Ein Schriftstellergrab

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Schriftstellergrab
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 700
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[700]
Ein Schriftsteller-Grab.

Fast zu jeder Zeit gibt es einen oder den andern Schriftsteller, der durch seine Werke das lesende Publicum vollständig beherrscht, trotzdem aber nach wenigen Jahren bereits gänzlich vergessen wird. Für alle Zeit lebt, wie der Dichter sagt, nur der, welcher den Besten seiner Zeit genug gethan hat, und das kann man freilich von jenen Schriftstellern nicht sagen, wenn sie auch die gefeierten Lieblinge der Menge waren.

An das einsame, noch ziemlich frische Grab eines Solchen treten wir hier, denn wie es Pflicht ist, verehrend stets Jener zu gedenken, die Unvergängliches geschossen haben, so ziemt es sich, gelegentlich auch an die zu erinnern, welche durch ihres Geistes Kraft einen großen Theil ihres Volkes, wenn auch nur auf kurze Zeit, an sich zu fesseln vermochten. Wir treten an das Grab Karl Spindler’s, dessen „Jude“ vor einem Viertel-Jahrhunderte sicherlich das gelesenste Buch in Deutschland war und der dauernde Werke würde haben schaffen können, wenn er sich eine gründlichere Bildung erworben hätte und nicht durch das Unstäte und Ruhelose seiner Natur durch seine Arbeiten wie durch sein ganzes Leben gehetzt worden wäre. Seine Phantasie schien unerschöpflich zu sein und sie machte es ihm möglich, sein unersättliches Publicum mit immer neuen Gaben zu erfreuen. Der Schreiber, dem er seine Erzählungen dictirte, vermochte mit der flüchtigsten Feder seinen Worten kaum zu folgen. Und wie seine Romane durch Stoffreichthum sich hervorthun, so liebte der dicke Mann mit derbem Hunger und gesundem Geschmack über alles ein tüchtiges Stück saftiges Fleisch, fette Mehlspeisen, Speck- und Griesknödel, das „edle“ Sauerkraut etc. Auch gehörte er immer zu denen, welche, wie Jean Paul sagt, die tägliche Tinte mit einigem Bier oder Wein verdünnen müssen. Und an gemüthlicher Heiterkeit fehlte es ihm selten, er mochte in Mangel oder in Ueberfluß leben.

Spindler’s Grab in Petersthal.

Spindler’s Eltern stammten aus Baiern, er wurde aber (am 16. Octbr. 1796) in Breslau geboren, wo damals sein Vater Kapellmeister war, der bald darauf nach Straßburg kam als Organist am Münster. Nachdem der Sohn die Schule durchlaufen hatte, entlief er auch den Eltern und wurde Schauspieler. Als solcher durchzog er Deutschland von einem Ende zum andern. Das waren seine Lehr- und Wanderjahre, in denen er das, was er aus den Büchern nicht erlernt hatte, wie das, was die Bücher nie lehren können, praktisch erlernte, aber auch erkannte, daß es ihm an Talent zum Schauspieler fast ganz und gar fehle. Er hatte sich aber früh schon verheirathet und mußte eine lange Zeit sehr schwerer Noth durchmachen. In dieser schrieb er seinen ersten Roman: „Der Bastard“, der sein großes Talent verrieth und seine Bekanntschaft mit dem seltsamen, aber äußerst rührigen Buchhändler Frankh herbeiführte. Damit war sein Glück – äußerlich gemacht, denn bis zur Mitte der vierziger Jahre sammelte er sich ein Vermögen von etwa 80,000 Gulden. In seiner Familie aber traf ihn schweres Leid. Seine Frau verfiel in eine Art Geistesstörung, die sich anfangs nur in Verschwendung und allerlei Seltsamkeiten kundgab, auch Spindler nöthigte, sich von ihr zu trennen, später aber immer mehr und unheimlicher sich entwickelte. Er unternahm größere und kleinere Reisen, lebte unstät bald hier, bald dort, meist in oder bei Baden-Baden, immer mit neuen Romanen und Erzählungen beschäftigt, bis am 15. Juli 1855, in der Hochzeitsnacht seiner einzigen Tochter, in dem kleinen Badeorte Freiersbach (bei Petersthal im Renchthal) ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende machte.

Die Straße führt mitten durch das reizende Dorf Petersthal. Dicht an der Straße steht die Kirche und hinter derselben, am steilen Bergabhange, liegt der schmucklose Gottesacker. Schräg über diesen läuft ein Fußweg. Dicht an diesem Wege steht am obern Ende eines Grabes, auf die hohe Seite gestellt, ein unbehauener Stein, der ein gußeisernes Kreuz trägt und auf dem man den Namen Carl Spindler liest. Grüner, lebensfrischer Epheu wuchert üppig an dem Steine empor. Eine schmale Einfassung an den Seiten und in der Mitte ein kleines Rund von Gras und Vergißmeinnicht ist der prunklose Schmuck des kleinen Hügels, der „letzten Herberge“ eines deutschen Dichters, der einst die Liebe seines Volkes besaß.
D.