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ADB:Klopstock, Friedrich Gottlieb

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Artikel „Klopstock, Friedrich Gottlieb“ von Carl Christian Redlich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 211–226, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Klopstock,_Friedrich_Gottlieb&oldid=- (Version vom 12. Dezember 2024, 05:45 Uhr UTC)
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Klopstock: Friedrich Gottlieb K., wurde am 2. Juli 1724 zu Quedlinburg geboren, wo die Familie K. seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ansässig war. Des Dichters Urgroßvater, Daniel K. (1632–1684), der früh verwaiste Sohn des Pastors Christoph K. zu Artlenburg im Herzogthum Lauenburg, war Schösser des Stiftes Quedlinburg und Schwiegersohn des Rathskämmerers Breiter geworden. Dessen Sohn Karl Otto K. (1667–1722) hatte die Rechte studirt und als Advokat in seiner Vaterstadt gelebt; verheirathet war er mit der Tochter eines langjährigen Stiftsbedienten, des Hofrath Windreuter, gewesen. Ihr erstes und bald einziges Kind, Gottlieb Heinrich K. (1698–1756) widmete sich demselben Studium wie sein Vater, ward auch Advokat und zugleich fürstlich schleswig-holsteinischer Lehenssecretarius; den Titel eines fürstlich mansfeldischen Commissionsrathes scheint er erst später als Pächter des Amtes Friedeburg an der Saale erhalten zu haben. Am 9. Septbr. 1723 heirathete er Anna Maria Schmidt aus Langensalza, das siebente Kind des verstorbenen Kaufmanns und Rathskämmerers Johann Christoph Schmidt. Ihre Ehe wurde mit 8 Söhnen und 9 Töchtern gesegnet; der Dichter war ihr erstgeborenes Kind. Von den übrigen 16 Kindern sind 2 Söhne und 4 Töchter in erster Kindheit gestorben; über 2 Töchter fehlen weitere Nachrichten; die Schicksale der anderen 5 Söhne und 3 Töchter lassen sich verfolgen: der älteste und die beiden jüngsten von ihnen August (1725–17?), Christian (1743–18?) und Victor (1744–1811) widmeten sich dem Kaufmannsstande; Victor ward später badischer Kommerzienrath und langjähriger Herausgeber der Hamburgischen Neuen Zeitung und der Adreßcomtoirnachrichten; Karl (1737–1803), der Theologie studirt hatte und kurze Zeit Pastor gewesen ist, wurde dann dänischer Legationssecretär, und Ernst (1739–17?) wurde Buchhändler. Ihre Schwester Johanna (1730–17?) heirathete den Schweizer Kaufmann Hartmann Rahn, dessen älteste Tochter später die Gattin des Philosophen Fichte ward, von den Zwillingen Henriette Ernestine (1734–1799) und Juliane Friederike (1734–1762) ist die erste mit einem Lerche vermählt, die andere unverheirathet gestorben.

Länger als andere Knaben genoß K. die glückliche Freiheit der Kinderjahre. Sein „leuenherziger“ Vater, von dessen ritterlichem Muthe mehr als eine Erzählung der Familie zeugt, förderte neben der von dem frommen Sinn der ganzen Hausgenossenschaft getragenen religiösen Erziehung zunächst die körperliche [212] Ausbildung seiner von Natur zarten, der Abhärtung bedürftigen Kinder. Die Vorliebe, welche K. sein Leben lang für das Schwimmen, Reiten und Schlittschuhlaufen bewiesen hat, knüpft an die fröhlichen, ungebundenen Knabenspiele an, welche bis zu seinem 13. Lebensjahre nur von wenigen Unterrichtsstunden eines Hauslehrers unterbrochen wurden. Die Erzählungen der Großmutter aus der heiligen Geschichte, die in der Vaterstadt lebendigen Erinnerungen an Heinrich I. und vor allem „der Erfindung Pracht, von Mutter Natur auf die Fluren verstreut“, boten dem empfänglichen Gemüth des Kindes reiche und fruchtbare Anregungen. Bezeichnend für die geistige Atmosphäre seines Vaterhauses sind die Berichte über zwei seiner jüngeren Brüder, von denen der eine als fünfjähriger Knabe bei einem heftigen Gewitter ins Freie gegangen ist, um barhaupt den großen Gott zu verehren, der andere den Wipfel eines Kirschbaums erklettert hat, um den 139. Psalm zu lernen. Am fröhlichsten gestaltete sich das Leben der Kinder, während der Vater als Pächter des Amtes Friedeburg wirthschaftete. Die Angaben über die Dauer dieses Landaufenthaltes widersprechen einander; wahrscheinlich zog die Familie im Frühjahr 1733 hinüber und kehrte im Herbst 1736 ohne den Vater nach Quedlinburg zurück. Das Unternehmen war fehlgeschlagen und endete mit einem kostspieligen Proceß, durch welchen der Wohlstand des Hauses schwand. Die Sorgen eines beschränkten Lebens traten an den Knaben gleichzeitig mit der Einführung in das Quedlinburger Gymnasium heran. Mit Schulkenntnissen nur mangelhaft ausgerüstet und die Entbehrung der Friedeburger Ungebundenheit schwer tragend, blieb K. ein wenig eifriger Schüler, bis ihn die durch Fürsprache eines seiner mütterlichen Verwandten eröffnete Aussicht auf eine Freistelle in der Schulpforta zu gewaltigen Anstrengungen spornte. Der Sommer 1739 verging unter den vorbereitenden Studien der alten Sprachen, im November begleitete ihn der Vater zu der Aufnahmeprüfung, die er am 6. November vor dem Rector Freitag glücklich bestand. Bis Michaelis 1745 ist er Portenser gewesen, also ungefähr um dieselbe Zeit, in der Lessing die Fürstenschule zu Meißen besuchte.

K. hat der berühmten Schule und insonderheit dem Konrector Stübel, unter dessen sanfter Leitung der Jüngling, welchen „des Genius Blick, als er geboren ward, mit einweihendem Lächeln sah“ zum „Lehrling der Griechen“ ward, bis in sein Greisenalter ein dankbares Andenken bewahrt. Noch im März 1800 schenkte er der Schulbibliothek die letzte Ausgabe seines Messias, dessen Plan er auf der Schule bereits fast vollendet hatte, und bestellte ein in seinem Namen zu bringendes Frühlingsopfer von jungen Zweigen oder Blüthenknospen für Stübel’s Grab. Neben der gründlichen Einführung in die Dichterwerke des klassischen Alterthums gewährte die Schule reichliche Gelegenheit zur praktischen Uebung in den poetischen Formen der Alten. Schäfergedichte und Oden in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache lieferte K., glücklich wetteifernd mit anderen dichterisch begabten Alumnen. In den gleichzeitigen lakonischen Berichten seines Mitschülers Janozki über diese ersten Versuche erscheint er schon als ein ungewöhnlicher Mensch. Auf seinem Arbeitstische liegen Bodmer’s Uebersetzung von Milton’s verlorenem Paradiese und Breitinger’s kritische Dichtkunst neben dem Homer und Virgil, und die Beschäftigung mit Milton „läßt das Feuer, das Homer in ihm entzündet hatte, zur Flamme auflodern und hebt seine Seele, um die Himmel und die Religion zu singen“. In strenger Selbstprüfung erkennt er seinen dichterischen Beruf, durch eine große That der Erneuerer der deutschen Dichtung zu werden. Das von Bodmer in seinem kritischen Lobgedichte entworfene Bild des epischen Dichters staunt er weinend an, wie Cäsar das Bildniß Alexanders und rüstet sich, die höhnische Herausforderung Mauvillon’s anzunehmen, einen esprit créateur auf dem deutschen Parnaß zu zeigen und den Jesuiten Bouhours mit seiner [213] Narrenfrage, ob ein Deutscher ein schöner Geist sein könne, zu beschämen. Der Plan, Heinrich den Vogler episch zu verherrlichen macht schnell dem größeren Platz, der sündigen Menschen Erlösung zu singen. König Heinrich muß sich damit begnügen, aus einem ursprünglich zu Friedrichs Lobe gesungenen Kriegsliede den Namen des franzosenfreundlichen und irreligiösen Preußenkönigs zu verdrängen; für das Epos, mit dem der deutsche Dichter gegen die anderen Nationen in die Schranken treten will, ist nur der allererhabenste Stoff gut genug. In seiner Abschiedsrede von der Schule schildert er am 21. Septbr. 1745 alle großen Epiker und kündigt sich selber für seine Hörer verständlich genug als den künftigen Dichter an, wie ihn das Vaterland bedürfe.

Um Theologie zu studiren, ging K. im Herbst 1745 zunächst nach Jena, wandte sich aber schon Ostern 1746 aus Abneigung gegen das wüste Treiben der Commilitonen und aus Sehnsucht nach seinem Vetter und Schulfreund Johann Christoph Schmidt nach Leipzig. Von theologischen Studien war weder dort noch hier viel die Rede. Zu detaillirt lag der Plan des großen Epos schon vor, als daß die ursprüngliche Absicht des Dichters, nicht vor dem dreißigsten Lebensjahre an die Ausführung zu gehen, hätte festgehalten werden können. Schon in Jena übermannte ihn der schöpferische Drang, ehe er noch über die metrische Form ins klare gekommen war; weil er Alexandriner, achtfüßige Trochäen und fünffüßige Jamben verschmähte, ohne zum epischen Hexameter Muth zu haben, schrieb er den größeren Theil der drei ersten Gesänge des Messias in Prosa nieder. Aber der homerische Vers ließ ihn nicht los. Kaum fühlte er sich in Leipzig glücklich in der Wiedervereinigung mit Schmidt und im Verkehr mit wenigen anderen erlesenen Freunden, dem Hamburger Mediciner Olde, dem nachmaligen Bürgermeister von Artern Kühnert und dem sanften, geselligen Rothe, später Archivar in Dresden, so wagte er einen praktischen Versuch mit dem Hexameter, dessen schnelles Gelingen sofort zu dem Entschlusse führte, alles bereits Ausgearbeitete in die antike Form zu kleiden. Da K. damals nicht daran dachte, sein Gedicht stückweise in die Oeffentlichkeit zu bringen, hielt er diese Arbeit sorgfältig geheim; nur Schmidt wußte um das täglich wachsende Manuscript, weil er mit seinem Vetter ein Zimmer im Radike’schen Hause theilte. Ein Zufall verrieth das Geheimniß. Während der Messe mußten K. und Schmidt ihre Wohnung mit einem Hinterzimmer vertauschen, in welchem sie Wandnachbarn von Joh. Andreas Cramer wurden. Cramer hatte seine theologischen Studien bereits beendet, hielt als Magister Vorlesungen und war mit der älteren Radike verlobt, die 1747 als Braut starb. Neugierig gemacht durch seiner Nachbarn Gespräche über das werdende Epos, ließ er sich bei ihnen melden. K. empfing den fleißigen Mitarbeiter der seit 1744 erscheinenden sog. Bremer Beiträge freundlich; Schmidt, der von der Poesie der Beiträge nicht sonderlich erbaut war, suchte sich an ihm zu reiben mit der Behauptung, nur die Engländer hätten Genie, und riß endlich, um zu beweisen, daß der scheinbar gelinde urtheilende K. der schärfste Kritiker sei, das sorglich gehütete Messiasmanuscript aus seinem Versteck hervor. Nachdem Cramer den fertigen ersten Gesang hatte vorlesen hören, ruhte er natürlich nicht, bis er seinen poetischen Freunden das neue Kunstwerk mittheilen durfte, die ihrerseits sich beeilten, K. zum Eintritt in ihren Verein und zur Betheiligung an ihrer Zeitschrift einzuladen. Bereitwillig folgte K. ihrem Rufe, und bald verband ihn herzliche Freundschaft mit den Beiträgern, die innigste mit Cramer, Ebert und Giseke. Zögernder entschloß er sich zur Herausgabe eines Fragmentes seines Epos. Erst nachdem Proben in der Handschrift nach Hamburg an Hagedorn, nach Zürich an Bodmer geschickt waren, und jener nicht unfreundlich, dieser begeistert zustimmend geantwortet hatte, schwanden die Bedenken des Dichters und seiner neuen Freunde: das im Anfang [214] des Jahres 1748 zusammen ausgegebene vierte und fünfte Stück des vierten und letzten Bandes der Beiträge wurde fast ganz mit den drei ersten Gesängen des Messias gefüllt.

Um dieselbe Zeit als sich dieser Freundschaftsbund schloß, der wahrscheinlich ein näheres Bekanntwerden Klopstock’s mit dem eben in Leipzig eingetroffenen Lessing verhindert hat, erhielt der Vetter Schmidt einen Besuch von seiner jüngeren Schwester Maria Sophia (1731–1799). Lebhaft und heiter, für Poesie empfänglich und dabei von imponirender Schönheit fesselte sie sogleich das leicht entzündliche Herz des jugendlichen Dichters. Unbefangen nahm sie die bescheidenen Huldigungen des armen Verwandten an, den ihre wohlhabende Mutter während seiner Studienzeit unterstützte, weil es ihr gar nicht in den Sinn kam, sie ernst zu nehmen. In K. aber nährte der Freundschaftsenthusiasmus und die erste Jugendliebe ein neues dichterisches Feuer, das sich in lyrischen Gesängen Luft machte. Ebenso glücklich wie den epischen Hexameter eroberte er Horazens Odenmaße für die deutsche Sprache, feierte „in mächtigen Dithyramben“ neben den Freunden die künftige Geliebte und besang diese allein in der ersten deutschen Elegie. Um dem Gegenstand seiner Neigung nahe zu sein, nahm er im Frühling 1748 in ihrem Wohnort Langensalza bei einem gemeinsamen Verwandten, dem Kaufmann Weiß, eine Hauslehrerstelle an und sandte seinem Giseke für die Sammlung vermischter Schriften von den Verfassern der Bremischen neuen Beiträge statt neuer Gesänge des Messias schmelzende Liebesoden, in denen die Geliebte bald als Daphne, bald als Fanny verherrlicht wurde. Aber auch in das heilige Epos drängte sich der Nachhall der Liebe zu der unerweichlichen Base Marie. Des Jairus auferwecktes Töchterlein Cidli und der in hoffnungsloser Liebe für sie erglühende Lazarus, an dessen Stelle in der späteren Bearbeitung des vierten Messiasgesanges Semida, der Sohn der Wittwe von Nain, trat, sind Spiegelbilder der verlorenen Liebesmüh in Langensalza.

Auf das Publikum wirkten Epos wie Lyrik Klopstock’s zunächst verblüffend. Eins wie das andere war von allem, was bisher als deutsche Dichtung gegolten hatte, so völlig verschieden, daß Freund und Feind der Sammlung bedurfte, ehe er sich öffentlich darüber äußerte. Die einseitige Verwerfung des Reims, die ausschließliche Benutzung antiker Maße, die man nicht einmal zu lesen wußte, die von solch’ ungewohnten Rhythmen getragene bald majestätische, bald rührende, bald in Seufzern und Thränen dahinschmelzende Sprache, die unerhört kühne Wahl des Schauplatzes für das Epos in Himmel, Welt und Hölle, die ebenso unerhört kühne Freiheit und Naturwahrheit, mit der in den Oden des Dichters innerstes Herzensgefühl sich aussprach, begegneten anfangs dem Schweigen der Verwunderung, bis sich nach länger als Jahresfrist der Strom der widerstreitenden kritischen Stimmen ergoß und die täglich sich mehrende Klopstocklitteratur den Dichter mit dem kurz vorher noch für unaussprechlich geltenden Namen zum meistgenannten Mann im deutschen Reiche machte. Die guten Spießbürger von Langensalza konnten sich zuerst gar nicht darein finden, daß sie die Ehre haben sollten, eine solche Berühmtheit bei sich zu beherbergen, und hielten die enthusiastischen Lobpreisungen des Hallenser Professors G. F. Meier und des Altstettener Pfarrers Heß für eitel Ironie. Bodmer hatte diese Beurtheilungen angeregt; er stimmte selbst in seinen Zeitschriften und kritischen Briefen in denselben Ton ein, er veranlaßte die erste französische Uebersetzung des Messias, die auf seine Veranlassung sogar Voltaire mitgetheilt werden mußte, und eröffnete damit einen neuen Feldzug des lange schon wüthenden Kampfes der Schweizer und der Leipziger. Denn Gottsched und die Seinen blieben die Antwort nicht schuldig. In kritischen Zeitungsartikeln suchten sie den unbequemen Neuerer zu vernichten, in langweiligen Parodieen und theils witzigen, theils [215] faden Spottschriften verhöhnten sie ihn, in breitspurigen Untersuchungen prüften sie die Rechtgläubigkeit des christlichen Epos. Diese ganze Litteratur ist sorgsamst von Cropp im Hamburger Schriftstellerlexikon, Artikel Klopstock verzeichnet. Aber auch abgesehen von diesem mißtönigen Chor der litterarischen Kritiker, aus dem eigentlich nur eine einzige Stimme rein und klar herausklang, die des jugendlichen Lessing, wurden Klopstock’s Dichtung und Klopstock’s Liebe zu Tagesfragen für weite Kreise des Volkes. Ob der reuige Teufel Abbadona schließlich Gnade finden, ob die harte Fanny das Liebeswerben ihres Vetters erhören würde, erregte die zu wirklichem Fühlen erweckten Gemüther wie selbsterfahrenes Leid und Glück. Am willigsten stellte sich die aufstrebende Generation, weder durch seine Einseitigkeit noch durch seine Ueberschwänglichkeit in ihrer Bewunderung gehemmt, in den Bann des Genius, und wenn Lessing, der immer eine Bank für sich allein gebraucht hat, an den Anfang des Messias sein kritisches Messer setzte und es für verwegen erklärte, den lieben Gott so ernsthaft um eine Frau zu bitten, wie es in der Ode an Gott geschehe, so war ausgesprochenermaßen seine Kritik nur gegen den großen Dichter unerbittlich.

Bodmer begnügte sich nicht damit, der Herold von Klopstock’s Ruhm zu sein. Seit geraumer Zeit der Vertraute seiner unglücklichen Liebe und aller möglichen Pläne, sein Glück zu machen, ließ er sich keine Mühe verdrießen, helfend einzugreifen. Er spendete seinen Rath, um den erforderlich werdenden Neudruck der ersten Messiasgesänge für den Dichter so einträglich als möglich zu machen; er forderte seinen im Halberstädtischen Domcapitel zu glücklicher Unabhängigkeit gelangten Freund Gleim auf, den heiligen Sänger vor den „mit der Munterkeit und Freiheit der Musen beinahe inkompatibeln Schul- und Kanzelarbeiten“ zu bewahren; er vermittelte die Ueberreichung eines Messiasexemplars an den Prinzen von Wales durch Haller und eine Empfehlung an den Prinzen von Oranien, ja, er redete sogar in einem predigtartigen Schreiben der spröden Base Marie ins Gewissen, daß es ihr himmlischer Beruf sei, durch Erhörung des liebeflehenden Vetters seine heilige Arbeit zu fördern und so „an dem Werke der Erlösung selbst Antheil zu bekommen“. Als keines seiner Projekte anschlug, lud er selbst den jungen Freund ein, in seinem Hause ungestört den Messias zu vollenden und schickte 300 Thaler Reisegeld. K. versprach gern, im Frühling 1750 zu kommen, denn seine Fanny entschloß sich nicht zu einer klaren Entscheidung und die Familie Weiß bedurfte seiner Hauslehrerdienste nicht mehr. Im Mai verließ er in der That Langensalza, besuchte erst seine Familie in Quedlinburg, verlebte gemeinschaftlich mit Schmidt dort, in Halberstadt und in Magdeburg glückliche Tage mit Gleim, dem Oberhofprediger Sack aus Berlin und dem Buchhändler Bachmann, zauderte dann ein paar Wochen, die weite Reise anzutreten, weil einerseits der Abt Jerusalem ihm Aussichten auf eine Hofmeisterstelle am Karolinum in Braunschweig, dem Sammelplatz der ehemaligen Bremer Beiträger, eröffnete, andererseits ein Vetter Leisching ihm vertraulich über die Absichten des Freiherrn Johann Hartwig Ernst von Bernstorff berichtete, den Dichter des Messias mit einer dänischen Pension nach Kopenhagen zu ziehen. Endlich ließ er die Braunschweiger Chancen fahren, behielt die Kopenhagener im Auge und reiste am 13. Juli 1750 mit zwei gelehrten und liebenswürdigen Schweizern, dem Professor Sulzer vom Joachimsthalischen Gymnasium in Berlin, der seine Heimath besuchen wollte, und dem Theologen Schultheß, der von einer längeren Reise durch Deutschland heimkehrte, nach Zürich ab. Am Abend des 23. Juli schloß Bodmer den sehnlich erwarteten, in stürmischer Ode herbeigesungenen Freund in seine Arme.

Es war eigentlich kein Wunder, daß sich das bisher so herzliche Verhältniß zwischen dem 26jährigen K. und dem doppelt so alten Bodmer bald [216] trübte. Das steife, rücksichtfordernde Wesen des Zürcher Rathsherrn und seiner älteren Freunde, die Stille und Freudlosigkeit seines Hauses, wo der einzige Sohn gestorben, die Hausfrau erblindet war, paßten schlecht zu der Lebenslust eines Jünglings, der zum ersten Mal in seinem Leben drückende Fesseln abgestreift hatte und von Natur weder der strenge Ascet, noch der verklärte Seraph war, als der er den Lesern seiner Gedichte erscheinen mochte. Bodmer hatte schon das große Dintenfaß gefüllt, aus welchem fern vom Geräusch der Welt, in stiller ländlicher Abgeschiedenheit der Messias fertig gemacht und zugleich im fördernden Gespräch und im Wettstreit mit dem poetischen Genossen sein eigener Noah vollendet werden sollte. Von dem allen geschah nichts: der Messias rückte nur um ein halbes hundert Verse fort, Vorlesungen aus dem Noah wurden mit beredtem Schweigen angehört, und seit eine jugendliche Schaar beiderlei Geschlechts unter Führung des Kaufmanns Hartmann Rahn und des Arztes Johann Kaspar Hirzel dem gefeierten Gast am 30. Juli das sinnige Fest veranstaltet hatte, dessen Andenken die Ode „Der Zürichersee“, für alle Zeiten bewahrt, zeigte K. eine Neigung zu fröhlichen Gelagen mit den jungen Freunden und zu verliebten Scherzen mit den jungen Freundinnen, die seinen alten Gastfreund schier zur Verzweiflung über die „zwei Personen in einem Leib“ brachte. Verbittert wurde die Stimmung noch dadurch, daß das Gefühl der Dankbarkeit bei K. überhaupt nicht stark war, weil er, verwöhnt durch den früh von allen Seiten erlangten Beifall, jede Freundlichkeit als gebührende Huldigung entgegenzunehmen pflegte. Ueber seine und seines Epos Zukunft durch einen Brief Bernstorff’s beruhigt, der mit seinem Freunde Moltke den frommen König Friedrich V. wirklich vermocht hatte, dem Messiassänger ein Jahrgehalt von 400 Reichsthalern und Reisegeld nach Kopenhägen zu bewilligen, versagte er seinem ersten Wohlthäter Rücksichten, auf welche dieser wohl Anspruch hatte, und übersiedelte schließlich, um lästigen Hofmeistereien zu entgehen, nach dem Hause seines jungen Freundes Rahn. Der Wunsch, ihn dem losen Treiben der Jugend wieder zu entziehen, verleitete Bodmer zur Anwendung des bedenklichsten Erziehungsmittels: er forderte von K. das geliehene Reisegeld zurück, das bisher als sein Geschenk gegolten hatte. Damit hatte das „System von Großmut“, das K. sich Bodmer gegenüber zurecht gemacht hatte, ein Ende: entrüstet sagte er ihm die Freundschaft auf, und wenn auch nach dem Verrauchen der ersten Hitze Gleim’s und Sack’s freundliches Zureden ihn bewog, unter Breitinger’s Vermittelung die Aussöhnung mit Bodmer zu suchen, so wurde der böse Riß doch nur nothdürftig wieder geheilt und K. hatte, als er im Februar 1751 von Zürich schied, sicherlich nicht das Gefühl wie bei seiner Trennung von Giseke, „als müßte er sein Leben durchweinen“. Er kannte hinfort nur noch zwei Wohlthäter, den König von Dänemark und den mehrfach genannten Rahn. Dieser hatte eine neue Art weiße Seide mit farbigen Mustern zu bedrucken erfunden; von der Ausbeutung seiner Kunst versprach er sich und dem in uneigennütziger Weise zur Theilhaberschaft eingeladenen K. goldene Berge, so daß in diesem noch einmal lebhaft die Hoffnung erwachte, das Glück einer glänzenden Lebensstellung mit der noch nicht vergessenen Fanny theilen zu können, und so lebhaft war sein Interesse an dem kaufmännischen Projekt, daß er monatelang die Abreise aufschob, obgleich er schon im Herbst in Kopenhagen erwartet wurde. Dem praktischen Sinn der Geliebten muß die Combination des dichterischen und merkantilen Berufes ebenso phantastisch vorgekommen sein wie die schwärmerische Freundschaft Rahn’s, der das Fell eines noch nicht erlegten Bären verschenkte. Sie ward am 26. Februar 1754 die Gattin des angesehenen Kaufmanns Johann Lorenz Streiber zu Eisenach, und während einer glücklichen vierzigjährigen Ehe die geschickte Helferin ihres Mannes in Schreibstube und Fabrik und brachte dessen Geschäft zu hoher Blüthe, während Rahn, der K. nach Dänemark begleitet, seine Schwester Johanna [217] geheirathet und seinen Bruder August zum wirklichen Socius angenommen hatte, mit der in Lyngbye gegründeten Seidenfabrik nicht reussirte.

Auf der Reise von Zürich nach Kopenhagen sollte auch K. den Ausgang aus dem Labyrinth seiner unglücklichen Liebe finden. Er hatte zunächst sein Vaterhaus und Gleim besucht, den letzten weissagenden Segen seiner alten Großmutter empfangen und auf der Weiterfahrt bei den in Braunschweig amtirenden Universitätsfreunden vorgesprochen. In Hamburg wollte er noch Hagedorn’s persönliche Bekanntschaft machen, ließ sich aber von Giseke bestimmen, vor allen Dingen eine von dessen Correspondentinnen, Margaretha, gewöhnlich Meta, Moller zu begrüßen. Meta, geb. am 16. März 1728, war die jüngste Tochter zweiter Ehe des Hamburger Kaufmanns Peter Moller, der bereits 1735 gestorben war. Nach der Wiederverheirathung ihrer Mutter mit dem Kaufmann Martin Hull scheint sie bei ihrer ältesten Schwester Elisabeth, der Frau des Kaufmanns Benedict Schmidt, gewohnt zu haben. Durch einen merkwürdigen Zufall mit dem Messias bekannt gemacht – sie hatte Fragmente desselben bei einer unpoetischen Freundin gefunden, die das dumme unverständliche Zeug zu Haarwickeln zerschnitten hatte – war sie nach der ersten zusammenhängenden Lektüre in einer glücklichen Nacht zur begeisterten Klopstockianerin geworden und hatte auf die erste Kunde von Klopstock’s Kopenhagener Reise ihren Freund Giseke gebeten, ihr einen Besuch des Dichters zu verschaffen. Am 4. April 1751 trat K. bei ihr ein und war während seines viertägigen Aufenthaltes in Hamburg fast immer in ihrer Gesellschaft. Für sie war K. sehen und lieben eins, und der Eindruck, den ihre Liebenswürdigkeit, ihre vielseitige Bildung und ihr warmes Gefühl auf den Dichter gemacht hatten, war stark genug um in Jahresfrist die eben mit neuer Stärke erwachte Jugendliebe zu verdrängen. Von Kopenhagen und im Sommer 1751 von Fredensborg aus, wohin er den König Friedrich begleitet hatte, schrieb er noch Briefe voll sehnsüchtiger Liebesklagen nach Langensalza und zahlreichere freundschaftliche nach Hamburg; mit dem Ende des Jahres verstummten jene und diese redeten unzweideutig von neuer Liebe. Für die Tiefe seiner Neigung ist der beste Beweis, daß Meta nicht sofort Gegenstand seiner Odendichtung wurde. Die aus der Darmstädter Sammlung und K. F. Cramer’s biographischem Sammelwerk mit Unrecht in neuere Ausgaben wieder aufgenommene Ode an Meta „Am Thor des Himmels stand ich etc.“ rührt nicht von K. her, sondern von dem Schweizer Füßli. Die ausführlichsten Berichte über ihre Liebesgeschichte hat Meta selbst in ihren Briefen an Giseke und an Richardson gegeben. Nach diesen stieß die Erfüllung ihrer Wünsche anfänglich bei Meta’s Mutter auf Schwierigkeiten. Die althamburgische Abneigung gegen die Verbindung mit einem „Butenminschen“ und der nicht unberechtigte Zweifel an der ökonomischen Sicherheit von Klopstock’s amtloser Stellung wurden erst durch lange Bitten der Tochter und durch den Zauber von Klopstock’s Persönlichkeit überwunden. K. kam nämlich im Gefolge des Königs, welcher nach dem Tode seiner Gemahlin im Sommer 1752 zu seiner Zerstreuung Holstein bereiste, nach Hamburg zum Besuch und konnte schon Anfang Juli seine Freunde mit der Botschaft von seiner Verlobung mit der geliebten Mollerin, seiner Clary, Clarissa, Clärchen, wie sie nach Richardson’s Romanheldin umgetauft ward, überraschen. In dem ersten Sturme der Liebesseligkeit kündigte er Gleim sogar auf französisch an, daß es nun mit dem Messias und mit den Oden aus sei. Das war auch nicht allzu ernst gemeint. Während der Trennung von der Braut, die er erst am 10. Juni 1754 heimführen konnte, entströmten seiner Lyra immer neue Oden „an Cidli“. Nur unter diesem, seinem Herzen theuersten Namen aus dem Messias konnte er die Geliebte feiern; von ihr sang er sogar ohne den hochtönenden Odenklang und ohne jegliche künstliche Anempfindung mit fast [218] Goethe'scher Einfachheit, wie er sie im Frühlingsschatten gefunden und mit Rosenbändern gebunden hatte; derselbe schlichte Herzenston zittert nach in dem Liede des Siebzigers vom Wiedersehen.

Die vier glücklichen Jahre der Ehe mit Meta sind der Höhepunkt von Klopstock's Leben. Nach einer Rundreise durch Norddeutschland, um noch einmal Eltern und Freunde zu begrüßen, verließen sie am 13. Octbr. Hamburg und langten am 25. in Kopenhagen an. Während des Winters wohnten sie in der Stadt, im nächsten Frühjahr zogen sie nach dem reizenden Lyngbye in die Nachbarschaft der Geschwister. Klopstock's angeborene Würde, gehoben durch seinen Dichterruhm und gleichsam geweiht durch den heiligen Gegenstand seiner Dichtung, befähigte ihn zu völlig zwanglosem Verkehr am Hofe. Der König, der ihm nicht genug wiederholen konnte, wie hoch er ihn schätze, forderte seinen Rath bei der Besetzung wichtiger Stellen. Auf seinen Vorschlag ward Basedow als Professor an die Soröer Ritterakademie berufen und Cramer zum Oberhofprediger ernannt. So bildete sich ein deutscher Freundeskreis, in den zunächst noch G. B. Funk eintrat, als Erzieher in Cramers Hause. Als jüngere Genossen schlossen sich später Gerstenberg und Sturz an, den Uebergang bildend zu der nächsten Generation die Brüder Stolberg und Karl Friedrich Cramers, die als Klopstock's Jünger heranwuchsen. Meta erklärte sich für die allerglückseligste Frau. „Einen Mann zu haben, dessen Eigenschaften alle so groß, so schön und so gut sind als Klopstock's Genie, das ist Glückseligkeit“, schrieb sie ihrer Schwester, und an Richardson „Sie werden denken, daß zwei Personen, die sich so lieben wie wir, nicht zwei Zimmer nöthig haben; wir sind immer in demselben. Ich still, still mit meiner kleinen Arbeit, sehe nur manchmal das liebliche Antlitz meines Mannes, welches so ehrwürdig ist in Thränen der Andacht bei dem Erhabenen seines Gegenstandes“. Unter ihren Augen wuchs der Messias. Die ersten Gesänge wurden sprachlich, metrisch, auch, um sie orthodoxer zu machen, inhaltlich überarbeitet, fünf neue vollendet, so daß 1755 die erste Hälfte des Epos mit zwei begleitenden Abhandlungen über die heilige Poesie und über die Nachahmung griechischer Silbenmaße im Deutschen auf Kosten des Königs in zwei Quartbänben stattlicher als bisher irgend ein deutsches Gedicht gedruckt werden konnte, und schon wurden einzelne Partien der zweiten Hälfte ausgeführt, der Gattin in die Feder diktirt und ihrer Kritik unterbreitet. Sie trat sogar in den poetischen Wettkampf mit ihm und dichtete als Seitenstück zu seinem „Tod Adams“ (1757) einen Tod Abels. Erholung gewährten Reisen zu den Verwandten in Hamburg, Streifereien in den lieblichen Umgebungen Kopenhagens, am liebsten ohne Weg und Steg, wobei es galt, mit selbstbereiteten Faschinen störende Gräben zu überbrücken, und im Winter der Eislauf auf den zahlreichen Seen, die K. nach der Reihenfolge des Zufrierens sorgfältig registrirte. Zwei Wolken nur trübten das Glück der Gatten: der Tod des Vaters und die wiederholt vereitelte Erwartung eines Kindes. Eine neue Hoffnung veranlaßte Meta, bei ihrer Familie in Hamburg zu bleiben, die sie mit K. im Herbst 1757 wieder aufgesucht hatte. K. ging im Sommer 1758 allein nach Kopenhagen zurück, und traf nur wieder ein, um Zeuge des Todes der Heißgeliebten zu sein. Am 28. November starb sie, ehe sie den erwarteten Sohn zur Welt gebracht; die Erzählung von Cidli's Tod im 15. Gesang des Messias ist ihrem Scheiden nachgebildet. Vor der Kirche zu Ottensen bereitete K. ihr das Grab, das die beiden Schwestern der Entschlafenen mit zwei Linden schmückten. Eine ist nicht angewachsen, die andere beschattet noch mit majestätischem Laubdach die Stätte, wo fast ein halbes Jahrhundert später der greise Dichter zu Gattin und Kind gebettet ward, „Saat von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen.“

Es gewährt wenig Freude, Klopstock's weiteres Leben zu verfolgen. Des Fortschritts unfähig, hielt er sich eine Zeit auf der im Sturme erflogenen Höhe; [219] die verhätschelnde Verehrung eines engeren Kreises von Altersgenossen, die anbetende Vergötterung eines Theils der jüngeren Generation täuschte ihn über den eigenen Stillstand, ja bald über den traurigen Rückgang. Er hatte zuerst die Sprache des Herzens geredet, eine deutsche Dichtersprache geschaffen; und doch klang sie ihm fremd, als sie aus anderem Munde schöner noch ertönte; er war der Meister gewesen und verstand nicht die Jünger, die größer waren als er; längst hatte er sich überlebt, als er hochbetagt zur Ruhe ging. So ungerecht es wäre, die Bedeutung des jugendlichen K. leugnen zu wollen, so aussichtslos sind die Bemühungen moderner Kritiker, für den Mann, geschweige für den Greis neues Interesse zu erwecken. Der Morgenstern unserer Poesie mag er immer heißen, eine Sonne ist er nie geworden. Es ziemt sich daher, die Geschichte der größeren Hälfte seines Lebens kürzer zusammenzufassen.

Nach Meta’s Tode suchte K. zunächst Trost bei Verwandten und Freunden in Deutschland. Bis zum Sommer 1764 verweilte er bald in Quedlinburg, bald in Halberstadt, bald in Braunschweig. In Blankenburg machte er im Sommer 1762 die Bekanntschaft einer jungen wohlhabenden Dame, von der man lange Zeit nur den Vornamen Done aus der an sie gerichteten Ode: „Du zweifelst, daß ich dich wie Meta liebe?“ gekannt hat. Es war die damals 20jährige Sidonie Diedrich, eine Tochter des Amtsraths Diedrich, der mit seinem Sohne die reichen Domänen Heimburg und Blankenburg in Pacht hatte. Klopstock’s erste Werbung war erfolglos, da sie heimlich verlobt war; sie scheint aber wieder frei geworden zu sein, wenigstens erneuerte er bei ihr mit besserem Glück am Ende des Jahres seine Anträge. Ihren Vater, den Stolz und Furcht vor der Trennung von der Tochter der Verbindung abgeneigt machten, suchte er dadurch zu gewinnen, daß er sich den Titel eines dänischen Legationsrathes verschaffte; aber das gewünschte Ziel erreichte er trotz der wiederholten Vermittelungsversuche des Halberstädter Domdechanten von Spiegel nicht, sei es daß die Ungunst des Vaters nicht zu überwinden war, sei es daß die Geliebte selbst einen adligen Bewerber vorzog. Sie heirathete am 22. November 1763 den braunschweigischen Hauptmann Georg Philipp Christian v. König, und man weiß von ihr sonst nur, daß sie vor dem Herbst 1767 in ihrem letzten Wochenbett gestorben ist, und zwar aus Klopstock’s seltsamem dreijährigen Briefwechsel mit Anna Cäcilie Ambrosius (1749–1820), der Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns in Flensburg. Diese hatte K. in Herzensangelegenheiten um Rath gefragt, wie er wenige Jahre später der Vertraute von Voß und Ernestine Boie, von K. F. Cramer und Frau v. Alvensleben bei ihren Liebessorgen war; bald wurden seine Briefe an „die kleine Zilie“, die auch in die Ode Wingolf hineincorrigirt ward, zärtlicher und zielten immer deutlicher auf eine Verbindung hin, bis sie im Herbst 1770 aufhörten, wahrscheinlich weil seine äußere Lage zu precär geworden war, um die Gründung eines neuen Hausstandes zu gestatten. Sie ward im folgenden Jahre die Gattin des Naturforschers J. C. Fabricius (s. Bd. VI S. 521). Klopstock’s Legationsrathwürde hatte ihn zu keinerlei Arbeit verpflichtet, als er 1764 nach Kopenhagen zurückgekehrt war; auch der Tod seines königlichen Wohlthäters (1766), den er in der Ode „Rothschilds Gräber“ besungen hat, hatte an seiner freien Stellung nichts geändert; aber als 1770 Bernstorff durch Struensee gestürzt wurde, begleitete er den Gönner und Freund nach Hamburg, wo er mit Ausnahme eines halben Jahres bis an seinen Tod blieb. Es war eine zarte Huldigung für den großen Staatsmann, daß die lange erwartete erste Sammlung der Oden ohne den Namen des Dichters mit der lakonischen Widmung „An Bernstorff“ wenige Monate später ausgegeben wurde. Anfangs war er der Hausgenosse des Grafen, aber noch vor dem Tode desselben zog er trotz des dadurch erregten Stadtgeschwätzes und trotz der als Beleidigung aufgenommenen Warnung des befreundeten [220] Predigers Alberti zu der Familie v. Winthem. Johann Martin v. Winthem und seine Gattin Johanna Elisabeth geb. Dimpfel (1747–1821) waren beide nahe Verwandte von Klopstock’s Meta, er ein Sohn ihrer ältesten Stiefschwester, sie die Tochter ihrer zweiten rechten Schwester. Ihre Ehe war nicht glücklich; der von Haus aus sehr wohlhabende aber häßliche Mann hatte durch die Schuld der nächsten Verwandten seiner Gattin alles verloren, und die bescheidene Existenz, die er nach dem Untergang seines Geschäftes als Buchhalter und Kirchenbeamter sich gründete, genügte der anspruchsvoll erzogenen und lebenslustigen Frau durchaus nicht. Es war ohne Zweifel aufrichtig gemeint, wenn K. sich verpflichtet fühlte, der Nichte mit Rath und That in ihren Verlegenheiten zur Seite zu stehen, aber es gehörte auch seine ganze Naivetät dazu, zu glauben, daß die wunderliche Einrichtung ihres gemeinsamen Hauswesens den medisanten Bemerkungen der Hamburger entgehen würde. Daß er in dem fremden Hause der eigentliche Hausherr war, daß für seine zahlreichen Besuche die junge schöne, sangeskundige Frau die Honneurs machte und auch mit ihm bei den befreundeten adligen Familien Holsteins die Besuche erwiederte, wurde um so eifriger besprochen, je bekannter ihr Name schon durch das für sie gedichtete Vaterlandslied und durch die Lieder der jüngeren Klopstockfreunde wurde, die sie als Windeme feierten. „K. und die Winthem thun wieder eine Reise nach Kiel, Eckhof, Leutmar (d. i. Loitmark) und Knoop“, schreibt Elise Reimarus im Sommer 1780 spöttisch; „so reisen Landpriester, um den Zehnten einzufordern, gleichviel Gänse oder Weihrauch.“ Nachdem v. Winthem 1789 gestorben war, ward Windeme am 30. Oct. 1791 Klopstock’s Gattin und, von ihrer Tochter erster Ehe unterstützt, die treue Pflegerin seines Alters.

Klopstock’s schriftstellerische Thätigkeit seit dem Tode seiner Meta hat eigentlich nur noch auf dem Felde der Odendichtung neue erfreuliche Früchte gezeitigt. Seine „Geistlichen Lieder“, in zwei Bänden 1758 und 1769 veröffentlicht, nach Lessing’s Urtheil „so voller Empfindung, daß man oft gar nichts dabei empfindet“, sind mit Recht vergessen bis auf das eine Auferstehungslied. Ihr Schicksal theilten die beiden jüngeren biblischen Dramen „Salomo“ (1764) und „David“ (1772). Gleichzeitig angefangen, ohne Skizze in losen Scenen entworfen und fragmentarisch ohne Ordnung ausgeführt, mußten sie aller dramatischen Geschlossenheit entbehren. Den Salomo nannte Abbt boshaft, aber kaum zu hart „die wahrhafte und langweilige Geschichte von dem Gezänke eines reformirten Hofpredigers mit einem katholischen Hofkaplan“ und behauptete, das Hauptinteresse des Stückes bestehe darin, wer von den beiden Schwarzröcken bei Hofe essen solle. Langsam wurde auch der Messias vollendet: der dritte Band, den 11. bis 15. Gesang enthaltend, erschien 1768, der Schlußband mit den 5 letzten Gesängen erst 1773, gerade ein Vierteljahrhundert nach der Veröffentlichung des Anfangs. Mühselig war das nichtepische Epos zu Ende geführt, das mit jedem neuen Gesang weiter von homerischer Anschaulichkeit abirrte, und der pflichtmäßige Beifall der begeisterten Jüngerschaar in Göttingen, welche den Zweifel an der Vortrefflichkeit des Werks als Lästerung verschrieen haben würde, hielt nicht mit ihrem Leben aus. Voß spricht schon 1788 von „unserem ehemals so gefeierten Messias“ und fügt mit rücksichtsloser Derbheit hinzu: „Nicht nur der Plan ist ein wahres Scheusal, sondern auch die Ausführung des Einzelnen (ich rede nicht von den hervorragenden Stellen, die verrathen, was K. hätte werden können) oft so verwirrt und dunkel, daß man nicht durchfinden kann, und die Fackel will in den dumpfen Todtengrüften nicht brennen“. Und der sanftere Miller, der über dies Urtheil stutzt, bekennt doch, daß auch er lange schon seinen Glauben an die Vollkommenheit der Messiade verloren habe, oder vielmehr, daß dieser eigentlich immer mehr Ueberredung und Selbsttäuschung als [221] innige, auf Gründen beruhende Ueberzeugung gewesen sei. Sie sind recht nüchtern geworden, nachdem der brausende Jugendrausch verflogen war, und übertreiben im Ausdruck nach der andern Seite, aber im ganzen genommen haben sie nicht Unrecht. Selbst in der Wertherzeit hätten die endlosen Wechselreden der zweiten Hälfte des Messias keinen Knaben Goethe mehr zu dramatischer Recitation gelockt, und keine kunstvolle Deklamation eines Boie oder Herder, kein stürmisches Rhapsodiren eines Schubart hätte das erstorbene Interesse des Publikums wieder zu wecken, seine Augen wieder mit wohlthätigen Thränen zu füllen vermocht. Weniger vergänglich als der Ruhm des Epikers war der des Lyrikers. Nicht nur in den alten von Horaz überkommenen Formen, die in den Jugendoden ausschließlich benutzt sind, sondern auch in neu erfundenen Strophen und in ganz freien Rhythmen bewährte er seine Sprachgewalt und sein wunderbar feines Ohr für die musikalische Modulation des Verses. Die psalmenartigen Dithyramben, welche er zum Theil seinem Freunde Cramer für dessen Nordischen Aufseher beisteuerte, wie die Frühlingsfeier, haben noch einen schönen Nachhall in Herder’s Cantaten und in nicht wenigen von der Strophenfessel befreiten Gesängen Stolberg’s und Goethe’s gehabt. Bis zu dem fast gleichzeitigen Erscheinen der unberechtigten Schubart’schen Ausgabe von Klopstock’s kleinen poetischen und prosaischen Werken, der für die Landgräfin Karoline von Darmstadt in 34 Exemplaren gedruckten Sammlung von 47 Oden und der echten Hamburger Odenausgabe von 1771 gehörten Abschriften der blos handschriftlich verbreiteten Gedichte zu den kostbarsten Schätzen der jüngeren Generation. Aber Klopstock’s souveräne Herrschaft über den sprachlichen Wohlklang entartete leider bald in Künstelei und Manier. Wenn das Ohr des gebildeten Hörers nicht mehr im Stande ist, den Rhythmus zu fassen und festzuhalten ohne das vorgedruckte Versschema, ist es mit der Schönheit zu Ende, und selbst einzelne höchstgelungene metrische Kunststücke in den jüngeren Oden erinnern in bedenklicher Weise an Seiltänzerproduktionen. Verrufener noch als die Ueberverfeinerung der Form ist die bardische Verirrung in den vaterländischen Oden. Schon in Klopstock’s Jugenddichtung hatte neben König Heinrich der Cherusker Hermann sich eingeschlichen; nach Metas Tode wurde dieser allein der Träger seiner zu engherziger Deutschthümelei sich verknöchernden patriotischen Begeisterung. Die Bekanntschaft mit Macpherson’s Ossian und Mallet’s Denkmälern der Mythologie und Dichtkunst der Celten und besonders der alten Skandinavier hatte den Boden bereitet, die Einführung der nordischen Götterwelt in die deutsche Poesie durch Gerstenberg’s Skaldengedicht (1766) reizte zur Nachahmung, und alsbald bekamen Apollo und alle neun Musen den Abschied, um den nebelhaften Gestalten aus Walhall den Platz zu räumen. Keltische Sänger und altnordische Gottheiten mußten für echtes Eigenthum germanischer Vorfahren gelten, der Parnaß ward durch den Hain, die Leier durch die Telyn, der Lorbeer durch das Eichblatt, die Nachtigall durch Bardale ersetzt, in dem Wahn, dadurch werde die Poesie recht vaterländisch, obgleich die massenhafte Benutzung bis dahin für das Publikum unerhörter Namen und Worte eine reichliche Verwendung von lexikalischen Fußnoten nothwendig machte. So verliebt war K. in diese Schrulle, daß nicht allein die neu entstehenden Oden bardisch erklangen, sondern auch die alten sorgfältig von allen klassischen mythologischen Anspielungen gesäubert wurden. Die unverkennbaren Verschönerungen der metrischen Form, mit denen seine unermüdliche Feilarbeit sie schmückte, werden beinahe aufgewogen durch das ihnen aufgedrängte buntscheckige Kostüm, das in seiner Willkür und Stillosigkeit manchmal an die entsetzlichen Gewandungen von Opernchören auf unbedeutenden Bühnen gemahnt. Zu der wunderlichen Vermischung von Keltisch und Altnordisch kam bald ein noch komischeres Mißverständniß. [222] Den aus Tacitus und Ammianus Marcellinus bekannten schwellenden Schlachtruf barditus brachte K. mit seinen keltischen Barden in Verbindung und schuf eine neue Gattung des Dramas, den Bardiet. „Ich habe kein eigentlicheres und kein deutscheres Wort finden können, erklärt er in der ersten Anmerkung zu Hermanns Schlacht, eine Art der Gedichte zu benennen, deren Inhalt aus den Zeiten der Barden sein und deren Bildung so scheinen muß. Ohne mich auf die Theorie dieser Gedichte einzulassen, merke ich nur noch an, daß der Bardiet die Charaktere und die vornehmsten Theile des Plans aus der Geschichte unserer Vorfahren nimmt, daß seine seltneren Erdichtungen sich sehr genau auf die Sitten der gewählten Zeit beziehen, und daß er nie ganz ohne Gesang ist.“ In demselben Jahre, in welchem die ersten Bardenoden entstanden (1767), war der erste Bardiet „Hermanns Schlacht“ zum großen Theil gedichtet und ein zweiter „Hermann und Ingomar“ entworfen. Dieser blieb dann aber liegen und erschien erst 1784 unter dem Titel „Hermann und die Fürsten“; drei Jahre später folgte der letzte des Cyclus, „Hermanns Tod“. Als Dramen sind sie alle drei ebenso unbrauchbar wie die älteren biblischen Stücke; es ist auch nie im Ernst versucht worden sie auf die Bühne zu bringen, obgleich Gluck sich eine Zeit lang mit der Composition der Bardenchöre aus Hermanns Schlacht beschäftigte. Schiller, der 1803 diesen Bardiet auf seine Aufführbarkeit geprüft hatte, schreibt darüber an Goethe: „Es ist ein kaltes, herzloses, ja fratzenhaftes Produkt, ohne Anschauung für den Sinn, ohne Leben und Wahrheit, und die paar rührenden Situationen, die es enthält, sind mit einer Gefühllosigkeit und Kälte behandelt, daß man indignirt wird.“ Klopstock’s Idee, Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig solle mit seinen Soldaten Hermanns Schlacht bei der Roßtrappe darstellen, war so wunderlich wie die willkürliche Erfindung, die nebelhaft unklare Scene von Hermanns Thaten ins Bodethal zu verlegen. Hermanns Schlacht ist 1769 in der Buchdruckerei von Bode und Lessing gedruckt; mit Gerstenberg’s Ugolino und einem Lustspiel Zachariä’s war das Stück ursprünglich für das von Lessing geplante neue Journal „Deutsches Museum“ bestimmt, eine Sammlung deutscher Meisterwerke, deren Verfasser den Lohn für ihre Arbeiten unabhängig von dem Eigennutz der Buchhändler gewinnen sollten. Dieser Plan scheiterte, aber zugleich ein viel großartigerer, der sich ebenfalls an dies Stück knüpfte und in der Widmung desselben an Kaiser Joseph leise angedeutet war. „Der Kaiser liebt sein Vaterland, und das will Er, auch durch Unterstützung der Wissenschaften, zeigen. Nur dies darf ich sagen“, heißt es nach eingeholter Billigung des Kaisers in dieser Widmung. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Aussicht, in Wien eine Akademie der Künste und Wissenschaften, eine Druckerei für die unsterblichen Werke der Akademiker und ein Nationaltheater entstehen zu sehen. Mit dem kaiserlichen Gesandten in Kopenhagen, Grafen Dietrichstein, pflog K. Rath, trat in Correspondenz mit dem Fürsten Kaunitz, dem Grafen Wellsperg und dem Regierungsrath Matt in Wien und übersandte durch deren Vermittelung dem Kaiser einen ausgearbeiteten Vorschlag in der Form eines „Fragments aus einem Geschichtschreiber des 19. Jahrhunderts“. Als der Kaiser zum Dank für die Widmung des Bardiets sein Brustbild in Gold mit Brillanten gefaßt überschickte, sah K. in dieser, wie er glaubte, ganz einzigen Auszeichnung eine Gewähr für die Verwirklichung seiner Pläne und hielt an dieser Hoffnung auch dann noch fest, als kurze Zeit nachher ein jüdischer Pferdelieferant mit demselben Kaiserbilde in Holstein umherstolzirte. Fünf Jahre hindurch setzte er die Correspondenz fort; seine fortwährend über unbeantwortete Briefe scheltenden Freunde sollten erstaunen, daß der Nichtschreiber auch ein solcher Vielschreiber sein könnte; und 1773 ordnete er alle diese Briefschaften für die Circulation bei seinen Vertrauten, denen er Rechenschaft schuldig zu sein meinte, daß seine Ankündigung von Hermanns Schlacht mehr als eitle [223] Großprahlerei gewesen sei. Eine beabsichtigte Veröffentlichung der Correspondenz unterblieb; nur den unausgeführt gebliebenen Plan selber theilte er ziemlich ausführlich in dem letzten Werke seiner Bardenperiode mit, das durch seine grilligen Allegorien und seine forcirt alterthümelnde Sprache von allem, was er geschrieben hat, im übelsten Rufe steht. Seinem krausen Titel „Die deutsche Gelehrtenrepublik. Ihre Einrichtung. Ihre Gesetze. Geschichte des letzten Landtags. Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar. Herausgegeben von Klopstock. Erster Theil. Hamburg 1774“ entspricht der Inhalt durchaus. Neben einzelnen packenden, wenn auch einseitigen Urtheilen, welche die jugendlichen Stürmer und Dränger jubelnd priesen, sind die trivialsten Dinge in ganz unerträglicher Breite und in fatal manierirter, orakelnder Form vorgetragen, so daß man gar nicht aus der Verwunderung über die läppischen Kindereien des Mannes herauskommt, der als Jüngling durch seine Prosa den Beifall eines Lessing erworben hatte. Das Publikum fand sich nach dem Erscheinen des Buches um so gewaltiger enttäuscht, je rühriger nach einem ganz neuen Subscriptionsplan, der als maßgebend für die schöne Litteratur der Zukunft gedacht war, Beförderer und Collecteure von Lissabon bis Archangel über 3600 Subscribenten gesammelt hatten, und die wenig ehrerbietige Weise, in der dieser Enttäuschung an vielen Orten Worte gegeben wurden, war die Ursache, daß der bereits für den 1. Februar 1775 angekündigte zweite Theil ungeschrieben blieb. Nur spärliche Bruchstücke aus einem solchen sind 1779 in den Fragmenten über Sprache und Dichtkunst veröffentlicht, und von der Neubearbeitung des ganzen Werkes, die K. 1798 für die Sammlung seiner Schriften begann, ist nichts bekannt geworden.

Der Mißerfolg dieses Werkes unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Wiener Luftschlösser machte K. geneigt, einer Einladung des Markgrafen Karl Friedrich von Baden zu folgen, der ihn mit dem Charakter und Gehalt eines markgräflichen Hofraths im Sommer 1774 nach Karlsruhe berief. Was der wortbrüchige Kaiser dem Vaterlande nicht hielt, so daß „die ernste Wahrheitsbezeugerin, die Vertraute der Unsterblichkeit, Deutschlands Telyn“ von ihm schweigen mußte, schien sich an dem Hofe eines der edelsten von den kleineren Fürsten verwirklichen zu sollen. Denn der tüchtige und fromme Markgraf hatte das lebhafteste Interesse für die Entwickelung der deutschen Litteratur, schwärmte für eine nähere Verbindung der aufgeklärtesten Gelehrten des Reichs und ließ sich noch 1788 von Herder einen Plan zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands entwerfen. Voll froher Hoffnungen verließ K. im September Hamburg zu seiner letzten größeren Reise. In Göttingen rastete er, alle Besuche abweisend, drei Tage incognito bei der poetischen Studentenschaar, in deren Bund er eben vorher als Mitglied eingetreten war. Ueber die Organisation des Bundes war bereits brieflich verhandelt worden, in der Gelehrtenrepublik war die Jünglingskohorte der Nation gezeigt; nun ward weiter Rath gepflogen über die Bundesfähigkeit hervorragender Geister, durch welche der Bund verstärkt werden könnte. Der unklar schwärmenden Jugend stand dieser Kultus des Genius besser zu Gesicht, als dem 50jährigen Mann das Behagen, mit dem er sich feiern ließ, und die Berechnung, durch den Bund den eigenen Ruhm neu zu gründen und zu einer Art von Pontifikat über den gesammten deutschen Dichterklerus zu erhöhen. Unter den Bundescandidaten war auch Goethe. Ihn besuchte K. auf der Weiterreise in Frankfurt, ward als „lieber Vater“ aufgenommen und mit Bruchstücken aus dem Faust erfreut. Goethe begleitete ihn bis Darmstadt und machte ihn dort mit Merck bekannt, der noch nie einen Menschen so schön deutsch und abgemessen hatte reden hören als K. Der freundliche Empfang beim Markgrafen, der den reichlich vergüteten Reisekosten als [224] Weihnachtsgeschenk ein Fäßchen alten markgräfler Weines hinzufügte, schloß die einem Triumphzug gleichende Hinreise aufs schönste ab. Aber der Aufenthalt in Baden sagte K. nicht lange zu. Sein Hauswirth in Karlsruhe, der Kirchenrath Böckmann, der Geheimrath v. Edelsheim und der Bibliothekar Molter erwiesen sich zwar als treue Freunde; interessante Reisende stellten sich ein, z. B. die weimarischen Prinzen Karl August und Constantin mit ihrem Knebel, F. H. Jacobi, Gluck mit Frau und Nichte; der Markgraf selber verkehrte mit ihm in der ungezwungensten Weise und besuchte ihn stundenlang auf seinem Zimmer, ohne daß der Dichter sich von Schlafrock und Nachtmütze zu trennen brauchte; die Damen des markgräflichen Hauses, unter ihnen auch die Prinzessin Luise von Darmstadt, die nachherige Gemahlin Karl Augusts von Weimar, wetteiferten mit dem Fürsten an Liebenswürdigkeit gegen den Dichter, und doch bildete sich nicht ein so vertrauliches Verhältniß, daß es über die Geistlosigkeit und den kleinlichen Neid des Hofkreises hätte trösten können. Die Denkschrift eines badischen Hofmannes, des Hofrath Ring, über Klopstock’s Leben in Karlsruhe und Rastadt, welche im Auszuge Dav. Fr. Strauß, vollständig Erich Schmidt bekannt gemacht hat, lassen es begreiflich erscheinen, daß K. sich aus einer Umgebung, die ihn als unbequemen Eindringling betrachtete, wieder zurücksehnte in seinen Hamburger Kreis, der sich willig seiner Herrschaft unterordnete. Für den Mai 1775 plante er einen Besuch Jacobi’s in Düsseldorf und der Hamburger Freunde; als aber schon im März sein Bruder Karl, der Legationssecretär, auf der Rückreise von Spanien durch Rastadt kam, stieg er zu ihm in den Wagen und reiste, ohne Abschied zu nehmen, nach Hamburg zurück. Der edle Markgraf ließ die spät einlaufende Entschuldigung des rücksichtslosen Genies, Abschied zu nehmen würde ihm zu empfindlich gewesen sein, gelten und bat nur, bald seine Wiederkunft zu melden oder wieder zu kommen, ohne etwas zu sagen. Aber K. hat sein Hamburg nicht wieder auf längere Zeit verlassen. Er hat 1776 noch einmal eine Reise nach Süddeutschland geplant, wie im Herbst vorher einen Besuch Fürstenberg’s in Münster, um dessen Bemühungen zur Hebung der dortigen Schulen mit seinem Rath zu unterstützen; vor der Ausführung scheute er aus Angst vor Frictionen zurück, gegen die er sich nur in dem ihn verhätschelnden Hamburger Kreise gesichert fühlte. Er blieb übrigens mit dem markgräflichen Hause in brieflichem Verkehr, übersandte 1776 seinen kurzen Briefwechsel mit Goethe, die unpassendste Nachwirkung seiner Karlsruher Begeisterung für die Prinzessin Luise, empfing 10 Jahre später den Besuch des Markgrafen in Hamburg und beanspruchte noch ein Jahr vor seinem Tode die Uebermittelung griechischer Manuscripte „aus der großsultanischen Polterkammer“ durch die Fürsprache des fürstlichen Freundes bei Kaiser Alexander, dem Gemahl von dessen Enkelin, und gleichzeitig die Bezahlung seiner Hamburger Doctorrechnung.

Als K. sich 1775 in Hamburg wieder zur Ruhe gesetzt hatte, vertiefte er sich immer mehr in die sprachlichen und metrischen Untersuchungen, von denen er schon in den sein Epos begleitenden Abhandlungen und in der Gelehrtenrepublik Proben gegeben hatte. Nichts geringeres als eine neue deutsche Grammatik schwebte ihm dabei vor. Seine brennende Liebe zu der unvergleichlichen Schönheit der Muttersprache, hinter der alle anderen Sprachen zurückstehen müßten, dünkte ihm hinreichende Ausrüstung zu solchem Werk. Von der Sprache selbst, die bis zu Luthers Zeit mit der Wildheit unerzogener Kinder umhergeirrt sein soll, die von Luther mit schmackhaften Trauben und Himmelsthau genährt und zu fröhlichem Gedeihen gebracht war, die dann nur noch einmal von Opitz die rechte Nahrung erhalten hatte, läßt er, der bei ihrer ersten Erblickung von der wechselnden Röthe und Blässe der schnellentstehenden Liebe Ergriffene, sich fragen, ob er die Lebensregeln, die sie sich vorgeschrieben habe, bekannt machen wolle, [225] damit sich, wer sie mit Nahrung versieht, danach richte. Milde urtheilt J. Grimm: „K. kann nicht eigentlicher Sprachkenner heißen; er waltete in der neueren Sprache und fühlte mitunter in die ältere hinein.“ Die Resultate seiner dilettantischen und fragmentarischen Forschungen sind in zwei Sammlungen niedergelegt: „Ueber Sprache und Dichtkunst“, mit zwei Fortsetzungen, Hamburg 1779 und 1780 und „Grammatische Gespräche“, Altona 1794. Beide Werke sind fast wirkungslos geblieben, das erste schon, weil es durch die vom Verfasser neuerfundene geschmacklose phonetische Orthographie den Zeitgenossen unzugänglich war, das zweite, weil in der politisch erregten Zeit Niemand sich Muße ließ, unter der grillenhaften Verkleidung die Gedanken mühsam zu suchen. Von der orthographischen Verirrung, der sich sogar eine Messiasausgabe von 1780 bequemen mußte, ist K. übrigens nach wenig Jahren zurückgekommen. Zahlreiche Versuche, die schönsten Stellen aus Dichtern und Prosaikern des Alterthums getreu nachzubilden, verfolgten denselben Zweck wie die größeren sprachlichen Arbeiten: sie sollten herausfordernd den anderen Nationen vorgehalten werden, um sie zu dem Geständniß zu nöthigen, „daß keine, welche lebt, mit Deutschlands Sprache sich in den zu kühnen Wettstreit wagen dürfe“. Daneben verstummte die eigene Dichtung nicht; in Oden und Epigrammen machte er seinen lebhaften Sympathien und Antipathien Luft. Die bardische Telyn hatte er an die Wand gehängt; auch Siona’s Harfe rührte er nur noch selten, wie zu dem Psalm über das Vaterunser; er hatte sich wieder zur griechischen Leier bekehrt und hielt sich freier von den Künsteleien der selbstgebildeten Maße. Aber Freude hat man doch nur von wenigen dieser späteren Oden; bei der Mehrzahl contrastirt die Geringfügigkeit oder Absonderlichkeit des Inhalts, der bisweilen nur ein wunderlicher Einfall ist, mit der volltönenden, aber gespreizten und absichtlich räthselhaften Sprache. Wenn z. B. dem Leser zugemuthet wird zu verstehen, daß Iduna Hensler ein Reitpferd ist, das Iduna heißt und nach dem Namen des Arztes Hensler zubenannt wird, weil ein Ritt auf ihm die beste Arznei ist, oder wenn er den Ruderer von der Schüte, der den Dichter „mein lieber Klopstock“ nannte und zur Belohnung dafür Meta v. Winthem’s Schoßhündchen kurirt, kennen lernen soll, wird er verstimmt das Buch beiseite legen. Ist hier die ungemeine Wichtigkeit, die der verwöhnte Dichter den geringfügigsten seine Person betreffenden Lappalien beilegt, die Verleiterin zum Ungeschmack, so ist es bei den politischen Oden, welche die große Weltbewegung behandeln, die den ewigen Jüngling kennzeichnende Unreife des politischen Urtheils und das maßlose Selbstbewußtsein im Rathgeben und Richten wie vom pythischen Dreifuß oder vom Thron des Unfehlbaren. Mit der ganzen unklaren Freiheitsschwärmerei des Göttinger Bundes begrüßt er „den kühnen Reichstag Galliens“ schon vor seinem Zusammentreten, stellt Ludwig XVI. hoch über Friedrich den Großen, macht sich zum Mittelpunkt eines am 14. Juli 1790 im friedlichen Harvestehude nahe bei Hagedorn’s Linde gefeierten Revolutionsfestes und wähnt noch 1792 den Herzog von Braunschweig durch Zusendung seiner Ode „Der Freiheitskrieg“ zur Niederlegung des Commandos gegen das Volk der Selbsterretter bewegen zu können. Es liegt die bitterste Ironie darin, daß der deutscheste unter den deutschen Dichtern, der bisher seine vaterländische Gesinnung durch ungerechte Verkleinerung anderer Völker oft genug hatte bethätigen wollen, nicht Worte genug zu finden weiß, um für die gar nicht zu verdienende Ehre zu danken, daß die französische Nationalversammlung ihn mit dem Bürgertitel beschenkt hat, und die maßlose Selbstgefälligkeit, mit welcher der Bürger K. an den Bürger Roland schreibt, übersteigt noch weit die Kühnheit, mit der er 16 Jahre früher Karl August und Goethe hofmeistern zu dürfen geglaubt hatte. Und der Widerruf nach der Enttäuschung ist fast noch ärger: der ehemals Odengewaltige [226] überspannt den Bogen, und vor den Wechselreden einer Tribuna und Clubbiofuria, vor den hottentottischen Schimpfwörtern gegen Marat und Wortungethümen, wie Klubbergmunicipalguillotinoligokratierepublik, die in einem Verse nicht mehr Platz finden, verhüllt sich schamroth die ernste Muse. Die Epigramme Klopstock’s haben nur als Zeugnisse seiner jeweiligen Stimmung historischen Werth. Die älteren, meist gereimten aus dem Anfang der 70er Jahre sind formlos, die späteren, zum großen Theil im elegischen Versmaß, treten anspruchsvoller auf, ohne durch ihre Grobheit die fehlende Schärfe ersetzen zu können. Eine zierliche Spitze zu schmieden und mit ihr ins Schwarze zu treffen, lag seiner Kunstübung ganz ferne; sein Witz ist bald gesucht, bald stumpf, oder er schießt gar gegen die Sonne, so daß der Pfeil auf den Schützen zurückfällt. Die letzten Ergüsse seines greisenhaften Unmuths gegen die größten Erscheinungen einer Zeit, die er nicht mehr verstand, hat er gar nicht selbst bekannt gemacht, sondern nur brieflich Freunden wie Herder und Böttiger anvertraut, aus deren Nachlaß erst die schlimmsten ans Tageslicht gekommen sind. Er bedurfte solcher Gallenabsonderung bei der angestrengten Arbeit an der von ihm selbst noch unternommenen, aber nicht zu Ende geführten Gesammtausgabe seiner Werke. Sein Verleger Goeschen hatte einen harten Stand mit ihm wegen seiner schwer zu befriedigenden Ansprüche an Honorar, Schönheit und Correctheit des Drucks, aber er wußte ihm doch genug zu thun mit der Drucklegung der ersten sechs Bände, die Oden bis 1797 und den Messias umfassend; die späteren sechs lassen viel zu wünschen übrig, und man kann nur wünschen. daß die neumodische übertriebene Verehrung Klopstock’s, die eine ebenso übertriebene Geringschätzung des Altmeisters abgelöst hat, seinen Werken wenigstens eine vollständige kritische Ausgabe schaffe.

K. starb am 14. März 1803 nach vierwöchentlicher Krankheit als der letzte seiner Altersgenossen. In allen Kreisen der Bevölkerung der Schwesterstädte Hamburg und Altona wurde sein Tod als ein nationaler Verlust empfunden, und einträchtig geleitete man die Leiche am 22. März in einem Trauerzuge, wie ihn die Städte noch nicht wieder gesehen haben, nach dem Kirchhof von Ottensen, wo seine Meta ruhte.