Ein Dutzend vor einer Million
Zu dem großen Glück der Einmüthigkeit, in welchem das gesammte deutsche Volk sich im Verlaufe des Siegeszuges unserer Heere in Frankreich so sicher fühlt, trägt nicht wenig bei die nun auf das Glänzendste erprobte Tüchtigkeit der obersten Leitung und jeder einzelnen Führung der Unseren. Das Gefühl des Rechts, obwohl es auf der deutschen Seite Volk und Heer zu einem großen Ganzen verschmolz und von der Scheidewand, welche im Frieden zwischen „Civil“ und „Militär“ künstlich aufgebaut ward, kaum einen Stein übrig ließ, würde trotz alledem nicht vermocht haben, dem Rechte durch die That auch den Sieg zu erringen, hätten wir nichts Besseres, als noch das alte Bundestagsheer mit seinen sechsunddreißig Contingenten mit verschiedenem Commando und Kaliber der einheitlichen Macht des Feindes entgegenzustellen gehabt.
Wie viel tausend Herzen auch unter den Erfahrungen des Jahres Sechsundsechszig bluteten: selbst die, welche der tiefste Jammer damals zu Boden schlug, heute müssen sie sich wieder aufrichten an den Siegesfahnen, geschwungen von dem neuen frischen starken Geist, welcher in der Wahrheit seitdem das Heer zum „Volk in Waffen“ erhoben hat. Und vor Allem anerkannt muß die Strenge und Gerechtigkeit werden, mit welcher jene Erfahrungen in der obersten Leitung des deutschen Heerwesens zur Geltung gebracht worden sind. Nepotismus und Anciennetät, zwei Fremdwörter, deren Einbürgerung und Ausnutzung den deutschen Staaten ehedem so unsägliches Elend bereitet im Krieg wie im Frieden, beide haben zuerst im Heere Norddeutschlands den Laufpaß erhalten und unsere Südstaaten folgten dem guten Beispiel.
Am deutlichsten spricht für diesen neuesten Sieg über alte Vorurtheile die Wahl der Befehlshaber der zwölf norddeutschen Armeecorps, deren Bildnisse wir unseren Lesern in gelungenster Aehnlichkeit vorlegen. Nicht wenige von ihnen sind über viele Vorgänger hinweg auf ihren hohen Posten gestellt worden, und wenn unsere biographische Skizze über Manche derselben nicht mehr zu sagen weiß, als das amtliche Armee-Verzeichniß berichtet, so ist das nur ein Beweis, daß dieselben bisher in untergeordneteren Stellungen ihre Tüchtigkeit dargethan haben.
An der Spitze des ersten Armeecorps steht General Edwin Freiherr von Manteuffel, dessen Name zuerst populär wurde, als er von 1865 an den Oberbefehl über die preußischen Truppen in Schleswig führte. Den Krieg von Sechsundsechszig hat er eigentlich eröffnet, als er, die Eider und Elbe überschreitend, die Oesterreicher aus Holstein hinausschob. Später führte er die Mainarmee in deren Gefechten bei Hausen, Helmstadt, Utting, Roßbrunn und Würzburg. Im gegenwärtigen Kriege zeichnete er sich in der ersten Schlacht bei Metz, am vierzehnten August, aus. Als hier das Corps L’Admirault’s die rechte Flanke des ersten Armeecorps zu erfassen versuchte, griff Manteuffel es mit seinen „tambour battant“ vorgehenden Reserven an und warf es, nachdem er eine Reihe von Abschnitten erstürmt hatte, in die Festung zurück. Er steht jetzt im einundsechszigsten Jahre.
Eduard Friedrich von Fransecky commandirt das zweite Armeecorps. Im Jahre 1807 in dem hessen-darmstädtischen Flecken Gedern geboren, dient er seit 1825 in der preußischen Armee. Als Hauptmann machte er 1848 in Wrangel’s Generalstab den Feldzug gegen Dänemark mit, war von 1855 bis 1857 Chef des Generalstabs des vierten Armeecorps und führte von 1860 bis 1864 das Commando der Truppen des Großherzogthums Oldenburg. In den preußischen Dienst als Generalmajor zurückgekehrt, erhielt er im folgenden Jahre als Generallieutenant das Commando der siebenten Infanteriedivision, mit welcher er so hervorragenden Antheil an dem Kriege in Oesterreich nahm. Zuerst bei Münchengrätz im Feuer, hielt er bei Königsgrätz im Walde von Sadowa die vereinten Angriffe mehrerer österreichischer Armeecorps aus. Es war ein entscheidender Augenblick, als er den Seinen zurief: „Hier wollen wir siegen oder sterben!“ – Sein erneuter siegreicher Angriff trug wesentlich zur Wendung des Tages bei. Ihm gebührt auch der Ruhm des Gefechtes von Blumenau.
[573]
[574] Das dritte Armeecorps befehligt General Constantin von Alvensleben (der Zweite), 1809 geboren, diente von 1827 fünfzehn Jahre als Secondelieutenant; gegen Oesterreich führte er die zweite Infanteriebrigade als Generalmajor, focht bei Soor und Königsgrätz und wurde Generallieutenant. In seiner jetzigen Stellung hat er sich zuerst auf den Spicherer Höhen ausgezeichnet, wo sein Armeecorps den Sieg entschied.
Der Chef des vierten Armeecorps ist General Gustav von Alvensleben (der Erste), geboren 1803, ebenfalls fünfzehn Jahre Secondelieutenant, wohnte als Chef des Generalstabs bei dem mobilen Armeecorps 1849 dem Feldzuge in Baden und dem von 1866 im königlichen Hauptquartier bei; seit 1868 ist er General der Infanterie.
Ein durch Begabung und Glück bevorzugter Feldherr ist Hugo Ewald von Kirchbach, der Befehlshaber des fünften Armeecorps. Im Jahre 1809 geboren, diente seit 1827, brachte es erst nach achtzehn Jahren zum Hauptmann. Seit 1855 Lehrer an der allgemeinen Kriegsschule, hat er einen nicht geringen Theil der von ihm später geführten Truppen sich selbst herangezogen. Als Generallieutenant marschirte er mit in Böhmen ein, und hier war es, wo er an der Spitze der zehnten Infanteriedivision gleich die ersten Siege bei Nachod, Skalitz und Schweinschädel mit erringen half; sein Antheil bei Königsgrätz erwarb ihm den Orden pour le mérite. Dieselbe Auszeichnung gewährte das Geschick ihm im jetzigen Kriege: bei Weißenburg mitsiegend und verwundet, führte er trotzdem auch bei Wörth seine Truppen zum neuen Siege. Seine Soldaten vergöttern ihn; sie wissen, daß der stattliche und gewissenhafte Mann das rechte Herz für sie hat.
Der Befehlshaber des sechsten Armeecorps, General Wilhelm von Tümpling, ebenfalls 1809 geboren, wohnte als Major und Generalstabsofficier dem badischen Feldzuge bei, commandirte die fünfte mobile Infanteriedivision im dänischen Kriege (1864), wo er die Wegnahme von Fehmarn leitete, und im österreichischen Kriege, wo er bei Gitschin schwer verwundet wurde. Seit 1868 ist er General der Cavallerie.
General Heinrich Adolf von Zastrow, der Chef des siebenten Armeecorps, ist, 1801 geboren, der älteste seiner hohen Cameraden, ausgezeichneter Schriftsteller über Befestigungskunst und vielerfahrener Kriegsmann. Von 1839 bis 1841 diente er, mit preußischer Bewilligung, im türkischen Heere, führte 1848 und 1849 im dänischen Kriege erst eine Avantgardebrigade, bei Fridericia ein Divisionscommando und 1866, als Generallieutenant, die elfte Division, mit welcher er bei Königsgrätz zwei Fahnen und über fünfzig Kanonen eroberte. Im gegenwärtigen Kriege hat er auf die Spicherer Höhen entscheidend mit eingegriffen.
Zu den hervorragendsten Erscheinungen des norddeutschen Heeres gehört der Commandeur des achten Armeecorps, General August von Goeben. Er ist 1816 geboren und wurde 1835 preußischer Secondelieutenant. Die Kampflust trieb ihn 1836 in die carlistische Armee nach Spanien, wo er vier Mal verwundet wurde; im badischen Feldzuge diente er als Hauptmann im Generalstabe; 1858 war er Chef des Generalstabs des achten Armeecorps. Zwei Jahre später ging er abermals nach Spanien, um dem Feldzuge in Marocco beizuwohnen. Im dänischen Kriege von 1864 kämpfte er bei Düppel und Alsen und 1866 mit der Mainarmee. Seine jetzige Stellung nahm er erst mit dem Beginn des Krieges ein, und er war es, dem die Hauptehre des 6. August bei Saarbrücken und den Spicherer Höhen gebührt.
Der Commandeur des neunten Armeecorps ist der General der Infanterie Gustav v. Manstein, 1805 geboren, seit 1863 Generallieutenant, der beim Düppelsturm und bei Königsgrätz sich auszeichnete. Er hat in diesem Kriege den schwersten Verlust erfahren. Am Morgen nach dem Kampfe von Saarbrücken wandelte der General die Chaussee entlang zu den Bivouacs der Sieger, die eben ihre Todten verscharrten.
„Na, mein Sohn,“ fragte er einen Soldaten, der in der Nähe eines frischen Grabes stand, „habt Ihr viele Verluste gehabt?“
„Ja wohl, Excellenz, es sind sehr, sehr viele geblieben.“
„Bei welcher Compagnie stehst Du, mein Sohn?“
Der Soldat nannte die Nummer.
„Wo ist Euer Compagniechef?“
„Den haben wir eben da begraben.“
„Grabt ihn mir nur wieder heraus, es war mein Sohn!“
Und sie gruben ihn wieder heraus und reinigten ihm das Antlitz von der Erde; der Vater küßte die Stirn des gefallenen Helden und bestellte einen Sarg für ihn. – Daran muß dem Vaterherzen für den Augenblick genug gethan sein, denn den General verlangt die Pflicht ganz für sich.
An der Spitze des zehnten Armeecorps steht der General der Infanterie Constantin Bernhard v. Voigts-Rhetz, der, 1809 geboren, 1848 als Major in Posen gegen die aufständischen Polen commandirt und 1863 bis 1866 erster Militärbevollmächtigter bei der Bundesmilitärcommission in Frankfurt a. M. war. Im österreichischen Kriege wurde er Generalstabschef der ersten preußischen Armee, und er war es, mit welchem vom König Wilhelm in der Nacht vom 2. zum 3. Juli in Gitschin der Entschluß gefaßt wurde, die Schlacht von Königsgrätz zu wagen. Er ging von Hannover, seinem Sitze als Generalgouverneur, in den neuen Krieg.
Julius v. Bose, der Befehlshaber des elften Armeecorps, ebenfalls 1809 geboren, diente fast zwanzig Jahre, ehe er Hauptmann wurde, that sich großartig als Generalmajor 1866 mit seiner Infanteriebrigade bei Podol hervor; ein Gewehr in der Faust schritt er den Seinen beim Sturm voran. Bei Königsgrätz stand er mit im Walde von Sadowa. Seine jetzige Stellung nahm er kurz vor dem Beginn des Krieges ein, in welchem er sich bei Wörth die ersten Wunden holte.
Chef des zwölften Armeecorps, des sächsischen, ist Kronprinz Albert von Sachsen, geboren 1828. Er nahm schon am schleswig-holsteinschen Kriege von 1848 rühmlichen Antheil und zeichnete sich 1866 bei allen Kämpfen der Sachsen gegen Preußen durch ruhigen Muth und Umsicht aus. Im gegenwärtigen Kriege ist sein Armeecorps in der dritten Schlacht vor Metz mit in das stärkste Feuer gekommen und erwarb die Ehren, die, Gottlob, nun kein Theil der deutschen Heere mehr entbehrt.