Ein Kriegs-Invalidenloos
[878] Ein Kriegs-Invalidenloos. Wir versagen Keinem unsere Theilnahme, den ein Mißgeschick trifft, auch wenn es ein selbstverschuldetes ist. Höher steigt dieselbe aber unverschuldeten Leiden gegenüber. Wenn uns gar ein Mann sagen muß: „Ich habe für Euch im großen Kriege geblutet, und nun ist Armuth und Entbehrung mein Lohn“ – so trifft das in’s Herz und die Pflicht der Dankbarkeit gebietet Hülfe. Leider kommen solcher Hülferufe uns so viele zu, daß wir nur die am meisten für sich selbst sprechenden Fälle an die Oeffentlichkeit bringen können. Für einen solchen halten wir den nachfolgenden.
Ein jetzt achtunddreißigjähriger, verheiratheter, aber kinderloser Mann, der als Sohn eines Landpfarrers auf Rügen eine gute Bildung genoß und mit Glück Landwirthschaft betrieb, verlor in Folge der Kriegsdienste 1864 und 1866 sein kleines Gut, wurde Beamter an einer Berliner Bahn und mußte 1870 als Landwehrmann der Kummer’schen Division mit in’s Feld ziehen, wo ihm bei dem Ausfallgefechte am 7. October vor Metz bei Les Tapes der rechte Arm abgeschossen wurde. Den einarmigen Mann nahm die Berliner Bahnverwaltung nicht wieder in Dienst. Von seiner Pension allein kann er nicht leben; er muß arbeiten und hat sich deshalb vor Allem im Schreiben wieder so geübt, daß er jetzt die Feder mit derselben Gewandtheit in der Linken führt, wie früher in der Rechten. Er würde zwar als Aufseher und in manchem anderen Fache zu gebrauchen sein, in keinem aber so viel leisten können, wie in der Landwirthschaft, die er mit völliger Hingebung betrieben.
Sollte der Mann Recht haben mit seinem Vorwurfe: „Schon jetzt, nach fünf Jahren, ist die Erinnerung an unsere Verdienste so schwach geworden, daß man am frohesten ist, wenn man uns los ist, und das wird später noch mehr der Fall sein.“? – Möchte doch Diesem und Jedem, der ebenso zu klagen hat, recht bald geholfen werden!