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ADB:Loeper, Gustav von

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Artikel „Loeper, Gustav von“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 70–76, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Loeper,_Gustav_von&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 17:20 Uhr UTC)
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Band 52 (1906), S. 70–76 (Quelle).
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Loeper: Joh. Ludw. Gustav von L., Jurist, zu Namen gekommen als Goetheforscher, wurde am 27. September 1822 zu Wedderwill in Pommern geboren. Er studirte Jura und Cameralia zu Berlin und Heidelberg und ward, nach längerer richterlicher Thätigkeit, im Ressort des königlich preußischen Hausministeriums 1854 angestellt. Wie er seine ferneren Berufsstudien bloß im Amte und für dies pflegte, so umfaßte seine Wirksamkeit während der folgenden 32 Jahre sämmtliche Zweige der Kronverwaltung, und zwar galt sie vorzüglich der Praxis des Staats- und Privatfürstenrechts sowie des Herkommens im Haus Hohenzollern. Demgemäß lag ihm auch die Führung aller in dies Gebiet einschlagenden größeren Processe ob, und er durfte sich rühmen, keinen einzigen davon verloren zu haben. Auf diesem Felde glückte ihm inbesondere die gerichtliche Verfechtung der Ansprüche des preußischen Königshauses auf den Allodialnachlaß der ausgestorbenen Bernburger Linie der anhaltschen Herzogsdynastie 1863, sowie der Gewinn der großen Herrschaften Schwedt in Brandenburg und Oels in Schlesien für das Krongut. Im J. 1865 war L. vortragender Ministerialrath geworden, 1876 zugleich Director des Königl. Geh. Hausarchivs, 1879 Regierungsrath erster Classe. Im Sommer 1886 beim Fünfjahrhundert-Jubiläum der Heidelberger Universität von dieser wegen seiner Leistungen im Privatfürstenrecht zum Dr. jur. honoris causa promovirt, trat er im October als Wirklicher Geh. Rath mit dem Excellenz-Prädikat in den Ruhestand, um sich nun, seit Eröffnung und Erschließung des Goethe-Archivs zu Weimar, ausschließlich den seit vier Jahrzehnten in Mußestunden, gleichsam nebenamtlich, getriebenen entsprechenden Studien zu widmen. Nachdem er sich, wenn schon meist auf Reisen lebend, noch rege an den Arbeiten der Goethe-Gesellschaft beteiligt hatte, ist L. am 13. December 1891 dieser, seinen Verehrern und Bekannten, voran den vielen auf ihn bauenden Goetheforschern entrissen worden.

In Berlin gestorben, wurde Gustav v. L. „seiner Bestimmung gemäß auf einer Familienbesitzung in Pommern beigesetzt. Dadurch wurden seine Amtsgenossen, Freunde und Verehrer, deren er in Berlin viele besaß, verhindert, dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Schon diese Bestimmung bewies zwei wesentliche Züge seines Charakters: eine rührende Pietät dem Aelteren und Vergangenen gegenüber und eine gewinnende Schlichtheit seiner Persönlichkeit. Gerade die letztere machte sich im Verkehr ungemein erfreulich geltend. Niemals kehrte er den hohen Beamten hervor, niemals trug er den gerühmten Forscher, den Aelteren, Erfahrenen, weniger bewährten Gelehrten, jüngeren Fachgenossen gegenüber zur Schau. Bescheidenheit, Hülfsbereitschaft waren hervorstechende Züge seines Wesens . Nur auf die Sache sah er, nicht auf die Person. Von jener Vornehmheit getragen, die man als Charakterzug wahren Adels zu bezeichnen gewohnt ist, war er allen, denen er ernstes Streben zutraute, ein hülfsbereiter Förderer, dessen Wissen nie versagte“.

Vorstehende klare, phrasenlose Charakteristik des Menschen und Gelehrten, den Eingang des Ludwig Geiger’schen Nekrologs bildend, bezieht sich doch fast ausschließlich auf den Goetheforscher. Als solcher nimmt L. schon insofern eine Ausnahmestellung ein, als er seine wissenschaftlich-litterarische Arbeit ganz und gar der Goethe-Kenntniß und -Erkenntniß zu gute kommen ließ. Denn auch seine wenigen Artikel die (A. D. B. II, 578; XXI, 324/45) Bettina v. Arnim, Felix Mendelssohn-Bartholdy u. A. schildern, haben eben sichtlich nach diesen Persönlichkeiten gegriffen, weil sie enge Beziehungen zu Goethe besitzen, und letztere bilden für L. den nächsten Anziehungspunkt. Wenn man Loeper’s Verhältniß zu seinem vergötterten Weimarer Olympier, dem schon der Schüler des Berliner Joachimsthaler Gymnasiums durch Anlage von Collectaneen Respect und philologisches [71] Interesse wenig Zeit nach des Genius Tod bezeigt hatte, mit der Hingabe anderer Goetheforscher vergleicht, so gewinnt er durch die natürliche Grundlage seiner ganzen Beschäftigung mit dem ihm zur Herzenssache gewordenen Fache: den Dilettantismus im guten Sinne. Dieser hatte freilich mit Oberflächlichkeit gar nichts gemein, sondern unterschied sich zum Vortheile seiner Arbeitsweise von der verknöcherten Methode mancher zunftmäßigen „Goethepfaffen“ – wie urtheilslose Schöngeister die Vertreter intimster Hingabe an den unergründlichen, gleichsam polyhistorischen Olympier, so auch L. selbst, zu höhnen beliebten – durch ein naives Verfahren, ohne vorgefaßte einseitige litterarhistorische Maßstäbe. Aus der leidenschaftlichen Liebhaberei des Jünglings erwuchs durch die Uebergangsstufe, Goethe’sche Schriftstücke zu sammeln, bald wahrhaftiges wissenschaftliches Streben. Die von ihm zusammengebrachten Schätze ließen ihn schon 1860 berufen erscheinen, bei der Goethe-Ausstellung zu Berlin in den Vordergrund zu treten, und er besaß bald eine kostbare Special-Bibliothek. Diese Liebe zum Einzelnen und Kleinen hat ihn nie kleinlich gemacht im Eifer, auch das zunächst Unbedeutende an Deutschlands größter Litteraturgestalt ans und ins Licht zu stellen. So ist er vor dem Fluche der Versteifung und der Lächerlichkeit bewahrt geblieben, welche einige seiner Genossen ereilt hat, Vor allem bekanntlich Heinrich Düntzer [WS 1], Loeper’s bitteren Fehde-Gegner. Sonst ist er nie mit Jemand bös aneinander gerathen. Nennt ihn doch einer seiner genauesten Kenner und Bekannten, Hermann Grimm [WS 2], „gütig und wohlwollend denen gegenüber, die sich in idealen Dingen an ihn wandten; kalt und hart, wenn etwas seinen Anschauungen widersprach. Er war weder liebenswürdig noch gesprächig noch gewandt, aber es umstrahlte sein Wesen Hingebung an den Mann, dem er sich geweiht hatte, Ehrlichkeit im Ausdrucke seiner Meinung, Unermüdlichkeit in der Verfolgung seiner Aufgabe und Abwesenheit jeder neidischen Regung“. Loeper’s übertrieben feiner Takt und beinahe feudale Zurückhaltung wich aus dem Rahmen der üblichen Goetheforschung. Grimm verknüpft Loeper’s gesellschaftliche Position eng damit: „Er war Corpsbursche gewesen und zu hohen Aemtern gelangt. Dies erforderte immer eine gewisse ideale Rücksichtnahme. Auch legte er einen Accent darauf, der Jedem wohl ansteht, der ihn aus voller Berechtigung anwendet, daß er ein ‚preußischer Edelmann‘ sei … L. war aber auch vornehmer Beamter. Es lag in seinem Gefühl, Goethe näher zu stehen, eine Mischung aller dieser Elemente, und zwar eine harmonische … In dem geistigen Haushalte des großen todten Goethe war L. der Hofmarschall. Und doch fehlte ihm alles zum Hofmanne.“

L. hatte als Erster die Nothwendigkeit und den Termin für gekommen erachtet, eine methodisch-sachlich geordnete und dazu erklärte Gesammt-Ausgabe der Goethe’schen Leistungen in Angriff zu nehmen. Diese, nach ihrem Verleger Gustav Hempel in Berlin, der kritische und erläuterte Neudrucke aller nennenswerthen deutschen Dichtungen der classischen Periode nebst deren nächsten Nachfolgern unter den Fittichen seiner Firma vereinigte, gemeiniglich „Hempel’sche Ausgabe“ betitelt, trat sogleich nach dem Erlöschen des Originalprivilegs 1867 hervor und fand immer mehr in L. ihren Hauptredactor. Beim dritten Bande der „Gedichte“, die Friedr. Strehlke herausgab, gab L. vorerst Rathschläge, etliche ungedruckte Verse, auch hie und da Erläuterungen. Dagegen erweisen die Bände 4/5 (1872), den „Westöstlichen Divan“ enthaltend, 12/13 (1869, 2. Aufl. 1879), beide Theile „Faust“, 19 (1870), die „Sprüche in Prosa“, 20/23 (1874–77), „Dichtung und Wahrheit“, denen sich einige mit zweitrangigen Schriften zugesellten, Loeper’s Eignung zum Goethe-Commentator im hellsten Lichte. Diese Neudrucke mit ihren phrasenlosen Einleitungen, [72] wo ebenso wenig wie in den Anmerkungen der Nachdruck auf dem Aesthetischen liegt, sowie der in fachlicher Hinsicht überaus sorgfältigen Aufhellung der Einzelstellen haben L. Namen und Ruhm erworben. Wie überall bei seiner Beschäftigung mit Goethe, ging er auch hier vom äußeren Dasein, seinen menschlichen und geistig-litterarischen Beziehungen aus. Dabei ist in seine liebevoll nachgehende Verehrung etwas wie beamtliche Aufsicht gemischt, die sich nichts entwischen lassen will. Dem entsprach seine ständige Arbeitsweise. Julian Schmidt, dem stets die großen Züge und Zusammenhänge vorschwebten, auch Hermann Grimm, dessen Gesichtspunkte bei Betrachtung Goethe’s auf ganz anderem Brette lagen, bewunderten Loeper’s allezeit gegenwärtige Kenntniß unzähliger Goethe betreffenden Dinge. So hat denn auch L. im breiten Publicum als ein Mitrepräsentant einer zwar subtilen, aber doch am Einzelnen und Aeußerlichen haftenden Goethe-Mikrologie gegolten; ganz zu Unrecht. Um das Einzelne in des Großmeisters Leben und Streben rastlos bemüht, wollte er damit bloß der Totalität der Erscheinung, zunächst der Dichtung, sodann des Dichters, dienen. Als die Summe dieses Schürfens erscheint zwei grundverschiedenen Beurtheilern und Nekrologisten Loeper’s, Hermann Grimm und O. Harnack [WS 3], sein immer greifbarer vorrückender Plan, auf dem sicher bereiteten Unterbau ein umfassendes Gemälde Goethe’s zu errichten: dies würde, gleichsam der Gipfel der ein Menschenalter langen Mannesarbeit, diese gekrönt und die Weimarer Sophien-Ausgabe als schönster objectiver Führer würdig ergänzt haben; denn dieser officiellen „Standard Edition“ (so heißt er selbst sie 1886) sollte, dem Beschlusse ihrer Leitung gemäß, Loeper’s abschließende Goethe-Biographie angefügt werden, und sie wäre zweifellos eine Zier jener geworden, sogar ohne den Schmuck blühenden und sogen. geistreichen Stils, eine L. allerdings versagte Eigenschaft – dies wohl eine Folge seiner streng sachlichen, im höheren Sinne bescheidenen Art.

Unter solchen Umständen stellen sich seine erläuternden Beigaben zu „Dichtung und Wahrheit“ als Muster des ihm angeborenen Verfahrens dar. Diese seine Beleuchtung der Poeten-Jugend birgt eine riesige Fülle von Nachrichten über den Altfrankfurter Boden, dem Goethe entstieg, sammt solchen über seine Lebens- und Zeitgenossen und verbleibt drum auch nach all dem neueren Pflügen im selben Acker, bis auf R. Wülker’s [WS 4] Ausgabe mit Bildern, das Fundament der Forscher und Neugierde. Daneben setze man seine Erklärung der „Sprüche in Prosa“, der „Maximen und Reflexionen“ als typisch: der Herkunft der darin niedergelegten Goethe’schen Ideen spürt L. nach Anlässen und wirklichen Vorlagen mit umsichtigster Gelehrsamkeit nach, nicht weniger ihrem Fortleben inner- wie außerhalb der deutschen Litteratur, wobei die Erledigung von Wechselbeziehungen und scheinbaren Widersprüchen der Goethe’schen Einzelnummern keineswegs zu kurz kommt. Dieser Commentar, nicht nur ein Speicher poetischer und gedanklicher Parallelen, sondern fast allenthalben aus seines Verfassers gründlichem philosophischen Wissen gespeist, ist neben dem zu „Aus meinem Leben“ das ausführlichste Stück in Loeper’s einschlägiger Arbeit, im Verein mit dem für des „Faust“ klare Wort- und Ideen-Auslegung Geleisteten auch das bleibendste. Von letzterem Commentar, „einem Werk eminenten Verdienstes, besonders in Bezug auf den zweiten Theil“, rühmt O. Harnack: er „erwies die einzelnen Acte des überreichen Werkes als dramatisch geschlossene, auf den theatralischen Effekt berechnete Bühnendichtungen, die nicht durch Spitzfindigkeiten, sondern durch die Aufführung dem Publicum zugänglich zu machen seien, er zeigte den Fortschritt der ganz realen Handlung in ihrem Causalzusammenhang vom Prolog im Himmel bis zur letzten Verklärungsscene. Eben dadurch vermied er auch andererseits die [73] zerstückelnde Auslegung des Werkes, die im Gegensatz zu der allegorischen aufgekommen ist“. In der Phalanx der kundig unentwegten Vorkämpfer der „Faust“-Einheit spielt L., ungeachtet der bei ihm naturgemäßen vielseitigen Beseitigung zahlloser kleinen Schwierigkeiten im Verständniß, eine Hauptrolle. Außerdem hat L. die „Briefe Goethe’s an Sophie von La Roche und Bettina Brentano nebst dichterischen Beilagen [nämlich: „Des Künstlers Vergötterung. Drama von Goethe, 1774“, und „Goethe’s Uebersetzung des Hohen Liedes. 1775“] herausgegeben“ (1879), „zum Besten des in Berlin zu errichtenden Goethe-Denkmals, natürlich mit sorgsamer Einleitung und Textnotizen; endlich den Anfang einer leider steckengebliebenen zweiten Auflage der Hempel’schen Goethe-Ausgabe (1882–84), nämlich in drei Bänden eine ausführlich erläuterte Revision der „Gedichte“: ein überaus dankenswerthes Unternehmen, dessen Sonderergebnisse dem unentbehrlichen Rüstzeuge der Goethe-Philologie zugehören.

Seltsam, aber hinwiederum bezeichnend für Loeper’s vorsichtige, lediglich dem ernstlichen Studium ergebene Ader muthet sein zurückhaltendes Verhalten gegenüber dem „Goethe-Jahrbuch“ an, wie Ludw. Geiger, 1879 dessen Gründer, erzählt. Für dessen ersten Band spendete L. nur zwei kleine Briefe, als aber zu seiner lebhaften Genugthuung dies neue Organ bald bedeutende zusammenschließende, nicht, wie er befürchtet hatte, zersplitternde und absondernde Fähigkeiten entfaltete, wurde er sein regelmäßigster Mitarbeiter, sodaß er öfters das Erscheinen kaum erwarten konnte und zum Herausgeber ging, um Einsicht zu nehmen. Er arbeitete einen Band gründlich durch und schickte dem Leiter einsichtige beurtheilende oder berichtigende Notizen, ganz ähnlich, wie er auf die ihm vorgelegten Correcturbogen des H. Grimm’schen „Goethe“ (1877) in oft langen Briefen seine Glossen folgen ließ. Seit Band II hat er zu jedem mindestens einen größeren, meistens auch einige kleinere Beiträge geliefert, ja, einige Jahrgänge enthalten bis acht Mittheilungen aus seiner Feder, und noch in dem nach seinem Tode vertreten ihn zwei Miscellen, der Redaction drittehalb Wochen vor dem Hintritt übersandt. In der Jahrbuchs-Commission der Goethe-Gesellschaft, wo er seit 1887 saß, bekundete L., wie stets, ein ausgedehntes Wissen und humanes Wohlwollen. Ueberhaupt war für ihn mit dem Jahre 1885, als die Goethe-Gesellschaft sich, mit auf seinen Betrieb, constituirte, eine neue Centrale seiner Goethe-Arbeit gegeben. Seit Anfang im Vorstande, ward er 1887 erster Stellvertreter des Vorsitzenden und hat so noch im Mai seines Sterbejahrs präsidirt. Der Geschäftsführende Ausschuß hat ihm zuerst etwas kühl nachgerufen: „Um die Gesellschaft hat sich Herr von Loeper durch einsichtsvolle Betheiligung an allen ihren Veranstaltungen, z. B. am Goethe-Jahrbuch, großen Dank erworben; die durch seinen Tod entstandene Lücke hierbei wie bei der Bearbeitung der neuen großen Goethe-Ausgabe wird nicht leicht auszufüllen sein“. Das lautet nun freilich matt für den, der über Loeper’s intensiven Antheil an der (1885 ihm mit W. Scherer und Erich Schmidt [WS 5] anvertrauten) Redigirung der bis 1891 erschienenen Ausgabe der sogen. Sophien-Ausgabe Goethe’s Bescheid weiß oder gar davon, daß L. zusammen mit Wilhelm Scherer, nachdem die Goethe-Originalien in Weimar der Nutzbarkeit zufielen, die Grundsätze der Herausgabe festgestellt und für die einzelnen Werke die Bearbeiter auserkoren. Ungemein nett schildert Hermann Grimm die Capitulation des schon schön bewährten Goethe-Herausgebers L. vor der philosophischen Uebermacht des genialen Lachmannianers Wilhelm Scherer, der mit bisher den litterarhistorischen Goetheanern häufig gleichgültigen Mitteln einen „sauberen Text“ anstrebte, und wie das Aufkommen der Goethe-Gesellschaft mit ihrer neuen Ausgabe dem Zusammenwirken dieser Männer ein prächtiges Feld [74] eröffnete. In dieser Hinsicht trägt der Geschäftsbericht der Goethe-Gesellschaft betreffs des Goethe-Archivs Loeper’s Bedeutung Rechnung: „So bleibt ein Name zu nennen, der mit der Anstalt aufs engste verknüpft ist, und ein Ereigniß, das sie aufs tiefste berührt. Wir betrauern den Tod des Mannes, der des Archivs erster freiwilliger Beamter, ja sein Begründer gewesen ist. Der, wenn er hereintrat, nicht wie ein Gast, sondern als der geehrteste Hausgenosse begrüßt war. Der zu uns gehörte in jedem Betracht. Gustav v. L. war der Unsrige, und er bleibt es. In seiner Treue und Hingabe wird er den Genossen des Archivs stets ein Vorbild sein, und solange wir am Werke sind, wird seiner gedacht werden an der Stätte, wo er sich heimisch fühlte. Die Idee einer fortwirkenden Arbeitsgemeinschaft hat ihn selbst beseelt“ – L. hat nämlich letztwillig seine Vorarbeiten, Collectaneen, auch die Bücher, soweit sie auf Goethe oder Schiller Bezug haben, insbesondere diejenigen mit eigenhändigen Einträgen, dem Goethe-Schiller-Archiv beziehentlich der Gesellschaftsbibliothek vermacht: 256 Nummern außer einer Masse kleinerer Sonderabdrucke und Zeitungsabschnitte.

Wenn nach einer so weit ausholenden, geradezu einschneidenden Wirksamkeit, die in ihrer Emsigkeit und Gründlichkeit vorbildlich war, in der Goethe-Gemeinde der Verlust Loeper’s als höchst schmerzlich, ja unersetzlich beklagt worden und diese Empfindung bei allen Anlässen zu Nachrufen deutlich zum Ausdruck gelangt ist, so wiegt das Votum seines einzigen, allerdings auch erbitterten Widersachers, Heinrich Düntzer’s, um so schwerer, wenn er einer überaus scharfen Kritik jener Loeper’schen Neuausgabe der ersten 2 Bände des Hempel’schen Goethe schon 1884 vorausschickt: „Von dem, was seit einem Menschenalter auf dem weiten Gebiete der Goethekunde erschienen, entging ihm kaum etwas; dabei ist er nicht bloß in der deutschen, sondern auch in der fremden Litteratur sehr bewandert. Auch hatten seine bisherigen Arbeiten sich um so glänzenderer Anerkennung zu erfreuen, als die eindringliche Beschäftigung eines hochgestellten Beamten mit unserem Dichterfürsten an sich sehr erfreulich sein mußte.“ Freilich stößt Düntzer im Verlaufe dieser und seiner ferneren Betrachtungen der Loeper’schen Goethe-Editionen dies allgemeine Lob in breitester Polemik völlig um. L. ist dem Kölner Angreifer die Antwort nicht schuldig geblieben: die energische Broschüre „Zu Goethe’s Gedichten. Mit Rücksicht auf die ‚historisch-kritische‘ Ausgabe, welche als Theil der Stuttgarter ‚Deutschen National-Litteratur‘ erschienen ist“, zahlt 1886 Düntzer an dessen eigener Concurrenzleistung heim. Der darin als willkürlicher Schlimmbesserer und vielfach unverständiger Erklärer bloßgestellte Eigensinn Düntzer schlug dann nochmals ein Jahr vor Loeper’s Tod auf dessen in der neuen Weimarer Ausgabe gebotene Resultate los, worauf denn der abrechnende Endbescheid kam in „Bibliographie der Goethe-Litteratur für 1890. Von Ludwig Geiger. Mit einem Beitrage von G. von Loeper und Mittheilungen von Fachgenossen. Erweiterter Abdruck aus dem Goethe-Jahrbuch Bd. XII“ (1891), und zwar S. 5–16. Sogar v. Loeper’s hervorragenden musikalischen Sinn hat Düntzer in jener ersten massiven Zersiebung (S. 302) anläßlich der auswählenden Aufzählung von Compositionen Goethe’scher Lyrik verkannt. Und doch bewährt L. daselbst nur seine reiche einschlägige Begabung: „Er war eine durch und durch musikalische Natur. Er spielte Bach ausdauernd, wenn er einmal begonnen hatte“, erzählt H. Grimm. Mit diesem Ausblick auf die tiefe Erfassung des Künstlerischen klinge die Charakteristik des Mannes aus, der, obwol Jurist von Haus aus und Goethe-Philolog geworden, mit sicheren Mitteln und auf festem Lande die Straße zu dem Ziele für den Genius der Poesie zu werben und zu wirken, mit einer Entschiedenheit verfolgt hat, die [75] Hermann Grimm der Unnachgiebigkeit ihres Gefährten Julian Schmidt nichts nachgeben läßt.

Anderthalb Jahre vor seinem unerwartet raschen Hinscheiden war Gustav v. L. öffentliche Gelegenheit gegönnt, am Abende eines wahrhaft ausgebeuteten Arbeitslebens die zwei Stimmungen seiner Seele harmonisch ineinander klingen zu lassen: an der willkommensten und geweihten Stätte, bei der Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft am 31. Mai 1890. Dieser Festvortrag „Berlin und Weimar“, einem jeden Zuhörer des feinen, gemessen begeisterten Redners unvergeßlich (wie jene Tagung mit ihrem Glanze litterarischer und kritischer Individualitäten überhaupt), wog in sinnigem Contraste von Goethe’s und seines Kreises Wirkungsstätte mit des neudeutschen Reiches politischem Mittelpunkte die geistigen Schätze in ihrem Range innerhalb unserer nationalen Cultur mit überzeugender Feierlichkeit ab. Da sprach der Mann, der nie dem Schein, dem Lobe nachgeeifert, dessen Goethecult rein und unmittelbar, ohne jeden Nebenzweck, ohne alle Tendenz, der wissenschaftlich erlangbaren Wahrheit allein nachfragend, in ihm und seinem Schaffen wirkte und strebte. Und so weist ihm denn Geiger einen idealen Ausnahmeposten an: „Man kann von wenigen Goetheforschern in demselben Maaße wie von Loeper sagen, daß er in Goethe lebte … Er kannte wie wenige seinen Goethe. Im Privatgespräche und in seinen wenigen öffentlichen Reden unterließ er nie, mit seiner hellen, fast kindlich klingenden Stimme Goethe’sche Verse zu citiren. Sie waren ihm Wegweiser und Lebensführer. Die weitumfassende Weltanschauung des Meisters, die humane, allem Kleinlichen abholde Gesinnung hatte er sich zum Muster genommen.“

Von einem ausführlichen Eingehen auf Loeper’s gewichtige amtliche Thätigkeit, das erst ernstliche Umschau im Berliner Ressort Loeper’s ermöglichen könnte, muß hier abgesehen werden, ebenso wie von der Erörterung der etwas peinlichen Familienverhältnisse. Die vorstehende Lebens- und Charakterskizze fußt für das rein Biographische auf einem mir seitens Loepers 1890 für die Neuauflage von Brockhaus’ Conversationslexikon zur Verfügung gestellten Uebersicht: abgedruckt mit Bemerkungen Goethe-Jahrbuch XVI, 219 f. („Eine Selbstbiographie G. v. Loeper’s“). Für die Charakteristik sind, außer persönlichen Berliner und Weimarer Eindrücken, benutzt, und zwar, wo angemessen und kaum durch eigene Wendung ersetzbar, in erster Linie Ludwig Geiger’s trefflicher prägnanter Nekrolog Goethe-Jahrbuch XIII, 243–46, dann Hermann Grimm’s feinsinnige Zeichnung der Eigenart Loeper’s in „Erinnerungen und Ausblicke. Vorwort zur fünften Auflage der Vorlesungen über Goethe“: Deutsche Rundschau Bd. 78 (1894), S. 439–42, daneben Otto Harnack’s Studie „Zum Andenken Gustav v. Loeper’s“ 301. Beilage zur Allgemeinen Zeitung (24. Decbr.) 1891, S. 1 f. (Charakteristik der Persönlichkeit und der Erfolge des Goetheforschers, ohne Rücksicht aufs Biographische); diese drei reden aus persönlicher Kenntniß. Veit Valentin schließt i. d. „Jhrsberichtn. über neuere dtsch. Litteraturgesch.“ II, IV 9a 138/9, auf den Loeper-Nachruf i. d. Magdeburgisch. Ztg. Blg. Nr. 52 v. 1891 hinweisend den Abschnitt „Goethe-Allgemeines“ mit knappem Gedenkblatt Loeper’s; W. Golther verzeichnet ebds. II, I 243 den Tod des „liebenswürdigen Goetheforschers“ falsch auf den 14. December. Einen Nachruf bot auch Rich. Wulckow i. d. „Didaskalia“ des „Frankfurter Journals“ 1892 Nr. 41. – H. Düntzer’s (vgl. von diesem – 1813–1901 – auch: „Mein Beruf als Ausleger. 1835–1868“, 1899, freilich nur die Zeit vor dem Loeper-Conflict) erwähnte polemische Recension von 1884 steht in O. Sievers’ „Akademischen Blättern“ S. 298 [76] bis 314, die zweitgenannte i. Ztschr. f. dtsch. Philolg. 23, S. 294–349. Kurzer Lebensabriß mit Charakteristik nach Loeper’s Durchsicht bei Ad. Hinrichsen, Das litterarische Deutschland² S. 828 f. – Was die Goethe-Gesellschaft ihm ins Grab nachgerufen hat und wir oben angezogen haben, findet man in ihrem VII. Jahresbericht (Goethe-Jahrbuch XIII) S. 5 u. 13, und im VIII. Jahresbericht (G.-Jhb. XIV) S. 8. Die riesige Fülle seiner Beiträge und Erwähnungen im Goethe-Jahrbuch geben dessen Register an: das Gesammtregister für Band I–X auf S. 44 f., seitdem schon die Jahresregister. Loeper’s Goethe-Festvortrag „Weimar und Berlin“ steht i. d. „Deutsch. Rundschau“ Bd. 64 (1890), S. 30–39. Der Curiosität halber sei die schwache und mißlungene Parodirung Loeper’s in erfundener Correspondenz bei Emil Mauerhoff, „Zur Idee des Faust“ (1884) S. 3–72 angeführt. – L. steuerte Kochendörffer Material bei zu seiner Erwiderung gegen den Goethe-Kritikaster J. Froitzheim[WS 6], Preuß. Jhrbchr. 67 (1890) S. 316–21. Ein Lenz-Curiosum aus Loeper’s Besitz veröffentlichte K. E. Franzos „Deutsche Dichtung“ 13 (1893) 176/7 u. 203/4.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Düntzer (1813–1901), Altphilologe und Literarhistoriker
  2. Herman Friedrich Grimm (1828–1901), Kunsthistoriker und Publizist; Sohn von Wilhelm Grimm
  3. Otto Harnack (1857–1914), Literaturwissenschaftler, Dramatiker und Dichter
  4. Richard Paul Wülker, auch Wülcker (1845–1910), Germanist und Anglist (in Leipzig)
  5. Erich Schmidt (1853–1913), Germanist; Literarhistoriker; Professor in Berlin; Präsident der Goethe-Gesellschaft
  6. Johann Froitzheim (1847-1909), deutscher Lehrer und Goetheforscher.