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ADB:Spiegel zum Desenberge, Ernst Ludwig Freiherr von

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Artikel „Spiegel zum Desenberge, Ernst Ludwig Freiherr von“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 146–149, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spiegel_zum_Desenberge,_Ernst_Ludwig_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 09:15 Uhr UTC)
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Spiegel: Ernst Ludwig Freiherr v. S. zum Desenberge, Domdechant, bisher nur bekannt als Gleim’s Freund, so wie durch die Sage, er sei eines Duelles wegen von dem Reichs-Kammergerichte in Wetzlar hingerichtet, die durch die Kirchenbücher in Wetzlar und Halberstadt widerlegt wird. Eine Monographie des Unterzeichneten „Friedrich der Große und der Domdechant von S.“ wird noch manches Nähere enthalten. Man findet Ernst Ludwig in keinem Conversationslexicon. Von anderer Seite aber ist auch in der älteren Geschichte der ganzen Familie S. die Klarheit vermißt worden. In dem Wappen befinden sich überall die bekannten drei runden Spiegel, die in Halberstadt, von wo sich die anderen Stiftsfamilien natürlich seit 1807 zurückzogen, beinahe so angesehen sind, wie das Stadtwappen und als ein hübsches Wahrzeichen der Stadt zur Erinnerung an die halberstädtischen Kunst- und Litteraturperioden betrachtet werden können. Diese drei Spiegel fehlen oder fehlten auch nicht an dem Hause zum Spiegel in der Brigittenpfarrei zu Köln am Rhein, welches als das gemeinsame Stammhaus aller Herren vom Spiegel erscheint. Die einzelnen Linien fügten ihren Wappen besondere Zusätze bei, einen Mohren mit rothem Turban, einen rothen Pferdekopf mit silberner Schnauze oder dergleichen. Schon in alter Zeit erscheinen die S. bald als Grafen, bald als Freiherren, bald als niederer Adel. Zu Köln besaßen die S. auch noch andere Gebäude z. B. den Rodenberg, und von den Rodenbergern stammen wahrscheinlich die Desenberger ab. „Mit Gott und mit Ehren“ ist der Wahlspruch [147] der letzteren. Schon 1687 scheinen unter ihnen Grafen gewesen zu sein. Zu den Desenbergern gehörten auch die Hanxleden und dann wieder die Pickelsheim. So wurde aus dem rheinischen Uradel ein westfälisches Rittergeschlecht. Die Desenberger waren Erbschenken in Paderborn, die Pickelsheimer daselbst Erbmarschälle. Sie erlangten große Wichtigkeit für Paderborn und scheinen im Kreise Warburg noch jetzt begütert zu sein. Auch in Kursachsen sollen die S. große Güter besessen haben. Von da sind sie nach Schlesien gekommen, wo sie noch zu finden sind. Daß die Desenberger und die Pickelsheimer von Münster-Paderborn nach Halberstadt kamen, ist nicht zu verwundern, da die Katholiken der Provinz Sachsen, wie noch jetzt, ganz oder zum Theil unter dem westfälischen Krummstabe standen. Wenn die Pickelsheimer aber früher als die eigentlichen Desenberger im Besitze von Seggerde bei Weferlingen waren, so kamen sie vielleicht doch von ihrem zeitweiligen Aufenthaltsorte Ansbach dahin; wir finden einen Markgraf von Bayreuth als Besitzer von Weferlingen, das er reich beschenkte. Zu den Besitzungen unseres Domdechanten Ernst Ludwig Freiherrn v. S. in der Provinz Sachsen gehörte Ellrich, bei welchem der Dichter Göckingk im S.’schen Grundstücke wohnte, Schneidlingen, wo Gleim so viel verkehrte, Suderode, das Spiegelhaus bei Victorshöhe u. s. w. Da unter den 14 Domherren zu Halberstadt, welche am 25. September 1753 den evangelischen Ernst Ludwig v. S. zum Domdechanten wählten, vier Katholiken waren, so möchte man glauben, daß auch der frühere Domdechant von Halberstadt Arno S. v. Pickelsheim, der am 28. December 1660 starb, katholisch gewesen sei. Er war indessen, wie der zweite Domdechant v. S., Protestant, denn in der für die Protestanten in Magdeburg und Halberstadt gefährlichsten Zeit des dreißigjährigen Krieges mußte er dem Katholiken Joachim v. Hünecken weichen. Die S. im jetzigen Regierungsbezirk Magdeburg waren mithin immer eifrige Protestanten. Ernst Ludwig, Sohn des 1742 verstorbenen Generallieutenants Karl Ludw. v. S. (S. 158), hatte sich 1748 mit der 20jährigen Tochter des halberstädtischen Domherrn Werner Ludwig Baron v. S. auf Seggerde Ermgard Melusina Johanna Elisabetha vermählt, einer Urenkelin jenes früheren Decans S. Die unmittelbaren Vorgänger des zweiten Decans v. S. waren ein Herr v. Bennigsen, der Katholik von Stechau und zwei Herren v. d. Busch, durch welche letztere der Vorname Clamor an den Dichter Klamer Schmidt (s. d.) kam. Der Domdechant Ernst Ludwig v. S. wird auch Vicedominus genannt und war Propst des kleinen Stiftes Petri und Pauli. Man muß annehmen, daß Gleim bereits für seine Wahl zum Domdechanten thätig war, da unter denen, die ihn wählten, neben den Diepenbrock, Ketteler, Ysenburg, Hardenberg und Fürstenberg, auch der Herr v. Berg war, auf dessen Fürsprache schon 1747 Gleim zum Domsecretär ernannt war. Jedenfalls entsprach es ganz dem Verhältnisse Friedrich II. zu den hohen Würdenträgern in Klöstern und Stiftern, wie wir sie auch durch eine Rede von Mommsen kennen, daß die Wahl bei Hofe mit Jubel aufgenommen wurde. Am 13. Febr. 1754 bei Spiegel’s Anwesenheit in Berlin bestimmte der König für die Halberstädter Domherren einen eigenen Orden, den St. Stephansorden, ein in acht Spitzen ausgehendes Kreuz, in dessen Mitte sich auf der einen Seite das Bild Sancti Stephani als Patrons des Halberstädter Domes und auf der andern der goldgekrönte schwarze Adler mit ausgebreiteten Flügeln und einem goldenen Namenszuge befand. Nach dem Tode des Domdechanten wird dieser Orden nicht mehr erwähnt, doch in Caspar Abel’s 1754 erschienener halberstädtischer Stiftschronik ist das von Friedrich eigenhändig unterzeichnete Diplom vom 15. Februar 1754 abgedruckt und ihm die Abbildung des Ordens beigegeben. S. ging mit Feuereifer auf jeden Gedanken Friedrich’s ein. Selbst ohne allzu hohe Bildung überließ er seinem Syndicus Gleim die Regierung. [148] Kaum war Gleim einer Aufsicht unterworfen. War auch sein Gehalt nicht bedeutend, so flossen ihm doch schon allein durch den damals noch für erlaubt gehaltenen Weinkauf bei Verpachtung der jetzigen großen Domainen im Halberstädtischen bedeutende Summen zu, welche er zu wohlthätigen Zwecken, insbesondere aber für die deutsche Litteratur, anwandte. Man kann nicht umhin, Gleim und S. für die Maecenaten des Potsdamer Augustus zu halten, der freilich mehr Louis XIV. mit seinem Colbert als Octavianus und Maecenas vor Augen hatte. Obwohl der König neben der französischen Litteratur die deutsche nicht bei sich zum vollen Verständnisse reifen lassen konnte, so suchte er den deutschen Schriftstellern doch zu nützen so viel, als ohne den Staatsschatz deshalb anzugreifen, möglich war. Nach der Schlacht bei Prag im J. 1757 wollte S. sich mit Gleim auf den Kriegsschauplatz begeben, doch beschloß nachher Gleim in Halberstadt zu bleiben, weil wegen der vielen durchreitenden Stafetten immer für frische Pferde aus dem Marstalle des Domdechanten gesorgt werden mußte. S. ging mit nach Kolin, wo er sich während der Schlacht an dem heißen Tage durch Austheilen von Eis aus einer Eisgrube an die preußischen Soldaten ein großes Verdienst erwarb. Von hier aus trat S. den Heimweg an mit einer Abtheilung preußischer Soldaten. Dem Anführer derselben war S. zuwider. Er täuschte ihn über die Reise und ließ ihn unterwegs sitzen. Bei Fortsetzung des Marsches wurde jedoch diese Abtheilung preußischer Soldaten von einer überwiegend starken Anzahl Feinde theils niedergehauen, theils gefangen genommen. S. war gerade durch den Verrath des vornehmen Officiers gerettet und langte unter großem Jubel der durch die Nachrichten über ihn sehr geängstigten Bevölkerung wieder in Halberstadt an. In demselben Jahre, 1757, führte Gleim in einer Variante zu seinem Siegesliede auf die Schlacht bei Roßbach unter den fliehenden Reichstruppen auch den Paderborner ein, weil der Domherr die dortige Mundart gern im Scherze sprach. Die Siegesfeste wurden wohl nirgends in der Provinz so großartig gefeiert als in Halberstadt. Mit Vorliebe wurde die Karschin dort nicht allein bei Gleim, sondern auch in den Curien von S. und Stolberg sowie auf Schloß Wernigerode empfangen und bewirthet. Als Gleim erfuhr, daß die Herzogin Amalie von Weimar nach ihrer Vaterstadt Braunschweig reisen wolle, ließ er sie durch Wieland einladen ein Fest auf den Spiegelsbergen vom Domdechanten anzunehmen. Wohl im August 1783 wurde es ihr von S. gegeben. Auch ein zweites auf der Rückreise im September 1783, bei dem Goethe und der braunschweigische Hof zugegen waren, wurde wohl mehr auf den Spiegelsbergen als in Halberstadt gefeiert. Es handelte sich bei der Einladung nach Spiegelsbergen auch um einen Wetteifer der Gartenbaukunst in Weimar und Halberstadt. Da S. in der Gartenbaukunst der Gleim’schen Hilfe weniger wie im Stafettendienst bedurft zu haben scheint, so kann man ihn wohl den Pückler-Muskau seines Jahrhunderts nennen. Nicht weniger als 29 Jahre war S. Domdechant, als ihn die Herzogin Amalie auf seinen „Bergen“ (wie die Halberstädter die Spiegelsberge nennen) besuchte. Schon stand er vor seinem Niedergange. S. soll einmal im Gespräche mit einem Grafen eine Aeußerung über Religion gethan haben, welche diesen, da er sie für Blasphemie hielt, veranlaßte ihn zu fordern. Angeblich tödtete ihn der Domdechant im Duelle und wurde deshalb vom Reichsgerichte in Wetzlar zum Tode verurtheilt. Friedrich der Große soll ihn geschützt, aber bei dessen herannahendem Tode soll S. einen Ausgleich in Wetzlar versucht haben und dort schnell hingerichtet sein. Allein nicht einmal das Duell kann wie Fritsche erzählt mit einem Grafen Stolberg stattgefunden haben. Vielleicht eines Erbschaftsprozesses wegen reiste S. nach Wetzlar, erkrankte an einem Brustleiden und starb daran am 22. Mai 1785. Eine Beunruhigung des Publikums, die zu der falschen Sage führte, entstand dadurch, daß S. dreimal[1] begraben wurde, [149] zuerst in Wetzlar, dann auf den Spiegelsbergen und zuletzt in Seggerde. Sollte man nicht glauben, daß in der Audienz, die Gleim dann am 22. December 1785 bei Friedrich hatte und in der über den neuen Domdechanten gespöttelt wurde, auch von S. die Rede gewesen sein und die Zukunft des Stiftes besprochen sein müsse? Der Geist, in dem das Stift geleitet wurde, blieb in der That bis zu Gleim’s Tode im J. 1803 im wesentlichen unverändert. Man kann daher die ganze letzte Periode des 1807 aufgehobenen protestantischen Stiftes wohl die Gleim’sche nennen. Zum Verständnisse der Stellung von S. in Halberstadt sind die angeführten Aeußerungen Gleim’s zu beachten, nach denen er von S. spricht als von dem vielbesungenen Musen- und Menschenfreunde, „unsterblich durch den heiligen Ruf der Güte, ein Spiegel des edelsten Wohlwollens, der reinsten Liebe zur Menschheit, ein Edler von Geburt und Gesinnung“:

„Unter den Todten beweint ein Jeder die Seinen, um Dich weint,
     Spiegel, die Stadt und das Land, aber die Freunde noch mehr.“

Gleim dichtete unermüdlich seine Lieder auf Leopold von Braunschweig und S. Als Herder ihm deshalb das „multum non multa“ vorhielt, war schon die Fortsetzung gedruckt. Auch setzte Gleim jährlich zwei Friedrichsd’or für das beste Gedicht auf den Tod des Domdechanten aus. Da dasselbe jedesmal an Spiegel’s Todestage auf den Spiegelsbergen, wo er aber nicht mehr in dem von ihm selbst erbauten Mausoleum ruht, von der durch Gleim’s Fürsorge noch immer mit Kaffee und Kuchen bewirtheten Schuljugend abgefangen wird, so lag es den bisher gekrönten Dichtern (Klamer Schmidt, Nathanael Fischer, Jung, August Hesse u. s. w.) immer wieder nahe, seine Schöpfung, die Spiegelsberge, im neu erwachten Frühlingsglanze zu verherrlichen. Preisrichter für das zu krönende Gedicht sind die Stadträthe. – S. hatte einen Sohn, der ein Sonderling war, und einen Enkel, mit welchem nach 1870 die halberstädtische Linie zu Ende ging, eine hohe edle Gestalt. Durch den Dr. Lucanus und den Architekturmaler Hasenpflug schuf der Enkel als Seitenstück zu der litterarischen Periode, in der ja auch schon Gemälde gesammelt wurden, eine Blüthenperiode der Kunst in Halberstadt. Plötzlich aber schloß er seine Gemäldesammlung, widmete seine Mittel nur noch der prächtigen Herstellung der Wirthschaftsgebäude auf den Spiegelsbergen und zog nach dem kleinen Seggerde, welches einem niedlichen Schmuckkästchen gleicht. Seine Wittwe wohnt wieder in der Domdechanei in Halberstadt und hat die berühmte Gemäldegalerie (Söhne Eduards u. s. w.) auf das liebenswürdigste von neuem wieder zugänglich gemacht.

Fahne, kölnische Geschlechter I, 40, 407; II, 141–147. – Fahne, westf. Geschl. S. 366. – Fahne, Hövel II, 168–172. – Das Wappen der Desenberger bei Siebmacher, neue Ausgabe, III 1 (1857) Tafel 32, dazu Text S. 32 und III 2 (1878) Tafel 434. – Ledebur, preuß. Adelslexicon II, 462, 463. – E. H. Kneschke, Adelslexicon III, 558–561. – Caspar Abel, Halberstadt, S. 568–590. – Körte, Gleim, S. 213–221. – Ueber S. in Kolin H. Pröhle, Friedrich der Große u. d. d. L., S. 199, 200, 226, 227, über S. als Freiwerber für Klopstock, ebenda S. 143, über Goethe und Spiegelsberge H. Pröhle, Lessing, Wieland, Heinse S. 104, 105, Goethe, Schiller, Bürger S. 45, 46 und Reisehandbuch für den Harz, 22. Aufl., S. 19. – Acten über S. im Preuß. Geh. Staatsarchiv. Ueber den gewaltsamen Tod wird in Uebereinstimmung mit der Volksüberlieferung nur berichtet in Fritsche’s handschriftl. „Reise zu dem Harzgebirge im July 1804“ (im Besitze des Unterzeichneten) Quartbl. 12 f. – Mitth. von Jänicke, Jacobs und der Direction des Staatsarchivs zu Wetzlar.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 148. Z. 1 v. u.: Der Domdechant wurde doch nicht dreimal und zuletzt in Seggerde beerdigt, sondern nur zweimal: er ruht auf den Spiegelsbergen. [Bd. 36, S. 792]