Ein Besuch in Pompeji (Die Gartenlaube 1861/49)

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Titel: Ein Besuch in Pompeji
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 773–776
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Besuch in Pompeji.


Es war im Jahre 1748, als ein Landmann am Fuße des Vesuv beim Graben eines Brunnens auf die Ueberreste eines Hauses und, als der Schutt weggeräumt war, auf ein gemaltes Zimmer stieß und dadurch die erste Spur von Pompeji auffand. Ueber anderthalb Jahrtausende hatte die Erde geborgen gehalten, was einst dem Leben so schnell und entsetzlich geraubt worden war. Da gab sie es wieder von sich oder ließ es sich entreißen, um durch die Denkmäler des Todes und der Zerstörung der Wissenschaft und der Kunst neue Lebensfunken einzuhauchen. Schon früher hatte man bei Gelegenheit des Baues eines königlichen Palastes in Portici Herculanum entdeckt. Damals saß auf dem Throne der beiden Sicilien Carl III., der einzige der italienischen Bourbonen, den die Geschichte unter die Zahl der guten und weisen Fürsten eingeschrieben hat.


In den Straßen von Pompeji.


Er bewies für die neue Entdeckung ganz außerordentliches Interesse und befahl schleunigen Beginn der Ausgrabungen. Im Jahre 1755 war das Amphitheater bereits an’s Tageslicht gefördert, und so dauerten denn, freilich mit sehr wechselndem Geschick und sehr verschiedener Gunst oder Ungunst der jedesmaligen Regierung, die Arbeiten bis auf diesen Tag und haben seit dieser Zeit, also in einem Zeitraume von 113 Jahren, gerade ein Viertel der Stadt den wiß- und schaubegierigen Augen des modernen Geschlechts zu enthüllen vermocht.

Wir glauben unseren Lesern kein anschaulicheres Bild von Vergangenheit und Gegenwart des interessantesten und großartigsten Ueberrestes aus dem Alterthume geben zu können, als wenn wir die Schilderung des Augenzeugen aus jener Zeit der unsrigen vorausschicken. „Mehrere Tage vorher schon“ – so erzählt uns Plinius der Jüngere, der sich am 24. August des Jahres 79 nach Chr. Geb. mit seinem Onkel, dem bekannten Naturforscher, zu Misenä, dem damaligen Ankerplatze der römischen Flotte, befand – „hatten wir die Stöße eines Erdbebens verspürt. Wir waren wenig davon überrascht, weil das eine in Campanien sehr häufige Erscheinung ist. Diesmal jedoch wurden dieselben so heftig, daß sie nicht nur Alles auf das Stärkste erschütterten, sondern zu zerstören drohten. Obgleich es Morgen war, so herrschte doch nur ein außerordentlich schwaches und unzureichendes Licht. Alle Gebäude bebten, und obschon wir auf offenem Platze standen, mußten wir bei der Enge und Dichtheit der Straßen und der damit drohenden Gefahr die Stadt verlassen. Die Menge folgte uns in höchster Bestürzung, und, wie das den von Schrecken befallenen Gemüthern eigen ist, daß jeder fremde Rath ihnen mehr gilt als der eigene, so drängte man sich um uns und folgte uns auf unserm Wege. Als wir eine gute Strecke von den Häusern entfernt waren, standen wir still in der Mitte einer höchst gefährlichen und erschreckenden Scene. Die Wagen, welche wir heraus beordert hatten, rollten dergestalt hin und her, daß wir sie selbst mit Unterlegen von großen Steinen und auf ganz ebener Erde dennoch nicht zum Stillstehen bringen konnten. Die See schien in sich selbst zurückströmen zu wollen und durch das Erdbeben von ihren Ufern vertrieben zu werden. Das Ufer war ganz bedeutend ausgedehnt, und verschiedene Seethiere blieben auf der trockenen Erde liegen. Auf der andern Seite des Golfes erhob sich eine schreckliche schwarze Wolke, platzte unter Bildung einer schlangenartigen Flamme, stieß eine lange Masse von Feuer aus und war einem furchtbaren, ganz außergewöhnlichen Blitze zu vergleichen. Bald darnach schien die Wolke niederzusteigen und den ganzen Ocean zu bedecken, und in der That war von der Insel Capri und dem Vorgebirge Misenä nichts mehr zu sehen.

Meine Mutter beschwor mich, rasch zu entfliehen, was ich bei der Schnelligkeit meiner Jugend leicht hätte thun können. Sich [774] selbst anbelangend, so glaubte sie, ihr Alter und ihre Corpulenz mache ihr das ganz unmöglich; sie wollte indessen gern den Tod erleiden, wenn sie nur die Genugthuung hätte, mich gerettet zu sehen. Ich jedoch verweigerte es durchaus, sie zu verlassen, nahm sie bei der Hand und führte sie weiter. Sie willigte nur ungern ein und fuhr fort darüber zu klagen, daß sie meine Flucht verhindere. Nun begann Asche auf uns zu fallen, wenn schon nicht in großer Masse. Ich wandte mich um und sah einen dicken Rauch, der wie ein Bach sich hinter uns drein wälzte. Ich schlug vor, da es noch hell genug war, von der Straße abzubiegen, damit meine Mutter in der Dunkelheit von der uns folgenden Menschenmenge nicht zu Tode gedrückt würde. Kaum hatten wir die Straße verlassen, als dichte Finsterniß uns überfiel, nicht die einer wolkigen oder nicht vom Monde erhellten Nacht, sondern wie die eines ganz und gar verschlossenen, durch kein Licht erleuchteten Zimmers. Nichts war zu hören als das Wehklagen der Frauen, das Weinen der Kinder und das Rufen der Männer. Die Einen schrieen nach den Kindern, die Andern nach den Eltern, diese nach ihren Gatten (denn nur durch die Stimme konnten sie einander unterscheiden und erkennen). Jene beklagten ihr eigenes Loos oder das ihrer Familie. Mehrere wünschten zu sterben aus Furcht vor dem Tode, Andere wieder erhoben ihre Hände zu den Göttern. Die Mehrzahl bildete sich ein, die letzte und ewige Nacht sei gekommen und mit ihr der Untergang der Götter und der Welt. Unter diesen gab es solche, die das wirkliche Uebel noch durch eingebildetes vergrößerten, indem sie Andern glauben machten, Misenä stände wirklich in Flammen.

Endlich brach ein Lichtschimmer durch. Wir hielten es eher für den Vorläufer eines neuen Ausbruchs der Flammen, als für das, was es in der That war, nämlich die Wiederkehr des Tages. Das Feuer fuhr indeß fort niederzufallen. Dann wieder wurden wir in dichte Dunkelheit eingehüllt. Ein heftiger Schauer von Asche regnete nieder. Dann und wann, wollten wir nicht davon eingehüllt oder verbrannt werden, mußten wir sie von unserm Leibe abschütteln … Endlich verschwand nach und nach die Finsterniß gleich einer Wolke von Rauch. Der Tag kam wirklich wieder, und sogar die Sonne erschien, obgleich sehr schwach und wie von einer beginnenden Verfinsterung bedeckt. Alles, was sich rund um uns dem sehr angegriffenen Auge darbot, schien verändert und mit weißer Asche, gleich tiefem Schnee, überzogen. Wir kehrten nach Misenä zurück, wo wir uns, so gut es ging, erholten, und verbrachten zwischen Furcht und Hoffen eine ängstliche Nacht. Leider war ersteres Gefühl überwiegend, denn das Erdbeben dauerte fort, während mehrere überspannte Köpfe umher rannten und ihre und ihrer Freunde Uebel durch gräuliche Weissagungen vermehrten.“

Am entgegengesetzten Ufer des Golfes von Neapel, vier deutsche Meilen in gerader Richtung entfernt von dem Standpunkte des römischen Schriftstellers, herrschten zu derselben Stunde desselben Tages alle Schrecken des verheerenden Elementes. Dort lag dicht am Fuße des wildtobenden Berges die blühende Hauptstadt des sonnigen Campanien, das reizende, üppige, vergnügungssüchtige Pompeji, der vielbesuchte Sommeraufenthalt des römischen Patricierthums. Was den Bewohnern von Neapel, Bajä und Misenä nur zum Schrecken geschah, das gereichte denen von Pompeji und einigen andern benachbarten Orten, wie Herculanum, zum Verderben und zur Zerstörung. Nur Weniges von ihren Habseligkeiten rettend, flüchteten sich die Einwohner, 20,000 an der Zahl, rasch nach allen Richtungen. Mehrere wurden unter dem Gräuel der Verwüstung begraben, und die blühende Stadt selbst wurde ihr großes Grab, überdeckt von der Asche des Vesuv, einem einförmigen weißen Leichentuche.

Wenn wir heute die Stätte jener ungeheuern Verwüstung aufsuchen, nachdem abermals über hundert Jahre seit ihrer Wiederentdeckung vergangen, so begegnet unser Auge einem unvergleichlichen Bilde.

Wir betreten von dem „Thore der Marine“ her das Innere der Römerstadt. Draußen Alles buntes Leben, lebendige Bewegung und modernes Treiben, hier drinnen ernstes Schweigen, tiefste Ruhe und ewiger Stillstand. In raschem Fluge hat uns die Eisenbahn von Neapel hierhergebracht. In der Veranda des dicht an der „Station Pompeji“ gelegenen italienischen Wirthshauses finden wir ein hastiges Kommen und Gehen von Touristen aller Nationen, gemischt mit dem Geschrei der Kutscher, der Geschäftigkeit der Kellner, dem Geklimper und Geplärr italienischer Troubadours und dem Gewimmer der Bettler. An dem Eingangsgitter zu dem die Stadt umschließenden Erdwall werden wir von einer Schaar amtlicher Ciceroni aufgehalten. Ein langes Hin- und Herreden um den Preis für die Führung hemmt unsere ungeduldigen Schritte. Endlich werden wir auch dieses letzten Scandals ledig und wir treten ein in die Todtenstadt, wo mit einem Male der ganze Ernst der Vergänglichkeit uns umgiebt und der Geist des classischen Alterthums alle anderen Eindrücke des modern-italienischen Lebens verdrängt.

Doch folgen wir nicht weiter dem Fluge der Phantasie in jene fremde, großartige, vergangene Welt, sondern betrachten wir zuerst mit ruhigem und zerlegendem Blicke, was sich uns zur objectiven Betrachtung hier darbietet.

Pompeji ist in elliptischer Form gebaut, und sein Umkreis mag wohl eine deutsche Meile betragen. Es ist rings von Mauern umgeben, außer auf der Südwestseite; sei es, daß sie dort bei der Belagerung durch Sulla zerstört wurden, sei es, daß der rasche Fall des Bodens nach dem Meere zu sie unnöthig erscheinen ließ. Die Mauern sind aus schweren Tuff- und Travertin-Blöcken, ohne Kitt, sehr solid und in bedeutender Breite aufgeführt und meist doppelt, die äußere etwa 25, die andere gegen 40 Fuß hoch und beide durch einen 15 Fuß breiten Erdwall verbunden. Auf den Steinen finden sich noch pelasgische und oscische Schriften. Einzelne Thürme, meistens in der Nähe der Thore errichtet, bedeckten den Wall in seiner ganzen Breite; sie haben Bogengänge zum Durchmarschiren für die Truppen und Oeffnungen für Ausfälle bei Belagerungen. Augenscheinlich später gebaut als die Mauern, sind sie durch absichtliche Zerstörung jetzt nur noch Ruinen. – Acht Thore führten nach Herculanum, dem Vesuv, Capua, Nola, dem Sarno, Nocera, Stabiä (heut Castellamare) und ans Meer.

Die Straßen sind meistens sehr eng, und nur in den größeren kann es möglich gewesen sein, daß zwei Wagen, selbst von der geringen Breite, wie sie bei den Alten Sitte war, an einander vorbei kamen. Das Pflaster ist solid aus großen, eckigen, an einander gepaßten Lavablöcken, an den Seiten finden sich, etwa 1 Fuß erhöht, Trottoirs; die Geleise der Wagenräder sind noch deutlich zu sehen; auch giebt es Steine zum Aufsteigen für Reiter, sowie Löcher in den Seitenwegen zum Anbinden der Pferde. Brunnen an den Straßenecken und auffallende Reliefs auf den Pflastersteinen, die gegen bösen Zauber schützen sollten, sind nicht selten. Die Straßen sind meistens gradlinig und durchschneiden sich rechtwinkelig.

Bei den Privathäusern ist es nicht immer möglich gewesen, den Namen des Besitzers festzustellen; man nennt sie daher theils nach den darin gefundenen Gemälden und Statuen, so das Haus der Tänzerinnen, des Faun, des Narcissus, Apollo, Adonis, Meleager, Castor und Pollux, des dramatischen Dichters; theils nach den fürstlichen oder sonst hochgestellten Personen, in deren Anwesenheit sie ausgegraben wurden, so das Haus des Großherzogs von Toscana, des Königs von Preußen, des Kaisers Joseph, des Generals Championnet, der Großfürsten von Rußland; theils nach der vermuthlichen Beschäftigung der Inhaber, so das Haus des Arztes, weil hier medicinische Instrumente gefunden wurden, des Hufschmieds, des Apothekers, des Bildhauers etc. Die meisten dieser Privatwohnungen sind einstöckig; nur die besseren zählen zwei, sehr selten drei Geschosse. Die Kramläden sind eng und ärmlich; fast alle einander ähnlich, haben sie vorne den Raum für’s Geschäft, sind nach der Straße zu weit offen, mit einem großen, gemauerten Verkaufstische und einem kleinen Ofen etwa, wenn es eine Speisewirthschaft war; nach hinten ein oder zwei kleine, dunkle Wohnzimmer; Fenster giebt es da nirgends. Es war also zu jenen Zeiten, wie es heute noch ist, und die damaligen Kneipen und Cantinen scheinen sich so wenig verändert zu haben, als die Fischer und Barkenführer, die wir auf den pompejanischen Wandgemälden schon im selben Costüm, mit denselben rothen, beutelartigen Mützen erblicken, wie sie ihre neapolitanischen Confratres noch heute tragen. Manche dieser Boutiquen haben über der Thüre in rother oder schwarzer Farbe den Namen des Kaufmanns; bei anderen Anstalten deuten Figuren in terra cotta an, was darinnen zu haben ist; so bezeichnet eine Ziege einen Milchladen; zwei Männer, die eine Amphora tragen, eine Weinschenke; zwei Fechter eine Gladiadorenschule; ein Junge, der auf dem Rücken eines andern festgehalten und von einem Manne durchgeprügelt wird, eine Schule (?).

Die Häuser der Reichen, wenn auch geräumiger, verrathen [775] doch in ihrer Construction ein Volk, das den größten Theil des Tages unter freiem Himmel zuzubringen geneigt war. Nach der Straße zu findet sich immer ein ganz bescheidener Eingang, die Räumlichkeiten an beiden Seiten hatte der Hausherr gewöhnlich an Kaufleute, Krämer, Wirthe vermiethet, was ihm, nach den Wandinschriften zu urtheilen, einen guten Pfennig abgeworfen haben muß. Der Rest des Hauses erscheint, wie das Leben der Römer, in zwei Theile getheilt, einen öffentlichen und einen privaten. Im ersteren eine offene area von einem Säulengang umgeben, darin dann wieder ein oder mehrere Zimmer zum Warten und die Loge des Thürstehers; darauf das atrium, die Halle, wo der Patricier seine Clienten zu empfangen pflegte; die Wände sind mit Gemälden und Arabesken geziert, der Fußboden stets von Mosaik; an den Seiten zuweilen noch kleine Zimmer, alae, sowie Gemächer für Fremde, hospitia. Im zweiten, inneren Theil ist ein geräumiger, in der Mitte ganz freier Hof, peristylium, um den eine bedeckte Colonnade geht, die den doppelten Zweck erfüllt, zu den verschiedenen Zimmern zu führen und bei Regenwetter zur Promenade zu dienen. Hier finden wir den Garten, mit Statuen und einem Fischbehälter, die Wohn-, Schlaf- und Badezimmer und den Salon. Kein einziges dieser Häuser hat jedoch einen Kamin aufzuweisen, obschon man Kohlen vorgefunden hat; auch eigentliche Armenwohnungen fehlen bis jetzt ganz – sollte Pompeji keine Armen gehabt haben? – und ebenso Ställe oder Remisen; die Pferdeskelette, die man aufgefunden, lagen im Hofraum der Wirthshäuser. Die chirurgischen Instrumente deuten auf einen hohen Grad medicinischer Bildung, doch ist von einem Spital keine Spur. Künftige Ausgrabungen werden wohl ein Licht hierauf werfen.

Die Gräberstraße, welche den westlichen Ausläufer der Stadt bildet, hat einen durchaus römischen Charakter. Der vor dem Herculanumthor liegende Theil derselben bildet eine Art Vorstadt, wie es scheint, das aristokratische Viertel; hier ist die Villa des Diomedes, eine der größten Privatwohnungen, die eine reiche Ausbeute an Schmucksachen, Hausgeräthe, Statuetten, Gemälden und Münzen gegeben; zwei menschliche Skelette wurden bei der Gartenthüre, achtzehn andere, zum Theil mit goldenen Hals- und Armbändern, im Innern gefunden. Die geringe Anzahl der im Ganzen in Pompeji entdeckten Leichen läßt vermuthen, daß es den meisten Einwohnern gelang, sich zu retten. Auch deuten die vielen in die Mauern gehauenen Löcher darauf hin, daß die Bewohner durch dieselben in’s Freie gelangten, wenn man nicht jene Oeffnungen auf Rechnung späterer, interessirter Nachgrabungen schreiben will.

Mit Ausnahme weniger Frescogemälde, Amphoren, Statuetten u. s. f. sind alle hier gefundenen Sachen längst nach Neapel in’s Museo Borbonico gewandert, wohin auch heutzutage noch alle neu entdeckten Kunst- und Alterthumsschätze kommen, einschließlich sogar der Wandmalereien, die man mit ihrem Grund recht geschickt auszubrechen versteht.

Gegenüber der Villa des Diomedes ist ein Wirthshaus, und weiter hinauf, sowie jenseit des Thores, sind Grabdenkmäler der angesehensten Familien. Auch Cicero’s Villa, das Haus der Vestalinnen mit seinem gastlichen Salve an der Schwelle, dessen innere Verzierungen indessen nicht sehr vestalischer Natur sind, und ein Zollhaus sehen wir in dieser Straße. Besonders bemerkenswerth, außer den genannten Wohnungen, sind noch: das Haus des Sallust, des Pansa, des Centauren, die Schenke in der Mercuriusstraße und das höchst wichtige Haus des M. Lucretius. Die neuesten Ausgrabungen in der Nähe des großen Theaters haben noch mehrere sehr interessante Wohnungen mit gut erhaltenen Gemälden bloß gelegt.

Von den öffentlichen Gebäuden zieren die meisten die Südseite von Pompeji. An der Großartigkeit der Ausfassung, dem Reichthum und dem Kunstsinn in der Ausführung erkennen wir den großartigen, stets auf das Allgemeine gerichteten Sinn der Alten.

Von den Tempeln nennen wir nur den säulenreichen des Jupiter, aus Ziegelsteinen und Tuff errichtet; er wird an imposanter Schönheit nur übertroffen von dem Tempel der Venus, 150 Fuß Länge, bei 75 Fuß Breite, der von einem 12 Fuß breiten Porticus mit 48 dorisch-korinthischen Säulen umgeben ist; ferner den sogenannten griechischen, auch Neptun- oder Hercules-Tempel, das älteste Gebäude der Stadt, leider fast ganz zerstört; und den Tempel des Augustus oder das Pantheon, mit vielen Statuen und reichen Decorationen, aber auch mit einem Ueberfluß an Speisen und Getränken versehen, deren Ueberreste hier gefunden wurden. Ebenso deuten die culinarischen Wandgemälde stark darauf hin, daß hier zu Ehren der Götter zuweilen tapfer getafelt wurde. Das Iseon, oder aedes Isidis, weil der Isis-Cultus, gesetzlich verboten, nur geduldet werden konnte, ist besonders für Alterthumsforscher interessant; hier wurden viele Skelette gefunden, unter andern das eines Mannes, der sich mit dem Opferbeil durch zwei Mauern einen Weg gebahnt hatte und umkam, ehe er die dritte durchbrochen. Im Innern des Heiligthums steht ein langes, hohles Piedestal für Statuen, mit niedrigen Seitenthüren an der Treppe, durch welche der Priester ungesehen hinunterkriechen und dann seine Orakel geben konnte, als gingen sie von der Statue der Göttin aus.

In allen Priesterwohnungen fanden sich ansehnliche Summen Geldes, denn, sagt schon Euripides,

„das Pfaffenvolk war stets nach Gelde lüstern.“

Von nützlichen öffentlichen Gebäuden hat Pompeji eine große Zahl; da sind zwei Bäckereien, in denen Gefäße, Mulden, Korn und Mehl gefunden wurden; eine Musik-Akademie; ein städtisches Aerarium; ein Kornhaus mit den Normal-Maßen für Oel, Korn, Wein etc. – In einem Gefängniß fand man mehrere Skelette mit Ketten an den Füßen.

Ferner sind bemerkenswerth: das Senatshaus; das Forum mit seinen Statuen und Colonnaden, der größte und imposanteste Platz der Stadt; das dreieckige Forum; die öffentlichen Bäder (thermae) für beide Geschlechter, in denen wir die zweckmäßige, bequeme, luxuriöse Einrichtung bewundern müssen; die Basilika oder das Tribunal mit einem unterirdischen Gewölbe für die Verbrecher; ferner ein kleines Theater (Odeon) unt das große Theater. Letzteres konnte über 5000 Personen fassen; man unterscheidet deutlich das Parterre oder den privilegirten Platz, wo die Tribunen, Ritter und andere Vornehme ihren Sitz hatten; das Orchester mit den erhöhten bisellia für die höchsten Beamten; hinter dem Parterre amphitheatralisch aufsteigend die Sitze für die Plebejer; endlich hoch oben, „im Paradies“, nach Art unserer Logen von einander getrennt und durch dünne Eisengitter dem Blicke des Publicums entzogen, saßen die Frauen. Am Ostende der Stadt ist das Amphitheater, wie gewöhnlich in elliptischer Form (die größere Axe hat 430 Fuß), allerdings kleiner und weniger alt als das zu Santa Maria di Capua, doch besser erhalten; die Einrichtung ist noch jetzt deutlich zu erkennen. Nach genauer Berechnung hatten hier über 10,000 Personen Platz. Verbinden wir mit dieser Thatsache die Angabe des Dio Cassius, wonach die Bürger beim Ausbruch des Vesuv gerade im Amphitheater waren, so können wir uns den geringen Verlust an Menschenleben erklären. Der fallende Aschen- und Feuerregen schnitt ihnen den Rückweg in die dem Verderben geweihte Stadt ab, und sie konnten, nach Osten fliehend, sich retten.

Nahe bei dem großen Theater stand die Caserne, in der Waffen aller Art, Schmucksachen, Arm- und Halsbänder gefunden wurden. Letztere Gegenstände lassen unverkennbar auf Damenwelt schließen, die das Haus des Mars noch außer dessen Söhnen beherbergte. Von den 63 Skeletten, die in dieser Caserne ausgegraben wurden, lagen 34 an einem Thoreingange – vielleicht die Wache an jenem Unglückstage, die treu auf ihrem Posten verharrend den Tod fand.

Dies im Allgemeinen die Umrisse der Formen, wie die alte Stadt selber sie uns bietet. Aber Pompeji liegt nicht mehr ganz in Pompeji. Das neapolitanische Museum birgt einen Haupttheil, wir meinen seine Kunstschätze, seine Inschriften, seine Mosaikböden und seine Hausgeräthe. Um die Römerstadt vollständig zu verstehen und ganz zu genießen, ist es unbedingt nöthig, auch hier einige Stunden, ja, wenn man kann, mehrere Tage zu verweilen.

In sieben Sälen des museo borbonico Neapels (jetzt museo nazionale) sind die verschiedenen Geräthschaften, Schmucksachen und Waffen, und in mehreren Hallen und sonstigen Räumen die Gemälde und Statuen aufgestellt. Es würde zu weit führen, wollten wir mit unseren Lesern einen Gang durch all diese Dinge aus der alten Welt anstellen. Wie würde die weibliche Welt bewundernd anhalten vor den prachtvollen geschnittenen Steinen, vor den eleganten Schmucksachen in etruskischem Style und endlich vor den Ueberbleibseln, die Küche und Keller und Conditorladen der staunenden Nachwelt geliefert! Hier das zierlich gearbeitete Glasgefäß mit den eingemachten Früchten, da die zum Dessert reichlich aufgeschichteten Nüsse und Mandeln, hier wieder der achttheilige Kuchen mit dem Namen des Bäckers oben aufgedrückt, dort die [776] kühlen Weinbehälter mit dem innern aus vollen Inhalt deutenden Beleg. Mit all diesen Dingen nun muss man Pompeji beleben, wenn man es mit voller Freude genießen und mit vollem Vortheil durchwandern will. Da die bourbonische Regierung aus gerechter Furcht vor dem unter ihrem Scepter so fröhlich gedeihenden Diebstahl Alles, was nicht nagelfest war, aus der Stadt forttragen ließ, so ist diese selbst dadurch etwas öde und verlassen geworden, und nur wenn man sich Penaten, Statuen, Dreifüße, Trinkgeschirre und Toilettengeräthe wieder an ihre Stelle denkt, gewinnt das Ganze wieder frisches Leben und lebendige Bedeutung; und nicht viel Phantasie gehört dazu, weiter zu schauen und weiter zu träumen, sich auch noch Bulwer’s großartige und reizende Gestalten aus seinen „Letzten Tagen von Pompeji“ hinzu zu denken und mit ihnen Straße, Theater, Forum, Schmink- und Badezimmer zu bevölkern. Und wie anmuthig sieht Pompeji dann aus, wenn wir es so betrachten, auf der erhabenen Schwelle des Jupitertempels am Forum stehend! Vor uns der große weite Platz, darauf die Glaucus’ und Pansa’s und Diomedes’ in wallenden, elegant gefalteten Togen plaudernd auf- und abschreiten. Zur Rechten auf dem curulischen Stuhle der ernste Prätor, umgeben von der ehrerbietig dem Ausspruch des Gesetzes harrenden, buntgemischten Menge; zur Linken die Halle der Senatoren, jener Männer, deren Typus Jahrhunderte lang die Welt beherrschte, Gestalten voll Würde, Kraft und Bedeutsamkeit. In weitem Kreise vor uns die Ausläufer der Apenninen, ein vielgipfeliges, wolkenhohes Waldgebirge, an dessen Fuße das heutige Castellamare liegt mit seinen buntschimmernden Landhäusern und seinen schattigen Gärten von „Quisisana“ – „hier genes’t man“; rechts das smaragdene Meer, seine Barken und Segelschiffe; im Hintergründe Sorrento, die von Orangenwäldern umgebene Geburtsstadt Tasso’s, und Capri, die lockende Sireneninsel der Odyssee; links das sonnige Campanien, die Campania felix der Alten, wie es sich zwischen dem Küstengebirge und der Hauptkette der Apenninen, ein weites fruchtbares, von blühenden Dörfern und Städtchen besäetes Thal, bis nach La Cava und Salerno hinzieht; – und alles das überstrahlt von Italiens tiefblauem, wolkenlosem Himmel und umweht von seinen lauen Lüften, unter denen jeder Blick und jeder Athemzug die Strophe eines Gedichtes in uns erbauen möchte, denn was wir sehen und was wir athmen, ist lebendige Poesie in Körper und Gestalt.

Die Ausgrabungen in Pompeji selbst wurden seit dem Tage der Entdeckung in sehr verschiedener Weise betrieben und trugen immer den Charakter der jedesmaligen Regierung an sich. In der letzten Zeit, unter der Herrschaft von Ferdinand und Franz, lag auch über Pompeji und seinen Schätzen der Fluch der Pfaffen- und Camarillen-Wirthschaft, der Korruption und Bestechlichkeit, der Trägheit und des Vorurtheils. Jährlich waren 6000 Ducaten (12,000 Gulden rhn.) für die Arbeiten ausgeworfen; allein dem Augenschein nach zu urtheilen, ging es diesen Geldern nicht besser als jedem andern Finanzposten im glücklichen Königreiche beider Sicilien. Jedweder, der mit dem klingenden Metall auch nur in die entfernteste Berührung kam, wußte sich seinen Theil davon zu erbeuten. Jeder auf eine andere Manier, Alle aber stillschweigend in der That und in dem Grundsätze übereinstimmend, daß öffentliche Gelder zu bestehlen eigentlich kein Diebstahl sei. So mag es denn gekommen sein, daß bis beute erst so wenig ausgegraben ist, trotzdem daß keine auffällige Mühe und Arbeit für das Wegräumen der lose geschichteten Asche erfordert wird. Und auch das Museum befand sich unter der Herrschaft der Bourbonen in der kläglichsten Lage. Wir wollen nicht von den dunkeln Räumen und der unzweckmäßigen Aufstellung sprechen, die man nirgendwo mehr zu bedauern hatte, als hier in Neapel; Bornirtheit, Mangel an Liberalität und officielle Bettelei verbitterten dem Besucher jeden Schritt, den er in den kunstgefüllten Sälen machte. Die Figuren der Venus, darunter das Original der berühmten „Kallipygos“, waren in einem dunkeln Verließe zusammen mit allen Obscönitäten Pompeji’s eingemauert. Zeichnen oder Photographiren war in der Stadt sowohl wie im Museum verboten, und nur vom Könige persönlich konnte auf dem langen Umwege der Bestechung verschiedener Schranzen die Erlaubniß dazu erlangt werden; und allenthalben, wo man eine Schwelle übertrat, da streckte ein Custode die schmierige Hand entgegen, um Euch mit gieriger Miene um sein buono mano zu langweilen. Freilich, die armen Kerle konnten nicht anders handeln, da sie, wie jeder Beamte des alten Regiments, in der schäbigsten Weise bezahlt und deshalb Alle miteinander aus Diebstahl oder Bettel angewiesen waren.– Das ist besser geworden, seit Garibaldi den frischen Wind der Revolution über den faulen Moder des alten Despotismus wehen ließ. Die Regierung Cavour’s hat Zucht, Ordnung und Anstand in die Verwaltung der kostbaren Schätze gebracht. Hunderte von Arbeitern sind anhaltend unter der Oberleitung des gelehrten Fiorelli beschäftigt, neue Häuser und Straßen zu Tage zu fördern, und auch hier dürfen wir hoffen, daß unter der in Italien die Civilisation vertretenden Regierung Piemont’s bald reckt viel Erfreuliches für Wissenschaft und Kunst geleistet werden wird.