Ein Jesuitenzögling

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Autor: Fr.
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Titel: Ein Jesuitenzögling
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 52–55
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Jesuitenzögling.

Gewisse Blätter erzählen, daß in Folge der letzten großen Ereignisse dem Papste der Aufenthalt an den Ufern der Tiber unbehaglich geworden sei und daß er darum seinen künftigen Wohnsitz in Fulda zu nehmen gedenke, wo der heilige Bonifaz begraben liegt, und wo gegenwärtig einer der eifrigsten Dunkelmänner den bischöflichen Krummstab führt. Wir werden es unter solchen Umständen gewiß erleben, daß die alte Bischofsstadt in Hessen zum Mittelpunkt für die Umtriebe der Jesuiten wird, welche den Papst, wie bekannt, völlig beherrschen, und welche von diesem sicher in zahlreichen Schaaren mit über die Alpen herübergeführt werden. Dann aber mag die nachfolgende Geschichte eines Jesuitenzöglings doppelt lehrreich und geschickt sein, Aufklärungen über jene verderblichen Triebe und Keime zu geben, welche die Schüler Loyola’s in die ihnen anvertrauten jungen Seelen legen.

Manche Leser dieser Blätter haben wohl in ihrer Jugend eine oder die andere der anspruchslosen, doch aus wirklicher Anschauung entsprungenen Fischeridyllen von Bronner wenigstens aus einer Mustersammlung kennen gelernt. Doch wenn die Poesien dieses Dichters schon halb verschollen sind, so ist er selbst es ganz; und trotzdem ist seine (1795 in drei Bänden) selbstverfaßte Lebensbeschreibung ein sehr interessantes Buch, namentlich durch seine Schilderungen des Klosterlebens, das der zum Priesterstande bestimmte Bronner aus eigenen vieljährigen Erfahrungen schildert; mit Recht nennt Gervinus diese treuen Berichte interessanter als alle Klosterromane jener Zeit. Bronner riß sich aus den Fesseln, die ihm unerträglich wurden, los, kehrte dann noch einmal reuig zurück und entfloh endlich zum zweiten Male dem Kloster für immer. Seine ruhige und schonende Darstellung gewährt belehrende Einblicke nicht blos in die Jesuitenschulen und Klöster, sondern auch in die geistigen Zustände des katholischen Deutschlands in seiner Zeit überhaupt und ist ein nicht unwichtiger Beitrag zur Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts.

Franz von Bronner wurde als Sohn eines blutarmen Ziegelknechts 1758 zu Höchstädt geboren, und seine Eltern sahen es als unschätzbares Glück an, daß er 1769 in der Jesuitenschule (dem sogenannten Studentenseminar) zu Dillingen kostenfreie Aufnahme fand. Schon im folgenden Jahre hatte der noch nicht zwölfjährige Knabe außer seinen Studien, die wesentlich im Lateinlernen nach der von den Jesuiten hergebrachten Methode bestanden, auch an geistlichen Uebungen Theil zu nehmen. Aus den kleinen „Studenten“ der drei untersten Classen wurde eine sogenannte „Schutzengelbrüderschaft“ gebildet, der von einem der Lehrer an Sonn- und Feiertagen das Leben des heiligen Aloysius, eines großen Büßers, unablässig zur Nachahmung empfohlen wurde. Wöchentlich mußte jedes Mitglied einen Zettel mit der Aufschrift „bona opera“ auf den Brüderschaftsaltar legen, auf welchem die Bußwerke, Kasteiungen, Almosen etc., zu denen er sich erbot, verzeichnet waren. Die armen Kinder wurden durch Zuspruch und öffentliche Auszeichnungen angefeuert, sich wetteifernd auf’s Schauerlichste zu martern. So ward zum Beispiel ein Studentchen sehr gelobt, weil er kleine Steinchen in seine Schuhe geworfen hatte und darauf spazieren gegangen war. Um ihn zu überbieten, schlug sich Bronner eiserne Nägel in die Absätze seiner Schuhe und ließ die Spitzen einwärts hervorragen. Und so wurden überhaupt die jungen Seelen unnatürlich früh mit krankhafter religiöser Schwärmerei erfüllt. Die Erzählung von den Wundern der heiligen Stanislaus und Aloysius, die beim Genuß des Abendmahls drei Schuh hoch in die Höhe gehoben wurden, erregte in Bronner die Hoffnung, er könne durch gesteigerte Andacht derselben Gnade theilhaft werden; oft, wenn er sich nach der Communion über den Stuhl bückte, stützte er sich auf die Ellenbogen und hob sich bei den Knieen in die Höhe, um zu versuchen, ob ihn die Luft noch nicht tragen wolle. Aber ebenso früh fraß sich das schlimmste Gift der jesuitischen Lehre in die Kinderherzen ein.

„Weil man uns,“ fährt Bronner fort, „von der ‚guten Meinung‘ so oft und eindringlich vorpredigte, so machte ich zu allen meinen Handlungen eine gute Meinung, das heißt ich sagte in Gedanken: ‚Herr! Dir zu Liebe thue ich das und das‘ etc. Hiermit glaubte ich dem gehörten Unterrichte gemäß jedes Werk zu heiligen. Wenn ich nun etwas vorhatte, das ich für Sünde hielt, so wußte ich mir durch den Satz, daß die gute Meinung alle Werke heilige, gar bald aus dem Gedränge zu helfen: ich log, zankte, überhaupt – sündigte zur größeren Ehre Gottes.“

Durch die Lecture von Legenden und Wundergeschichten wurde [53] den Knaben der Kopf noch mehr verrückt, und durch eine drei Tage lang bei verschlossenen Läden im Dämmerlicht gehaltene Bußpredigt eines Missionärs ihre Zerknirschung bis fast zum religiösen Wahnsinn gesteigert.

„Während dieser Zeit sah man in unserm Seminar kein Bild an der Wand, vor dem nicht ein Studentchen kniete, entweder auf einem schneidenden Scheit, oder mit einem Stachelgürtel (Cilicium) um den Leib, ober mit einer Geißel in der Hand. Ich lag Nachts auf kleinen Scheiten, trug am Tage das Cilicium, geißelte mich auch, ehe ich zu Bette ging, mit Stricklein und wollte ein ebenso großer Büßer werden wie der heilige Aloysius. Der Bußgeist war mit solcher Heftigkeit in mich und andere kleine Knaben meines Alters gefahren, daß wir insgeheim fromme Zusammenkünfte hielten, von heiligen Einsiedlern und Büßern schwatzten und einander auf den entblößten Rücken geißelten. In die Länge ward mir dies Bußethun zu sauer, denn einige hieben ganz unbarmherzig darein. Um also die Strenge der Geißler zu mildern, bestachen wir sie mit Darreichung eines Kreuzers oder eines erübrigten Theils vom Mittagessen. Endlich mischten sich die Lehrer ein und verboten uns das Zusammenkommen in was immer für Winkeln. Sie mochten eine ganz andere, der Keuschheit nicht gemäße Ursache unserer Zusammenkunft argwohnen. Allein wir hatten gar keinen anderen Gedanken als Bußethun und Heiligwerden.“

Daß übrigens der Argwohn der frommen Väter nicht ohne Grund war, erfuhr Bronner nur zu bald bei Aufführung einer geistlichen Oper durch die Schüler, wo sich hinter den Coulissen Dinge ereigneten, deren Entdeckung zur schimpflichen Ausweisung von sieben Schülern führte.

Selbst die Beichten wurden für die Phantasie der heranwachsenden Knaben gefahrvoll. Der Beichtvater, dem fast alle kleinen Studenten beichteten, fragte sie so scharf aus, forschte so lange, ob sie nicht so oder so gesündigt hätten, bis sie mit Vergehungen vertraut waren, von denen sie vorher nichts geahnt hatten. Ueberdies konnten sie der Versuchung nicht widerstehen, in casuistischen Büchern die für ihre Neugier anzüglichsten Stellen aufzusuchen und mit dem Lexikon in der Hand sich über Dinge zu unterrichten, die ihnen sicher unbekannt geblieben wären.

Als begabter und fleißiger Schüler rückte Bronner schnell von Classe zu Classe auf, lernte auch mit Hülfe eines Buchbinders, der Bücher aus der Fremde verschrieb, die besten damaligen deutschen Dichter (Klopstock, Gellert, Uz, Hagedorn, Ramler) kennen, las daneben fleißig die lateinischen und machte seine ersten eigenen [54] poetischen Versuche. Aber im Jahre 1776 faßten die Jesuiten im ganzen pfälzischen und bairischen Gebiete den Beschluß, ihren Schülern alle deutschen Bücher wegzunehmen; Bronner mußte eine Liste der seinigen aufsetzen, während man gleichzeitig sein Pult erbrechen ließ, um sich von der Richtigkeit derselben zu überzeugen. Ihm wie allen Studenten wurden nun die gefährlichen Bücher fortgenommen, aber die jungen Literaturfreunde verschafften sich bald neue und versteckten sie jetzt nur um so heimlicher.

Als Bronner, nun ein achtzehnjähriger Jüngling, im Herbste desselben Jahres die Heimath besuchte, redete ihm erst der Stadtpfarrer von Höchstädt, dann auch seine Mutter dringend zu, in das Benedictinerkloster zu Donauwörth einzutreten. Obwohl Bronner Weltgeistlicher zu werden wünschte, konnte seine weiche Natur namentlich dem Drängen der Mutter nicht widerstehen, die ihm vorstellte, im Kloster würde er nicht blos sogleich versorgt, sondern sie selbst auch überglücklich sein, schon so bald einen geistlichen Herrn Sohn zu haben, der für sie Messe lesen könnte. So ließ er sich bewegen nach Donauwörth zu gehen und dem Prälaten seine Bitte um Aufnahme vorzutragen, immer, wie schwache Seelen pflegen, sich mit der Hoffnung beruhigend, irgend ein unvorgesehener Umstand würde das verhindern, was er durch eignen Entschluß abzuwenden nicht die Kraft hatte. Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht, und er sah sich nur zu bald in den Mauern des Klosters eingeschlossen.

Seine mit den ärmlichsten Möbeln ausgestattete Zelle, deren Wände von Rauch gebräunt und deren Boden von Mäusen aufgewühlt war, hatte wenigstens eine reizende Aussicht, und er faßte von Neuem die Hoffnung, mit der Regel des heiligen Benedict seine Neigung zum Studiren und den schönen Wissenschaften vereinigen zu können. Der Klosterbarbier vollzog die Tonsur an dem Klostercandidaten, er wurde in das Ehrengewand des Ordens gekleidet und so begann nun das Noviziat.

„Nach der christlich eifrigen frühen Eintrichterung des Katechismus,“ sagt Bronner, „weiß ich nichts, was den Geist mehr abzustumpfen und den geraden Menschensinn besser zu verkrüppeln taugt, als die gewöhnliche Behandlung der Novizen.“ Einen großen Theil des Tages füllte das gedankenlose Chorsingen aus, das schon um halb vier Uhr Morgens mit der Frühmette begann; die übrige Zeit wurde mit dem Lesen ascetischer Schriften, dem Abbeten eines Breviers zu Ehren der Jungfrau Maria, des Rosenkranzes oder anderer Formeln, oder mit Abfassung einer täglich dem Novizenmeister einzureichenden geistlichen Betrachtung, endlich mit Auskehren der Klosterräume und dem dadurch verdienten Genuß eines Kruges Weißbier hingebracht. An jedem Sonntag mußten die Novizen ihrem Meister die Fehler der vergangenen Woche beichten, wobei sie sich zu „prosterniren“ hatten, d. h. das Haupt mit der Kapuze bedeckt der Länge nach niederzufallen und so lange im Staube liegen zu bleiben, bis er rief: „Surgite!“ (Steht auf!) Die Bußen bestanden je nach der Größe der Fehler in Entziehung des Salats oder Weins an der Tafel, in Sitzen auf dem Boden u. dgl.

Doch Bronner erfuhr von den jungen Mönchen bald, daß man sich an die Vorschriften nicht so streng zu kehren brauche, bald ließen sie ihn an wüsten Trinkgelagen Theil nehmen und machten aus dem stillen blöden Jungen in Kurzem einen sehr lockern Novizen. Sie unterwiesen ihn auch, wie er sich den Schein eines strengen Büßers geben könne, ohne sich wehe zu thun; denn in der Fastenzeit sollte man sich mit dem Cilicium (einem Drahtnetz in Form einer handbreiten Binde mit spitzen Stacheln, die man mit einwärts gekehrten Spitzen um die nackten Hüften legte) und der Geißel (die acht in lange Kölbchen auslaufende Schnüre hatte) mindestens zwei Mal wöchentlich peinigen. Wenn dann der Novizenmeister Abends an den Zellen horchte, peitschten deren Insassen auf die Rücklehne eines Ledersessels oder auf die auf dem Bett ausgebreiteten Beinkleider.

Wie oft aber Bronner auch die Erbärmlichkeit des Klosterlebens tief empfand, immer tröstete er sich wieder leicht durch verstohlenes Lesen in der Bibliothek, durch allerlei mechanische Beschäftigungen und Spielereien; die Kraft zu einem freien Entschlusse fand er nicht, und so legte er nach Ablauf des Noviziats im October 1777 die drei klösterlichen Gelübde der Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams ab, wählte den Klosternamen Bonifacius und wurde in Gegenwart seiner Eltern und Freunde feierlich eingekleidet. Um anzuzeigen, daß der neue Mönch von nun an der Welt völlig abgestorben sein solle, wurde ihm die Kapuze vor dem Gesicht zusammengemacht, er mußte sich an den Stufen des Altars niederwerfen, wurde mit einem Grabtuche bedeckt und bei dem Schein von Trauerkerzen wie an einer Bahre Todtengesänge neben ihm gesungen. Sobald er aufstehen durfte, empfing er von allen Mönchen der Reihe nach den Bruderkuß. Der übrige Tag sollte frommer Betrachtung in der Einsamkeit der Zelle gewidmet sein. Erst am andern Tage wurden die zusammengenähten Kapuzen wieder aufgetrennt, und dem gleichsam Neuerstandenen gestattet, wieder am Umgange mit anderen Menschen theilzunehmen. Nicht blos Bronner selbst bereute nun zu spät den unwiderruflichen Schritt, selbst seine Mutter bedauerte, ihn dazu gedrängt zu haben, als sie am Tage nach der Einkleidung Zeugin der Belustigungen wurde, die jüngere Mönche mit anwesenden Mädchen und Frauen anstellten, und die hauptsächlich in Wadenmessen und dem Suchen versteckter Schuhe unter den Stühlen der im Kreise Sitzenden bestanden.

Ueber die erste Zeit des Mönchslebens halfen Bronner philosophische und mathematische Studien hinweg, die er unter Leitung des gelehrten und verhältnißmäßig aufgeklärten Pater Beda mit großem Eifer trieb. Dabei gab es freilich fortwährende Kämpfe mit dem Prior, der den geistlichen Uebungen möglichst wenig Zeit entzogen wissen wollte und gegen alles eitle weltliche Wissen eiferte: er suchte durch zur Schau getragene Strenge die Gerüchte über Manches aus seinem frühern Leben in Vergessenheit zu bringen, wo er in einem Thurm der Stadtmauer mit andächtigen Mädchen pietistische Conventikel gehalten hatte. In den Scenen, die er von seinem Zellenfenster aus beobachten konnte, fand Bronner die Motive zu seinen Fischeridyllen, erfreute sich auch an dem Umherstreifen in den Wäldern, wenn er mit anderen jungen Mönchen auf den Jagden der Prälaten als Treiber dienen mußte. Seine physikalischen Studien führten ihn zu allerlei Thorheiten, er versuchte, ein Perpetuum mobile, eine Flugmaschine zu erfinden, und seine liebste Erholung war neben der Poesie die Musik. Daneben quälte er sich mit theologischen Zweifeln, er vermochte nicht die Ewigkeit der Höllenstrafen mit dem Begriff eines allgütigen Gottes zu vereinigen, und da er immer noch jeden wissentlichen Zweifel an der katholischen Lehre für eine Todsünde hielt, betete er inständigst zu Gott, ihn vor Ketzerei zu bewahren.

Im Jahre 1780 lernte Bronner den ersten Roman kennen: der Pater Bibliothekar hatte den damals so berühmten „Siegwart“ gekauft, weil er auf dem Titel als „Eine Klostergeschichte“ bezeichnet war. Dies Buch erschloß dem zweiundzwanzigjährigen Jünglinge eine neue Welt der Empfindung und erfüllte sein weiches Herz ganz mit tiefer Sehnsucht nach Liebe und Glück. Bald lernte er ein eben so schönes als sittsames Mädchen kennen, die als nahe Verwandte eines Mitbruders das Kloster besuchte, und zwischen ihnen entspann sich ein Verhältniß, das bei der seltenen Unschuld Beider völlig rein blieb, auch nach der Heirath der Geliebten mit Billigung ihres Mannes fortdauerte und dem guten Bronner durch sein ganzes Leben ein bittersüßes Glück gewährte.

Der Prälat, dessen Gunst Bronner namentlich durch ein zu seinem Geburtstage veranstaltetes Singspiel gewonnen hatte, schickte den jungen Mönch, nachdem er ihm zuvor das Subdiaconat ertheilt, nach Eichstädt, um ihn nach seinem Wunsch in der Mathematik ausbilden zu lassen. Hier machte Bronner aber die Bekanntschaft eines Freimaurers, der ihn bewog, sich in den Illuminatenorden aufnehmen zu lassen. Wenn auch das Possenspiel der Bedrohung mit dem Tode, falls er den Eid der Verschwiegenheit brechen würde, dem Neueingeweihten höchst lächerlich vorkam, so war der Eintritt in diesen neuen Kreis doch von entscheidendem Einflusse auf sein ganzes Leben; denn die Ansichten, die er theils aus dem Umgange der neuen Genossen, theils aus der Literatur, die er durch sie kennen lernte, in sich aufnahm, untergruben seinen schon erschütterten Glauben völlig.

Nichtsdestoweniger empfing Bronner im Jahre 1783 in Eichstädt die Priesterweihe. Die ganze Ceremonie, namentlich aber das Bestreichen der zusammengebundenen Hände mit dem heiligen Oel, das ihm eine Wunderkraft mittheilen sollte, widerte ihn an; doch beschwichtigte er sein Gewissen mit der Vorspiegelung, die Gnade Gottes werde ihm vielleicht künftig durch ein Wunder den Glauben verleihen, den er jetzt nicht habe. Bei seiner ersten Messe (Primiz) empfing die (bereits vermählte) Geliebte von ihm das Abendmahl, [55] und er wählte, nach der Sitte, wonach der Primiziant als „geistlicher Hochzeiter“ gilt, sie als „Braut“.

Nach der Rückkehr aus weltlichen und aufgeklärten Umgebungen fand Bronner die Gewöhnung an die mönchische Lebensart doppelt schwer; besonders lästig war ihm der Chorgesang. Wie in allen Klöstern standen sich zwei Parteien, die der Alten und der Jungen, feindlich gegenüber. Die Ersteren hielten auf langsames Tempo, die Anderen auf schnelleres, täglich suchten beide Theile in einer Art von Stimmenkampf einander zu überschreien, und in den Zwischenpausen der Psalmenverse hörte man Verwünschungen ausstoßen. Eine Vormittagsstunde war für Anhören oder Lesen einer Messe bestimmt. Oft wurden Bronner von armen Leuten sauer ersparte kleine Summen geboten, um Messen für sie zu lesen; erbot er sich, es umsonst zu thun, so hatte das nur die Folge, daß die Leute ihr Geld einem andern Priester zutrugen. Von seinen neuen priesterlichen Obliegenheiten gelang ihm das Predigen zu seiner Zufriedenheit, das Beichtsitzen aber ermüdete ihn und ekelte ihn bald an.

Trotzalledem würde er dies Leben vermuthlich noch lange ertragen haben, wäre er nicht durch äußere Umstände zu einem Entschluß gedrängt worden. Der Prälat, dessen Hauptfehler Verschwendung und Spielsucht war, hatte sich in Schulden gestürzt; ein dem Kloster zugefallenes Vermächtniß hatte er wahrscheinlich schon angegriffen, um sie zu bezahlen; er verlangte nun, daß das Kloster diese Gelder als unkündbares Capital übernehmen und mit vier Procent verzinsen sollte. Bronner protestirte, da das Kloster hinreichende Einkünfte habe und der Zinsfuß zu hoch sei; der damals übliche war drei Procent. Dieser Protest bewog die Mehrheit, gegen den Vorschlag zu stimmen, aber Bronner war selbstverständlich fortan in erklärter Ungnade des Prälaten, und seine Stellung zu den übrigen Mönchen mit einem Schlage verändert. „Denn in Klöstern geht es beinahe wie an Höfen; wer in Ungnade fällt, ist der Ball jedes Buben und ein Scheusal für jede kriechende Seele. Trieben Neid und Scheelsucht bisher nur hinter meinem Rücken ihr Spiel, so wagten sie jetzt dreist, mir unter das Angesicht Hohn zu sprechen.“ Der Prior behandelte ihn äußerst strenge, die Mönche verspotteten, neckten und verketzerten ihn; sein Zustand wurde unleidlich, und als ein Mißverständniß ihn glauben machte, seine Geliebte sei seiner unwürdig, führte er in einer Art Verzweiflung den Entschluß aus, dem ihm nun ganz verhaßt gewordenen Kloster zu entfliehen.

Die späteren Lebensschicksale Bronner’s mögen hier wenigstens eine kurze Erwähnung finden. Er floh im Jahr 1785 nach Zürich, wo er sich durch Notensetzen in der Orelli’schen Druckerei das Leben fristete. Bald machte er die Bekanntschaft des von ihm hochverehrten Idyllendichters Salomo Geßner, der ihm viel Theilnahme bewies und ihn zum Dichten ermunterte. Doch sein Prälat ließ ihm die lockendsten Versprechungen machen, wenn er zurückkehre: er solle völlig straflos bleiben, vom Mönchthum dispensirt werden etc.; und der schwache Mann ließ sich durch die Aussicht auf eine Pfründe zur Rückkehr bewegen. Aber in Augsburg, wo ihm sein Aufenthalt angewiesen wurde, hielt man ihn hin und gab ihm endlich 1789 eine kärgliche Stelle als Registrator bei einer geistlichen Kanzlei. Er überzeugte sich zuletzt, daß er vergebens hoffe, und entfloh zum zweiten Mal 1793. Wieder wandte er sich nach der Schweiz, gab in Zürich seine Fischergedichte heraus, und versuchte dann in der französischen Republik eine Anstellung als Geistlicher zu finden; bald aber überzeugte er sich in Colmar, daß unter der Herrschaft des Terrorismus und des Cultus der Vernunft für die Verwirklichung seiner Ideale kein Raum war. Er war froh, sich nach der Schweiz zurückretten zu können, wo er mit Ausnahme der Jahre von 1810 bis 1817, die er als Professor in Kasan verlebte, sein übriges Leben als Lehrer zubrachte, und hochbetagt (erst im Jahre 1850) zu Aarau beschloß.
Fr.