Ein Hauptbureau des Weltverkehrs

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Autor: Emil Woltmann
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Titel: Ein Hauptbureau des Weltverkehrs
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 282–284
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Hauptbureau des Weltverkehrs.


Den meisten Freunden der Gartenlaube, die zugleich Zeitungsleser sind, wird täglich in den Blättern die Bezeichnung „Reuter’s Bureau“ begegnen. Und doch – wie klein dürfte die Zahl derjenigen sein, welche über die Entstehung und Einrichtung dieses in einem gewissen Sinne die Welt beherrschenden Instituts mehr als oberflächlich unterrichtet sind! So trage ich denn gewiß nicht Eulen nach Athen, wenn ich den Lesern der Gartenlaube im Nachstehenden einige authentische Mittheilungen über Zweck und Organisation des genannten Etablissements mache, in dessen politischem Departement ich selbst längere Zeit als Beamter thätig war.

Es sind der Fälle wohl wenige, wo sich aus einem Nichts nach und nach ein so glänzendes Resultat entwickelt hat, als es gerade mit dem Reuterschen Bureau der Fall gewesen ist, – einer Anstalt, die in Deutschland wie auf den Sandwichs-Inseln, in Petersburg ebenso wie in Wellington in Neu-Seeland bekannt ist. Um jedoch die Einrichtung und Manipulationen dieses großen Instituts recht zu verstehen, muß sich der geneigte Leser vorerst über den Zweck desselben klar werden, denn es herrschen in Bezug auf das erwähnte Bureau viele, meist falsche Ansichten, denen gewöhnlich Mißverständniß und Unwissenheit zu Grunde liegen. Man nimmt allgemein an, daß das Reutersche Bureau eigene Telegraphenlinien besitzt, und daß durch sein Hauptcomptoir in London Jeder für sein Geld eine beliebige Depesche absenden kann, wie das in den Staats-Telegraphenämtern zu jeder Minute geschehen darf. Das ist jedoch eine ganz irrige Ansicht. Das Reuter’sche Bureau besitzt keine eigenen Linien, sondern empfängt und sendet seine Privatdepeschen wie jeder Privatmann, das heißt vermittelst der Staatstelegraphen, bezahlt auch für dieselben in baarer Münze, nur daß das Reuter’sche Bureau einmal monatlich seine Rechnung berichtigt, während Privatleute sogleich zu bezahlen verpflichtet sind. Die von diesem Institut mit seinen vielen Agenturen verausgabte Summe Geldes für Telegramme beläuft sich jährlich auf viele, viele Tausende von Pfunden.

Der Zweck des Reuter’schen Bureaus ist in kurzen Worten der: politische und commercielle Nachrichten aus den besten Quellen rechtzeitig zu schöpfen und dieselben auf dem schnellsten Wege an die Zeitungen und Kaufleute zu befördern. Dazu ist es nöthig, überall solche Agenten zu besitzen, die wichtige Nachrichten ohne Zeitverlust in kurzen, aber klaren Worten an das Hauptbureau in London telegraphieren, von wo aus dann die verschiedenen Agenturen gespeist werden.

Das Reuter’sche Bureau in London besteht aus zwei verschiedenen Abtheilungen, nämlich aus der commerciellen und aus der politischen. Wir wollen vorläufig die erste näher in’s Auge fassen. Der Handel Englands interessirt oder beeinflußt mehr oder weniger die ganze Welt, und es ist daher von Wichtigkeit, über dortige Marktpreise, Börsencourse und Stimmungen sofort an die betreffenden Märkte zu berichten, die sich dann in Käufen und Verkäufen darnach richten. So zum Beispiel bedarf Deutschland der Course, der Preise von Manufacturwaaren, Producten etc.; Frankreich der Getreide- und Oelpreise; Rußland, Belgien, Italien, – alle haben ihre besonderen Artikel, die in London auf den Markt gebracht werden und hier Käufer finden. China sendet Thee und Seide; Ostindien Baumwolle, Kaffee, Reis, Zucker; Amerika liefert Petroleum, Terpentin, Häute etc. Von Trinidad kommt Cacao, von Chili Eisen, von Zanzibar Gewürz, von Demerara Rum, von Rio de Janeiro Kaffee und von Mauritius Zucker. Es giebt wohl keinen Artikel, der nicht in England seinen Markt findet. Wiederum aber concentrirt sich nicht alles Geschäft auf London. Die Manchester-Notirungen von Manufacturwaaren sind in diesem Artikel die preisangebenden, wie in Liverpool die Baumwolle, in Birmingham die Viehpreise etc. etc. Es ist also für das Reuter’sche Bureau ein Erforderniß, in jeder wichtigen Handelsstadt einen Agenten zu haben, der sogleich nach Marktschluß über die herrschende Stimmung und die Preise Nachricht sendet, namentlich wenn irgend welche wichtige Veränderung vorgegangen ist, die den betreffenden fremden Markt beeinflußt. Bei der Wahl eines derartigen Agenten muß man vorsichtig zu Werke gehen. Zuverlässigkeit, Unbestechlichkeit, klare Einsicht und namentlich gründliche Kenntniß dessen, was ihm obliegt, – das sind Haupteigenschaften, die das Reuter’sche Bureau fordert und fordern muß, da von den Nachrichten, die von diesem Institut in die Welt gesandt werden, viel abhängt. Ich will nicht behaupten, daß von dem Reuter’schen Bureau niemals eine unrichtige Depesche ausgegangen wäre, das aber behaupte ich, daß dieselbe nie wissentlich falsch abgesandt worden ist, sondern stets auf einem erklärlichen Irrthum beruhte, denn Reuter’s Bureau oder dessen Agenten sind ebensowenig unfehlbar, wie Seine Heiligkeit, Vater Pius in Rom.

Man wird nun vielleicht fragen: was geschieht mit diesen kaufmännischen Nachrichten und in welcher Weise werden dieselben veröffentlicht? Auf diesen Punkt wollen wir zunächst eingehn.

Ein Londoner Kaufmann, der zum Beispiel in Hamburg, Paris, New-York und Calcutta Geschäftsfreunde und Correspondenten hat, würde es ziemlich kostspielig finden, denselben täglich telegraphische Nachrichten über den Markt, dessen Stimmung [283] und Preise zu senden, oder von ihnen über die Preisnotirungen der Hamburger, Pariser und anderer Märkte Depeschen zu erhalten. Da kommt ihm die commercielle Abtheilung des Reuter’schen Bureaus zu Hülfe. Er abonnirt also auf ein Jahr auf alle mercantilischen Nachrichten, die das Reuter’sche Bureau von den ihn interessirenden Märken täglich erhält, während wiederum seine Freunde in Paris, Hamburg etc. ihrerseits auf die Londoner Preisnotirungen des Reuter’schen Bureaus in den genannten Städten subscribiren und so für eine verhältnißmäßig kleine Summe ganz dieselben Nachrichten bekommen, die sie andern Falls mit vielem Gelde würden zu bezahlen haben. Das geschieht in allen Plätzen, wo Reuter’s Bureau vertreten ist, und das ist wiederum an jedem irgend wie wichtigen Handelsplatz.

Nun aber ist es eine Aufgabe von Bedeutung, die Abonnenten mit den Depeschen so zu versorgen, daß zum Beispiel in London A. dieselben nicht früher erhält, als B., dessen Comptoir vielleicht eine Meile weiter vom Reuter’schen Bureau entfernt ist als dasjenige A.’s, und daß es so verhindert werde, daß Ersterer vielleicht im Stande ist, durch einen noch so kleinen Zeitvorsprung dem Zweiten einen Vortheil abzugewinnen. Dazu bedarf man einer großen Anzahl von Boten, welche alle ihre besonderen Straßentheile oder Viertel haben, und welche die Depeschen mit größter Schnelligkeit in den verschiedenen Comptoiren abliefern. In London benutzt man zu diesem Zwecke Knaben, die wegen ihrer Gewandtheit und Größe sich dazu besser eignen, als erwachsene Männer, und die in dem Gewühle Londons sich schneller bewegen können und daher das Abliefern der Depeschen sehr beschleunigen. Diese Boten tragen die Uniform des Reuter’schen Bureaus, nämlich grau mit grünen Aufschlägen und silbernen Knöpfen.

Die politische Abtheilung dieses Instituts ist eine von der commerciellen gänzlich abgesonderte und begreiflicher Weise viel complicirterer Natur, als die letztere. Wie vorhin die Kaufleute, so werden in diesem Falle die Redactionen der Zeitungen der verschiedenen Länder mit den neuesten und wichtigsten Nachrichten versorgt, das heißt natürlich nur die abonnirenden. Es sind dies nur die besseren Blätter, da der Betrag eines jährlichen Abonnements nicht eben gering ist. Die Reuter’schen Agenten in dieser Abtheilung sind von den vorhin erwähnten Beamten gänzlich verschieden, in vielen Fällen mit einander überhaupt nicht bekannt, namentlich in den continentalen Residenzstädten, wo die Reuter’schen Agenten meistens dem betreffenden Hofe nahe stehen. Die Namen dieser Beamten „werden nicht gewußt“, und sind außer dem Chef nur dem Secretär bekannt. Die Hauptaufgabe dieser Leute ist, alle Vorgänge bei Hofe sorgfältig zu beobachten und, sowie irgend etwas politisch Wichtiges sich zuträgt, sofort dem Londoner Bureau davon telegraphische Nachricht zu geben. So besaß z. B im letzten Kriege das Reuter’sche Bureau Agenten in den Hauptquartieren beider Mächte, um sofort etwaige Nachrichten von Interesse nach London depeschiren zu können. Auch in diesem Departement sind Fehler vorgekommen, die dem Reuter’schen Bureau verschiedentlich eine Rüge von Seiten der englischen Zeitungen zugezogen haben, gewöhnlich aber sind die von dem genannten Institute veröffentlichten politischen Nachrichten außerordentlich zuverlässig. In Politik immer das Richtige zu treffen, ist wohl Niemandem möglich. Die Reuter’schen Agenten werden durch ein sehr einfaches Verfahren vorsichtig gemacht, und zwar besteht es darin, daß sofortige Entlassung die Strafe ist für eine in diesem Departement begangene Nachlässigkeit, eine Drohung, der die Strafe auf dem Fuße folgt, wie das einige der früheren Agenten nur zu wohl bestätigen könnten.

Es ist nun wichtig, daß, sollten die Reuter’schen Depeschen durch Zufall oder Absicht in unrechte Hände fallen, der Inhalt derselben nicht für Jeden lesbar ist, aus Gründen, die zu klar auf der Hand liegen, um einer Erklärung zu bedürfen. Zu diesem Zwecke besitzt daher das Institut eine Chiffresprache, welche die Depeschen vor jedem unbefugten Gebrauche schützt. Den Schlüssel zu dieser Sprache hat jeder der Agenten, und somit ist die Sicherheit der Depeschen gewiß, um so mehr, als hin und wieder eine neue Geheimschrift in Gebrauch gesetzt wird. Eine Depesche in dieser Sprache würde etwa besagen, daß heute ein Alligator angekauft worden sei. In der Uebersetzung würde das vielleicht lauten, daß auf der Börse die Nachfrage nach englischen Eisenbahnactien ziemlich flau gewesen und die Course gefallen sind.

Das Reuter’sche Bureau ist nie geschlossen, sondern Tag und Nacht offen. Damit das geschehen kann, besitzt das Institut zwei Abtheilungen, deren eine den Tagdienst und deren andere den Nachtdienst versieht. Die zu letzterer Gehörigen machen die Nacht zum Tage und nehmen während derselben ihre Mahlzeiten ein, die für sie im Bureau, welches eigene Küche etc. hat, zubereitet werden. Es finden sich auch Schlafsophas, Waschtische und dergleichen in den zum Nachtdienst bestimmten Zimmern vor, so daß die Herren, falls es nichts zu thun geben sollte, der Ruhe pflegen können. Der Nachtdienst ist sehr anstrengend, und das scharfe Gaslicht wirkt höchst unangenehm auf die Augen ein. Der Tagdienst beginnt um zehn Uhr Morgens und dauert bis sechs Uhr Abends, worauf der Nachtdienst um sieben Uhr seinen Anfang nimmt und um neun Uhr den nächsten Morgen endet. Die Zahl der im Londoner Bureau Angestellten beläuft sich auf fünfunddreißig, von denen die meisten drei, manche auch mehrere Sprachen sprechen. Von hier aus werden hin und wieder Einzelne als Assistenten nach den Zweigbureaux gesandt, wie z. B. nach Amerika, Indien oder China. Die Herren werden in den betreffenden Departements des Bureaus vorbereitet, um dann gleich nach Ankunft in die immer vollauf vorhandene Arbeit eingreifen zu können. – Wie in England London das Hauptbureau ist, so ist in Belgien das in Brüssel, in Frankreich das in Paris eine Hauptagentur etc. Nach dem englischen Geschäftskreise findet sich der vortheilhafteste und nächstgroße in Indien und China. Das Hauptbureau für diese Welttheile ist in Bombay und wird von einem Mr. H. W. Williams verwaltet. Die Arbeit in den Zweiginstituten ist natürlich dieselbe wie in London, nur in verkleinertem Maßstabe.

Wenn ich vorhin sagte, daß das Reuter’sche Telegraphenbureau keine eigene Linie besitzt, so bezieht sich die Bemerkung auf die Gegenwart. Vor dem Kriege des Jahres 1866 wurde Herrn Reuter von dem damaligen Könige von Hannover, Georg dem Fünften, eine Concession zur Legung eines Kabels von Lowestoft nach Norderney bewilligt, ein Unternehmen, das nach dem für Hannover unglücklichen Ausgange des Krieges von der preußischen Regierung gebilligt wurde. Zur Legung eines Kabels jedoch bedurfte es einer bedeutenden Summe Geldes, und Herr Reuter entschloß sich daher, sein Geschäft in eine Actiengesellschaft umzuwandeln, der er selbst als Hauptdirector vorzustehen beabsichtigte. Dieser Plan ward damals ausgeführt, und das frühere Reuter’sche Telegraphenbureau heißt seitdem Reuter’s Telegram Company Limited. Die Actien lauteten auf je 25 Pfund Sterling und das Capital belief sich auf 250,000 Pfund, von welcher Summe etwa 100,000 Pfund auf die Legung des Kabels verwandt wurden. Dieses Kabel ließ Herr Reuter von einer englischen großen Telegraphengesellschaft bearbeiten, und dieselbe erhielt dafür die Summe von zwanzig Groschen per Depesche von zwanzig Worten, während der Rest von einem Thaler zehn Groschen der Reuter’schen Gesellschaft blieb. Im Jahre 1869 wurden von der englischen Regierung alle unterseeischen (englischen) Kabel angekauft und nach langem Kampfe von beiden Seiten der Reuter’schen Gesellschaft die Summe von 726,000 Pfund Sterling für das Lowestoft-Norderney-Kabel bewilligt, wodurch sich dieselbe in Stand gesetzt sah, ihre 25 Pfund Sterling-Actien zurückzuziehen, den Actionären für jede Actie etwa 80 Pfund Sterling baar auszuzahlen, das Capital bedeutend zu verkleinern und die neuen Actien auf 8 Pfund zu setzen. Dieselben stehen heute an hiesiger Börse auf etwa 11 Pfund. Herr Reuter, der von Anfang an, wie man sagt, 3000 Actien seiner eigenen Gesellschaft hielt, wird gewiß auf dieses Ereigniß noch jetzt mit großem Behagen zurückblicken. – Das Capital der Gesellschaft wäre genügend, wenn es auf wenige tausend Pfund verkleinert würde, da alle Abonnements pränumerando bezahlt werden müssen und daher ausstehende Rechnungsbeträge im Reuter’schen Bureau unbekannte Größen sind. Der Secretär dieses Instituts, ein Mr. J. J. Griffith, steht Herrn Reuter schon seit langen Jahren zur Seite und wird gewöhnlich als die rechte Hand des Chefs betrachtet.

Zum Schluß mögen hier noch einige biographische Notizen über den Gründer des Telegraphen-Bureaus Platz finden. Paul Julius Reuter wurde im Jahre 1821 zu Cassel geboren, trat [284] in Göttingen in ein Bankgeschäft ein, lebte später als Mitinhaber einer Verlagsfirma in Berlin und begründete darauf in Paris eine lithographische Correspondenz, durch welche er sich zum allgemeinen Berichterstatter der Presse machen zu können hoffte. Später verfolgte er ähnliche Zwecke in Aachen, Verviers, Quiêbrain und siedelte etwa 1851 mit seinem Bureau nach London über.

Damit will ich den Artikel über das Reuter’sche Bureau in der Hoffnung schließen, daß ich es den Lesern der Gartenlaube ermöglicht habe, sich in Zukunft die oft in den Zeitungen vorkommenden Worte „Reuter’s Bureau“ oder auch „Reuter’s Telegramm“ zu deuten.

     London.
E. Woltmann.