Ein Kuß von Schiller

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Textdaten
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Autor: W. H.
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Titel: Ein Kuß von Schiller
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 175–176
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[175] Ein Kuß von Schiller. Meine Großmutter, die „Frau Senatorin“, hat seiner Zeit die ganze Stadt Darmstadt gekannt. Sie hatte ihre merkwürdigen Eigenheiten; so trug sie sich bis zu ihrem Tode im Jahre 1850 unabänderlich, wie Bürgerfrauen zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wodurch sie natürlich Jedermann auffiel; aber niemals hat es Jemand gewagt, ihrer zu spotten. Sie war streng gegen Jedermann, am strengsten gegen sich selbst, gottesfürchtig und sehr stolz nach oben und unten. Auf ihre Wahrhaftigkeit konnte man sich verlassen, daher ist auch die nachstehhende Anekdote, welche sie nur erzählte, wenn sie bei recht guter Laune war, und selbst dann noch mit jener Verschämtheit, die auch alten Frauen gut steht, vollkommen authentisch.

An einem schönen Winterabend im Januar (1785) begleitete sie als etwa sechszehnjähriges Mädchen ihre Jugendfreundin Seitz (der Vorname ist mir entfallen), die Tochter des Hof-Perrüquiers, über den Markt nach Hause. Es lag schöner Schnee auf der Straße und die lustigen Dinger warfen sich scherzend mit Schneebällen. Die schäkernde Schlacht war gerade am hitzigsten, als aus dem sogenannten alten Palais des Prinzen Christian (bewohnt von der „alten Fürstin“, Albertine Louise, Gemahlin des Prinzen [176] Georg Wilhelm, Bruders des Landgrafen, Großmutter der Königin Louise von Preußen) zwei Herren traten, von denen der Eine richtig einen derben Wurf empfing, welcher der Freundin gegolten hatte. Mit einem Schrei wandten sich die Mädchen sofort zur Flucht, allein „Strafe muß sein!“ riefen ihnen die Herren nach und verfolgten sie auf das Hartnäckigste. Die Jagd ging bis an das alte Jagdhaus (am Paradeplatz), da wurden die Uebelthäterinnen eingeholt, gefaßt und trotz alles Schreiens und Sträubens tüchtig abgeküßt; sie liefen feuerroth und beschämt nach Hause, während die Herren lachend umwandten und dem Schlosse zuschritten.

Am nächsten Vormittag war sogenannte große Cour bei Hofe; fremde Herrschaften waren anwesend (Carl August von Weimar und seine Gemahlin Louise, eine hessen-darmstädter Prinzessin), es gab also etwas zu sehen. Unter den Zuschauern stellten sich auch die beiden Mädchen ein, deren Väter in Amtsthätigkeit waren. Da, wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie in dem Cirkel der Auserwählten die beiden jungen Männer erblickten, die am vergangenen Abend eine kleine Unvorsichtigkeit so hart gestraft hatten! Es waren – der Prinz Georg von Hessen und der Dichter Friedrich Schiller. Der Letztere hatte Tags vorher den Landgräfinnen, Töchtern und Schwägerinnen der geistreichen Freundin Merck’s und Klopstock’s, Henriette Caroline – welcher Friedrich der Große das Denkmal setzte: Femina sexu, ingenio vir – und ihren fürstlichen Gästen den ersten Act des Don Carlos vorgelesen, zuvor aber sich von frischen Lippen die nöthige Stimmung dazu geholt.

Gutes Großmütterchen, mit welchem Selbstgefühl sie sich der Erinnerung freute: „Mir hat der Schiller einen Kuß gegeben!“ Denn allerdings hatte der Prinz Georg ihre Freundin – eine auffallende Schönheit – erwischt, und wunderbaren Eindruck muß jener eroberte erste Kuß auf ihn gemacht haben, denn er hat sie später, nachdem sie zur Baronesse erhoben worden ist, geheirathet. Also war in diesem Falle ein Schneeball Ehestandsprocurator. W. H.