ADB:Hirzel, Hans Caspar (Politiker)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hirzel, Hans Kaspar“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 485–488, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirzel,_Hans_Caspar_(Politiker)&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 17:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Hirzel, Bernhard
Band 12 (1880), S. 485–488 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Hans Caspar Hirzel (Schriftsteller) in der Wikipedia
Hans Caspar Hirzel in Wikidata
GND-Nummer 119020890
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|12|485|488|Hirzel, Hans Kaspar|Gerold Meyer von Knonau|ADB:Hirzel, Hans Caspar (Politiker)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119020890}}    

Hirzel: Hans Kaspar H., Arzt, Politiker und Philanthrop, geb. am 21. März 1725, gest. am 19. Febr. 1803 in Zürich. – Die Hirzel sind ein zürcherisches Bürgergeschlecht, welches in der Mitte des 15. Jahrhunderts mit Nikolaus, Untervogt zu Pfäffikon, einem Bruder des Abtes Hermann zu Muri, zuerst nach Zürich kam und durch Wohlstand und Ansehen besonders im 17. Jahrhundert zum ersten Range emporstieg. Salomon, der Enkel eines 1551 von Luzern her nach Zürich zurückgekommenen Peter, errang 1637 zuerst die oberste Würde des Bürgermeisters, und von ihm, der für seine zahlreichen Nachkommen einen Familienfond stiftete, stammen fast alle späteren Glieder des Geschlechts ab. Der jüngste Sohn dieses Salomon, Hans Kaspar, erreichte wieder, 1669, diese höchste Stufe, und dessen Sohn Hans Ludwig 1710, sowie ein Urenkel Salomons von einem andern Sohne, Johann Heinrich 1723, wurden gleichfalls an die Spitze des Staates gestellt. Andere Glieder des Hauses stiegen zu ansehnlichen militärischen Würden auf, und zwar war das besonders bei Enkeln des Bürgermeisters Hans Kaspar (Neffen Hans Ludwigs), sowie bei deren Nachkommen der Fall: einer dieser Linie, Hans Kaspar (gest. 1708) in englischen und holländischen Diensten, war 1706 Kommandant von Brüssel; sein Bruder Salomon (gest. 1755) zeichnete von 1694 an im holländischen Dienste als höchst tapferer Officier sich aus und wurde General (er kaufte 1734 die Freiherrschaft Wülflingen, wo nun seine auch in Holland dienenden Söhne jenes üppige Leben entfalteten, welches David Heß in Salomon Landolt’s Biographie in der Höhe und dem Sturze anschaulich schilderte); vom 1708 verstorbenen Hans Kaspar stammte eine nach dessen Gattin von der französischen Herrschaft St. Gratien genannte Reihe höherer französischer Offiziere ab; u. a. m. Aber auch in der Schweiz kamen verschiedene H. in höherer militärischer Stellung zur Geltung: so die durch einen andern Bruder Hans Ludwigs in fünfter Generation vom Bürgermeister Hans Kaspar abstammenden Brüder Heinrich (1783–1860), thurgauischer Regierungsrath und eidgenössischer Oberstkriegscommissär, und Salomon (s. d. Art.). Seit dem 18. Jahrhundert aber treten auch mehrere Glieder des Geschlechtes in sehr tüchtiger Weise auf dem Gebiete der speciell geistigen Interessen hervor, und der erste der hier zu erwähnenden Männer ist der oben stehende Hans Kaspar H. – Derselbe gehört nicht der älteren Hauptlinie an, sondern er stammt von dem 1613 verstorbenen Peter, dem Vatersbruder des Bürgermeisters Salomon, in fünfter Generation ab. Großvater und Vater, beide gleichfalls Hans Kaspar des Namens und im gleichen Jahre 1752 gestorben, hatten als Statthalter, d. h. als präsumptive Vertreter des Bürgermeisters, hohe Rathsstellen bekleidend, eine höchst geachtete Stellung eingenommen. Der Vater hatte in des Sohnes Knabenjahren die Stelle eines Amtmanns zu Kappel innegehabt, wodurch H. nebst seinem jüngeren Bruder Salomon (s. d. Art.) schon frühe mit den Anregungen und Erfahrungen des Landlebens bekannt gemacht worden war. Aber auch für die geistige Entwickelung der beiden Brüder war, als der als Forscher und Sammler auf kirchengeschichtlichem Gebiete später bekannt gewordene Joh. Jakob Simler als Lehrer gewonnen war, gut gesorgt. Der geweckte Bildungseifer fand nach der 1740 eingetretenen Rückkehr des Vaters in Zürich weiteren Ausbau. Nun sollte H. nach dem väterlichen Wunsche Theologie studiren; allein er wandte sich dem Studium der Medicin zu, allerdings so, daß er in seiner regen, Idealen nachstrebenden, durch geistige Freundschaftsbande nach Förderungen ringenden Art für Litteratur, für philosophische und historische Beschäftigungen das regste Interesse in größter Vielseitigkeit bewies. Mit feurigem Eifer gab er sich den Einwirkungen Bodmer’s und des um denselben sich sammelnden Kreises hin. 1745 ging der Jüngling zu seinem Fachstudium nach Leyden, wo er promovirte, und nach Berlin und verlebte ein Jahr in Potsdam als Gehülfe eines tüchtigen Arztes. Aber daneben war er Träger Bodmer’scher Verbindungen nach Norddeutschland, mit Kleist besonders, [486] dann mit Gleim, Ramler, mit dem Landsmann Sulzer in Verkehr. 1747 kehrte er, voll Begierde, seine Kenntnisse thatsächlich zum Besten seiner Mitbürger zu verwerthen, zurück; insbesondere schloß er sich auch sogleich der im vorigen Jahre gestifteten physikalischen Gesellschaft (vgl. Bd. IX, S. 104) als ein stets eifrig thätiges Mitglied an. Als Arzt schuf er sich bald einen Namen, besonders für Behandlung von Geisteskranken; aber auch in verschiedenen medicinischen Beamtungen arbeitete er für den Hebammenunterricht, für Verbesserung der medicinischen Polizei, machte sich auch durch Vorlesungen für Studirende nützlich. 1761 wurde er erster Stadtphysikus und oberster Spitalarzt (Archiater). Ebenso war er 1763 als Mitglied des großen, 1778 als solches des kleinen und darauf auch des geheimen Rathes erwählt worden. Allein seine Hauptbedeutung liegt auf dem Boden der philanthropischen und mannigfach damit sich verbindenden regen litterarischen Thätigkeit. – Höchst empfänglich, von den edelsten idealsten Plänen stets erfüllt, liebenswürdig im Umgang, hingebend und rastlos thätig, dabei allerdings infolge eines mit den Jahren sich steigernden Uebels äußerst, oft in erschreckendem Maße reizbar, war H. – „H., der Menschenfreund“, wie er immer allgemeiner hieß – so recht geschaffen, als Mittelpunkt für eine Reihe von Anregungen, gewissermaßen als der zürcherische Iselin (s. d. Art.), in dieser gefühlsseligen und dabei höchst arbeitsamen eigenthümlichen Uebergangszeit sich zu geben. Aber dabei war H. zu selbständig, um in allgemeinem schöngeistigem Treiben sich zu verflachen, und andererseits stand er auch zu originell da, um nicht Bodmer gegenüber bei aller hohen Achtung seine eigenen Wege zu gehen. Mörikofer faßt sehr gut Hirzel’s Wesen in den Worten zusammen: „Als Arzt und Bürger wollte H. das rein Menschliche suchen, sich dessen freuen und es befördern. – So suchte er infolge der in der Jugend zu Kappel entstandenen Neigung für das Landleben die physikalische Gesellschaft zur Unterstützung der Hebung des Landbaues, durch Belohnungen für gelungene Versuche, durch Ausschreibung von Preisfragen und Veranstaltung von Unterredungen und Vorträgen, zu benützen, und auf solche Weise lernte er den Zürcher Landmann Jacob Gujer von Wermatswil bei Uster kennen, den er dann als den „philosophischen Bauern“ oder, wie die französischen Uebersetzungen des europäisch gewordenen Buches („Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers“ 1761 zuerst in den Abhandlungen eben der naturforschenden Gesellschaft, dann besonders 1774 erweitert und mit Nachträgen) ihn nennen, als le Socrate rustique schilderte. H. hatte in dem klugen, schlichten Manne, der nur aus sich selbst zur Vervollkommnung seines Hauses und seiner Landwirthschaft gelangt war und, auf einen verwahrlosten Staatspachthof versetzt, denselben nun zu einer Musterwirthschaft erhob, der dabei auch höchst geschickt und ohne Schaden seiner selbst in die durch H. ihm geschaffene Stelle der viel besuchten und bewunderten Celebrität sich hineinlebte, jenes rein Menschliche gefunden, für einen großen Theil seiner Leser geradezu die Entdeckung gemacht, daß „der einfältige Bauer Kleinjogg“ ebenso weise und erleuchtet, ja in noch höherem Grade, sein könne, als die Gebildeten in den Städten. Stak auch ohne Zweifel ein gut Theil idealisirender Ueberschwenglichkeit in diesen Schriften, so war doch Kleinjogg der Aufmerksamkeit wirklich werth und hat diese Beachtung des Pächters vom Katzenrütihof zur Würdigung des Bauernstandes und Hebung der Agricultur viel beigetragen. Noch 1792 erschienen von H. „Auserlesene Schriften zur Beförderung der Landwirthschaft und der häuslichen und bürgerlichen Wohlfahrt“, wo Hirzel’s philosophische Ansichten über verschiedene wichtige Fragen hervortraten, so in einem Briefe über „Aufklärung und Volkserleuchtung“ dieser Zeit, der höchst freimüthig unabhängige Ansichten in beachtenswerthester Bestimmtheit entwickelt. – Natürlich war H. ferner ein eifriges Mitglied der 1761 geradezu unter seiner Mitwirkung gestifteten helvetischen Gesellschaft (s. d. Art. Iselin). Diese [487] erste allgemeine über die kantonalen Grenzen hinübergreifende Vereinigung schweizerischer Vaterlandsfreunde, mit patriotisch gemeinnützigen und wissenschaftlichen Zwecken, constituirte sich erst eigentlich 1762 nach den von H. entworfenen Statuten, und er war der erste thatsächliche Vorsteher. Stets blieb er in reger Verbindung mit den Arbeitsplänen der Gesellschaft, nahm an deren Jahressitzungen und dem frisch belebenden Meinungsaustausch in Schinznach Antheil und gewann davon auch zu litterarischen Arbeiten Anregung. Dahin zählte gleich schon seine zündende 1763 gehaltene Rede über die Absicht und den Ursprung der Gesellschaft (publicirt in den Verhandlungen der Gesellschaft von 1763). Ferner gab er da 1764 im Auftrage der Gesellschaft zum Danke für den patriotischen Abschied ein „Denkmal des Dr. Laurenz Zellweger“ (s. d. Art.), jenes Freundes und Correspondenten Bodmer’s, in welchem die treibenden Gedanken der Schinznacher Versammlungen schon längst lebendig gewesen waren. Andere biographische Schriften hatten ähnlichen Aufforderungen, auch aus der naturforschenden Gesellschaft zu Zürich, ihren Ursprung zu verdanken, so „Das Bild eines wahren Patrioten“ (des edeln und vielseitigen zürcherischen Staatsmannes Hans Blaarer von Wartensee, gest. 1757), 1767 als „moralisches Gemälde“ den Schinznachern dargebracht, eine treffliche Charakteristik Zürichs und des öffentlichen Geistes daselbst, so die Denkreden auf den Bürgermeister Heidegger (s. d. Art.) und seinen eigenen Lehrer Johannes Geßner (s. d. Art.), 1778 und 1790. Auf Bodmer’s Ermunterung ging 1778 eine vortreffliche Biographie Sulzer’s aus Hirzel’s Feder hervor: „Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen“. Einen aus einfachen Verhältnissen hervorgegangenen, dem schweizerischen Hochgebirge, Urseren, entsprungenen Porträtmaler schilderte H. 1793: „Ueber Diogg den Maler, einen Zögling der Natur“. Für die von Heidegger angebahnte Reform der zürcherischen Schulen schrieb er 1776 eine Art von politischem Katechismus: „Katechetische Anleitung zu den gesellschaftlichen Pflichten“. Erst aus seinen letzten Jahren, 1800, stammt eine frische eigenthümliche, auf tiefsten inneren Erfahrungen beruhende Schrift: „Hirzel, der Greis, an seinen Freund Heinrich Meister über wahre Religiosität“. So eifrig H. an litterarischen Dingen Antheil nahm, so feurig er, um nur auf Eines hinzuweisen, 1750 Klopstock empfangen und dabei jene klassische, durch ihn selbst in einem Briefe an Kleist in glühenden Farben und aus höchstem Entzücken heraus geschilderte Fahrt auf dem Zürichsee veranstaltet hatte, so vielseitig er schriftstellerisch auftrat, seine eigentliche Kraft lag doch viel mehr auf dem Boden der praktischen Bethätigung. Gerade H. wies vielfach, besonders in allgemeinen einleitenden Abschnitten, nach Mörikofer’s Urtheil jene pathetische und sentimentale Rhetorik, jenes Gemachte und Geschraubte der Darstellung ohne wahre Natürlichkeit und Empfindung des Herzens auf, welches den schweizerischen Schriftstellern jener Zeit zum Vorwurfe gemacht wird. Aber alle seine Arbeiten waren in erster Linie Gelegenheitsschriften, und so war es ihm möglich, besonders in späterer Zeit gesteigerter Erfahrung, gereifte lebensphilosophische Ausführungen niederzulegen. – H. erlebte noch die helvetische Revolution, die auch ihn, den Patrioten der helvetischen Gesellschaft, aus den Staatsgeschäften entfernte, auch zuerst seine hypochondrischen Anlagen stark förderte. Aber seine Kraft kehrte zurück: jene Schrift von 1800 ist ein Zeugniß davon. – Das öffentliche Vertrauen ließ ihn insbesondere im Vorsitz des Sanitätscollegiums und er übernahm sogar nochmals die 1791 mit der medicinischen Praxis an den Sohn abgegebene Leitung des Spitals. Ueberhaupt war in Hirzel’s Leben der Austausch mit den ähnlich reich angelegten Naturen des wenig jüngeren Bruders Salomon (s. d. Art.) und des eigenen, im Berufe dem Vater folgenden gleichnamigen Sohnes (s. d. Art.) von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen.

[488] Vgl. des Bruders Schrift von 1804: Angedenken meines Bruders u. s. f., ferner H. Escher’s Artikel in der Allgem. Encyklopädie, II. Sect. 9. Theil, S. 39–41, Mörikofer, Die schweizerische Litteratur des 18. Jahrhunderts, S. 267–279, Morel, Die helvetische Gesellschaft, S. 201 ff.