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ADB:Jacobi, Maximilian

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Artikel „Jacobi, Karl Wigand Maximilian“ von Melchior Josef Bandorf in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 593–596, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jacobi,_Maximilian&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:55 Uhr UTC)
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Jacobi: Karl Wigand Maximilian J., Irrenarzt, geb. als jüngster Sohn des Philosophen Friedrich Heinrich J. zu Düsseldorf am 10. April 1775. Aufgewachsen im väterlichen Hause, das damals ein Sammelplatz der ersten geistigen Größen Deutschlands war, erhielt er seine erste Bildung durch Heinrich Schenk (später Geheimrath in München), dann auf dem Düsseldorfer Gymnasium. Zu Ostern 1793 bezog er die Universität Jena, wo er zu den Schülern Hufeland’s, welcher eben seine Lehrthätigkeit begonnen hatte, gehörte. Auch Goethe zog ihn in seine Gesellschaft und frischte mit ihm seine anatomischen Studien auf. 1795 ging er nach Göttingen, von da nach Edinburgh; am 21. Februar 1797 wurde er an der später aufgehobenen Universität Erfurt zum Doct. med. promovirt. Im Holsteinischen, wohin sein Vater nach der französischen Invasion der Rheinlande gezogen war, vermählte er sich mit einer Tochter des „Wandsbecker Boten“, begann dann seine ärztliche Praxis in Baëls bei Aachen, von wo er 1800 nach Eutin übersiedelte. Der Wunsch, sich in der Chirurgie weiter auszubilden, veranlaßte ihn nach London zu gehen, wo er anderthalb Jahre lang in verschiedenen Spitälern fungirte. Auf kurze Zeit nach Eutin zurückgekehrt, wo er auch seit 1801 Stiftsarzt war, folgte er 1805 seinem nach München berufenen Vater und trat als Obermedicinalrath in baierische Dienste. Er wurde jedoch der administrativen Thätigkeit bald müde und verließ München, wo ihn außer seinem Vater die befreundeten Familien Roth, Niethammer u. A. vergebens zurückzuhalten versuchten, 1812 um die Stelle eines Oberarztes und Vorstandes von St. Johann im damals baierischen Salzburg anzunehmen. Das J. 1816 führte ihn in die Heimath zurück, und zwar nach Düsseldorf in die [594] Stellung eines Regierungs- und Medicinalrathes. Vier Jahre später, mit 45 Lebensjahren betrat er endlich das Gebiet, auf welchem er bald einer der ersten Meister werden sollte. Als nämlich Minister Altenstein sich mit den Plänen zur Einrichtung und Leitung einer neu zu gründenden Irrenheilanstalt für die Rheinprovinz trug, wählte er J. zur Ausführung derselben. Eine größere wissenschaftliche Reise, auf welcher er sich mit dem Stande des Irrenwesens in den verschiedenen Anstalten vertraut gemacht hatte, bereitete ihn auf seinen künftigen Beruf vor, sodann nahm er – man hatte inzwischen die Gebäude der ehemaligen Abtei Siegburg bei Bonn als für die Einrichtung einer Anstalt geeignet befunden – seinen Wohnsitz in Bonn, um den Arbeiten näher zu stehen. Eine entzündliche Gehirnerkrankung, die ihn hier alsbald befiel, brachte ihn dem Tode nahe, doch genas er unter der aufopfernden Pflege des Klinikers Friedrich Nasse, mit welchem er innig befreundet wurde, und welcher sehr fördernd auf seine psychiatrische Richtung einwirkte. Außerdem fand er in Bonn einen Kreis hervorragender Männer, wie Windischmann, Sack, Nitzsch, Lücke, Brandis und seinen alten Stubenburschen Moritz Arndt, mit denen er in anregenden Verkehr trat. Am 1. Januar 1825 wurde die Anstalt zu Siegburg eröffnet, wo er fortan über 33 Jahre bis zu seinem Tode wirkte. Anfangs mit vielen veralteten Krankheitsfällen besetzt, so daß die Anstalt in Wahrheit fast eine Pflege- keine Heilanstalt war, gelang es seiner Thatkraft und Energie bald, ihr den Charakter des Heilinstitutes wiederzugeben. Die vielfachen praktischen Erfolge, welche die Anstalt dann aufzuweisen hatte, machten sie rasch berühmt und trugen zu gleicher Zeit viel dazu bei, daß auf dem Gebiet der Irrenfürsorge in Deutschland eine eifrige Thätigkeit sich entfaltete. Siegburg war von da ab die förmliche Hochschule für alle deutschen Aerzte, welche sich der Irrenheilkunde widmen wollten, ein Stelldichein für alle Fachgenossen, die hier Anregung und Belehrung fanden. Ueber Deutschland, ja über Europa hinaus drang der Ruf Siegburgs und ihres Leiters, welcher nicht nur als Praktiker, sondern auch als Forscher in höchstem Ansehen stand. Als er sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum feierte, wurden ihm von allen Seiten und aus allen Gegenden Deutschlands, von Frankreich, England und Amerika die ehrendsten Glückwunschbezeugungen zu Theil (vgl. Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. IV, pag. 346). J. hatte noch das Glück, dieses seltene Fest um 11 Jahre zu überleben in immer gleichem Eifer und Streben für seinen Beruf und seine Wissenschaft, obwol er in den letzten Lebensjahren viel an Migräne litt und fast völlig zu erblinden drohte. Eine Gesichtsrose setzte nach einem Krankenlager weniger Tage seinem Leben ein Ziel zu Siegburg am 18. Mai 1858. Wie es ihm schon im Leben nicht an äußeren Anerkennungen gefehlt hatte, er war Geheimer Obermedicinalrath, Ritter des rothen Adlerordens II. Classe mit der Schleife und Eichenlaub, Ehrendoctor der philosophischen Facultät zu Bonn, Ehrenmitglied vieler gelehrten Gesellschaften des In- und Auslandes, so folgte ihm auch im Tode die allgemeine Verehrung und Anerkennung nach.

Während die erste Lebenshälfte Jacobi’s wenig Spuren einer bedeutenden Thätigkeit hinterließ – zu erwähnen ist er nur als Uebersetzer des Herodot und Thucydides, als Verfasser einiger kleiner medicinischer Aufsätze und gemeinsam mit Sim. Häberl als Herausgeber der „Jahrbücher des Sanitätswesens im Königreich Bayern“, 1810 – hat er in seiner psychiatrischen Wirksamkeit geradezu Großartiges geschaffen. Als er sich der Psychiatrie zuwandte, lag das Irrenwesen Deutschlands im Argen, seine wissenschaftlichen Vertreter hatten sich in zwei Lager gespalten und bekämpften sich in ermüdendem Theorienstreite. Da trat J. auf und ging mit unbefangenem Blick und in thatkräftiger Weise an die praktische und wissenschaftliche Förderung der Irrenheilkunde. Gegenüber [595] der damals sich mehr und mehr ausbreitenden psychischen Schule der Psychiatrie stellte er dem Standpunkte des Psychologen und Philosophen den des Naturforschers entgegen, dessen Aufgabe die Erforschung des menschlichen Organismus und der Gesetze aller diesem eigenthümlichen Lebenserscheinungen sei, also auch der psychischen Erscheinungen, allein nur insoferne sie Naturerscheinungen seien. Die Nachweisung ihres Hervorgehens, ihres Zusammenhanges und ihrer Veränderungen aus den Gesetzen des Organismus sei vor Allem zu erforschen. Alle Seelenstörungen beruhten auf körperlichen Abnormitäten, oder seien vielmehr nur Symptome körperlicher Erkrankung. J. ging jedoch noch weiter, indem er, wie dies schon der Titel seiner „Beobachtungen über die Pathologie und Therapie der mit Irresein verbundenen Krankheiten“, 1830 andeutet, die Geistesstörungen nicht als selbständige Formen sondern nur als Symptome irgend einer somatischen Krankheit auffaßte und annahm, daß die mit Seelenstörung verbundenen Krankheiten bald diese bald jene Sphäre, bald dieses bald jenes einzelne Gebilde, bald diesen bald jenen Complexus von Gebilden des Gesammtorganismus ergriffen, während der Gehirnerkrankung selbst nur eine ganz untergeordnete, secundäre Rolle zukomme. In echt naturwissenschaftlicher Methode hat J. diese theoretisch aufgestellten Propositionen in der Praxis begründet. Obwol er nicht ganz auf der Höhe der ärztlichen Wissenschaft stand und nicht mit ihren Fortschritten gleichen Schritt zu halten vermochte, so daß er in späteren Jahren in den diagnostischen Behelfen und der pathologischen Anatomie manche Mängel zeigte, schuf er doch in seinen „Annalen der Irrenheilanstalt zu Siegburg“, 1837 und in den „Hauptformen der Seelenstörungen in ihren Beziehungen zur Heilkunde“, 1844, Werke von immer bleibendem Werthe. Flemming (Pathologie und Therapie der Psychosen, S. 17) nennt ihn in Anbetracht der Verdienste um die pathogenetische Untersuchung der Seelenstörungen den Baco der Irrenheilkunde. Das letztere Werk war auf drei Bände berechnet, leider ist nur der erste über Tobsucht erschienen. In diesem ist die ganze Symptomatologie der mit Tobsucht verbundenen Krankheitszustände, die Blutbewegung, die Respiration, die Verdauung, Ernährung etc. und schließlich die psychischen Erscheinungen mit solcher Gründlichkeit und Genauigkeit durchforscht, daß überall neue, zum Theil überraschende Resultate sich ergeben. In der Behandlung der Geistesstörungen verfolgte J. zwei Wege, die bald einzeln bald zugleich in Anwendung gezogen werden müssen: einerseits die Anwendung der zu Gebote stehenden Medicamente und diätetischen Mittel, andererseits directe Einwirkung auf die Gemüthskräfte, um durch deren Rückwirkung auf den Organismus, insofern ihre Aeußerung eine correspondirende organische Thätigkeit bedingt, die Krankheit zu heben. Diese psychische Einwirkung sei eine rein humane, rein individualisirende, unter Umständen sei aber auch Strenge nicht auszuschließen.

Im Anstaltswesen verpflanzte J. zunächst die englischen Erfahrungen nach Deutschland, so schon bei der Einrichtung Siegburgs. Sein Werk „Ueber Anlegung und Einrichtung von Irrenheilanstalten mit ausführlicher Darstellung der Irrenheilanstalt Siegburg“, 1834 bezeichnet einen neuen Abschnitt in der Irrenfürsorge. In mehrere Sprachen übersetzt, diente es nicht nur in Deutschland sondern sogar im fortgeschrittenen England als Leitfaden in den einschlägigen Fragen (vgl. auch: „Nachrichten über einige öffentliche Irrenanstalten in England" in Jacobi’s und Nasse’s Zeitschrift, 1838, S. 311–595 und den Artikel „Irrenanstalt“ in Wagner’s encyklopädischem Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, 1839, Bd. XIX). 1851 erschien sein letztes Werk: „Natur und Geistesleben, der Sinnenorganismus in seinen Beziehungen zur Weltstellung des Menschen“. Es behandelt die vielbesprochenen Fragen, welches die Beziehungen von Leib und Seele seien, und welches die verschiedene Stellung, welche [596] die organischen Wesen dabei einnehmen. Im Wesentlichen führen seine Ansichten nicht über den Kreis solcher Vorstellungen hinaus, welche schon sonst geltend gemacht worden sind, obwol manche Gesichtspunkte von ihm schärfer hervorgehoben, manche etwas anders gewendet, manche Unterschiede anders gefaßt und Grenzen anders gelegt worden, als man es sonst findet. Einen wesentlichen Fortschritt begründet die Schrift nicht, eine Klärung in den strittigen Gebieten giebt sie nicht. In der Vorrede spricht er die Absicht aus, in einem besonderen Werke zu demjenigen, was bisher insgemein als Psychologie der Thiere und zum Theil auch des Menschen behandelt wurde, als einem Zweig der Physiologie, wenigstens einen weiteren Beitrag zu liefern. Er kam nicht mehr zur Durchführung dieses Planes. Seine letzte Arbeit war die Abfassung eines Gutachtens über die Errichtung einer Anstalt für Blödsinnige (Allgem. Ztschr. f. Psych. Bd. XVI, S. 319).

Vgl. Allgem. medicinische Centralzeitung von Posner, 1858. Nr. 66, 82 und 83.