Ein Pharus der deutschen Zukunft

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Ein Pharus der deutschen Zukunft
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Pharus der deutschen Zukunft.
Von Ludwig Storch.

Es ist ein sehr charakteristischer Zug unsres heutigen Geschlechts, und es unterscheidet sich darin scharf von seinem Vorgänger, daß es von einem mächtigen Seelendrange zu den schönsten Berghöhen unseres herrlichen Vaterlandes immer und wiederholt geführt wird und besonders in die zerfallenden, meist um so malerischeren Mauern der alten Zwingburgen des brutalen Feudalismus, damit es an der Stätte finstrer Gewalt und scheußlichen Hasses die Lichtfeste der Freiheit und der Liebe feiere und sich die Seele mit Schönheit sättige, die das Sennenlicht von allen Seiten den stattlichen Berghöhen zuführt.

Das nördliche Deutschland hat schon viele solche Leuchtthürme und Wallfahrtsberge des nach Seelenfreude hungrigen, nach Sonnenschönheit durstigen jungen Deutschthums, und es tun sich dort mit jedem Frühling neue auf; das südliche ist in diesem modernen Bergcultus noch zurück, obgleich fürstliche Hand vorleuchtend die Walhalla und den Siegestempel auf schöne Donauberge baute und manche alte Burg prächtig restaurirte, Aber Licht, Leben und Liebe glühen in den süddeutschen Herzen so mächtig und schlagen in so prächtigen Liederflammen empor, daß der Norden fast davon beschämt wird; der Triumphwagen des Geistes der Neuzeit schwingt seine mit Feuersternen gestickte Wolkenfahne (in diesem Zeichen wirst Du siegen!) immer weiter auf der Eisenstraße durch die Thäler und

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Burg und Stadt Wertheim.
Nach der Natur aufgenommen von Winkler.

[470] die Ebenen und scheut selbst vor Bergen nicht zurück, und so werden die Berge bald auch hier überall die Zugspitzen für die in Gesängen jauchzende, vaterlandbegeisterte Jugend und das sich verjüngende Alter werden, und die hohen Burgtrümmer, einst die Brutstätten bluttriefenden Hasses, nun Leuchtthürme der blüthen- und fruchttreibenden Menschen- und Vaterlandsliebe.

Auch die prächtige Burg Wertheim, an der nördlichsten vom Main bespülten Grenze des Großherzogthums Baden, wird und muß einst ein Hauptpharus des strahlenden Zukunftslichtes sein, wie sie es verdient hat und wozu vor dreihundert Jahren einer ihrer fürstlichen Besitzer, ein junger lichtbegieriger Mann, ihr gleichsam die erste Weihe gab. Es war für mich von hoher symbolischer Bedeutung, daß zur Johanniszeit, dem Licht- und Feuerfeste unserer Vorfahren, in Werteim, im schönen Gegensatze zu dem Lichtfeste der alten versunkenen Zeit, ein echtes Lichtfest der aufsteigenden Neuzeit gefeiert wurde: die kleine Stadt wurde zum ersten Male mit Gas beleuchtet und die Burg von buntfarbigen bengalischen Feuergarben prächtig überstrahlt und übermalt. Nicht die gaukelnden Lichter des Märchens und der Sage waren es, die das Burggemäuer umhüpften es waren die Lichtflammen, die die Wissenschaft erzeugt hat, vor welchen der Aberglaube, die Geburt des klndlich befangnen Menschengeistes, versinkt und verschwindet. Vor dem Lichte der Wissenschaft zerfällt das Märchen wie eine schöne abgeblühte Blume, erbleicht die Sage wie der Morgenstern in der Sonne. Sie waren schön und poetisch, aber weit schöner und poesiereicher ist die Natur in ihrer wirklichen Größe und Erhabenheit, wie die Wissenschaft, der Silberblick des Menschengeistes, sie uns immer herrlicher erschließt.

Das Gaslichtfest in Wertheim war ein Abschiedsfest der alten Zeit und ein Begrüßungsfest der neuen. Es warf seine Strahlen weit im Kreise, am Mainstrom auf- und abwärts, in den Taubergrund und den Odenwald und über den Main hinüber in das „Geheimniß des Spessarts“. Der schöne, mit köstlichen Reben bekränzte Halbkreis, welchen der Main von Gemünden bis Aschaffenburg um den alten deutschen Spechtshart schlingt, gehört unbedingt zu den reizendsten Partien Deutschlands, besonders die Höhe dieses Halbkeises, das Segment von Wertheim bis Miltenberg und Heubach, wo sich Spessart und Odenwald über den Fluß die Bruderhände reichen, und doch wurde dieses kleine Paradies verhältnißmäßig blutwenig besucht. Ich kam eben aus dem Harze, wo auf dem Stufenberge, der Lauenburg, im Bodethale, auf dem Brocken etc. die Besucher sich schon drängten; hier im herrlichen Maingrunde war es leer. Das moderne Lichtfest verspricht die schönere Zukunft. Bald wird der Dampfwagen den jetzt noch so stillen Taubergrund heraufbrausen und das junge Geschlecht rechts nach Würzburg, links durch den Maingrund über Miltenberg nach Aschaffenburg führen. Mit Staunen werden dann die Reisenden einen der großartig-reizendsten Theile Deutschlands entdecken. Und die einsame Burg Wertheim wird sich in einen durchdrängten und durchjubelten Pharus der Zukunft, die sehr bescheidne Gastwirtschaft des alten originellen Burgvogts in ein mit allen Bequemlichkeiten und Bedürfnissen des modernen Reisenden ausgestattetes Hotel verwandeln, Turner und Sänger werden ihre deutschen Fahnen auf die ragenden Zinnen aufstecken, und Wertheim wird ein Wallfahrtsort aller Nationen werden.

Schöne Wandlung im Geiste deutscher Gesittung und Humanität! Denn diese Burg ist eine Stätte böser Gewaltthat, blutiger Bruderkämpfe und ein Tummelplatz des schauderhaften Nachtgeistes des Mittelalters gewesen. Die bislang nur ein kalt angestauntes Denkmal des Feudalglanzes und der Schwertmacht der Dynastengeschlechter, die sie erbauten und bewohnten, war, soll von nun an ein Zusammenkunftsplatz deutscher Bruderliebe werden; wo der dreißigjährige Krieg, dieses entsetzlichste Unglück des an Jammer und Elend so überreichen Glaubenshaders der Deutschen, so deutliche Spuren hinterlassen hat, da werden sich deutsche Brüder von allen Confessionen die Hände reichen und die Herzen austauschen.

Ob man die Burg vom Taubergrunde oder vom Maingrunde stromauf und ab, oder vom Berge jenseits der Tauber oder von dem jenseits des Mains (dem weinreichen Remberge mit Felsenaltan, der einen überraschend schönen Blick auf die Burg gegenüber gewährt) betrachtet, stets macht sie den Eindruck des Großartigen, Bewältigenden, Hochromantischen. Von zwei Punkten sah ich sie am liebsten: von der Chaussee nach Stadtprozelten auf dem rechten Mainufer, etwa eine Viertelstunde von der Stadt; hier hebt sie sich am reinsten vom Himmel ab und zeigt, von dem hinter ihr höher aufsteigenden bewaldeten Schloßberge nicht beeinträchtigt, die reinsten Contouren; und aus dem hart am rechten Mainufer gelegnen Pavillon des Gasthauses zur Sonne in dem baierischen Dörfchen Kreuzwertheim gegenüber unserem badischen Städtchen Wertheim. Hier hat man meiner Ueberzeugung nach die lieblichste Ansicht der Burgruine. Der Zeichner unseres Bildes hat aber seinen Standpunkt westlich jenseit der Tauber gewählt.

Der Besuch der Burg entspricht ihrem Anblick, oder überbietet ihn vielmehr noch durch überraschende Ein- und Aussichten. Ihre Höhe über der Stadt, resp. dem Mainspiegel, ist nur eine mäßige, etwa 300 Fuß, und beträgt die halbe Höhe des in die Gabel des Mains und der Tauber eingeschobenen nicht hohen, aber ziemlich steilen Schloßberges. Bequeme, sogar gut befahrbare Wege führen hinauf. Die Architectur der kolossalen Mauern und Gebäudereste, die amphitheatralisch am Berge emporsteigen, imponiren, soweit sie aus dem Zeitraume der edlen mittelalterlichen Baukunst stammen, durch reine Schönheit und Kühnheit der Formen. Diese alten Theile der Burg hat der noch keusche deutsche Kunstsinn gebaut und sich damit ein dauerndes Zeugniß seines Seelenadels ausgestellt. Die Burg stellt ein verschobenes Viereck dar, dessen beide Fronten nördlich dem Main, westlich der Tauber zugekehrt sind, und aus dessen Mittelpunkt die größte Zierde der Burg, der kolossale viereckige Thurm von seinem Felsenfundamente und mächtigen Unterbau hoch und kühn emporragt. Von seiner letzten Bestimmung heißt er jetzt Pulverthurm, sein alter eigentlicher Name ist „Burgfried“, und seine Entstehung fällt, wie Aschbach, der Geschichtsschreiber der Grafen von Wertheim, glaubhaft gemacht hat, in das elfte Jahrhundert. Sagenhaft ist die Behauptung, der Thurm sei ein Römerbau und aus der Form der Rotsandsteinquadern entstanden, deren Kanten abgeflacht und deren Stirnfläche leicht gewölbt und rauh ist, eine Eigentümlichkeit des römischen Baustyls, die sich an allen uns überkommenen Römerbauten zeigt und z. B. an dem kolossalen Römterthurme in Regensburg, der allen kommenden Zeiten trotzen zu wollen scheint, recht scharf in´s Auge springt. Aber die Römer kamen höchst wahrscheinlich am Main nicht über Miltenberg hinauf, wo sie eine Grenzfeste erbaut hatten, wohl aber ihre Bauart, die sich weit über Deutschland verbreitete und lange nachher noch in Anwendung kam, als sie selbst schon längst über unsere Grenzen hinausgeschlagen waren. Daher kommt es, daß fast alle Thürme von dieser Steinconstruction in Deutschland Römerbauten genannt werden, selbst in Gegenden, wohin erwiesenermaßen nie der Fuß eines römischen Legionärs gekommen ist.

Vor wenigen Wochen stand ich am weltberühmten Thurme der Burg Kyffhausen, dessen Quadern ganz dasselbe römische Gepräge haben und der deshalb gleichfalls sehr irrthümlich zu einem Römerbau gestempelt wird, obgleich Drusus gewiß nicht nach Nordthüringen kam. Aber die deutschen Kaiser und ihre Lehnsträger kamen oft und viel nach Italien und ahmten zu Hause die dauerhaften und zweckmäßigen Römerbauten nach.

Eben so sagenhaft und unerweisbar ist die Angabe, der rheinfränkische Herzog Gunibald sei Erbauer der Wertheimer Burg gewesen.

Der Burgfried diente auch zum Burgverließ, worin ritterliche Grausamkeit, die die des Tigers weit überbot, ihre Gefangenen schmachten und verschmachten ließ. Von welcher Art der „großmüthige Rittersinn“ war, überzeugte man sich, als Fürst Georg zu Löwenstein († 1855) die tiefe Sohle des Burgfrieds aufräumen ließ und eiserne Ringe an den Wänden, zerbrochenes Töpfergeschirr, einen hölzernen Becher und endlich eine steinbedeckte Grube fand, bei deren Oeffnung der gräßliche Modergestank die Arbeiter vertrieb.

Zunächst über dem Burgfried stand das weitausgedehnte, prächtige Wohnhaus der alten Grafen, von welchem noch der westliche Theil mit hochaufragendem Giebel übrig ist und dessen Erdgeschoß die dem St. Pankratius geweihte Capelle einnahm. Ihre aus dem 12. Jahrhundert stammenden Fenster von sehr geschmackvoller feiner Gliederung und zarter Ausführung sind noch vorhanden.

Die übrigen Theile der Burg sind meist Schöpfungen späterer Zeiten. Namentlich baute Graf Ludwig von Stolberg in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der durch Verzicht seiner Tochter, der Wittwe des letzten Grafen von Wertheim, jenes schon erwähnten Lichtfreundes, zu seinen Gunsten Herr der Burg geworden war, sehr viel in sie hinein; die innere Einrichtung stammt größtentheils von [471] ihm, wie die Inschrift über dem Portale des Treppenthurms mit seinem Wappen und der Jahreszahl 1562 darthun. Auch das große dreistöckige Gebäude unter dem Hauptthurme auf unserm Bilde rührt von ihm her. Doch stehen nur noch die Umfangsmauern desselben; die übrige Herrlichteit hat der dreißigjährige Krieg bis auf ein Restchen zerstört, der überhaupt dem jungfräulichen Ruhm der Veste ein Ende machte. Dieses Restchen ist ein ziemlich großes Gemach, der Rittersaal genannt, mit künstlich gewölbter, nur von einer in der Mitte stehenden Säule getragener Decke. Neben diesem Stolberg-Bau sehen wir einen älteren Eckthurm mit der Jahreszahl 1510 am Erker, welchen Fürst Adolf von Löwenstein in neuerer Zeit restauriren und mit einem Spitzdache, so wie das Erkerzimmer, in welchem er eine kleine Sammlung alter Waffen und Geräthe aufstellte, mit bunten Glasfenstern versehen ließ. Nach dem vor einigen Jahren erfolgten Tode des Fürsten wurden diese Alterthümer veräußert. Der kleine Platz vor diesen Bauten, mit Bäumen, rohen Tischen und Bänken besetzt, dient zum geselligen Vergnügen der Besucher und ist rechts von dem zur Schankwirtschaft eingerichteten Thurm des Burgwart, links vom großen Altan, eine der Hauptzierden der Burg und der bei weitem zumeist besuchte Theil derselben, begrenzt. Vom Thurme überschaut man fast die ganze Stadt; der Castellan hat deshalb die Stunden an einer freihängenden Glocke anzuschlagen und bei Bränden Feuersignale zu geben. Größer und reizender ist die Aussicht vom Altane, der, weit am steil abfallenden Berge vorspringend, auf fünf gegen siebzig Fuß hohen Bogen steht, an der innern (nördlichen) Seite von einer steinernen Brüstung von sehr geschmackvoller durchbrochener Arbeit altdeutschen Styls mit zwischenliegenden kanzelartigen Vorsprüngen, an der äußeren (südlichen) von einer mit Schießscharten für Kleingewehr versehenen Mauer, Erzeugniß des dreißigjährigen Kriegs, geschützt. Vom Altan übersieht man den südlichen Theil des Schlosses, jetzt ein Weinberg, sonst mit Thürmen und anderen Gebäuden besetzt, welche 1634 die Kaiserlichen zusammenschossen. Unterhalb dieser Stelle zieht der Hirschgarten bis zur Stadt hinab, der seinen Namen von einem dort aufgestellten steinernen Hirsche hat. Hier soll nämlich eine schöne Gräfin den weißen Hirsch geschossen haben, nach welchem derweil der Herr Gemahl den ganzen Tag vergebens gejagt hatte. So etwas verdient schon sein Denkmal. Der höchste Punkt der Burg ist die Citadelle, zu der man freilich auf steilen, nicht sonderlich geschützten Stufen emporklimmen muß, ein nicht unbedeutendes kasemattirtes Vorwerk und eine der jüngeren Bauten, vom Haupttheile der Veste durch eine gegen sechzig Fuß tiefe Felsenschlucht geschieden, die, von Bäumen und Büschen erfüllt und von einem Pfade durchschlängelt, nicht wenig zur Romantik des Schlosses beiträgt. Der Hof der Citadelle, von einer noch nicht alten Linde geschmückt, führt den Namen Philosophenruh, obgleich er gewohnt ist, Gesellschaft bei sich zu sehen, die nicht ernste Theorie, sondern heitere Praxis liebt.

Von hier gelangt man am nördlichen Abhange zum östlichen Bollwerk der Burg, dem Zehenringthurm, so genannt von den in seinen oberen Mauerkranz eingegossenen großen Eisenringen. Nur die Sage berichtet, ein Würzburger Fürstbischof habe einem Grafen von Wertheim oder Löwenstein gedroht, die Burg so zu zerstören, daß er die Trümmer mit zehn Mähren in den Main schleifen werde, darauf habe der Graf jene zehn Ringe an dem Thurme befestigen lassen, damit der Bischof seine Mähren daran anschirren könne. Der Pfaffe blitzte ab.

Der Thurm bietet den Ueberblick des anstoßenden Schloßwaldes, einer wenn auch nur kleinen Strecke des hier sehr gebogenen Mains, stromauf- und abwärts, und der innern Burg, die uns über die erwähnte baumreiche Felsenschlucht hinaus die Bauten neben dem Burgfried von der Rückseite zeigt. Auch sie hat der dreißigjährige Krieg sehr geschädigt. Die Bayern, welche in der letzten Zeit des Kriegs die Burg für den Kaiser bewachten, wichen 1645 den Schweden, ohne den Sturm abzuwarten, und diese blieben die letzten Kriegsherren der Burg, die nach ihrem Abzug lange Jahre verödet stand und in Trümmer sank. Das unterste und jüngste Gebäude ist das wohl erhaltene, stattliche, von zwei runden Thürmen mit Glockendächern flankirte Thorhaus mit dem einzigen Eingang, welches das in historischer Beziehung sehr wichtige, doch für Fremde schwer zugängliche fürstlich Löwensteinische Archiv enthält.

Vielleicht verdient ein kleiner baumbesetzter hochgelegener Grasplatz, der „Hexentanzplatz“, noch Erwähnung, auf welchem die Volkssage in manchen Nächten die Hexen zur Zeit ihrer Blüthe tanzen ließ. Das „Hexenbäumchen“, ein kleiner seltsam gestalteter Hagedornstrauch mit einer wie ein Nest gestalteten flachen Vertiefung feiner verschlungenen Zweige, worin die Hexen, die ihre Aufgabe schlecht gelöst, zur Strafe sitzen mußten, ist leider nicht mehr vorhanden.

Die Stadt Wertheim, am Fuße des Schloßberges, nimmt sich vom Maine her freundlich und einladend aus. In ihren meist engen und krummen Straßen trägt sie den ehrwürdigen Stempel des deutschen Mittelalters, der sie vielen späteren Besuchern, die der Vorzeit ihr Recht angedeihen lassen, gar sehr empfehlen wird, zumal der Geist ihrer Bewohner nichts Mittelalterliches mehr an sich hat, vielmehr mit der freisinnigen Regierung des Landes, zu der sie zu gehören so glücklich ist, die lichten Bahnen der Neuzeit wandelt.

Graf Wolfram I., der Erbauer der Burg um 1130 und von ihr „Graf von Wertheim“ genannt, Sproß eines schon alten mit dem deutschen Könige Konrad verwandten Dynastengeschlechts, das jedoch erst kurz vorher in der Geschichte deutlich auftritt, gilt als Ahn der Wertheimer Grafen, die eine glänzende Reihe tapferer Ritter bilden, zumeist den Kaisern nahe stehend, von ihnen begünstigt und mit Lehen bedacht, ebenso treu der Kirche ergeben, an den Kreuzzügen sich betheiligend, geistliche Stifter gründend und viele ihrer Söhne an die Klerisei abgebend, doch auch mit den geistlichen Fürsten in mannigfachem Hader und blutigem Streit. Unter dem Grafen Michael II., welcher 1531 80 Jahre alt starb, hatte der Wertheimer Lehnhof den größten Umfang. Ueber hundert Geschlechter in Franken und im Odenwalde waren Vasallen des Grafen. Sein Territorium erstreckte sich in der Richtung von Osten nach Westen von der Zellersteig bei Würzburg bis zur Burg Breuberg im Odenwald mit der gleichnamigen Herrschaft an der Mümmling, und von Nord nach Süd waren die Städte Rothenfels am Main und Gerlachsheim nächst der Tauber die Grenzpunkte.

Michael’s II. Sohn war Graf Georg, der sich im Bauernkriege gleich Götz von Berlichingen zu den Bauern schlug und mit ihnen die Festung Frauenberg bei Würzburg belagerte, aber bald gewitzigt sich auf sein festes Schloß zurückzog und die Bauern im Stiche ließ. Bald daraus starb er ein Jahr früher als sein Vater und hinterließ einen einjährigen Sohn, jenen schon gerühmten Grafen Michael III., welcher der ausgezeichnetste und letzte der Grafen von Wertheim war. Erst 16 Jahre alt, bezog er die Universität Wittenberg und genoß den Umgang Luther’s und Melanchthon’s, deren begeisterter Anhänger er war. Heimgekehrt reformirte er seine Grafschaft, hob die Klöster Brambach und Grünau auf, errichtete im ersteren ein Gymnasium und war für die Sache der Reformation in seinem Lande ungemein thätig. Aus Allem, was er that, erhellt, daß er ein genialer junger Mann war, der Kopf und Herz auf der rechten Stelle trug. Da strahlte von Burg Wertheim in wenigen Jahren viel junges Licht aus, und sie versprach schon damals ein Pharus des Geistes zu werden wie die Wartburg. Aber Graf Michael starb, kaum 28 Jahre alt, unter großen Entwürfen und in der herrlichsten Thätigkeit, der Letzte seines ritterlichen Geschlechts, das fast fünfhundert Jahre durch fünfzehn Generationen hindurch geblüht hatte. Mit ihm ging eine der größten Hoffnungen des Protestantismus in Franken zu Grabe. In der Kirche zu Sandbach, wo er begraben liegt, hat er ein schönes Monument; ein schöneres hat ihm J. Camerarius in seiner Lebensbeschreibung Philipp Melanchthon’s gesetzt. Mich verdroß es, daß ich in seiner Burg, wie in seiner Stadt Wertheim vergebens nach einer ihm gewidmeten Denktafel suchte. Ich meine, wenn die Burg erst zu ihrer Zukunftsbestimmung, die ich oben aussprach, gelangt ist, wird ihr auch das steinerne oder eherne Blatt nicht fehlen, welches den geistesfreien Besuchern von dem letzten und genialsten Grafen von Werthenn erzählt, der so jung dem Tode als Beute fiel.

Sein einzig Kind, ein Töchterchen, starb wenige Tage nach dem Grafen, und seine Wittwe überließ die Grafschaft ihrem Vater, dem oben schon genannten Grafen Ludwig von Stolberg-Königstein. von dem sie an seinen Schwiegersohn, den Grafen Ludwig II. von Löwenstein überging, der, ein Urenkel Friedrich des Siegreichen von der Pfalz, der Stammvater des noch blühenden Hauses Löwenstein-Wertheim wurde. Von seinen Söhnen gründete Christoph die ältere evangelische Linie, Löwenstein-Wertheim-Freudenberg; Johann Dietrich die jüngere katholische, Löwenstein-Wertheim-Rosenberg zu Heubach. Im Jahre 1712 wurde dem Gesammthause [472] Löwenstein-Wertheim vom Kaiser Karl VI. die reichsfürstliche Würde ertheilt.

Getreu ihrer vom Grafen Michael III. von Wertheim erhaltenen Bestimmung war die Burg im dreißigjährigen Kriege ein Hauptbollwerk des Protestantismus in Franken, und ihre Besitzer, die Grafen von Löwenstein, standen als die treuesten und wichtigsten Anhänger auf der Seite des siegreichen Schwedenkönigs. Nach der für die Sache der Geistesfreiheit so unglücklichen Schlacht bei Nördlingen stürzten sich die Kaiserlichen rachelechzend auf das fast ganz protestantische Franken. Piccolomini hatte den Auftrag, die Festungen Würzburg und Wertheim zu nehmen, und beorderte zur Eroberung der letzten den Feldmarschall-Lieutenant Suys, der die Burg auf ihrer schwächsten Seite, der südlichen, mit solchem Erfolge beschoß, daß die tapfere Besatzung, wozu auch eine Abtheilung schwedischer Hülfstruppen unter Hauptmann Rathgeber, einem gebornen Wertheimer, capituliren mußte. Sie erhielt freien Abzug und die wackern Bürger Belassung bei der augsburgischen Confession. Aber diese Concession mußte mit schweren Opfern erkauft werden. Zu fast unerschwinglichen Naturallieferungen kam eine Brandschatzung von 25,000 Reichsthalern für Abwendung der Plünderung, und da das Geld nicht aufzutreiben war, so gab jedes Haus, was es an Werthgegenständen besaß, und die Stadt wurde arm. Der kaiserliche Commandant der Burg, Borz, ließ die Bresche an der Südseite bestehen, oberhalb derselben aber eine Quermauer nebst Wall und Graben aufführen, wodurch die Befestigung zweckmäßiger und stärker als früher wurde. An dieser Mauer sehen wir heute noch die Jahreszahl 1634.

Nach dem Untergange des deutschen Reiches 1806 kam die Stadt Wertheitm mit ihrer Burg und ein großer Theil der nach ihr benannten Grafschaft an das Großherzogthum Baden; andere kleinere Theile gelangten an Baiern und Hessen.

In Wertheim, dicht unter der Burg, wohnt der rühmlich bekannte Lyriker und Altertumsforscher Dr. Alexander Kaufmann als fürstlicher Löwenstein’scher Archivrath mit seiner liebenswürdigen Gattin, der Dichterin Amara George. Jeder gebildete Fremde wird sich wohl in ihrem Haude fühlen.

Auch der fleißige Sagensammler Unterfrankens, Andreas Fries, lebt an der Gewerbeschule in Wertheim.