Ein Freund in der Not
[740] Ein Freund in der Not. (Zu dem Bilde S. 733.) Wenn ein junges Mädchen einen so treuen und tapferen Begleiter hat wie das unternehmungslustige Fräulein auf unserem Bilde in ihrem Neufundländer besitzt, da kann es unbesorgt und ungefährdet durch Wald und Thal streifen, auch wenn ihm die Gegend noch fremd ist. Heute jedoch hat sie sich gründlich verlaufen. Das melodische Rauschen des Waldbachs, an dessen Ufer sie hinschritt, hatte sie in Träume gelullt, die sie ganz der Gegenwart entrückten. Auf einmal hat der Weg ein Ende, aber gerade vor ihr im Bache ragt eine ganze Reihe von Felsblöcken aus dem Wasser, die sich zum anderen Ufer hinzieht. Schnell entschlossen springt sie auf den nächsten Stein, sucht dort Halt zum zweiten Absprung und so kommt sie zum dritten und vierten. Hier aber stutzt sie … die Entfernung bis zum Ufer erscheint ihr bedenklich weit. Sie zaudert. Aengstlich blickt sie zu dem treuen Caro herab, der neben ihr im Wasser steht und durch lautes Bellen sein Bedauern kund thut, daß er in dieser Notlage der geliebten Herrin nicht helfen kann. Aber sein Bellen ruft einen Helfer herbei. Unweit von der Stelle hat ein junger Sommerfrischler dem Forellenfang obgelegen. Seine Angel und das Handnetz im Arm, kommt er geeilt: seine Augen erstrahlen, als er die Ursache des Hundegebells entdeckt. Leonore aber errötet heftig, denn der hübsche junge Mann ist ja derselbe, an den sie in ihren Träumen hat denken müssen. Zart und doch fest reicht er ihr jetzt die Hand zur Stütze – da erzittert die ihre, ehe sie sich seiner Führung anvertraut: fühlt sie, wie gern dieser „Freund in der Not“ ihr Führer sein und bleiben würde durch alle Nöte, durch alle Freuden des Lebens?