Ein Blick in die Geschichte der Pflanzen

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Autor: Berthold Sigismund
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Titel: Ein Blick in die Geschichte der Pflanzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 185-187
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[185]
Ein Blick in die Geschichte der Pflanzen.
Von Berthold Sigismund.
1. Gemüsepflanzen.


Der schlichteste Küchengarten erscheint einem sinnigen Menschen, der das Bedeutungsvolle auch im Alltäglichen zu erkennen weiß, als eine gewichtige Stätte, aus welcher die Culturgeschichte schöne Denkzeichen ihrer edlen Siege aufgestellt hat.

„Jegliches Land wird Alles erzeugen,“ so prophezeit ein römischer Dichter vom goldenen Zeitalter. Wenn man unsere Kunstgärten mit ihren Palmenhäusern berücksichtigt, dürfte man fast sagen, diese Weissagung habe sich erfüllt; ein einfacher Gemüsegarten berechtigt wenigstens zu dem Ausspruche, daß unser Land alle fremden Pflanzen, an denen uns ernstlich gelegen sein kann, schon jetzt hervorbringe, denn wir besitzen in den Gärten eine Art Blumenlese von den besten, zur Ernährung und Labung dienenden Pflanzen aller Länder.

Betrachten nur zunächst die Pflanzen, welche die Heimath dem Gemüsegarten geliefert hat. Im grauen Alterthum war, wie es noch jetzt bei armen Gebirgsbewohnern der Fall ist, Feld und Wald das Gemüsebeet. Von der beträchtlichen Zahl der wilden Pflanzen, welche noch heute bei vielen tausend Deutschen die Stelle des Kohls, Salates und sonstiger Zukost vertreten, sind nur wenige unter die Auswahl der Gärten aufgenommen worden. Dazu gehört die Möhre (gelbe Rübe oder Carotte) und die Pastinake, zwei Doldenpflanzen unserer Wiesen; die Cichorie, die mit ihren azurblauen Vereinsblumen als „Wegwarte“ die Raine schmückt; das Salatrapünzchen unsrer Aecker; das Löffelkraut und die Stammpflanze des Kohls, deren Heimath die Nordseeküste ist. Wir wissen nicht, wer diese Wildlinge zuerst als anbauwürdig erkannt und gepflegt hat; die [186] Geschichte meldet leider mit Vorliebe die Namen von Kriegern und läßt oft die Namen stiller Wohlthäter, welche der Menschheit dauernde Vermächtnisse gestiftet haben, in Dunkelheit versinken.

Wie hat die menschliche Pflege die heimischen Kinder der Wildniß zu veredeln gewußt! Der holzige Wurzelstock jener Doldenpflanzen ist in saftiges, schönfarbiges Rübchen umgewandelt; die unansehnliche wilde Kohlstaude hat eine große Reihe edler Spielarten getrieben, von denen sich jede durch besondere löbliche Eigenschaften hervorthut. Man wundert sich mit Recht über die mannigfaltigen Farben, mit denen in den Gärten die Aster und Georgine prangt; aber fast noch mehr Verwunderung sollten die Umwandlungen der Kohlpflanze erregen. Ihre Blätter zeigen fast alle Farbenstufen vom Weiß an durch das lichteste Grün bis zum Purpur und Veilchenblau, und die Formen der Stengel und Blätter erinnern an die phantastischen, umschnörkelten Masken, in denen die Tonkünstler eine einfache Melodie als immer neue und doch verwandte Variation erscheinen lassen. Man bedenke nur, daß das Kopfkraut (der Kabis), der Krauskohl, der Kohlrabi, der Spargelkohl und der Blumenkohl einer und derselben Mutterpflanze entstammen. Wie viele tausend Generationen der Abkömmlinge des wilden Kohls mußten blühen und fruchten, ehe durch zufällige und absichtliche Einwirkungen alle jene Spielarten entstehen konnten! Wie viele Gärtner verschiedener Länder mußten zusammenarbeiten, um dies Ziel zu erreichen! Der Blumenkohl scheint durch seine Empfindlichkeit gegen die Kälte anzudeuten, daß er eine in südlichen Ländern entstandene Abart ist; wahrscheinlich haben sich die Gärtner der sämmtlichen gebildeten Völker in die Ehre zu theilen, das schlichte Kind des Seestrandes ausgebildet zu haben. Von andern einheimischen Kohlpflanzen hat sich fast nur der Gemüseampfer (Rumex Patienta) in den Gärten erhalten, der Erdbeerspinat (Blitum) ist fast verschollen.

Neben diesen Gemüsepflanzen enthält der Küchengarten einige einheimische Gewächse, die man dem Obste beizählen muß. Die Johannisbeere und Stachelbeere scheinen erst spät im Mittelalter in die Gärten eingeführt worden zu sein, in England werden die letzteren mit dem Schlusse des 16. Jahrhunderts zuerst erwähnt. Die an unsern Felsen wild wachsenden Stachelbeersträucher tragen eine zwar süße, aber kleine, unansehnliche Frucht; der Gartenpflege, namentlich der Engländer, ist es gelungen, vierhundert Spielarten zu erzielen, deren Früchte an Größe und Schönheit die wilden Beeren außerordentlich übertreffen; dagegen hat man die schönblühenden amerikanischen Stachelbeersträucher bisher nicht zur Hervorbringung schmackhafter Früchte bringen können. Die Erdbeere wird kaum so lange Zeit in den Gärten gezogen wie die Stachelbeere, und welche Fülle neuer Spielarten hat sie nicht schon getrieben! Duftige Früchte von der Größe der Flintenkugeln erregen kaum noch Erstaunen. Die Himbeere, schon in den römischen Garten zur Kaiserzeit aufgenommen, hat sich bei weitem nicht so bildsam erwiesen. An die Gartenpflege mancher anderen wilden Obststräucher, wie der Brombeere, der Felsenmispel (Aronia), der Heidel- und Preiselbeere, scheint noch Niemand gedacht zu haben; vielleicht machen dereinst ausgewanderte Deutsche, die in fremden Erdtheilen diese Lieblinge ihrer Kindheit ungern missen, damit den Anfang.

Die bisher genannten, ursprünglich in Deutschland wachsenden Gartenpflanzen bilden nur einen kleinen Theil unserer Pfleglinge; wie sind wir in Besitz der aus fremden Ländern stammenden gekommen? Leider sind für viele Einwanderer die geschichtlichen Nachrichten verloren; wir finden die eine oder die andere fremde Pflanze in alten Urkunden gelegentlich erwähnt, aber ohne Näheres über die Zeit ihrer Einführung und über ihre ersten Pfleger zu erfahren. Karl der Große, der den Gartenbau liebte und beförderte, baute auf seinen Gütern Erbsen und Bohnen, gelbe Rüben (carruca) und Gurken. Auf den mittelalterlichen Speisezetteln von Festschmäusen spielten die Gemüse eine sehr untergeordnete Rolle, wahrscheinlich verstand man die Erziehung der feineren Küchenpflanzen nur unvollkommen. Zur Zeit der Hohenstaufen waren (nach Raumer) fast alle jetzt gepflegten Gemüsepflanzen in den „Krautgärten“ zu finden. Woher hatten nun unsere Altvordern ihre ausländischen Zöglinge erhalten?

Einzelne Culturpflanzen, z. B. (nach Wachsmuth), den Rettig, hatten die Germanen wohl schon aus ihrer Urheimath in Asien mitgebracht; weitaus die meisten jedoch bekamen sie von ihren Feinden, den Römern. Die deutschen Namen vieler Küchengewächse verrathen durch ihren Klang das Land, von welchem aus die Fremdlinge zunächst nach Deutschland kamen. Das Wort Lattich (Salat) stammt von lactuca, d. i. Milchsaftpflanze; Gurke oder Kukumer kommt von cucumis, Zwiebel (im Voksmunde Zepel) von cepa, Fasel (mundartlich für Bohne) von phaseolus, Porree von porrum, Petersilie von petroselinum, d. h. Felseneppich.

Die meisten unserer Gemüsepflanzen finden sich schon vor Christi Geburt in den römischen Gärten. Virgil und der spätere Columella beschreiben die Zucht des Kohls, der Zwiebel und des Knoblauchs, der Petersilie und Bohne, des Salats und Rettigs, der Gartenmohne, des Kürbis und der Gurke, welche das tägliche Leibgericht des Kaisers Tiberius war, ohne eine dieser Pflanzen als etwas Neues zu bezeichnen.

Manche dieser Gewächse mögen schon durch römische Soldaten und Ansiedler über den Rhein in’s Innere Deutschlands gekommen sein; andere wurden durch Mönche, namentlich die Benedictiner, welche den Gartenbau als Liebhaberei betrieben, eingeführt, einzelne sind vielleicht erst durch deutsche Krieger oder durch Handelsleute über die Alpen heimgebracht worden.

Eine ansehnliche Zahl unsrer Gemüsepflanzen sind in den um das Mittelmeer gelegenen Ländern heimathberechtigt. Indeß folgt daraus nicht, daß den Römern das Verdienst des ersten Anbaues gebührt; vielmehr haben diese gewiß den Unterricht älterer Culturvölker genossen. Dies ist bei mehreren Pflanzen, z. B. bei dem Porree, der bei den Aegyptern in göttlichem Ansehen stand und von den Juden und Griechen angebaut wurde, vollkommen erwiesen. Der Mangold, die Stammpflanze der Runkelrübe und rothen Rübe, wächst wild am Seestrande Griechenlands und wurde schon von den alten Hellenen gepflegt. Der Sellerie, als Wildling eine bittere, ungenießbare Meerstrandpflanze, die – wie ihr Name andeutet – den salzigen Boden liebt, wurde von den Griechen, die den Genuß desselben für glückbringend hielten, in Zucht genommen. Die Artischocke ist eine im südlichen Europa wild wachsende Distel. Der Spargel, der nunmehr bei uns als verwildert betrachtet werden darf, ist eine Ufer- und Strandpflanze des südlichen Europa; die Petersilie wächst wild in den macedonischen Gebirgen und war schon bei den Alten geschätzt. Auch andere Gewürzkräuter, wie der Majoran, das Bohnenkraut (Satureja), der Fenchel und Dill wachsen um das mittelländische Meer wild. Die Skorzonere, die jetzt nur selten in deutschen Gärten gehegt wird, stammt ebenfalls aus Südeuropa; der Meerrettig hat (nach Unger’s Angabe) seinen Ursitz im südlichen Rußland, der gemeine Rettig kommt wild in Südeuropa vor.

Neben den genannten Küchengewächsen enthalten unsere Gärten eine Reihe anderer, die nicht auf der italienischen und griechischen Halbinsel, sondern in weiter nach Osten gelegenen Ländern ihre Heimath haben, aber größtentheils schon von den Römern gepflegt wurden. Den Griechen und Römern unbekannt war der wahrscheinlich in Persien heimische Spinat, der seit unvordenklichen Zeiten auch in Gärten gebaut wird; durch welche Vermittlung er nach Europa gekommen, ist unbekannt. Die Schalotten-Zwiebel, die nach der syrischen Stadt Askalon benannt ist, soll in den Kreuzzügen nach Europa gebracht worden sein.

Die übrigen nun zu nennenden östlichen Gemüse- und Gewürzpflanzen, von denen einzelne nunmehr auch im freien Felde gebaut werden, hatten sich schon die Römer angeeignet.

Die Hülsenfrüchte, die wir genießen, sind sämmtlich Kinder des Ostens. Die Buffbohne (Vica faba), ursprünglich wohl am kaspischen Meere zu Hause, wurde schon von den alten Israeliten gebaut und von Griechen und Römern sehr werthgeschätzt; bei den ersteren wurde sogar ein besonderer Bohnengott, Namens Kyanetes, in einem Tempel verehrt und in Athen mit „Bohnenfesten“ verherrlicht. Bei den Aegyptern dagegen galt diese Bohne für unrein, und wohl in Folge dieses Aberglaubens wurde sie den Pythagoräern verboten. Die Schminkbohne, hier und da arabische Bohne genannt (Phaseolus), stammt nach einigen Angaben aus dem westlichen Asien, nach andern aus Ostindien; ihre Empfindlichkeit gegen die Kälte macht die letztere Annahme zur wahrscheinlichsten. Die Linse wächst wild am Kaukasus, und findet sich als Culturpflanze bei den alten Aegyptern, Israeliten und Griechen; bei uns wird sie jetzt fast nur im freien Feld angebaut. Auch die Erbse scheint in der Umgegend des schwarzen Meeres ursprünglich zu Hause zu sein, auf der Halbinsel Krim soll sie noch wild vorkommen; ihre Kältescheu dürfte eher für eine wärmere Heimath, vielleicht Indien, sprechen. Sie wurde von Griechen und Römern gepflegt und muß, [187] da sie in der uralten Sanskritsprache einen Namen hat, in Indien seit unvordenklicher Zeit die Pflege des Menschen genossen haben.

Unser Gartensalat wird als Abart des in den Kaukasusländern heimischen, jetzt fast in ganz Deutschland verwilderten Lattichs (Lactuca scariola) betrachtet, dessen Milchsaft nicht, wie der seines nächsten Verwandten (Lactuca virosa), giftig wirkt. Schon die Perser zu Kambyses’ Zeit genossen den Salat; bei den alten Griechen und Römern stand er in hohem Ansehen, Virgil singt von ihm, daß er „die edleren Schmäuse beschließe.“ Bei uns ist er zur sommerlichen Alltagsspeise geworden, welche die Melonen der Südländer ersetzt. Die Endivie, unserer Cichorie ganz nahe stehend, scheint aus Ostindien zu stammen und ist in China urväterliches Salatkraut. Die Gartenkresse, deren schnell keimenden Samen Liebende zu grünen Namenszügen erwachsen lassen, um später die herben Blättchen zu verspeisen, wächst wild auf der in alter Zeit der Liebesgöttin geweihten Insel Cypern. Der nicht so häufig als Salat gegessene Boretsch ist auch ein Orientale.

An die Salatpflanzen reiht sich passend die Gurke an. Von ihr und ihren Verwandten, dem Kürbis und der Melone, kennt man zwar – wie auch von den meisten Hausthieren – die ursprüngliche wilde Stammart nicht mehr; man weiß aber, daß alle drei im warmen Morgenlande zu Hause sein müssen, weil sie sehr früh von den Asiaten angebaut worden sind und ihr kältescheues Wesen nicht haben ablegen können. Die alten Israeliten, welche die Wassermelonen in Aegypten kennen gelernt hatten, zogen Kürbisse und Melonen (sprüchwörtlich sind die Kürbisse des Jonas geworden); auch bei Griechen und Römern wurden diese Gewächse gepflegt, letztere erzogen die Gurken schon in Mistbeeten.

Von Wurzelspeisen hat Asien den Gärten nichts geliefert, als das aus China stammende Radieschen, welches indeß, zugleich mit seinem europäischen, minder sanften Vetter, dem Rettig, in den Augen der Biertrinker alle andern Wurzeln überwiegt. Als Kohlpflanze hat Asien die Gartenmelde bescheert, die aus der Tatarei stammt und jetzt hier und da in Deutschland verwildert ist.

Am reichsten hat uns der Erdtheil, der auf seinen Inseln und Halbinseln Pfeffer, Zimmt, Muscat und Nelken erzeugt, mit Gewürzpflanzen versorgt. Zur Verfeinerung des Gebäcks liefert Asien den Nebenbuhler des bei uns wild wachsenden Kümmels, den Anis; zur Würzung des Essigs und Senfs den aus der Tatarei und Sibirien stammenden Estragon, einen nahen Verwandten unserer Gänsebratenwürze, des Beifußes; als stechendes Reizmittel, das vielen Zungen gerade deshalb zusagt, weil es wie ein Zerrbild unschön, aber reizend ist, lieferte Asien die mancherlei Lauch- und Zwiebelarten. Die Griechen waren schon im Alterthum so leidenschaftliche Knoblauchesser, wie sie es jetzt im Wetteifer mit den Spaniern sind. In Aegypten war der Genuß des Lauchs und der Zwiebeln den Isispriestern verboten; die gemeinen Aegypter müssen aber gewaltige Liebhaber dieser Speisen gewesen sein, wenn auch an Herodot’s Angabe, daß bei dem Baue einer einzigen Pyramide an Knoblauch, Zwiebeln und Meerrettig für mehr als zwei Millionen Thaler verzehrt worden sei, einige Nullen überschüssig sein mögen. Der Knoblauch scheint sein Heimathland in den ungarischen Steppen zu haben. Die Zwiebel findet sich nicht mehr im wilden Zustande, stammt aber jedenfalls aus Asien.

So hat uns denn die geschichtliche Betrachtung der Gemüse weit über Italien und über die Römerzeit hinausgeführt. Die Römer, denen wir zunächst die meisten der bisher genannten Gartenpflanzen verdanken, waren wohl nur für wenige die ersten Anbauer; aber sie behalten das Verdienst, bei ihren Eroberungszügen und Handelsfahrten, die Unheil genug geschaffen haben, die Verbreiter der Errungenschaften alter Culturvölker geworden zu sein.

Es scheint nicht, daß Afrika darauf Anspruch machen dürfe, die Urpflegerin einer Gemüsegarten-Pflanze zu sein, obgleich wahrscheinlich manche der den südlichsten Ländern Europa’s entlehnten Küchenkräutern auch am Nordrande des Atlas wild wachsen. Sicher steht, daß Neuholland, dessen arme Urbewohner von der Natur weder ein Hausthier, noch eine dankbare Culturpflanze zum Angebind erhielten, in unsern Gärten keinen Vertreter besitzt.

Amerika hat uns nur wenige Arten von Nahrungspflanzen, darunter aber eine geliefert, die so massenhaft angebaut und genossen wird, daß man ihre Knollen schon lange nicht mehr als Zukost und Gemüse, sondern als einen mit dem Getreidemehle gleichberechtigten Nahrungsstoff bezeichnet. Noch vor 100 Jahren waren die Kartoffeln indeß bei uns noch eine Gartenpflanze, was sie auch jetzt in den armen Dörfern des Erzgebirges und im nördlichen Scandinavien ist, und zwar meist als alleiniger Inhaber aller Beete. Auch sie liebt, gleich dem Mangold, Sellerie, Kohl und Spargel, als Wildling die Nähe des Meeres, sie wächst ursprünglich auf felsigem Boden längs der Küsten von Peru und Chili. An Zahl der Spielarten übertrifft sie alle andern Knollengewächse.

Außer diesem mehr als irgend eine Gartenpflanze von weltgeschichtlicher Bedeutung gewordenen Knollengewächse hat uns Amerika noch zwei Wurzelgewächse dargeboten, die indeß kein großes Glück gemacht haben. Die aus Peru stammende Erdbirne (Topinambur), die Schwester der Sonnenblume, ist wegen der Fadheit ihrer wäßrigen Knollen nunmehr fast aus den Gärten verschwunden und wird nur als Viehfutter auf dürren Feldern gezogen; die andere, die schön blühende Nachtkerze oder Rhapontik (Oenothera) ist dermaßen in Ungnade gefallen, daß sie in den Gärten wohl gar nicht mehr gefunden wird, dagegen ist sie als Gartenflüchtling an Straßenrändern und auf Flußgeröllen verwildert.

Der Mais, dessen unreife Körner in Nordamerika als Gemüs anstatt der Zuckererbsen genossen werden, tritt in unsern Gärten nur als Zierpflanze auf.

Von Gewürzpflanzen hat uns Amerika blos den spanischen Pfeffer dargeboten, dessen brennenden Geschmack indeß die Deutschen nicht so lieben, wie die Engländer, welche sich dieses wahrhaft feurige Gewürz in ihren Colonien angewöhnt haben mögen.

Damit hätten wir denn unsere geschichtliche Heerschau im Gemüsegarten beendigt und überlassen es dem stillen Nachdenken des Gartensfreundes, sich in Betrachtungen über all die weltgeschichtlichen Ereignisse zu versenken, welche vorhergehen und zusammenwirken mußten, um unsere Gartenbeete zu einer solchen Prachtsammlung von Leckerbissen zu erheben. Wir sehen Chinesen, Perser, Aegypter, Griechen und Römer als thätige Gärtner; wir erkennen, wie Kriegszüge und Ansiedlungen von Missionaren und Mönchen, wie tausend Entdeckungsreisen und Handelsfahrten nöthig waren, um alle die Fremdlinge zusammenzubringen, die wir jetzt auf deutschem Boden erziehen; wir beobachten, daß nicht nur die Lust am Neuen, sondern auch religiöse Satzungen, z. B. die Fastenzeit, die Zahl der Culturpflanzen gemehrt, aber auch gewisse Pflanzen in Verruf gebracht haben; zum Schlusse verfolgen wir mit Antheil die Wanderungen, welche unsere einheimischen und eingeführten Gemüsepflanzen in neuester Zeit über die ganze Erde machen. Am Cap der guten Hoffnung, in Brasilien, in Nordamerika, in Australien, wo sich nur irgend europäische Ansiedler niedergelassen haben, werden die meisten unserer Küchengartenpflanzen angebaut. Manche freilich, z. B. die Erdbeeren und Himbeeren, gedeihen in heißen Ländern nicht; die meisten dagegen sind wahre Allerweltspflanzen und kommen, mit Ausnahme der Polargegenden, überall fort. Ein vorzügliches Gemüseland scheint Californien werden zu sollen; auch Südaustralien läßt unsere Gemüse vortrefflich gedeihen; es klingt gar befremdend, wenn man im Haushaltungskalender für Adelaide liest: „Im October lege Bohnen und Gurkenkerne; im December säe Blumenkohl.“

Zuletzt regt sich in dem, der in der traulichen Gartenlaube die Geschichte der Gärten erwägt, noch die Lust, in die Zukunft zu blicken. Werden, so fragt man sich, unsere Gemüsebeete noch wesentliche Bereicherungen erfahren? Es scheint nicht so. Was die gemäßigten Erdgürtel an dankbaren Pflanzen bieten, ist seit uralter Zeit in unsere Gärten aufgenommen; die tropischen Gemüsepflanzen dagegen haben bis jetzt keine so ausgezeichneten Vorzüge geoffenbart, daß man an ihre im Erfolge zweifelhafte und jedenfalls große Kunst und Mühe erfordernde Zucht denken möchte. Unsere seit Jahrhunderten gebauten Gemüse- und Obstpflanzen liefern ja für jede Tonart des Geschmacks so treffliche Vertreter, daß wir keinen Grund haben, uns nach andern umzusehen. Selbst die Ananas, die als Leckerei für vornehme Tafeln in manchen Warmhäusern gezogen wird, möchten wir nicht gegen die Erdbeere vertauschen.