Ein Kampf um’s Leben

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Textdaten
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Autor: Hugo von Koppenfels
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Titel: Ein Kampf um’s Leben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 770–774
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Kampf um’s Leben.


Aus dem jüngsten Briefe eines Afrika-Reisenden.


Cap Lopez an der Küste von Südwestafrika ist eine Halbinsel, welche vom Festlande nur durch schmale Buchten inmitten sumpfiger Mangrovewaldungen getrennt wird, auf ihrer äußersten Südostspitze jedoch durch eine ungeheure öde Sandbank mit demselben zusammenhängt. Sie erstreckt sich etwa 25 englische Meilen nach Nordwest zu Nord in den atlantischen Ocean und liegt etwa einen Breitegrad südlich vom Aequator. Das Terrain ist flach, parallel mit der Länge der Halbinsel leicht gewellt und vorherrschend Savanne, in der viele und lange Buschparzellen romantisch eingestreut liegen. Quellen und fließende Gewässer fehlen, weshalb die Gegend nur vorübergehend von Orungu- und Comi-Negern des Fischfangs und der Jagd wegen besucht wird.

Mangi, wie die Halbinsel von den Eingeborenen benannt wird, gleicht einem großen englischen Wildpark und bietet bei [771] weitem den besten Jagdgrund, welchen ich auf meinen vielen Streiferen angetroffen habe; sie strotzt von Wild, das in dem saftigen Gras der tieferen Stellen und dem immer grünen Laube der mehr gebüschartigen Waldungen vortreffliche und ergiebige Aeßung findet. Ausreichende Tränke liefern einige an der Südostseite gelegene Wasser-Reservoirs, die sich während der Regenzeit füllen und nie austrocknen. Nur auf der vom Winde abgewendeten Ostseite ist eine Landung möglich, wogegen die äußerst heftige Brandung der Südwestlage die Annäherung wehrt, indem hier eine constante Brise aus gleicher Richtung, die heftige Schwellung des Meeres und das weit in dasselbe reichende flache Vorland, je nach der Einwirkung, drei bis fünf Reihen Brecher (Sturzseen) hervorruft. An der ganzen Länge dieser Seite ist der Strand beständig selbst bei geringem See-Andrange in einen aus stäubenden Wassertheilchen bestehenden Nebel gehüllt, eine Folge des Zerschellens der unter donnerndem Brausen und Zischen sich überstürzenden Brandungswellen, die man in Westafrika Calema nennt.

Dieser Theil der Halbinsel ist besonders von Thieren belebt, da er der gesündeste und von Menschen am wenigsten besuchte ist. Selbst zu Lande ist er äußerst beschwerlich zu erreichen, da der Zugang wiederholt durch tiefes Sumpfwasser inmitten zum Theil schon absterbender, unglaublich verwurzelter Mangle-Gebüsche führt, durch die man sich einhauend die Wege bahnen muß.

Ich war zu Jagdzwecken auf Mangi und kam nach sechswöchentlicher Jagd auf der Südostseite mit meiner Begleitung, bestehend aus fünf Orungus, zwei Galoa und einem Kru-Neger, an die südwestliche Küste, um Flußpferde zu schießen. Sehr überrascht war ich, als ich hart am brandenden Strande eine kürzlich erbaute Hütte und als deren Insassen ein altes, lahmes und schauerlich häßliches Medicinweib mit einem Sclaven zu ihrer Bedienung vorfand. Sie war aus Sangatanga, stand bei den Orungus und selbst Comis in großem Ansehen und war gekommen, um Kräuter für Medicin, sowie Gifte zu suchen und ihren Hokuspokus in einem kleinen, sehr reinlich gehaltenen Fetischhäuschen abzuhalten. Behangen war sie mit einer Menge von Firlefanz, das heißt Fetischen (Amuleten) der sonderbarsten und verschiedensten Art. Ihre Einladung, in der Hütte zu übernachten, schlug ich unter Ausreden ab, es vorziehend, auf einer der Fluth nicht ausgesetzten Sandbank zu campiren, wo wir denn auch unser Lager aufschlugen.

Im Verlaufe des nächsten Tages, der so verhängnißvoll für mich enden sollte, nöthigte mich das alte Medicinweib, wohl aus Dankbarkeit für erhaltene kleine Geschenke, in ihr Fetischhäuschen, nahm unter einer Höhlung des guten Götzen Eviva ein Stück weißer Erde hervor und beschmierte mir die innere Seite der einen Hand. Die Schwarzen selbst – um dies nebenbei zu bemerken – bemalen sich, wenn sie Frieden oder Willkommen stillschweigend ausdrücken wollen, damit die Stirn über den Augenbrauen. Diese heilige Erde entnehmen sie dem Rande eines tiefen Erdfalles, an welchem, wie sie glauben, der böse Geist Ibambu Wache hält und die sich ihm Nahenden durch Schwindelanfälle hineinzieht. Wie natürlich, wollen Viele dieses durch den Aberglauben vermehrte Gefühl empfunden haben. Den Erdfall bezeichnen sie mit Wonka-Wonka. Nie habe ich ein Stückchen dieser weißen Masse außer diesem einen Male in die Hand bekommen können, und damals dachte ich – ich muß es zu meiner Schande gestehen – nicht daran, zu untersuchen, ob es Talkerde, Thonerde oder Kreide war.

Etwa anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang begab ich mich auf den Weg, um nach meinen Dickhäutern zu sehen. Zur Begleitung nahm ich einen Galoajungen mit, der mir noch eine leichte Jagdflinte zum Schießen von Vögeln nachtrug. Der andere Galoa gesellte sich uns unaufgefordert zu und bewaffnete sich mit einem Manatus-Speer. Die Ebbe hatte schon längere Zeit eingesetzt. Der Weg am Strande war angenehm zu gehen, und die Lagune, welche wir aufsuchen wollten, lag nur dreiviertel englische Meilen landeinwärts von ihm ab.

Nachdem ich eine geraume Weile am Meeresufer entlang gegangen war, glaubte ich die Stelle erreicht zu haben, um nach der Lagune einzubiegen, ging also den Strand hinauf und hatte kaum den Kopf über den Sandwall erhoben, als ich bemerkte, wie eine Büffelheerde – von der in Europa bisher noch durch keine Abbildung bekannten Art Bos brachyceros – hinter einer längeren Buschparzelle hervortrat und offenbar gleichfalls nach der Lagune sich in Bewegung setzte. So gingen wir eine Weile, uns gegenseitig immer mehr nähernd – ich hinter meinem Sandwalle – als die Thiere Zeichen von Unbehaglichkeit gaben, denn der Wind stand von mir nach ihnen zu. Die Leitkuh stutzte, und mit ihr die an dreißig Köpfe starke Heerde. Einige Thiere liefen eine kurze Strecke fort, um stehenbleibend wiederum zu wittern.

Das Leitthier mit ein paar starken Bullen kam einige zwanzig Schritte in der Richtung auf mich zu. Die Thiere hatten die Schwänze erhoben und scharrten unruhig den Boden mit den Füßen. Nunmehr war meine Zeit gekommen, und obwohl die Entfernung immer noch beträchtlich war, nahm ich doch einen der mir näherstehenden und größten Bullen auf’s Korn. Nach abgegebenem Schuß ergriff die Heerde, durch einander wirbelnd, die Flucht, von Zeit zu Zeit stutzend, bis sie verschwand. Der von mir auf Korn genommene Büffel jedoch, welcher anfänglich mit fortzukommen suchte, blieb zurück und lahmte in das schmale Gebüsch, welches mit Unterbrechungen die eine Seite der Lagune begrenzte.

Es ist stets ein großer Fehler, ein angeschossenes Stück Wild auf noch warmer Spur zu verfolgen; ebenso ist es ein solcher, wenn der Jäger hinter seinem Versteck hervortritt. In diesem Falle jedoch war es mir mehr um Flußpferde, als um den Büffel zu thun, namentlich deshalb, weil die Sonne sich rasch zum Horizont neigte. Genau hatte ich mir die Stelle gemerkt, wo das verwundete Thier in den Busch getreten war. Als ich derselben bis auf zwanzig Schritte nahe gekommen, höre ich vor mir das Gestrüpp und Geäst brechen und gewahre aufschauend den wüthenden Büffel, wie er mit gesenkten Hörnern auf mich zukommt. Keineswegs war ich, so großsprecherisch es auch klingen mag, bestürzt. Hatte ich doch bereits vier solche Attaquen ohne Herzklopfen ausgehalten und mit sicherer Kugel mir die Angreifer todt zu Füßen gelegt.

Im Nu lag die so oft erprobte Doppelbüchse im Anschlag. Nach abgegebenem Schuß markirte die wüthende Bestie denselben wohl, ließ sich jedoch dadurch im Angriff nicht weiter stören. „Komme mir nur hart vor’s Rohr!“ dachte ich. Endlich drückte ich los, aber, o Entsetzen! die Patrone, durch den Einfluß der feuchten Atmosphäre verdorben – versagt. Wie unwillkürlich springe ich mit einem gewaltigen Satze zur Seite, jedoch zu kurz.

Der zweifach schwer verwundete, dabei noch so gewandte Büffel schlug mir sein rechtes Horn durch den linken Unterschenkel. Natürlich riß mich dies zu Boden und kaum hatte ich mich gedreht, denn ich war auf den Leib geworfen worden, als er auch schon wieder über mich herfiel. Den hierauf folgenden Kampf genau zu schildern vermag ich nicht. Er war zu gräßlich. Meine Geistesgegenwart verlor ich zwar keinen Augenblick, wäre aber um ein Haar, ohne einen letzten Gedanken an den Höchsten und die mir Liebsten auf Erden, aus dem Leben geschafft worden, wenn nicht mein kleiner Edute, jener Galoaknabe, in der höchsten Noth, obwohl auf zweihundert Schritte, die mit Nr. 4 und 7 geladene Schrotflinte in der Richtung nach dem Kampfplatze abgefeuert hätte.

Bevor die Schüsse fielen, kniete das fürchterliche Thier mit dumpfem, heiserem Brüllen auf meiner Brust und drückte die Stirn mit den darauf tödtlich drohenden Hörnern mir in’s Gesicht. Beide hatte ich krampfhaft gefaßt, war auch während des Kampfes einmal, daran mich stützend, in die Kniee gekommen, alsdann aber wieder niedergedrückt worden. Schon kreiste es mir im Gehirn, schon ging mir der Athem aus; noch eine Minute in dieser Lage, und meine irdische Laufbahn war vollbracht. Da krachten die Schüsse. Der Büffel sprang von mir auf, um nach dem anderen Feinde zu wittern. Kaum fühlte ich mich von der centnerschweren Last befreit, kaum hatten sich meine Lungen wieder mit etwas Luft gefüllt, so erwachten schnell meine Lebensgeister. Das haarscharfe, in der Klinge neun Zoll lange, breite Jagdmesser fuhr gedankenrasch aus der Scheide und senkte sich, indem meine linke Hand noch immer das rechte Horn des Gegners gefaßt hielt, zwischen Hals und Schlüsselbein in des Büffels Herz. Der Stoß war so gewaltig, daß der halbe Griff des Messers mit eindrang und das Thier sofort über mir zusammenbrach. In diesem Augenblicke war ein schrecklicher Kampf, Leben um Leben, beendet. Der Büffel lag todt über seinem besinnungslosen Gegner.

Wie lange ich gelegen hatte, weiß ich nicht. Ein schwerer Alp hielt noch immer meine Sinne gefangen, als ich endlich [772] wieder zu mir kam. Die Schmerzen sowie das nahe Donnern der brandenden See gaben mir die volle Besinnung wieder zurück. Es war rabenfinstere Nacht. O welch eine Wirklichkeit! Ueber und über dick mit Blut bedeckt, schienen mir alle Glieder gebrochen, und ich fühlte das Blut warm aus meinen Wunden quellen.

Ich lag neben dem getödteten Büffel. Wie ich unter demselben hervorgekommen war, weiß ich nicht. Mehrere Male versuchte ich aufzustehen, doch vergeblich; ein schneidender Schmerz in meinem linken Oberschenkel erlaubte es mir nicht. Mit schwacher Stimme rief ich wiederholt nach meinen Leuten um Hülfe. Die feigen Burschen hatten mich verlassen. Unheimlich umschwirrten mich die hier in Menge vorkommenden großen Flederhunde (Pteropus vulgaris), und Gedanken der schwärzesten Art stiegen in mir auf.

Ich beschloß, bei dem hoffnungslosen Zustande und den fürchterlichen Schmerzen, meinem Leben ein Ende zu machen. Ich führe in Fläschchen stets auf allen meinen Streifereien Salmiakgeist, Chinin und Morphium bei mir. Das Morphium sollte mich erlösen. Schon hatte ich eines der Fläschchen entkorkt, es war aber zu meinem Heile Salmiakgeist. Da kam mir der Gedanke, bevor ich zum Letzten schritt, meinen Zustand einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.

Ich fand ihn weniger hoffnungslos, als ich vermuthet. Das viele Blut schien von dem Büffel herzurühren; keine edleren Theile schienen verletzt, wennschon ich nur mühsam und mit großen Schmerzen Athem schöpfen konnte und mein linker Oberschenkel gebrochen schien. Die Schmerzen rührten wohl mehr von den allerdings bedenklichen Contusionen her. Die Lust zum Leben erwachte in mir. Um die tiefe Hornwunde an meinem linken Unterschenkel, aus der ich noch immer das Blut fließen zu fühlen glaubte, band ich mein Taschentuch und versuchte abermals, aufzustehen – doch wieder umsonst. Der erwähnte schneidend brennende Schmerz verhinderte es. Vorsichtig faßte ich mein Bein am Knie und drehte es ganz leise, jedoch kein Knirschen von Knochentheilen ließ sich fühlen und hören, dagegen stellte sich, wie bei jeder drehenden Bewegung, dieser fürchterlich in’s Mark schneidende Schmerz ein. Der Knochen war unzweifelhaft ein-, wenn auch nicht durchgebrochen.

Nochmals rief ich um Hülfe. Vergebliche Mühe! Das nahe Geräusch der brüllenden See übertönte es. Fürchterliche Situation!

Leoparden konnten in der Nähe sein, durch den Blutgeruch angezogen werden und mich, hülflos wie ich war, zerreißen. Hatte ich sie doch am Morgen längs der Lagune ganz frisch gespürt. Da mit einem Male fiel mir ein, daß ich einen Revolver bei mir führte, und obschon ein solcher im Kampf mit einem Büffel oder Leoparden nur ein armseliges Spielzeug ist, konnte ich doch durch Schüsse dieselben verscheuchen und meine feigen Schufte von Schwarzen zu meiner Hülfe heranbringen. Mit dem beruhigenden Gefühl, bewaffnet zu sein, kehrte mir meine ganze Energie wieder zurück.

Auf der rechten Seite liegend, kroch ich, den Revolver zu sofortigem Gebrauch in der Linken, mit Hülfe des rechten Beines und rechten Armes wohl nahe an eine englische Meile unter unsäglich qualvollen Schmerzen wie eine Schnecke nach der Richtung zu meinem Lager hin. Da – war es Einbildung oder Wirklichkeit? – schimmern die phosphorescirenden Lichter eines Leoparden aus der Dunkelheit. Natürlich mußte es ein Leopard sein, denn in solchem Zustande glaubt man immer an das Schlimmste.

Der erste Schuß kracht. In kleinen Zwischenräumen feuere ich den zweiten, den dritten Schuß ab. Weiter kann ich nicht mehr; über und über bin ich mit Schweiß und Blut bedeckt. Die Kräfte sind erschöpft; es beginnt mir wieder vor den Augen zu flimmern. In der Gegend meines Lagers laufen Feuerscheine durch einander. Noch einmal halte ich den Revolver hoch über den Kopf und gebe den vierten Schuß ab. Gott sei gedankt! Ich sehe Gewehre aufblitzen; die Feuerscheine nähern sich. Die Hülfe ist nahe.

Endlich sind meine durch einander laufenden und toll schreienden Leute mir so nahe, daß sie meine schwachen Rufe hören können. Er war die höchste Zeit; meine Kräfte, von dem Kampfe, dem starken Blutverlust, den Schmerzen und der übergroßen Anstrengung und Aufregung erschöpft, brachten mich einer zweiten Ohnmacht nahe. „Wasser, Wasser!“ stöhnte ich den in ungeheuchelter Freude und Rührung laut weinenden oder vielmehr heulenden, guten, aber bodenlos feigen schwarzen Burschen zu. Jeder stellte in dem gebrochenen Küstenenglisch Fragen und suchte Trostgründe vorzubringen. „Master!“ sagte Edute, „wir glaubten, Du todt. O, mein guter Master! Edute ist blöde, Edute hat keinen Muth. Master – Du ein wirklich starker Mann. Teufel, Teufel! Wahrhaftig, wahrhaftig!“ – „O Herr,“ sagte ein Anderer, „niemals stirbst Du. Du bist ein starker Mann. Du hast gewiß einen guten Fetisch. Mein armer Herr, hast Du viel Schmerzen?“ – „O! mein guter, mein armer Herr,“ schrieen entrüstet die beiden Galoa und hauptsächlich der Kru. „Dieses verd … te alte Fetischweib hat Dich verhext, wir wollen es tödten.“

Solche und ähnliche Aeußerungen fielen in Masse, doch Keiner dachte daran, mir zu helfen, bis ich es endlich durch Drohungen mit meinem Revolver dahin brachte, daß sie mir in einem alten Filzhut, der einem der Leute gehörte, Wasser brachten und eine Tragbahre improvisirten, auf welche ich mich hinaufschob; nun erst ging es unter fortwährendem Geschrei und Erzählen nach dem Lager vorwärts. Schon auf halbem Wege kam uns das arme alte Fetischweib heulend entgegen, wurde aber, wenn sie sich mir nähern wollte, von den Leuten barsch zurückgestoßen.

So erschöpft ich war, hielt ich es doch für geboten, das thörichte Volk von seiner Meinung, die Alte habe mich verhext, abzubringen, ja ich mußte ihnen sagen, daß ich unfehlbar von dem „Niari“ getödtet worden wäre, wenn mich die Medicinfrau nicht in guter Absicht mit der Farbe des Eviva bemalt hätte. Bei dem Lager angekommen, ließ ich mich auf einige Matten und wollene Decken im Sande niederbetten. Der Tag begann zu grauen, bevor ich in einen kurzem unruhigen Schlaf verfiel. Als ich erwachte, stand ein Theil meiner Leute vor mir, mich mitleidig betrachtend. Mein Aeußeres mochte ihre schlimmsten Erwartungen übertroffen haben. Ich sah, soweit ich mich betrachten konnte, gräßlich aus. Alle meine Glieder waren bis zur Unförmlichkeit geschwollen; kaum vermochte ich eines derselben zu regen. Bart und Kleider waren durch das geronnene Blut zusammengeklebt. Obwohl ich am liebsten gestorben wäre – denn die Ermattung überwog selbst die Schmerzen – riß ich mich doch aus meiner Lethargie empor, ließ mir warmes Wasser bringen, weichte die angeklebten Kleider auf, zog die zerrissenen Lumpen vom Leibe, verband meine vielen, zum Theil schweren Wunden, schiente mein gebrochenes Bein mit einer saftigen, ledergleichen Rinde, hüllte mich, nur mit einem reinen Hemd bekleidet, in ein Betttuch und fragte nach den übrigen Leuten.

The boys go for mainland side and look for canoe. Master can never go by bush”. („Die Jungen sind nach dem Festlande zu gegangen, um nach einem Canoe zu sehen, denn Master kann so niemals durch den Busch kommen.“)

Nachdem ich den Befehl ertheilt, alle Sachen wieder zusammenzupacken, sowie eine bessere Tragbahre zu fertigen, und nachdem das alte, ängstlich besorgte Weib zwar brennende, aber, wie ich mich früher überzeugt hatte, heilsame Kräutersäfte in die noch immer blutenden Wunden eingeträufelt hatte, fiel ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich, nachdem die Sonne schon hoch am Himmel stand, gewaltsam erweckt wurde. Meine Leute hatten wirklich ein Canoe mit vier Comi-Leuten gefunden. Dieselben waren weit hergekommen, um auf der großen, öden Sandbank, die Mangi mit dem Festlande verbindet, Seeschildkröten zu fangen und nach deren pergamentartig weichen rundlichen Eiern zu suchen. Zwischen ihnen und meinen Leuten, welche jene nur unter großen Versprechungen hergekirrt hatten, war ein ernstlicher Streit ausgebrochen, und die kaum Angelangten würden auf und davon gegangen sein, wenn meine Leute nicht mit den Waffen in der Hand von ihrem Canoe Besitz ergriffen hätten. Das alte Fetischweib suchte vergeblich die Parteien zu beschwichtigen. Als ich nach der Ursache des Streites fragte, mußte ich meinen Leuten vollständig Recht geben, denn die vier Comi verlangten, um mich auf weiten und allerdings sehr beschwerlichen Umwegen nach meinem jenseits der Halbinsel gelegenen Heim zu bringen, nicht mehr und nicht weniger als fünfzig Dollar. Ohne mich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen, sagte ich ihnen gebieterisch:

„Ihr seid in meiner Gewalt; meine Lage erheischt Hülfe; Ihr seid nichtswürdige Schurken, die sich das zu Nutze machen wollen. Ich werde Euch nach Gebühr bezahlen, den Ersten aber, der mir einen Streich zu spielen versucht, wie einen tollen Hund niederschießen“ – und gewiß hätte ich meine Drohung erfüllt. Während des ganzen Transports, welcher einen Tag und eine Nacht [774] in Anspruch nahm, habe ich die gleichfalls erschöpften Leute nur mit dem Revolver in der Hand zu ihrer Pflicht anhalten können.

Früh um vier Uhr erreichten wir die Hütten auf der Südostseite, welche wir uns für den dortigen Aufenthalt seinerzeit gebaut und mit einer Menge Vorräthen unbewacht zurück gelassen hatten, als wir den Streifzug nach dem südwestlichen Theil angetreten. Dort fand ich Obdach, Verbandzeug, bessere Nahrung, vor Allem die nöthige Ruhe. Vierzehn Tage hatte ich, mehr durch die erlittenen Contusionen, als durch die erhaltenen Wunden, zu leiden. Die Schmerzen in der Brust verblieben am längsten. Ziemlich ein Vierteljahr jedoch war ich auf mein Lager gebannt, und als ich dasselbe verließ, ging ich noch vierzehn Tage an selbstgefertigter Krücke nebst Stock. Am Ende dieser Zeit war trotz des großen Vorraths an Lebensmitteln, die ich für mich und meine Leute mitgenommen hatte, Schmalhans Küchenmeister geworden. Am meisten hatte ich durch die Langeweile und die Muskitos zu leiden, obschon ich mich stets beschäftigte und mir unausgesetzt diese Plagegeister fortwedeln ließ. Meine Leute haben sich während der ganzen Zeit musterhaft betragen. Es waren überhaupt die besten von den Vielen, welche bisher in meinen Diensten standen.

Bevor ich zum Schlusse eile, muß ich noch eines äußerst scherzhaften Vorfalls gedenken, welcher wenigstens auf einige Tage in die trüben Stunden dieser ewig langen Zeit ein unterhaltendes Intermezzo brachte.

Durch die vier Comi, die wider ihren Willen mir bei dem beschwerlichen Transport Hülfe leisten mußten, schließlich jedoch noch als Freunde von mir schieden, war die Kunde von diesem Büffelkampf verbreitet worden.

Mehrere Male erhielt ich, dadurch veranlaßt, wenn auch keine Condolenzvisiten, so doch Besuche aus Neugierde und zum Zwecke purer Bettelei von Comileuten. Unter Anderen stellte sich ein Häuptling mit großer Begleitung ein. Derselbe, immer der Unverschämteste unter der Bande, peinigte mich unausgesetzt mit Forderungen und verlangte von mir, den Fetisch zu sehen, welchen ich bei solchen Gelegenheiten mit mir führe. Ich erwiderte ihm, der weiße Mann besitze keine solche. Der Fetisch derselben bestände in dem Verstand, dem Muthe und der Geistesgegenwart. Dies war ihm jedoch nicht einleuchtend, und er glaubte nur mehr denn je, daß ich einen besitze. Der Plackereien müde, wollte ich ihn schon verdrießlich zum Fortgehen anweisen, als mir der Gedanke kam, ihn für seine bodenlose Unverschämtheit auf eine ganz besondere Weise zu bestrafen. Zu meinem Dolmetscher, einem Orungu, der von seinem Knabenalter an Steward in englischen Factoreien war, sagte ich: „Jacob, Du mußt nicht lachen über das, was ich zu thun beabsichtige. Du machst den King sonst stutzig und störst mein Vergnügen. Bleibe daher ernsthaft! Gieb mir indeß meine kleine Medicinkiste!“

Als ich dieselbe in Empfang genommen, griff ich ein Fläschchen mit Senfäther heraus, hielt dieses dem Comichef hin und sagte: „Dies ist mein Fetisch.“

Ungläubig schüttelte der Schwarze den Kopf. Als aber mein Dolmetsch ihm dies, wenn auch mit einem schalkhaften Zug, ernsthaft bekräftigte, wurde er in seinem Unglauben wankend, um so mehr, als ich ihm plausibel machte: „Wir Weißen haben natürlich eine ganz andere und viel bessere Art Fetisch, wie Ihr schwarzen Leute.“ Da wurde er denn ganz Auge und Ohr und fragte: „Trägst Du das Fläschchen bei Dir, und warum hat Dein guter Fetisch zugegeben, daß Du verwundet wurdest?“

„Nein,“ entgegnete ich, „das ganze Fläschchen trage ich nicht bei mir, sondern reibe mir nur von der Flüssigkeit des guten Gottes Eviva etwas auf die Haut. Dies genügt dann, für einen Monat mich gegen alle Gefahren zu schützen. Man muß aber ein guter Mensch sein; sonst brennt der Fetisch auf der Haut, ja er brennt schon beim Oeffnen des Glasstöpsels in den Augen.“

Mit der Unverschämtheit der Eingeborenen verlangte er nun das ganze Fläschchen zum Geschenk. Ob einer solchen Forderung stellte ich mich ganz entrüstet und rief ihm zu: „Clear out (gehe fort)!“

Als er nun sah, daß er das Fläschchen nicht ganz in Besitz bekam, bat er mich, ihm für einen Monat etwas einzureiben, aber auch dagegen sträubte ich mich, indem ich vorgab, selbst nicht mehr viel zu haben, wie er ja selbst sehe. Er ließ aber nicht nach, bis ich endlich, immer noch widerstrebend, mich unter der Bedingung: „Dafür aber müsse er mir für meine Leute Maniokmehl herbeischaffen,“ dazu bereit erklärte.

Nochmals wiederholte ich ihm, daß er bei der Procedur die Augen schließen müsse, widrigenfalls der in der Flasche verborgene Geist ihm in den geöffneten Augen brenne, ebenso würde die in der Flüssigkeit verborgene Kraft ihn, sofern er ein böser Mensch wäre, je nach seinen begangenen Sünden auf der Haut brennen. Hierin könne ich jedoch nichts im Voraus sagen, da ich seine Eigenschaften nicht kenne. Sein schlechtes Gewissen machte ihn wohl wieder bedenklich. Mein schlauer Jacob beschwichtigte ihn aber dadurch, daß er ihm mittheilte: „Es brennt nur ein klein wenig. Mein Master hat mir schon mehrere Male, wenn wir auf Njargu- und Niari- (Elephanten und Büffel) Jagd gingen, davon eingerieben.“ Sodann log er ihm noch mancherlei unglaubliche Dinge vor, die der Fetisch des weißen Mannes bei ihm bewirkt habe. Der Comichef war gefangen.

Er hielt mir, indem er niederknieete, seinen entblößten Rücken hin. Ich tränkte etwas Baumwolle unter Zukneifen der Augen tüchtig, etwa mit dem dritten Theile des Senfäthers, und rieb, nachdem ich das Fläschchen durch Jacob rasch wieder hatte schließen lassen, dem armen Opfer, so rasch ich im Stande war, die ganz gehörige Partie auf den breiten Rücken. Auf einmal fing er an zu brüllen: „Amani, amani tangani, mia pieni ogoni!“ (Hör’ auf, laß nach, Weißer! Es brennt wie Feuer.“). Damit riß er, wie von Taranteln gestochen, auf Nimmerwiedersehen aus, und ich war einen unverschämten Plagegeist auf gute Manier los. Meine Leute konnten sich vor übergroßer Lustigkeit gar nicht beruhigen; auch bot ihnen dieser Zwischenfall längere Zeit Stoff zur Heiterkeit.

Hugo von Koppenfels.