Ein Bild des deutschen Innungswesens im sechszehnten Jahrhundert

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Autor: Fl. Korell
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Titel: Ein Bild des deutschen Innungswesens im sechszehnten Jarhundert
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 734–736
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Bild deutschen Innungswesens im sechszehnten Jahrhundert.
Zur Nutzanwendung für die Gegenwart.


Die Frage wegen Wiederherstellung oder Neubelebung des Innungswesens wird seit einiger Zeit in Presse und Vereinen so lebhaft erörtert und selbst von denjenigen Elementen, welche unser gegenwärtiges Handwerksrecht wesentlich geschaffen, im Rahmen der bestehenden Gewerbe-Ordnung so günstig behandelt, daß es fast scheint, als habe man beim Eintritt in diese neue Gewerbe-Ordnung die bestehenden Innungen als nunmehr inhaltlose Ueberreste den Vergangenheit zu voreilig über Bord geworfen.

Von den grundsätzlichen Freunden des Innungswesens, meist Gegnern unserer ziemlich unbedingten Gewerbefreiheit, hört man daneben vielfach aussprechen, daß ein wirksames, lebendiges Innungswesen dem deutschen Handwerkerstande eine neue Zeit der Blüthe verbürge, da es historisch feststehe, daß aus dem alten Innungswesen jener hohe Standpunkt des deutschen Handwerks namentlich im sechszehnten Jahrhundert hervorgegangen sei, von welchem noch heute manche jetzt kostbare, von den Vätern ererbte Kunstwerke, seien es Trinkgefäße oder Waffen, sei es Hausgeräthe oder goldenes Geschmeide, ein ebenso beredtes wie ehrendes Zeugniß ablegen.

Im Allgemeinen muß zugegeben werden, daß die künstlerischen Formen und die Tüchtigkeit, welche die Arbeiten des deutschen Handwerks in jener Zeit auszeichnen, wenn nicht ausschließlich, so doch in hohem Grade jener strengen Zucht zu verdanken sind, in welcher die Handwerkerarbeiten der damaligen Zeit von den Innungen gehalten wurden. Diese Innungen und Zünfte der Vergangenheit aber zu copiren, davon kann in der ganz veränderten Gegenwart keine Rede sein; was also unter diesem Namen heute sich schaffen läßt, das können sehr nützliche Einrichtungen sein, ob aber die heute möglichen Formen genügen, um die erfreulichen Resultate der mittelalterlichen Handwerksvereinigungen zu garantiren, das muß die Zukunft ausweisen.

Die Probe auf das Gesagte ist leicht mit einem Rückblick auf das alte Innungswesen gemacht.

Die Quellen des deutschen Handwerksrechtes dürften nirgends ergiebiger fließen als in Nürnberg, der Stadt der besten mittelalterlich-deutschen Kleinmeister, woselbst im Kreisarchive noch ein Pergamentcodex bewahrt wird, der alle vom Anfange des sechszehnten bis zum ersten Viertel des siebenzehnten Jahrhunderts in Nürnberg erlassenen Gesetze und Verordnungen über Handwerkswesen enthält. Die folgende Darstellung stützt sich auf die meist wörtlichen Auszüge jener erwähnten Nürnberger Gesetze, welche Dr. Stockbauer unter dem Titel „Nürnbergisches Handwerksrecht des sechszehnten Jahrhunderts“ jüngst veröffentlicht hat.

Beginnen wir mit der Darstellung des Nürnbergischen Lehrlingswesens im sechszehnten Jahrhundert! In der Werkstatt des zünftigen Meisters sollte der Lehrling so vollständig in dem erwählten Handwerk ausgebildet werden, daß er zunächst ein tüchtiger Geselle und schließlich ein tüchtiger Meister werde. Man unterschied scharf zwischen „gesperrten“ und „geschenkten Handwerken“; in ersteren konnten nur Bürgerssöhne das Meisterrecht erwerben, während dasselbe bei den „geschenkten Handwerken“ auch fremden Gesellen zugänglich war. Der Bevorzugung, welche den Bürgerssöhnen das Institut der „gesperrten Handwerke“ gewährte, stand die Verpflichtung gegenüber, daß kein Mitglied dieser Handwerke außerhalb der Stadt sein Handwerk betreibe, und zur Sicherung der Einhaltung dieser Verordnung war bestimmt, daß der Lehrling innerhalb der ersten acht Wochen seiner Lehrzeit Nürnbergischer Bürger werden mußte.

Im Uebrigen mußte jeder Lehrjunge von ehelicher Geburt sein und, meistens in Gegenwart der geschworenen Meister, beim „Pfänder“ eingeschrieben werden. Das Alter der Lehrjungen war im Allgemeinen dahin festgesetzt, daß es das sechszehnte Jahr nicht übersteigen durfte. Die Dauer der Lehrzeit war stets gesetzlich bestimmt, mit dem Verbot, daß von derselben etwas nachgelassen werde; im Uebrigen war sie nicht nur nach den verschiedenen Gewerben, sondern auch nach den Zeitverhältnissen verschieden. Die Gesetze über das Handwerkswesen der damaligen Zeit verfolgen nämlich ausgesprochenermaßen das Ziel, daß jeder Meister durch Ausübung seines Handwerks so viel erwerbe, wie er zum Unterhalte für sich und seine Familie gebrauchte. Deshalb mußte verhindert werden, daß in einem Handwerke die Zahl der Meister zu sehr anwachse. War dieses der Fall, so wurde die Dauer der Lehr- und Gesellenjahre vermehrt. Ein Gleiches geschah bei sogenannten schlechten Zeiten. Abgesehen von diesen Ausnahmefällen betrug beispielsweise die Dauer der Lehrzeit bei den Pfannenschmieden drei Jahre vor dem Feuer, dazu ein Jahr, um das Weißschlagen zu lernen; bei den Rubinschneidern, wenn Lehrgeld gezahlt wurde, vier, sonst sechs Jahre. Im Durchschnitt kann man die Zahl der Lehrjahre auf drei bis vier annehmen.

Was das Lehrgeld betrifft, so war die Höhe desselben bei den verschiedenen Handwerken wiederum verschieden. Den Rothschmieden war das Annehmen von Lehrgeld ganz verboten; die Maler durften, falls der Lehrjunge kein Bier bei Tische erhielt, höchstens 24 Gulden nehmen, die Lederer 4, die Messingschläger 20 Gulden. – Auch bezüglich des Lohnes der Lehrlinge herrscht dieselbe Verschiedenheit. Bei einigen Handwerken wurde erst in den letzten Lehrjahren Lohn gezahlt, z. B. bei den Goldschlägern im siebenten Lehrjahre wöchentlich 8 Kreuzer. Bei den „Barchetwebern“ wieder richtete sich der Lohn nach der Arbeitszeit; die Schleifermeister hatten wöchentlich 15 Pfennig zu zahlen; bei anderen Handwerken war die Höhe des Lohnes der Vereinbarung überlassen.

Die größte Abweichung von den heutigen Verhältnissen bestand wohl in der bei fast allen Handwerken wiederkehrenden Bestimmung, daß kein Meister zur Zeit mehr als einen Lehrjungen halten und nach Abgang desselben ein bis vier Jahre keinen neuen annehmen durfte. War der Zweck der ersteren Bestimmung zunächst darauf gerichtet, daß die Ausbildung des Lehrlings eine vollständige sei, so hatte die letztere Bestimmung den Hauptzweck, eine zu große Ueberfüllung des Handwerkes zu verhindern. Jene erstere Bestimmung wurde für höchst wichtig gehalten; so war in einigen Gewerbe-Ordnungen ausdrücklich vorgeschrieben, daß, wenn in anderen Städten Lehrjungen „unordentlich ihrer zwei, drei oder vier neben einander gelehrt würden und solche hierher kommen, [735] so sollen dieselben hier nicht gefördert oder zur Arbeit zugelassen werden“. Nur den Goldschmieden und den Kürschnern war gestattet, drei Lehrjungen neben einander zu halten.

Das willkürliche Verlassen der Werkstatt vor Ablauf der Lehrzeit war strenge verboten und wurde an dem Lehrlinge durch die Bestimmung gesühnt, daß derselbe „hinfür seines Handwerks beraubt war und weiter zu lernen nicht zugelassen wurde“. Auf der andern Seite fehlt es nicht an Bestimmungen, welche den Lehrling gegen schlechte Behandlung schützen und in gewissen Fällen ihm das Recht zusprechen, aus der Werkstatt auszutreten, und zwar: wenn er kein ordentliches Essen oder keine ordentliche Lagerstatt erhält, gefährlich mißhandelt, oder mit Arbeit überlastet, oder „durch den Meister oder dessen Weib mit Handarbeit, Kinderwarten oder Anderem so hart beladen wird, daß er in der Werkstatt nicht bleiben könnte und in der Lernung des Handwerks verhindert würde“. In einem solchen Falle durfte der Lehrling von einem andern Meister zum Auslernen angenommen werden, der schuldig befundene Meister aber wurde dadurch gestraft, daß er keinen neuen Lehrling annehmen durfte, bis die Lehrzeit des schlecht behandelten abgelaufen war.

Wie am Anfange der Lehrzeit die Einschreibung, so erfolgt nach Beendigung derselben die Ausschreibung, und zwar beim „Rugsschreiber“, außerdem die Ausstellung des Lehrbriefes, „der unter Wissen und im Beisein der Vorgeber in der Kanzlei unter gemeiner Stadt Insiegel gefertigt werden sollte“.

War der Lehrling freigesprochen, so trat er in den Gesellenstand ein, bezüglich dessen die Hauptgrundsätze in erster Verordnung vom 18. December 1573 enthalten sind. Darnach hatte sich der eingewanderte Geselle zunächst auf die Herberge zu begeben und nach den Zuschickmeistern zu senden, welche ihn an solche Meister wiesen, die nach der Zunftordnung zunächst auf seine Arbeit Anspruch hatten. Da es nämlich Grundsatz des Handwerks der damaligen Zeit war, daß kein Meister vor dem anderen einen Vorzug haben solle, so war sowohl den Meistern verboten, den ankommenden Gesellen Arbeit anzubieten oder sich Gesellen aus der Fremde zu verschreiben, wie auch den Gesellen untersagt, unmittelbar einem Meister ihre Arbeit anzubieten. Beide Theile mußten sich der Vermittelung der Zuschickmeister, beziehentlich der Zuschickgesellen bedienen, welche zunächst stets die Meister zu berücksichtigen hatten, die am längsten ohne Gesellen gewesen waren. Am genauesten waren diese Verhältnisse bei den Buchbindern geordnet: im Hause des ältesten Vorgebers befand sich eine Tafel, auf welche der eines Gesellen bedürftige Meister seinen Namen schrieb; kam nun ein fremder Geselle zugewandert, so wurde er zunächst zu demjenigen Meister gewiesen, dessen Name am längsten auf der Tafel stand. Bei ihm hatte er vierzehn Tage lang zum Mindesten zu arbeiten. Die Annahme als Geselle war für ihn an gewisse Bedingungen geknüpft, zunächst daran, daß er seine Lehrjahre ordnungsmäßig ausgelernt, ferner, daß er von seinem früheren Meister ordnungsmäßig entlassen worden war und auf „redlichen“ Werkstätten (das sind solche, welche innerhalb der Zunftordnung standen) gearbeitet hatte. Waren die vierzehn Tage Arbeit bei dem ersten Meister, zu dem der Geselle gewiesen, abgelaufen, so konnte er entweder bei ihm weiter arbeiten und „Leihkauf“ machen, oder in eine andere Werkstätte gehen.

Was den Lohn betrifft, so mußte derselbe entweder Stück- oder Wochenlohn sein; eine Verbindung beider Lohnarten war verboten. Jener, der Stücklohn, war immer durch Gesetz geregelt, letzterer, der Wochenlohn, vielfach der freien Vereinbarung überlassen. In der Schleiferordnung war der Wochenlohn auf 9 Pfund 30 Pfennig festgesetzt; hatte die Woche zwei Feiertage, so betrug der Lohn 7½ Pfund 30 Pfennig. Bei den Schneidern ergab der Wochenlohn nur 15 Pfennig, doch war den Meistern aufgegeben, die Gesellen beim Trinkgelde zu fördern; die Schuhmachergesellen erhielten für die Woche 5 Kreuzer und den Flicklohn unter 6 Kreuzer nebst Trinkgeld. Der Taglohn der Steinmetzen, Zimmerer und Dachdecker war 32 Pfennig und für jede Stunde Ueberarbeit 4 Pfennig; wegen Versäumniß ward dieselbe Summe abgezogen.

Da bei dieser Gelegenheit die Arbeitszeit in Frage kommt, so mag hinsichtlich dieser hier gleich bemerkt werden, daß bei einigen Handwerken, z. B. bei den Tischlern, die Arbeitszeit nach der Jahreszeit bald länger, bald kürzer war, wonach der Lohn bald sich erhöhte, bald aber sank; bei anderen war die Zahl der Stunden gesetzlich festgestellt, bei den Tuchmachergesellen z. B. auf 13 Stunden. So sehen wir schon zu dieser Zeit den „Normalarbeitstag“ gesetzlich eingeführt. Erhielten die Gesellen bei den Meistern Kost, so mußten sie Kostgeld zahlen; auch dieses war gesetzlich festgestellt, doch haben wir mehrere Beispiele, nach welchen das Kostgeld wegen theurer Zeit durch Verordnung erhöht wurde, z. B. bei den Haftenmachern von 38 Pfennig, zwar nicht, wie die Meister gebeten, auf 72, wohl aber auf 45 Pfennig.

Auch die Qualität der Arbeit ist in den betreffenden Gesetzen nicht unberücksichtigt geblieben: wegen nachlässiger Arbeit wurde vom Lohne ein Abzug gemacht, und für die Messingschläger setzte eine Verordnung fest, daß, wenn ein Geselle dem Meister „an seiner Arbeit muthwilliger Weise etwas verderben oder verwahrlosen würde, so solle der Meister dem Gesellen für solchen Schaden, wie die geschworenen Meister darüber erkennen, wöchentlich einen Gulden in Münz abzuschlagen haben.“ Ueber Streitigkeiten wegen des Lohnes entschied der Rath der Stadt.

Dasjenige, was man heute „Contractbruch“ nennt, war streng untersagt. Die Kündigungsfrist der Gesellen war bei den verschiedenen Gewerben verschieden bemessen, z. B. bei den Kürschnern auf vierzehn, bei den Deckmalern auf acht Tage. Außerdem war es Sitte, daß der Geselle nur am Sonntage austrat. So sagt eine Nürnbergische Verordnung wörtlich und verbietet damit zugleich das eigenmächtige Fortbleiben aus der Werkstatt:

„Es gebieten unsere Herren des Rathes, daß fürbaß kein Handwerksknecht an keinem Werktage seinem Meister von der Arbeit ausstehe, und will ein Knecht oder mehrere Einen schenken oder ihn ausbegleiten, so soll dies an einem Sonntage oder Feiertage und nicht an einem Werktage geschehen; wer dagegen handelt, den will man in’s Loch legen und strafen, wie es einem ehrbaren Rath gerathen erscheint.“

Zu einem „ehrlichen Urlaube“ gehörte auch, daß der Geselle eine angefangene Arbeit nicht unvollendet zurückließ. Ein Zuwiderhandeln wurde bald mit Lohnabzug, bald mit Ausweisung gestraft. Selbst wenn der „ausstehende“ Geselle alle diese Bedingungen erfüllt hatte, durfte er doch nur dann, wenn die Lösung des Arbeitsverhältnisses vom Meister ausgegangen war, in der Stadt nach anderweiter Arbeit sich umsehen, und zwar wiederum in der Weise, daß er auf die Herberge ging und die Vermittelung der Zuschickgesellen in Anspruch nahm.

War aber die Kündigung des Arbeitsverhältnis von dem Gesellen ausgegangen, so mußte er an demselben Sonntage die Stadt verlassen und durfte erst nach Ablauf einer gewissen Zeit wieder nach Nürnberg, um Arbeit zu suchen, zurückkehren.

Wegen gesetzlicher Feststellung der Gesellenjahre gilt dasselbe, was bei den Lehrlingen gesagt ist; nur kamen hier auch noch Fälle vor, in denen diese Gesellenjahre auf’s Unbestimmte verlängert wurden. Als z. B. im Jahre 1613 die Zahl der Schuhmacher eine übergroße geworden war, setzte man durch Verordnung fest, „daß kein Geselle mehr Meister werden solle, bevor nicht die gegenwärtigen Meister bis auf vierzig abgestorben seien“.

Hatte der Geselle als solcher die vorgeschriebene Zeit gearbeitet, so konnte er Meister werden. Als wesentliche Bedingung für die Erwerbung des Meisterrechtes ist das Meisterstück zu betrachten, über dessen Qualität die verschiedenen Gewerbe-Ordnungen eingehende Bestimmungen enthalten. Da auch die Maler eine Zunft bildeten, so mußten auch sie, um Meister zu werden, ihr Meisterstück machen, und „alle diese Meisterstücke“ – so sagt die Maler-Ordnung von 1596 – „damit ein Jeder bestanden und darauf er von den Rugsherren als ein Meister angesagt ist, sollen auf dem Rathause bleiben, damit eines Meisters vor dem anderen Fleiß und wie ein Jeder seiner Arbeit und Kunst halber qualificirt sei, dabei erkennt werde“.

Aus der Gesammtheit dieser, wie gesagt, sehr eingehenden Bestimmungen über die Qualität des Meisterstückes und der bei Anfertigung desselben geübten scharfen Aufsicht geht klar hervor, daß bei sehr vielen Gewerben die Anforderungen, welche an den künftigen Meister gestellt wurden, über das Maß gewöhnlicher Handwerksarbeit weit hinausgingen und so hoch gestellt waren, daß man die betreffenden Gewerbe ohne Bedenken in die Kategorie der Kunstgewerbe stellen wird. Es hat diese Strenge der Gesetze über das Meisterstück einen doppelten Zweck: auf der einen Seite gilt es, den guten Ruf der städtischen Handwerksarbeit nach allen Seiten hin zu wahren, damit der Absatz dieser Waaren sich nicht mindere; auf der anderen Seite soll das [736] Publicum die Garantie halten, daß es unter den zünftigen Meistern nur vollkommen in ihrer Thätigkeit erprobte Männer finden werde. Demselben Zwecke dient ein anderes Institut, welches noch weit schärfer in die sogenannte Freiheit von Handel und Wandel einschneidet, nämlich „die Schau“. Auch gehören hierher die sehr zahlreichen Vorschriften, welche die Anfertigungsart der Handwerkswaaren vorschreiben.

Was zunächst die Schau betrifft, so ist vorauszuschicken, daß jeder Handwerksmeister seine Waaren mit seinem Werkstattsstempel versehen mußte, dessen Anwendung durch Andere bei schwerer Strafe verboten war. Diese solchermaßen in Bezug auf ihren Ursprung gekennzeichnete Waare durfte nun aber nicht zum Verkauf gebracht werden, bevor sie nicht von den geschworenen Schaumeistern als den gesetzlichen Vorschriften entsprechend und gut gearbeitet anerkannt und zur Beglaubigung dessen mit dem Schaustempel (entweder ein Adler, oder ein N.) gezeichnet worden war. Zuwiderhandlungen wurden, außer mit Vernichtung der vorschriftswidrig oder schlecht gearbeiteten Waaren, mit hoher Geldstrafe geahndet. Den Zinngießern war z. B. verboten, mehr als ein Pfund Blei auf zehn Pfund Zinn zu verwenden, und dieses Verbot wurde schließlich auch gegen anders lautende Privatbestellungen aufrecht gehalten und nur gestattet, ein mit mehr Blei versetztes Zinn auf Privatbestellung bei solchen Gegenständen zu verwenden, mit welchen (nach damaliger Sitte) kein Handel getrieben wurde, wie Badewannen, Brunnenröhren u. dergl.

Die Goldschmiede, bezüglich deren Arbeiten die Bestimmungen der Gesetze sehr detaillirt sind, durften nur achtzehhnkarätiges Gold und vierzehnlöthiges Silber zu ihren Waaren verwenden, und um die Uebertretungen dieses Gebotes zu hindern, waren zwei geschworene Meister verpflichtet, mindestens ein Mal in jedem Monate in die Schmieden zu gehen und von dem dortigen Werksilber und -Gold etwas zu nehmen, das von den vier Geschworenen auf seinen Feingehalt geprüft wurde. Wer sträflich befunden ward, büßte mit fünf Pfund neuer Heller. Um das Publicum gegen Uebertheuerung zu schützen, hatten die Arbeiten einzelner Handwerke bestimmte Preissätze, z. B. die der Schlosser.

Nach außen bildete die Zunft eine Corporation mit bestimmten Rechten und, wie wir soeben gesehen, nicht unerheblichen Pflichten. Die Vorsteher des Gewerbes hatten auf die strenge Beobachtung der Gesetze zu sehen. Was das Verhältniß der Meister unter sich betrifft, so soll es nach der Auffassung der damaligen Zeit dem von Brüdern ähnlich sein; kein Meister soll vor dem anderen einen Vorzug haben, und wo er Gelegenheit hatte, durch größeres Vermögen einen solchen sich zu verschaffen, ist er an der Ausführung dieses Vorhabens durch die Gesetze gehindert, welche wollen, daß keiner den anderen benachtheilige. Deshalb war verboten das „Abspenstigmachen“ der Gesellen oder der Arbeit und das Halten von mehr Gesellen, als gesetzlich erlaubt war – denn auch die Zahl der Gesellen war durch Gesetz beschränkt. Damit nicht beim Einkaufe des Arbeitsmaterials ein Meister vor dem andern einen Vortheil erziele, war nicht nur der Ankauf von mehr Material, als der Meister in seiner Werkstatt verarbeiten konnte, ganz allgemein verboten, sondern er war sogar gehalten, von dem eingekauften seinen Mitmeistern einen Theil käuflich zu überlassen.

Daß selbst das größere Genie nicht dazu verwandt werden sollte, seinem Besitzer vor den anderen Meistern einen Vortheil zu verschaffen, dafür spricht in eigenthümlicher Weise eine Nürnberger Verordnung vom 9. März 1570, derzufolge einem Neberschmidt (Zeugschmied) Heinrich Veit, welcher ein von ihm erfundenes Handwerkszeug zur Herstellung einiger Gattungen von Sägeblättern „einem gemeinen Handwerckh zu sondern schaden und nachtheil“ verwendete, von Raths wegen dessen Gebrauch bei 5 Heller Strafe untersagt wurde.

Der Grundsatz der Brüderlichkeit zeigt sich vielleicht am meisten in der Vorschrift, daß, wenn ein Meister mehr Arbeit hat, als er in seiner Werkstatt bewältigen kann, er dann die Arbeit ohne jeden Nutzen an andere Meister abgeben muß.

Es hat dieser Grundsatz im Jahre 1556 sogar zu einer vollkommen communistischen Arbeiterorganisation bei den Tuchscheerern geführt, auf deren Ansuchen der Rath der Stadt unterm 5. Juni des gedachten Jahres eine Einigung genehmigte, nach welcher die elf Tuchscheerermeister „alle Tuch, so Ihnen yeder Zeit zu scheeren fürfallen möchten, miteinander arbeiten und bereyten wollten. Und was also in ein yeder Werkstatt mit dem Gesinde für Arbeit ausberaitet und verdient werden könnt, das solt bey den verordneten in eine verwharte Püchsen eingestoßen und alle Sambstag pro Rata in die Eilf Werkstetten ausgetheilt werden“ und zwar zu gleichen Theilen.

Indessen hatte diese Einrichtung, von welcher das zum Theil im Wortlaute citirte Decret des Rates rühmt, „daß sie den alten, abgearbeiteten maistern zur Wohlfahrt gereichen möcht,“ nur ein halbes Jahr Bestand, denn am 9. December 1556 cassirt der Rath bereits die obgedachte Verordnung, weil es „mit dem Tuchscheeren gantz unordentlich und nachtheilig gehandelt werde.“

Aber auch den Meistern anderer Innungen war der Nürnberger Zunftmeister des sechszehnten Jahrhunderts die Bethätigung einer brüderlichen Gesinnung gesetzlich und bei Meidung namhafter Strafe schuldig. Zunächst kommen hier in Betracht jene zahlreichen und in die kleinsten Einzelheiten eingehenden Verordnungen, deren Zweck ist, zu verhindern, daß die Meister mit ihren Arbeiten den Kreis ihrer eigenen Zunft überschreiten und denjenigen einer anderen betreten. Diese Verordnungen haben bekanntlich in den deutschen Staaten, welche bis zur Einführung der Reichs-Gewerbe-Ordnung die Zunftverfassung beibehalten, noch in den fünfziger Jahren zu zahllosen Processen Anlaß gegeben, in denen z. B. darüber gestritten wurde, ob ein Kaufmann das Recht habe, mit Shlipsen zu handeln, oder ob dies nur dem Schneider zustehe.

Ferner war es strenger Grundsatz, daß die Handwerker das von ihnen bereitete Material (z. B. das durch die Gerber bereitete Leder) zunächst den Nürnberger Handwerkern (z. B. der Lederbranche, den Sattlern, Schustern etc.) anbieten mußten und in zweiter Linie erst nach auswärts verkaufen durften, wie umgekehrt diese ihr Material in erster Linie aus Nürnberg zu beziehen hatten. Auch den Händlern war geboten, ihre in Werkstätten gefertigten Waaren, soweit ihnen überhaupt gestattet war, dergleichen feilzuhalten, von den Nürnberger Handwerkern zu beziehen. Auf „Staudenwerkstätten“ (das sind solche, welche von den Nürnbergern nicht für ehrlich gehalten wurden) gefertigte Waaren durfte Niemand weder kaufen noch feilhalten; auf „redlichen“ Werkstätten auswärts gearbeitete Waaren unterlagen der „Schau“ und durften im Allgemeinen nur während der Messen verkauft werden.

Ueberblickt man das Wesen des deutschen Handwerks, wie dasselbe im Vorstehenden auf Grund der regelnden Gesetze erscheint, so wird man nicht umhin können, dem ehrlich-biederen Sinne, der in der ganzen Organisation sich ausspricht, seine tiefste Achtung zu bezeugen. Hoch ist daneben der Eifer anzuschlagen, mit welchem der Meister ob der Ehre und dem Ruhm seines Gewerbes wachte. Das sind so lichtvolle Seiten, daß sie wohl des Schattens vergessen lassen, welchen der eifersüchtige Streit um die Grenzlinie der verschiedenen Gewerbe damals nicht selten warf. Man muß aber einen Schritt weitergehen und anerkennen, daß das Zunftwesen der damaligen Zeit die Verwirklichung eines bestimmten socialen Systems mit dem allergünstigsten Erfolge darstellt, mit dem Erfolge nämlich, daß der gesammte städtische Arbeiterstand vor eigentlicher Noth geschützt war. Die Arbeit nährte ihren Mann, aber nur die redliche, nach den Vorschriften des Gesetzes treulich gethane Arbeit – die andere, welche nach dem Motto „Billig aber schlecht“ sich richtet, war verpönt; den Vortheil, den ein großes Capital gewähren kann, auszunützen, verhinderte das Gesetz, indem es die Zahl von Lehrlingen und Gesellen auf ein verhältnißmäßig geringes Maß festsetzte und damit dem Uebergang des Handwerks in die Fabrikation einen unübersteiglichen Damm entgegensetzte. Mit diesem einen Steine steht und fällt das ganze System des strengen mittelalterlichen Zunftwesens, und an dieser Stelle eben ist es, wo Gegenwart und Vergangenheit als scharfe Gegensätze sich gegenüberstehen. Wie im Mittelalter das Handwerk, so stellt in der Gegenwart die Fabrikation das eigentliche Wesen der Arbeit dar, welche bereits die Mehrzahl der Handwerke – mit Ausnahme natürlich der Kunstgewerbe – sich unterthänig gemacht hat. Deshalb mögen wir heute immerhin neue Innungen, hoffentlich mit dem besten Erfolge für die Besserung mancher socialen Beziehungen, gründen; nur soll man seine Hoffnungen nicht zu hoch spannen. Der in erster Linie auf Gewinn gerichtete Geist des heutigen Geschlechtes wird sich niemals in den um ein völlig fremdes Centrum schwingenden Ideenkreis jener Männer bannen lassen, die im sechszehnten Jahrhundert in erster Linie für den guten Ruf und die unbefleckte Ehre ihrer Zunft thätig waren.
Fl. Korell.