Vogelsteller am Niederrhein
Man braucht sich unter einem Vogelsteller oder Finkler nicht gerade eine romantische Figur vorzustellen, wie jener Herzog Heinrich gewesen sein mag, welcher vom Vogelherde weg auf einen Herrscherthron gerufen wurde; im Gegentheil, gewöhnlich sind es vielmehr ziemlich unansehnliche, abgerissene alte Knaben, die auf einen romantischen Nimbus nicht viel geben. Die meisten haben auch schwerlich eine Ahnung, daß einmal Einer aus der Genossenschaft „vom Geschäft weg“ berufen wurde, um das widerspänstige Volk der Germanen zu regieren. In der neuesten Zeit hat bei uns sogar die Gesetzgebung mit der Pietät gegen diese alt-kaiserliche Passion gebrochen und dem Vogelfänger-Gewerbe einen Riegel vorgeschoben. Kein Wunder daher, wenn das Geschäft jetzt reißend bergab geht. Schon seit länger sind übrigens die alten Finklerfiguren immer rarer geworden. In den alterthümlichen stillen Städten am Niederrhein und auf dem vlämischen und wallonischen Boden Belgiens und Hollands floriren sie noch mitunter und gehen, unbekümmert um den Drang und die Wandlungen der Zeiten, in den verschiedenen Jahreszeiten ihrer Passion nach. Für den Vogelsteller existirt eine Hauptsaison: im Herbste, wenn der „große Strich“ kommt, ferner im Frühjahre eine kleine Saison, wenn die Vögel wiederkehren. Leider machen die passionirtesten Finkler sich noch eine dritte im Juni und Juli, um die Brut- und Nährzeit.
Wenn der Finkler zum großen Striche ausrückt, bietet er mit seiner vollständigen Ausrüstung einen ungewöhnlichen Anblick, dessen das große Publicum freilich nur selten sich freuen kann, weil die Ausrückzeit zwischen zwei und drei Uhr Morgens fällt. Mit Sack und Pack tritt er beim ersten Morgengrauen den Gang durch die Straßen in’s Feld an. Eine mäßige Anhöhe mit einer sanften Einsattelung, die sich möglichst gleichförmig und weit ausdehnt, ist sein Lieblingsterrain.
Nicht jeder Grundbesitzer gestattet den Vogelstellern die Auslegung der Netze. Die ärmeren Bauern erheben wohl zuweilen eine kleine Steuer. Die wohlhabenden Liebhaber, welche auf eigenem Grund und Boden oder auf dem Feld eines Bekannten ihr Netz ausspannen können, sind daher am besten daran. Der Reisende, welcher im Spätherbste auf der Eisenbahn in das Niederland hineinfährt, oder noch besser auf einer der platten Landstraßen aus dem Preußischen in das Holländische oder Belgische hineinkutschirt, bemerkt ab und zu auf den Stoppelfeldern kleine, unansehnliche Reisighütten bei ausgerodeten und dunkleren Stellen, und aus den Hütten taucht zuweilen ein Mensch auf und läuft eilfertig auf dem Platze hin und her, wie Jemand, der etwas verloren hat: dort sind die Finkler bei der Arbeit. Gut gelegene Anhöhen mit breitem Rücken und geräumigen Einsattlungen sind oft mit zahlreichen solchen Hütten bedeckt.
Das Gepäck des ausziehenden Vogeltödters ist complicirt und schwer, und beim Fange mit dem Doppelflügelgarne müssen wenigstens zwei Männer betheiligt sein. Auf dem Rücken hat der Eine den großen Sack mit dem Garne; allerhand Drahtzeug und Netzwerk [738] schaut aus dem Sacke hervor; quer darüber liegen vier Stangen; auf der Schulter aber ragen ihm gewehrartig längere Stangen, ein Eisenstock, sowie Haue und Schaufel und, wenn der erste Schnee schon liegt, ein Kehrbesen. In der andern Hand hält er, aufgereiht auf einen Stock, ein Dutzend kleiner Vogelbauer, in welchen sich lauter auserlesene Lockvögel befinden. Der Begleiter trägt noch ein paar besondere Bauer mit Lockvögeln und die „Kutschen“ mit denjenigen Lockvögeln, welche zum Martyrtode bestimmt sind. Die „Kutsche“ ist der obere Theil eines alten Cylinderhutes, mit einem beutelartigen Garne versehen, in welches man leicht hineingreifen kann, welches aber einem gefangenen Vogel das Entfliehen unmöglich macht. Kleine, Strickbeutel und das Material für die „Wippe“ und „Flodder“ vervollständigen die Equipirung des Genossen. Bei der Ankunft der Männer auf dem Fangplatze muß die Fangstelle mit der Hütte – wenn nicht, wie auf dem beigegebenen Bilde, statt ihrer ein Gebüsch den nöthigen Schutz gewährt – bereits hergestellt sein, eine Arbeit, die mitunter zwei Tage in Anspruch nimmt, je nachdem das Feld gelegen ist und Schwierigkeiten bietet.
Das Aufspannen des Netzes nimmt eine gute Stunde in Anspruch. Die beiden Flügel werden auf der kahlen Stelle, in angemessener Entfernung von einander, mit zahlreichen Pflöcken am Boden befestigt, sodaß sie wie zwei zum Trocknen ausgelegte Leinwandstücke das Feld bedecken; nur daß das dünne, graue Netzgarn auf dem graulichen Boden erst in der Nähe zu erkennen ist. Jenseit geht ein straff gespanntes Verbindungsseil von der Außenseite der Flügel um einen weiter hinausliegenden Hauptpflock, diesseit führen entsprechend Zugleinen zu einem Pflock, bei welchem der Vogelfänger sitzt. Die Spannung ist so stark, daß jeder Flügel durch ein halbes Dutzend kleiner Pflöcke in seiner flachen Lage erhalten bleiben muß; gerade diese scharfe Spannung aber bewirkt bei geringem Ziehen das Umschlagen der Netze. Jener Flügel, welcher dem Strich, nämlich dem ankommenden Vogelschwarm, entgegensteht, muß zuerst umschlagen, und der zweite Flügel legt sich dann zur größeren Sicherung darüber, was dadurch bewirkt wird, daß man die Zugleine des ersten Flügels kürzer macht. Sobald das Netz ausgespannt ist, geht es an die Placirung der Lockvögel.
Als Lockvögel im Bauer werden nur Buchfinken, Distelfinken, Flachsfinken, Zeisige und etwa noch eine Lerche verwendet. Die Buchfinken und Flachsfinken sind in der Gegend, von welcher hier die Rede ist, häufig geblendet, weil sie geblendet auch im Herbste singen und überhaupt ununterbrochen Laute geben. Sie locken schon ungeduldig, ehe der Vogelfänger den Schwarm hört oder sieht. Die anderen Sänger sind beim Fange nicht zu verwenden, weil sie im Herbste nicht singen, ja theilweise nicht einmal einen Ton von sich geben. Die Lerche läßt nur ihren kurzen, trillernden Ruf erschallen, weshalb man sie als Lockvogel in ganz anderer Weise verwendet, wie wir gleich sehen werden.
Die Vogelkäfige werden ziemlich weit in das Feld hinausgetragen und einige davon in kleine Gruben unter die Netze gestellt. Im freien Mittelraume zwischen den Netzflügeln wird die „Wippe“ angebracht, die Lockvorrichtung für „freie“ Vögel. Nur Finken, Zeisige und Lerchen werden dafür gebraucht, oder vielmehr mißbraucht, denn die Wippe ist ein kleiner Haken, der durch eine Schnur mit der Hütte in Verbindung steht und an welchem ein Vogel, der nicht selten für die Sache dressirt ist, mit einem Fuße befestigt wird, und zwar ist dieser Haken so angebracht, daß er, sobald der Vogelsteller die Schnur anzieht, emporsteigt und der Vogel gezwungen ist, ebenfalls emporzuflattern. Distelfink und Zeisig gewöhnen sich sehr bald an die Wippe; sie flattern auf und setzen sich alsbald auf den Haken, wodurch ihre Situation ziemlich erträglich wird. Die anderen Vögel dagegen, die Lerche besonders, machen durch ihre fortwährenden und verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien die Wippe zu einem Marterinstrument und gehen gewöhnlich hülflos flatternd zu Grunde.
Noch weit qualvoller aber ist für sie die sogenannte „Flodder“ (plattdeutsch für flattern). Da nämlich die Lerche am leichtesten angelockt wird, wenn sie ihresgleichen im Feld spielen und flattern sieht, so befestigt der Vogelsteller, um dieses Lerchenspiel nachzumachen, hundert Schritte von seiner Hütte eine hohe Stange in den Boden, von deren Spitze ein dünnes Seil zur Hütte führt. An dieses Seil befestigt er ein halbes Dutzend Lerchen, indem er die Füße mit starken Zwirnfaden verbindet. Sobald ein Schwarm hörbar oder in der Ferne sichtbar wird, zieht der Mann in der Hütte die Schnur mit aller Gewalt an und die unglücklichen Vögel flattern verzweifelt in die Höhe. Beim Niederfallen reißt ihnen die Stoppel die Brust auf, nicht selten zerbrechen die Füße im Aufschwingen und die herankommenden Vögel, die ihre Schwestern beim Spiel vermuthen, haben es in der Wirklichkeit mit halbtodten, in die Luft geschleuderten Märtyrern zu thun. Die Lerche hält höchstens zwei Stunden, oft, wenn stark „gearbeitet“ wird, nur eine halbe Stunde an der Flodder aus, dann ist sie zu Tode gemartert und wird durch eine neue ersetzt. Die Todte wird in die Koppel zum Verkauf gereiht.
Endlich muß noch der Pfeifen erwähnt werden, die der Vogelsteller an einer Schnur wie einen Rosenkranz um den Hals trägt, meistens kleine, runde, durchbohrte Instrumente, doppelt so dick wie ein Thaler, nebst einigen länglichen Pfeifen. Mit den runden kann er alle Finken und eine Menge anderer Vögel locken, während die länglichen für Lerchen und Pieper bestimmt sind. Doch ist ein gewandter Vogelfänger jederzeit ist der Lage, die meisten Vögel auch mit seiner angebornen Pfeife anzulocken.
Man könnte sich vorstellen, daß es in der Vogelhütte, im Morgengrauen, sehr interessant und anregend zugeht. Indessen kann ich aus Erfahrung versichern, daß man mitunter entsetzlich langweilige Stunden in dem Reisighaufen verleben kann, wenn der erste frostkalte Nordost über die Stoppel bläst und weit und breit keine Feder sich sehen lassen will. Es kann vorkommen, daß an einem Morgen nach einer schönen, mondhellen Mitternacht keine Lerche mehr zu erblicken ist oder nur noch vereinzelt eine auftaucht. Die Hauptschaar hat alsdann die Nachtzeit zur Reise benutzt, und die Vogelsteller versichern, daß bald große Kälte eintrete, wenn die Vögel bei Nacht ziehen. Der alte Finkler pflegt auch nicht der liebenswürdigste Genosse zu sein; überdies raucht er aus einem schwarzbraunen kölnischen Pfeifenstück ein Kraut, das keinesfalls in Virginien gewachsen ist, und schöpft unermüdlich Geduld und Hoffnung aus einem Geduldbrunnen, den er in Gestalt einer riesigen Schnapsbulle am Busen trägt und den er immer bereit halten muß, für den Fall, daß ein griesgrämiger Bauer quer über Feld käme, oder der nachdenkliche Flurschütz seine Nase in das Geschäft stecken möchte. Wenn es ein gottloser Vogelsteller ist, dann flucht er, daß alle Heiligen im Himmel zusammenlaufen, und wenn es ein frommer, gar ein ultramontaner Finkler ist, dann betet er einen Rosenkranz nach dem andern ab, wobei ihm die Pfeifenschnur die besten Dienste leisten kann.
Bei großer Windstille und warmer Witterung geht der Strich hoch; bei scharfem Wind und zunehmender Kälte streichen die Vögel tief unten am Boden hin. Die meisten kleineren und schwächeren Arten suchen mit großer Vorsicht und Aengstlichkeit die tieferen Mulden auf, welche vor dem heftigen Windzug Schutz gewähren, und hierin liegt eben der Grund, weshalb der Finkler bei der Anlage seiner Hütte mit Verständnis vorgehen muß. Er muß auf jeder Anhöhe genau wissen, welchen Punkt ein Schwarm zunächst aufsuchen wird bei gutem oder conträrem Wind. Ein Umstand erleichtert ihm seine Studien: der Vogel kehrt immer auf dasselbe Terrain, auf dasselbe Absteigequartier zurück, und wenn ihm in demselben auch im Laufe der Zeit noch so viel Verfolgungen bereitet worden sind. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß in den Schwärmen sich alte, erfahrene Bursche befinden, die auf dem Punkte schon einmal mit genauer Noth dem Garn entschlüpft sind, aber das hindert sie nicht an der Wiederkehr. Genau dasselbe wird in Italien beobachtet, wo in einzelnen Alpenschluchten und insbesondere auf der römischen Campagna immer dieselben Gefahren drohen. Doch kann man auch erkennen, wie von jenen im Lerchen- und Finkenschwarm befindlichen alten Herren stets einige Warner bei der Annäherung an das Garn sich absondern oder einen Umweg machen ehe sie sich der verlockenden Stätte nähern.
Die Lerche macht sich meistens zuerst durch ihr Geschrei bemerklich. Oft geht sie so hoch, daß man sie im dämmerigen Morgen nicht sehen kann, und dann muß mit der Pfeife hartnäckig ihr Ruf beantwortet werden; sobald sie in Sicht kömmt, wird die „Flodder“ in Bewegung gesetzt. Die Anwendung dieses grausamen Lockmittels hat gewöhnlich die gewünschte Wirkung: die Lerchen welche weitab von der Vogelstätte hinziehen, halten sofort und schwenken ein, wenn sie die Schwestern in der Luft flattern sehen. Jetzt ist es Zeit, daß die Finkler in der Hütte sich ducken; nur noch die Lerche an der Wippe wird in die Höhe geschnellt, und plötzlich [739] surrt der Schwarm über das Terrain. Ein gewandter, erfahrener Finkler läßt sich durch die ersten Boten nicht irre machen; hat er erkannt, daß ein dichter Schwarm folgt, dann läßt er oft ein und zwei Dutzend vorüberziehen, von denen doch immer einzelne im Garnbereich liegen bleiben, und erst wenn die große Masse im Bereich der Flügel ist, zieht er an und läßt das Garn zusammenschlagen. In der nächsten Secunde sind dann auch schon die Hüttenbewohner draußen; es gilt jetzt mit aller Schnelligkeit und Gewandtheit zuzugreifen, denn die Lerche läuft, sobald sie sich vom ersten Schreck erholt hat, unter dem Garn hin, bis sie einen Ausweg findet. Während die Schwestern, die mit dem Schrecken davon gekommen sind, laut schreiend davonfliegen, erfassen die Jäger, vorsichtig auf das Netz tretend, die Gefangenen, die sie entweder sogleich tödten, oder aber, wenn die Jagd nicht ergiebig ist, als Lockvögel aufheben. In der Nähe solcher Städte, wo sich viele Vogelliebhaber befinden, werden auch wohl alle aufgehoben und in die „Kutschen“ gethan, um lebend auf den Vogelmarkt gebracht zu werden. Die Todten werden aufgereiht und, wo es nothwendig ist, bei Seite geschafft, damit sie nicht in die Hände der Grundwächter oder Jagdpächter fallen. Mit den Lerchen zugleich kommen die Pieper, oft mit den Lerchen vermischt. Ihr Fleisch wird von den Gourmands noch höher geschätzt. Uebrigens pflegt in den genannten Districten ein Fangmorgen nicht besonders ergiebig zu sein, und wenn ein Vogelsteller hundert Stück Lerchen fängt, dann nennt er das einen guten Fang. Mit fünfzig ist er auch schon zufrieden. Berechnet man ein Dutzend mit einer Mark, dann stellt sich der Gewinn für die sehr beschwerliche und oft auch kostspielige Thätigkeit durchschnittlich auf drei bis sechs Mark. Ungleich ergiebiger ist bekanntlich der Lerchen- und überhaupt der Vogelfang in den Thalengen der Südalpen. Dort ist ein Ergebniß von tausend Stück an einem Morgen, mit den Standnetzen, nicht sehr selten, ja, Tschudi versichert, es wäre oft noch weit größer. Erklärt mag der Unterschied werden durch die große Ausdehnung des Jagdgebietes im Norden; über Nordfrankreich, Belgien, Holland und einige Theile Norddeutschlands. Dann hat man es hier auch mitunter nur mit Sammelplätzen zu thun, während dort auf engem Terrain der Reisezug in voller Entwickelung, Tag für Tag, von Statten geht.
Weit mehr Arbeit als Lerchen und Pieper machen durchweg die Finken, namentlich der Distelfink. Der Buchfink wird nur gefangen, um lebend verkauft zu werden; ebenso der Distelfink. Der Flachsfink dagegen, der in großen Schwärmen kommt, wird oft todt mit den Piepern zusammen verkauft. Die Franzosen und Italiener speisen mit Vorliebe Lerchen und Finken; der bittere Beigeschmack der ersteren Vögel, welcher vom Rübsamen herrührt, macht sie ihnen zu Delikatessen. Auch in Wien sind „kleine Vögel mit Polenta“ (immer Finken und Fliegenfänger durch einander) ein stehender Artikel auf jedem Speisezettel. In Norddeutschland werden meines Wissens die Finken nicht gespeist. Man begnügt sich dort mit Lerchen, Piepern und Fliegenfängern.
Auch bei den Finken findet sich, wie schon gesagt, oft ein erfahrener Vogel an der Spitze, welcher die andern warnt und rechtzeitig abschwenkt. Am häufigsten wird das beim Distelfinken beobachtet, und doch treibt die Neugierde oder Zutraulichkeit gerade diesen Vogel immer wieder in das Garn. Da er unter den Finken der werthvollste ist, so werden bei seinem Fange die größten Anstrengungen gemacht.
Im Spätherbste, an schönen Tagen, wenn die Sonnenfäden über die Stoppeln fliegen, spielt der Distelfink im niedrigen Gestrüppe am Rande der Aecker. In kleinen Schwärmen zu fünfzig bis hundert flattern die bunten niedlichen Vögel gleich großen Schmetterlingen über die Distelstöcke, oft noch lange nach dem Abzug der großen Geschwader. Kommt ein solcher Schwarm in die Nähe der Vogelhütte, dann werden alle Kräfte rege. Die Distelpfeife wird hervorgeholt und macht den Lockvogel munter; Futter wird auf den Platz geworfen; Distelstöcke werden aufgepflanzt und der beklagenswerthe Distelvogel an der Wippe muß immerfort emporflattern. Aber es kommt selten vor, daß die vorsichtigen Vöglein direkt in das Garn fallen. Sie lassen sich meistens in der Nähe des Platzes nieder, antworten dem Lockvogel und umflattern kundschaftend das Terrain. Der Finkler muß jetzt sehr kaltes Blut haben und zwei oder drei, welche auf den Platz eingefallen sind, nicht beachten. Sammelt sich nach und nach ein Dutzend, und erwischt er davon die Hälfte, dann kann er zufrieden sein. Aber auch die Entflohenen werden noch nicht aufgegeben. Der Gehülfe muß dem Schwarme nacheilen und ihn auf Umwegen wieder dem Platze zuzutreiben suchen. Es ist mitunter der Fall, daß derselbe Schwarm zweimal in ein und dasselbe Garn geräth.
Ein Theil der gefangenen Finken wird von einem traurigen Geschick ereilt; die Männchen werden nämlich geblendet. Doch ist das nur bei Buchfink und Flachsfink der Fall; denn der zarte Distelfink würde die Operation nicht überstehen. Das Blenden der Vögel wird leider noch heute in vielen Städten des Niederlandes betrieben. In Mastricht, Verviers, Lüttich, Brüssel sieht man die geblendeten Vögel bei allen Vogelhändlern und auf allen Märkten. Der Fink wird für die Operation förmlich vorbereitet. Gleich wie der Canarienvogel, der in der Dunkelheit sein Stück erlernen muß, wird er eine Zeitlang vom Lichte abgesperrt, aber nicht damit er singe, sondern damit er in der Dunkelheit seinen Futter- und Trinknapf ertasten lernt. Er findet sich bald in dem gewohnten Bauer trotz der völligen Finsterniß zurecht, und jetzt werden ihm mit einem glühenden Drahte die Augen gebrannt. Das verstümmelte Thier bietet nach der Operation einen gar traurigen Anblick. An der Stelle der Augen bilden sich häßliche blaue Beulen, und daran und an den zuckenden Bewegungen erkennt man schon von weitem den geblendeten Finken. Jetzt entwickelt sich bei diesen Vögeln eine merkwürdige Lust zum Gesang; man kann es vielleicht besser Singwuth nennen. Der Werth des Buchfinken aber steigt nicht allein nach der Art des Schlages, bei welchem bekanntlich zahlreiche Variationen vorkommen, sondern auch nach der Häufigkeit des Vortrages. Die Vogelsteller und Liebhaber arrangiren zu Zeiten förmliche Wettkämpfe, und jener Vogel erhält einen Preis, welcher sich als der ausdauerndste erweist. Hat er dazu noch einen seltenen Schlag, dann ist er für den Liebhaber ein unbezahlbarer Schatz. Beim Vogelstellen aber erweist der geblendete Fink die besten Dienste. Sein Gehör hat sich geschärft, und er erkennt das Herannahen eines Schwarmes auf sehr große Entfernung, um dann unermüdlich zu locken.
Neben den Singvögeln fallen dem Vogelsteller zuweilen verbotene Früchte in das Garn, wie Wachteln und Rebhühner. Er kann der Jagdlust selten widerstehen, wenn eine Kette Wachteln über das Garn streicht – selbst auf die Gefahr hin, daß sie ihm das Garn zerreißt. Die Rebhühner bestrafen die Ungesetzlichkeit meistens, indem sie ganze Stücke vom Garne mit fortreißen. Der Fang der Amseln und Krammetsvögel wird nicht mit dem Flügelgarn betrieben; sie gehen nicht hinein, ebenso wenig der kluge Staar, und es ist ein ungewöhnliches Ereigniß, wenn einige von diesen Arten als Beute heimgebracht werden. Häufiger passirt es dem Meister Lampe, wenn er gedankenlos über das Feld galoppirt. Einem ordentlichen Finkler fällt es nicht ein, aufzuspringen und den Hasen durch Zurufen zu verscheuchen. Er läßt ihn herankommen mit dem Risico, daß ihm das Garn ruinirt und hintennach vom Jäger ein Protocoll gemacht wird. Da der Hase mit seinen starken Läufen unfehlbar das Garn zerreißen würde, so paßt der Vogelsteller den Moment ab, wo derselbe die stark gespannte Umfassungsschnur übersetzt, und verabfolgt ihm mit der aufschnellenden Schnur einen so starken Schlag, daß er betäubt hinfällt, wenn er nicht gar noch erfaßt und förmlich über das Feld geschleudert wird. Das ist dann immer ein großes Ereigniß in der friedlichen Hütte, nebenbei freilich oft genug die Veranlassung zu sehr handgreiflichem Meinungsaustausch über das Eigenthumsrecht.
Im Frühjahre ist, wie oben bemerkt, die kleine Saison für den Vogelsteller, wenn die Vögel aus dem Süden zurückkehren. Er legt jetzt auch nicht immer das große Garn aus, sondern benutzt ein einfaches, kleines Netz, wobei Lockvogel und Futter die Hauptrolle spielen. Die großen Schwärme haben sich bereits aufgelöst, und in kleinen Trupps suchen die Heimkehrenden ihr Futter und geeignete Nistplätze. Die Vogelsteller behaupten, daß jetzt die Männchen der Lerchen, Finken und feineren Vögel leichter in das Garn fallen weit sie aufgeregter sind und lebhafter auf den Lockvogel gehen. Im Frühjahre sollen daher mehr Nachtigallen, Schwarzplättchen, Zeisige und dergleichen gefangen werden. Diese Arten sind natürlich nur für den Verkauf bestimmt. Auch der Fang der Lerchen und Finken pflegt zu dieser Frist ein sehr spärlicher zu sein, sodaß sich der Verkauf der Getödteten in der Koppel nicht verlohnt. Es wird also fast nur für die Versorgung der Vogelmärkte „gearbeitet“. Die passionirten Liebhaber [740] oder die armen Teufel, die auf den Ertrag des Gewerbes angewiesen sind, gehen nach wenigen Monaten wiederum zum Fange hinaus. Diesmal nehmen sie nur ein kleines Springgarn mit, welches sie bei Wassertümpeln im abgelegenen Gebüsche ausspannen, um die Vögel vom Neste wegzufangen. Auch der Leimruthe oder der Drahtfalle bedienen sie sich zu diesem Zwecke. Man kennt sehr wohl die Vögel, welche ihre Jungen in der Gefangenschaft aufziehen, wie die Amsel, das Schwarzplättchen, der Distelfink und besonders die Nachtigall.
Es gehören aber noch besondere Kunstgriffe dazu, die Alten zur Ernährung der Jungen in der Gefangenschaft anzuhalten. Nicht allein bei den Arten, sondern auch bei den Individuen treten hier große Widersprüche zu Tage. Das eine Amselpaar z. B. füttert seine Jungen; ein anderes läßt sie zu Grunde gehen. Es wird versichert, daß das Schwarzplättchen sich sehr schnell an den traurigen Wechsel gewöhne und namentlich, wenn es Mehlwürmer erhält, sofort an die Fütterung gehe. Die gefangenen Meisen dagegen, so wird behauptet, wären im Stande, ihren Jungen die Köpfe einzuhacken. Jedenfalls hat man es hier mit Untersuchungen und Beobachtungen zu thun, für welche unsere Vogelsteller nicht die geeignetsten Geister sein dürften.
Die Thätigkeit des Vogelstellers ist unbedingt ein Stück Thierquälerei, das wird dem Leser nach vorstehender Schilderung in vollem Umfange klar sein. Dieser Umstand aber genügt, um uns mit Befriedigung auf die Maßregeln blicken zu lassen, welche unser deutscher Reichstag zum Schutze der Vögel getroffen hat, auch wenn damit ein weiteres Stück Romantik unter das Strafgesetzbuch gestellt wurde. Ist doch schon so Manches, was einst „noble Passion“ war, dem vernichtenden Urtheil einer fortgeschrittenen Humanität bis auf die letzte Spur erlegen.