ein kurzes Commando, und in einem Nu ragen die eben noch leicht über das Wasser dahingleitenden Hebel in die Luft. In aufrechter Haltung im Hintertheil des Bootes, auf der wettergebräunten Stirn die Mütze mit der breiten goldenen Borte, das Abzeichen des Seeofficiers, an der Seite den fein verzierten Degen, die gedrungene, kernige Gestalt des Commandeurs, eines noch jungen Fähnrichs zur See. Noch vor einem halben Jahre sah man dieselbe Gestalt im einfachen Seemannsanzuge, mit Cirkel, Lineal und anderen nautischen Instrumenten versehen, zur Navigationsschule ihre Schritte lenken. Der junge Mann gebrauchte weder zwei-, noch dreijährige Dienstzeit, um seine jetzige Staffel zu erklimmen; er machte sein Steuermanns-Examen, wurde beim Ausbruch des deutsch-dänischen Krieges als sogenannter Seedienstpflichtiger eingezogen und bestand nach mehrwöchentlicher Ausbildung sein Officier-Examen. So glückte ihm in vier Wochen auf dem Wasser eine Carriere, die manchem Avantageur zu Lande sehr viel Kopfzerbrechen verursacht. Wohl mögen die Herren Cameraden zu Lande, welche erst nach entsetzlich vielen Torturen an Leib und an Seele sich zu dem herangebildet haben, was dort ein brauchbarer und tüchtiger Officier benamset wird, etwas scheel auf den Herrn Cameraden zur See sehen, der nach ihrer Meinung auch gar zu plump in seinem Auftreten ist, seine rohen Seemannsmanieren durchaus nicht ablegen will, sein freies und offenes Wesen nicht in jenes bekannte affectirte, seine rauhe, aber ehrliche und gemüthvolle Redeweise nicht in jene näselnde so mancher Landratten zu verwandeln sucht und noch dazu fast dreimal so viel Gage bezieht, als sie. Was uns aber anbetrifft, so sagen wir: Alle Achtung vor diesem Mann, der, fast von Kindesbeinen an gehärtet auf stürmischer Fluth, mit unzähligen Mühen und Beschwerden gekämpft und, kühn Wind und Wellen trotzend, schon so manches Mal einem schrecklichen Tode in’s bleiche Antlitz geschaut hat, bis es ihm, indem er Staffel auf Staffel erklomm, vom Kajütenjungen, Halbmann, Jungmann bis zum Matrosen, endlich vergönnt war, auf der Navigationsschule sich die für einen preußischen Steuermann erforderlichen theoretischen Kenntnisse zu erwerben. Freilich würde er, sollte er die Uniform eines preußischen Landsoldaten anziehen, gewiß ebenso, wie viele seiner Brüder, mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ehe er im Stande wäre, seine wiegende Seemannshaltung in die kerzengrade, straffe Parade-Haltung des Landsoldaten zu verwandeln; doch hier auf blauem Grunde ist er so recht in seinem Element. Und auch die lustigen Jungen in ihren blau- und weißgestreiften Hemden, den blauen Jacken und Hosen und der mit fliegenden Bändern versehenen Mütze, auch sie haben alle Achtung vor den Befehlen ihres Commandeurs, sie fühlen, daß er gewohnt ist, in brüllender See mit ruhigem Commandoton das Schiff durch die brechenden Wogen zu leiten, sie wissen, daß ihr Commandeur keinen Spaß versteht, wenn er in dem Landes-Dialekt, der derben, gewichtigen, plattdeutschen Redeweise, Etwas anordnet und, gemüthlich die feinen weißen Officier-Glacé-Handschuhe von den rauhen Händen streifend und in die Rocktasche schiebend, auch wohl selbst wacker Hand mitanlegt. Fast sämmtlichen der kleinen Ruderkanonenboote ist als Commandant einer von diesen kürzlich erst zum Officier beförderten, nach Beendigung des gegenwärtigen Krieges zu entlassenden Leuten, sogenannten Auxiliar-Officieren, zuertheilt, während auf den größeren Dampfkanonenbooten meistentheils Lieutenants zur See befehligen, die schon länger im königlichen Flottendienst sind. Die Mannschaft der ganzen Flottille zeigt in ihrem ganzen Auftreten überall jene ruhige, nie anmaßende Würde, jene gemüthliche Heiterkeit und, sobald es die Noth erfordert, jene kräftige, energisch eingreifende Thätigkeit, welche den niederdeutschen Seemann vor sämmtlichen anderen auszeichnet, so daß seine Tüchtigkeit von allen Völkern rühmend anerkannt wird. Fast überall hört man unter ihnen den derben, kraftvollen und doch gemüthlich aufheiternden plattdeutschen Dialekt, ob sich derselbe nun in der härteren vorpommerschen, in der mehr johlenden hinterpommerschen, in der breiten mecklenburgischen, oder der noch breiteren Ausdruckweise der Danziger Niederung äußert; ja sogar das unglückliche, so lange geknechtete meerumschlungene Land hat manche seiner Söhne zur preußischen Flotte gesandt, um ihren alten Erbfeind auch zur See mit zu bekämpfen, weil ihnen zu Lande dies nicht vergönnt war.

In einem öffentlichen Local Stralsunds, wo eine Sängergesellschaft unter instrumentaler Begleitung verschiedene Lieder vortrug, erblickte ich unter vielen anderen zur preußischen Marine gehörenden noch jugendlichen Individuen zwei ebenfalls in der blauen Jacke steckende feste, gedrungene Gestalten. Ihre ernste Haltung, ihre ruhige, gemessene Würde, der Heiterkeit ihrer Cameraden gegenüber, die schon von tiefen Furchen durchzogene Stirn, das blondbärtige, wettergebräunte Antlitz, aus dem treuherzig die blauen Augen hervorlugten, kündigten mir an, daß ich durch die Stürme des Lebens bereits gereifte Männer vor mir hatte. Da erschollen vom Orchester durch die Halle die Klänge des „Schleswig-Holstein meerumschlungen“. Die ernsten Mienen der beiden Männer belebten sich, langsam stahlen sich Zähren aus den Augen und rollten über die Wangen; doch, von plötzlicher Wuth erfaßt, erhebt jetzt der eine der beiden Männer die markige Faust und läßt sie dröhnend auf die Tischplatte niederfallen, während sein minder heftig erschütterter Gefährte ihn zu besänftigen sucht. Nun war mir klar, wer die beiden Männer waren. Auf sie zugehend und ihnen die ausgestreckte Hand hinhaltend, fragte ich: „Wohl Schleswig-Holsteiner?“ Und mit kräftigem Händedruck antwortet der eine: „Joa, Härr, dat sünd wi, un wisen will’n wi’t den Dänen, dat wi’t sünd.“ (Ja, Herr, das sind wir, und zeigen wollen wir’s den Dänen, daß wir’s sind.) Aus näheres Befragen erfuhr ich noch, daß der eine der beiden Männer aus Schleswig, der andere aus dem Dithmarsischen war. Beide hatten durch die Erpressungswuth der Dänen schon ungemein gelitten, ihre Familien der Obhut ihrer Verwandten übergeben und Alles im Stiche gelassen, um während der Dauer des Krieges in den preußischen Flottendienst zu treten. Wahrlich, eine so heilige Begeisterung, ein so hoher Muth, eine solche Aufopferungsfähigkeit verdienten, neben die größten Beispiele der Geschichte gestellt zu werden!

Das sind die Bestandtheile unserer jungen Marine, und wo solche Männer unsere Schiffe bevölkern, da können wir wohl hoffen, auch einen ungleichen Kampf mit riesigen Kolossen, gegen die unsere Kriegsschiffe wie winzige Bootchen sich ausnehmen, mit Erfolg zu bestehen.

Wir steigen jetzt in ein Boot, das uns von einem Officier freundlich dargeboten und mit fünf rüstigen Blaujacken besetzt ist, um uns die außerhalb des Bassins im Gellen längs der Rügenschen Küste in einem weiten Halbkreis ankernden Dampfkanonenboote ein wenig aus der Nähe anzuschauen. „Wenn de Dinger blos ’n bäten mihr stühmten (von steam, Dampf), denn wullen wi den Danske-Mann woll Toback gäwen,“ (wenn die Dinger nur ein wenig mehr Dampf entwickelten, dann wollten wir dem Danske-Mann [Dänen] wohl mehr Tabak geben [zusetzen]) meint unser alter Matrose am Ruder, und der Mann hat nicht so ganz Unrecht. Hätten die Kanonenboote bei dem Seegefecht bei Saßnitz auf der Halbinsel Jasmund es wagen können, den Dänen ein wenig näher auf den Pelz zu rücken, ohne bei ihrer geringeren Schnelligkeit befürchten zu müssen, abgeschnitten zu werden: die Dänen hätten jedenfalls weit mehr gelitten.

Als Beispiel von der vortrefflichen Bedienung unserer Flotten-Geschütze kann ich nicht umhin, noch folgenden Vorfalles während des Seegefechtes zu erwähnen, der mir von einem glaubwürdigen Augenzeugen erzählt worden ist.

[336] „Ein Bombardier auf der Arkona fragt im heftigsten Gefecht, auf den nächsten dänischen Koloß zeigend, den Capitain: ,Härr Captein, wuhr söalen wi em foaten?’ (Herr Capitain, wo sollen wir ihn fassen?) Der Capitain bezeichnet ihm das Bugspriet. Kaltblütig richtet der Mann das Geschütz, feuert ab, und im nächsten Augenblick senkt sich das Bugspriet des Dänen und fällt in die hoch aufspritzende Fluth.“

Unser Boot bringt uns jetzt an einen kleinen Raddampfer, der, zierlich und leicht gebaut, zwischen den Schrauben-Kanonenbooten liegt. Wir würden glauben, ein kleines Fluß-Dampfboot vor uns zu haben, wenn uns die drohend über Bug und Stern hinüberschauenden Mündungen von zwei mächtigen Geschützen nicht eines Besseren belehrten. „Dat oll lütt Dings hett den Dänen doch endlich gepäpert“, (das kleine Ding hat den Dänen doch ordentlich gepfeffert) bemerkt einer von unseren Ruderern. Es ist die „Loreley“. Ein Augenzeuge des Gefechts bei Saßnitz schildert die Loreley, wie sie auf das größte dänische, unbeweglich daliegende Kriegsschiff losdampfte, wie eine ausgelassene Dirne, die mit Erwachsenen spielen will, welche aber auf ihr Spiel nicht eingehen. „Die beiden ersten Kugeln der Arkona und Nymphe gingen über die Dänen hinweg, während die Loreley dem Linienschiff Skjold gleich eine Kugel in die Weichen sandte, daß die Splitter umherflogen, und hoher Gischt auf dem schäumenden Gewässer emporspritzte. Wie ein losgelassener Stier brüllte der Däne los, indem er der Loreley eine volle Lage gab. Ungetroffen neigt sie kokett das Köpfchen, fliegt spottend in die vom Admiralschiff ihr angewiesene Stellung zurück und setzt dort ihr verhängnißvolles Singen fort. Wie spielend sendet sie ihr tödtliches Geschoß in die dänischen Kolosse, und neckend dreht sie sich wie eine kokette Schöne, wenn sie dem Dänen die unverdauliche Speise zu kosten gegeben hat.“

„Hier fiel der Lootse Berg,“ erfahren wir von einem auf die eine Seite der Commandobrücke (Brücke zwischen den Radkasten, Platz des Capitains) deutenden Matrosen. Der Lootse Berg aus Thießow auf der Halbinsel Mönkgut war der einzige Todte, den die Loreley zu beklagen hatte. Aufgefordert von dem neben ihm stehenden Commandanten der Loreley, dem tapferen Capitain Kuhn, die gefährliche Stelle zu verlassen, erwiderte er, daß dies der Platz sei, der ihm neben dem Capitain allein gebühre. Und er hatte Recht, der wackere Lootse; auch jetzt, in diesem schweren Augenblick, wie immer, wenn Sturm und Brandung die einzigen Feinde des Seemanns sind, war es seine Pflicht, auf dem gefahrvollen Posten auszuharren, und das Schiff sicher vor allen Untiefen zu bewahren. Zu der Erfüllung dieser seiner Pflicht traf den braven Seemann ein Stück von einer Kugel, die auf den Radkasten aufgeschlagen war, und verwundete ihn so, daß er nach mehreren Stunden schon seinen Geist aufgab. Noch sehe ich das ernste, würdevolle, aber bleiche und schon die Spuren des herannahenden Todes zeigende Antlitz des pflichtgetreuen Mannes, als er, von einem Transportdampfer gebracht, durch die Straßen der Stadt Stralsund zum Militär-Lazareth getragen wurde. Trotz seiner gewiß furchtbaren Schmerzen kam kein Klagelaut über seine Lippen, und kühn schaute das muthige Auge, wie dem Feinde, so auch dem bereits herannahenden Tode entgegen. Ueberall, wohin der Zug mit dem Verwundeten kam, geballte Fäuste und Verwünschungen gegen den Feind, selbst Knaben hörte man sich darüber beklagen, daß sie noch nicht im Stande seien, an dem Dänen ihr Müthchen zu kühlen. Wie große Theilnahme aber der Lootse Berg, der erste Gefallene der preußischen Marine, erregt hat, zeigt der Umstand, daß für seine nunmehr des Ernährers beraubte Familie in einigen Tagen eine namhafte Summe Geldes gesammelt war.

In kräftigen Ruderschlägen bringt uns unser Boot wieder zur Insel. Von der Daenholms-Kaserne her ertönt das Signal zum Schluß der Arbeit. Die Fähre nach der Stadt füllt sich schnell mit lustigen Wasserratten, welche trotz ihrer Verachtung alles dessen, was auf festem Grund und Boden lebt und wirkt, es doch nicht unterlassen können, in Gesellschaft von Landratten ihr Glas „steifen Grogs“ behaglich hinunterzuschlürfen. Auch wir steigen in die Fähre und kehren zur Stadt zurück. – Mögen die Erfahrungen dieses jüngsten Kriegs mit der schwächsten europäischen Seemacht nicht abermals für Preußen verloren sein! Oder soll man von Deutschland reden? Soll man zum tausendsten Male den Herren am grünen Tisch in der Eschenheimer Gasse vorhalten, daß, wenn sie die deutsche Flotte nicht einmal vermehrt, sondern nur in gutem Stand erhalten hätten, das für das große Deutschland so schmachvolle Piratenspiel der Dänen unmöglich gewesen wäre? Der ganze Krieg würde nicht weniger rühmlich geendet haben, wenn er auch weniger Blut gekostet und dem deutschen Volksvermögen zur See weniger schwere Wunden geschlagen hätte, als dies abermals der Fall war.