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ADB:Merck, Johann Heinrich

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Artikel „Merck, Johann Heinrich“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 400–404, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Merck,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 05:52 Uhr UTC)
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Merck: Johann Heinrich M. wurde zu Darmstadt am 11. April 1741, wenige Tage nach dem Tode seines Vaters, des Apothekers Johann Franz M. geboren. Zuerst scheint sich sein Oheim von mütterlicher Seite und Pathe, Pfarrer Kaiser in Bickenbach, des Knaben besonders angenommen zu haben. Dann erwarb sich M. auf dem Pädagogium seiner Vaterstadt (unter dem Rector Johann Martin Wenck) eine tüchtige Schulbildung. Am 17. Octbr. 1757 wurde er an der Universität Gießen immatriculirt. Ob er sonst noch eine Universität bezog, ist unbekannt. Wahrscheinlich nicht Altdorf und Göttingen, wie gewöhnlich behauptet wird, da sich sein Name in den Matrikelbüchern beider Hochschulen nicht vorfindet. Die Rohheit, welche damals auf deutschen Universitäten herrschte, mag ihn schon in jenen früheren Jahren angewidert haben, vielleicht aber auch erst später, als er in höheren und feiner gebildeten Kreisen zu verkehren pflegte. Nach vollendeten Studien begleitete er einen Herrn von Bibra als Hofmeister auf Reisen, zunächst in die Schweiz. Dort, zu Morges am Genfer See, lernte er Louise Francisque Charbonier, die Tochter eines angesehenen Justizbeamten, kennen und vermählte sich (wahrscheinlich 1765) mit ihr. 1767 wurde er als Secretär bei der geheimen Kanzlei in Darmstadt angestellt. 1768 zum Kriegszahlmeister bei dem Kriegsdepartement (seit 1774 mit dem Titel Kriegsrath) befördert. Seine Ehe war trotz aller schwärmerischen Leidenschaft, die er seiner Gattin entgegenbrachte, nicht glücklich. Louise Francisque sprach nicht deutsch und fühlte sich in der Ferne von ihrer Heimath fremd und unbehaglich. Unter den Folgen dieser Stimmung litt auch M. Von sechs Kindern starben ihm vier in zartem Alter. Ob zu all dem noch Untreue seiner Frau ihm das Leben vergällte, wie das Gerücht erzählte, läßt sich bei den unsichern und einander widersprechenden Nachrichten darüber noch nicht feststellen. Sein Amt befriedigte ihn nicht. Ersatz suchte M. im wissenschaftlich-künstlerischen Studium und im Umgang mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit. So ward sein Haus lange für Darmstadt und die Umgegend zum Mittelpunkt der geistreich-geselligen Kreise. Auch interessante Fremde kehrten dort gern ein. Andere ausgezeichnete Zeitgenossen lernte M. auf wiederholten größeren und kleineren Reisen kennen. Zu seinen beständigen und thätigen Freunden zählten Herder (seit 1770), Wieland (seit 1771), Goethe (seit 1771). Lavater (seit 1774), Nicolai, die Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt, der Herzog Karl August, der ihn gern in weimarische Dienste gezogen hätte, dessen Mutter Anna Amalia und viel andere mehr.

Schon frühzeitig hatte M., wenn gleich anonym, litterarische Arbeiten, sämmtlich Uebersetzungen aus dem Englischen veröffentlicht: 1762 Hutcheson’s „Untersuchung unsrer Begriffe von Schönheit und Tugend“, 1763 Addison’s „Cato“, 1765 Thomas Shaw’s „Reisen oder Anmerkungen, verschiedene Theile der Barbarei und Levante betreffend“ (später schlossen sich daran noch einige Uebersetzungen und Auszüge von Reisebeschreibungen). Mehrere Fabeln in Versen brachte der Göttinger Musenalmanach; andere, gleichfalls in der Manier der gereimten Fabeln und Erzählungen Lessing’s, wurden erst lange nach Merck’s Tode (in der ersten Sammlung seiner Briefe) gedruckt. Ebenso lyrische Versuche, die theils den Einfluß der halberstädtischen und göttingischen Dichter, theils den Herder’s verrathen und von tiefer und zarter Empfindung zeugen. Seine muthwilligen poetischen Episteln, im derbsten Ton der Lyrik des Sturms und Drangs abgefaßt und mit Swiftischer Satire gewürzt, sind zum größeren Theile noch jetzt unveröffentlicht. Ihnen verwandt war die „Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhart dem Jüngeren“ (Frankfurt a. M. 1773), eine burleske Prosodie in Knittelversen, welche den vollen Beifall der litterarischen Gesinnungsgenossen fand. 1775 folgte anonym „Pätus und Arria, eine Künstlerromanze“ (im [401] Bänkelsängertone), Nicolai und andere dumpfsinnige Bekrittler des „Werther“ derb verspottend. Schon 1772 hatte M. ferner, da ihm keine der bestehenden Zeitschriften genügte, bei seinen Freunden die Gründung der „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ angeregt und war ein eifriger Mitarbeiter an denselben geworden. Mit der Zahl seiner litterarischen Bekanntschaften erweiterte sich auch der Umkreis seiner litterarischen Thätigkeit. Seit 1772 lieferte er Recensionen zur „Allgemeinen deutschen Bibliothek“; seit 1776 bedachte er vornehmlich den „Deutschen Mercur“ mit seinen Beiträgen, an denen sich Redacteur und Leser in gleicher Weise erfreuten. Leben und Tod der Monatsschrift hing nach Wieland’s überschwänglichen Worten von ihnen ab. Desgleichen schrieb er für das „Deutsche Museum“, für Lichtenberg’s „Magazin“, für Köster’s „Allgemeine deutsche Encyclopädie“, für die „Hessischen Beiträge zur Gelehrsamkeit“, für die „Mémoires“ der Lausanner physikalischen Gesellschaft; auch zu Lavater’s „Physiognomischen Fragmenten“ steuerte er einiges bei. Seine Recensionen erstreckten sich auf die verschiedenartigsten Gebiete der Litteratur, Kunst und Wissenschaft. Sie zeugten alle von klarem, scharfem Verstand, von universeller Bildung und reicher Erfahrung, besonders von großen technischen Kenntnissen, weniger von philosophischer Tiefe oder von Ideenreichthum. Merck’s Kritik war meist gerecht, keineswegs zu streng. Im ganzen fehlte ihr aber das positiv-productive Element; vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, war sie negativer Art.

Eng verwandt mit Merck’s kritischen Arbeiten sind seine novellistischen Versuche. Das rein poetische Interesse derselben ist meist gering; überall waltet der auf das Praktische und Reale gerichtete Sinn des Verfassers und die lehrhafte Tendenz vor. So erschien zunächst im „Mercur“ 1778 die „Geschichte des Herrn Oheim“, in einfach-behaglichem Stil geschrieben, mehr Schilderung als Erzählung, in den novellistischen Bestandtheilen sogar fragmentarisch und unvollendet. Von Rousseau’schen Ideen ging M. aus, obgleich er im einzelnen manches Bedenken gegen die Lehre des Genfer Philosophen vorbrachte. Das Grundmotiv seiner Geschichte war die Rückkehr aus dem ungesunden und oft unsittlichen Getriebe unseres Culturlebens zur einfachen, stillen, wahren und unverfälschten Natur, die schon dreißig Jahre zuvor Ewald v. Kleist besungen hatte. Auch Hans Kaspar Hirzel’s philosophischer Bauer Kleinjogg mag ihm im Allgemeinen einige Anregung gegeben haben. Aehnliche Grundsätze, wie die, welche die „Geschichte des Herrn Oheim“ illustrirte, nur anders eingekleidet und mehr theoretisch ausgesprochen, verkündigte Merck’s Darstellung einer „Landhochzeit“ im Decemberheft des „Mercur“ von 1779, nach dem eigenen Bekenntniß des Autors gegen den „empfindsamen Platonismus“ gerichtet, der „aus Lesung schöner Schriften entspringt“. Im August 1781 ließ er ebenda seine „bürgerlich-deutsche“ Geschichte „Lindor“ folgen, das Product einer stark realistischen und zugleich pessimistischen Weltanschauung. Anscheinend verwob M. eigene Erlebnisse in die Geschichte. Im Stil der Darstellung machte sich der Einfluß englischer Erzählungskunst bemerkbar. Derselbe Jahrgang des „Mercur“ brachte den Anfang der „wahren“ Geschichte „Herr Oheim der Jüngere“ (im Februar 1782 abgeschlossen). Der realistische Verfasser hatte sie gewissermaßen als warnendes Gegenbild entworfen für allzu idealistische Bewunderer seiner ersten Novelle, die etwa gar Lust bezeigen würden, Oheims Theorien praktisch zu verwirklichen, ohne jedoch den praktisch-ruhigen, von der Erfahrung ausgehenden und auf das reale Handeln gerichteten Sinn desselben zu besitzen. Einen ganz anderen Ton schlug aber M. in dem „Akademischen Briefwechsel“ an, den er vom Mai bis zum August 1782 im „Mercur“ veröffentlichte. Erzählung und Handlung war zwar auch hier für ihn Nebensache, Charakteristik und schildernde Darstellung Hauptzweck. Skizzenhaft und fragmentarisch nimmt sich daher auch [402] diese novellistische Arbeit aus, obwohl es an einem äußerlichen Abschluß der Geschichte nicht fehlt. Das Hauptverdienst des Verfassers beruht in der Schärfe und dramatischen Lebendigkeit, mit welcher sich die nach ihrem Alter, Stand, Denken und Thun grundverschiedenen Personen selbst in ihren Briefen charakterisiren. Die idealistisch ungebundenen Anschauungen, Sitten und Studien einer selbständigen und kraftvollen, oft genialisch ausschweifenden, aber künstlerisch strebsamen Jugend sind in den schroffsten Gegensatz zu dem spießbürgerlich-ehrsamen, auf Verdienst und reale Vortheile bedachten, durchaus philiströsen Treiben eines reiferen Alters gebracht, die freie Denkweise der Stürmer und Dränger den moralisch und ästhetisch beschränkten Maximen der guten alten Zeit gegenübergestellt. Aber M. tritt diesmal auf die Seite der idealistisch schwärmenden Jugend, und nur bisweilen entlockt er uns ein vorübergehendes Mitgefühl mit dem unbeholfenen Geplauder einer engsinnigen, aber liebevoll besorgten Mutter, während das breite Gewäsche der übrigen alten Pedanten nur unsere Spottlust oder unseren Aerger weckt. Einflüsse der Sturm- und Drangzeit zeigen sich auch im Stil. Wertherische Stimmung waltet in mehreren der „Akademischen Briefe“. Eindrücke und Erfahrungen aus dem eigenen Studentenleben des Verfassers sind ohne Zweifel in dem Werkchen verarbeitet.

Zu diesen halbpoetischen Versuchen Merck’s kamen zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze im „Mercur“, die gleichfalls zu wiederholten Malen in eine halbwegs künstlerische, epische oder auch dialogische Form gekleidet waren. Sie waren zum Theil geschichtlicher Art („Einige historische Nachrichten von dem Ritterwesen der mittleren Zeiten“, 1777; „Geschichte der Transfelder Bürger“, 1781 etc.), vornehmlich aber theoretisch-kritischer Natur. So bestimmte M. 1776 als Kennzeichen des geraden Menschenverstandes Zufriedenheit mit sich und anderen, bescheidene Enthaltung von jeglicher Reformatorensucht, Schwätzerei und Lehrbegierde und Beschränkung auf eine einzige, aber energisch zu betreibende Thätigkeit – Eigenschaften, von denen die meisten ihm selber fehlten. 1778 erklärte er den „Mangel des epischen Geistes in unserm lieben Vaterland“ aus der mangelhaften Ausnützung des nationalen Elementes in unserer Litteratur, aus der Sucht unserer Poeten zu übertreiben, aus ihrer Scheu vor naturgemäßer Ausmalung des Einzelnen. In einem andern Aufsatze desselben Jahres nahm er im Anschluß an Wieland’s „Goldnen Spiegel“ die Großen dieser Erde gegen vorschnellen Tadel unvernünftiger Leidenschaft in Schutz. Ueber die Engherzigkeit der Deutschen, namentlich in litterarischer Hinsicht, über ihren unselbständigen Geschmack, ihre kleinliche Beurtheilung und Geringachtung der Dichtkunst und des Dichters sprach er sich 1779 in einem eindringlichen Schreiben an den Herausgeber des „Mercur“ aus. Im April 1780 folgte ein „Gespräch zwischen Autor und Leser“, zum Theil über ähnliche Schäden in unserem litterarischen Leben. Zum Theil aber auch ebnete M., indem er die Person des Autors von seinem Werke streng schied, schon hier den Boden für eine Ansicht, die er in einem Aufsatze des folgenden Jahres kräftig vertrat, daß nämlich der besondere Endzweck, zu welchem der Urheber ein Kunstwerk geschaffen habe, für den künstlerischen Werth und die ästhetische Kritik desselben objectiv gleichgültig sei. Nur zur Hälfte den litterarischen Interessen gewidmet war das „Schreiben eines Landedelmannes aus dem pays de Vaud“ nebst der Antwort darauf aus dem Herbst 1780. Das erstere berichtete über die Nachtheile, welche das falsche Verständniß der Rousseau’schen Lehren den sittlichen und gesellschaftlichen Zuständen eines einfachen Ländchens gebracht. Die Antwort darauf, nur äußerlich mit dem Schreiben des Landedelmanns verknüpft, verbreitete sich namentlich über die schädlichen Folgen der deutschen Kleinstaaterei im Zusammenhange mit der allgemeinen Neigung zu litterarischem Studium oder Genuß, der zu Folge unsere ganze Nation, den Pöbel abgerechnet, nur aus Autoren und Lesern bestehe. [403] Ebenfalls allgemeine moralisch-sociale Tendenzen verfolgte das Schreiben über eine Reise in Franken (1781), dessen Stil bisweilen directe Einflüsse Lessing’s bekundete. Im entschiedenen Gegensatze zu dem Ernst all dieser Aufsätze stand ein humoristisches Schreiben an den Herausgeber des „Mercur“ von 1781, im satirischen Ton und Stil Lichtenberg’s abgefaßt. M. stellte und begründete darin beißend witzig den Antrag, ein Stift für brodlose, invalide oder im praktischen Leben unbrauchbare Poeten zu errichten. –

Von besonderem Werth erschienen den Zeitgenossen Merck’s kunsthistorische und kunstphilosophische Beiträge zum „Mercur“. Sein Sinn für Werke der bildenden Kunst war lebhaft entwickelt; er selbst zeichnete und radirte eifrig. Auf verschiedenen Reisen in den Rheingegenden erweiterte er seine Kenntniß der bedeutenden Denkmäler aus früheren Zeiten. Mehrere junge Maler und Kupferstecher (darunter Wilhelm Tischbein, Karl Heß und andere) unterstützte er mit Rath und That. Er besaß eine ansehnliche Kunstsammlung. Für Karl August, Anna Amalia, Goethe und sonstige Freunde besorgte er den Ankauf von Kunstwerken. Seine erste Schrift auf diesem Gebiete, eine übersichtliche Geschichte der Malerei bis auf Rubens und van Dyk, wurde erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode veröffentlicht (in der Darmstädter Zeitschrift „Gutenberg“ 1843). Zu regerem Arbeiten für den Druck bewog ihn auch hier erst die Redactionsnoth seines Freundes Wieland. Ihm lieferte er Beschreibungen von Gallerien und Kunstsammlungen, berichtete über Gemäldeausstellungen, über wichtige Erzeugnisse der bildenden Kunst in jüngster Zeit, über das, was er auf seinen Reisen gesehen. Bald machte er Vorschläge, wie man eine Kupferstichsammlung vortheilhaft anlege; bald gab er Winke über den Unterschied gewisser betrüglicher Copien von den Originalen. Er verbreitete sich über die Kunst der malerischen Beleuchtung; energisch trat er als Vertheidiger der Bilder und namentlich der Holzschnitte Dürer’s auf. Im Februar 1776 suchte er durch ein fingirtes Gespräch zwischen Burke und Hogarth, in welches sich zuletzt Mengs als Schiedsrichter mischt, nachzuweisen, daß die Schönheit nicht sowohl durch bestimmte Verhältnisse als vielmehr durch geschwungene Linien bewirkt wird, daß diese Dogmen aber nur für den Künstler von Beruf nothwendig und werthvoll sind, während die Schönheit auch für jede empfängliche, wenn schon ungelehrte Phantasie vorhanden ist. Wiederholt fühlte M. sich veranlaßt, vor übereiltem Eifer in der Production wie in der Kunstkritik zu warnen. So 1777 in dem Aufsatz über die Landschaftsmalerei, bei welcher ihm der bloße Naturalismus ohne poetisches Gefühl, ohne den einzig durch das Forschen zu erzielenden Ausdruck der schönen Natur nicht genügte. In ähnlicher Weise bestritten die „Briefe über Maler und Malerei an eine Dame“ (1779), daß der Theoretiker, welcher in praktischer Hinsicht Laie geblieben ist, der Kenner im Gegensatze zum Künstler, gerade von den größten Werken der bildenden Kunst treffend urtheilen und die innerste Schönheit derselben erkennen könne. Ebenso verlangte M. in dem zwischen launiger Satire und wissenschaftlichem Ernst wechselnden Bericht „über die letzte Gemäldeausstellung in **“ (1781) von dem Kunstkritiker praktische Vorstudien im Zeichnen und Malen. Zugleich aber sprach er sich, den ästhetischen Anschauungen Peter Camper’s immer näher kommend, tolerant über die verschiedenen Schulen und Formen der Malerei aus. Noch in einem seiner letzten Aufsätze (1787) deckte er, um vorschnelle Urtheile zu verhüten, die Gründe auf, warum es so schwer ist, antiken weiblichen Statuen sogleich ihren wahren Charakter anzuweisen. –

Zu Peter Camper (1722–1789) und seinem Sohne Adrien Gilles fühlte sich M. nicht nur durch seine artistischen, sondern fast noch mehr durch seine paläontologischen Studien hingezogen. Schon seit Jahren hatte [404] er Briefe mit dem berühmten Gelehrten gewechselt, als seine Besuche in Holland (1784 und 1785) das Band ihrer Freundschaft noch fester knüpften. Seit seiner Reise nach St. Petersburg im Gefolge der Landgräfin Caroline (1773) beschäftigte sich M. ernstlich mit den Naturwissenschaften, zunächst mit der Zoologie, angeregt durch die Sammlungen des russischen Staatsraths und Leibarztes v. Cruse. Bald darnach gab er sich auch dem Studium der Mineralogie und der Botanik hin. Seit dem Beginn der achziger Jahre wandte er sich mit besonderer Vorliebe zur Osteologie vorweltlicher Thiere. Mehrere glückliche Funde von Fossilien, die er theils im „Mercur“, theils in drei öffentlichen, französisch abgefaßten Briefen an Cruse und an Georg Forster (1782–1786) sorgfältig beschrieb, lieferten ihm zahlreiches und werthvolles Material für den Beweis, daß in vorgeschichtlicher Zeit verschiedene, jetzt in unserem Klima fremde Thierarten in Deutschland heimisch waren. Allein im Allgemeinen sprach er diese Ansicht öffentlich nicht oder nur mit großer Vorsicht (so im „Mercur“ 1784) aus. Dagegen bereicherte M. im Einzelnen vielfach die paläontologischen Kenntnisse seiner Zeitgenossen und gelangte besonders in der Odontologie zu werthvollen Entdeckungen. Wie die Mitlebenden sein Verdienst ehrend anerkannten (auch durch seine Ernennung zum Mitglied gelehrter Gesellschaften), so hat die Nachwelt ihm den Ruhm zugestanden, daß er den Forschungen Cuvier’s kräftig und erfolgreich vorgearbeitet habe.

Die osteologischen Studien blieben Merck’s bester Trost, als er, um das Glück im Kreise der Familie betrogen, durch verfehlte industrielle Unternehmungen materiell schwer geschädigt, immer tiefer in unselige Hypochondrie versank. Außerordentliche Verluste brachten ihn 1788 in die Gefahr, nicht nur sein Vermögen, sondern auch seine Ehre einzubüßen. Durch Goethe veranlaßt, verbürgte sich Karl August für ihn; auch der hessische Erbprinz und andere traten helfend für ihn ein. Aber sein Muth war für immer gebrochen, seine Freude am Leben erloschen. Noch einmal schien er sich emporzuraffen, als er Ende 1790 im Auftrag seines Landgrafen nach Paris reiste und dort den begeisternden Eindruck der beginnenden Revolution empfing. Aber kaum war er zurückgekehrt, als die Furcht vor einem zweiten finanziellen Zusammenbruch und seine durch eine schmerzvolle Erkrankung der Leber neuerdings gesteigerte Hypochondrie ihn am 27. Juni 1791 zum Selbstmord trieb. Die herzliche Theilnahme der Edelsten unseres Volkes folgte dem Manne ins Grab nach, dessen Schriften nur den kleinsten Theil dessen darstellten, was er war, der als Freund und Protector von Schriftstellern und Künstlern sich unschätzbare Verdienste um unsere Litteratur und Kunst erwarb, der in seiner verständig-praktischen Art auf Goethe’s Leben, wie dieser selbst bekannte, den größten Einfluß ausübte und sogar durch die Mephistophelischen Züge seines Wesens meist heilsam auf den jüngeren Dichter einwirkte.

Goethe, Dichtung und Wahrheit, Bd. III und IV. Vgl. dazu G. v. Loeper’s Anmerkungen. – Karl Wagner’s Publicationen aus Merck’s Nachlaß: Briefe an Merck, nebst Merck’s biographischer Skizze, Darmstadt 1835; Briefe an und von Merck, Darmstadt 1838; Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe, Herder, Höpfner und Merck, Leipzig 1847. – Adolf Stahr, Merck’s ausgewählte Schriften zur schönen Litteratur und Kunst, Oldenburg 1840 (mit Biographie). – Ueber Georg Zimmermann’s umfangreiches Buch „Johann Heinrich Merck, seine Umgebung und Zeit“ (Frankfurt a. M. 1871) vgl. Michael Bernays „Im neuen Reich“ vom 23. November 1871. – Konrad Reichard, Ungedruckte Briefe Merck’s an Wieland „Im neuen Reich“ vom 17., 24. und 31. Mai 1877. – Mittheilung aus dem Album der Universität Gießen durch Herrn Professor Dr. W. Braune.