Ein Morgen auf der Götterburg der Athener

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Autor: (Carl Ferdinand Sprosse?)
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Titel: Ein Morgen auf der Götterburg der Athener
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 123–128
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Akropolis von Athen.
Areopagos. Pentelikos. Lykabettos.  Odeion. Hymettus. Jupitertempel.
Im Sommer 1868 nach der Natur aufgenommen von K. Sprosse.

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Ein Morgen auf der Götterburg der Athener.

Ein schöner heller Frühlingsmorgen lächelt uns an. Von den benachbarten Bergen, die im Schimmer der eben aufgegangenen Sonne strahlen, weht uns der Wind die Düfte wilden Thymians zu. Der Himmel ist wolkenlos, die Luft von jener südlichen Durchsichtigkeit, bei der die Umrisse der Gegenstände auch von fern gesehen vollkommen klar und deutlich erscheinen. Wir stehen auf dem letzten einer Reihe mäßig hoher Felshügel, die sich ungefähr in der Richtung von Norden nach Süden über eine breite Strandebene hinzieht, welche ferner draußen im Osten und Norden von höheren und breiter hingelagerten Gebirgsmassen eingeschlossen ist, während im Süden, uns zur Rechten, ein weinfarbiges Meer glänzt. Den Mittelpunkt des Landschaftsbildes aber, auf das wir blicken, bildet ein Hügel, höher als unser Standort, auf seiner unteren Flanke großentheils kahl und nur hin und wieder mit Gruppen von Strauchwerk und niedrigen Bäumen bedeckt, gleich den anderen Höhen über der Ebene, oben zum Theil in schroffen Kalksteinwänden endigend. Den Gipfel des Hügels krönen graue Mauerläufe, über denen sich von dem safranfarbigen Morgenhimmel ein mittelalterlicher Streitthurm in einem Gewirr gelblicher Säulen mit und ohne Bedachung, und weiter oben zur Rechten die Front eines mächtigen Tempelbaues aus dem Alterthum abheben. Rechts von der Straße, die sich um den Trümmerberg windet, sind auf der Ebene einige riesenhafte Säulen sichtbar. Links, im Nordosten, steigt der Rauch einer Stadt auf. Droben bleibt Alles klar, still und einsam.

Es ist eine Erinnerung an Griechenland, die ich hier zu [126] malen versuchte. Wir stehen auf einem der Türkenberge inmitten der Ebene von Attika. Der Rauch zur Linke steigt von Athen auf. Der eine der zerklüfteten Felsen auf dieser Seite ist der Areopag, wo das höchste peinliche Gericht der Athener seine Sitzungen hielt und wo Sophokles das Geschick des Oedipus enden läßt, der andere, der höher und ferner aufstrebt, der Lykabettos. Die beiden mächtigen Berge am nördlichen Horizont sind der Parnes und der Pentelikos, jenseit dessen Marathon, die erste Siegesstätte der Griechen im Perserkriege, liegt. Der gewaltige Höhenzug rechts im Osten ist der bienenumschwärmte Hymettos, die Ruinensäulen unter seinen Ausläufern in der Fläche gehörte einem Tempel korinthischen Stils an, den Kaiser Hadrian dem Zeus erbaute. Das weinroth schimmernde Meer im Süden trug die Flotte des Xerxes zur Schlacht bei Salamis. Der Hügel in der Mitte der Landschaft aber, der mit seinen Hallen- und Tempeltrümmern so hehr und still auf uns herniederschaut, ist die Akropolis von Athen, einst die Burg der Theseusstadt, der Wohnsitz ihrer höchsten Götter, der Brennpunkt alles dessen, was dem Volke Attikas als das Heiligste galt, die Verkörperung seiner edelsten Kunstgedanken, jetzt eine Ruinenstätte, aber die stolzeste und reichste in ganz Griechenland.

Steigen wir an der Hand der Erinnerung hinauf, um zu sehen, was die Akropolis einst war, als Perikles und Phidias ihre künstliche Ausschmückung vollendet, und was sie jetzt ist, nachdem Jahrhunderte der Barbarei über sie hinweggegangen. Ein Gefühl, gemischt aus Bewunderung und Wehmuth, wird uns begleiten, eine Fülle holder und erhabener Empfindungen uns aus allen Richtungen der Burg Pallas Athene’s zuströmen.

Der Hauptbau der Akropolis war im Alterthum der Parthenon, ein Tempel der jungfräulichen Göttin Athene, der unter der Leitung des Perikles und der besonderen Aufsicht des Phidias auf der Stelle eines von den Persern zerstörten älteren Heiligthums von Iktinos erbaut wurde und in welchem man zugleich den Schatz der Athener aufbewahrte. In geringer Entfernung davon, nach Nordwesten hin, erhob sich ein kleinerer Tempel, welcher eine Zusammensetzung mehrerer Heiligthümer, vorzüglich aber dem Erechtheus-Poseidon geweiht war, weshalb er jetzt den Namen des Erechtheions führt. Das Ganze war mit Mauern umgeben, die den heiligen Gipfel zugleich zur Citadelle von Athen machten. Den Eingang zu dieser Tempelburg ließ Perikles von dem Baumeister Mnesikles mit einer prachtvollen Thorhalle, den Propyläen, schmücken, zu der eine breite Freitreppe emporführte und neben welcher ein dritter, sehr kleiner Tempel sich erhob, welcher der Nike Apteros, d. h. der ungeflügelten Siegesgöttin, gewidmet war. Das Material aller dieser Bauwerke war der alabasterweiße Marmor vom Pentelikos, der indeß, da in ihm Eisentheile sind, im Laufe der Zeit gelblich wurde und überdies, wie jetzt feststeht, an vielen Stellen bunt bemalt war.

Von den Bildhauerarbeiten, welche die Akropolis zierten, können hier nur die bedeutendsten angeführt werden. Im Parthenon stand die Kolossalstatue der Athene als Jungfrau, die von Phidias aus Elfenbein und Gold geschaffen wurde. Zwischen jenem Heiligthum und den Propyläen erhob sich im Freien das sechszig Fuß hohe eherne Riesenbild derselben Göttin als Stadtbeschützerin, eine Statue, die mit der blitzenden Spitze ihrer Lanze den Schiffern draußen auf der See als Leuchtfeuer diente und deren ernstes Antlitz die Gothen Alarich’s von der Plünderung Athens zurückgeschreckt haben soll. Unten bei der Freitreppe lag eine eherne Löwin ohne Zunge, das Werk des Amphikrates, welches symbolisch die heroische Verschwiegenheit der Geliebten des Tyrannentödters Aristogeiton feierte. Weiter nach dem Areopag hin standen die Statuen Aristogeiton’s selbst und seines Freundes Harmodios, von denen ein bei athenische Gelagen beliebtes Lied sang:

„Im Myrthenzweig will ich tragen das Schwert,
0 Wie Harmodios und Aristogeiton,
Als sie den Zwingherrn erschlugen
0 Und den Athenern gleiches Recht schufen.“

In späterer römischer Zeit endlich erhob sich über der Freitreppe dem Niketempel gegenüber die Reiterstatue des Marcus Vipsanius Agrippa als Dankzeichen der Wohlthaten, die derselbe den Athenern erwiesen.

Von den gedachten Bildwerken ist jetzt nichts, von den Bauten dagegen sind sehr bedeutende Reste noch vorhanden, die wir nun in Augenschein nehmen wollen.

Die große Freitreppe, welche nach der Säulenhalle der Propyläen hinaufführt, ist jetzt zum Theil durch eine wahrscheinlich erst im Mittelalter erbaute Mauer verdeckt, in der sich ein hohes, nach oben sich verjüngendes Thor öffnet. Nur bei besonderer Veranlassung wird das Eisengitter aufgeschlossen, welches vor diesem Thore angebracht ist. Der gewöhnliche Aufgang zur Akropolis ist ein etwas weiter rechts befindlicher tiefer gewölbter Thorweg, durch den wir in einen schmalen Vorhof gelangen, welchen links Gemäuer überragt, während man zur Rechten in die Tiefe des Odeions des Herodes hinabblickt, eines in den Felsen gehauenen antiken Opernhauses, dessen halbkreisförmige Sitzstufen und dessen Bühne jetzt vollständig wieder ausgegraben sind. Weiter hinauf führt ein zweiter Thorweg in den Hof, in welchem die Veteranen wohnen, die mit der Bewachung der Akropolis beauftragt sind. Einer von ihnen geleitet die Fremden in’s Innere, und zwar nicht sowohl als Führer – denn diese alten Kriegsbärte sprechen nur griechisch – wie als Beaufsichtiger, eine Vorsichtsmaßregel vorzüglich gegen die Engländer, die alle einen Zug von Lord Elgin, dem Plünderer der hiesigen Kunstdenkmäler, zu haben scheinen und die, unbeobachtet, in nicht langer Zeit Parthenon und Erechtheion, Propyläen und Niketempel mit Meißel und Hammer zu Briefbeschwerern verarbeitet haben würden. Durch einen dritten Thorweg treten wir auf die halbe Höhe der großen Freitreppe hinaus, deren untere Hälfte Stufen zeigt, welche über die ganze Breite zwischen den Umfassungsmauern hinlaufen, wogegen die obere in der Mitte einen stufenlosen Raum für Wagen freiläßt und so sich in zwei Treppen theilt.

Von der Treppe zur Rechten steigen wir auf fünf kleinen Stufen nach einem bastionsartigen Vorsprung empor, auf dem der Niketempel steht. Derselbe sieht neben dem mächtigen Bau der Propyläen wie ein Kind neben der Mutter aus, ist aber älter als jene, da er kurz nach den Perserkriegen von Kimon erbaut wurde. Bei einer der Belagerungen, welche die Akropolis in den Kriegen Venedigs mit den Türken auszuhalten hatte, wurde er von einer Bombe zerstört, aber anderthalb Jahrhundert später setzten ihn kunstverständige Hände nach Beschreibungen von Reisenden, die ihn unzertrümmert gesehen, aus den umhergestreuten Bruchstücken wieder zusammen. Das Tempelchen, welches gegen Osten und gegen Westen eine Vorhalle von je vier schlanken ionischen Säulen hat und unter dessen Dach ein Fries mit stark verstümmelten Relieffiguren hinläuft, ist ein Muster von Ebenmaß und Zierlichkeit.

Die Propyläen, die wir, vom Niketempel wieder auf die große Treppe herabgestiegen, in nächster Nähe vor uns haben, gliederten sich einst in drei Theile: in der Mitte befand sich eine doppelte Eingangshalle, rechts und links sprangen Flügel nach Westen vor. Von diesen Flügeln ist nur der zur Linken, im Norden, noch sichtbar. Der andere ist in den Thurm verbaut, mit dem die Geschmacklosigkeit fränkischer Herzöge, die im Mittelalter hier hausten, den antiken Prachtbau verunstaltete. Die Eingangshalle zerfällt in eine vordere und eine hintere, der Himmelsgegend nach in eine westliche und eine östliche Hälfte, die durch eine Quermauer geschieden sind. Den Giebel der Westhalle tragen sechs dorische Säulen von siebenundzwanzig Fuß Höhe, von denen die beiden mittelsten, durch welche der Fahrweg eingefaßt wird, weiter auseinanderstehen als die nächsten. Von jenen Mittelsäulen führten als weitere Einfassung des Fahrwegs im Alterthum zwei Reihen schlanker ionischer Säulen zu dem großen Portal in der Quermauer, durch welches wir in die östliche Halle gelangen, die weniger tief und ohne die ionischen Säulen am Fahrwege ist. Der ziemlich gut erhaltene Nordflügel besteht aus einer Vorhalle von drei Säulen dorischer Ordnung, aus welcher wir in einen viereckigen Raum, die einst mit Gemälden von Polygnot und andern Meistern geschmückte Pinakothek, treten. In dieser sowie in der Mittelhalle ist gegenwärtig eine Anzahl von Sculpturresten, Rümpfen, Händen, Füßen von Statuen, Steinen mit Inschriften und dergleichen aufgestellt, unter denen sich einzelne gute Arbeiten befinden.

Treten wir aus der Osthalle der Propyläen, die als Ganzes trotz ihrer Zerstörung im Einzelnen immer noch einen großartigen Eindruck machen, in den innern Raum der Akropolis, so erblicken wir vor uns eine weite, zum Theil mit Gras und Gestrüpp bewachsene Trümmerstätte, auf der sich Ruinen aus dem Alterthum mit Resten moderner Gebäude mischen. Hier Spuren von Vorrathsgewölben einer neueren Festung, Cisternen, Grundmauern von [127] Casernen, eingeschossene Wände, zwischen denen Bombensplitter herumliegen, dort Haufen von Säulentrommeln, von Nesseln überwuchert, Deckensteine, Marmorgebälk, Basen mit Inschriften, Ornamente aus byzantinischer Zeit und die Fortsetzung des kleinen Museums von Sculpturen, welches in den Propyläen angelegt ist. Rechts und links vor uns aber erheben sich unter dem tiefblauen Himmel und übergossen mit dem Licht der südlichen Sonne die herrlichen Reste der beiden schönsten Tempel des perikleischen Athen: hier der Parthenon mit seiner majestätischen Einfachheit, dort das vielgegliederte, aus verschiedenen Stilen gemischte und doch anmuthsvolle Erechtheion. Als Staffage des Bildes mögen sich die Leser, die mir bis hieher folgten, die Ziegenheerde denken, welche bei meinem Besuch zwischen den Trümmern umherkletternd nach Kräutern suchte.

Das Erechtheion bedeckte nach attischer Sage die Stelle, wo Athene, als sie sich zugleich mit dem Meerbeherrscher Poseidon um das Patronat über die Stadt bewarb, die Athener mit Erschaffung des Oelbaums beschenkte, wogegen ihr Nebenbuhler mit seinem Dreizack ihnen eine Salzquelle öffnete. Die Göttin siegte, aber ihr Mitbewerber erhielt neben ihr gleichfalls einen Altar. Ein anderer Theil des Tempels war Kekrops, dem Stammvater und ersten König der Athener, und seiner Tochter Pandrosos geweiht. Ferner hatte Zeus hier eine Opferstätte. Endlich hat auch das Christenthum, indem es in das altgriechische Heiligthum eine byzantinische Kirche hineinschob, auf die jetzige Gestalt des Tempels eingewirkt. Die Türken wußten aus der Kirche nichts Besseres zu machen, als einen Harem. Auch die Griechen benutzten das Gebäude während der Belagerung der Akropolis durch Reschid Pascha als Frauenwohnung. In dieser Eigenschaft zerstörte es 1827 eine türkische Bombe, wobei eine Anzahl vornehmer Griechinnen den Tod fand. 1838 hat man dann den Bau nach Möglichkeit wiederhergestellt.

Das Erechtheion ist in der Hauptsache ein längliches Viereck, dessen Langseiten im Westen einen größeren nach Norden, und einen kleineren nach Süden gerichteten Vorbau haben. Im Osten beginnt das Tempelviereck mit einer Vorhalle, zu der drei Stufen hinaufführen und von deren sechs ionischen Säulen gegenwärtig noch fünf stehen. Im Innern führt längs der nördlichen Mauer ein Gang nach einem unterirdischen Raume, in dessen Steinboden wir vier Löcher bemerken – die Spuren jenes Dreizacks Poseidon’s, an denen die Alten bei Südwind den Schall der Meereswogen vernahmen. Ueber dieser Vertiefung erhebt sich der genannte nördliche Vorbau. Vier ionische Säulen treten nach Norden vor, je eine trägt das Dach auf der Ost- und der Westseite. Das Ganze ist mit seiner graziösen Leichtigkeit und seinen geschmackvollen Verzierungen ein Meisterwerk alter Baukunst.

Aus diesem halb über, halb unter der Erde befindlichen Haus des Erechtheus-Poseidon trat man im Alterthum durch die noch jetzt vorhandene Prachtthür, die aus der Nordhalle in das Innere des Gebäudes führt, in das Heiligthum der Athene Polias, in deren Westwand wir eine zweite Thür gewahrten, durch die man in den heiligen Bezirk des Tempels hinaustrat. Endlich ist die Südmauer dem großen Prachtportal gegenüber von einem Pförtchen durchbrocheu, von dem einige Stufen in den erwähnten südlichen Anbau, die sogenannte Halle der Karyatiden, hinabgehen. Das Dach desselben wird von sechs Marmorstatuen, attische Mädchen darstellend, statt der Säulen getragen, eine Composition, die ebenso reizend erfunden, als vortrefflich ausgeführt und infolge dessen von modernen Baukünstlern häufig nachgeahmt worden ist. Vier der Jungfrauen stehen an der Front gegen Süden, eine hinter der ersten und eine letzte hinter der vierten. Ihr Gesichtsausdruck vereint Ernst mit Lieblichkeit, ihre Gewänder zeigen den reichsten Faltenwurf. Während im Tempel der Polias das alte Holzbild der Stadtgöttin Athen’s aufbewahrt wurde, war hier in der Halle der Karyatiden vermuthlich das Heiligthum der Pandrosos und das Grab des Kekrops. Vermuthlich, sage ich; denn das Erechtheion ist das schönste, aber zugleich das noch am wenigsten gelöste der vielen Räthsel, welche die Akropolis den Alterthumsforschern aufgiebt.

Staunen wir vor dem Erechtheion über die heitere Zierlichkeit und jugendliche Schlankheit des ionischen Stils, so tritt uns im Parthenon der mehr auf den Ausdruck von Würde und Kraft gerichtete Sinn einer Kunst entgegen, die sich der dorischen nähert. Auch der Parthenon ist durch venetianische Bomben sehr zerstört, nachdem byzantinische Kaiser ihn in eine Kirche der Sophia verwandelt. In seiner ursprünglichen Gestalt war er ein rings mit Säulen umgebenes zweihundertundzehn Fuß langes, dreiundneunzig Fuß breites und sechszig Fuß hohes Gebäude in Quadratform. Drei Stufen führten zu den Säulen empor, von denen an jeder Langseite siebenzehn, an jeder Querseite acht sich erhoben. Die Höhe dieser mächtigen Säulen, von denen noch zweiunddreißig stehen, beträgt fünfunddreißig, ihr Durchmesser unten sechs und einhalb Fuß. Sie erscheinen schlanker und stehen etwas ferner von einander als die des eigentlichen dorischen Stils, auch ist die Ausladung ihres Capitäls nicht so wulstig wie bei jenen. Ohne den Charakter der Kraft und Würde zu verlieren, der jene Kunstrichtung kennzeichnet, tragen sie frei und leicht ihr wuchtiges, reichgeschmücktes Steingebälk.

Diese Säulen bildeten einen rings um die Cella, den eigentlichen Tempel, laufenden Gang, dessen innere Seite an den Langseiten hin die Quaderwände der Cella, an den Querseiten je sechs innere Säulen einfaßten, die etwas kleiner als die äußeren waren und mit diesen eine östliche und eine westliche Vorhalle bildeten. Ueber dieser wie über jener befanden sich in den Giebelflächen des Daches Bildwerke des Phidias in Marmor, von denen das im Osten die Geburt der Athene, das im Westen den Kampf der Göttin mit Poseidon um die Herrschaft über Attika zeigte. Zwischen den etwas hervortretenden Köpfen der Querbalken des Dachstuhls (Triglyphen) befanden sich mit Sculpturen geschmückte Platten (Metopen), welche, jede für sich ein abgeschlossenes Bild, die Hauptereignisse der attischen Sage, Thaten und Segnungen der Göttin des Tempels, Kämpfe des Theseus und seines Begleiters Herakles mit Kentauren und Amazonen darstellten. Endlich war innerhalb des Säulenumgangs, oben an der Mauer der Cella, ein großer Basrelief-Fries angebracht, dessen Gruppen den feierlichen Aufzug der Athener beim Feste der Panathenäen zeigten.

Der innere Raum des Parthenon war durch eine Quermauer in eine größere östliche und eine kleinere westliche Hälfte geschieden. Jene, deren Decke von sechszehn Säulen getragen wurde, war die Wohnung der Göttin, diese, die Westhälfte, hatte nur vier Säulen und diente zur Aufbewahrung des Staatsschatzes der Athener. Der Haupteingang des Tempels im Osten ist bei der Umgestaltung desselben in eine christliche Kirche vermauert worden. Trat man einst durch dieses östliche Portal ein, so gelangte man in einen Raum, der gerade hundert Fuß lang war und deshalb das Hekatompedon hieß. In der Mitte desselbeu war durch zwanzig Säulen ein längliches Viereck abgegrenzt, welches der Parthenon im engsten Sinne war, indem sich hier die große von Phidias aus Gold und Elfenbein gefertigte Bildsäule der Athene Parthenos erhob. Ueber den zuletzt erwähnten Säulen endlich befanden sich noch Galerien, auf denen das in der Mitte zur Erhellung des Heiligtums offen gelassene Dach ruhte.

Jetzt ist von allem dem nur noch ein Theil zu sehen. Die Nord- und die Südseite der Cella ist vollständig verschwunden und ebenso die Bedachung. Die Giebel sind allerdings erhalten, ihre Bildwerke aber sind bis auf geringe Reste fort, zum Theil vernichtet, zum Theil von Lord Elgin nach London gebracht. Von den sechsundvierzig Metopen wurde durch die Explosion, welche den Dachstuhl zertrümmerte, die größere Hälfte zerstört, und die, welche damals erhalten blieben, wanderten bis auf einige sehr verwüstete ebenfalls mit Lord Elgin nach England. Mehr ist von den Sculpturen des großen Basrelief-Frieses übrig geblieben, mit dem Phidias die Außenwand der Cella geschmückt hatte. Indeß befinden sich gegenwärtig nur die Platten der Westfront noch alle an ihrer Stelle, andere stehen im Innern des Tempels auf dem Boden, eine besitzt das Louvre, die meisten aber gingen in das Britische Museum. Die Bilder der Westfront, welche den Festzug der Panathenäen zeigen, wie er sich an seinem Ausgangspunkt ordnet und richtet, sind von besonderer Schönheit. Reiter schwingen sich auf ihre Pferde, einzelne tummeln sich schon, andere mühen sich ab, die feurigen Thiere zu bändigen, noch andere besänftigen sie mit schmeichelnder Geberde, einige sind noch mit Schuhanziehen und Mantelanlegen beschäftigt. Das Ganze zeichnet sich ebensowohl durch Leichtigkeit und Lebendigkeit als durch Ruhe und Einfachheit in der Composition aus.

In den Ruinen ist Alles still und einsam. Wie ganz anders als einst, wenn jener Panathenäenzug das Volk Athens hier oben zur Festfeier versammelte! Auf dem Kerameikosplatz drunten im [128] Nordwesten des heutigen Athen trat die Procession zusammen. Priester eröffneten sie, hinter ihnen wurden die bekränzten Opferthiere hergeführt. Dann folgten die Metöken, die in Athen ansässigen Fremden, welche die zum Opfer nöthigen Geräthe und Gefäße trugen. Ihnen zunächst schreiten im Zuge ausgewählte Jungfrauen von edlem Geschlecht, die wir uns den Mädchenbildern dort am Erechtheion ähnlich denken mögen, Körbe auf den Häuptern, welche heilige Gerste, Honig und Opferkuchen enthalten. Neben ihnen gehen Metökentöchter her, die sie mit Schirmen gegen die Sonnenstrahlen schützen. Aus der Mitte des Zugs der Jungfrauen ragt ihr Werk, das Prachtgewand, empor, mit dem das Holzbild Athene’s im Erechtheion bei diesem Feste neu bekleidet wurde. Es war ein Gewebe aus Scharlachtuch und Goldfäden, dessen Stickerei Thaten Athene’s darstellte, und beim Zuge war es segelartig am Maste eines Schiffes aufgespannt, welches auf Rädern fortbewegt wurde. Unter dem Vortritt von Musikchören folgen dann mit Myrthen bekränzte Jünglinge, die einen Choral zu Ehren der Göttin ertönen lassen. Dem Zuge der Jünglinge schließt sich der Zug der zum Dienst in schwerer Rüstung verpflichteten Männer an. Sie sind ebenfalls mit Myrthen geschmückt, aber auch mit Schild und Lanze bewaffnet. Ihnen folgt eine Schaar auserlesener Greise, Oelzweige in den Händen zu Ehren der göttlichen Spenderin des Oelbaums. Hinter ihnen wieder werden die Preise für die Sieger in den Wettspielen, welche das Fest begleiten, getragen, Olivenkränze und Krüge gefüllt mit Oel von den heiligen Olivenbäumen Athene’s. Den Schluß der Procession bilden die Gespanne und die Reitpferde, welche um jene Preise laufen sollen, und hinter diesen die gesammte vornehme Jugend Attika’s zu Rosse.

Mit Gesang und Musik bewegt sich der Zug, der die ganze Macht und Herrlichkeit des attischen Staates entfaltet, durch die schönsten Straßen der Stadt, die von den Freigelassenen mit Eichenlaub geschmückt sind, nach der Akropolis herauf. Die Opferthiere brüllen, die Rosse wiehern, Massen von Landleuten sind herbeigeströmt, Niemand darf sich sehen lassen, der nicht ein weißes Gewand trägt. Oben angekommen, theilt sich der Zug an der Westseite des Erechtheion, um am Eingang desselben auf der Ostseite wieder zusammenzutreffen. Die Bewaffneten legen Schild und Lanze nieder. Ein Herold spricht mit lauter Stimme das Gebet für das Heil aller Athener. Das Opferfeuer auf dem Altar vor dem Tempel wird angezündet, die Thiere werden geschlachtet, und während die Fettstücke brennen, ertönt rauschend der Päan zu Ehren Athene’s.

Wir haben von der Vergangenheit geträumt. Noch scheint die alte Sonne auf Athen und die Akropolis, noch glänzen die Berge wie einst, und noch ist über die Ebene die Heiterkeit von ehedem ausgegossen. Aber der Zug der Panathenäen erscheint nicht mehr vor der Burg Athene’s. Er ist zerronnen, verschwunden, zurückgekehrt nach dem Kerameikos und dort in die Gräber gestiegen, die sich in dieser Gegend des alten Athen befanden.