Ein Kaisersaal in einer Republik

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Textdaten
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Autor: H. A. S.
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Titel: Ein Kaisersaal in einer Republik
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 436–438
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Kaisersaal in einer Republik.

Die Augen von ganz Deutschland richten sich jetzt auf die alte Hansestadt an der Weser, wo in wenigen Wochen ein gut Theil von deutscher Männerkraft, und darunter sicher gar viele Leser der Gartenlaube, zum ernsten Spiele versammelt sein wird. Darum wird Jeder gern jetzt von dieser alten Weserstadt erzählen hören und erfahren, was dort vor Anderm seine Aufmerksamkeit verdient. Unter den mancherlei Sehenswürdigkeiten und historischen Denkmalen, die Bremen zu bieten hat, steht unstreitig der Bau oben an, dessen Inneres man vor einigen Jahren umzuschaffen begann und der nun nach Vollendung dieser Umgestaltung zum sogenannten „Gewerbehaus“ bestimmt worden ist.

Noch im vorigen Jahrhundert hatte fast jede irgend bedeutende Stadt ihre eigenen „Hochzeitshäuser“. Die Räume der Privatwohnungen waren damals noch zu eng und klein für den Kreis der Freunde und Verwandten, die bei den verschiedensten freudigen Gelegenheiten gern sich versammelten, bei Brautfesten und Taufen, wie an Gedenktagen mancher Art. Welches Haus eines gewöhnlichen Bürgers hätte früher wohl in einer einfachen norddeutschen Stadt alle die Männer und Frauen der Sippe fassen können, die oftmals geladen wurden, bei frohem Gelage, bei heiterem Tanz einige Stunden beisammen zu verleben? Kaum waren die Wohnungen einzelner Vornehmen für solche Zwecke geräumig genug; die Meisten mußten in’s städtische Hochzeitshaus gehen, wenn sie Feste feiern wollten, in’s Ballhaus, Kosthaus, oder wie die Namen sonst lauten. In diesen Gebäuden befanden sich die Säle für prangende Tafeln, für bunte Reigen, da genügte der Hausrath für das Bedürfniß Vieler, da gab es die erforderlichen Einrichtungen in Küche und Keller. Allein selten war in früheren haushälterischen Jahrhunderten ein Ort Norddeutschlands so üppig, blos zu diesem Zwecke einen Prachtbau zu errichten; das Hochzeitshaus diente in gewöhnlichen Zeiten noch anderer Bestimmung; meistens war es zugleich der Versammlungsort einer Gilde. So war es auch in Bremen. Diese Stadt besitzt ihr altes Hochzeitshaus – es ist eben das jetzige Gewerbehaus – in gewisser Weise noch heute, und das auf unserer Abbildung dargestellte Gemach ist der vorzüglichste Schmuck desselben.

Die Hansestadt an der Weser ist nicht so reich an altehrwürdigen Bauten, wie Mancher wohl erwarten mag; von mittelalterlicher Herrlichkeit finden sich nur wenige unscheinbare Spuren; dagegen sind in ihr noch etliche Zeugen von einer anderen Zeit bedeutenden Aufschwungs des städtischen Wesens erhalten, Denkmäler aus dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, einer Epoche, in der Bremen zur freien Reichsstadt sich erhob; Schöpfungen norddeutschen Renaissancestyls, die einen eigenthümlichen Reiz besitzen. Zu den Bauwerken dieser Art gehört jenes Bremische Hochzeitshaus. Das Gebäude ward wenige Jahre nach der Vollendung des am Rathhause vorgenommenen Umbaus von der Tuchhändlerinnung erbaut, der vornehmsten unter den nicht kaufmännischen Genossenschaften der Stadt. Angeregt durch jenen Bau, wollten die Gewandschneider 1619 ein Amtshaus errichten, welches an Pracht das Kaufmannsgildehaus weit überstrahlte, den „Schütting“, der dem Rathhause gegenüber lag, als wollten seine Besitzer, die „Elterleute des gemeinen Kaufmanns“, den Herren des Rathes den Rang streitig machen. Freilich konnten die Gewandschneider am Markte keine Baustätte finden: allein dicht bei dem „Hause Seefahrt“, dessen Bestimmung der Name schon angiebt,

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Der Kaisersaal im Gewerbehause zu Bremen.

[438] bot sich ihnen ein würdiger Platz, der Kirche des Ansgarius gegenüber. Dort bauten sie 1619–1621 das stattliche Haus mit den beiden hohen Giebeln, das noch heute steht, wie eine alte Gedenktafel sagt; „dem Vaterland zu Ehren, die Nachkommen zu lehren“. Die Zeit der Blüthe des norddeutschen Tuchhandels war jedoch dahin, der Bau war für das Amtshaus zu prächtig, und so war der Plan gefaßt, dasselbe zugleich als Hochzeitshaus zu benutzen. Die Gewandschneider konnten mit dem stolzen Gebäude prunken und zugleich aus seinen Räumen den ihrer Casse erwünschten Verdienst ziehen; eine Verordnung des Raths befahl, daß in ihnen allein die „Braut- und Kindtage“ abzuhalten seien, Das Haus war auch ausgestattet; wie es sich für Feste ziemt; unter seinen Gemälden verdient ein Bild von dem namhaften Maler Franz Wulfhagen Erwähnung, die Hochzeit zu Kana darstellend, den in allen Hochzeitshäusern üblichen Gegenstand.

Lange erfreute sich die Tuchhändlerinnung ihres Bauwerkes nicht, 1685 mußte sie dasselbe an das Krameramt verkaufen; allein das Gebäude behielt seine alte Bestimmung. Mancherlei Privatfeste wurden in seinen Räumen gefeiert; im Laufe der Zeit kamen andere Geselligkeiten hinzu. Versammlungen zu wissenschaftlichen Zwecken, Schaustellungen der verschiedensten Art, Theateraufführungen und Concertvorträge, Wachsfigurencabinete und Taschenspielerproductionen riefen Manchen in’s Amtshaus der Kramer. Obwohl die Sitte dann mehr und mehr abkam, in ihm Hochzeiten und ähnliche Familienfeste zu feiern; obwohl das reiche Silbergeschirr der alten Zeit veräußert wurde: bewahrte das Krameramthaus im vorigen und selbst noch in diesem Jahrhundert noch alle die Eigenthümlichkeiten des alten Hochzeithauses, die mit dem neuen Wesen, den modernen Verhältnissen in Einklang zu bringen waren; es blieb ein städtisches Gesellschaftshaus eigenthümlicher Art.

Diesen Charakter bewahrt das Gebäude auch jetzt noch, obwohl es in jüngster Zeit in die Hände des Staates kam und zum Mittelpunkte der gewerblichen Interessen Bremens, zum Sitz der Gewerbekammer und des Gewerbeconvents gemacht wurde. Wohl eignete sich das stattliche Amthaus, das aus der zünftigen Zeit der Stadt in die moderne Periode der Gewerbefreiheit sich hinübergerettet hatte, zum „Gewerbehause“; aber man vergaß nicht, daß es auch „Hochzeitshaus“ gewesen war. Als 1861 der verdienstvolle Architect S. Loschen den im Innern vorzunehmenden Umbau leitete, ward in sehr glücklicher Weise die doppelte Bestimmung des Bauwerkes zur Geltung gebracht, das neue „Gewerbehaus“ blieb den geselligen Zwecken erhalten, denen sein Bau von Anbeginn gedient hatte. Freilich werden seine Räume wohl schwerlich jemals für Privat- und Familienfeste benutzt werden; freilich werden von ihnen Schaustellungen fern gehalten bleiben, die in Marktbuden und Trinkstuben gehören, aber seit ihrem kurzen Bestehen sind sie schon oftmals zu großen Ausstellungen, zu Vorlesungen, zu berathenden Versammlungen aller Art benutzt, hat schon manche Festtafel an der Stätte gestanden, wo die Hochzeitstische in früherer Zeit sich befanden.

Das Gewerbehaus in Bremen umschließt nicht blos die Räume für die zur Förderung von Industrie und Gewerbe bestehenden Staatskörperschaften und freien Vereine; es enthält nicht blos die Gewerbebibliothek und die Zeichenschule für Handwerker: die ganze Einrichtung seines Innern zeigt vielmehr, daß das öffentliche Gebäude noch den weiteren Zweck eines allgemeinen Gesellschaftshauses hat. Treten wir durch das alte Portal in den unteren Raum, so schauen von den Wänden die lebensgroßen Portraits Bremischer Rathsherrn auf den Besucher herab, ernste, würdige, kraftvolle Gestalten. Dem Kreise der Vertreter Bremischer Geschichte wird man beim Besteigen der breiten Treppe entrückt; hier schmücken Symbole der Künste die Seiten, unter ihnen das große Bauhüttenwappen, das auf Kaiser Maximilian zurückgeführt wird. Ein breiter lebensvoller Fries zeigt dann im oberen Treppenhause das Leben, das dem Handwerksmanne in jener Zeit deutschen Bürgerthums blühte, wo das Handwerk die Hauptstütze städtischen Wesens war. Zur Linken öffnet sich hier die Thür des großen Saales, auf dessen Längswänden in breitem Friese die Entwicklung des menschlichen Geistes in energischen charakteristischen Zügen dargestellt ist; der Treppe gegenüber befindet sich der Saal, den unsere Abbildung darstellt, wohl der gelungenste Theil im Inneren des Baues, ein Werk aus einem Guß, im Großen, wie im Einzelnen mit feinem Tacte ausgeführt, eine der vollendetsten Schöpfungen der modernen Gothischen Schule. Sein Schmuck hat dem Zimmer den Namen des „Kaisersaales“ gegeben; auf der Decke zeigt sich der deutsche Reichsadler mit den städtischen Wappenzeichen auf der Brust; die Schilde der deutschen Staaten rahmen die Decke ein und oben an den Wänden prangen die Brustbilder der deutschen Kaiser.

In der Ausschmückung dieses Zimmers, wie des ganzen Gewerbehauses offenbart sich deutlich, welche Fortschritte der Geschmack unserer Zeit gemacht hat. Was hätten die Männer, die das Hochzeitshaus zu Bremen bauten, wohl gesagt, wenn ihnen in dieser Weise ein Zimmer decorirt wäre? Sie hätten für einen Rathhaussaal, für den Saal eines fürstlichen Schlosses solchen Schmuck vielleicht geeignet gefunden, nicht aber für ein Zimmer, in dem heut Diese, morgen Jene sich versammeln, bald zu ernster Verhandlung, bald zu festlichem Vereine. Unserer Zeit ist es eigen; daß die Kunst ihren veredelnden Einfluß, wo immer sie thätig wird, geltend zu machen sucht; sie strebt überall die ideale Seite des Lebens uns vor die Augen zu führen, und sicher ist der künstlerische Schmuck des Gewerbehauses ein Zeichen, daß Bremen nicht aufgeht in Handel, Geschäft und Materialismus.

H. A. S.