Ein Reisemärchen/Drittes Capitel
Hier siehst du ihn, lieber Leser, wie er Franz Hut und Stock reicht.
Der alte Major von Horn war ein sonderbarer, eigenthümlicher Mann. Wer ihn so sah, in seiner steifen militairischen Haltung, mit der Frisur, wie sie in den letzten Lebensjahren Friedrich’s des Großen bei manchen deutschen Truppen üblich war, der mußte glauben, er sei im Garnisondienste irgend eines kleinen deutschen Reichsfürsten ergraut, und habe in seinem ganzen Leben weiter Nichts gethan, als die Wache vor dem Pallaste Serenissimi bezogen und Bauerlümmel zu Vaterlandsvertheidigern dressirt. Und doch war dem nicht so. – Dieses starre, eingetrocknete mumienartige Gesicht war von der heißen indischen Sonne so ausgedörrt, von den eisigen Winden des Nordens so verhärtet worden; einst aber hatten tiefe, warme Empfindungen es beseelt und belebt. Diese lange, steife, magere Gestalt, unverwüstlich, wie von Eisen, war in ihrer Jugend berühmt durch ihre Gewandheit, denn der Major hatte, als er noch Leutnant hieß, für den kühnsten und sichersten Reiter, den unverwundlichsten Fechter und den besten Schwimmer gegolten. – Und unter dem alten altmodischen Dienstrocke schlug ein noch älteres und ein noch altmodischeres Herz, ein Herz voll echter Liebe und Menschenfreundlichkeit, ein Herz voll Treue und Wahrheit, kurz ein Herz, wie man es jetzt nur selten findet.
Es war ein sehr bewegtes Leben, das er geführt, der gute Major. Aus einem alten adeligen, reichsunmittelbaren Geschlechte abstammend, aber ein jüngerer Sohn, hatte er allerdings seine Jugend als Page im Dienst eines kleinen Fürsten zubringen müssen, und war, da dieser sehr auf eine Garde von großen Leuten hielt, sobald sich seine Figur so vortheilhaft in der Länge entwickelte, schnell zum Leutnant in besagter Garde avancirt. Der Erbprinz war darauf sein genauer Freund geworden, so weit nämlich Erbprinzen überhaupt genaue Freunde werden können, und hatte sich ihn als Begleiter und Adjutant bei einer Reise nach Paris von seinem durchlauchtigsten Papa ausgebeten. In Paris ging es dem Prinzen, wie es so manchem Prinzen schon daselbst gegangen ist: er verwickelte sich in viele gefährliche Verhältnisse, aus denen ihn Horn durch seine Klugheit und seinen Muth jedes Mal rettete. Eines Tages aber war es ihm unmöglich geworden, ein Duell von dem Prinzen, dem es auch keinesweges an Bravheit fehlte, abzuwenden oder für denselben auszufechten; der Prinz fiel von einem Degenstoße durchbohrt und Horn, dem allein die Schuld beigemessen wurde, fiel auch, aber nur in Ungnade, und wurde auf der Stelle verabschiedet. Dadurch zerschlug sich seine bevorstehende Vermählung mit einer Hofdame der Fürstin, welche er auf das Innigste liebte, und die schwach genug war, ihren vornehmen Zofendienst der Verbindung mit einem redlichen, aber gekränkten Manne vorzuziehen. Er trat nun unter das holländische Militair und verließ Europa mit seinem Regiment. Lange Jahre brachte er auf den überseeischen holländischen Besitzungen zu, bald mit den Engländern, bald mit den Eingebornen im Kampfe. Als er endlich zurückkehrte, war die französische Revolution schon bis zum Consulate Bonaparte’s vorgerückt, und die Niederlande standen bereits, wenn auch nicht öffentlich, unter französischer Botmäßigkeit. Horn fand nun, daß er, obwol so eben aus einer strengen Schule der Erfahrung entlassen, doch Vieles aus dem Buche des Lebens zu lernen versäumt habe, und beschloß daher, als ein fleißiger Schüler der lebendigen Weltgeschichte dies emsig nachzuholen. Die neuen Ideen, die sich damals so gewaltsam Bahn gebrochen, ergriffen ihn und erschütterten sein innerstes Wesen, allein er hatte zu viel zu lernen, so daß
es ihm nie gelang, die Gegenwart einzuholen, und er immer ungefähr eine Stunde hinter dem Heute zurückblieb. Dies war die Ursache, daß er sich durchaus nicht in die Welt finden konnte und mit Allem unzufrieden ward, am Meisten mit Napoleon, der ihm immer zu rasch vorwärts eilte. Er kämpfte aber doch unter dessen Fahnen treulich mit, bis sich des Eroberers Stern zu senken begann. Schwer verwundet bei Smolensk, erhielt er seinen Abschied und ging nach Deutschland. Am Befreiungskriege nahm er, obwol wieder hergestellt und gegen Napoleon heftig erzürnt, weil er ihn nicht begriff, keinen Antheil. Er meinte, er wolle nun auch einmal vom Parterre aus ansehen, wie sich das neue Trauerspiel da oben entwickelte, wo er so lange und so oft als Statist mitgespielt.
Napoleon’s Sturz wunderte ihn nicht, freute ihn nicht, ärgerte ihn nicht. Er sah ganz gelassen zu und wartete ungläubig, ob die Verheißungen jener Tage in Erfüllung gingen. Er war überhaupt durch seine praktischen Studien der Weltgeschichte ungläubig geworden, und hielt nicht viel von den Menschen; gar nichts eigentlich von den Männern und nur wenig von den Frauen; die letzteren hatte er nämlich nicht so genau kennen lernen, wie die ersteren; auch meinte er, er sei ihnen gegenüber befangen, weil er seine untreue Hofdame noch immer nicht ganz vergessen konnte. – Nachdem er lange bald hier bald dort gelebt, und es ihm nirgends recht hatte gefallen wollen, ließ er sich endlich, durch einen seltsamen Einfall dazu bewogen, für immer in dem kleinen Städtchen nieder, wo Maria mit ihrer Mutter wohnte. Als er nämlich einst im Buche seines Lebens blätterte, fiel ihm eine Seite in die Augen, die er lange nicht gelesen, und auf welcher etwas geschrieben stand, das ihm angenehme Erinnerungen weckte. In seinen Pagenjahren hatte er einmal im Gefolge des Fürsten einen Ausflug auf das Land gemacht und war durch das kleine Städtchen am frühen Morgen gekommen, wo noch Alles im festem Morgenschlaf gelegen. Serenissimus, der nur ausnahmsweise in der Nacht zu reisen pflegte, war im Wagen geblieben und setzte selbst einen anmuthigen Traum – ich glaube, er träumte, die Kurfürsten hätten ihn zum deutschen Kaiser gewählt – behaglich fort. Unser armer Page hatte aber absteigen müssen, um das Umspannen zu besorgen, und schritt nun nüchtern und frierend, denn es war im Spätherbste, auf dem Markte auf und ab. Da gewahrte er plötzlich in einem Häuschen gegenüber eine Familie, die traulich um den von einer Lampe erhellten Tisch bei dem Frühstück saß. Sie bestand aus Vater, Mutter und Tochter. An das Fenster klopfen und um eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot bitten, war bei dem kecken Pagen das Werk eines Augenblicks, und nicht ohne Gefahr, denn hätten der gnädigste Herr oder dessen ungnädiger Begleiter, der Hof- und Reisemarschall, gesehen, daß einer ihrer hochadeligen Pagen sich so weit vergessen könne, bei der Roture um einen Morgentrunk zu betteln, während Durchlaucht selber noch nichts genossen, er wäre für immer verloren gewesen. Unser Freund hatte aber nur der Stimme seines Inneren gehorcht, d. h. seines Magens, der wir Menschen überhaupt weit öfter Gehör schenken, als wir selbst glauben, und das kühne Wagniß war ihm gelungen. Freundlich hatte man ihm das Fenster geöffnet und ihm das Erbetene zugesagt, aber zugleich ihn eingeladen, in das Haus zu kommen, um so mehr, da der kühle Morgenwind unheimlich durch die Oeffnung eindrang. Das hatte er jedoch nicht gewagt. Da war aber die Tochter, ein sanftes, hübsches Kind von sechzehn Jahren, mit dem Nöthigen zu ihm vor die Hausthür gekommen, ihn mit dem warmen Trank und einem Imbiß bewirthend, und im dünnen Morgenanzuge draußen freundlich wartend, bis des armen jungen Herrn Hunger und Durst gestillt war. Einen Kuß, um den er keck gebeten, schlug sie ihm mit freundlichem Ernst ab. Gleich darauf bliesen die Postillone, und die Reise ging weiter, so daß ihm nur eben die Zeit blieb, ihr auf das Lebhafteste zu danken und sich in den Wagen zu schwingen.
Verliebt hatte sich unser Page eben nicht in die barmherzige Samariterin, aber ihr freundliches Bild sich doch fest eingeprägt und im Anfang oft an sie gedacht. Später stieg bei seinem bewegten Leben die Erinnerung an dies anmuthige Abenteuer zwar seltener in ihm auf, allein die [31] Farben ihres Portraits wurden darum nicht schwächer, sondern standen eben so lebhaft vor seiner Seele selbst noch in Java, wo er gern wachend von der deutschen Heimath träumte. Nie war er indessen wieder in jenes Städtchen gekommen. Als er nun nach Deutschland zurückkehrte, und es ihm weder in Berlin noch in Dresden, weder in Frankfurt am Main noch in Hamburg, kurz in keiner großen Stadt unseres lieben Vaterlandes recht behagen wollte, kam es ihm in den Sinn, es einmal in einem kleinen Städtchen zu versuchen, und bei dieser Gelegenheit fiel ihm jene artige Begebenheit wieder ein. Augenblicklich machte er sich auf und reiste hin, ohne recht zu wissen, was er dort eigentlich wolle; denn sich dort auf immer niederzulassen, daran dachte er am Wenigsten.
Als er dort anlangte, hatte er merkwürdiger Weise ganz vergessen, daß er der alte Major von Horn sei und ihm war völlig zu Muthe, wie wenn er noch der siebzehnjährige Page wäre. Dazu trug nun auch wol der Umstand, daß er in dem kleinen Städtchen nichts verändert und dasselbe, vorzüglich den ihm wohlbekannten Marktplatz, noch ganz so fand, wie er ihn vor mehr als funfzig Jahren an jenem Morgen gesehen. Ohne sich weiter zu bedenken, ging er daher auch, sowie er aus dem Wagen gestiegen war, nach dem Häuschen gegenüber, wo man ihn einst so freundlich bewirthet. In dem Häuschen wohnten aber jetzt Frau Forster und ihre Tochter. Maria öffnete ihm die Thür und war ganz verwundert, als er ihr ohne Weiteres sagte, er komme sich nochmals für den Kaffee zu bedanken, den sie ihm an jenem Morgen kredenzt. Sie verstand ihn natürlich nicht, und glaubte erst, dem alten Herrn Offizier habe entweder die heiße Sonne Spaniens oder das Eis der Beresina den Verstand verwirrt. Als aber ihre Mutter dazu kam und diese sich erinnerte, daß ihre Mutter ihr einst erzählt, wie sie als blutjunges Mädchen einmal einem hübschen Pagen ihren eigenen Kaffee gegeben, weil er im Dienste des damaligen Fürsten, der seitdem mitsammt seinem Fürstenthum längst zu seinen Vätern versammelt, so sehr gefroren, da löste sich das Räthsel und da es gerade wieder Kaffeezeit, obwol des Nachmittags war, so luden sie den alten Herrn freundlich ein mit ihnen vorlieb zu nehmen. Das that denn der Major auch und siehe da! es gefiel ihm so wohl bei den beiden Frauen und die beiden Frauen selbst gefielen ihm noch weit besser, daß er eine wahre väterliche Zuneigung zu ihnen faßte und beschloß, seine letzten Lebenstage in dem Städtchen zuzubringen und sie zu seinen Erben zu machen, wovon er ihnen aber noch nichts sagte. Als ein alter erprobter Soldat war er gewohnt stets rasch zu handeln und so machte er es auch hier. Noch an demselben Tage hatte er sich ein Logis in der Nähe gemiethet und sich die Kost bei der Frau Forster ausbedungen. Am folgenden Morgen bezog er die neue Wohnung und nun war Alles in Ordnung und ging seinen alten regelmäßigen Gang fort.
Den beiden Frauen wurde das neue Verhältniß sehr angenehm; sie hatten bisher einförmig, wie eine Raupe ihr Blatt, einen Tag nach dem andern von ihrem stillen Leben abgezehrt, denn ein Tag war gleich dem andern. Nun brachte die Sorge für ihren neuen Tischgenossen doch etwas Abänderung hinein und Frauen sind immer glücklich, wenn sie nur etwas haben, für das sie sorgen können; es ist eine so liebenswürdige Eigenschaft an ihnen. Mit Unrecht wirft man alten Mädchen ihre Leidenschaft für Thiere vor; sie entspringt aus derselben Quelle; wenn solche arme Stieftöchter des Himmels Menschen hätten, für die sie sorgen könnten, so würden sie die Thiere Thiere sein lassen. Marie und ihre Mutter gewöhnten sich nicht allein bald an den Major, sie liebten ihn auch eben so schnell und er verdiente es; denn er war wirklich ein liebenswürdiger Greis, der unermüdlich ihnen das Dasein erfreulich zu machen suchte, ohne ihnen unbequem zu werden. Er kam zur Mittagszeit, das einfache Mahl mit ihnen zu verzehren, ging dann bei schönem Wetter mit ihnen spazieren oder spielte Schach mit Marien, das er ihr lehrte und begab sich darauf, wenn sie zusammen, im häuslichen Kreise den Thee getrunken, gegen Abend wieder nach seiner Wohnung, nachdem Marie ihm noch einige seiner Lieblingslieder vorgesungen. Sie hatte eine schöne, tiefe, glockenreine Altstimme, so eine Stimme, die man, möge man wollen oder nicht, immer mit dem Herzen hören muß und Alles, was sie sang, kam ihr aus der Seele. War es daher ein Wunder, daß der Major von Horn eine Neigung zu ihr faßte, als ob sie seine Tochter sei? Obendrein sah sie ja auch ihrer Großmutter ähnlich, wie wenn diese es selbst wäre und das Bild der Großmutter hatte der alte Herr funfzig Jahre mit sich herumgetragen, ohne in das Original verliebt zu sein; da ist es doch wol ganz natürlich, daß er es ein Bischen in die lebendige Kopie wurde.
Für Maria trug übrigens sein Umgang den größten Nutzen. Sie war, obwol lieb und gut, in einer kleinen einsamen deutschen Stadt aufgewachsen; solchen Chrysaliden wird es doppelt schwer durch ihre Hülle zu brechen und sich frei und ganz zu entwickeln. Der Major aber erweiterte der Jungfrau engen Gesichtskreis ohne die Heiligthümer ihrer Seele anzutasten und zu verrücken.
So lebten sie mehre Jahre sehr ruhig und glücklich mit einander. Da kam Franz von einer langen Reise zurück, sah Maria seine Jugendgespielin wieder, verliebte sich von Neuem in sie und hielt um ihre Hand an. Dem alten Horn gefiel er eigentlich nicht, denn der junge Mann schien ihm noch zu unreif und unsicher, und es war ihm bedenklich. Aber Frau Forster und Maria hatten Nichts als das Häuschen und eine kleine Pension, von der sie lebten und die mit der Mutter Tode aufhörte; des Majors Vermögen war auch nicht bedeutend. Ob sich in dem Städtchen ein zweiter Bewerber finden würde, der für die Jungfrau passe, war auch noch sehr zu bezweifeln. Am Meisten wog jedoch bei dem alten Herrn die Ueberzeugung, daß es des Weibes Bestimmung sei, Gattin und Mutter zu werden und daß ein Unberufener da nicht müsse das Schicksal spielen wollen. Er verhielt sich also ganz passiv bei der Verlobung, aber beobachtete Franz und je länger er ihn beobachtete, destoweniger behagte ihm derselbe, obwol er wiederum keineswegs an ihm verzweifelte.
Nun weiß der Leser, wer der alte Major ist.