Ein Hundeasyl in London

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Titel: Ein Hundeasyl in London
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 144
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[142] Ein Hundeasyl in London. London ist die Stadt der Contraste – das ist ein so unzählige Male wiederholter Ausspruch, daß er nachgerade mehr als abgedroschen genannt werden muß, und dennoch tritt uns seine Wahrheit tagtäglich immer von Neuem entgegen. Dasselbe London, in welchem viele Tausende von Menschen Zeit ihres Lebens kein Obdach kennen, wo, wie die Gartenlaube erst neulich (in Nr. 2 dieses Jahrg.) erzählt hat, jeden Tag Schaaren unglücklicher Kinder von Polizeistation zu Polizeistation getrieben werden, weil sie keine Heimath haben, – dasselbe London darf sich eines reichfundirten und wohlausgestatteten Asyls für verlaufene und hungerleidende Hunde rühmen! Man lache nicht, die Sache ist voller Ernst und in ihrer Art wohlthätig und segenspendend genug. Wenn man weiß, daß nach der 1861 veranstalteten letzten Volkszählung London mehr als 2,800,000, im gegenwärtigen Augenblicke vielleicht schon drei Millionen Einwohner zählt, und die leidenschaftliche Hundeliebhaberei und systematische Hundecultur der Engländer im Allgemeinen kennt, so kann man sich vorstellen, welches Riesenheer von kläffenden und bellenden Vierfüßlern die britische Hauptstadt beherbergt und wie viel von diesem Contingente Tag für Tag ihren Herren und Herrinnen, freiwillig oder unfreiwillig, abhanden kommen mögen. Im wirren Chaos des Londoner Häuser-Oceans läßt auch die feine Hundenase hier und da im Stich, und mancher arme Köter muß elendiglich verkommen, weil er das schützende Dach des nährenden Herrn nicht wieder aufzufinden vermag, – wenn ihn nicht vorher eine mitleidige Seele zu Wurstfleisch zerhackt oder zu Lendenstücken schmort.

Das war das bejammernswerthe Loos so manchen treuen Pinschers und Spitzes, Pudels und Wachtelhundes in London bis vor drei Jahren. Seitdem sucht eine Anstalt, das erwähnte Asyl, diesem Schicksale mindestens theilweise vorzubeugen, – ein Institut, von dessen vorsorglicher Organisation ich mich jüngst mit eigenen Augen überzeugte. Schon eine geraume Zeit war einer etwas excentrischen, aber durch ihre Gutherzigkeit weit und breit bekannten vornehmen Dame Londons der geschilderte traurige Ausgang von zahlreichen schön begonnenen Hundelaufbahnen tief zu Herzen gedrungen. Sie hatte es sich daher zum Berufe gemacht, ihre Mildthätigkeit ganz besonders auf die verhungernden Hunde zu erstrecken, welche sie ab und zu in der Nachbarschaft ihrer Wohnung antraf, und die Thiere einer zuverlässigen Person gegen reichliche Vergütung in Hut und Pflege gegeben. Von Woche zu Woche wuchs indeß die Zahl ihrer Schützlinge, so daß sie sich nicht länger im Stande fühlte, das angefangene Werk lediglich als ein Unternehmen ihrer eigenen Privatwohlthätigkeit fortzuführen. Sie nahm denn durch die Presse die Mithülfe des Publicums in Anspruch und hatte die Genugthuung, ihre Aufforderungen vom reichsten Erfolge gekrönt zu sehen. Es gehört ja in England zum guten Tone, „gründendes Mitglied“ von allen möglichen milden Anstalten und Vereinen zu sein – ganz gleichgültig, wem diese ihre Vorsorge zuwenden – und so flossen unserer Hundeerlöserin von allen Seiten ansehnliche Spenden zu. Schließlich nahm der Londoner Thierschutzverein die Sache in die Hand und schuf sie zu einer förmlichen Stiftung um, die sich durch regelmäßige Jahresbeiträge erhält und die Dame, von welcher die erste Anregung zu dem Rettungswerke ausging, zur lebenslänglichen Vorsteherin ernannt hat. Ein passendes Local ward erworben, in Hollingworth-Street, wo in einem geräumigen Hofe eine Reihe wahrhaft komfortabler und luxuriöser Ställe hergerichtet worden sind, welche sämmtlichen Londoner haus- und heimathlosen Menschen als wahre Wohnungsparadiese erscheinen dürften, zu denen sie selbst in ihren Träumen nicht die Augen zu erheben wagen.

Anfangs mußte das neue Institut vielerlei Spott über sich ergehen lassen; Punch und andere Witzblätter gossen ihre Sarkasmen in ungezügelter Fülle und Schärfe darüber aus und frugen, ob man nicht etwa auch für verlorene Nashörner und Walfische ein Rettungshaus in’s Leben rufen wolle; namentlich aber legten die Umwohner der Anstalt heftigen Protest ein gegen die Nachbarschaft der lärmenden und heulenden Meute. Und wahrhaftig nicht mit Unrecht: denn als mich neulich mein Weg zufällig nach Hollingworth-Street führte, zählte ich in dem, gleich den Affenhäusern der zoologischen Gärten, mit Drahtgeflecht umsponnenen Hundehofe mehr als achtzig Köter von jedweder erdenklichen Species zusammen, vom riesigen Neufundländer bis zum zierlichen „King Charles“, und das Winseln und Knurren, das Gekläff und Gebell, das losbrach, als ich mit dem Castellan des Asyls, einem frischen jungen Burschen von fünfzehn Jahren, den Zwinger betrat, war ohrenzerreißend.

Jetzt ist das Unternehmen ein fait accompli, und weder Punch noch Nachbarschaft tasten es mehr an, um so weniger, als man sich inzwischen von seinem Nutzen überzeugt hat. Den Zweck und die jetzige Wirksamkeit des Instituts wird man am besten aus den Statuten desselben ersehen, die ich, behufs Nachahmung in den deutschen Großstädten und zur tröstlichen Aussicht für jedweden Hundefreund, mittheilen will.

1. Jeder in die Anstalt gebrachte Hund wird dem sich legitimirenden Eigenthümer, gegen Erstattung der Kosten für Fütterung und Pflege, zurückgegeben; – 2. Von Mitgliedern der Stiftung verlorene und in das Asyl gebrachte Hunde werden den Besitzern ohne Berechnung irgendwelcher Verpflegungskosten ausgeliefert; – 3. Jeder Hund, den sein Herr nicht innerhalb vierzehn Tagen reclamirt, wird, zur Deckung des erwachsenen Aufwands, verkauft oder – sonst verwerthet; – 4. Um das Stehlen der Hunde zu verhüten, wird den Personen, welche herrenlos gefundene Hunde in die Anstalt bringen, keine Belohnung gegeben; – 5. Man hat zugleich Vorkehrungen getroffen, daß Damen und Herren, während etwaiger Abwesenheit vom Hause, ihre Hunde in dem Asyle unterbringen können. –

So ist unser Institut nicht blos ein Rettungshaus, sondern gewissermaßen auch eine Kleinkinderbewahranstalt für Hunde. Recht schön und thierfreundlich, – aber die Tausende von Menschenkindern, die alle Tage ohne Obdach, ohne Schutz, ohne Pflege und ohne Nahrung in den Straßen Londons umherirren, wollen Einem doch immer wie ein schmerzliches Fragezeichen zu diesem Hundeasyle erscheinen!