Ein Hausschatz

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Textdaten
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Autor: Oskar Justinus
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Titel: Ein Hausschatz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 626
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Hausschatz.
Plauderei über eine Reform des Photographiealbums.
Von Oskar Justinus.

Wenn es ein sicheres Zeichen für die Höhe der Kultur ist, daß ein Geschlecht für eine möglichst lange Dauer seiner Schöpfungen Sorge trägt, dann dürfen unsere Tage sich nicht die Palme zueignen. Die Assyrer und Babylonier berechneten ihre Mittheilungen für die Ewigkeit, die ägyptischen Tempelwände melden uns mit ungeschwächter Farbenpracht die Kriegs- und Friedensthaten ihrer Könige durch in Stein gemeißelte Inschriften; von den Hellenen und Römern gilt das Wort.

„Könnte die Geschichte davon schweigen,
Tausend Steine würden redend zeugen,
Die man aus dem Schoß der Erde gräbt.“

Noch das Mittelalter bewahrt uns seine eigene und die Weisheit der Alten in seinen unzerstörbaren Pergamentrollen, aber unsere Zeit, die regsamste, vielseitigste, schnelllebigste, vertraut ihre kostbarsten Resultate, ihre wichtigsten Errungenschaften dem widerstandslosesten, flüchtigsten aller Stoffe, dem Papier, ihre äußere Erscheinung der Farbenwirkung einiger photographischen Salze an, deren Beständigkeit noch gar keine Probe hat bestehen können. – Nun immerhin! mögen in 4000 Jahren die Archäologen von dem längst entschwundenen Berlin nichts mehr finden, als vielleicht einige zertrümmerte Stadtbahnbögen, ein paar Wasserleitungsröhren und vergrabene Telephondrähte, den Sockel der geborstenen Siegessäule und das Eisengestänge der Centralmarkthalle – mögen sie sich auch ein wenig ihre Köpfe zerbrechen, wie es unsere Zeitgenossen in Philae oder Mitylene thun! Aber für das lebende oder für die nächsten Paar Geschlechter, die rings umher unter unseren Augen heranwachsen, könnte man doch in seinen Einrichtungen sorgen, und daß man auch an diese nicht denkt, scheint mir namentlich dort Unrecht, wo mit einer geringen Mühe die werthloseste Spielerei zu einem werthvollen und interessanten Denkmale umgestaltet werden kann.

Sehen wir uns ein Photographiealbum an, wie es auf den Tischen unserer Salons auszuliegen pflegt, so finden wir wohl eine mehr oder minder schöne Ausstattung des schweren Leder- oder Holzeinbandes, im Innern aber ein und dasselbe sorglose Arrangement oder vielmehr ausgesprochene Systemlosigkeit. Hier wenden sich zwei Brautleute ostentativ von einander ab, dort hockt ein Großväterchen unter drei jungen Damen, die er sein Lebtag nicht gesehen, Feinde sind hier gezwungen, einander ewig anzulächeln, und Herzensfreunde werden durch ganze Geschlechter getrennt. Natürlich, nicht ihre Beziehungen zu einander oder zu uns sind ja hier maßgebend, sondern die ganz zufällige Größe des Formates, der Tag der Einreihung geben den Ausschlag. Blättern wir noch ein wenig weiter! Der Herr des Hauses, dem wir eben eine Visite machen, ist so freundlich, den Führer zu spielen; denn wie in vielen Gebirgsgegenden geflissentlich kein Wegweiser angebracht wird, um den Fremden zur Benutzung eines Führers zu zwingen, so besteht auch die ähnliche Einrichtung bei dem Album.

Die Erklärung muß durch ein Familienmitglied geschehen; keine Inschrift oder Unterschrift besteht, um uns, ohne eine derartige Hilfe, in dieser Fülle der Gesichter zurechtzufinden. Also Seite eins: ein ziemlich verwischter Herr mit Knebelbart, ganz in die Lektüre eines Buches vertieft, im Hintergrunde romantische Landschaft. Wir sehen ihn eigentlich nicht, aber wir hören, es ist Onkel Moritz, und das Bild beruhigt uns. Es folgt: eine Dame mit kaffeebraunem Teint. Hörten wir nicht, daß das ein mißratenes Bild ist, so würden wir sie für eine Mulattin halten; über ihre Züge haben wir kein Urtheil, da ein großer Sommerhut die obere Hälfte des Gesichtes verdeckt. Es bedarf der ganzen verwandtschaftlichen Liebe, um hierin Tante Annette zu erkennen. – Nun kommt ein Hund! Er gehörte einem Herrn, mit dem die Familie in einem Badeorte verkehrte, und erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Er scheint sich nicht sehr behaglich in seiner Rolle zu fühlen, die zwei Hände des Photographenlehrlings krampfen sich um ihn, ihm die plastische Ruhe seines molossischen Vorbildes zu geben. – Nummer vier ist ein Kind – ein Kind von dreiviertel Jahren – es hat zwei Mündchen, vier Augen und vier ziemlich abstehende Ohren. Das kleine Wesen hat trotz der umfassendsten Vorsichtsmaßregeln mit dem Köpfchen gewackelt, und der Photograph wollte keinen dieser kostbaren Momente verlieren, so daß wir es hier doppelt sehen. Nur eine Verhärtung des Gemüthes kann nicht sofort in ihm den Spaßmacher der Familie, den heute bereits 22 Jahre zählenden Vetter Julius erkennen. – Nun kommt ein Gruppenbild von altmodisch gekleideten Damen, welche ängstlich die Köpfchen vorstreckend; die Gesichter sind verblaßt, Augen, Nase und Mund heben sich von der grauen Luft ab. Ich hielt das Ganze für eine japanische Rathsversammlung oder eine kirgisisches Hochzeitsfest, war aber glücklicherweise so vorsichtig, meine Muthmaßungen zu verschweigen; das Bild entpuppte sich als eine Selekta und meine Erklärerin befand sich darunter. – Dann wieder ein Großmütterchen vom Lande, eine thurmhohe Haube auf dem Kopfe, ein Gesangbuch krampfhaft in den Händen und den erbarmungswerthesten Blick in den Augen, als ginge es ihr ans Leben. – Dann wieder ein Herr in Uniform mit einem geschwollenen und einem abgezehrten Fuß; zu meiner Freude erfuhr ich, daß diese Fehler, die ihn dauernd militärisch untauglich gemacht hätten, auf seine Stellung bei der Aufnahme zurückzuführen seien. Nun Frau Hedwig Niemann und unmittelbar darauf ein Gruppenbild eines in allen unmöglichen Stellungen hangenden, bangenden Turnvereins, dessen Mitglieder wegen Abwesenheit des jüngsten Sohnes vom Hause nicht zu rekognosciren sind; dann ein paar junge Mädchen, Schulfreundinnen von Fräulein Elise, welche diese zu erklären herbeigeholt wird. Zum Schluß ein Nubier, schimmernd in seiner Bräune – und dahinter Barnay in der Rolle des Narciß.

Wenn ich mir auch hier ein besonders interessantes Exemplar für meine Auseinandersetzungen herausgesucht habe, an ähnlicher Buntscheckigkeit und Systemlosigkeit leidet fast jedes Photographiealbum. Und doch könnten gerade solche Albums einen wirklich werthvollen Besitz, einen wahren Hausschatz bilden. Um sie zu einem solchen zu gestalten, müßte zunächst jeder dahin streben, diese Sammlungen derartig einzurichten, daß unter jedem Bilde ein großer freier Raum bliebe, um den vollständigen Namen der Dargestellten, die Daten ihrer wichtigsten Lebenstage und sonstige biographische Notizen aufzunehmen. Durch diese Vervollständigung bekommt das Bild, das in zwanzig, dreißig Jahren, oft noch in weit kürzerer Zeit werthlos wird, weil diejenigen, welche das Original kennen, in der Welt zerstreut sind oder nicht mehr leben, einen wirklichen, dauernden Werth, und die systematische Gruppirung der Bilder von den Vorfahren, soweit man solche erreichen kann, bis auf die letzten Sprossen verschafft jeder Familie den erinnerungsvollen Eindruck von Geschlechtstafeln, wie sie jeder römische Bürger, nicht etwa bloß der aus vornehmen Geschlechtern, pietätsvoll in seinem Tablinum aufgestellt hatte. Diese sind aber um so viel interessanter und sprechender, als eine wohlgetroffene Photographie die damals üblichen Wachsmasken der Familienmitglieder an Deutlichkeit und Aehnlichkeit übertrifft. Eine solche Tafel kann photographisch vervielfältigt und dieses Bild zum Ausgangspunkt für die Fortführung durch die einzelnen Seitenlinien genommen werden. So wird es in gewissem Sinne ein Heiligthum, welches die Zusammengehörigkeit der Familien durch Wort und Bild im Gedächtniß erhält, Freude macht und vielleicht manches Gute stiftet.

Nach ähnlichem Systeme, meine ich, dürfte überhaupt eine chronologische und inhaltliche Gruppirung nebst einem erklärenden Texte den photographischen Sammlungen überall Weihe und Werth verleihen. An Stelle der Stammbücher mit ihren Sinngedichten ist das Sammeln von Photographien einerseits und von Autographen andererseits getreten. Wie interessant wäre eine Verschmelzung dieser beiden Richtungen, deren jede für sich allein trocken ist: ich meine gute Bilder berühmter Leute mit ihren Facsimile! Welche hübsche Erinnerung wäre für die ganze Lebenszeit ein Album, das ein Tagebuch aus den Studienjahren oder aus dem Pensionate, aus der Militärzeit oder von einem gemeinsamen Sommeraufenthalt enthielte und zwischen den Erzählungen die Photographie der Stätten und die Bilder der Freunde, die man dort liebgewonnen, brächte. So, meine ich, lassen sich aus allen Gebieten menschlicher Thätigkeit durch die systematische Anordnung und Verbindung von Wort und Bild ungleich harmonischere Eindrucke fixiren, und zwar weit weniger mit Kosten, als mit etwas Liebe und Sorgfalt. Darum wende ich mich mit diesem Hinweise an jene Wesen, die so gern beglücken und behufs einer Ueberraschung sich oft nicht nur ihre Köpfchen zerbrechen, sondern auch ihre Augen verderben, und bitte sie, dieser Anregung ihre freundliche Aufmerksamkeit zu schenken.

Versuchen Sie es einmal, meine Verehrte, Ihren jungen Herrn Gemahl nach diesen Andeutungen zu seinem Geburtstage durch ein Album zu überraschen, auf welchem in rosigen Buchstaben die Worte „Unsere Hochzeitsreise“ prangen und in welches Sie die Bilder aller Gegenden und aller Personen, welche Ihnen in diesen goldenen Tagen lieb und werth geworden, nebst einer kleinen Chronik des Erlebten aufnehmen. Ich möchte fast behaupten, daß es ihm mehr Freude machen dürfte, als das elfte gestickte Sofakissen, für das Sie sich bereits entschieden, oder den großen Tischläufer mit schwer zu enträtselndem gothischen Sinnspruche, zu dessen Fertigstellung Sie sich seit Wochen jeden Morgen einige Stunden in Ihr Zimmer zurückgezogen haben.