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Ein Excommunicirter

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Textdaten
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Autor: L. v. B.
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Titel: Ein Excommunicirter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 403
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[403] Ein Excommunicirter. Als ich zum ersten Male die Schwelle überschritt, welche mich in die Wohnungsräume des großen Gelehrten Ignaz v. Döllinger, des unermüdlichen und unerschrockenen Kämpfers für die Gewissensfreiheit, führte, betrat ich zunächst ein Empfangszimmer, das sich von andern Zimmern nur durch hohe Glasschränke voll Bücher unterschied. Mir klopfte das Herz in banger Erwartung: es war das erste persönliche Zusammentreffen mit dem längst hochverehrten Manne, bis heute hatte ich nur im brieflichen Verkehr mit ihm gestanden. Seine Schwester meldete mich und alsbald erschien der greise Ajax gegen die Unfehlbarkeit, und nach der ersten Begrüßung lud er mich freundlich ein, sein Studirzimmer zu betreten.

Döllinger – Sie haben ein vortreffliches Portrait von ihm in Nr. 9 Ihres vorigen Jahrgangs gebracht – ist eine mittelgroße, schlanke Gestalt, eine ehrfurchtgebietende und doch herzgewinnende Erscheinung. Niemand wird sein Antlitz für schön erklären und doch flößt es dem denkenden Beschauer unwillkürlich fesselndes Interesse ein; es ist die durchgeistigte Schönheit des Gedankens. Sein Haar – Döllinger ist bekanntlich schon im Jahre 1799 als der Sohn des berühmten Professors und Obermedicinalraths Ignaz Döllinger zu Bamberg geboren – ist nicht ergraut, sein ganzes Wesen macht überhaupt sofort den Eindruck, daß er bestimmt sei, das höchste Alter zu erreichen.

Man sagt, sein Auge habe etwas Kaltes, Steinernes. Ich habe das nicht gefunden. Wohl schaut er, während des Sprechens, oft lange vor sich hin, als ob er ferne, ferne etwas sehe, das nur ihm sichtbar ist; wendet sich aber dann sein Blick wieder lächelnd her, so wird Jedermann von dem Gefühl aufrichtigster und wärmster Verehrung erfüllt. Es ist eine große Liebenswürdigkeit in dem großen Gelehrten, der so enorme Gebiete des Wissens durcheilt und sich zu eigen gemacht hat. Und dennoch altert er nicht bei seinem Studium, er bleibt geistig jung und frisch, weil er arbeitet, nicht obgleich er arbeitet. Kosmopolit in jeder Richtung, weitläufig im Verkehr, modern in der Gelehrsamkeit ist er nur antik in der Bedürfnißlosigkeit. Er wollte möglichst frei sein, sagte er mir, und habe sich deshalb bemüht, sich keine Bedürfnisse anzugewöhnen, weil nur ohne sie der Mensch wahrhaft frei sei. Gern hätte er in frühem Jahren einen Hund gehabt, habe sich aber den Wunsch versagt, um schließlich nicht zum Diener des Hundes zu werden. „Ein mir befreundeter Professor,“ erzählte er lächelnd, „wäre oft gern zu Hause geblieben, mußte aber ausgehen, weil sein Hund es wollte.“ Und so hat Döllinger kein Hausthier, nicht einmal ein Vögelchen, er schnupft nicht, er raucht nicht, er trinkt weder Wein noch Bier. Um vier Uhr Morgens erhebt er sich, um neun Uhr Abends begiebt er sich zur Ruhe. Um ein Uhr genießt er sein einfaches Mahl, dann wird, mit Ausnahme eines Glases Wasser des Abends, nichts mehr genommen bis zum nächsten Morgen.

Diese Regelmäßigkeit und Enthaltsamkeit sichert die außerordentliche Arbeitskraft des greisen Gelehrten. Sein demantreiner Charakter, an den selbst in diesen Tagen die Verleumdung sich nicht wagt, seine wohlwollende Leutseligkeit, die jedem Besucher freundlich entgegenkommt, das bescheidene herzliche Wesen des Mannes, der alt geworden in Kämpfen und stolz in Siegen, all das ist’s, was seine Nähe so wohlthuend macht.

Döllinger’s Wohnung ist hoch und geräumig, die schönsten Zimmer aber bewohnt seine Bibliothek, die mehr denn dreißigtausend Bände zählt, und die er scherzend seine bessere Hälfte nennt.

Sein Studirzimmer, das nämliche Zimmer, das seit mehr denn dreißig Jahren Zeuge war all der Eindrücke und Erlebnisse, all der erschütternden Gegensätze, die sich in dem Leben dieses Mannes drängten, ist nicht sehr geräumig; am Fenster steht ein großer Schreibtisch, vor diesem ein schwarzer Lehnstuhl. Rechts in der Ecke befindet sich ein breites Sopha, auf dem wohl oft das Haupt ruhte, müde, sorgen- und gedankenschwer seit jenen, einen Wendepunkt seines Lebens bildenden Tagen im Jahre 1861, da er die sogenannte Odeonsvorträge hielt, sich über die Möglichkeit des Verlustes der weltlichen Macht des Papstes aussprach und Reformvorschläge für die Regierung des Kirchenstaates machen zu dürfen glaubte. Von damals an wurde er, der bisher für das Haupt der Ultramontanen galt, der Gegenstand des Angriffes vieler Katholiken, besonders der in Rom gebildeten Geistlichen Deutschlands. Hauptsächlich machte sich die Civiltà cattolica zur Aufgabe, Döllinger zu verkleinern. Einmal auf ihn erbittert, konnte man sich’s nicht versagen, all sein Thun zu bekämpfen, was die schon vorhandene Spannung in der katholischen Welt noch erhöhte und so zu sagen den Boden befruchtete für die großen Ereignisse der neuesten Zeit.

Die Wände des Studirzimmers sind eingefaßt mit Bücherständen, die bis zur Decke reichen, einzelne einfache Bilder in Goldleisten, eine Uhr, deren leiser weicher Schlag ebenfalls sympathisch berührt und die stille Ruhe dieser Räume nicht stört, sondern nur um so deutlicher fühlen läßt.

Unvergeßliche Minuten erlebte ich in der Nähe des großen Mannes, sowohl in seinem Hause, als in unserm eigenen Daheim, das er bald mit einem Besuche beehrte. Auf die Frage, ob all die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit sein Herz nicht erbitterten, entgegnete er ruhig und groß: „Ich habe es seit zwei Jahren kommen sehen, und auf was man gefaßt ist, trifft weniger schwer.“ Und doch sind so Viele an ihm zum Judas geworden, hat er so viel Undank geerntet!

Ein halb wehmüthiger, halb verächtlicher Zug schien über sein Antlitz zu gleiten, als er sagte: „Nun wollen sie selbst Jene excommuniciren, die mit diesen Personen verkehren.“ „Mit diesen Personen,“ das heißt: auch mit ihm!

Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier näher einzugehen auf die große Frage der Gegenwart. Unwillkürlich aber wird man gerade in Döllinger’s Nähe wieder an jene Prophezeiung der heiligen Katharina von Siena und der heiligen Brigitta erinnert, die ja selbst bei den Gläubigsten unter den Gläubigen einen guten Klang haben, die bei diesen im größten Ansehen stehen und es doch fast unverhüllt aussprechen, daß die Erneuerung der Kirche nicht durch den heiligen Stuhl in Rom kommen werde. Auch die Germanen beschäftigen sich viel mit Weissagungen von einem in Deutschland zu erhebenden Papst, und so ist es begreiflich, wie die Herzen der ihrer Kirche treuen, aber vor dem Wahnsinn der Römlinge zurückschreckenden Katholiken wieder zu jenen Erwartungen flüchten, welche die Seher des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts belebten.

L. v. B.