ADB:Jacobi, Friedrich Heinrich Ritter von
Johann Georg J. (welcher sich später als Dichter einen [578] Namen machte) zurückgesetzt und zum Kaufmannsstande bestimmt. Als Lehrling in ein Handlungshaus zu Frankfurt a/M. geschickt (1759) erfuhr er dort in Folge seiner eigenthümlichen Begabung theils Vorwürfe seines Vorgesetzten, theils den Spott seiner Altersgenossen und verfiel hierüber in Schwermuth, sodaß sein Vater noch im gleichen Jahre sich entschloß, ihn nach Genf zu schicken. Dort nun wurde ihm die Gelegenheit, nicht nur durch körperliche Uebungen sich zu kräftigen und weltmännische Umgangsformen zu erwerben, sondern auch in ein reges wissenschaftliches Leben einzutreten. Es war zunächst der Mathematiker Lesage, welcher ihn in die ihm bis dahin unbekannte Philosophie mittelst Gravesande’s Introductio einführte, und so vorbereitet, beschäftigte sich J. einläßlich mit den Schriften Bonnet’s, in welchen sich in eigenthümlichster Weise ein psychologischer Sensualismus mit offenbarungs-gläubigem Supranaturalismus paarte; dazu kam, daß gerade damals (1761) Rousseau’s Emil erschien, welchem am Schlusse das „Glaubensbekenntniß eines savoischen Vicars“ beigefügt war, worin im Gegensatze gegen den Materialismus der Encyklopädisten und zugleich im Gegensatze gegen die starre Orthodoxie die Vernunftreligion des Herzens eine warme Darlegung fand. Dabei ergriff der heranreifende junge Mann, welcher bereits zu geistiger Strebsamkeit gelangt war, mit Sympathie jede philosophische Deduction, insoweit durch dieselbe nicht sein „Gott ahnen“ gestört wurde, und indem er selbst widersprechenden Ansichten zugleich Raum gab, suchte er in seinem subjectiven Empfinden einen bleibenden Halt zu bewahren. Nachdem er im J. 1762 in die Heimath zurückgekehrt war, regten ihn die Bearbeitungen, welche die von der Berliner Akademie gestellte Preisaufgabe (über die Evidenz der metaphysischen Wissenschaften) durch Mendelssohn und durch Kant gefunden hatte, ebenso mächtig an wie Kant’s „einzig möglicher Beweisgrund für das Dasein Gottes“ (später von Kant selbst preisgegeben), und indem er sich mit dem Studium Spinoza’s beschäftigte, erfaßte er bereits damals den Gedanken, daß das Unerweisliche, an dessen Beweisbarkeit man verzweifeln müsse, lediglich durch einen Instinct des Gefühls ergriffen werden könne. Im J. 1764 übernahm er (21 Jahre alt) Haus und Geschäft seines Vaters und verheirathete sich mit Betty v. Clermont (aus Vaels bei Aachen), einer ebenso trefflich begabten als hoch begüterten Dame, mit welcher er 20 Jahre in glücklichster kinderreicher Ehe lebte. Ein Familienlandsitz in dem benachbarten Pempelfort wurde allmälig die Stätte eines liebevollen persönlichen Umganges mit vielen hervorragenden Männern und Frauen, woran sich mittelbar auch ein reichhaltiger brieflicher Verkehr mit weiteren gleichgesinnten Kreisen knüpfte. Den Beruf des Kaufmanns gab J. auf, als er im Januar 1772 auf Vorschlag des jülich-bergischen Statthalters, Grafen v. Goltstein (Bd. IX. S. 348 ff.), zum Mitgliede der Hofkammer ernannt wurde, in welcher Eigenschaft er sich mit der Frage über die Regulirung des bergischen Rheinzolles zu beschäftigen und die Fabriken und Manufakturen der Herzogthümer behufs ausführlicher Berichterstattung zu bereisen hatte. Durch die amtliche Stellung kam er auch mit dem Münster’schen Minister, Franz Fr. Wilh. v. Fürstenberg (Bd. VIII. S. 232 ff.), dessen Haus gleichfalls ein Sammelpunkt der höheren gebildeten Gesellschaft war, in mehrfache Berührung, wobei jedoch später (1778) bezüglich der Klöster und Klosterschulen eine schroffe Meinungsverschiedenheit zu Tage trat. Nachdem J. durch seinen Bruder schon im Mai 1771 mit Wieland bekannt geworden, richtete er an letzteren im August 1772 einen Brief, welcher den Plan einer dem Vorbilde des Mercure de France entsprechenden Zeitschrift enthielt, und bald darauf wurde bei Wieland’s Anwesenheit in Pempelfort die Herausgabe des „Deutschen Mercur“ beschlossen. Allerdings ergaben sich in Bälde über die Richtung, welche dieses litterarische Organ einschlug, zwischen J. und [579] Wieland Mißhelligkeiten, welche schließlich zu einer tiefen Erschütterung der Freundschaft (1777) führten; doch lieferte J. in den Jahrg. 1774 des Mercur zwei Aufsätze, nämlich „Ueber Herder’s Erklärung von den thierischen Kunstfertigkeiten“, wobei er dieselben mehr mittelst einer Analogie mit der menschlichen Vernunftbegabung zu erklären versuchte, und „Briefe über des M. de Pauw Recherches philosophiques sur les Egyptiens et les Chinois“, worin er die damals zur Modesache werdende Schwärmerei für die genannten Völker auf ein richtigeres Maß zurückzulenken versuchte und auf das Abhängigkeitsgefühl, als auf das Princip aller Religionen hinwies.
Jacobi: Friedrich Heinrich J., geb. in Düsseldorf am 25. Januar 1743, † in München am 10. März 1819, zweiter Sohn eines begüterten Kaufmanns, zeigte schon als Knabe eine schwärmerische Anlage, indem er unter Verzicht auf kindliche Spiele mit einer frommen Magd seines Vaters religiöse Schriften las, sowie er auch nach seiner Confirmation in eine Gesellschaft eintrat, welche sich „die Feinen“ nannte und als Zweck die Erörterung religiöser Fragen pflegte. Darum wurde er auch in der Familie als minder fähig gegen seinen älteren BruderEntscheidend für Jacobi’s weitere Entwickelung war der Besuch Goethe’s, welcher auf einer gemeinschaftlich mit Lavater und Basedow unternommenen Reise am 21. Juli 1774 in Pempelfort eintraf. Ueber die Wirkungen der dort sofort geführten Unterredung dürfen wir wol die beiden Männer selbst sprechen lassen. J. schrieb an Sophie La Roche, „Goethe ist der Mann, dessen mein Herz bedurfte, der das ganze Liebesfeuer meiner Seele aushalten, ausdauern kann; mein Charakter wird nun erst seine ächte eigenthümliche Festigkeit erhalten“, und an Wieland (August 1774): „Was Goethe und ich einander sein sollten, sein mußten, war, sobald wir vom Himmel ’runter nebeneinander hingefallen waren, im Nu entschieden; jeder glaubte, von dem Andern mehr zu empfangen, als er ihm geben könne; Mangel und Reichthum umarmten einander; so ward Liebe unter uns“. Und daß dabei J. wol nicht ausschließlich der empfangende gewesen, bekennt Goethe selbst, welcher (Dichtung und Wahrheit, W.W., Bd. XXVI. S. 285 u. 290) schreibt: „Die Gedanken, die mir J. mittheilte, entsprangen unmittelbar aus seinem Gefühl, und wie eigen war ich durchdrungen, als er mir mit unbedingtem Vertrauen die tiefsten Seelenforderungen nicht verhehlte; aus einer so wundersamen Vereinigung von Bedürfniß, Leidenschaft und Ideen, konnten auch für mich nur Vorahnungen entspringen dessen, was mir vielleicht künftig deutlicher werden sollte … Wir waren beide von der lebendigsten Hoffnung gemeinsamer Wirkung belebt, dringend forderte ich ihn auf, alles, was sich in ihm rege und bewege, in irgend einer Form kräftig darzustellen“. Dieser Aufforderung Goethe’s entsprach nun J. durch zwei Schriftwerke, in welchen er in der That die innersten Regungen seiner Seele kund gab, nemlich durch „Allwill’s Briefsammlung“ und „Woldemar“, welch beide in mehrfacher Fortsetzung und Umgestaltung erschienen. Den Anfang des Allwill veröffentlichte J. im 4. Bde. der von seinem Bruder herausgegebenen „Iris“ (1775), dann folgte eine Fortsetzung im deutschen Mercur (1776), hierauf eine Neubearbeitung als „Ed. Allwill’s Papiere“ (1781) und abermals, aber immer noch unvollendet, als „Allwill’s Briefsammlung“ (1792); der Anfang des Woldemar erschien unter dem Titel „Freundschaft und Liebe“ im deutschen Mercur (1777), dann eine Fortsetzung „Der Kunstgarten, ein philosophisches Gespräch“ (1779), worauf beides vereinigt und umgearbeitet als „Woldemar“ veröffentlicht wurde (1781 und abermals in neuer Gestalt 1792). Beide Werke erregten größte Sensation in den gebildeten Kreisen und durften wol auch bei der damaligen Dürre der Tageslitteratur als ein Labsal von der Leserwelt genossen werden, insofern sie von einem warmen Enthusiasmus des Lebens durchweht waren. Es dürfte doch nicht so unrichtig sein, wenn man annahm, daß J. im Allwill den titanischen Uebermuth Goethe’s, im Woldemar hingegen seine eigene weiche Individualität vor Augen gehabt habe. Jedenfalls versuchte der Allwill den Nachweis, daß das geniale sittliche Individuum keiner äußerlichen Gesetzgebung der Moral bedürfe, welche immer nur eine erkünstelte Feststellung darbiete und durch ihre Schranken zu einer Vergewaltigung der Genialität führe, daß aber zugleich die Gefahr einer verwerflichen Unbändigkeit vermieden [580] werde, wenn das hoch begabte Individuum in sich den „ganzen“ Menschen zusammennehme und so seiner Selbstheit treu bleibe. Im Woldemar aber wird eben diesem Grundsatze, daß die Tugend ein Instinct sei und somit als freie Kunst geübt werde, die Wendung gegeben, daß durch Fügsamkeit unter die Gemeinschaft der Mitmenschen die im Moralgebiete gleich gefährlichen Gegensätze der starren Kälte der Ueberlegung und der stürmenden Gluth der Leidenschaftlichkeit hintangehalten werden. Allerdings lag es nicht in der Begabung Jacobi’s, etwa eine systematische Begründung und Entwickelung der Ethik zu versuchen, ja er wollte ausdrücklich der „Kothphilosophie seiner Tage eine Irreverenz erweisen“, aber er führte in die concrete Unmittelbarkeit der Menschenwelt ein, und wir werden durch ihn an den Standpunkt Goethe’s erinnert, daß alle Ideen nur soviel Werth haben, als sie Lebensfähigkeit in sich tragen.
Durch die Thätigkeit in der jülich-bergischen Hofkammer hatte J. die Aufmerksamkeit des baierischen Ministers, Grafen v. Hompesch (Bd. XIII. S. 64 ff.) auf sich gelenkt, welcher große Pläne betreffs der Besserung der Staatswirthschaft hegte, und so kam es, daß er im Januar 1779 vom Kurfürsten Karl Theodor unter Ernennung zum Geheimen Rath und Ministerialreferenten für Zoll- und Commercewesen nach München eingeladen wurde. Sehr bald aber ergaben sich dort Mißhelligkeiten, da J. sich heftig dem Plane widersetzte, die baierische Mauth auf Jülich-Berg auszudehnen. Während sein einziger Erfolg in einer Verordnung über die Maierschaftsfristen bestand, veröffentlichte er in den „Baierischen Beiträgen“ (1779) seine „Rhapsodien gegen die beliebte Thorheit der Leitung des Handels durch Auflagen und Verbote“, worin er die damals noch wenig gekannten Ansichten des Adam Smith vertrat. Darüber verfiel er als dünkelhafter und widerspenstiger Mann rasch in Ungnade und kehrte bereits im Juni 1779 wieder nach Düsseldorf zurück. Auf einer Reise, welche er im Sommer 1780 antrat, um seine zwei älteren Söhne aus Wandsbeck nach Hause zu holen, traf er am 5. Juli in Wolfenbüttel ein, wo er sofort Lessing besuchte und mit demselben aus Veranlassung des Goethe’schen Prometheus jenes Zwiegespräch führte, in welchem Lessing sich für den Spinozismus erklärte, während J. den Glauben an einen persönlichen zweckursächlich wirkenden Gott vertrat; hierauf ging die Reise nach Hamburg, wo Klopstock und Reimarus besucht wurden, dann nach Wandsbeck, wo die Söhne bei Matthias Claudius (seit 1778, vorher bei Basedow) erzogen worden waren; von dort wandte er sich nach Lübeck, wo er Gerstenberg besuchte, dann nach Braunschweig, wo er abermals mit Lessing zusammentraf, mit welchem er in Halberstadt einen Besuch bei Gleim machte, um hierauf über Goslar nach Hause zurückzukehren, woselbst sich alsbald ein näherer Verkehr mit der in Münster wohnenden Fürstin Gallitzin (Bd. VIII. S. 338 ff.) und dem sie begleitenden Hemsterhuis entspann. Veranlaßt durch zwei Aufsätze Wieland’s („Ueber das göttliche Recht der Obrigkeit“ und „Ueber das Recht des Stärkeren“) schrieb J. als Gegenschrift „Ueber Recht und Gewalt“ (1781 im deutschen Museum), worin er das Sittengesetz als einzigen Ableitungsgrund des Rechtes bezeichnete. Hierauf (1782) erschien „Etwas, das Lessing gesagt hat; ein Commentar zu den Reisen der Päpste“ (unter letzterem Titel nämlich hatte Johannes Müller eine Schrift zu Gunsten des Papstthums veröffentlicht), woselbst J. für Vertheidigung der Vernunft und der Freiheit gegen Despotismus und Willkür jeder Art eintrat. Verdächtigungen, welche hierauf von Seite Mendelssohn’s erfolgten, wies J. zurück durch „Erinnerungen gegen die Gedanken Verschiedener“. Auf ähnlichem Gebiete bewegte sich der Aufsatz „Ueber Mirabeau’s Werk Des lettres de cachet“ (1783 im deutschen Museum), in welchem er sich gegen eine auf Religion gegründete Gesetzgebung deshalb erklärte, weil erstere Sache des Menschen, nicht aber des [581] Bürgers, sei und auch nicht als Räderwerk zu vergänglichen Zwecken dienen dürfe. Nachdem J. durch Fräulein Elise Reimarus aus Berlin die Mittheilung empfangen hatte (März 1783), daß Mendelssohn ein Werk über Lessing zu veröffentlichen beabsichtige, gab er zunächst (Juli) die einfache Antwort, daß Lessing Spinozist gewesen sei, und auf die nun erfolgende Bitte um nähere Auskunft, theilte er (November 1783) an Elise den Inhalt jenes obigen Wolfenbütteler Gespräches mit. Hieran nun knüpfte sich im Verlaufe des Jahres 1784, in welchem J. in Folge des Todes seiner Gattin und eines jüngeren Sohnes tief gebeugt und körperlich leidend sich in das Bad Hofgeismar begab und von dort nach Weimar zum Besuche Goethe’s reiste, zwischen J. und Mendelssohn ein zahlreicher und ausgedehnter Briefwechsel, an dessen Veröffentlichung wol von keiner Seite gedacht worden war. Nachdem aber 1785 Mendelssohn’s „Morgenstunden“, welche eine Polemik gegen den Spinozismus enthielten, erschienen waren, beging J. die Rücksichtslosigkeit, ohne vorhergehende Anfrage oder Verständigung den ganzen Briefwechsel drucken zu lassen unter dem Titel „Briefe an Moses Mendelssohn über die Lehre des Spinoza“ (1785). Mendelssohn, welcher allerdings bezüglich des Verständnisses Spinoza’s schlimme Blößen gezeigt hatte, verfaßte sein „Sendschreiben an die Freunde Lessing’s“, dessen Drucklegung (1786) er nicht mehr erlebte, und J. entgegnete hierauf durch die Schrift „Wider Moses Mendelssohn’s Beschuldigungen“ (1786). Abgesehen von dem Charakter eines häßlichen persönlichen Gezänkes, in welches die Sache hiermit ausgeartet war, hatte J. dabei das Bekenntniß niedergelegt, daß nach seiner Ansicht der Spinozismus lediglich Atheismus, aber von Seite des logischen Verstandesgebrauches unüberwindlich sei, da jede Demonstration Gottes in spinozischen Fatalismus ausmünden müsse, wohingegen nur durch die Unmittelbarkeit des Glaubens an dem Dasein eines persönlichen höchsten Wesens festgehalten werden könne. Im J. 1786 besuchte er in London den ihm befreundeten Grafen Reventlow, welcher dort als Gesandter lebte, und im Anfange des J. 1787 war er am Sterbebette seines Anhängers Wizenmann in Mühlheim noch einmal mit der Fürstin Gallitzin zusammen, obwol durch deren Uebertritt zum Katholicismus bereits eine tiefe Kluft begründet war. Außer einer deutschen Uebersetzung des Hemsterhuis’schen Alexis (1787), beschäftigte ihn nun die Abwehr verschiedener Angriffe, da man in Folge der Schrift über Spinoza ihm blinden Glauben und Verachtung der Philosophie vorwarf. So entstand sein „David Hume über den Glauben“ (1787, die zweite Auflage trägt den Titel „Idealismus und Realismus“ und enthält eine Beilage „Ueber den transscendentalen Idealismus“), worin er darauf hinweist, daß alles Erkennen mit dem Glauben an die Wahrheit des Empfundenen und Vernommenen beginnen müsse und ebenso auch das Unbedingte, d. h. Gott, ebenso unmittelbar, wie es gegeben ist, empfunden werde, woran sich bereits die gegen Kant gerichtete Wendung knüpft, daß zu dem Ich, welches bei jenem schließlich allein in der Welt bestehe, unerläßlich ein Du gefordert sei. Und insbesondere gegen die Berliner Aufklärer, welche in ihrer Jesuitenriecherei alles Maß überschritten, wandte er sich durch ein „Schreiben an Friedr. Nicolai“ (1788) und durch „Betrachtungen über den frommen Betrug und über eine Vernunft, welche nicht Vernunft ist“ (1788 im deutschen Museum). Auch war eine neue Auflage der Schrift über Spinoza nothwendig geworden, welche J. durch 8 Beilagen vermehrte (1789). Die stille Muße der nächstfolgenden Jahre fand ihre angenehmen Unterbrechungen indem sich Hamann, Stolberg und Herder einige Zeit in Pempelfort aufhielten, wo auch Goethe zu einem zweiten Besuche eintraf (November 1792). Nachdem die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs XVI. eingetroffen war, erschien in [582] den Horen ein Aufsatz Jacobi’s „Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers“, ein wärmster Ausdruck des Abscheues.
Als im September 1794 die französischen Heere an den Rhein gerückt waren und bereits Düsseldorf bombardirt wurde, verließ J. Pempelfort und begab sich zunächst über Münster nach Hamburg und hielt sich hierauf theils in Wandsbeck bei Claudius, theils in Emkendorf im gräflich Reventlow’schen Hause, theils in Tremsbüttel bei Stolberg, am liebsten aber in Eutin auf, wo er sich eines reichlichen Verkehres mit Voß, Klopstock, Gerstenberg, Nicolovius, Reimarus, Baggesen, auch theilweise mit Niebuhr und Perthes erfreuen konnte; in Doberan kam er (1798) auch mit Hufeland zusammen. Neben einem im Jahre 1796 erschienenen „Schreiben über Schlosser’s Fortsetzung des platonischen Gastmahles“, in welchem er das Motiv der Liebe erörterte, begann er bereits im gleichen Jahre in Hamburg die Schrift von den göttlichen Dingen, welche er erst viel später herausgab. Als im J. 1799 Fichte’s Lehrthätigkeit in Jena ihr gewaltsames Ende gefunden hatte und desselben Vertheidigung gegen die Anklage des Atheismus erschienen war, veröffentlichte J. sein „Sendschreiben an Fichte“, in welchem er muthig für die Freiheit der Wissenschaft gegenüber den Uebergriffen einer fanatischen Orthodoxie eintrat, zugleich aber sich mit Fichte’s Wissenschaftslehre auseinandersetzte, in welcher er die Selbstwiderlegung des kantischen Idealismus bereits als gegeben ansah. Er gesteht zu, daß bei Fichte „die kantische Lückenbüßerei“ einmal aufgehört habe, und daß der Vorwurf des Atheismus mittelst der gleichen Thorheit auch gegen die Geometrie gerichtet werden könne, ja er nennt Fichte den Messias der speculativen Vernunft, aber er seinerseits fühlt sich von ihm so grundsätzlich als möglich geschieden, da jener wolle, daß auch der Grund aller Wahrheit in der Wissenschaft liege, während er selbst nur finden könne, daß das Wahre außerhalb sei, da, sobald es gewußt werden könnte, es aufhören würde, das Wahre zu sein. Verwandten Inhaltes ist die gleichzeitige Schrift „Ueber die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freiheit und Vorsehung vom Begriffe der Vernunft“ (1799), insofern er sich auch hier auf den unmittelbaren instinctiven Glauben beruft, sowie er in gleichem Sinne in der „Vorrede zu einem überflüssigen Taschenbuche für das J. 1800“ seinem Mißbehagen über die neueste Philosophie Ausdruck gibt. Ausführlicher gegen Kant war gerichtet „Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstand zu bringen“ (1801), worin J. nicht ohne Scharfsinn Blößen und Schwächen aufdeckte, von welchen man Kant’s System nie wird freisprechen können, und eindringlich auf das Erfassen des „unzerstückten Menschenwesens“ hinwies; wieder aber seiner eigenen Anschauung gab er in lebhaftester Weise das Wort in der Schrift „Ueber eine Weissagung Lichtenberg’s“ (1801), indem er die Unvertilgbarkeit des Glaubens an einen persönlichen Gott darzulegen versuchte. Im Sommer 1801 besuchte er seinen alten Wohnsitz Pempelfort und begab sich von dort im Spätherbste über Aachen nach Paris, von wo er im folgenden Frühjahre auf dem gleichen Wege zurückkehrte und nach Hannover ging, woselbst ihn ein länger dauerndes Augenleiden nebst Fieberanfällen überkam. Im Januar 1804 erhielt er aus Aachen die Nachricht, daß das Fabrikgeschäft, in welchem sein Vermögen angelegt war, nach dem Tode seines Schwagers rasch gesunken war und dabei zwei Drittel seines Kapitals verschlungen hatte. Entschlossen, fortan in völliger Zurückgezogenheit zu leben, ging er nach Hamburg und hierauf nach Eutin, wo ihn ein Brief des baierischen Ministers Heinr. Schenk traf, welcher ihn einlud, nach München überzusiedeln und bei der dort geplanten Umgestaltung der Akademie der Wissenschaften mitzuwirken. Im September 1804 nahm er diesen Ruf, welcher ihm sehr gelegen kam, an und im Mai 1805 verließ er Eutin, um über Berlin, [583] Leipzig, Dresden, Weimar, Frankfurt, Ems, Koblenz nach München zu reisen, wo er am 11. August eintraf. Zum Präsidenten der Akademie ernannt, hielt er am 27. Juli 1807 die Eröffnungsrede „Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck“, worin er einerseits die Kulturwirkung der freien auf religiösem Instincte sich aufbauenden Wissenschaft besprach, andererseits aber auch auf eine schlimme frühere Verwahrlosung hinwies, welche sich in Süddeutschland bemerklich mache. Durch letzteres erregte er mannigfachen Unwillen und führte jener Verfolgungssucht Stoff zu, welche sich in jenen Jahren in München gegen die neuberufenen Fremden (auch gegen Thiersch, Jacobs u. A.) wandte. Als Schelling, der damalige Präsident der Akademie der Künste, seiner Schrift Ueber die menschliche Freiheit (1809) mehrere Angriffe auf J. einverleibte, welcher nur durch seine beschränkte mechanische Denkweise zu seinen Urtheilen über Spinoza veranlaßt worden sei, nahm J. seine früher begonnene Schrift „Ueber die göttlichen Dinge“ wieder auf, um dieselbe, wie er sagte, als sein „philosophisches Testament“ auszuarbeiten. So erschien 1811: „Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung“, worin er von einer Recension der Werke des Matth. Claudius ausgehend, seinen längst eingenommenen Standpunkt der Unmittelbarkeit wiederholte und auf den im Menschen verborgenen wahren Gott hinwies, welchen mit den Lippen zu nennen Schelling sich scheue. War hiermit die zwischen beiden Männern längst bestehende Dissonanz völlig zum Ausbruche gekommen, wobei zugestanden werden mag, daß es J. nicht gelang, in das Verständniß der Schelling’schen Philosophie einzudringen, so war es doch ein eigenthümliches Vorgehen, daß Schelling in seinem entsetzlich groben „Denkmal der Schrift des Herrn Fr. H. Jacobi von den göttlichen Dingen“ (1812) jenes Nichtverstehen zur Lüge und Schlechtigkeit stempelte. Leider müssen wir mit jener Form der Schelling’schen Publication auch die alsbald (im September 1812) erfolgende Quiescirung Jacobi’s in eine nähere Verbindung bringen. Letzterer beschäftigte sich nun mit einer Gesammtausgabe seiner Werke, wobei er in der Vorrede des zweiten Bandes Gelegenheit nahm, noch einmal die ihn leitenden Grundsätze darzulegen. Die durch Jacobi’s Tod, welcher in Folge einer Gesichtsrose eintrat, unterbrochene Vollendung der Sammlung wurde (vom vierten Bande an) von Köppen und Friedr. Roth übernommen (zusammen 6 Bde., 1812–25); dazu kam: „Fr. H. Jacobi’s auserlesener Briefwechsel“ (2 Bde., 1825, besorgt von Fr. Roth) und später noch „Briefwechsel zwischen Goethe und J., herausgegeben von Max Jacobi“ (1846), sowie Rud. Zöppritz, Aus Jacobi’s Nachlaß (1869).
Die äußere Erscheinung Jacobi’s schilderte Christ. Heinr. Pfaff („Lebenserinnerungen“, S. 109) durch folgende Worte: „Er stellte den Philosophen und feinen Weltmann in harmonischer Verbindung dar, … von der edelsten Physiognomie im schönsten Ebenmaß aller Theile, mit schön gewölbter bedeutender Stirn, fein gebogener Nase, höchst geistvollem Blicke, mit großer Milde im Ausdrucke, einem leichten Zuge von Ironie um die feinen Lippen, von einer hohen schlanken Gestalt“. Nach seinem inneren Wesen war er der bedeutendste Vertreter der damaligen sog. Gefühlsphilosophie, welche von einem Kreise sinnesverwandter Männer und Frauen in einer Weise gepflegt wurde, daß das Virtuosenthum des Gefühles sich mit einem beseligenden Kultus der schönen Seele verband und so in geringerem oder höherem Grade zu selbstgefälliger Ueberhebung führte. Auch bei J. ist es die Selbstherrlichkeit des Gefühls, dessen tiefe Innigkeit ihn zum abgesagten Feinde aller logischen Deduction machte, welche ihm als Hexenrauch erschien. Er läßt in individuellen Bekenntnissen seine Gedanken laufen, wie sie kommen oder wieder abspringen, und Folgerichtigkeit eines philosophischen Sprachgebrauches würde man vergeblich bei ihm erwarten. [584] Er schreibt eigentlich nur für sich, weil nur er sich selbst versteht, und um seine Bekenntnisse auszudrücken, greift er zu allen Mitteln der Schreibweise, zu Gedankenstrichen, zu gesperrten Lettern, zu mehrfach gehäuften Aufrufungszeichen u. dgl. Seine Schriften sind durch äußere Veranlassungen hervorgerufen, über welche er sich mit verschiedenen Philosophen auseinandersetzen will, ohne selbst eine Philosophie zu haben, sowie er ja selbst sagte, daß es ihm nie in den Sinn gekommen, ein System für die Schule aufzustellen. Der Grundkern ist, daß er sich immer nur in einem Besitze, welchen er bereits hat, stärken will, d. h. in der lebendigen Ueberzeugung vom Dasein eines persönlichen Gottes, zu welchem man beten kann. „Ich bedurfte“, sagt er, „stets einer Wahrheit, die nicht mein Geschöpf, sondern deren Geschöpf ich wäre, und ich bin nicht und mag nicht sein, wenn nicht Gott ist“. Aber er verblieb stets in dieser Unmittelbarkeit des Gefühles und gelangte so zu all seinen negativen Richtungen gegen die Aufklärer, gegen Kant, gegen Fichte und gegen Schelling. Sehr richtig bezeichnend sagt er einmal: „Licht ist in meinem Herzen, aber sowie ich es in den Verstand bringen will, erlischt es“. Die gleiche Innerlichkeit der Stimmung schied ihn auch von der Orthodoxie, denn er war nicht streng bibelgläubig, insofern ihm die Offenbarung lediglich als innere Stimme galt. Wenn es ihm auch an Verständniß für das Gebiet der Natur ebenso sehr wie an Begabung zu systematischem Denken gebrach, hat er doch vielfach den kritischen Blick der Zeitgenossen bezüglich der damals sich entwickelnden Systeme der Philosophie geweckt und jedenfalls den idealen Werth des Menschenlebens in seiner Weise muthigst vertreten.
- Ferd. Deycks, Fr. H. Jacobi im Verhältniß zu seinen Zeitgenossen (1848). Eberh. Zirngiebl, Fr. H. Jacobi’s Leben, Dichten u. Denken (1867). Wilh. v. Bippen, Eutiner Skizzen (1859), S. 275 ff. Karl Biedermann, Deutschland im 18. Jahrhundert, II. Thl. 3. Abthlg. (1880), S. 849 ff. Außerdem näheres über die Philosophie Jacobi’s in den bekannten geschichtlichen Werken von Joh. Ed. Erdmann und Ed. Zeller.