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Ein Dompropst vor Gericht

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Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Ein Dompropst vor Gericht
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6, Seite 103–142
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Ein Dompropst vor Gericht.

Erfahrenen Kriminalisten ist es hinlänglich bekannt, daß Sittlichkeitsvergehen ausnahmslos von allen Gesellschaftsklassen begangen werden. Es berührt selbstverständlich ungemein peinlich, wenn Geistliche oder Lehrer vor den Schranken der Justitia erscheinen müssen, um sich wegen Vornahme unzüchtiger Handlungen mit Schülern oder Schülerinnen zu verantworten. Gelegenheit macht aber nicht nur Diebe, es verleitet auch wohl gewissermaßen zu sittlichen Verfehlungen. Ich bin weit entfernt, unsittliche Handlungen irgendwie entschuldigen zu wollen. Im Gegenteil, ich bin der Ansicht, daß eine strenge Ahndung notwendig ist, wenn ein Gebildeter und gar erst ein Geistlicher oder Lehrer sich an Kindern vergeht. Allein vom menschlichen Standpunkt wird man Geistlichen und Lehrern mildernde Umstände nicht ganz versagen können, wenn man die günstige Gelegenheit in Erwägung zieht. Tout comprendre, c’est tout pardonner (alles verstehen, heißt alles verzeihen), dieser Grundsatz sollte insbesondere bei sittlichen Verfehlungen nicht außer acht gelassen werden. Es wäre vollständig falsch, wenn man behaupten wollte: der Stand der Geistlichen und Lehrer neige besonders zu sittlichen Verfehlungen. Ebenso wie es verfehlt wäre, eine politische Partei für die Straftat eines oder einiger ihrer Zugehörigen verantwortlich zu machen, so ist es im höchsten Grade verwerflich, einer Glaubensgemeinschaft die Straftaten eines ihrer Zugehörigen irgendwie zur Last zu legen. Ich habe es auch gemißbilligt, daß, als im Jahre 1874 der katholische Böttchergeselle Kullmann in Kissingen auf den deutschen Reichskanzler, Fürsten v. Bismarck schoß, der Versuch unternommen wurde, diese ruchlose Tat den Katholiken, bezw. der deutschen Zentrumspartei an die Rockschöße zu hängen. Aber ebenso zu mißbilligen war es, daß man die Sozialdemokraten für die Verbrechen der Attentäter Hödel und Nobiling, die bekanntlich im Sommer 1878 auf den damals 81jährigen Kaiser Wilhelm I. geschossen haben, verantwortlich machte. Das war um so verwerflicher, da beide Attentäter mit der Sozialdemokratie keinerlei Beziehungen hatten. Nicht minder verwerflich war es, daß gewisse Elemente in Rußland für die Ermordung des russischen Ministerpräsidenten Stolypin im Theater zu Kiew durch den Polizeispitzel Bagarow, die Juden verantwortlich machen wollten, weil der Mörder zufällig jüdischer Abstammung war. Ohne das energische Auftreten des russischen Kaisers wäre aus Anlaß dieses Mordes ein Judenmassaker in Kiew und anderen russischen Städten wohl unausbleiblich gewesen. Es ist ein häßliches Zeichen der Zeit, daß selbst Gebildete die Entartungen Einzelner wohl nicht deren Familien entgelten lassen, aber geneigt sind, politische Parteien und religiöse Gemeinschaften für Verbrechen Einzelner verantwortlich zu machen. Selbstverständlich berührte es ungemein peinlich, als sich Anfang April 1905 vor der zweiten Strafkammer des Großherzoglichen Landgerichts zu Mainz der Wormser Dompropst Malzi wegen Sittlichkeitsverbrechens, vorsätzlicher Körperverletzung, in idealer Konkurrenz mit Nötigung, auf Grund der §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 3, 240 und 223 des Strafgesetzbuches verantworten mußte. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Zimmermann. Die Großherzogliche Staatsanwaltschaft vertrat Oberstaatsanwalt Dr. Schmidt. Die Verteidigung hatte der Reichstagsabgeordnete, Justizrat Dr. Schmitt (Mainz) übernommen. Der Angeklagte, Dompropst Malzi, 1865 zu Darmstadt geboren, war eine stattliche, sympathische Erscheinung. Sein Äußeres und seine Haltung ließen auf den ersten Blick den hohen katholischen Würdenträger erkennen. Nach Verlesung des Anklagebeschlusses stellte der Vorsitzende an den Oberstaatsanwalt die Frage, ob er einen Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit zu stellen habe. – Oberstaatsanwalt: Ich habe keinen Anlaß, einen solchen Antrag zu stellen. Es werden in der Verhandlung kaum Dinge zur Sprache kommen, die eine Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit besorgen lassen. – Vert. J.-R. Dr. Schmitt: Ich bin vollständig der Ansicht des Herrn Oberstaatsanwalts. Ich bin aber auch deshalb gegen den Ausschluß der Öffentlichkeit, da alsdann in der Öffentlichkeit die Ansicht Platz greifen könnte, der Herr Angeklagte habe Dinge begangen, die das Tageslicht zu scheuen haben. Die Verhandlung könnte jedoch ergeben, daß dies durchaus nicht der Fall sei. – Angekl.: Ich bitte ebenfalls den hohen Gerichtshof, die Öffentlichkeit nicht auszuschließen. Andernfalls wird in der Außenwelt die Meinung entstehen, ich hätte Dinge begangen, die nicht öffentlich verhandelt werden dürfen. – Nach längerer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende: Der Gerichtshof hat beschlossen, die Öffentlichkeit auszuschließen, da hier doch Dinge erörtert werden müssen, wodurch eine Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit zu besorgen ist. Der Zuhörerraum ist zu räumen. – Auf Antrag eines Wormser Zeitungsberichterstatters beschloß der Gerichtshof, den Vertretern der Presse den Zutritt zu gestatten. – Es wurde hierauf der Angeklagte vernommen. Er erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei vollständig unschuldig. Es sei seine Pflicht als Seelsorger und Religionslehrer, darüber zu wachen, daß seine Schüler und Schülerinnen nicht unsittliche Dinge begehen. Es sei ihm aber von glaubwürdiger Seite mitgeteilt worden, daß zwei seiner Schülerinnen mit einem seiner Religionsschüler, einem vierzehnjährigen Knaben, Unzucht treiben. Er habe deshalb die Mädchen in energischer Weise zur Rede gestellt. Da sie beharrlich leugneten, habe er den Knaben zu sich in die Kirche bestellt. Dieser habe ebenfalls geleugnet. Nachdem er ihm aber ein paar Ohrfeigen gegeben, habe er alles zugestanden. Er habe alsdann den Knaben genötigt, seine Aussage nach Diktat niederzuschreiben, um dadurch die Mädchen zu einem Geständnis zu bewegen. Letztere haben schließlich nach längerem Weigern das Diktat durch Unterschrift bestätigt. Nach geschehener Unterschritt habe Katharina Zimmermann gesagt: Wir haben wohl unterschrieben, es ist aber alles erlogen. Daraufhin habe er dem Mädchen ein paar Ohrfeigen gegeben. Die Grenzen des ihm zustehenden Züchtigungsrechts habe er aber nicht überschritten. – Es wurde darauf der 15jährige Handlungslehrling Franz Werner als Zeuge aufgerufen. Er bestritt, mit den beiden Mädchen Ungehörigkeiten begangen zu haben. Da er, vom Propst zur Rede gestellt, dies bestritten, habe ihn der Propst geohrfeigt und ihn genötigt, ein Schriftstück zu unterschreiben. Er wisse aber nicht, was er unterschrieben habe. – Arbeiter Werner, Vater des Franz Werner, bekundete als Zeuge: Sein Sohn sei ein sehr braver Junge. Er glaube nicht, daß er in unzüchtiger Weise mit Mädchen verkehrt habe. Der Knabe erzählte: er sei infolge der Schläge so eingeschüchtert gewesen, daß er zu allem ja gesagt habe. Er habe etwas unterschreiben müssen, er wisse aber nicht, was er unterschrieben habe. Als der Knabe nach Hause kam, befand er sich infolge der vielen und heftigen Schläge in einem Zustande, daß er nicht wußte, was er tat. – Vors.: Sie haben gegen den Propst Strafantrag gestellt? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Sie haben aber trotzdem Ihren Sohn immer noch angehalten, beim Herrn Propst die Messe zu besuchen? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Ihr Sohn soll von seinem Prinzipal entlassen worden sein, weil sich Unregelmäßigkeiten ergeben hatten? – Zeuge: Das ist unwahr. – Vert.: Ist es wahr, daß Sie zu dem Herrn Propst gesagt haben, Sie werden Ihren Sohn auch noch züchtigen? – Zeuge: Das ist richtig, ich glaubte eben, mein Sohn habe sich vergangen. – Vors.: Als Ihr Sohn von dem Herrn Probst gezüchtigt wurde, hatten Sie da schon gehört, daß der Herr Propst mit den Mädchen Unsittlichkeiten begangen habe? – Zeuge: Nein, das habe ich erst später gehört. – Frau Werner, Gattin des Vorzeugen, bekundete: Eines Tages kam ihr Sohn Franz heftig weinend nach Hause und klagte: Der Propst habe ihn furchtbar geschlagen, weil er mit Mädchen unanständige Dinge begangen habe, das sei aber nicht wahr. Der Propst hatte dem Knaben einen Zettel mitgegeben: „Ihr Sohn hat unanständigen Verkehr mit Mädchen unterhalten, ich bitte aber, ihn nicht übermäßig zu bestrafen.“ – Vors.: Trauen Sie Ihrem Sohne das Treiben solcher Dinge zu? – Zeugin: Es ist mein Kind, ich kann versichern, ich traue es dem Jungen nicht zu. – Vors.: Ist es ein ordentlicher, wahrheitsliebender Knabe? – Zeugin: Ja, durchaus. Ich habe den Knaben befragt, wessen ihn der Propst eigentlich beschuldige. Der Knabe hat sich geniert, mir dies zu erzählen. – Auf Befragen des Oberstaatsanwalts bekundete die Zeugin: Ihr Sohn habe einmal ein Gedicht mitgebracht, das er von anderen Kindern erhalten habe. Es war das ein Gedicht über den Propst. – Handlungslehrling Karl Feucht: Franz Werner habe ihm erzählt, der Propst habe ihn heftig geschlagen und ihn bezichtigt, mit Mädchen unanständigen Verkehr unterhalten zu haben. Er glaube nicht, daß Franz Werner so etwas getan habe. – Handlungslehrling Alexander Hohmann: Der Propst habe ihn gefragt, ob ihm bekannt sei, daß Franz Werner mit Mädchen unzüchtigen Verkehr unterhalten habe. Es sei ihm aber nicht das geringste bekannt gewesen. – Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Als er Werner sagte: er sei zum Propst bestellt worden, versetzte Werner, er sei auch bestellt worden. Werner sagte: Du brauchst beim Propst nicht alles zu sagen. – Vors.: Wußten Sie, daß Werner bekannt war, weshalb Sie zum Propst bestellt waren? – Zeuge: Er sagte, ich weiß, weshalb ich bestellt bin. – Vors.: Hatten Sie die Empfindung, daß Werner auch wußte, weshalb Sie bestellt seien? – Zeuge: Jawohl. – Oberstaatsanwalt: Angeklagter, wie kamen Sie dazu, auf der Grundlage von Hohmann und Zindel, die beide nichts wissen, dem Franz Werner und den Mädchen auf den Kopf zuzusagen: sie hätten sich geküßt und unsittlich verkehrt? – Zeuge: Die Knaben sagten, sie haben etwas gehört. – Oberstaatsanwalt: Weshalb bestellten Sie Zindel zweimal zu sich? – Angekl.: Ich wollte doch etwas herausbekommen. – Handlungslehrling Friedrich Zindel: Der Dompropst habe ihn auch in eingehender Weise über den Verkehr des Werner mit den Mädchen befragt, er habe aber nicht das mindeste davon gewußt. – Auf Befragen des Oberstaatsanwalts bemerkte der Zeuge: Der Dompropst sagte: Er habe die Mädchen schon vernommen, diese haben ein Geständnis abgelegt, er solle nur auch sagen, was er wisse. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie dem Propst nicht gesagt, Sie hätten gehört, Franz Werner laufe den Mädchen nach? – Zeuge (nach längerem Zögern): Ja. – Vors.: Hattest du sonst etwas von Franz Werner gehört? – Zeuge: Nein. – Vors.: Hat dich der Propst aber nach Schweinereien gefragt, die Werner begangen haben sollte? – Zeuge: Jawohl. – Auf Befragen des Oberstaatsanwalts bekundete Zeuge Hohmann: Der Dompropst habe gesagt: Die Sache ist fertig, die Mädchen haben schon gestanden. Sage also alles, was du weißt. Er habe aber nichts gewußt. – Zindel gab auf Befragen zu: Werner habe einem Mädchen für zwei Mark ein „Christkindche“ gekauft. Werner habe häßliche Redensarten geführt? – Vors.: Was waren das für häßliche Redensarten? – Zeuge: „Grad aus dem Wirtshaus komm ich heraus.“ (Heiterkeit) – Werner bestritt, einem Mädchen für zwei Mark ein „Christkindche“ gekauft zu haben. Ebenso sei es unwahr, daß er dem Zeugen vorgemacht habe, wie er Äpfel stehle. Er gebe zu, dem Zeugen bisweilen etwas erzählt zu haben, um zu renommieren. – Lehrer Mattheus: Werner sei ein gut veranlagter Schüler und durchaus wahrheitsliebend gewesen. – Fabrikarbeiter Gruhn bestätigte, daß Werner ein sehr ehrlicher Mensch sei. – Werner gab schließlich nach längerem Zögern als möglich zu, daß er zu Hohmann gesagt habe: Er wisse schon, was der Propst wolle. – Kaufmann Ludwig Meyer: Er habe Werner wegen verschiedener Nachlässigkeiten eine Ohrfeige gegeben. Darauf sei Werner ihm entlaufen. Er könne aber über ihn nichts Nachteiliges sagen. – Handlungslehrling Möbius: Er sei Werner einmal in Gesellschaft eines Mädchens begegnet, er wisse aber nicht, ob Werner mit dem Mädchen unanständige Dinge getrieben habe. – Handlungslehrling Andres: Werner habe ihm erzählt, er habe das Schriftstück bei dem Propst unterschrieben, weil er infolge der heftigen Schläge ganz verwirrt gewesen sei. Er wisse nicht, was er unterschrieben habe. Werner habe ihm erzählt: Der Dompropst hätte ein Sittlichkeitsattentat auf die Mädchen unternommen. – Kreis-Assistenzarzt Dr. Fresenius: Eines Tages kam Schuhmachermeister Zimmermann zu mir mit seiner Tochter und sagte: seine Tochter sei vom Dompropst heftig geschlagen worden, weil das Mädchen ein ihr vorgelegtes Schriftstück nicht habe unterschreiben wollen. Er möchte gern seine Tochter aus dem Schulunterricht von dem Dompropst befreien. Er habe das Mädchen untersucht und dem Mann den Rat gegeben, entweder bei der Staatsanwaltschaft oder der Kreisschulkommission Anzeige zu erstatten. – Dem von dem Kreisarzt ausgestellten Attest war zu entnehmen, daß dieser am 20. Januar 1905 die kleine Zimmermann untersucht hatte. Nach dem Befund muß das Mädchen einen sehr heftigen Schlag auf den Kopf erhalten haben, so daß sie über das Sofa hinüber mit dem Kopf an die Wand geprallt sei. Das Mädchen habe, obwohl die Mißhandlung am 17. Januar stattgefunden, noch am 20. Januar sehr heftige Kopfschmerzen gehabt. Durch die Ohrfeigen seien dem Kinde die Ohrringe herausgefallen. Die Ohrmuscheln seien grün und blau unterlaufen und dick angeschwollen gewesen. Die Verletzungen entsprachen vollständig den Angaben über die Mißhandlungen. – Polizeikommissar Fischer (Worms): Er habe Nachforschungen über die Familien Werner und Zimmermann vorgenommen und nichts Nachteiliges erfahren. Auch über den Handlungslehrling Werner habe er nichts Nachteiliges erfahren. – Oberstaatsanwalt: Ist es richtig, daß in jüngster Zeit mehrfach Gebetsversammlungen für Freisprechung des Dompropstes Malzi stattgefunden haben? – Zeuge: Jawohl. – Oberstaatsanwalt: Danach scheint man in der Wormser katholischen Gemeinde nicht an die Schuld des Dompropstes zu glauben ? – Zeuge: So ist es. – Polizeisekretär Resch (Worms): Es sei ihm einmal berichtet worden, ein geistlicher Herr habe eines Tages auf der Straße in auffallender Weise ein Schulmädchen verfolgt. Die Beschreibung paßte auf den Dompropst Malzi. Er könne nicht genau sagen, oh der Propst zugegeben, die Zimmermann geküßt zu haben. – Vors.: Ich glaube, der Angeklagte hat zugegeben, daß er die Zimmermann geküßt habe. – Oberstaatsanwalt: Das hat der Angeklagte nicht zugegeben, zugegeben hat er nur, daß er die Zimmermann gestreichelt und diese dabei den Kopf in den Nacken geworfen habe. – Polizeisekretär Resch: Ich kann nicht genau sagen, ob der Angeklagte das Küssen der Zimmermann zugegeben hat, jedenfalls hat die Zimmermann ihrer Freundin Metzger erzählt: der Propst habe sie aufs Sofa geworfen, geküßt und eine Handbewegung gemacht, deren Wiedergabe aus Schicklichkeitsgründen unterbleiben muß. (Der Verfasser.) Der Zeuge bekundete noch: Er habe zu der Metzger gesagt: Du bist ja auch oftmals bei dem Dompropst gewesen, hat er auch mit dir etwas vorgehabt? Die Metzger sei darauf feuerrot geworden und habe geschwiegen. – Unter allgemeiner Spannung erschien darauf Katharina Zimmermann als Zeugin. Es war ein sehr hübsches, kleines Mädchen. Sie gab auf Befragen des Vorsitzenden an: Sie sei am 28. Februar 1891 geboren und sei die Tochter des Schuhmachermeisters Zimmermann. Der Dompropst habe sie einmal gefragt, ob sie den Franz Werner kenne und ob sie mit ihm Verkehr habe. – Vors.: Kanntest du Franz Werner? – Zeugin: Ja, ich wußte, daß er Franz Werner heißt. – Vors.: Hat der Propst gesagt, was für einen Verkehr du mit Franz Werner unterhalten haben sollst? – Zeugin: Nein. – Die Zeugin bekundete ferner: Der Propst habe sie alsdann gefragt, ob ihr bekannt sei, daß Werner mit der Hedwig Schmidt verkehrt habe. Sie habe das auch verneint. Darauf habe der Propst gesagt: Gestehe, daß du mit Werner verkehrt hast, Werner hat es bereits gestanden und unterschrieben. Wenn du nicht gestehst, du Heuchlerin, dann kommst du ins Gefängnis oder in eine Besserungsanstalt, in der du bis zu deinem 20. Lebensjahr bleiben mußt. Sie habe geantwortet: Was Werner gesagt hat, ist nicht wahr. Dabei habe sie geweint. Daraufhin habe der Propst sie aufgefordert, das Zimmer zu verlassen und die Hedwig Schmidt vernommen. Nach einiger Zeit habe er sie wieder hereingerufen und sie wiederum aufgefordert, zu gestehen und den Zettel zu unterschreiben, den Werner schon unterschrieben habe. Sie habe nach längerem Weigern schließlich unterschrieben, zumal der Propst sagte: die Schmidt habe eingestanden und auch den Zettel unterschrieben. Als sie unterschrieben hatte, habe sie gesagt: Ich habe unterschrieben, aber es ist gelogen. Daraufhin habe der Propst sie heftig auf den Kopf geschlagen. Alsdann habe der Propst die Schmidt hinausgeschickt, sie an sich gezogen und sie gefragt: Habe ich dir weh getan? Als sie dies verneinte, habe sie der Propst zweimal geküßt. Darauf habe er sie angefaßt, sie auf das Sofa gelegt und gesagt: Jetzt tust du mit mir, was du mit Werner getan hast (Große Bewegung.) Sie habe geweint, den Propst abgewehrt und gesagt: Das tue ich nicht. Alsdann habe er die Schmidt ins Zimmer gerufen, habe beide auf die Erde gelegt und gesagt: Nun macht mit mir, was ihr mit Werner gemacht habt. Sie wehrten beide ab. Da sagte der Propst: Mit Werner tun sie es, mit mir genieren sie sich. Daraufhin habe der Propst beide Mädchen unzüchtig berührt. Alsdann habe er beide aufgefordert, zu unterschreiben, daß er nichts Unrechtes mit ihnen begangen habe. – Vors.: Ist das auch alles vollständig wahr? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Du weißt doch, daß, wenn das nicht wahr ist, du den Propst unschuldig schwer belastest? – Zeugin: Ja. – Vors.: Das was du uns gesagt hast, kannst du vor Gott und deinem Gewissen verantworten? – Zeugin: Ja. – Vors.: Empfandest du das, was der Propst mit dir vornehmen wollte, als eine Schweinerei? – Zeugin: Jawohl. - Die Zeugin mußte darauf in eingehender Weise eine gewisse Situation schildern, deren Wiedergabe aus Schicklichkeitsgründen unterbleiben muß. – Zwei Lehrer bekundeten übereinstimmend: Katharina Zimmermann sei ein sehr gutes, folgsames, wahrheitsliebendes und sittenreines Mädchen, das in jeder Beziehung glaubwürdig sei. – Frau Zimmermann, die Mutter der kleinen Katharina, bekundete: Eines Tages kam Katharina nach Hause und sagte: Ich gehe nicht mehr zum Propst. Ich sagte: Du bist wohl unfolgsam zum Herrn Propst gewesen und hast „Schläg“ bekommen. Nein, sagte Katharina: Der Propst läßt mich nicht in Ruhe. Was soll das heißen, fragte ich: Der Propst küßt mich immer, versetzte das Kind. Ich ging mit dem Kind zum Propst und stellte ihn zur Rede. Der Propst sagte: ich gebe zu, daß ich das Kind geküßt habe, das Mädchen hat so schöne rote Wangen. Ich habe es geküßt, weil ich es als meine Schwester betrachtete. Ich erwiderte: Unterlassen Sie das, Herr Propst, sonst muß ich Anzeige machen. – Vors.: Hat der Propst ausdrücklich zugegeben, daß er das Kind geküßt hat? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Hat der Propst vielleicht gesagt: Ich habe das Kind bloß gestreichelt? – Zeugin: Nein, er sagte: Ich habe das Kind geküßt. – Auf weiteres Befragen äußerte die Zeugin: Am 17. Januar ds. Js. sagte Katharina: Der Propst hat mich heute zu sich bestellt. Weshalb hat dich der Herr Propst bestellt? fragte ich. Das weiß ich nicht, versetzte Katharina. Hedwig Schmidt ist auch zum Propst bestellt. Als die Katharina zurückkam, war sie ganz verändert. Sie weinte heftig und erzählte: Sie und auch Hedwig Schmidt seien vom Propst durch Schläge und Drohungen gezwungen worden, ein Schriftstück zu unterschreiben, in dem sie erklärten: sie haben mit Franz Werner unanständigen Verkehr gehabt. Als sie (Katharina) unterschrieben hatte, habe sie gesagt: Ich habe unterschrieben, aber getan habe ich es nicht, es ist alles gelogen. Darauf habe sie der Propst so heftig auf den Kopf geschlagen, daß ihr die Ohrringe herausgefallen seien. Sie sei außerdem vom Propst so gestoßen worden, daß sie mit dem Kopf an die Wand geprallt sei. Das Kind klagte über heftige Kopfschmerzen. Die Ohrmuscheln waren rot und blau unterlaufen und dick angeschwollen. Der Propst habe sie nach erhaltenen Schlägen an sich gezogen, geküßt, sie unzüchtig berührt, aufs Sofa geworfen und entblößt. Er habe alsdann unanständige Dinge mit ihr vornehmen wollen, mit dem Bemerken: Jetzt machst du das mit mir, was du mit Werner gemacht hast. Sie habe den Propst abgewehrt und gesagt: Nein, ich habe mit Werner nichts gemacht. Was Sie mit mir machen wollen, ist Sünde. „Wenn du es mit Werner machst, dann ist es Sünde, wenn du es mit mir machst, ist es keine Sünde“, habe der Propst gesagt (Bewegung.) Ich begab mich sofort zum Propst und stellte ihn zur Rede. Da sagte der Propst: Das Mädchen ist schlecht, sie hat mit einem „Bub“ unsittlichen Verkehr gehabt, deshalb habe ich es gezüchtigt. Ich war sehr aufgebracht und sagte: Das lasse ich mir nicht gefallen, ich lasse mein Kind nicht schlecht machen. Stellen Sie mir den „Bub“, mit dem meine Katharina etwas gemacht haben soll, gegenüber. – Na, gehen Sie mit Ihrer Tochter nicht so hoch hinaus, das ist ein schlechtes Mädchen, sagte der Propst. Ich sagte: Das lasse ich mir nicht gefallen, ich lasse mein Kind nicht schlecht machen, stellen Sie mir den „Bub“ gegenüber. Das werde ich tun, sagte der Propst. Ich will den Bub noch heute sprechen, sagte ich. Der Propst bestellte den Bub. Als ich wieder zum Propst kam, waren Herr Rechtsanwalt Roth und der Kirchendiener Wiegand bei ihm. Der Propst war mit Franz Werner im Nebenzimmer und redete auf ihn ein. – Vors.: Konnten Sie hören, was der Propst zu dem Bub gesagt hat? – Zeugin: Nein. Dann kam Franz Werner aus dem Zimmer. Er sagte auf mein Befragen: Ich habe auch vom Herrn Propst „Schläg kriegt“, weil ich das Schriftstück nicht unterschreiben wollte, ich habe aber nichts mit dem Mädchen gemacht. – Vors.: Hat der Propst außerdem den Versuch gemacht, Ihre Tochter schlecht zu machen? – Zeugin: Jawohl, er sagte: sie habe sich im Kreise gedreht und sich in unanständiger Weise gebückt. Sie habe auch schlechte Lieder gesungen. – Vors.: Ist Ihre Tochter ein schlechtes Mädchen, so daß man annehmen kann, es habe sich mit Jungens umhergetrieben? – Zeugin: Nein, mein Kind ist ein sehr folgsames, durchaus sittenreines Mädchen. – Vors.: Haben Sie nach der ersten Kußaffäre zu dem Herrn Propst gesagt: Er halte das Kind zum Lügen an? – Zeugin: Jawohl, ich sagte: Sie haben dem Kind gesagt: es solle nichts sagen, daß Sie es geküßt haben. – Der Propst sagte: Na, machen Sie nichts daraus, es wird nicht mehr vorkommen. Ich werde dem Kind ein „Kleidche“ kaufen, oder sonst ein Geschenk machen. Ich habe die Sache bereits dem Herrn Bischof angezeigt und werde wohl bald aus Worms herauskommen. Ich erwiderte: Herr Propst, Sie brauchen meinem Kind nichts zu schenken, behandeln Sie nur mein Kind wie jedes andere. – Oberstaatsanwalt: Wie haben Sie die Mitteilung: er hätte bereits alles dem Herrn Bischof angezeigt, aufgefaßt? – Zeugin: Ich hatte den Eindruck, der Propst habe das alles erzählt, um mich von einer Anzeige abzuhalten. – Oberstaatsanwalt: Sie hatten schließlich mit dem Herrn Propst Frieden geschlossen, und zwar in einer Weise, daß Sie beide vor Rührung geweint haben? – Zeugin: Das ist richtig. – Vors.: Hat nun der Herr Propst ein Geschenk gemacht? – Zeugin: Ja, er hat am Weißen Sonntag ein Gebetbuch und ein Neues Testament und ein Kleidchen geschenkt. Katharina erzählte mir: Der Propst habe sie gefragt: Hast du noch mehr Verehrer? – Oberstaatsanwalt: Sie hatten die Auffassung, der Propst habe die Prügelaffäre nur vorgenommen, um zu verhindern, daß Sie wegen der ersten Kußaffäre Anzeige erstatten? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Ist darauf noch etwas zu erklären? – Vert.: Ich danke. – Angekl. Dompropst Malzi: Ich versichere wiederholt, ich habe zu Frau Zimmermann nur gesagt: Ich habe das Mädchen geliebkost, ich habe nicht zugegeben, daß ich es geküßt habe. Mag Frau Zimmermann ihr Gedächtnis einmal zusammennehmen. – Frau Zimmermann: Ich weiß ganz bestimmt, der Herr Propst hat zugegeben, er habe das Kind geküßt. – Eine weitere Zeugin war die 15 jährige Schülerin Elise Zimmermann, Schwester der Katharina Zimmermann. Sie bestätigte im wesentlichen die Bekundungen ihrer Mutter. – Schuhmachermeister Zimmermann: Meine Tochter Katharina erzählte mir: der Propst habe zu ihr gesagt: Sie und Hedwig Schmidt haben sich mit Franz Werner einmal derartig gejagt, daß sie einen Wassereimer umgestoßen haben, alsdann haben sie Vaterchens und Mutterchens gespielt. Das Kind sagte: Papa hat mich schon hart geschlagen, aber niemals so furchtbar wie der Herr Propst. Als ich den Propst zur Rede stellte, sagte er: Nehmen Sie Ihre Tochter nicht so in Schutz. Die treibt sich mit Jungens herum, dreht sich auf der Straße unanständig im Kreise und bückt sich unanständig. Die Sache kommt vors Gericht. Ihre Tochter kommt in eine Besserungsanstalt. Ich erwiderte: Wenn die Sache vors Gericht kommt, dann soll auch alles herauskommen. Bisher habe ich geschwiegen, obwohl schon alle Schulkinder darüber sprachen, daß Sie meine Tochter liebkosten, küßten und ihr allerlei Aufmerksamkeiten erwiesen. Daß die Kinder in meiner Wohnung etwas Unanständiges begangen haben, ist nach Lage der Dinge vollständig ausgeschlossen. Als ich mit meiner Frau zum Propst kam, um mit Franz Werner zu sprechen, waren Rechtsanwalt Roth und der Kirchendiener Wiegand in der Wohnung. Der Propst war mit Franz Werner im anderen Zimmer, schließlich kam er mit Werner aus dem Zimmer und sagte: Herr Rechtsanwalt Roth wird jetzt den Bub zu Protokoll vernehmen. Werner sagte aber, ich bleibe dabei: Ich bin zweimal bei Schmidt gewesen, ich habe aber niemals mit einem Mädchen etwas Unrechtes gemacht. – Vors.: Ihre Tochter soll unanständige Lieder gesungen haben? – Zeuge: Davon ist mir nichts bekannt. – Katharina Zimmermann bemerkte auf Befragen: Sie habe ein unanständiges Lied von den Schülerinnen des katholischen Instituts in Worms, der „englischen Fräulein“, gehört. – Schuhmachermeister Zimmermann bekundete noch: Der Propst habe seine Tochter auch beschuldigt, sie habe auf der Straße Lehrern nachgepfiffen, er wisse nicht, ob das wahr sei. – Schülerin Elisabeth Metzger: Katharina Zimmermann habe ihr erzählt: Der Propst habe sie gestreichelt; erst einige Zeit später habe sie erzählt, der Propst habe sie geküßt. Die Katharina habe sich niemals unanständig benommen, sie habe sich auch niemals mit „Buben“ umhergetrieben. – Katharina Zimmermann: Ich habe der Metzger sofort gesagt, daß mich der Propst geküßt hat. – Die Metzger bekundete im weiteren: Katharina Zimmermann habe ihr erzählt, daß sie beim Propst ein Schriftstück habe unterschreiben müssen, daß er sie alsdann geschlagen habe und unanständige Sachen mit ihr machen wollte. Sie (Z.) sei auch dieses Vorkommnisses wegen zum Propst bestellt worden. – Vors.: Bist du zum Herrn Propst gegangen? – Zeugin: Nein. – Vors.: Weshalb gingst du nicht hin? – Zeugin: Ich glaubte, die Sache wird vom Gericht erledigt werden. – Schülerin Elise Schellenschleger: Katharina Zimmermann, Hedwig Schmidt und Franz Werner sollen sich in der Kirche derartig unanständig benommen haben, daß sie aus der Kirche verwiesen wurden. Katharina Zimmermann habe ihr die Vorgänge in dem Pfarrhause erzählt und ihr gesagt: der Propst habe schließlich beide Mädchen aufgefordert, ihn um Verzeihung zu bitten und ihm zur Bekräftigung einen Kuß zu geben. Da habe Katharina geantwortet: Wenn Hedwig Schmidt das tut, dann tue ich es auch. Hedwig Schmidt habe darauf den Propst um Verzeihung gebeten und ihm einen Kuß gegeben. Darauf habe sie das auch getan. – Schülerin Elise Bauer: Katharina habe einige Tage in der Schule gefehlt. Sie habe sie deshalb nach der Ursache gefragt. Darauf habe Katharina den Vorgang bei dem Propst erzählt. Sie sei zu dem Propst vorgeladen worden. Die Katharina habe sie gebeten, sie solle nicht sagen, daß sie einmal auf der Straße einem Lehrer nachgepfiffen habe, und daß sie eine Lügnerin sei. – Katharina Zimmermann: Von Lügnerin habe ich nichts gesagt, ich habe die Bauer nur gebeten, sie solle nicht sagen, daß ich gepfiffen habe. – Vors.: Hast du denn einmal gepfiffen? – Zeugin: Ja. – Vors.: In welcher Weise? – Katharina Zimmermann: Ich habe einmal hinter einem Lehrer gepfiffen. – Oberstaatsanwalt: Elise Bauer, weshalb soll Katharina Zimmermann eine Lügnerin sein? – Die Zeugin schwieg. – Oberstaatsanwalt: Die Lehrer und die Eltern haben unter ihrem Eide erklärt, Katharina Zimmermann sei ein durchaus anständiges Mädchen, wie kommst du also darauf, zu sagen, Katharina sei eine Lügnerin? – Zeugin: Sie hat nicht immer die Wahrheit gesagt. – Oberstaatsanwalt: Bei welcher Gelegenheit hat sie gelogen? – Zeugin: Sie hat einmal in der Schule gesungen. Der Lehrer sagte: weshalb hast du gesungen? Da sagte Katharina: Ich habe nicht gesungen. – Oberstaatsanwalt: Eine solche Notlüge ist auch schon von anderen Leuten begangen worden, deshalb ist Katharina Zimmermann noch nicht eine Lügnerin zu nennen. – Schülerin Katharina Hofmeister schloß sich im wesentlichen den Bekundungen der Vorzeugin an. – Kaplan Grein: Er wohnte in Worms im Pfarrhause. Am 17. Januar habe er gerade Unterricht erteilt, da habe er aus dem Studierzimmer des Propstes heftiges Schreien und Schläge gehört. Er wußte, daß gegen einen Knaben und zwei Mädchen eine Untersuchung wegen Vornahme unanständiger Handlungen schwebe. Der Propst habe ihm erzählt, es seien das sehr unerquickliche Dinge. Er habe angenommen, daß der von ihm wahrgenommene Vorgang eine Folge dieser Untersuchung sei. Er habe deshalb sofort die Fenster geschlossen, denn es wäre ihm peinlich gewesen, wenn die von ihm unterrichteten Knaben von dem Vorgang etwas wahrgenommen hätten. – Oberstaatsanwalt: Kommen denn derartige Dinge öfters in dem Studierzimmer des Herrn Propstes vor? – Zeuge: Ich weiß es nicht, ich bin erst seit Dezember 1904 in Worms. – Schülerin Elise Schmidt: Katharina Zimmermann habe im Kreise verschiedener Schülerinnen den Vorgang beim Propst erzählt. Sie habe gesagt: Was weiter passiert ist, sage ich aber nicht. – Schülerin Magdalene Gerst: Der Propst habe oftmals Katharina Zimmermann aus der Schule gerufen. Er habe sie stets seinen Liebling genannt und gestreichelt. Katharina und auch andere Mädchen haben bisweilen unanständige Lieder gesungen. Eins habe geheißen: „Mensch gedenke.“ Eines Tages habe die Schülerin Rupp sie aufgefordert, zum Herrn Propst mitzukommen. – Vors.: Was solltest du beim Herrn Propst? – Zeugin: Ich sollte sagen, daß Katharina Zimmermann mit „Buben“ verkehrt und sich auf der Straße unanständig bückt, wenn Buben in der Nähe sind. – Vors.: Wußtest du etwas davon? – Zeugin (weinend): Nein. – Vors.: Da konntest du doch nichts sagen? – Zeugin: Ich glaubte, wenn’s der Herr Propst sagt, ist es wahr. – Oberstaatsanwalt: Du wolltest also etwas gegen deine Mitschülerin sagen, wovon du gar nichts wußtest? – Zeugin (weinend): Ja. – Vors.: Hast du denn einmal gesehen, daß Katharina Zimmermann sich mit Buben umhergetrieben hat? – Zeugin: Nein, ich habe nur gesehen, daß Buben der Katharina nachgelaufen sind. – Vors.: Hat sich Katharina dabei unanständig benommen? – Zeugin: Nein, sie hat sich aber manchmal umgedreht. – Vors.: Ist sie aber sonst schnell gelaufen? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Es hatte also den Anschein, daß die Katharina bemüht war, so schnell als möglich von den Buben fortzukommen? – Zeugin: Jawohl. – Eine fernere Zeugin war die 16jährige Anna Schmidt, Schwester der Hedwig Schmidt: Meine Schwester hat mir den Vorgang beim Propst erzählt. Der Propst hat die Mädchen „Heuchlerinnen“ und „Säue“ genannt. Ich sagte: Ich bedauere den Herrn Propst, denn wenn die Sache an die Öffentlichkeit kommt, dann kann es ihm schlimm ergehen. Da sagte meine Schwester: Wenn du alles wüßtest, dann würdest du den Propst nicht bedauern. – Ein Beisitzer: Hat Ihre Schwester früher den Herrn Dompropst verehrt? – Zeugin: Jawohl, sogar sehr. – Beisitzer: Sie hat stets in ehrerbietiger Weise vom Herrn Propst gesprochen? – Zeugin: Ja. – Vors.: Sie hatte also vor dem Vorgange keinerlei Haß auf den Herrn Propst? – Zeugin: Durchaus nicht. – Vors.: Ihre Schwester soll von sehr verschlossenem Charakter sein? – Zeugin: Nein. – Vors.: Ist Ihre Schwester lügenhaft? – Zeugin: Nein. – Polizeisekretär Kranz (Worms): Eines Nachmittags, als er sich auf einem Spaziergange befand, habe er wahrgenommen, daß ein älterer Herr ein Schulmädchen in sehr auffallender Weise verfolge. Er habe den Vorgang genau beobachtet und dabei wahrgenommen, daß der Mann der Dompropst Malzi war. Der Mann sei auch schließlich ins katholische Pfarrhaus eingetreten. – Vors.: Können Sie sich in der Persönlichkeit nicht irren? – Zeuge: Nein, ich bin meiner Sache ganz sicher. – Vors.: Kannten Sie den Herrn Dompropst schon von früher? – Zeuge: Nein, ich habe aber die Persönlichkeit ganz genau ins Auge gefaßt und kenne den Herrn Dompropst mit vollster Bestimmtheit wieder. – Ein weiterer Zeuge war Hauptlehrer Sander. – Oberstaatsanwalt: Ist es richtig, Herr Hauptlehrer, daß die Handarbeitslehrerin Zimmer Kinder, von denen sie wußte, daß sie zu dieser Verhandlung als Zeugen geladen seien, zu beeinflussen gesucht habe? – Zeuge: Davon ist mir nichts bekannt; ich habe aber wahrgenommen, daß Fräulein Zimmer gegen Katharina Zimmermann und Hedwig Schmidt zum mindesten sehr voreingenommen war. Sie hat u.a. den Kindern gesagt: Ihr tut am besten, wenn ihr Katharina Zimmermann ins Gesicht schlagt (Bewegung). Knaben und Mädchen haben vor den beiden Mädchen ausgespuckt und sie geschlagen. Wenn Hedwig Schmidt sich sehen ließ, da umringten sie die Knaben mit den Worten: „Da ist sie ja!“ Sie spuckten dem Mädchen ins Gesicht und schlugen es. Ich habe die Sache dem Schulinspektor mitgeteilt, dieser hat die Kinder ermahnt, verträglich zu sein. Ich habe Fräulein Zimmer zur Rede gestellt und ihr mit einer Anzeige gedroht. Fräulein Zimmer antwortete darauf: Die Mädchen haben sich in der Kirche ungehörig betragen. – Vors.: Was sollen denn die Mädchen in der Kirche begangen haben? – Zeuge: Sie sollen während des Gottesdienstes geplaudert haben. Ich habe zu Fräulein Zimmer gesagt, wenn die Mädchen sich in der Kirche ungehörig benommen haben, dann muß das in der Schule, nicht aber beim Handarbeitsunterricht gerügt werden. Fräulein Zimmer antwortete: „Die Mädchen sind frech und unaufmerksam, ich werde tun, was ich für recht halte.“ Da ich die Voreingenommenheit des Fräulein Zimmer gegen die beiden Mädchen nicht länger dulden konnte, habe ich bei der Schulbehörde Anzeige erstattet. – Oberstaatsanwalt: Die Voreingenommenheit des Fräulein Zimmer gegen die beiden Mädchen datiert erst seit dem Vorgang beim Dompropst? – Zeuge: Jawohl. – Oberstaatsanwalt: Die Mißhandlungen der beiden Mädchen seitens der anderen Kinder sind doch wohl auch eine Folge des Vorganges beim Dompropst? – Zeuge: Das scheint wenigstens so, denn vorher wurden die Mädchen in keiner Weise behelligt. – Oberstaatsanwalt: Wenn der Verdacht besteht, ein Schüler oder Schülerin habe eine Ungehörigkeit begangen, ist es dann üblich, diese im Studierzimmer des Lehrers zum Austrag zu bringen? – Zeuge: Keineswegs, das gehört in die Schule. – Oberstaatsanwalt: Halten Sie es vom pädagogischen Standpunkte für gerechtfertigt, daß, wenn ein Schüler oder Schülerin eine Unsittlichkeit begangen hat, diese den Kindern in allen Einzelheiten vorgehalten wird? – Zeuge: Das kommt ganz darauf an. Ich habe vor einiger Zeit aus einem vorgefundenen Briefe entnommen, daß ein Schüler Unanständigkeiten begangen hat. Da war ich, um die Wahrheit zu ermitteln, auch genötigt, aufs einzelne einzugehen. – Vert.: Sind nicht in Worms häufig Unsittlichkeiten zwischen Schülern und Schülerinnen vorgekommen? – Zeuge: In den letzten zwei Jahren, seitdem ich in Worms bin, ist so etwas nicht vorgekommen. – Am dritten Verhandlungstage wurde unter allgemeiner Spannung die vierzehnjährige Hedwig Schmidt als Zeugin aufgerufen. Es war ein sehr hübsches, elegant gekleidetes, vornehm aussehendes Mädchen. Die Zeugin bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie sei mit dem jetzigen Handlungslehrling Franz Werner bekannt. Dieser habe sie einige Male begleitet und auch mehrfach in der Wohnung ihrer Eltern verkehrt. Aus Anlaß ihres vielen Zusammentreffens mit Werner sei dieser von Mitschülern und Mitschülerinnen scherzhaft „Hedwig“ genannt worden. Ein unanständiger Verkehr zwischen ihr und Werner habe aber niemals stattgefunden. – Vors.: Es wird behauptet, Werner und Katharina Zimmermann seien einmal in deiner elterlichen Wohnung bei dir zu Besuch gewesen. Da soll Werner die Katharina so gejagt haben, daß letztere einen vollen Wassereimer umgeworfen habe. – Zeugin: Das ist unwahr. – Vors.: Kannst du mit gutem Gewissen sagen, daß das nicht wahr ist? – Zeugin: Jawohl, mit gutem Gewissen. – Vors.: Ist an diesem Tage auch nichts Unanständiges passiert? – Zeugin: Nein, niemals. – Vors.: Auch nicht zwischen Werner und Katharina Zimmermann? – Zeugin: Auch nicht. – Die Zeugin bekundete weiter auf Befragen: Sie sei am 17. Januar zum Propst bestellt worden. Der Propst habe sie aufgefordert, zu gestehen, daß sie mit Franz Werner unanständigen Verkehr gehabt habe, Werner habe bereits alles eingestanden und auch unterschrieben. Dabei habe der Propst ein Schriftstück vorgewiesen, in dem Werner eine solche Erklärung unterschrieben hatte. In dem Schriftstück sei der unanständige Verkehr in allen Einzelheiten mit größter Genauigkeit geschildert worden. (Jede, auch nur andeutungsweise Mitteilung hierüber muß aus Schicklichkeitsgründen unterbleiben. Der Verfasser.) Der Propst habe auch gesagt: Sie habe von Werner ein häßliches Lied gelernt, das mit den Worten beginnt: „Mensch gedenke.“ Sie habe wahrheitsgemäß geantwortet: Sie habe das Lied wohl einmal von einem Knaben auf der Straße, aber nicht von Werner gehört. Inzwischen sei der Propst in ein anderes Zimmer gegangen und habe Katharina Zimmermann vernommen. Sehr bald habe sie heftiges Schreien und Schläge gehört. Gleich darauf habe der Propst sie in das Zimmer gerufen. Dort sei die Zimmermann gewesen und habe heftig geweint. – Vors.: Hast du auch geweint? – Zeugin: Ja. – Vors.: Weshalb weintest du? – Zeugin: Weil ich etwas unterschreiben sollte, was nicht wahr war. – Vors.: Bist du vom Propst geschlagen worden? – Zeugin: Nein. – Vors.: Was sagte der Propst? – Zeugin: Er sagte, die Zimmermann hat bereits eingestanden und unterschrieben, ich solle auch unterschreiben. – Vors.: Hat der Herr Propst nicht gesagt: Ich habe jetzt keine Zeit mehr, ich habe etwas anderes zu tun, nun unterschreibe was du willst, unterschreibe nur wie es gewesen ist, ob es wahr oder nicht wahr ist? – Zeugin: Nein. – Vors.: Du hast aber bei dem Herrn Untersuchungsrichter gesagt: Der Propst habe geäußert: Unterschreibe, ob es wahr oder unwahr ist? – Zeugin: Das ist nicht richtig, der Herr Propst gab mir die Feder in die Hand und sagte: ich solle unterschreiben, daß es wahr ist. – Vors.: Das hast du auch getan? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Kannst du mit gutem Gewissen sagen, daß zwischen dir und Werner nichts Unanständiges vorgekommen ist? – Zeugin: Jawohl, mit gutem Gewissen. – Vors.: Du weißt doch, wenn doch etwas vorgekommen wäre, und du würdest es bestreiten, dann würdest du eine große Sünde begehen? – Zeugin: Das weiß ich, es ist aber nichts vorgekommen. – Vors.: Hast du Herrn Propst gebeten, es nicht deiner Mutter mitzuteilen? – Zeugin: Nein, der Herr Propst sagte: er werde es meiner Mutter sagen. – Vors.: Was hast du dazu gesagt? – Zeugin: Nichts. – Vors.: Hat der Herr Propst euch nicht aufgefordert, ihn um Verzeihung zu bitten? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Hast du das getan? – Zeugin: Ja. – Vors.: Hat er euch nicht auch aufgefordert, ihm einen Kuß zu geben? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Hast du dem Herrn Propst einen Kuß gegeben? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Hat die Zimmermann auch dem Herrn Propst einen Kuß gegeben? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Hat euch auch der Herr Propst einen Kuß gegeben? – Zeugin: Ja, mehrere. Die Zeugin erzählte darauf: Nachdem auch ich das Schriftstück unterschrieben hatte, sagte die Zimmermann: Ich habe unterschrieben, es ist aber doch nicht wahr. Darauf hat der Propst die Zimmermann heftig geschlagen und mich und die Zimmermann Heuchlerinnen und Säue genannt. Alsdann legte der Propst mich und die Zimmermann auf die Erde und sagte: „Nun tut mit mir, was ihr mit Werner getan habt.“ Wir haben abgewehrt und gesagt: Nein, das tun wir nicht, wir haben auch mit Werner nichts getan. Der Herr Propst drängte sich näher an uns heran und sagte: Bei Werner habt ihr euch nicht geniert, mir gegenüber geniert ihr euch. – Vors.: Hat er euch nicht schließlich Bedenkzeit gegeben? – Zeugin: Ja, er sagte, wir sollen es uns überlegen. – Vors.: Was meinte wohl der Herr Propst? – Zeugin: Das, was wir mit Werner getan haben sollen, sollten wir mit ihm tun. – Vors.: Hat nicht der Herr Propst euch schließlich ein Schriftstück vorgelegt, in dem ihr unterschreiben sollet, daß nichts geschehen sei? – Zeugin: Ja. – Vors.: Habt ihr dies unterschrieben? – Zeugin: Ja. – Vors.: Sagte nicht der Herr Propst, ihr glaubet wohl, ich wollte mit euch dasselbe machen, wie Werner? – Zeugin: Ja. – Vors.: Sagte er noch etwas? – Zeugin: Er sagte, nachdem wir unterschrieben hatten, ihr wollt also nicht mit mir das tun, was ihr mit Werner getan habt? Wir wehrten aber beide wiederholt ab. – Vors.: Hast du das, was der Herr Propst von euch verlangte, als Unanständigkeit empfunden? – Zeugin: Ja. – Vors.: Wurdet ihr darauf vom Herrn Propst entlassen? – Zeugin: Jawohl. – Die Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Sie seien alsdann nach Hause gegangen und haben es zunächst der Frau Zimmermann erzählt. – Vors.: Hat euch der Propst gebeten, euren Eltern nichts zu erzählen? – Zeugin: Jawohl, das hatten wir ihm auch versprochen. – Vors.: Hast du es deiner Mutter erzählt? – Zeugin: Nein. – Vors.: Aber deiner ältesten Schwester hast du es erzählt? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Was hat deine Schwester dazu gesagt? – Zeugin: Sie sagte, der Herr Propst tut mir leid, denn es kann ihm schlimm gehen. – Vors.: Hast du darauf etwas erwidert? – Zeugin: Ich sagte: „Du weißt noch lange nicht alles. Wenn du alles wüßtest, würdest du den Herrn Propst nicht mehr bedauern.“ – Vors.: Hat der Herr Propst zu euch gesagt: Ihr habt mit Werner Vaterchens und Mutterchens gespielt? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Wurdest du nicht nachher auf der Straße und in der Kirche behelligt? – Zeugin: Ein Herr Brand hat mich in der Kirche beschimpft. – Vors.: Du sollst in der Kirche geplaudert haben? – Zeugin: Das ist unwahr. – Vors.: Bist du auch auf der Straße behelligt worden? – Zeugin: Ich wurde auf der Straße von Knaben und Mädchen angespuckt und geschlagen. – Vors.: Hat dir nicht auch die Handarbeitslehrerin Zimmer Vorhaltungen gemacht? – Zeugin: Ja. Fräulein Zimmer hat gesagt: es ist alles Geschwätz, was gegen den Herrn Propst vorgebracht wird. Katharina Zimmermann verdiente angespuckt und auf den Mund geschlagen zu werden. – Vors.: Als euch der Herr Propst aufforderte, mit ihm dasselbe wie mit Werner zu tun, war da der Herr Propst aufgeregt? – Zeugin: Ja, sehr aufgeregt. – Vors.: Hast du gesehen, daß der Herr Propst die Zimmermann aufs Sofa geworfen hat? – Zeugin: Ja. – Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen: Sie habe, als der Propst sie auf dem Sofa berührt habe, mit dem Fuß auf den Fußboden gestampft. – Oberstaatsanwalt: Wenn der Herr Propst dir bloß Vorhaltungen über dein Verhalten gemacht hätte, würdest du alsdann auch mit dem Fuß auf den Boden gestampft haben? – Zeugin: Ja. – Vors.: Wenn dich der Lehrer wegen ungenügender Schularbeiten zur Rede stellte, würdest du alsdann auch auf den Fußboden stampfen? – Zeugin: Nein. – Vors.: Das Aufstampfen mit dem Fuße ist von dir ein Ausdruck des Unwillens? – Zeugin: Jawohl. Die Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Der Propst habe Katharina Zimmermann vielfach bei sich im Studierzimmer behalten. Die Zimmermann habe ihr erzählt: Der Propst habe sie oftmals geküßt. Er habe die Zimmermann einmal gefragt, ob sie noch mehr Verehrer habe. Der Propst habe auch die Zimmermann einmal auf die Krimhildenbrücke bestellt. – Der Vorsitzende rief alsdann Katharina Zimmermann vor. Vors.: Hast du gehört, was deine Freundin gesagt hat? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Ist das alles richtig? – Zeugin: Jawohl. – Oberstaatsanwalt: Bist du früher schon einmal vom Herrn Propst geschlagen worden? – Zeugin: Nein. – Oberstaatsanwalt: Das war das erstemal? – Zeugin: Jawohl. – Oberstaatsanwalt: Hast du etwas gegen den Herrn Propst? – Zeugin: Nein. – Vors.: Hat dir vielleicht jemand gesagt: Der Propst muß fort aus Worms, er muß bestraft werden? – Zeugin: Nein. – Oberstaatsanwalt: Bist du gern und oft in die Kirche gegangen? – Zeugin: Ja. – Oberstaatsanwalt: Als dich der Herr Propst aufforderte, zu unterschreiben, daß nichts geschehen sei, was dachtest du dir dabei? – Zeugin: Der Herr Propst wollte nicht haben, daß das, was vorgekommen, bekannt werde. – Oberstaatsanwalt: Da hat dich doch der Herr Propst aufgefordert, eine Unwahrheit zu unterschreiben, denn es ist doch in der Tat etwas vorgekommen; der Herr Propst hat dich doch aufs Sofa geworfen? – Zeugin: Ja. – Vors. (zu Hedwig Schmidt): Hast du irgendwelchen Haß gegen den Herrn Propst? – Zeugin: Nein. – Vors.: Deine älteste Schwester scheint sogar eine große Verehrerin vom Herrn Propst zu sein? – Zeugin: Ja. – Vors.: Hat dich etwa jemand aufgefordert, so auszusagen, damit der Herr Propst bestraft wird? – Zeugin: Nein. – Vors.: Du kannst also vor Gott und deinem Gewissen versichern, daß alles, was du hier ausgesagt hast, der vollen Wahrheit entspricht? – Zeugin: Jawohl. – Es wurde darauf Witwe Schmidt, Mutter der Hedwig Schmidt, als Zeugin vernommen: Ihre Tochter habe ihr von dem Vorgange beim Propst nichts erzählt. Franz Werner habe oftmals in ihrer Wohnung verkehrt, ein unanständiger Verkehr zwischen Werner und ihrer Tochter sei ausgeschlossen. Es sei auch unwahr, daß Werner in ihrer (der Zeugin) Wohnung Katharina Zimmermann so gejagt habe, daß ein mit Wasser gefüllter Eimer umgefallen sei. Ihre Tochter sei ein sehr folgsames, wahrheitsliebendes und sittenreines Mädchen. – R.-A. Roth (Worms): Er sei auf Ersuchen des Propstes am Abend des 17. Januar bei der Vernehmung des Franz Werner zugegen gewesen. Dem Knaben wurde sein schriftliches Geständnis, daß er mit den beiden Mädchen, Katharina Zimmermann und Hedwig Schmidt, unanständigen Verkehr gehabt habe, daß sie Vaterchens und Mutterchens und „Hochzeit“ gespielt haben, vorgehalten. Der Knabe sagte jedoch: „Ich habe unterschrieben, es ist aber nicht wahr.“ Der Herr Propst war darüber sehr aufgeregt und sagte zu Werner: Hast du das Schriftstück nicht freiwillig unterschrieben? Da versetzte Werner: Ja, nachdem Sie mich geschlagen haben. Ich habe dich doch aber bloß am Anfang geschlagen, versetzte der Herr Propst. Es ist aber nicht wahr, sagte Werner. Werner fiel im Laufe der weiteren Vernehmung in Ohnmacht; er (Zeuge) habe dies jedoch für eine Komödie gehalten, denn der Knabe habe sich sofort wieder erholt. – Oberstaatsanwalt: Wunderten Sie sich nicht, daß der Herr Propst die Sache bezüglich des unanständigen Verkehrs zwischen den Kindern so sehr tragisch nahm, so daß er Sie sogar als Rechtsbeflissenen hinzuzog? – Zeuge: Der Herr Propst sagte: er müsse die Sache sehr ernsthaft behandeln, da er von Frau Zimmermann verdächtigt worden sei. – Der folgende Zeuge, Kirchendiener Wiegand, war auch bei der Vernehmung des Franz Werner zugegen. Er schloß sich vollständig den Bekundungen des Vorzeugen an. – Auf Befragen des Angeklagten bekundeten die beiden Mädchen übereinstimmend: Der Propst habe am 17. Januar eine goldene Uhrkette getragen. – Angekl.: Ich versichere, meine Herren, ich habe niemals eine goldene Uhrkette, sondern stets eine Nickelkette getragen, das wird mir allgemein bestätigt werden. Wie man da behaupten kann: ich habe eine goldene Uhrkette getragen, ist mir unbegreiflich. Begreiflich sind mir aber alsdann die anderen Aussagen. Der Angeklagte stampfte bei diesen Worten mit dem Fuß heftig auf den Erdboden. – Vors.: Ihr hört, was der Herr Propst sagt, er habe überhaupt niemals eine goldene Uhrkette getragen. Wenn ihr also bezüglich der Uhrkette die Unwahrheit gesagt habt, dann seien auch eure anderen Aussagen bezüglich des Vorganges auf dem Fußboden und auf dem Sofa unwahr. – Beide Mädchen äußerten übereinstimmend: Sie glauben, der Herr Propst habe eine goldene Uhrkette getragen. Die Vorkommnisse auf dem Sofa usw. seien wahr. – Der Angeklagte behauptete darauf mit großer Lebhaftigkeit: er könne, angesichts des ganzen Stundenplans, unmöglich die Zimmermann am Montag bestellt haben. Es sei das auch schon deshalb ausgeschlossen, weil er die Zimmermann am Montag vormittag „Lügnerin“ genannt und gesagt habe: „Schere dich fort.“ – Die Zimmermann gab dies zu, sie blieb aber dabei, daß sie der Propst Montag bestellt habe. – Die Schülerin Metzger bekundete auf Befragen: Der Propst habe Montag mittag zu der Zimmermann gesagt, sie solle noch einmal die Tür aufmachen. Die Zimmermann sei darauf zu dem Herrn Propst ins Zimmer gegangen. – Nach einer kurzen Pause rief der Vorsitzende nochmals Katharina Zimmermann und Hedwig Schmidt vor den Richtertisch und äußerte: Herr Propst, ich will Ihnen nun Gelegenheit geben, an die beiden Mädchen Fragen zu stellen. – Angekl. (mit großer Heftigkeit): Ich habe bereits bei meiner ersten Vernehmung gesagt: Es ist nicht wahr, daß ich die Mädchen unzüchtig berührt oder irgendwelche Unanständigkeiten begangen habe. Die ganze Geschichte muß auf einer Verwechslung oder einem Mißverständnis beruhen, oder die Kinder haben sich so hineingeredet, daß sie es schließlich selbst glauben. Ich war an diesem Tage über das Verhalten der Mädchen so sehr aufgeregt, daß die beschriebene Szene auf dem Sofa vollständig unmöglich ist. Ich kann mir nur erklären, daß die Mädchen entweder lügen oder daß ihnen etwas eingeredet worden ist, denn was die Mädchen hier ausgesagt haben, ist unwahr. – Vors.: Ihr hört, was der Herr Propst sagt. Es muß ein Mißverständnis vorliegen, er hat mit euch nicht Unsittlichkeiten begangen? – Katharina Zimmermann: Doch ist es wahr. – Vors.: Hedwig Schmidt, was sagst du dazu? – Hedwig Schmidt: Es ist doch wahr. – Vors.: Habt ihr euch vielleicht besprochen, gegen den Herrn Propst etwas Unwahres zu sagen? – Beide Mädchen verneinten das mit vollster Entschiedenheit. – Oberstaatsanwalt: Es passiert euch nichts, wenn ihr jetzt erklärt, ihr habt gelogen. Es wäre eine furchtbare Sünde, die ihr bis in alle Ewigkeit schwer büßen müßtet, wenn ihr die Unwahrheit sagtet. Wenn also nicht alles wahr ist, dann ist es eure heilige Pflicht, das jetzt zu sagen. – Beide Mädchen erklärten: Sie haben die volle Wahrheit gesagt. – Ein Beisitzer: Seid ihr vielleicht der Meinung, weil ihr am Anfang so ausgesagt, ihr dabei bleiben müßt? – Zeuginnen: Nein. – Beisitzer: Ist vielleicht nur ein Teil eurer Aussagen wahr? – Zeuginnen: Nein, es ist alles wahr. – Oberstaatsanwalt: Ihr hört, was der Herr Propst sagt, es sei unwahr, was ihr gesagt habt, ihr müßt euch irren. – Katharina Zimmermann: Es ist doch wahr. – Hedwig Schmidt: Es ist doch wahr. – Auf Auffordern des Oberstaatsanwalts mußten die Mädchen nochmals genau eine Szene beschreiben, die aus Schicklichkeitsgründen auch nicht andeutungsweise mitgeteilt werden kann. – Oberstaatsanwalt: Habt ihr euch den ganzen Vorgang, nachdem ihr mit euren Mitschülerinnen besprochen, vielleicht so zurecht gelegt? – Beide Mädchen verneinten das. – Oberstaatsanwalt: Ich ermahne euch nochmals, euch zu prüfen, ob ihr die Wahrheit gesagt habt. Solltet ihr gelogen haben, dann ist es eure Pflicht, das jetzt zu sagen. Noch ist es Zeit. Ich wiederhole, es wäre geradezu furchtbar, wenn ihr den Herrn Dompropst wahrheitswidrig belasten und ihn unglücklich machen würdet. Es ist jetzt noch Zeit, habt ihr gelogen? – Beide Mädchen erklärten, daß sie die volle Wahrheit gesagt haben. – Angekl.: Haben die Mädchen sich über die Sache mit anderen Mädchen unterhalten? – Die Mädchen verneinten das. – Oberstaatsanwalt: Das ist doch aber sehr natürlich. Habt ihr wirklich mit den anderen Mädchen nicht über die Sache gesprochen? – Die Mädchen gaben schließlich zu, einige Male mit anderen Mädchen über die Vorgänge gesprochen zu haben. Auf nochmaliges eingehendes Befragen blieben beide Mädchen dabei, die volle Wahrheit gesagt zu haben. – Tünchermeister Scheerer: Nach dem Vorfall habe der Vater Werner öfters die Familie Zimmermann besucht. – Einige Schülerinnen bekundeten: Katharina Zimmermann habe ihnen erzählt, daß der Propst sie geküßt habe. Der Propst habe am Montag mittag, den 17. Januar, die Katharina Zimmermann aufgefordert, einen Augenblick zu ihm ins Zimmer zu kommen. Katharina sei aber nur einen Augenblick bei dem Herrn Propst im Zimmer gewesen. – Frau Beyer: Zimmermann habe ihm einmal geklagt, daß seine Tochter Katharina sich so sehr herumtreibe und abends nicht nach Hause komme. – Schuhmachermeister Zimmermann bezeichnete das als unwahr, er habe zu Frau Beyer nur gesagt, die Katharina sei ein großer Wildfang. – Kaufmann Bielefeld: Als die „Wormser Volkszeitung“ zum ersten Male den Fall Malzi in die Öffentlichkeit gezogen hatte, sagte er zu Zimmermann: Sie sollten sich schämen, solch öffentlichen Skandal zu machen. Zimmermann antwortete: Ich habe den Zeitungsartikel nicht veranlaßt. Ich habe zu Zimmermann geäußert: Ich habe sogleich, als ich von der Angelegenheit hörte, gesagt: Die ganze Geschichte ist unwahr, ich glaube nicht daran. Ich kenne den Herrn Dompropst schon, als er noch Kaplan war. Ich habe selbst vier Mädchen, diese waren die Lieblinge des verstorbenen Dompropstes. Der hat sie oftmals gestreichelt. Herr Dompropst Malzi ist dagegen als ein Mann bekannt, der augenscheinlich für das weibliche Geschlecht kein Interesse hat. Das müßten geradezu Schlangen sein, die es vermögen, den Herrn Dompropst zu einer unsittlichen Handlung anzureizen. Der Herr Dompropst ist ein verschlossener Charakter und sieht sich nach dem weiblichen Geschlecht überhaupt nicht um. Ich wundere mich nur, daß er verhaftet worden ist. – Oberstaatsanwalt: Die Verhaftung hat sich der Herr Propst selbst zuzuschreiben; er ist verhaftet worden, weil er in dieser Sache Mädchen vernommen, also eine Verdunkelung des Tatbestandes versucht hat. – Zeuge Bielefeld: In anonymen Briefen wollte man mich allerdings eines andern belehren. – Oberstaatsanwalt: Ein Anonymus schrieb: „Der katholische Oberstaatsanwalt Schmidt müßte durch den evangelischen Stichel (Untersuchungsrichter) ersetzt werden.“ (Allgemeine große Heiterkeit.) – Frau Saloski: Sie habe, als sie von dem Vorgang hörte, sofort gesagt, das sei eine Lüge, sie kenne den Propst zu genau. Sie habe schließlich ihrer Tochter den Umgang mit Katharina Zimmermann verboten, weil diese lügenhaft war. – Die folgende Zeugin war die Handarbeitslehrerin Zimmer: Sie habe Katharina Zimmermann zur Rede gestellt, weil sie sich in der Kirche unmanierlich benommen habe. Daß sie Schülerinnen aufgefordert habe, der Zimmermann ins Gesicht zu spucken und sie zu schlagen, sei vollständig aus der Luft gegriffen. – Dienstmädchen Brück: Der Propst habe niemals eine goldene Uhrkette getragen. – Angekl.: Ich stelle mein ganzes Haus zur Verfügung, man wird keine goldene Uhrkette finden. – Oberstaatsanwalt: Das ist bereits geschehen, Herr Propst. – Angekl.: Ich danke Ihnen Herr Oberstaatsanwalt von ganzem Herzen. – Fräulein Muth: Sie habe am 17. Januar Fräulein Malzi, die Schwester des Dompropstes, besucht. Als sie herunterkam, habe sie heftiges Schreien und Schlagen gehört. Sogleich darauf sei der Dompropst aus seinem Zimmer getreten und habe gesagt: Das ist eine sehr scheußliche Geschichte, eine Unsittlichkeit zwischen Knaben und Mädchen. – Lehrer Gröninger: Die Sittlichkeitsverhältnisse unter der Wormser Schuljugend seien sehr schlimme. In den letzten Jahren seien vielfach zwischen Schülern und Schülerinnen Unsittlichkeiten begangen worden. Mehrfach haben auch Schülerinnen Lehrer bezichtigt, sich an ihnen unsittlich vergangen zu haben. Das habe sich aber stets als unwahr herausgestellt. – Oberstaatsanwalt: Es ist ja bekannt, daß Mädchen in einem gewissen Alter in sexuellen Dingen eine große Phantasie an den Tag legen. Herr Lehrer, sind Sie nicht auch der Meinung, daß Gemeindeschüler und Schülerinnen, wenn sie die Schule verlassen, in sexuellen Dingen vollständig aufgeklärt sind? – Zeuge: In Worms ganz bestimmt. – Lehrer Regis: Es sei ihm aufgefallen, daß Katharina Zimmermann und Hedwig Schmidt, obwohl sie nicht in einer Klasse saßen, stets zusammen gingen und sehr befreundet waren. – Auf die Vernehmung aller anderen Zeugen wurde von allen Prozeßbeteiligten verzichtet. – Der Vorsitzende rief nochmals Katharina Zimmermann und Hedwig Schmidt vor den Richtertisch und ermahnte sie wiederholt eindringlichst, zu bekennen, ob sie die Wahrheit gesagt haben. Die Mädchen erklärten beide, daß sie die volle Wahrheit gesagt haben. – Ein Beisitzer: Habt ihr vielleicht übertrieben? – Beide Mädchen verneinten und beteuerten, sie seien streng bei der Wahrheit geblieben. – Der Vorsitzende erklärte darauf die Beweisaufnahme für geschlossen. – Am vierten Verhandlungstage nahm das Wort zur Schuldfrage Oberstaatsanwalt Dr. Schmidt: M. H.! Ich bin genötigt, die Anklage in vollem Umfange aufrecht zu halten. Am 20. Januar suchte Schuhmachermeister Zimmermann Herrn Dr. Fresenius auf. Zimmermann erklärte, er wolle nur sein Kind schützen und es in eine andere Schule versetzt wissen, um es gegen die Benachteiligung durch den Angeklagten zu schützen. Er erfuhr vom Schulkollegium, daß der Angeklagte sein Kind mißhandelt und geküßt habe. Die Kreisschulkommission zitierte darauf das Kind, welches aussagte: Der Angeklagte habe es geküßt, zur Lüge gegen die Mutter verleitet und schließlich die Unterschrift verlangt und sie unzüchtig berührt. M. H.! Weder Kind noch Vater haben zunächst Strafantrag gestellt, da der Vater von den Vorfällen am 18. Januar noch keine Kenntnis hatte. Er war also kein Denunziant! Wenn Zimmermann die Folgen vorausgesehen, hätte er über die Mißhandlung geschwiegen, wie früher über die Liebkosungen. Lediglich auf Initiative des Kreisamtes wurde die Untersuchung eingeleitet. Das Ergebnis dieser Untersuchung war nur: Nachlaufen auf der Straße usw., also Dinge, die, solange die Welt steht, zwischen jungen Leuten vorgehen. Mehr wußte auch der Angeklagte nicht, und trotzdem legte er den Kindern die unsittlichsten Verdächtigungen nahe. Auch durch diese Vorhalte erfuhr der Angeklagte nichts. Darauf verhörte er den Werner. Durch suggestive Fragen suchte er ihn zur Bezichtigung der Mädchen und seiner selbst zu bringen. Trotz der falschen Vorhaltung, daß die Mädchen gestanden hätten, trotz der folgenden wiederholten Mißhandlungen leugnete Werner; erst zuletzt wurde zunächst mündlich ein Geständnis an Eidesstatt erzielt. Am Montag, also am selben Tage, behielt der Angeklagte die Zimmermann in der Schule zurück. Als diese nun auf die Bestellung mit der Schmidt zusammen zum Angeklagten kam, war letzterer über das Erscheinen der Zimmermann gar nicht erstaunt und begann sofort die Untersuchung, die in einer, den modernen Anschauungen direkt widerstrebenden Ermittelungsform geführt wurde. Es war ein Verbrechen, den Kindern derartige Abscheulichkeiten vorzuhalten. Auch bei dieser Untersuchung erzielte der Angeklagte mit seinen Mitteln Erfolg. Als darauf das Kind widerrufen wollte, wandte er wieder ein Mittel an, das jeden Polizeibeamten unbedingt ins Zuchthaus bringen würde. Ferner spricht für die Wahrheit der Kinderaussagen besonders der dauernde Widerspruch gegen ihren Seelsorger. Es mangelt aber auch jede tatsächliche Unterlage für die Beschuldigungen. Nach meinem Eindruck von Frau Schmidt und den Kindern glaube ich nicht, daß dort im Hause solche Dinge vorgehen konnten. Ferner ist es auffallend, daß den Kindern unbedingte Verzeihung versprochen und Schweigen gegen die Eltern sogar auferlegt wurde. Das ist ein merkwürdiges Verfahren, nachdem vorher ganz in der Natur des Menschen begründete Dinge so aufgebauscht worden waren! Darauf wurde der Dank für diese Milde in Küssen usw. gefordert. Was die Mißhandlung des Werner betrifft, so ist Mißhandlung kein kirchliches Disziplinarmittel. Auch hatte der Angeklagte kein Züchtigungsrecht. Überhaupt war die Züchtigung nicht als Strafe für ein begangenes Unrecht, sondern als Zwang zur Erpressung eines Geständnisses bestimmt. Das Mittel der Gewalt ist nie erlaubt, auch wenn der Zweck noch so zulässig ist. Nicht minder rechtswidrig, nach § 223, ist die Mißhandlung der Zimmermann. Der Angeklagte ist als Religionslehrer staatlicher Beamter. In Ausübung dieses Amtes hat der Angeklagte gehandelt. Daher hatte der Angeklagte ein gewisses Züchtigungsrecht der Zimmermann gegenüber. Allein er hat sie mißhandelt, zumal er die durch das Geschlecht der Schülerin gebotenen Rücksichten außer acht ließ. Ferner ist zu bemerken, daß solche schlüpfrigen Dinge nie allein ohne Zeugen zu verhandeln sind. Der Angeklagte ist bisher unbescholten, sein Stand legt ihm Pflichten auf, die er bisher nie verletzt hat. Die Anklage beruht allerdings im wesentlichen auf unbeeidigten Aussagen. Jedoch dürfen wir die beeidigten Aussagen nicht in den Wind schlagen! Gegen Frau Zimmermann liegt nichts vor; sie hat das Regiment in ihrem Hause und begreiflich ist es, daß sie gegen den Angeklagten ausfällig wurde. Im übrigen aber macht sie durchaus einen glaubwürdigen Eindruck. Ebenso gibt das ganze Auftreten der Frau Werner die Garantie absoluter Wahrheit. Auch Frau Schmidt genießt das beste Ansehen. Ebenso ist Herr Zimmermann glaubwürdig. Daß er sein Kind so schlecht gemacht haben soll, wie eine Zeugin behauptet, ist undenkbar. Ich komme jetzt zu den Hauptzeugen: den Mädchen Schmidt und Zimmermann. Sie haben verschiedene Charaktere: Die eine lebhaft, temperamentvoll, die andere ruhig, bestimmt und überlegend. Die Zeugin Zimmermann hat einen ausgezeichneten Eindruck gemacht. Die Schmidt ist nicht minder zuverlässig. Beide haben gute Schulzeugnisse und gingen fleißig zur Kirche. Die Beschuldigungen der Unsittlichkeit gegen die Zimmermann sind abgebröckelt; von all den Liedern ist nichts hängengeblieben, als der eine Spruch: „O Mensch, bedenk.“ – Wenn die Zimmermann eine Zeugin bittet, sie nicht Lügnerin zu heißen, so ist zu erwägen, wie sie in Worms verfolgt wurde. Darauf erörterte der Oberstaatsanwalt die Belanglosigkeit der unsicheren Angaben über die Kleidung des Angeklagten an dem fraglichen Tage und fuhr fort: Man kann keine Sinnestäuschung annehmen, es wäre nur eine direkte Lüge möglich. Entweder: satanischer Haß oder Sucht nach Romantischem können die Gründe dafür sein. Letzteres ist hier ausgeschlossen, da dann Übertreibungen und Ungeheuerlichkeiten vorgebracht worden wären. Dieses aber ist bei den Darstellungen der Kinder nicht der Fall. Sie fabulieren nichts. Auch die Beweggründe für das Handeln des Angeklagten sind so von den Kindern wiedergegeben, daß sie sie nicht erfunden haben können. Auch der Verlauf der Vorfälle ist glaubwürdig geschildert. Zur Persönlichkeit des Angeklagten ist zu sagen: Er ist aufgeregt, aufbrausend und gewalttätig. Wir wissen auch, daß er sich schon früher der Zimmermann gegenüber vergessen hat. Nur wer sich zu fürchten hat, bestellt seine Schülerin zur Zusammenkunft, anstatt der Nachrede offen entgegenzutreten. Ferner hat der Angeklagte die Untersuchung nicht ehrlich geführt. Kommt dann noch die Grausamkeit zu der Wollust, so ist der Grund für derartige Handlungen gegeben. Da also die Tat psychologisch verständlich ist, so ist auch der Wert der Zeugenaussagen erhöht. Ferner decken sich die Angaben der Zeuginnen mit denen des Angeklagten, und wo zuerst eine Verschiedenheit war, behielten die Kinder recht. Meine Herren! Nach alledem halte ich den Angeklagten in allen Punkten für schuldig. Der Schlüssel für die Tat des Angeklagten liegt darin, daß er durch die eingehende Erörterung der schlüpfrigen Dinge aufgeregt, allmählich zum Äußersten kam. Gegen Versuchungen des Fleisches hilft kein geistlich Gewand. Ich bemitleide den Angeklagten, aber das Gesetz kennt kein Mitleid. Betreffs der Bittgottesdienste ist noch zu sagen, daß sie auf die Zeugnisse und Meinungen der Beteiligten suggestiv einwirkten. Der Oberstaatsanwalt beantragte darauf wegen der Mißhandlung des Werner 20 Mark Geldstrafe, wegen der Mißhandlung der Zimmermann 100 Mark, sodann unter Zubilligung mildernder Umstände wegen Sittlichkeitsvergehen eine durch den Gerichtshof zu beschließende angemessene Gesamtstrafe. Es kommen in Betracht die §§ 223, 240, 174 Abs. 1, 176 Abs. 3 und 43 des Strafgesetzbuchs. – Verteidiger, Herr J.-R. Dr. Schmitt: Meine Herren! Herr Propst war und ist allgemein geachtet, selbst ein evangelischer Prediger hat neulich, von der Unschuld des Herrn Propstes überzeugt, behauptet: Wenn er verurteilt wird, so wird er ein Opfer seines Berufes. Ich beziehe mich zunächst auf den zweiten Punkt der Anklage: Mißhandlung der Zimmermann. Ich bestreite, daß dem Angeklagten die Beamtenqualität zukommt. Er bezieht keine Vergütung für Erteilung des Religionsunterrichtes, auch untersteht er nicht der Schuldisziplin. Der Angeklagte hat als Pfarrer gehandelt. Somit bleibt nur die Körperverletzung übrig. Allein der Angeklagte hatte das Züchtigungsrecht im Falle Zimmermann nicht überschritten, da er sie wegen des Lügens bestrafen wollte. Der Angeklagte hat im besten Glauben bei seiner Untersuchung gehandelt. Es muß also Freisprechung in diesem Falle erfolgen. Ich komme zur Mißhandlung des Werner. Betreffs der „Fragen in suggestiver Form“ ist zu sagen, daß bei Vernehmung von Kindern immer die Fragen auf die Zunge gelegt werden müssen. Suggestive Fragen setzen aber Kenntnis des Gegenstandes voraus; dies ist bei vielen Fragen des Angeklagten nicht zutreffend. Ferner: wenn Werner auf die Frage: „Wie habt ihr denn das genannt?“ geantwortet hat: „Vatterches und Mutterches“, so ist damit bewiesen, daß die Untersuchung nicht suggestiv geführt wurde. Nun hat der Angeklagte gewiß bei seinem Verhör nicht wie ein Jurist gehandelt; aber selbst ein Jurist hätte auf obige Antwort angenommen, er habe es mit einem Geständnis zu tun. Betreff der Ohrfeigen ist zu sagen, es ist nicht erwiesen, daß sie den Zweck hatten, einen Zwang auszuüben. Der Angeklagte behauptet, er habe Werner nur wegen der Lügen geohrfeigt, was letzterer nicht bestritten hat. Demnach liegt keine Körperverletzung vor, auch Bedrohung und Anwendung von Gewalt fällt damit fort. Auch behauptet der Angeklagte, er war überzeugt, im Einverständnis mit den Eltern zu handeln. Diese Behauptung ist ebenfalls nicht widerlegt worden. Selbst wenn Propst Malzi darüber sich im Irrtum befunden hätte, so könnte auch wegen dieses tatsächlichen Irrtums keine Bestrafung eintreten. Selbst wenn Werner mehr als zwei Ohrfeigen bekommen hat, ist das Züchtigungsrecht nicht überschritten worden. Ferner ist Werner durchaus unglaubwürdig. Die Art seiner Bekanntschaft mit der Schmidt hat er hier unwahr geschildert. Nicht aus falscher Scham leugnet er die Kenntnis der geschlechtlichen Dinge, sondern aus Lügenhaftigkeit. Auch seine Erziehung war nicht gut. Der größte Beweis seiner Unglaubwürdigkeit ist sein Verhalten nach der angeblichen Mißhandlung; er hat geschwiegen. Auch seine Unterschrift ist nicht die eines Gezwungenen. Seine erste Aussage ist also richtig, daß der Propst keinen Zwang ausgeübt hat. Auch zeigte Werner seine Gesinnung in den unehrerbietigen Äußerungen gegen den Propst. Auf das Zeugnis eines solchen Menschen ist ein unbescholtener Mann nicht zu verurteilen. Wenn ich die Vorfälle vom 18. Januar erörtere, so betone ich, daß der Propst guten Glaubens an die Untersuchung herangetreten ist. Dies wird auch durch die Aussage des Fräulein Muth bestätigt. Ich will die Aussagen der Mädchen als wahr gelten lassen und dann zeigen, daß auf Grund dieser Aussagen keine Verurteilung möglich ist. – Meine Herren! Die absichtliche Erregung des Geschlechtstriebes ist nicht ausreichend, sondern die unzüchtige Handlung muß durch körperliche Berührung zum Ausdruck kommen. Im vorliegenden Falle ist nicht das geringste erwiesen. Keines der Mädchen ist im geringsten körperlich berührt worden, keine Entblößung hat stattgefunden, das Berühren am Kleid entbehrt der Beziehung zum Geschlechtlichen und enthält keine gröbliche Verletzung. Ferner ist die Aufforderung: mit dem Propst dasselbe wie mit dem Werner zu machen, objektiv betrachtet, ohne Beziehung des Geschlechtlichen. Also, eine objektiv unzüchtige Handlung liegt nicht vor. Subjektiv wird wollüstige Absicht verlangt. Ich lege kein Gewicht darauf, ob der Propst früher das Mädchen geküßt hat. Ich und auch der Propst erklären, daß dieser Vorfall verwerflich und ungerechtfertigt war. Also: alle äußeren Umstände sprechen gegen eine Absicht des Angeklagten. – Meine Herren! Im Zweifel muß die für den Angeklagten günstige Meinung gewählt werden. Ferner sind viele Aussagen der Mädchen unglaubhaft, besonders die, welche auf eine wolllüstige Absicht hinzielen. Die Art, wie die Zimmermann das Legen auf das Sofa erzählt, ist physisch unmöglich, auch ihren Schrei hat niemand gehört. Ebenso ist die Erzählung von der goldenen Uhrkette eine Erfindung, also gerade ein Beispiel der Phantasiegebilde. Die Kette existiert nur in der Einbildung der Zimmermann. Meine Herren! Für mich ist die Annahme ausgeschlossen, daß die Kinder zur Unterzeichnung des Schriftstückes gezwungen wurden. Ferner sind die Schmidt und Zimmermann auch nicht so einwandfreien Charakters. Kinder in solchem Alter sind am gefährlichsten als Zeugen. Ferner bin ich der Meinung, daß der Angeklagte vielleicht gesagt hat: „Nun zeigt mir, was ihr mit Werner gemacht habt.“ In der Wut, in der der Propst war, ist es begründet, daß er das vergessen hat. Meine Herren! Wenn meine Ausführungen richtig sind, so ist eine Verurteilung unmöglich, zum mindesten fällt das subjektive Moment fort, der Angeklagte kann also höchstens wegen Beleidigung verurteilt werden. Der Verteidiger schloß mit dem Antrage, den Angeklagten freizusprechen. – Oberstaatsanwalt: Das subjektive Moment liegt in den Worten des Propstes: „Bei dem Werner war es keine Sünde?“ Neigung zum romantischen Übertreiben ist im Pubertätsalter vorhanden, aber hier war davon nichts zu merken. Hier sind einfache Tatsachen, deren kriminelle Tragweite den meisten Leuten unbekannt ist. Auch wäre ohne reale Grundlage ein so stetiges Festhalten bei der Aussage ganz unmöglich. Der Angeklagte ist als Beamter anzusehen, da der Religionsunterricht unter Aufsicht der Staatsbehörde geschieht. Meine Herren! Der katholische Geistliche hat ebensowenig Züchtigungsrecht wie der evangelische. Daß der Vater des Werner dem Propst das Züchtigungsrecht erteilt hat, ist nicht richtig, denn der Propst hat den Knaben vor der Zusammenkunft mit dem Vater gezüchtigt. Meine Herren! Sollten Sie nur tätliche Beleidigung annehmen, so unterwerfe ich mich Ihrem Urteile. Der Angeklagte ist ein sympathischer Mann – ich wiederhole: ich bemitleide ihn! Aber: Die roten Lippen der Zimmermann sind die Korallklippen, an denen er gescheitert ist. – Der Verteidiger bestritt wiederholt, daß das subjektive Moment festgestellt sei. Er wies im weiteren auf die furchtbaren Folgen hin, wenn bei dem Angeklagten wollüstige Absicht angenommen werde. – Darauf nahm der Angeklagte das Wort: Meine Herren Richter! Ich bin unschuldig. Ich bin nicht geflohen. Ich hatte die edelsten Absichten! (Sehr erregt :) Meine Herren Richter! Seien Sie vorsichtig mit den Kinderaussagen! Ich könnte einen Eid ablegen, daß ich nie eine goldene Uhrkette gehabt habe. Die Kinder haßten mich, weil ich die eine geschlagen, der andern ihren „Liebling“ (Werner) angegriffen habe. – Ich bin kein Nero an Grausamkeit (weinend:) und ich bin auch kein Nero an Lüsternheit! Ich war bei der Untersuchung gegen Versuchung geschützt durch meine Pflicht. Lassen Sie mein bisheriges Leben für mich sprechen. Die Arbeit war mein ganzes Leben lang meine Freude. In der ganzen Stadt Worms ist außer den beiden Mädchen niemand, der mir Übles nachsagen kann. Ich bin unschuldig! Der Angeklagte versicherte im weiteren, daß er über seine Verhaftung sich nie abfällig geäußert habe und schloß mit der nochmaligen Beteuerung, daß er unschuldig sei. – Nach etwa 1½stündiger Beratung des Gerichtshofes wurde die Öffentlichkeit hergestellt. – Der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Zimmermann, verkündete unter gespanntester Aufmerksamkeit der vielen Zuhörer folgendes Urteil: Der Gerichtshof erachtet als erwiesen, daß am 17. Januar der Angeklagte den Franz Werner wiederholt wegen der vermeintlich verlogenen Aussagen betreffs des Verkehrs mit den Mädchen geohrfeigt hat. Werner hat, über diese Körperverletzung beunruhigt, zu allem: Ja gesagt. Als erwiesen erachtet ist somit, daß der Angeklagte sich der Körperverletzung des Werner schuldig gemacht, um ihn durch Zwang zu einer Aussage zu nötigen. Daher wird nach § 223 und in idealer Konkurrenz mit § 240 des Strafgesetzbuches die Strafe verhängt. Das Gericht ist der Ansicht, daß der Angeklagte kein Züchtigungsrecht über Werner hatte, er war auch nicht von den Eltern dazu ermächtigt. Nicht erwiesen ist, abgesehen von der Gewalt, daß die Niederschrift unter Zwang erfolgt ist. Der Angeklagte ist daher mit 100 Mark Geldstrafe, im Unvermögensfalle mit zehn Tagen Gefängnis zu bestrafen. Die Mißhandlung der Zimmermann ist als erwiesen erachtet, und zwar ist der Angeklagte hier als Pfarrer handelnd angesehen worden. Daher fällt die Frage über Beamtenqualität fort. Da ihm als Seelsorger keine Züchtigung erlaubt war, so ist er nach § 223, mit Rücksicht des Verhaltens der Zimmermann, durch das er erregt war, mit 50 Mark Geldstrafe, eventuell mit fünf Tagen Gefängnis zu bestrafen. Ferner ist als erwiesen erachtet, daß die Zimmermann vom Angeklagten in dessen Wohnung bestellt worden war, in der dann auf die Kinder von dem Angeklagten eingewirkt wurde, das betreffende Schriftstück mit: „Es ist wahr“ zu unterzeichnen. Trotz des Leugnens des Angeklagten ist als erwiesen anzusehen, daß die Kinder die reine Wahrheit gesagt haben. (Bewegung.) Es ist zweifellos erwiesen, daß der Angeklagte die Zimmermann verschiedene Male geküßt und zum Lügen gegen die Mutter angehalten hat und daß die Kinder die Erklärung, daß ihnen nichts geschehen sei, unterzeichnet haben. Diese Erklärung hatte nur Sinn, wenn etwas vorgefallen war. Das ganze Verhalten des Angeklagten hat das Gericht zu der Überzeugung gebracht, daß die Kinder die Wahrheit gesagt haben, zumal sie trotz aller Vorhalte bei ihren Aussagen geblieben sind. Das Gericht ist der Meinung, daß eine objektiv unzüchtige Handlung vorliegt. Ferner ist auch das subjektive Moment als vorhanden erachtet worden. Der Angeklagte mußte daher auch auf Grund der §§ 174 Abs. 1 und 176 Abs. 3 des Strafgesetzbuches bestraft werden. Der Gerichtshof hat jedoch dem Angeklagten mildernde Umstände nicht versagt. Im Namen des Großherzogs hat daher der Gerichtshof den Angeklagten, Dompropst Malzi der Vornahme unsittlicher Handlungen mit seinen minderjährigen Schülerinnen, sowie der vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung in idealer Konkurrenz mit Nötigung für schuldig erachtet und deshalb auf eine Gesamtstrafe von einem Jahre Gefängnis und 150 Mark Geldstrafe erkannt. Nach den gesetzlichen Bestimmungen waren auch dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.