Ein Besuch bei einem Schwarzkünstler

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Textdaten
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Autor: S. A.
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Titel: Ein Besuch bei einem Schwarzkünstler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 624
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[624] Ein Besuch bei einem Schwarzkünstler. „Wenn Sie heute nichts vorhaben, fahren Sie mit mir zu Karl Fröhlich,“ sagte eine meiner Freundinnen. „Sie dürfen Berlin nicht verlassen, ohne diesen liebenswürdigen Künstler, den liebsten Freund der Kinderwelt, kennen zu lernen.“ – Mit Vergnügen leistete ich der Aufforderung Folge, und nach ziemlich langer Fahrt hielten wir in der Elisabethstraße Nr. 17, vor einem Häuschen, das sich von den kleinen, unansehnlichen Gebäuden der Nachbarschaft in keiner Weise unterscheidet. Eine enge hölzerne Stiege führt zur ersten Etage und zu einer Thür, an welcher der Name „Karl Fröhlich“ und einige in schwarzem Papier ausgeschnittene Figuren uns überzeugten, daß wir das Ziel unserer Wanderung erreicht hatten. Bald saßen wir in dem engen Stübchen des bescheidenen Künstlers, der die Blouse des Arbeiters nicht abgelegt hat, und ließen voll Bewunderung und Erstaunen die Welt seiner Schöpfungen, die uns aus einer Anzahl größerer und kleinerer Albums entgegentrat, an uns vorüberziehen.

Humoristische Gruppen von Fischern, Bauern und Handwerkern, die mannigfaltigsten Scenen aus der Kinderwelt, Blumensträuße, Seestücke, weidende Heerden, springende Hunde und Pferde, Schmetterlinge, Vögel, Käfer und tausend andere Dinge, sämmtlich mit der Scheere aus schwarzem Papier geschnitten, kamen da beim Umschlagen der Blätter in unendlicher Mannigfaltigkeit zum Vorschein. Gestalten und Scenen in Miniatur, so voll Naturtreue und originellen Lebens, so vollendet in der Zeichnung, so künstlerisch in der Gruppirung, daß wir Stunde auf Stunde bei den kleinen Wunderwerken hätten verweilen können, zu deren Herstellung Fröhlich kein anderes Material verwendet, als ein Stück schwarzes Papier, kein anderes Werkzeug, als eine spitzige, ziemlich große Scheere. Abgesehen aber von der zarten Ausführung der Details, die wir erst beim Beschauen durch die Loupe in ihrer ganzen wunderbaren Feinheit zu erkennen vermögen – abgesehen von der Correctheit der Zeichnung, welche aus dem liebevollsten, sorgfältigsten Studium der Natur beruht, abgesehen endlich von dem Reiz der Composition, tritt bei Fröhlich noch ein Moment hinzu, welches seine Productionen zu unübertrefflichen Kunstwerken in ihrer Art stempelt. Fröhlich ist Dichter. Er sieht mit dem Auge des Poeten, und fast auf jedem der schwarzen Bildchen und Bilder, die dem wirklichen, realen Leben mit so beschränkten Mitteln nachgebildet sind, liegt ein Hauch von Poesie, welcher sie zu idealen Gestaltungen erhebt.

Und fabelhaft ist die Schnelligkeit, mit welcher jene kleinen Kunstwerke unter Fröhlich’s Händen entstehen. Anscheinend zweck- und achtlos drehte er, während wir uns lebhaft mit ihm unterhielten, ein zusammengefaltetes Stückchen schwarzes Papier zwischen Fingern und Scheere hin und her, und als wir aufbrachen, überraschte er uns durch das Geschenk eines winzigen Jagdstücks von zartester Ausführung und einer wunderbar zierlichen Gemse auf steilem Felsgrat, die da, ohne daß wir es eigentlich bemerkt hatten, vor unsern Augen entstanden waren.

Der äußere Lebensweg Karl Fröhlich’s ist, wie der vieler tüchtiger Menschen, durch Disteln und Dornen, gegangen. Sein Vater, ein armer Flickschuster, vermochte die zahlreiche Familie, die ihm geschenkt war, nur kümmerlich zu ernähren, und die Kinder mußten schon frühzeitig daran denken, ihre schwachen Kräfte zu verwerthen, um die Sorgenlast der Eltern zu erleichtern. Karl verdiente schon als heranwachsender Knabe seinen Lebensunterhalt durch häusliche Arbeiten, die er bei einem benachbarten kleinen Handwerker verrichtete, und nachdem er mit vierzehn Jahren die Schule verlassen hatte, war er mit seiner Existenz so ziemlich auf sich und die Arbeit seiner Hände angewiesen. Um Beschäftigung bemüht, stand er eines Tages mit vielen andern Altersgenossen vor dem Berliner Intelligenzcomptoir, als ein Herr nach einem Laufburschen verlangte. Er war sogleich von einer Menge von Bewerbern umdrängt und rief endlich, um der schweren Wahl überhoben zu sein: „Wer mir zuerst sagt, wieviel 14 Mal 17 ist, soll die Stelle haben.“ – „Zweihundertachtunddreißig!“ rief Karl Fröhlich und damit war er Laufbursche in der Nauk’schen Buchdruckerei. Späterhin gelang es dem anstelligen, intelligenten Knaben als Lehrling in diesem Geschäft einzutreten, und nun begann für ihn die glückliche Zeit, wo er, seinem Wissensdrange folgend, die erste Grundlage zu seiner Bildung legte. Ein verkommener, alter Candidat der Theologie, ebenfalls ein Nachbar aus jener engen Straße der Königsstadt, in der Karl Fröhlich’s Wiege gestanden hatte, unterstützte den Trieb des Knaben, indem er ihm mit den wenigen Büchern aushalf, die er besaß – und als mehrere Jahre später der junge Mann als Buchdruckergehülfe auf die Wanderschaft ging, begleiteten ihn einige gute Bücher, obgleich sonst sein Ränzel sehr leicht war und der Beutel nur wenige Silbergroschen enthielt.

In Stralsund, wo Fröhlich die erste längere Rast hielt, empfing er eine Anregung, welche auf sein ganzes Schicksal bestimmend einwirken sollte. Er war bei einer Tante eingekehrt, der Schwester seiner Mutter, welche das ihrer Familie eigene Talent zum Ausschneiden mit der Scheere als Erwerbszweig benutzte und zu allen Festlichkeiten, die in der Stadt begangen wurden, die damals beliebten Lichtmanschetten von Papier lieferte. Auch am Abend nach der Ankunft des Neffen waren zu einer Hochzeit eine Anzahl solcher Manschetten bei der Tante bestellt. Der junge Mann sah zu, wie sich unter ihren geschickten Händen allerlei Figuren, Blätter und Arabesken bildeten, und endlich griff er selbst zur Scheere, um einen Versuch in der Kunst zu machen, die er nie geübt hatte. Dieser Versuch gelang über alles Erwarten. Hatte er anfänglich nur nachgeahmt, so ging er bald zu eignen Erfindungen über – die Beschäftigung interessirte ihn, und als er am Abende im Auftrage der Tante die Manschetten selbst abgab, erregten die neuen Nüancen sogleich die Aufmerksamkeit des Bestellers, eines Rathmannes der Stadt. Auf die Aussage Fröhlich’s, daß er selbst der Gehülfe der Tante gewesen, zeigte ihm der Rathmann einige der schwarzen, meisterhaft geschnittenen Bilder von Müller in Düsseldorf, in deren Besitz er sich zufällig befand, und hier bekam der junge Mann zum ersten Male einen Begriff von dem, was sich in der Psaligraphie erreichen läßt. Die Scheere wurde fortan seine treue Begleiterin. Unermüdlich benutzte er jede freie Stunde, um sich in der „schwarzen Kunst zu vervollkommnen - ein glücklicher Formensinn und ein gebildeter Geschmack kamen ihm zu Hülfe, und als er nach jahrelanger Wanderschaft nach Berlin zurückkehrte, hatte er sein Vorbild, den Düsseldorfer Müller, bereits vollständig erreicht. „Ich studire Anatomie an seinen Bildern,“ sagte neulich ein bedeutender Maler, um auszudrücken, bis zu welchem Grade es Karl Fröhlich gelingt, auch im winzigsten Maßstabe die Natur zu copiren.

Zur Vervielfältigung seiner schwarzen Bilder bedient sich Karl Fröhlich des Holzschnittes, und eine Menge Kinderschriften sind von ihm bereits in dieser Weise illustrirt. Die von ihm selbst herausgegebenen „Fabeln und Erzählungen für große und kleine Kinder“ erlebten mehrere Auflagen, ebenso sein „ABC für artige Kinder in Silhouetten und Reimen“. Sein „Buntes Allerlei, Reim und Bildchen nagelneu,“ sowie die von Karl Koch componirten Kinderlieber mit Silhouetten: „Primeln und Veilchen“, gehören zu dem Reizendsten, was wir in dieser Art kennen.

S. A.