Aus Garibaldi’s Leben

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Autor: unbekannt
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Titel: Aus Garibaldi’s Leben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 440-442
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus Garibaldi’s Leben.
Zur Charakteristik desselben.

Schon lange und vorzugsweise jetzt sind die Augen Europa’s auf einen Mann, Garibaldi, gerichtet, welcher, mit seltenen Feldherrntalenten und einer außerordentlichen Energie des Charakters begabt, seine höhere militairische Laufbahn als Chef einer Escadron im Dienste der argentinischen Republik gegen den Dictator Rosas in Buenos-Ayres begann, 1848 unter Carl Albert von Sardinien ruhmreich gegen die Oesterreicher und während der kurzen Zeit der römischen Republik mit einem Heldenmuthe ohne Gleichen für diese focht. Was er auch, wiederum gegen Oesterreich, im verflossenen Jahre als sardinischer General leistete, ist noch in frischem Andenken.

Vorzugsweise in Rom, 1848, tritt dieser Mann zum ersten Male hervorleuchtend vor die Augen Europa’s; Momente aus dieser Zeit, theils auf Thatsachen, theils auf seinen eigenen kurzen Mittheilungen beruhend, bezeichneten uns schon damals den Mann so, wie wir ihn 1859 in der Lombardei und jetzt in Sicilien wieder erkannt haben. Das allgemeine Interesse, welches sich ihm zugewendet hat, läßt uns hoffen, daß unsere Leser gern einige Rückblicke auf sein Leben, welche ihn uns als Krieger und Menschen bezeichnen, lesen werden.

Garibaldi, den wir 1859 in Como als bereits ältlichen Mann, von mittler Statur, mit kurz geschorenem schon etwas grauem Bart und Haupthaar, im blauen Uniformrock mit den auf Kragen und Aufschlägen seinen Generalsrang bezeichnenden Stickereien wiederfinden, hatte immer noch den freundlichen wohlwollenden Blick früherer Zeiten in seinen vollständig antiken Gesichtszügen und klaren blauen Augen. Sein Erscheinen in Rom 1848 mochte für den, welcher an das moderne europäische Soldatenwesen gewöhnt ist, etwas Außerordentliches haben. Damals trug er, so wie sein gesammter Stab und später sein ganzes Corps, die rothe Blouse und über diese einen kurzen weißen amerikanischen Mantel. Seinen Kopf bedeckte ein spitzer Hut mit schmaler Krämpe und einer vollen schwarzen Straußfeder geziert, unter welchem sich das tiefbraune Haar hervordrängte und sein sonnverbranntes Gesicht beschattete. Sein unteres Gesicht war fast ganz mit seinem vollen röthlichen Barte bedeckt, und seine Haltung zu Pferde war, als ob er darauf geboren wäre. Ebenso, wie dieser Mann seiner Waffenerfolge wegen schon damals angestaunt wurde, riß er die Seinigen auch durch seine meisterhafte, oft spartanisch-kräftige Beredsamkeit mit fort.

Die Episode in Rom läßt sich in die Zeit vor der Belagerung, die Belagerung selbst und den Zug Garibaldi’s nach San Marino eintheilen. Daß Rom mit Stolz und Würde fiel, war nur Garibaldi zu danken. Hätte nicht Roselli, ein unentschlossener Mann, sondern Garibaldi, der sich schon in den Einöden von La Plata zum umsichtigen, entschlossenen Feldherrn ausgebildet hatte, von Anfang an den Oberbefehl gehabt, wer weiß, wie anders sich noch die Resultate herausgestellt haben würden.

Die durch die Februar-Revolution 1848 entstandene französische Republik hatte beschlossen, den nach Gaeta geflohenen Papst Pius IX. wieder nach Rom zurückzuführen und die dort am 9. Februar unter einem Triumvirat, dessen Haupt Mazzini war, constituirte Republik mit Waffengewalt aufzulösen. Am 28. April landete die französische Expedition unter Marschall Oudinot in Civita-Vecchia. Zu demselben Zwecke hatte sich auch Neapel gerüstet, und sein Heer war unter Anführung des Generals Nunziante bei Valmontone in römisches Gebiet eingefallen. Hiergegen war die ganze römische Bevölkerung aufgestanden, und Garibaldi, von den Grenzen Tirols herbeigeeilt, commandirte hier als General ein eigenes Corps von Bersaglieri (Tirailleurs), Emigranten, Studenten, Finanzsoldaten etc. in einer zwischen 2500 bis 5000 Mann wechselnden Stärke, welches die italienische Legion genannt wurde.

Die Franzosen standen damals nordwestwärts bei St. Paolo, etwa sechs Stunden vor Rom, und hatten eine Art diplomatischen Verkehrs mit dem Triumvirat. Den 4. Mai Abends erhielt die Legion, etwa 3000 Mann stark und ohne Geschütz, Befehl, sich auf der Piazza del Popolo zum Abmarsche bereit zu halten. Um 6 Uhr erschien Garibaldi und wurde mit donnernden Evvivas empfangen. Er führte nun das Corps in die Gärten der Villa Borghese und redete sie dort an. Um 8 Uhr begann der Abmarsch, wohin, wußte Niemand. Die Spione glaubten, daß er einen Streich gegen die Franzosen beabsichtige, aber am Morgen des 5. Mai stand er plötzlich vor Tivoli, 18 Miglien von Rom, in der rechten Flanke der Neapolitaner, nahm Präneste und verjagte ihre 5000 Mann starke Vorhut aus Valmontone. Nach dem stillen, raschen Nachtmarsche vom 4. zum 5. wurde den Truppen bei Tivoli Ruhe gegönnt. Garibaldi sprang vom Pferde, sein treuer Diener, ein Mohr, den er aus Amerika mitgebracht hatte, sattelte sein Pferd ab, steckte Säbel und Scheide gekreuzt in die Erde, davor eine Pike und über dieses sonderbare Gerippe hing er des Generals Mantel, legte darunter den Sattel, darüber den Bärenpelz, und der General, nachdem er seine Befehle dictirt hatte, zog nun die Blouse aus, warf sich unter dieses ihm gewöhnliche Zelt (mehr Sonnenschirm) und schlief fest ein. Die Franzosen hatten sich schon am 30. April der Stadt Rom genähert und mehrere dominirende Villen wegzunehmen gesucht, wurden aber plötzlich von Garibaldi angegriffen, verloren 20 Officiere und 600 Mann an Todten und Blessirten, 500 Gefangene und mußten auf allen Punkten zurückweichen. Dies und nun die Schlappe der Neapolitaner veranlaßte sie wieder zum Vorrücken, aber wunderbarer Weise rückte Garibaldi schon am 9. Mai mit seinen Siegestrophäen wieder in Rom ein. Später wollte der Obergeneral Roselli sich gleichen Ruhm erwerben und rückte mit einem Corps von 8000 Mann, bei welchem Garibaldi die Vorhut bildete, am 18. Mai den Neapolitanern entgegen. Allein die Unschlüssigkeit Roselli’s brachte der Expedition nur wenig Nutzen. Es kam hierbei vor, daß Garibaldi mit seiner nur 1200 Mann starken Vorhut sich mit der 5000 Mann starken neapolitanischen Avantgarde engagirte. Er forderte nun sofort die Unterstützung des Hauptcorps; Roselli aber ließ ihm sagen, daß die Truppen noch nicht „menagirt“ hätten, und ließ ihn drei Stunden im Kampfe mit der Uebermacht ausharren. Garibaldi sagte später zu seinen Vertrauten, „daß er gegen diese Antwort des Generals nur einen Blick der tiefsten Verachtung gehabt habe.“ –

Am 24. Mai zog Garibaldi mit seiner Legion wieder in Rom ein. „Man muß,“ sagt hierüber einer seiner Officiere, „diese in Mühseligkeiten und Kämpfen aller Art erprobte Legion gesehen haben, um sich eine deutliche Vorstellung von ihr zu machen. Sie trug damals noch dunkelblaue Blousen mit grünen Aufschlägen, hechtgraue weite Pantalons und Calabreser mit schwarzer Straußfeder, der Dolch im Gürtel fehlte nur Wenigen. Tornister oder Mäntel hatten sie keine. Die Reiterei trug hellblaue Spenser, weiße Kapuzinermäntel, rothe Hosen und auf dem Kopfe den griechischen Feß.

Am 2. Juni war in Rom bekannt gemacht worden, daß mit den Franzosen ein Waffenstillstand abgeschlossen sei. Aber schon an demselben Abend ließ Oudinot bekannt machen, daß sein Geschäftsträger, Herr Lesseps, seine Instructionen überschritten habe, und er am 4. den Kampf eröffnen würde. Auf diese Proclamation des französischen Generals, – „eine, wie sich nachher ergab, wissentliche Lüge“ – vertrauend, hatte der Obergeneral Roselli die nöthigen Vorsichtsmaßregeln für den 3. unterlassen. Kanonendonner weckte früh am 3. die Römer; die Franzosen hatten sich der Villa Corsini, eines die Wälle dominirenden Punktes, bemächtigt, aber Garibaldi war mit seiner Legion herbeigeeilt und suchte in übermächtiger Anstrengung die verlorenen Punkte wieder zu gewinnen. Seine nur etwa 4000 Mann starke Colonne blieb ununterstützt den ganzen Tag über im Feuer gegen fast 20,000 Franzosen, verlor 1000 Mann und 100 Officiere an Todten und Blessirten und erreichte ihr Ziel nicht. Garibaldi selbst war während des Kampfes überall; um ihn herum fielen seine bravsten Officiere, er blieb ruhig; einzig stand er da im blutigen Gefecht um die entrissene Position. Nicht Eigensinn, nicht Ehrgeiz lassen ihn die großen Opfer bringen, er fühlt die Bedeutung des Kampfes, und mit edler Seelengröße harrt er mitten unter seinen umherliegenden Freunden aus.

In seiner Begegnung gegen Officiere und Soldaten war er immer wohlwollend und freundlich; bei Versehen und Vergehen im Dienste kannte er nur den Verweis und den Tod; er hielt [441] unerbittlich streng auf Mannszucht. Bei seiner fast erhabenen Seelenruhe bedurfte es der äußersten Aufregung, um ihn in Handlungen und Worten zur Heftigkeit hinzureißen. Hiervon zwei Beispiele. Die am 3. Juni so heldenmüthig tapfere italienische Legion hatte sich bei einem Ausfalle in der Nacht vom 10. zum 11. Juni durch irgend welchen panischen Schrecken zur allgemeinen Flucht zurück nach der Porta Cavallegieri hinreißen lassen. Um das Kloster dei Formaci sammelten sich, vom Obersten Manara aufgehalten, die Flüchtlinge wieder; mitten im Gedränge erschien der General und tractirte, schäumend vor Wuth über diese Ehrlosigkeit der Legion, die Leute mit seiner büffelledernen Reitpeitsche per „Canaille“. Zwar wollte man nun wieder vorrücken, der General aber befahl umzukehren, „weil man mit so furchtsamen Leuten nichts anfangen könne.“ Einer der Letzten, die zum Thore hineinritten, warf er sich mit Oberst Manara, in seinen Mantel gehüllt, auf die Erde und schlief einige Stunden. Die sonst so tapfere Legion, tief beschämt über ihre Ehrlosigkeit, schickte am Morgen des 12. eine Deputation zu ihm und erbot sich, zur Sühne beim nächsten Kampfe in vorderster Reihe zu kämpfen. Garibaldi empfing sie stolz und würdigte sie keiner Antwort; erst nach dreimaliger Wiederkehr erhielten sie die erbetene Erlaubniß.

Bei seinem gefahrvollen Zuge von Rom über Orvieto und Arezzo nach San Marino machten eines Abends seine um ihn versammelten Officiere die Bemerkung, daß Roselli, durchaus untauglich zum Obercommandanten, Alles verdorben und dadurch Roms Fall herbeigeführt habe, was vielleicht nicht geschehen wäre, wenn man Garibaldi das Obercommando gegeben hätte. In hoher Aufregung erwiderte er: „Man wagte es nicht, das Obercommando in meine Hände zu legen, weil man mehr, als französische Kugeln, Noten fürchtete, in welchen dem Triumvirate vorgeworfen werden konnte, einen Räuberhauptmann, wie sie mich zu nennen geruhen, an die Spitze gestellt zu haben, oder einen Corsaren, wie es ihnen beliebte, als ich die Escadre auf dem La Plata commandirte. Es ist allerdings bequem, einen thatkräftigen und gefährlichen Feind so zu heißen, um der Beachtung aller völkerrechtlichen Gesetze gegen ihn enthoben zu sein. Aber man reise den La Plata auf und nieder, man wird hören, daß ich stets den Krieg regelmäßig führte, daß jede Grausamkeit verpönt, jeder Raub mit dem Tode bestraft wurde. Aehnliche Ehrentitel gaben sie mir in Tirol, obwohl ich piemontesischer General war, und gerne, wenn sie könnten, möchten sie mich auch hier zu einem Abällino stempeln. Die Herren der Regierung und der Constituante wissen übrigens recht gut, daß ich dort wie hier die strengste Mannszucht gehalten habe.“

Er ließ z. B. bei Orvieto einen Soldaten, der einer armen Frau ein Huhn gestohlen hatte und auf der That ertappt worden war, füsiliren und sprach hierbei zur erstaunten Truppe: „So bestrafe ich jeden Dieb! Sind wir Freiheitskämpfer oder Räuber? Sind wir ausgezogen, das Volk zu schützen oder zu drücken?“ – Zuweilen, aber selten, bestrafte er auch durch Belehrung und Verachtung. Bei der Besetzung von Castello Fiorentino auf dem Marsche nach San Marino hatte man einen in Civil gekleideten österreichischen Unteroffizier, welcher eine Depesche der Oesterreicher aus Cortona nach Arezzo überbringen sollte, aufgefangen. Dieser war ein Italiener aus Trient. Garibaldi befahl, ihm die Uniform, die man im Posthause aufgefunden, anzuziehen und ihn so der Colonne vorzustellen. Hier rief er seinen Leuten zu: „Wie traurig ist es, daß die Unterdrücker zur Bekämpfung unseres Volkes Italiener finden! Seht, wie gut dieser sonderbare Hut und die graue Kleidung einem Italiener stehen! Ich schenke ihm das Leben, weil er keine Kugel werth ist.“

Rom war nach heldenmüthigem Widerstande gefallen; das Triumvirat hatte trotz der Vorschläge Garibaldi’s, mit Schätzen, Geschützen und Truppen einen festeren Ort zu wählen und von dort aus die Insurrecticn Neapels zu beginnen, in abgespannter Hoffnungslosigkeit am 1. Juli capitulirt. Nur Garibaldi unterzog sich dieser Capitulation nicht. Er beschloß den Partisanenkrieg, hoffte noch auf Sympathien in Toscana und in den Abruzzen, und als letzte Rettung auf Venedig. Er zog daher seine ihm ergebene Legion aus Trastevere (dem kleineren Theile Roms rechts der Tiber) nach dem größeren Theile links der Tiber hinüber. Schon am 3. Juli Morgens um 7 Uhr hatte das Corps, bestehend aus 2500 Manu Infanterie und 400 Cavallerie, das Gebirge gewonnen und zog in Tivoli ein. Den Zug begleitete auch des Generals Gemahlin. Sie war eine Frau von ungefähr achtundzwanzig Jahren, sehr dunklem Teint und sehr zartem Gliederbau. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr die Amazone; als solche war sie auch gekleidet; sie trug ein dunkelgrünes Gewand und einen Calabreserhut mit Straußfeder, und ritt einen kleinen Grauschimmel. Gewöhnlich hatte sie keine Waffe; nur in der Zeit der Gefahr schnallte sie einen leichten Reitersäbel um. An einem der folgenden Abende erzählte der General aus Amerika folgenden Zug von ihr: „In einem Kriege in den Wäldern und Prairien gibt es keine regulären und ständigen Colonnen: oft sind die Führer heute mit 3000, morgen kaum mit 300 Streitern umgeben. So war ich einst nach mehreren Reitergefechten nur noch 800 Mann stark, wurde aber nochmals von einem überlegenen Feinde angegriffen, gesprengt und rettete mich und 400 Mann mit Mühe in die Wälder. Meine Frau hatte auf dem linken Flügel gekämpft und wurde gefangen. In der Nacht aber entwich sie den schlafenden Wächtern, schwang sich auf ein Pferd, stürzte sich in den breiten Strom und gelangte nach acht Tagen voll unsäglicher Mühseligkeiten, Entbehrungen und Gefahren wieder zu mir.“

Als Garibaldi, noch immer nicht ohne alle Hoffnung, aus Rom zog, sagte er zu den Soldaten die bekannten echt spartanischen Worte: „Wer mir folgen will, dem biete ich Mühseligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.“

In Tivoli befahl er vor Sonnenuntergang Aufstellung und Marsch auf der Straße nach Neapel. Aber am Abende des 4. nach eingebrochener Dunkelheit wurde querfeldein geschwenkt, und um Mitternacht Bivouak bei einer Fontana bezogen. Das Corps stand wieder nahe bei Tivoli in einer Vertiefung verborgen. Der im Partisanenkriege so gewandte General täuschte durch solche Bewegungen während des ganzen abenteuerlichen Zuges nach San Marino so Oesterreicher als Franzosen. Seine Leute fürchteten ihn ebenso, wie sie ihn liebten, und wußten recht gut, daß er sie bei Vergehungen würde füsiliren lassen, ohne die Cigarre wegzulegen. – Ebenso, wie des Generals Sicherheit in der Gefechtsführung, seine Einsicht und sein Scharfblick in der Vertheidigung Roms oft bewundert worden war, so zeigte er auf diesem Zuge eine außerordentliche Gewandtheit in der Entwickelung des Sicherheits- und Kundschafterdienstes; nur vieljährige Uebung in Kriegen und Kämpfen an der Spitze leichter Schaaren hatte ihn hierin zu einem Meister gebildet, wie es vielleicht keinen zweiten gibt.

In Terni vereinigte er sich mit dem dort stehenden Oberst Forbes, so daß trotz verloren gegangener Nachzügler und Marodeurs hier sein Corps noch 3000 Mann, worunter 450 Reiter, stark war. Dennoch verlor er bereits die Hoffnung der Insurgirung der Abruzzen, und zu seinen Hauptfeinden gehörten schon damals die gegen ihn aufwiegelnden Mönche und Priester. So hatten vorzugsweise die Kapuziner im Kloster unfern Chiusi die ganze Gegend gegen ihn aufgewiegelt. Der General beschloß deshalb, ein Beispiel hiergegen zu statuiren, und ließ die vierundzwanzig Mönche durch ein Detachement Soldaten nach dem Lager führen. Keuchend und in Schweiß gebadet, kamen die korpulenten Herren an und hörten, ohne eine Miene zu verziehen, die strengen Worte des Generals an. Dieser sagte unter Anderem zu ihnen: „Ihr habt die Flamme des Bürgerkrieges angefacht; Ihr nennt Euch ministri di Dio und seid ministri di diavolo“ etc. Schließlich befahl er, daß sie so lange als Geiseln dem Zuge folgen sollten, bis er einige durch sie verlorene Gefangene mit Waffen und Pferden wiederhabe. Wirklich folgten sie in ernster Procession fünf Tage dem Zuge.

Obgleich man glauben könnte, daß auf diesem Zuge und der eigenthümlich abenteuerlichen Lage eine gewisse Vertraulichkeit zwischen den Oberofficieren und dem Generale entstanden sein könnte, so war nicht nur dies nicht der Fall, sondern selbst seine treuesten Gefährten, die schon in Amerika unter ihm gedient hatten, näherten sich ihm stets mit Ehrfurcht, und Jeder, der ein freundliches oder gnädiges Wort von ihm erhielt, schätzte sich glücklich; – ein Beweis, welche Herrschaft dieser seltene Mann über die Gemüther auszuüben versteht.

Die Lage des kleinen Corps, welches bei Arezzo nur noch etwa 2500 Mann stark war, wurde immer bedrängter. Zwar folgten die Franzosen von Orvieto aus nicht weiter, aber die Oesterreicher drängten von Perugia aus, und in Arezzo standen ein Paar österreichische Jägercompagnien. Mehrere Oberofficiere riethen nun dem General, die Oesterreicher angreifen und die Legionäre [442] wieder einmal schießen zu lassen. Zwar hatte der General durch einen mit einer Depesche vom General Stadion in Siena an den General Paumgarten in Perugia aufgefangenen Postillion, den er mit dem Rathe frei ließ, sich nicht wieder erwischen zu lassen, erfahren, daß Ersterer nur 4 schwache Bataillone, Letzterer etwas mehr commandire und man Garibaldi’s Corps an Macht bedeutend überschätze; demohngeachtet hatte er jetzt nur noch den Plan der Rettung und sagte deshalb (was zu gleicher Zeit sein Herz charakterisirt): „Recht schön, meine Herren, aber was machen wir mit den Blessirten? Mitnehmen können wir sie nicht, und fallen sie den Oesterreichern in die Hände, so werden sie füsilirt!“

Fast ringsum von Feinden umgeben, kaum noch 2000 Mann stark, gelang es dem Talente des Generals, ein von den Oesterreichern besetztes Defilé zu umgehen, den Monte Luna zu erklimmen und die waldigen Schluchten des Metauro (in welchen einst Hasdrubal und sein Heer durch die Consuln Nero und Titus Livius Salinator vernichtet wurden, wodurch das Schicksal Hannibals in Italien entschieden wurde) zu passiren. Bei San Angelo in Bado zeigte sich endlich auch der Feind von vorne, aber außer kleinen Scharmützeln und einem Ueberfalle der Reiterei verfuhren die Oesterreicher doch sehr behutsam. Am 31. Juli des Morgens erreichte endlich die Colonne, kaum noch 1800 Mann stark, das Gebiet der Republik von San Marino. Hier beschloß Garibaldi seine Legion aufzulösen und erließ folgenden Tagesbefehl:

„Wir haben den Boden erreicht, welcher uns eine Zufluchtsstätte gewährt und sind den großmüthigen Gastfreunden die beste Aufführung schuldig. So werden wir die Achtung verdienen, die man dem verfolgten Unglück zollt. – Von diesem Augenblicke an entbinde ich meine Gefährten von jeglicher Verpflichtung und gestatte ihnen die Rückkehr in’s Privatleben, aber ich mahne sie daran, daß Italien nicht in der Schmach verharren darf und daß es besser ist, zu sterben, denn als Sclave der Fremden zu leben.

G. Garibaldi.“

Es ist bekannt, daß er für sich die vom Senate von San Marino mit den Oesterreichern für die Legion abgeschlossene Capitulation nicht annahm, etwa 200 Leute und seine compromittirten Freunde um sich versammelte und Genua erreichte, nachdem er seine von ihm zärtlich geliebte Gattin auf der gefahrvollen Flucht, in Folge zu früher Niederkunft derselben, durch den Tod verloren hatte.

Garibaldi hat einige Eigenthümlichkeiten an sich, die seine Leute gut kennen; deshalb sind bei wichtigen Momenten die Augen aller seiner Untergebenen blos auf ihn gerichtet. Im Jahre 1848 stand er mit unverrücktem Calabreser im Feuer; 1859 trug er stets nur eine einfache Mütze. Aus seinem Benehmen ersehen seine Leute schon, wie es steht. Kommt er in die Nähe des Feindes, so hat er die Mütze so vorgezogen, daß seine Umgebung kaum die Augen von ihm sieht. Beim Beginne des Gefechts rückt er die Mütze etwas höher; je weiter der Kampf sich entwickelt, um so mehr schiebt er die Mütze auf den Kopf zurück, und wenn die Entscheidung sich nähert, setzt er sie dann in den Nacken, sodaß die ganze Stirne frei wird. Dieses Zeichen kennen seine Leute und stürzen sich mit Hurrah auf den Feind, der, dem bedeutenden Anpralle nicht widerstehend, Reißaus nimmt.

Vergleichen wir den oben mitgetheilten, in der Geschichte fast beispiellosen Zug mit seinem kühnen Zuge von Varese nach Como 1859, seine Operationen gegen die Oesterreicher, seine Handlungsweise gegen seine Untergebenen, so finden wir in ihm denselben energischen, thatkräftigen, für sein Vaterland Alles wagenden und aufopfernden Mann unverändert wieder.



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Titel: Aus Garibaldi’s Leben
aus: Die Gartenlaube 1860, Heft 32, S. 504-507
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[504] Wohl selten hat die Geschichte von einem Leben zu melden, das wechselvoller und vielbewegter sich gestaltete, wie das jenes Mannes, welcher als das gefeierte Haupt des demokratischen Italiens, aus nationalen Rücksichten die monarchische Fahne Victor Emanuels entrollend und von Sieg zu Siege tragend, die Blicke der Welt in so reichem Maße auf sich gezogen hat und vielleicht noch lange nicht am Ziele seines hochfliegenden Strebens steht. Reich an Abenteuern und Gegensätzen, bietet dieses Leben eine solche Fülle des Interessanten, daß wir gern bei ihm verweilen und staunend die große Ausdauer bewundern, die den kühnen, thatendurstigen Mann unter den verschiedenartigsten Verhältnissen zur Verwirklichung seiner idealen Pläne antrieb und leitete.

Giuseppe Garibaldi, der Vielgeschmähte und Hochgepriesene, wurde, wie er selbst erzählt, am 22. Juli 1807 zu Nizza in demselben Hause und demselben Zimmer geboren, in welchem auch Frankreichs berühmter Marschall Massena das Licht der Welt erblickte. Mit großer Hochachtung und tiefer Zärtlichkeit gedenkt er seiner Eltern, seines aus Chiavari gebürtigen Vaters, Dominico Garibaldi, und namentlich seiner Mutter, Rosa Ragiundo, in welcher er das Musterbild aller Frauen verehrt. Der Sohn eines Seemanns und selbst Seemann, gedachte ihn sein Vater zu einem gleichen Berufe zu erziehen, und da er eben nicht sehr mit Glücksgütern gesegnet war, so sah er sich auch nicht im Stande, dem Sohne irgend eine aristokratische Bildung angedeihen zu lassen. „Mein Vater,“ so erzählt er, „ließ mich weder in der Gymnastik, noch in der Fechtkunst oder im Reiten unterrichten. Allein ich erlernte doch eine Art Gymnastik, indem ich in den Wandtauen herumkletterte und im Seilwerk herabglitt, die Fechtkunst, indem ich mein Haupt vertheidigte und das meiner Feinde zu spalten suchte, das Reiten aber, indem ich mir die ersten Reiter der Welt, ich meine die Gauchos, zum Muster nahm.“ – Dagegen war der junge Giuseppe einer der verwegensten Schwimmer, dem kein Strom zu breit und zu reißend dünkte, und der sich im Meere so heimisch fühlte, daß er glaubte, er habe von Kindesgebeinen an schwimmen gekonnt und sei als „Amphibie“ geboren. Uebrigens befand sich in jener traurigen Zeit das Amt der Jugenderziehung zu Piemont in den Handen fauler, nichtsnutziger Mönche, die nur dahin strebten, aus den jungen Leuten ihres Gleichen heranzubilden.

So verbrachte Giuseppe die ersten Jahre seiner Kindheit, wie sie die meisten Kinder verbringen, unter Lachen und Weinen, mehr dem Vergnügen, als der Arbeit, mehr der Erheiterung, als den Studien hingegeben. Schon frühzeitig entwickelte sich jedoch in ihm der Drang nach Abenteuern. Des Schulzwangs und der sitzenden Lebensweise müde, nahm er sich eines Tages mit dreien seiner Altersgenossen, Cesar Parodi, Raffaello de Andreis und Celestino Bermond, vor, nach Genua zu entfliehen. Gesagt, gethan. Sie suchten sich ein Fischerboot zu verschaffen und machten sich auf den Weg nach der Levante. Kaum hatten sie aber die Höhe von Monaco erreicht, als schon ein Korsarenschiff, das sein trefflicher Vater ihm nachgesendet, sie einholte, gefangen nahm und ganz beschämt wieder nach Hause zurückbrachte. Ein Abbé, der sie beobachtet hatte, verrieth sie, wie sie nachmals erfuhren, „und daher,“ meint Giuseppe, „stammt wahrscheinlich meine geringe Sympathie und mein Groll gegen alle Abbé’s.“

Nachdem seine dürftige Jugenderziehung vollendet war, unternahm er seine erste größere Seereise auf der Brigantine „la Costanza“ nach Odessa, der bald eine zweite auf seiner eigenen Tartane „la Santa Reparata“ nach Rom folgte, die ihn mit der größten Freude erfüllte, denn Rom war für ihn Italien, das geheiligte Symbol der italienischen Einheit. Auf einer Fahrt nach Marseille weihte man ihn in die Plane der patriotischen Partei ein, der er sich mit ganzer Seele hingab. Mazzini, den er in Marseille persönlich kennen lernte, bezauberte ihn; er ging zu jener Zeit damit um, eine neue Schilderhebung für die Sache Italiens zu wagen, zu deren Leitung Ramorino – gegen Mazzini’s Ansicht – herbeigerufen wurde. Sie endete unglücklich. Garibaldi befand sich im Staatsdienst als Matrose erster Classe auf der Fregatte „Eurydice“; hier sollte er Proselyten für die Revolution machen und sich, falls der Handstreich der Insurrection gelingen würde, der Fregatte bemächtigen und dieselbe den Republikanern zur Verfügung stellen. „Ich wollte mich jedoch nicht,“ erzählt er, „bei dem Feuer, das mich durchglühte, zu dieser Rolle hergeben. Dagegen hatte ich vernommen, daß sich eine Bewegung in Genua vorbereitete, und daß man sich dabei der auf dem Sarzana-Platz gelegenen Gensd’armen-Caserne bemächtigen sollte. Ich überließ es daher meinen Cameraden, das Fahrzeug zu nehmen, und landete zur Stunde, in welcher die Bewegung ausbrechen sollte, auf einem Boote an der Douane zu Genua, von wo aus ich mich nach dem genannten Platze begab.

„Hier wartete ich fast eine Stunde lang: allein es bildete sich keine Zusammenrottung, und bald vernahm ich, daß das Unternehmen gescheitert wäre, und die Republikaner sich flüchteten. Man fügte hinzu, daß Verhaftungen vorgenommen würden. Da ich mich jedoch bei der sardinischen Marine engagirt hatte, um der sich vorbereitenden republikanischen Bewegung zu dienen, so hielt ich es für nutzlos, an den Bord der Eurydice zurückzukehren, und dachte ebenfalls an’s Flüchten.

„Im Augenblick, wo ich mich solchen Betrachtungen überließ, begannen Truppen, die ohne Zweifel von dem Plane der Republikaner, [505] sich der Caserne zu bemächtigen, unterrichtet worden waren, den Platz einzuschließen. Ich sah ein, daß jetzt keine Zeit mehr zu verlieren war. Deshalb flüchtete ich zu einer Obsthökerin und gestand ihr meine Lage. Die treffliche Frau besann sich nicht lange; sie verbarg mich in ihrem Hinterladen, verschaffte mir eine Verkleidung als Bauer, und um acht Uhr Abends entwich ich durch das Laternenthor aus Genua und begann auf diese Weise das Leben der Verbannung, des Kampfes und der Verfolgung, das ich aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht ganz hinter mir habe. Dies geschah am 5. Februar 1834.

„Ohne eine gewisse Straße zu verfolgen, wandte ich mich in’s Gebirge. Ich sah mich genöthigt, Gärten zu durchschreiten und Mauern zu überspringen. Zum Glück war ich mit derartigen Uebungen vertraut, und nach einer Stunde gymnastischer Exercitien war ich jenseit des letzten Gartens und hinter der letzten Mauer. Ueber die Berge von Sestri langte ich nach Verlauf von zehn Tagen, oder vielmehr von zehn Nächten, in Nizza an, wo ich das Haus meiner Tante keck aufsuchte, um durch sie meine Mutter vorzubereiten, die sonst zu heftig erschrocken sein würde.

„Nach einer eintägigen Ruhe machte ich mich Nachts, von zwei Freunden begleitet, Joseph Jaun und Ange Gustavimi, wieder auf den Weg. Am Var angekommen, fanden wir denselben von Regengüssen angeschwollen, was jedoch für einen Schwimmer, wie ich, kein Hinderniß war. Ich passirte ihn halb zu Fuße, halb schwimmend, während meine Freunde am andern Ufer zurückblieben. Ich war gerettet, aber noch nicht ganz, wie man gleich sehen wird.

„In diesem Vertrauen ging ich kecken Schritts auf ein Corps Zollwächter zu, denen ich sagte, wer ich wäre und warum ich Genua verlassen hätte. Die Zollwächter erklärten mir, daß ich bis auf weiteren Befehl, den sie in Paris einholen wollten, ihr Gefangener sei. Da ich jedoch dachte, daß sich mir bald eine Gelegenheit zur Flucht darbieten würde, leistete ich keinen Widerstand und ließ mich nach Grasse und von Grasse nach Draguignan abführen.

„Zu Draguignan brachte man mich auf ein Zimmer !m ersten Stock, dessen offenes Fenster in einen Garten ging. Ich näherte mich dem Fenster, als ob ich die Landschaft betrachten wollte. Es waren kaum zehn Fuß bis auf den Boden. – Ich schwang mich hinab, und während die Zollwächter, weniger behend oder weniger auf ihre Füße vertrauend, als ich, den großen Weg zur Treppe herab einschlugen, gewann ich einen Vorsprung und warf mich wieder in’s Gebirge. Ich kannte den Weg nicht, aber ich war Matrose. Wenn mich die Erde verließ, blieb mir der Himmel, dieses große Buch, in welchem ich meinen Weg zu lesen gewöhnt war. Mit Hülfe der Sterne orientirte ich mich und gelangte glücklich nach Marseille.

„Ich trat in ein Gasthaus ein. Ein junger Mann und eine junge Frau wärmten sich nahe an einem Tische, der nur auf das Abendessen zu warten schien. Ich verlangte etwas zu speisen, da ich seit gestern Abend nichts genossen hatte. Der Wirth bot mir an, mich mit an den Tisch zu setzen und mit ihm und seiner Frau zu Nacht zu essen. Dies nahm ich an. Das Essen war gut, der Landwein angenehm, das Feuer erwärmend. Ich empfand einen jener Augenblicke des Wohlseins, wie man sie nach einer überstandenen Gefahr oder wenn man glaubt, nichts mehr befürchten zu müssen, empfindet. Mein Wirth wünschte mir Glück zu meinem guten Appetit und zu meinem munteren Aussehen. Ich erwiderte ihm jedoch, daß dies nichts Verwundernswerthes sei, denn ich hätte seit achtzehn Stunden nichts zu mir genommen. Was aber mein munteres Aussehen anlange, so sei dies noch einfacher, – in meinem Vaterlande wäre ich wahrscheinlich dem Tode entwichen, – in Frankreich dem Gefängniß. Da ich mich so weit herausgelassen, konnte ich aus dem Uebrigen kein Geheimniß machen. – Mein Wirth schien so frei, seine Frau so gut, daß ich ihnen Alles erzählte. Jetzt sah ich aber zu meinem großen Erstaunen das Angesicht meines Wirths sich verfinstern. – „Nun,“ fragte ich ihn, „was haben Sie?“

„Nach dem Geständniß, das Sie mir gemacht haben, halte ich mich mit bestem Gewissen für verpflichtet, Sie in Haft zu nehmen.“

„Ich fing an zu lachen, um mir nicht den Anschein zu geben, als nähme ich diese Eröffnung ernstlich. Ueberdies Einer gegen Einen, gab es auch nichts, was ich hätte fürchten sollen. „Gut!“ sagte ich zu ihm, „verhaften Sie mich; es wird immer noch Zeit sein, mich beim Nachtisch festzunehmen. Lassen Sie mich meine Abendmahlzeit beschließen – ich habe noch Hunger.“ Und ich fuhr fort zu essen, ohne irgend unruhig zu scheinen. Bald jedoch bemerkte ich, daß, wenn mein Wirth Hülfe nöthig hätte, um seinen Plan auszuführen, diese ihm nicht fehlen würde.

„Sein Gasthof war der Sammelplatz der Dorfjugend; allabendlich traf man sich hier, um zu trinken, zu rauchen, Neuigkeiten auszukramen und über Politik zu schwatzen. Die gewöhnliche Gesellschaft versammelte sich nach und nach, und bald waren einige zehn im Gasthause gegenwärtig. – Diese jungen Leute spielten Karte, tranken und sangen. Der Wirth sprach nicht mehr davon, mich festzunehmen, dennoch verlor er mich nicht aus den Augen. Es ist wahr, ich hatte nichts von Sachen bei mir, und mein Anzug konnte meiner Zeche nicht eben entsprechen. Aber ich besaß in meiner Tasche einige Thaler und ließ diese klimpern; ihr Klingen schien den Wirth einigermaßen zu beruhigen.

„Ich wählte den Augenblick, wo einer der Trinker mitten unter Bravo’s ein Lied, das sich des größten Erfolgs erfreute, beendigt hatte, und das Glas in der Hand rief ich: „Jetzt hab’ ich das Wort!“ Und nun stimmte ich das Lied Beranger’s: „le Dieu des bonnes gens“ an. Wenn ich keine andere Bestimmung gehabt hätte, so hätte ich sollen Sänger werden; ich habe eine Tenorstimme, die, wäre sie ausgebildet worden, einen gewissen Umfang erreicht haben würde. Die Verse Beranger’s, die Sicherheit und Frische, mit welcher sie vorgetragen wurden, der wiederkehrende Refrain und die Volksthümlichkeit des Dichters erhoben alle Zuhörer. Ich mußte zwei oder drei Couplets wiederholen, man umarmte mich zuletzt und rief: „Es lebe Beranger! es lebe Frankreich! es lebe Italien!“

„Nach einem solchen Erfolge konnte von keiner Verhaftnahme mehr die Rede sein; mein Wirth sprach kein Wörtchen mehr davon, so daß ich heute noch nicht weiß, ob er es ernstlich gemeint oder sich nur einen Scherz gemacht hat. Man verbrachte die Nacht mit Singen, Spielen, Trinken; dann, am nächsten Morgen mit Tagesanbruch, bot sich die ganze fröhliche Gesellschaft zu meiner Begleitung an, eine Ehre, die ich natürlich annahm; wir trennten uns erst nach einem Wege von sechs Miglien. – Wahrlich, Beranger ist todt und weiß nicht, welchen Liebesdienst er mir geleistet!“

Glücklich entkam Garibaldi nach Marseille, ohne daß eine andere Ueberraschung ihn betroffen, als daß er in einer Zeitung, „das souveraine Volk“ betitelt, seinen Namen, wie er selbst scherzt, zum ersten Male gedruckt las; er war von den Blutrichtern Karl Alberts zum Tode verurtheilt worden, und dies raubte ihm die Aussicht auf einen längeren Aufenthalt in Frankreich, denn dem „bürgerfreundlichen“ König Louis Philipp war eine Verletzung des Asylrechts wohl zuzutrauen. Deshalb schiffte er sich alsbald nach Tunis ein, von wo aus er jedoch nach kurzer Zeit, da ihm die vom Bey von Tunis übertragene Stellung als Reis einer Barbareskenschebecke nicht sonderlich zusagte, unter dem angenommenen Namen Pane wieder nach Marseille zurückkehrte, das, von der Cholera furchtbar verheert, einem weiten Kirchhof glich und vergebens nach Leuten suchte, welche Dienste in den überfüllten Hospitälern verrichteten. Sofort übernahm Garibaldi einen solchen Barmherzigkeitsdienst und blieb daselbst vierzehn Tage unter allen Schrecknissen einer verheerenden Seuche, bis dieselbe an Heftigkeit abgenommen hatte. Bald darauf bot sich seinem nach Abenteuern verlangenden Geiste eine willkommene Gelegenheit zur Gewährung seines Sehnens dar: der Capitain der Brigg „le Nautonnier“ nahm ihn als zweiten Matrosen mit nach Rio Janeiro. Diese Reise gewährte ihm ein hohes, nicht geahntes Vergnügen, indem sie ihm neue Wunder der Schöpfung erschloß, die sein weiches, für zarte Eindrücke empfängliches Herz mit Staunen erfüllten. Viele seiner Freunde haben ihm deshalb nachgesagt, daß er vorzugsweise zum Dichter geboren sei. „Wenn man aber nur unter der Bedingung Dichter ist,“ sagt er selbst in seinen Aufzeichnungen, „daß man die Iliade, oder die göttliche Komödie, die Meditationen Lamartine’s, oder die Orientalen Victor Hugo’s dichten kann, so bin ich nicht Dichter; wenn der jedoch ein Dichter ist, der Stunden zubringt, um in den azurnen und tiefen Wogen die Geheimnisse der unterseeischen Vegetation zu erforschen; wenn der ein Dichter ist, welcher Angesichts der Bai von Rio Janeiro, Neapel oder Constantinopel in Wonnetrunkenheit geräth; wenn der ein Dichter ist, der sich zurückträumt in die Zärtlichkeit der theuern Mutter, in die Erinnerungen der Kindheit und der ersten Jünglingsliebe, während Flinten- [506] und Kanonenkugeln ihn umdonnern, ohne zu fürchten, daß dieser Traum mit einem zerschmetterten Kopf oder einem zerquetschten Arm endigen kann – dann bin ich Dichter.“

„Ich erinnere mich,“ fährt er fort, „eines Tages im letzten Kriege gegen Oesterreich, wo ich von Müdigkeit erschöpft, da ich seit zwei Nächten kein Auge geschlossen hatte und seit zwei Tagen nicht vom Pferde gestiegen war, dem General Urban und seinen 12,000 Mann mit meinen 40 Bersaglieri, meinen 40 Reitern und einem Tausend wohl oder übel bewaffneter Mann auf einem kleinen Fußsteig zur Seite marschirte, während auf der andern Seite am Berg Orfano der Oberst Türr mit fünf oder sechs Mann vorrückte; plötzlich blieb ich stehen, vergaß Müdigkeit und Gefahr und hörte dem wunderbaren Sang einer Nachtigall zu. Es war Nachts, bei Mondschein, in einer prachtvollen Jahreszeit. Das Vögelchen ließ im leisen Säuseln des Windes seine harmonischen Töne wie einen Rosenkranz abperlen, und mir dünkte, als ich diesen kleinen Freund meiner Jugendjahre wiederhörte, als träufe ein wohlthätiger, neuschaffender Himmelsthau auf mich herab. Meine Umgebung glaubte, ich wisse nicht, welcher Weg einzuschlagen sei, und ich hörte vielleicht ein fernes Donnern der Kanonen oder den dröhnenden Hufschlag der Rosse auf der Heerstraße. Nein, ich hörte eine Nachtigall schlagen, deren Gesang ich fast seit zehn Jahren nicht vernommen hatte, und meine Entzückung währte, wenn auch nicht so lange, bis meine Umgebung mir zurief: „General, hier ist der Feind!“ sondern bis der Feind mir selbst durch Kanonenschüsse sein „hier bin ich!“ zu vernehmen gab und dadurch meinen nächtlichen Liebling verscheuchte.“

Wir haben diese kleine Episode absichtlich mitgetheilt, und überlassen dem Leser, zu beurtheilen, ob ein Mann mit einem solch’ zartfühlenden Herzen wohl die Ehrennamen eines Seeräubers und Flibustiers verdient, mit welchen ihn selbst ein Schönhals beehrt!

Kehren wir jetzt zur Geschichte zurück. In Rio Janeiro hatte Garibaldi das seltene Glück, einen wahren Freund zu finden, einen gewissen Rossetti, für welchen er das treueste und zärtlichste Angedenken bewahrt hat; er nennt ihn eine auserwählte Seele, seinen Freund, seinen Bruder, seinen Unzertrennlichen. Mit diesem errichtete er, zunächst um die Stunden der Muße auszufüllen, einen kleinen Handel; bald aber sahen Beide ein, daß sie für derartige Geschäfte nicht geboren waren. Der Zufall führte ihnen den Secretair des Präsidenten der Republik Rio-Grande, die sich damals im Kriege mit Brasilien befand, zu, und so beschlossen sie, die Waffen für die republikanische Partei in Rio-Grande zu ergreifen. Nachdem sie mit einer geringen Mannschaft eine feindliche Goëlette erobert, erhielt Garibaldi den Oberbefehl über dieselbe; sie warfen alsbald in Maldonado (Republik Uruguay) Anker, mußten dasselbe aber schon nach acht Tagen wieder verlassen, da Oribe, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Republik von Montevideo, dem politischen Chef von Maldonado Befehl zuschickte, Garibaldi zu verhaften und sich der Goëlette zu bemächtigen. Die Anker wurden daher sofort gelichtet, und bald war die Höhe von Jesus Maria, gerade den Barrancas von San-Gregorio gegenüber gelegen, erreicht. Inzwischen nahte neue Gefahr von Montevideo. Zwei Barken griffen die Goëlette an; die erste Geschützladung, die sie empfing, tödtete den Untersteuermann, einen der besten Matrosen Garibaldi’s, und dieser selbst ward, als er kaum das verlassene Steuer ergriffen, von einer feindlichen Kugel getroffen, die in den Nacken eindrang und ihn bewußtlos auf das Verdeck schleuderte. Trotzdem kämpfte seine kleine Truppe wacker fort, und nach einem einstündigen Widerstand fand der Feind für gut, sich mit einem Verluste von ungefähr zehn Mann Todter oder Kampfunfähiger auf die Flucht zu begeben.

In Gualguay, das er nach einer neunzehntägigen Fahrt erreichte, wurde Garibaldi freundlich aufgenommen, namentlich gab ihm der Gouverneur der Provinz Entre-Rios, Don Pascale Echague, vielfache Beweise von Wohlwollen; dennoch erfuhr Garibaldi nur zu früh, daß er so gut wie Gefangener sei, indem die Entscheidung über seine Freiheit von dem Dictator von Buenos-Ayres, Rosas, abhängig gemacht wurde. Man erlaubte dem Reconvalescenten zwar kleine Promenaden zu Pferde, allein sie waren auf gewisse Grenzen beschränkt, und als nach Don Echague’s Abreise ein gewisser Leonardo Millan Commandant von Gualguay geworden, reifte in Garibaldi’s Kopfe der Entschluß, sich seiner mißlichen Lage durch die Flucht zu entziehen.

„Ich traf,“ so erzählt er, „meine Vorbereitungen, um bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit fertig zu sein. An einem stürmischen Abend eilte ich daher nach der Wohnung eines alten Biedermannes, den ich gewöhnlich besuchte und welcher drei Miglien landeinwärts wohnte; diesmal theilte ich ihm meinen Entschluß mit und bat ihn um einen Führer und um Pferde, mit denen ich eine von einem Engländer gehaltene Estancia (südamerikanische Farm), die am linken Ufer des Parana gelegen war, zu erreichen hoffte. Hier fand ich sicher Fahrzeuge, die mich incognito nach Buenos-Ayres oder Montevideo schaffen würden. Er gab mir das Gewünschte, und wir machten uns querfeldein auf den Weg, um nicht entdeckt zu werden. So hatten wir in einer halben Nacht, aber im steten Galopp, ungefähr 54 Miglien zurückgelegt.

„Mit Tagesanbruch befanden wir uns im Angesicht von Ibiqui, ungefähr eine halbe Miglie von dem Parana entfernt. Der Führer forderte mich auf, zu warten, während er Erkundigung einziehen wollte. Ich willigte ein, und er verließ mich. Jetzt setzte ich mich auf die Erde nieder, hing den Zaum meines Pferdes an einen Baumast, legte mich selbst unter diesen Baum nieder und wartete so zwei bis drei Stunden; da mein Führer jedoch nicht wieder erschien, stand ich auf und entschloß mich, den nahegelegenen Waldsaum zu gewinnen zu suchen; im Augenblick aber, wo ich ihn erreichte, hörte ich hinter mir einen Flintenschuß und das Einschlagen der Kugel in’s Gras. Ich kehrte um und erblickte ein Cavallerie-Detachement, das mich, den Säbel in der Faust, verfolgte. Dieses Detachement befand sich bereits zwischen mir und meinem Pferde. Bei der Unmöglichkeit zu fliehen und der Nutzlosigkeit mich zu vertheidigen ergab ich mich.“

An Händen und Füßen gebunden, ward hierauf Garibaldi nach Gualguay zurückgeführt, wo die härteste Behandlung seiner wartete.

„Man wird mich nicht beschuldigen,“ fährt er fort, „allzuzärtlich gegen mich zu sein. Dennoch, ich gestehe es, fühle ich stets ein Schaudern, wenn ich an dieses Ereigniß zurückdenke. Vor Leonardo Millan geführt, ward ich von ihm aufgefordert, ihm diejenigen zu nennen, die mir zur Flucht behülflich gewesen wären. Ich erklärte natürlich, daß ich die Vorbereitungen allein getroffen und auch allein die Flucht unternommen hätte. Da ich gebunden war und Don Leonardo Millan daher nichts von mir zu befürchten hatte, so trat er näher zu mir heran und schlug mich mit seiner Peitsche; hierauf wiederholte er sein Verlangen und ich mein Leugnen. Nun befahl er, mich in’s Gefängniß abzuführen und flüsterte dabei meinen Begleitern einige Worte in’s Ohr. Diese Worte enthielten die Weisung, mir die Tortur zu ertheilen. Als ich in dem mir bestimmten Zimmer anlangte, ließen meine Wächter mir die Hände auf den Rücken festgebunden, knebelten mir die Daumen mit einem neuen Strick, wanden das andere Ende um einen Balken, zogen mich hinauf und hingen mich vier bis fünf Fuß von der Erde auf.

„Jetzt trat Don Leonardo Millan in mein Gefängniß und fragte mich, ob ich gestehen wolle. Ich konnte ihm nur in’s Gesicht spucken, und er züchtigte mich dafür.

„Wohlan,“ sagte er beim Fortgehen, „wenn es ihm gefällig sein wird, dem Kerkermeister zu beichten, so ruft mich, und hat er gestanden, so laßt ihn wieder auf die Erde.“ Hierauf ging er hinaus.

„In dieser Lage blieb ich zwei Stunden aufgehängt. Das ganze Gewicht meines Körpers lastete auf meinen bluttriefenden Daumen und meinen verrenkten Schultern. Mein ganzer Körper brannte, als wäre ich in einem feurigen Ofen; aller Augenblicke bat ich um Wasser, und menschlicher als meine Henker brachten mir meine Wächter solches. Allein das in meinen Magen eindringende Wasser vertrocknete, als hätte man es auf ein rothglühendes Eisen geschüttet. Man kann sich von dem, was ich erduldete, nur eine Idee machen, wenn man die an den Gefangenen im Mittelalter verübten Folterqualen liest. Endlich, nach Verlauf von zwei Stunden, hatten meine Wächter Mitleid mit mir oder hielten mich für todt und ließen mich herab. Ich stürzte meiner ganzen Länge nach hin. Ich war nur noch eine todte Masse, ohne ein anderes Gefühl als das eines dumpfen und tiefen Schmerzes – ein Leichnam oder so etwas Aehnliches. Ich hatte unmittelbar vorher fünfzig Miglien über Moorgrund gehen und dann mit gefesselten Händen und Füßen dieselbe Strecke ein zweites Mal zurücklegen müssen. Die zahlreichen und in dieser Jahreszeit wüthenden Muskitos hatten [507] mein Gesicht und meine Hände in ein großes Geschwür umgewandelt. Ich hatte eine zweistündige, fürchterliche Tortur ausgehalten, und als ich wieder zu mir kam, war ich an einen Mörder angeschlossen.

„Ohne die sorglichen Bemühungen einer Frau, die für mich ein Engel der Barmherzigkeit ward, wäre ich gestorben. Sie warf jede Furcht bei Seite und kam dem armen Gefolterten zu Hülfe. Sie hieß Madame Alleman. Dank dieser milden Wohlthäterin fehlte es mir in meinem Gefängniß an Nichts. Zwei Tage darauf ließ mich der Gouverneur, der wohl einsehen mochte, daß alle Versuche, mich zum Sprechen zu bringen, fruchtlos wären, und daß ich eher sterben, als einen meiner Freunde anzeigen würde, in die Hauptstadt der Provinz Bajada abführen. Hier blieb ich zwei Monate im Gefängniß, worauf mir der Gouverneur sagen ließ, daß es mir gestattet sei, die Provinz frei zu verlassen. Obgleich ich mich zu Ansichten bekenne, welche denen Echague’s entgegengesetzt sind, und ich seit diesem Tage mehr als einmal gegen ihn gefochten habe, so will ich doch nicht die Verpflichtung verschweigen, die ich ihm schulde, und ich wollte, ich wäre jetzt im Stande, ihm meine Dankbarkeit für Alles zu beweisen, was er für mich und namentlich für die Erlangung meiner Freiheit gethan hat.

„Später ließ das Glück alle militairischen Häupter der Provinz Gualguay in meine Hände fallen, und sie wurden insgesammt ohne die geringste Kränkung, weder an ihrer Person noch an ihrem Eigenthum, in Freiheit gesetzt. Was Don Leonardo Millan betrifft, so wollte ich ihn nicht einmal sehen, aus Furcht, daß seine Gegenwart bei der Rückerinnerung an die überstandenen Leiden mich vielleicht zu einer meiner unwürdigen Handlung veranlassen könnte.“

Textdaten
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Titel: Aus Garibaldi’s Leben
aus: Die Gartenlaube 1860, Heft 33, S. 521-523
Mehrteilige Biografie - Teil 3
[521]
Nr. 3.

Garibaldi begab sich nach erlangter Freiheit nach Montevideo, das damals vielen italienischen Patrioten ein willkommenes Asyl gewährte; hier traf er auch wieder mit seinem Freunde Rossetti zusammen; allein die Proscription gegen Garibaldi währte noch dort, und so entschloß er sich, nachdem er einen Monat hindurch im Hause seines Freundes Pazante eine edelmüthige Gastfreundschaft genossen, nach[WS 1] Rio-Grande zu gehen, dessen stolze Republikaner Rossetti und seine Gefährten mit bewunderungswürdiger Hospitalität aufgenommen hatten. Auf edlen Rossen gelangten sie in freudiger Stimmung nach Piratinin, dem Sitz der Regierung von Rio-Grande; zwar war die eigentliche Hauptstadt Porto-Allegre, allein da sich dieses noch in der Gewalt der Kaiserlichen befand, so hatte man den Sitz der Regierung nach Piratinin verlegt.

Garibaldi wurde von dem Gouvernement der Republik auf das Zuvorkommendste aufgenommen. Bento Gonzales, der Präsident der Republik, war abwesend und befand sich an der Spitze einer Reiterbrigade, um den kaiserlichen Chef, Sylva Tanaris, zurückzuwerfen, welcher den Canal von San-Gonzales überschritten hatte und diesen Theil der Provinz Rio-Grande verheerte. Diesen Bento Gonzales schildert Garibaldi als einen echten irrenden Ritter aus dem Jahrhundert Karls des Großen, dem Herzen nach einen Bruder der Olivier und Roland, tapfer, gewandt, ehrenhaft, wie sie; ein wahrer Centaur, der ein Pferd tummelte, wie Garibaldi es nur vom General Netto, dem vollendetsten Musterbilde eines Reiters, wiedergesehen. Ein solcher Mann fehlte unserem Helden; der Unthätigkeit in Piratinin müde, eilte er nach San-Gonzales, um sich unter die Befehle des Präsidenten zu stellen. Hier sah er diesen Tapfern zum ersten Male und verbrachte einige Tage mit ihm in inniger Vertrautheit.

Garibaldi wurde jetzt mit der Ausrüstung von zwei Lancionen – mit diesem Namen wird eine Art von Barken bezeichnet – beauftragt, die er mit ungefähr dreißig Leuten aus allerlei Nationen bemannte. Bald stießen zwei Sloops (Einmaster) zu ihm, und mit dieser Flottille, die er als „capitano tenente“ auf dem „Rio-Pardo“ befehligte, während ein gewisser John Griggs das Commando des „Republikaners“ übernahm, begannen sie einen ungleichen Kampf gegen die Kaiserlichen, die ihnen ungefähr dreißig Kriegsschiffe und ein Dampfschiff entgegenstellen konnten. Und trotzdem nahmen sie ein reichbeladenes Schiff, von dessen Beute Garibaldi seinen Leuten Uniformen verfertigen ließ, während die Kaiserlichen einen gewissen Respect vor einem Kampf mit ihren schweren Schiffen gegen die leichten Lancionen in den Lagunen erhielten. Das Leben, welches Garibaldi hier führte, war thatenreich und gefahrvoll wegen der numerischen Uebermacht der Feinde, paßte aber ganz zu seinem Charakter, da es gleichzeitig fesselnd und pittoresk war. Sie waren nicht allein Matrosen, sondern nach Bedürfniß auch Reiter, fanden im Augenblicke der Gefahr genug und mehr Pferde, als sie brauchten, und konnten innerhalb zwei Stunden eine weniger glänzende, als furchtbare Escadron bilden. Die ganze Lagune entlang fanden sich Estancias, die wegen der Nachbarschaft des Kriegs von ihren Eigenthümern verlassen waren und ihnen Schlachtvieh, Pferde und Fourrage lieferten. Auch die Ernte der Meiereien kam ihnen zugute.

Der Garibaldi’sche Haufen war eine echt kosmopolitische Truppe, aus Menschen aller Nationen und Farben zusammengewürfelt; er behandelte sie aber mit einer solchen Güte und Mildfreundlichkeit, und beide wurden so anerkannt, daß er sich nie in die Nothwendigkeit versetzt fand, die Geduld zu verlieren oder zu strafen.

„Wir befanden uns,“ erzählt er, „eines Tages in der Estancia de la Barra, welche der Doñna Antonia, Schwester des Präsidenten, zugehörte, hatten unsere Lanciones an’s Land gezogen und fürchteten keinen Ueberfall, als man uns benachrichtigte, daß der Oberst Juan Pedro de Abrecu, genannt Moringue (zu deutsch Steinmarder, wegen seiner Schlauheit), zwei bis drei Stunden von uns mit siebenzig Mann Cavallerie und achtzig Mann Infanterie gelandet sei.

„Diese Nachricht“ – wir erzählen den Verlauf der Scene mit Garibaldi’s Worten im Auszug – „erfüllte mich mit Freude; die Leute, welche Moringue befehligte, waren deutsche und österreichische Söldlinge, denen gegenüber ich gar nicht böse war, sie die Schuld zahlen zu lassen, die jeder gute Italiener gegen ihre Brüder in Europa übernommen hat. Wir waren im Ganzen ungefähr sechzig Mann; aber ich kannte meine sechzig Mann, und mit ihnen hielt ich mich für fähig, nicht allein 150, sondern 300 Oesterreichern die Spitze zu bieten.

„Ich schickte daher Kundschafter nach allen Seiten und behielt höchstens 50 Mann bei mir. Alle kamen mit der Nachricht zurück, sie hätten nichts gesehen. Ein dicker Nebel umhüllte Alles, und so konnte der Feind leicht ihren Nachforschungen entgangen sein. Deshalb beschloß ich, mich weniger auf die Intelligenz der Menschen, als auf den Instinct der Thiere zu verlassen. Gewöhnlich, wenn nämlich eine derartige Expedition unternommen wird, und Leute aus einem andern Lande kommen, um sich in einen Hinterhalt zu legen, geben die Thiere, welche die Fremdlinge riechen, Zeichen von Unruhe zu erkennen, die fast niemals täuschen. Die von meiner Mannschaft herumgejagten Thiere zerstreuten sich in der Nähe der Estancia, ohne anzuzeigen, daß irgend etwas Ungewöhnliches in der Umgegend vor sich gehe. Nun glaubte ich keinen Ueberfall mehr befürchten zu müssen, befahl daher meinen Leuten, ihre vollständig geladenen Flinten wie ihre Munition in den Gewehrhaltern aufzustellen, die ich im Schuppen hatte einrichten lassen, und gab ihnen das Beispiel der Sicherheit, indem ich mich zum Frühstück niedersetzte und sie aufforderte, ein Gleiches zu thun.

„Nach beendigtem Frühstück ging Jeder nach seinem Geschäft. Einige eilten nach den aus dem Wasser gezogenen Lancionen, Andere [522] in die Schmiede, noch Andere Holz zu sammeln oder zu fischen. Ich blieb allein mit dem Meister Koch, welcher seine Küche in freier Luft vor dem Schuppenthor aufgeschlagen hatte und den Feldkessel bewachte oder unsern Fleischtopf abschäumte. Nicht im Entferntesten dachte ich daran, daß der Oberst Steinmarder, der aus dieser Gegend stammte, durch irgend eine List die Wachsamkeit meiner Mannschaft getäuscht, den Thieren Vertrauen eingeflößt und sich 50 bis 60 Schritte von uns mit dem Bauch auf der Erde mit seinen 150 Oesterreichern im Holze niedergelegt habe.

„Plötzlich vernahm ich zu meinem großen Erstaunen hinter mir Schüsse fallen. Ich zog mich zurück: Infanterie und Cavallerie chargirten im Galopp; jeder Reiter hatte einen Mann hinter sich und die Nichtberittenen liefen zu Fuß, an den Roßschweifen sich anklammernd. Mit einem Sprunge war ich in meinem Schuppen. Der Koch folgte mir; aber der Feind war mir so nahe auf den Fersen, daß im Augenblick, wo er die Thorschwelle berührte, sein Poncho von einem Lanzenstich durchbohrt war. Die Flinten, ungefähr sechzig, standen wie erwähnt, im Gewehrhalter. Ich ergriff eine, schoß sie ab, dann eine zweite, eine dritte, und dies mit einer so hastigen Geschwindigkeit, daß man nicht glauben konnte, ich wäre allein, aber auch mit einem Glück, daß gleich drei Mann zu Boden stürzten.

„Wäre die Masse auf den Gedanken gekommen, einen Angriff auf den Schuppen zu unternehmen, so wäre Alles mit einem Schlage verloren und beendigt gewesen; da jedoch der Koch mir zur Seite stand und seinerseits ebenfalls Feuer gab, so ließ sich der Oberst Steinmarder, wie kühn er auch war, doch überlisten und glaubte uns sämmtlich in diesem Versteck verborgen. Er zog sich daher ungefähr hundert Schritte weit vom Schuppen zurück und begann uns mit Kugeln zu überschütten. Dies rettete mich.

„Da der Koch kein sicherer Schütze war, und jeder verlorene Schuß in unserer Lage uns Schaden brachte, so befahl ich ihm, nur das Laden der Gewehre zu besorgen, während ich das Abdrücken übernahm. Sicher war ich, daß meine Leute beim Knall der Musketen Alles begreifen und zu meiner Hülfe herbeieilen würden. Ich täuschte mich nicht; bald hatten sich ihrer dreizehn, deren Namen ich in Erz möchte verewigen lassen, durch eine Wolke von Rauch, die sich zwischen dem Schuppen und dem Höllenfeuer der feindlichen Truppe lagerte, mit mir vereinigt. Diese Hülfe kam willkommen, denn alsbald deckte der Feind das Dach des Schuppens ab und beschoß oder bewarf uns von dort herab mit brennenden Faschinen. Wir vertheidigten uns auf das Heldenmüthigste.

„Endlich, gegen drei Uhr, erhielt der Oberst Moringue einen Schuß durch den Arm und ließ sofort zum Rückzug blasen; seine Verwundeten nahm er mit sich, aber fünfzehn Todte ließ er zurück, während unsererseits in diesem Kampfe von Morgens neun bis Nachmittags drei Uhr von dreizehn Mann fünf getödtet und fünf verwundet waren, von welchen Letzteren noch drei an ihren Wunden starben, da wir in diesen mörderischen Kämpfen weder Arzt noch Wundarzt besaßen. Leichte Wunden suchten wir mit frischem, so oft als möglich erneutem Wasser zu heilen; bei den schwereren war es ein anderes Ding; im Allgemeinen fühlte der Verwundete seinen Zustand selbst; hoffte er nicht wieder zu genesen, so rief er seinen besten Freund, übertrug ihm mit kurzen Worten seine letzten Anordnungen und bat ihn um die Gnade eines Flintenschusses. Der Freund untersuchte den Verwundeten, war er dann seiner Meinung, so faßte er ihn in seine Arme, drückte ihm noch einmal die Hand, und ein Flinten- oder Pistolenschuß führte die Lösung des Drama’s herbei. Es war dies traurig, vielleicht barbarisch! Was wollt ihr aber? hier gab es kein anderes Mittel.“

Ueber die Expedition nach Santa Catharina, welcher Garibaldi unter den Befehlen des Generals Canavaro beiwohnte, eilen wir, da sie großentheils durch Zeitungsberichte bekannt und für die Charakterisirung unseres Helden von geringerem Interesse ist, flüchtig hinweg. Die Ausgänge der Lagunen von Los Patos befanden sich in den Händen der Kaiserlichen, und es schien für die Republikaner eine Sache der Unmöglichkeit, sich hindurchzuschlagen. Trotzdem glaubte Garibaldi mit Männern, wie die, welche er befehligte, auch das Unmögliche ausführen zu können. Während General Canavaro zu Lande befehligte, operirte er mit der abenteuerlichsten Schaar seiner Freibeuter zur See und befahl zunächst, die Fahrzeuge der Flottille auf starke Räder zu setzen und durch Zugthiere über Land nach dem Meere zu befördern. Der Plan wurde glücklich in’s Werk gesetzt. Zweihundert Ochsen zogen die Lancionen gegen 54 Miglien weit über ein zum Theil schwieriges Terrain nach der Küste, wo sie in die See gelassen wurden. Im See Tramandai scheiterte jedoch bald darauf Garibaldi’s Fahrzeug an den dortigen Küsten, und sechzehn Mann, unter ihnen sämmtliche Italiener, welche Garibaldi begleitet hatten, fanden dabei ihren Tod. Vergebens suchte er mit Aufopferung des eigenen Lebens einige der Schiffbrüchigen, die ihm die Theuersten waren, zu retten. Sie versanken, trotz aller seiner Anstrengungen, in den trügerischen Wogen. Zum Glück war der Theil der Provinz von Santa Catharina, wo sie Schiffbruch litten, im Aufstand gegen das Kaiserreich, und so trafen die Geretteten Verbündete, welche ihnen bereitwilligst alle Mittel zum Fortkommen verschafften. Der Zweimaster „Itaparica“ nahm die Ueberlebenden auf, und bald fanden sie Gelegenheit, zu dem Siege beizutragen, der in der Nähe von Juliana, dem Hauptquartiere des Generals Canavaro, von den Republikanern über die Kaiserlichen erfochten wurde.

Wir nahen jetzt einer Epoche in Garibaldi’s Leben, die er absichtlich mit einem Schleier umhüllt, dessen Lüftung er nachmals, obwohl auch nur zum Theil, versucht hat; wir lassen ihn deshalb selbst sprechen. „Ich hatte,“ erzählt er, „niemals an’s Heirathen gedacht und betrachtetete mich für gänzlich unfähig zu einem Ehemann, zumal wenn ich die Unabhängigkeit meines Charakters und meinen unwiderstehlichen Hang zum Abenteurer-Leben in’s Auge faßte. Eine Frau und Kinder haben, erschien mir als eine rein unmögliche Sache für einen Mann, der sein Leben einem Principe geweiht hat, dessen Erfolg, wie vollständig er auch sei, ihm niemals die zu einem Familienvater nöthige Ruhe lassen darf. Das Schicksal hatte jedoch anders entschieden; durch den Verlust meiner italienischen Kampfgenossen blieb ich in einer gänzlichen Vereinsamung zurück, und es schien mir, als stände ich jetzt allein auf der Welt. Es war mir nicht ein einziger dieser Freunde geblieben, den das Herz so nöthig hat, wie der Körper die Nahrung; die, welche den Schiffbruch überlebt hatten, waren mir fremd. Zwar waren es tapfere Seelen, kräftige Herzen; ich kannte sie jedoch erst zu kurze Zeit, um mit einem von ihnen in ein inniges Verhältniß zu treten. In dieser unermeßlichen Leere, welche die schreckliche Katastrophe um mich herum hervorgerufen, empfand ich jetzt das Bedürfniß nach einer Seele, die mich liebte; ohne eine solche Seele schien mir das Dasein unerträglich, fast unmöglich. Ich hatte zwar Rossetti, meinen Freund und Bruder, wiedergefunden, aber dieser war durch die Pflichten seines Amtes zurückgehalten, er konnte nicht mit mir zusammenleben, und wir sahen uns kaum ein Mal die Woche hindurch. Ich fühlte also, wie gesagt, das Bedürfniß nach Jemand, der mich liebte, der mich ohne Verzug liebte; denn die Freundschaft ist eine Frucht der Zeit; sie bedarf der Jahre, um zu reifen, während die Liebe ein Blitz ist, oftmals ein Kind des Gewitters; aber was thut’s? ich bin einer von denen, welche die Gewitter, wie heftig sie auch sein mögen, der Ruhe des Lebens, dem Schlummer des Herzens vorziehen.“

Wie und wo er sein Weib errungen, hat Garibaldi niemals erzählt, einzelne Andeutungen aber lassen vermuthen, daß sie die Braut eines Andern war, der mit dem Verlust seiner Geliebten sein ganzes Lebensglück verlor. Garibaldi sagt selbst über diese Heirath: „Wurde dabei ein Fehler begangen, so gehört mir dieser Fehler allein zu. Das war mein Fehler, daß durch unsere Vereinigung zwei Herzen das Herz eines Unschuldigen zerrissen! … Aber sie ist todt, und er, er ist gerächt! Kannte ich aber die Größe des Fehlers? Dort, an der Mündung des Eridan, an jenem Tage, wo ich noch hoffte, sie dem Tode streitig zu machen, umschloß ich convulsivisch ihren Puls, um seine letzten Schläge zu zählen; ich fing ihren fliehenden Athem auf, meine Lippen empfingen ihren letzten Seufzer! Ich küßte diese sterbenden Lippen. Ach, ich umschlang eine Leiche … und ich weinte Thränen der Verzweiflung!“

Garibaldi nahm sein Weib mit auf sein Schiff, wo sie in mehr als einem Kampfe treu an seiner Seite focht und, eine feurige Tochter ihres Vaterlandes, entweder ihr Gewehr abfeuerte, oder mit dem Säbel in der Hand ihren Kampfgenossen muthig voranleuchtete. In den mörderischsten Seegefechten wich sie nicht von seiner Seite, sondern stand am Hintertheil des Schiffes ruhig und stolz, eine Pallas Athene. Sie lud und richtete mit eigener Hand das Geschütz, und ihr dankte man die Rettung der Munition vor Verbrennung der Flottille. Auch zu Lande, als Garibaldi nach Verlust seiner Schiffe als Guerrillaführer weiterkämpfte, hielt sie treu unter Gefahren und Entbehrungen aller Art bei ihm [523] aus und leistete ihm als Soldat, Adjutant und Späher die trefflichsten Dienste.

Auf der schönen und geräumigen Farm eines Grafen Saint-Simon gebar ihm seine theure Anita einen Sohn, den er nicht nach einem Heiligen, sondern nach einem Märtyrer seines Heimathlandes, Menotti, benannte. Am 14. September 1840 erblickte er das Licht der Welt, und es war in der That ein wahres Wunder, daß nach den vielen Entbehrungen und Gefahren, welche die Mutter erduldet hatte, diese Geburt glücklich ausfiel. Wir ergänzen hier aus einem spätern Capitel in Garibaldi’s Denkwürdigkeiten das obige flüchtige Bild Anita’s, und lassen den Gatten wieder selbst von ihr erzählen.

„In dem Gefecht von Coritibani wurde trotz des Heldenmuthes von Texeira unsere Cavallerie zersprengt, und ich selbst mit meinen dreiundsechzig Fußsoldaten von mehr als 500 Mann der feindlichen Reiterei umzingelt. Anita erlebte an diesem Tage die schrecklichsten Wechselfälle des Krieges. Da sie sich nur ungern der Rolle einer einfachen Zuschauerin des Kampfes unterwarf, so betrieb sie jetzt die Ankunft der Munition, denn sie fürchtete, es möchten den Streitenden die Patronen ausgehen. Das Feuer, das wir zu unterhalten hatten, ließ in der That voraussetzen, daß die Munition, wenn sie nicht erneuert würde, sich bald erschöpfen möchte. Anita näherte sich daher in dieser Absicht dem Kriegsschauplatze, als ein Haufen von etlichen zwanzig feindlichen Reitern, welche einige Flüchtige von uns verfolgten, über unsere Trainsoldaten herfielen. Als eine vortreffliche Reiterin, ein herrliches Thier reitend, konnte Anita ihnen leicht entfliehen; allein in der Brust dieses Weibes schlug das Herz eines Helden. Statt zu entweichen, feuerte sie unsere Soldaten an, sich zu vertheidigen, und fand sich plötzlich von den Kaiserlichen umringt. Ein Mann hätte sich ergeben, sie aber setzte dem Pferde die Sporen in die Seite und mit einem kräftigen Sprunge eilte sie mitten durch die Feinde hindurch. Eine Kugel schlug durch ihren Hut; sie versengte ihre Haare, ohne jedoch die Hirnschale zu berühren. Vielleicht wäre sie entkommen, wenn nicht ihr Pferd von einer zweiten Kugel tödtlich getroffen zusammengestürzt wäre; jetzt mußte sie sich ergeben und wurde vor den feindlichen Oberst gebracht.

„Unvergleichlich an Muth in der Gefahr, wurde Anita, wenn es möglich ist, noch größer im Unglück; vor diesem Generalstab, der zwar über ihren Muth erstaunt war, aber nicht Takt genug besaß, vor einem Weibe den Stolz des Sieges zu verbergen, wies sie mit strengem und geringschätzigem Trotz einige Worte zurück, in denen sie eine Verachtung der besiegten Republikaner herauszufühlen glaubte, und kämpfte eben so kräftig mit dem Munde, wie sie es mit den Waffen gethan. Anita hielt mich für todt. In diesem Glauben erbat und erhielt sie die Erlaubniß, unter den Leichen, welche das Schlachtfeld bedeckten, nach meinem Leichnam zu suchen. Lange irrte sie allein und einem Schatten gleich über die blutgetränkte Ebene und suchte nach dem, den sie aufzufinden fürchtete; sie wendete die Todten um, die mit dem Gesicht auf die Erde gefallen waren und ihr nach Kleidung oder Figur einige Aehnlichkeit mit mir zu besitzen schienen. Ihr Nachforschen war vergeblich; ich war’s vielmehr, dem später das Schicksal den Schmerz aufbewahrt hatte, mit meinen Thränen ihre starren Wangen zu netzen, und als die Todesangst mich zusammenpreßte, war mir nicht gestattet, eine Hand voll Erde auf sie zu streuen oder eine Blume auf das Grab der Mutter meiner Kinder zu werfen.

„Als Anita einigermaßen sich versichert hatte, daß ich noch lebte, dachte sie nur noch an Eins, an ihre Flucht. Bald bot sich ihr eine Gelegenheit dazu dar. Die Trunkenheit des siegreichen Feindes nutzend, ging sie in ein Haus, das in der Nähe desjenigen lag, in dem sie als Gefangene bewacht wurde, und wo eine Frau, ohne sie zu kennen, sie aufnahm und beschützte. Mein Mantel, den ich weggeworfen hatte, um freier in meinen Bewegungen zu sein, war in die Gewalt des Feindes gekommen; sie vertauschte ihn mit dem ihrigen, der schöner und von größerem Werthe war. Die Nacht brach an; Anita stürzte in den Wald und verschwand darin.

„Es gehörte gleichzeitig das Herz eines Löwen und die Schnelligkeit einer Gazelle dazu, um solches zu wagen. Nur der, welcher die unermeßlichen, die Sierra de Esquinasso bedeckenden Wälder gesehen hat mit ihren hundertjährigen Fichten, die den Himmel zu stützen bestimmt scheinen und die Säulen dieses prachtvollen Tempels der Natur sind, mit dem gigantischen Schilfrohr, welches die Zwischenräume ausfüllt und von wilden Thieren und todbringendem Gewürm wimmelt, kann sich einen Gedanken von den Gefahren machen, die sie zu bestehen, von den Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte. Glücklicherweise kannte die Tochter der amerikanischen Prairien nicht, was Furcht ist. Von Coritibani bis Lages hatte sie zwanzig Miglien in unwegsamem Gehölz zurückzulegen. Allein, ohne Lebensmittel, wie sollte sie dahin gelangen? Gott weiß es.

„Die wenigen Einwohner dieses Theils der Provinz, die sie antreffen konnte, waren den Republikanern feindlich gesinnt, und sobald sie nur unsere Niederlage erfuhren, so griffen sie zu den Waffen und legten sich auf verschiedenen Punkten, namentlich in den Pecadas, in Hinterhalt. In den Cabecas, d. h. in den fast unwegsamen Theilen dieser Fußsteige, wurde ein fürchterliches Blutbad unter unseren unglücklichen Kampfgenossen angerichtet; aber sei es nun ihr guter Stern, sei es die bewunderungswürdige Entschlossenheit, mit welcher sie diese gefährlichen Wege durcheilte, ihr bloßer Anblick machte die Mörder fliehen, welche, wie sie sagten, von einem überirdischen Wesen verfolgt zu werden glaubten.

„Es war in der That etwas Wunderbares, dieses tapfere Weib auf einem feurigen Renner reiten zu sehen, das sie in einem Hause, wo man sie gastfreundlich aufgenommen, erbeten und erhalten hatte, und dies während einer Sturmnacht, im Galopp fortstürmend über Felsen unter dem Leuchten der Blitze und dem Rollen des Donners. Denn so war es in jener Nacht des Unglücks. Vier Reiter, die an der Fuhrt des Flusses Cauvas aufgestellt waren, entflohen bei dem Anblick dieser Erscheinung und verbargen sich hinter dem Buschwerk des Ufers. Inzwischen kam Anita an das Ufer des Flusses. Dieser, vom Regen angeschwollen und durch die Bergwasser um das Doppelte verstärkt, war zu einem Strom geworden, und trotzdem setzte sie über denselben, nicht, wie vor einigen Tagen, in einer schönen Barke, sondern hindurchschwimmend, angeklammert an die Mähne ihres Rosses, das sie mit ihrer Stimme anfeuerte. Die Wellen stürzten sich brausend, nicht etwa eine kurze Strecke, sondern in einer Ausdehnung von fünfhundert Schritten dahin. Und doch erreichte sie gesund und glücklich das andere Ufer. Eine Tasse Kaffee, die sie eiligst in Lages genoß, war Alles, was die unerschrockene Reisende innerhalb eines Zeitraumes von vier Tagen zu sich nahm, bis sie endlich zu Vaccaria wieder zum Corps des Obersten Aranha stieß.

„Hier trafen wir, Anita und ich, nach einer achttägigen Trennung wieder zusammen, nachdem wir uns gegenseitig für todt gehalten hatten. Man kann denken, welche Freude wir empfanden! Aber eine noch größere Freude erwartete mich an dem Tage, wo Anita auf der Halbinsel, welche die Lagune de los Patos schließt, in einem Rancho, wo sie die edelmüthigste Gastfreundschaft genossen, unsern zärtlich geliebten Menotti zur Welt brachte. Das Kind wurde mit einem Wundmal geboren, das von einem Sturz herrührte, welchen seine Mutter vom Pferde gethan hatte. Und hier wiederhole ich noch einmal meinen innigsten Dank gegen die trefflichen Leute, die uns so gastlich aufnahmen; eine ewige Dankbarkeit, sie mögen es glauben, bewahrt mein Herz für sie. In dem Lager, wo uns die nöthigsten Dinge fehlten und ich sicher nicht ein Taschentuch gefunden hätte, das ich der armen Wöchnerin zu geben vermochte, hätte sie die äußerste Probe nicht ausgehalten, in welcher das Weib so viel Kraft und so viel Aufmerksamkeiten bedarf.“



Anmerkungen (Wikisource)

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Titel: Aus Garibaldi’s Leben
aus: Die Gartenlaube 1860, Heft 35, S. 552-555
Mehrteilige Biografie - Teil 4
[552]
Nr. 4.

Die Lage der republikanischen Armee verschlimmerte sich inzwischen von Tag zu Tag, ihre Bedürfnisse wurden größer, ihre Hülfsmittel geringer; die beiden heftigen Gefechte bei Taquari und bei San José des Nordens hatten die Infanterie decimirt, die, obschon weniger zahlreich, der Nerv der Belagerungsoperationen war. Bald riß Desertion ein; die Bevölkerungen wurden, wie es in zu lang ausgedehnten Kriegen zu geschehen pflegt, müde und überdrüssig; Gleichgültigkeit bemächtigte sich ihrer, und man fühlte von allen Seiten, daß der Augenblick gekommen sei, dem ein Ende zu machen.

Die Schlacht von Causa hatte stattgefunden; die Republikaner wurden darin von den Kaiserlichen geschlagen. Der mitten im Winter in einem gebirgigen Lande und bei einem unaufhörlichen Regen unternommene Rückzug war das Schrecklichste und Gräulichste, was Garibaldi je gesehen hatte. Zum Glück führten sie als Proviant einige Kühe mit sich, da sie im Voraus wußten, daß auf den Wegen, die sie zu durchschreiten hatten, kein zur Nahrung geeignetes Thier ihnen begegnen würde. Anita erduldete während dieses dreimonatlichen Rückzugs Alles, was nur ein Mensch ertragen kann, ohne die Seele aufzugeben, und sie ertrug mit unaussprechlichem Muth und Stoicismus.

Man muß einige Kenntniß von den Wäldern in diesem Theile Brasiliens besitzen, um sich eine Idee von den Entbehrungen machen zu können, welche eine Truppe ohne weitere Transportmittel erduldete, eine Truppe, die als einziges Proviantirungsmittel nur den Lasso hatte, eine ganz nützliche Waffe in den von wilden Thieren und Hochwild bewohnten Prairien, die aber in den dichten Waldungen, wo nur Jaguare und Unzen hausen, ganz zwecklos ist. Um das Unglück auf den höchsten Punkt zu bringen, waren die in diesen jungfräulichen Wäldern nahe bei einander laufenden Flüsse über alle Maßen angeschwollen; jener furchtbare Regen, der Garibaldi unablässig verfolgte, hatte zur Folge, daß oftmals ein Theil der [553] Truppen zwischen zwei Flüssen eingeschlossen wurde und sich dort jeder Nahrung beraubt sah. Nun machte der Hunger sein Werk, hauptsächlich unter den Frauen und Kindern, und seine Verheerungen waren jammervoller, als die, welche Kanonen- und Flintenkugeln angerichtet hatten.

Namentlich litt das Fußvolk unter Leiden und Entbehrungen aller Art, denn dieses konnte nicht, wie die Reiterei, im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Pferdefleisch nehmen. Wenige Frauen und noch weniger Kinder kamen glücklich aus dem Walde heraus: die wenigen, welche dem Tode entgingen, wurden von den Reitern gerettet, die Mitleid mit den armen kleinen, von ihren Müttern verlassen und vor Hunger, Frost und Ermattung sterbenden Wesen empfanden.

Anita, die treue Gattin Garibaldi’s, zitterte bei dem Gedanken, ihren Menotti zu verlieren, der übrigens nur durch ein Wunder gerettet wurde. An den gefährlichsten Orten, oder wenn Flüsse zu passiren waren, trug Garibaldi sein armes drei Monate altes Kind, das er in einem Taschentuch an seinem Halse befestigt hatte und mit seinem Athem zu erwärmen suchte.[1] Von einem Dutzend Zugthieren, Pferden und Mauleseln, die Garibaldi beim Eintritt in den Wald sowohl für seinen eigenen Dienst, wie für sein Fuhrwerk besessen hatte, blieben ihm nur zwei Maulthiere und zwei Pferde; die übrigen waren verhungert oder vor Mattigkeit gestürzt. Zum größten Unglück hatten endlich noch die Führer den Weg verloren. So weit sie auch vorwärts drangen, so fanden sie doch das Ende dieses vermaledeiten Waldes nicht. Jetzt blieb Garibaldi mit zwei schrecklich ermatteten Maulthieren zurück, in der Absicht, sie vielleicht dadurch zu retten, daß er sie nur Schritt vor Schritt gehen ließ und mit den Blättern des Taquara, eines Schilfrohrs, von welchem der Taquari seinen Namen erhalten, zu ernähren suchte. Unterdessen sandte er Anita mit einem Dienstboten und dem Kinde voraus, um wo möglich einen Ausgang aus diesem endlosen Walde, so wie einige Nahrung aufzufinden. Die beiden Pferde, die er Anita gelassen, und die eins nach dem andern von dem muthvollen Weibe geritten wurden, retteten Alle. Sie gelangte endlich zum Ausgang des Waldes und traf glücklicherweise am äußersten Ende ein Piquet seiner braven Soldaten, die um ein angezündetes Feuer, etwas Seltenes in diesem allgemeinen Regen, sich gelagert hatten.

„Meine Cameraden hatten,“ so erzählt Garibaldi, „zum Glück einige wollene Kleidungsstücke erhalten, wickelten das Kind in dieselben, erwärmten es wieder und brachten es in’s Leben zurück, an welchem die arme Mutter bereits zu verzweifeln begonnen hatte. Dies war aber noch nicht Alles; mit zärtlicher Sorglichkeit machten sie sich auf den Weg, um einige Nahrungsmittel aufzusuchen, die sie nicht für sich selbst, sondern aus Liebe zu mir aufzufinden strebten, und mit denen sie die Mutter und das Kind ein wenig erquickten. – Ich selbst hatte mir eine unnütze Mühe genommen, meine beiden Maulthiere zu retten, endlich sah ich mich genöthigt, die armen keuchenden, verschlagenen und ganz abgefallenen Thiere zu verlassen; ich selbst legte den letzten Theil des Weges durch den Wald zu Fuß zurück. Denselben Tag noch fand ich mein Weib und mein Kind wieder und vernahm, was meine theuern Waffengefährten für sie gethan hatten. Neun Tage nach unserem Eintritt in den Wald verließen erst die letzten der Division ihn wieder; nur wenige Officiere hatten ihre Pferde glücklich durchgebracht; der Feind, der uns voranschritt, hatte bei seiner Flucht vor uns zwei Geschützstücke in der Pecada zurückgelassen; aber wir schenkten ihnen im Vorüberziehen kaum einen Blick, denn es fehlten uns alle Transportmittel, und wahrscheinlich befinden sie sich noch heute auf derselben Stelle, wo ich sie damals sah.

„Der Sturm und Regen schien auf den Wald beschränkt; kaum hatten wir ihn verlassen und näherten uns der Crima da Serra und der Vaccaria, als wir schönes Wetter bekamen. Dieses schöne Wetter und einige Ochsen, die in unsere Hände fielen und uns für die lange Fastenzeit entschädigten, ließen uns Ermattung, Hunger und Regen vergessen. Wir verweilten einige Tage im Departement von Vaccaria, um die Division von Bento Gonzales zu erwarten, die in Unordnung und auf ein Drittheil zusammengeschmolzen wieder zu uns stieß. – Während eines kurzen Aufenthalts, den wir uns am Saume einer dieser riesigen Waldungen gestatteten, sahen wir eine Frau aus ihm heraustreten, die in ihrer Jugend von den Wilden geraubt worden war und unsere Nachbarschaft benutzte, um zu entfliehen. Das arme Geschöpf befand sich in einem bejammernswerthen Zustande.

„Da wir jetzt keinen Feind mehr zu fliehen, noch in diesen hohen Gegenden zu verfolgen hatten, setzten wir unsern Marsch in kurzen Etappen fort, zumal da uns Pferde gänzlich mangelten und wir uns gezwungen sahen, Füllen einzufangen und unterwegs zu zähmen. Das Corps der republikanischen Lanciers war vollständig unberitten und konnte sich nur durch Füllen wieder aufhelfen. Es war übrigens ein prachtvolles und, obschon täglich wiederholtes, doch stets neues Schauspiel, diese jungen und kräftigen Schwarzen zu sehen, von denen Jeder den Beinamen des Pferdebändigers verdiente, welchen Virgil dem Peleps ertheilt. Man mußte sie sehen, wie sie auf diese wilden, des Gebisses, Sattels und Sporns unkundigen Kinder der Steppe sprangen, sich an die Mähne derselben anklammerten und mit ihnen durch die Ebene brausten, bis das Thier, dem Menschen nachgebend, sich für besiegt bekannte. Allein der Kampf währte lange; das Thier ergab sich nicht eher, als bis alle seine Kräfte, sich seines Tyrannen zu erwehren, erschöpft waren; der Mann war seinerseits bewunderungswürdig, was Gewandtheit, Kraft und Muth anlangt: an alle Bewegungen des Thieres gebunden, es zwischen die Kniee wie zwischen einen Schraubstock pressend, mit ihm aufspringend, sich mit ihm niederwälzend, wieder mit ihm sich erhebend und sich nicht von ihm trennend, als bis es in Schweiß gebadet, mit weißem Schaum bedeckt und mit zitternden Knieen gebändigt die Kraft des Mannes anerkannte. Ein tüchtiger Pferdebändiger brauchte drei Tage Zeit, um auch das wildeste Roß dahin zu bringen, daß es sich dem Gebiß unterwarf. Selten werden jedoch die Füllen von den Soldaten, namentlich auf dem Marsche, gut gebändigt, denn zu viele Beschäftigungen verhindern die Bändiger, ihnen die nöthige Sorgfalt zuzuwenden.

„Nachdem wir die „Mattos“ passirt, zogen wir durch die Provinz der Missionsgesellschaften, wendeten uns nach Cruz-Alta, dem Hauptort dieser kleinen Provinz, und von Cruz-Alta nach San Gabriel, wo das Hauptquartier errichtet und Baracken für das Lager der Armee aufgeschlagen wurden. Sechs Jahre dieses Gebens unter Gefahren und Abenteuern hatten mich nicht ermüdet, so lange ich allein geblieben war; allein jetzt, wo ich eine kleine Familie besaß, ließ diese Trennung von allen meinen ehemaligen Bekannten, diese Unkenntniß, was während so vieler Jahre aus meinen Eltern geworden, in mir das Verlangen aufsteigen, mich einem Punkte zu nähern, wo mir Nachrichten von meinem Vater und meiner Mutter zukommen konnten. Ich vermochte zwar für einen Augenblick all diese zärtlichen Gefühle in meinem Herzen zurückzudrängen; allein sie hatten sich daselbst angehäuft und gewannen wieder die Oberhand. – Setzen wir hinzu, daß ich auch nicht wußte, wie es meiner andern Mutter erging, die man Italien nennt! Die Familie ist mächtig, aber das Vaterland unwiderstehlich. Ich entschloß mich daher, wieder nach Montevideo zu reisen und daselbst wenigstens einige Zeit lang zu bleiben; deshalb bat ich den Präsidenten um meinen Abschied und die Erlaubniß, mir eine kleine Ochsenheerde anzuschaffen, deren stückweiser Verkauf mir während der Dauer der Reise meinen Unterhalt bestreiten helfen sollte.“

So finden wir denn Garibaldi als Truppiere, mit andern Worten als Ochsenführer wieder! In einer Estancia, el Corral de Pedras mit Namen, gelang es ihm, mit Ermächtigung des Finanzministers in einigen zwanzig Tagen und mit unsäglichen Mühen und Beschwerden gegen neunhundert Stück Vieh zusammenzubringen. Diese Thiere waren jedoch noch vollständig wild, und eine noch größere Mühe harrte seiner unterwegs, wo sich ihm fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellten. Lassen wir ihn selbst erzählen:

„Die größte Mühe,“ so berichtet er, „machte mir der Uebergang über den Rio Negro, wo ich mein ganzes Capital versinken sah. Ich hatte nicht allein die Schwierigkeiten des Uebergangs und meine Unerfahrenheit in meinem neuen Geschäft gegen mich, sondern hauptsächlich die Unredlichkeit einiger von mir als Führer gedungenen Leute. Dennoch rettete ich ungefähr fünfhundert Stück, aber in Folge schlechten Futters, der Länge der Reise und der Schwierigkeiten beim Flußübergang hielt man sie für unfähig, ihre Bestimmung zu erreichen. Ich beschloß daher sie todtzuschlagen, die Haut abzuziehen und nur ihre Felle zu verkaufen, ein Unternehmen, [554] bei welchem mir, die Unkosten vorläufig abgezogen, kaum einhundert Thaler blieben, welche mir zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse meiner Familie dienen sollten. Ich will bei dieser Gelegenheit noch eines Zusammentreffens erwähnen, das mir einen meiner theuersten und zärtlichsten Freunde verschaffte. Ach! noch einer, der in einer bessern Welt die Befreiung Italiens erwartet!

„Als ich während unseres Rückzugs in die Nähe von San Gabriel gelangte, hörte ich einen italienischen Officier von großem Geist, großem Herzen und großer Kenntniß nennen, der als Carbonaro verwiesen, sich für Frankreich, am 5. Juni, zu Oporto geschlagen, die lange Belagerung, welche dieser Stadt den Namen der Unüberwindlichen verschafft, mit durchgemacht, endlich aber, wie ich, gezwungen war, Europa zu verlassen und nun seinen Muth und seine Kenntnisse den jungen südamerikanischen Republiken angeboten und gewidmet hatte. Man erzählte von ihm Züge von Muth, Kaltblütigkeit und Kraft, daß ich mir zehnmal wiederholte: Sollte ich dem Manne begegnen, so wird er mein Freund sein! Er nannte sich Auzani.

„Ein Stück von ihm machte großes Aufsehen. Als Auzani in Amerika ankam, hatte er sich mit einem Empfehlungsschreiben bei den Herren N***, Kaufleuten zu V. und Italienern wie er, vorgestellt. Diese Herren hatten bald ihr Factotum aus ihm gemacht. Auzani war gleichzeitig bei ihnen Cassirer, Buchhalter, Vertrauter, besser gesagt, Auzani war der gute Genius ihres Hauses. Wie alle kräftigen und muthvollen Menschen war auch Auzani ruhig und sanft.

„Das Haus, dessen eigentlicher Director er geworden, war eins jener Häuser, wie man sie nur in Südamerika findet, die Lager von Allem, was man sich nur erdenken kann, halten und in einer einzigen Handlung so ziemlich sämmtliche Handelsartikel vereinigen. Nun war aber die Stadt, in welcher das Handelshaus unserer Landsleute sich befand, zum Unglück in der Nachbarschaft eines Waldes gelegen, in welchem jene indischen Stämme, die Bugren, hausten. Einer der Häuptlinge dieser Indier war der Schrecken des ganzen Städtchens, das er zwei Mal jährlich mit seinem Stamm besuchte und nach Belieben ausplünderte, ohne daß es ihm einen Widerstand entgegenzusetzen gewagt hätte. Anfangs war er mit zwei- bis dreihundert Mann, dann mit hundert, später mit fünfzig eingezogen; wie er aber den Schrecken gesehen, den seine Gegenwart verursachte, glaubte er endlich allein kommen und doch den Gebieter spielen zu können. Dies that er denn auch, erließ seine Befehle und stellte seine Forderungen, als ob sein ganzer Stamm hinter ihm gestanden, um die Stadt mit Blut und Feuer zu verheeren.

„Auzani hatte von diesem Eisenfresser sprechen hören und Alles still vernommen, ohne seine Meinung über die Verwegenheit des wilden Häuptlings und über den Schrecken auszusprechen, den seine Wildheit verbreitete. Dieser Schrecken war so groß, daß, sobald das Geschrei erklang: „der Häuptling der Mattos!“ sofort alle Fenster geschlossen, alle Thüren verriegelt wurden, als ob man die Anwesenheit eines tollen Hundes ausgerufen hätte. Der Indier war an diese Zeichen des Entsetzens gewöhnt, die seinem Stolze schmeichelten. Er wählte eine Thüre aus, die er geöffnet wünschte, klopfte an dieselbe an, und nachdem sie ihm erschlossen worden, was mit der Geschwindigkeit des Schreckens geschah, konnte er nun das ganze Haus ausplündern, ohne daß der Hausherr, die Nachbarn oder die Einwohner auch nur daran gedacht hätten, seinen Rückzug zu beunruhigen.

„Es waren ungefähr zwei Monate vergangen, seitdem Auzani das Handelshaus in den größten wie geringsten Einzelnheiten zur großen Genugthuung seiner beiden Principale leitete, als plötzlich der Schreckensruf ertönte: „der Häuptling der Mattos!“ Wie gewöhnlich, schlossen sich eiligst Thüren und Läden. Auzani war allein im Hause und eben beschäftigt, die Wochenrechnung abzuschließen; er dachte nicht daran, daß die tosende Nachricht der Mühe lohne, sich stören zu lassen, und blieb daher bei offener Thür und offenem Fenster hinter seinem Ladentisch. Staunend blieb der Indianer vor diesem Hause stehen, das mitten in dem allgemeinen Umsturz, den seine Gegenwart hervorrief, bei seiner Ankunft gleichgültig erschien. Er trat ein und erblickte auf der andern Seite des Comptoirs einen Mann mit bleichem Angesicht, der seine Rechnungen abschloß. Mit gekreuzten Armen blieb er vor ihm stehen und betrachtete ihn verwundert. Auzani erhob den Kopf. Er war die Höflichkeit selbst.

„Was wollt Ihr, mein Freund?“ fragte er den Indianer.

„Wie? was ich will?“ erwiderte dieser.

„Gewiß,“ entgegnete Auzani, „wenn man in ein Magazin eintritt, wünscht man etwas zu kaufen.“

Der Indianer brach in ein Lächeln aus.

„Du kennst mich also nicht?“ fragte er Auzani.

„Wie sollte ich Dich denn kennen? Es ist das erste Mal, daß ich Dich sehe.“

„Ich bin der Häuptling der Mattos,“ antwortete der Indier, indem er seine Arme entkreuzte und in seinem Gürtel ein Arsenal von vier Pistolen und einen Dolch erblicken ließ.

„Nun, Häuptling der Mattos, was willst Du?“ fragte Auzani.

„Zu trinken will ich,“ erwiderte dieser.

„Und was willst Du trinken?“

„Ein Glas Aguardiente.“

„Nichts leichter als das; zahle zuvor und ich werde Dir dann Dein Glas bringen.“

Der Indier begann ein zweites Mal zu lachen. Auzani runzelte leicht die Augenbrauen.

„Sieh,“ sagte er, statt zu antworten, „lachst Du mir zum zweiten Male in’s Gesicht! Ich finde das nicht höflich. Ich sage Dir daher, geschieht es zum dritten Male, so werfe ich Dich zur Thüre hinaus.“

Auzani hatte diese Worte mit einem Tone von Festigkeit gesprochen, der jedem Andern als einem Indier ein Maß für den Mann gegeben haben würde, mit dem er es zu thun hatte. Vielleicht verstand ihn der Häuptling, allein er gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen.

„Ich sagte Dir, Du solltest mir ein Glas Aguardiente geben,“ wiederholte er, indem er mit der Faust auf den Ladentisch schlug.

„Und ich sagte Dir, Du möchtest vorher bezahlen,“ gab ihm Auzani als Antwort zurück, „wo nicht, erhältst Du nichts.“

Der Indier warf einen Zornblick auf Auzani, aber Auzani’s Auge begegnete dem seinigen. Blitz um Blitz kreuzten sich. Auzani sagte gewöhnlich: „Es gibt keine faktischere Macht, als die moralische; betrachtet kühn, fest und beharrlich den Mann, der euch betrachtet; senkt er die Augen nieder, so seid ihr sein Meister. Senkt aber nicht die eurigen, sonst wird er euer Meister.“ – Auzani’s Blick hatte eine unwiderstehliche Gewalt: der Indier schlug die Augen nieder. Er fühlte seine Inferiorität und wollte sich doch, wüthend über diesen ihm unbekannten Zauber, durch Trinken wieder ein Herz verschaffen.

„Wohlan,“ sagte er, „hier ist ein halber Piaster, schenk ein.“

„Es ist mein Amt, die, welche zahlen, zu bedienen,“ antwortete Auzani ruhig.

Und er brachte dem Indier ein Glas Branntwein. Der Indier goß es hinunter.

„Noch eins,“ rief er.

Auzani brachte ihm ein zweites. Der Indier schüttete es wie das erste hinab.

„Noch eins!“ sprach er von Neuem.

So lange das Geld ausreichte, um die Libationen des Indiers zu decken, machte Auzani keine Bemerkung; als der Zecher aber so viel hinabgegurgelt hatte, als der Preis des Geldstückes auswog, hielt er an.

„Nun?“ fragte der Indier.

Auzani machte ihm seine Rechnung.

„Was weiter?“ beharrte der Indier.

„Was weiter? Ohne Geld keinen Branntwein!“ entgegnete Auzani.

Der Indier hatte richtig gerechnet. Die fünf bis sechs Glas Aguardiente, die er hinuntergestürzt, hatten ihm den Muth wieder verliehen, den er vor dem Löwenblick Auzani’s verloren.

„Aguardiente!“ schrie er, indem er die Hand an eine seiner Pistolen hielt, „Aguardiente, oder ich morde Dich!“

Auzani, welcher merkte, daß die Sache damit endigen könne, hielt sich gefaßt. Er war ein Mann von fünf Fuß neun Zoll, mit fabelhafter Kraft und bewunderungswürdiger Gewandtheit. Seine rechte Hand stützte er auf den Ladentisch, sprang auf die andere Seite hinüber und stürzte mit seinem ganzen Gewicht auf den Indier und bemächtigte sich, bevor dieser noch Zeit gefunden, [555] sein Pistol zu ziehen, mit der linken Hand der rechten Faust seines Gegners. Der Indier konnte den Stoß nicht aushalten, er fiel rücklings zu Boden. Auzani stürzte auf ihn und setzte ihm das Knie auf die Brust. Jetzt entriß er ihm, während der Indier seine Waffe nicht gebrauchen konnte, die Pistolen wie den Dolch aus seinem Gürtel und warf sie in das Magazin, dann entwand er ihm das Pistol, das er in seiner Rechten hielt, und schlug nun, den Lauf in der Hand, mit dem Kolben aus aller Kraft auf den Häuptling los. Endlich, als er glaubte, daß der Indier, um mich des Kunstausdrucks zu bedienen, genug habe, erhob er sich und stieß ihn mit kräftigen Fußtritten zur Thüre hinaus, wo er bis in die Gosse rollte, in welcher er ihn liegen ließ. In der That hatte der Indier genug. Er stand auf und erschien nie wieder in San Gabriel.

„Unter einem andern Namen, als dem seinigen – unter dem Namen Ferrari – hatte Auzani den portugiesischen Krieg gemacht. Unter diesem Namen hatte er sich bewunderungswürdig gehalten; unter diesem Namen hatte er den Rang eines Capitains sich erworben; unter diesem Namen hatte er zwei schwere Wunden, die eine am Kopfe, die andere in die Brust, erhalten, so schwere Wunden, daß er nach Verlauf von sechzehn Jahren an einer derselben starb. Die Wunde am Kopfe rührte von einem Säbelhiebe her, der ihm die Hirnschale zerschmetterte. Die in der Brust rührte von einer Kugel her, die in der Lunge festsaß und später eine Lungenschwindsucht herbeiführte.

„Wenn man zu Auzani von den Wundern des Muths sprach, die er unter dem Namen Ferrari vollbracht hatte, lächelte er und behauptete, dieser Ferrari und er wären verschiedene Menschen. Von diesem Manne hatte man mir erzählt, das war der Mann, den ich kennen zu lernen wünschte und den ich zu meinem Freund machen wollte. Zu San Gabriel vernahm ich, daß er in Geschäftsangelegenheiten ein Dutzend Miglien weit verreist sei. Ich erkundigte mich näher und bestieg mein Pferd, um ihn aufzusuchen. Unterwegs, am Ufer eines kleinen Flüßchens, fand ich einen Mann, der mit nackter Brust sein Hemd wusch. Ich merkte, daß dies der Mann sei, den ich suchte.

„Ich schritt auf ihn zu, reichte ihm die Hand und nannte meinen Namen. Von diesem Augenblicke an waren wir Brüder. Zu jener Zeit war er nicht mehr in seinem Handelshaus; wie ich, war er in die Dienste der Republik von Rio Grande eingetreten. Er befehligte die Infanterie der Division Juan Antonio, eines der berühmtesten republikanischen Chefs; wie ich, verließ er übrigens diesen Dienst und wendete sich nach el Salto.

„Nachdem wir einen Tag mit einander verlebt hatten, gaben wir uns unsere gegenseitigen Adressen und kamen überein, daß wir nichts Wichtiges vornehmen wollten, ohne daß der Eine den Andern davon benachrichtigte. Man gestatte mir noch eine Einzelheit, um unsere Noth und unsere Brüderlichkeit daraus zu erkennen. Auzani hatte nur ein Hemd, aber er besaß zwei Paar Beinkleider. Ich war eben so arm wie er in Bezug auf das Hemd, aber er war um ein Paar Beinkleider reicher als ich. Wir schliefen unter dem nämlichen Dache, aber Auzani reiste vor Tage ab, ohne mich zu wecken. Als ich erwachte, fand ich auf meinem Bett das beste Paar seiner beiden Beinkleider. Ich hatte Auzani kaum gesehen, allein er war einer von den Männern, die man auf den ersten Anblick beurtheilt. Deshalb war auch, als ich Dienste bei der Republik von Montevideo nahm und mit der Organisation der italienischen Legion beauftragt wurde, meine erste Sorge, an ihn zu schreiben und ihn einzuladen, diese Arbeit mit mir zu theilen. Er kam, und wir verließen uns erst an dem Tage, wo er die italienische Erde wieder berührte und in meinen Armen starb.“



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Titel: Aus Garibaldi’s Leben
aus: Die Gartenlaube 1860, Heft 44, S. 701-704
Mehrteilige Biografie - Teil 5
[701]
Aus Garibaldi’s Leben.
Nr. 5.

Da die wenigen Thaler, die ihm der Verkauf seiner Ochsenfelle eingebracht, verausgabt waren und er nicht Lust hatte, mit Frau und Kind seinen Freunden zur Last zu fallen, unternahm Garibaldi zwei Geschäfte, die jedoch, wenn auch vereinigt, selbst seine geringen Bedürfnisse kaum befriedigt haben würden. Zuerst wurde er Waarenmäkler, der Proben aller Art, von italienischen Nudeln an bis zu Stoffen aus Rouen, mit sich herumtrug. Dann bekleidete er in dem Hause eines gewissen Paolo Semidei das Amt eines Lehrers der mathematischen Wissenschaften, und diese Lebensweise führte er bis zu seinem Eintritt in die orientalische Legion fort. Die Frage von Rio Grande nahte ihrer Lösung, und so bot ihm die orientalische Republik, wie sich damals die Republik von Montevideo nannte, eine Beschäftigung an, welche mehr in Harmonie mit seinen Mitteln und namentlich mit seinem Charakter stand, als die eines Lehrers der Mathematik oder Musterreiters. Man übertrug ihm das Commando über die Corvette la Constitucion, während sich das gesammte orientalische Geschwader unter dem Befehle des Obersten Cosse, das von Buenos-Ayres aber unter dem des Generals Brown befand. Mehrere Zusammentreffen zwischen beiden hatten nur geringe Erfolge, bis endlich ein gewisser Vidal, traurigen Gedächtnisses, das Ministerium übernahm und die mit ungeheuren Summen errichtete und unterhaltene Flotte um ein Lumpengeld verschleudern ließ. Garibaldi wurde hierauf mit der Brigantine Pereira von achtzehn Geschützen nach Corrientes gesendet, das damals gegen Rosas kämpfte und dem er in seinen Bewegungen gegen diesen Dictator helfen sollte. Die ganze Expedition hatte jedoch einen andern, nur dem Herrn Premier-Minister bekannten Zweck: man wollte sich Garibaldi’s entledigen. Schon beim ersten Auslaufen von Montevideo hatte er einen Kampf gegen die Batterie von Martin Garcia, einer am Ausflusse des Uruguay in den Parana gelegenen Insel, zu bestehen, der ihm mehrere Todte und acht bis zehn Verwundete kostete. Drei Meilen von dieser Insel entfernt strandete die Constitucion, leider zur Zeit der Ebbe; es kostete unsägliche Arbeit, das Schiff wieder flott zu machen, aber die muthige Ausdauer der Mannschaft brachte es endlich zu Stande. „Während wir,“ berichtet Garibaldi, „noch damit beschäftigt waren, alle schweren Gegenstände auf die uns begleitende Goelette la Proceda zu bringen, sahen wir die feindliche Flotte auf uns lossteuern; in schöner Schlachtordnung nahte sie von der andern Seite der Insel. Ich befand mich in einer bösen Situation; um die Constitucion zu lichten, ließ ich sämmtliche Geschützstücke auf die Goelette bringen, wo sie übereinander geworfen wurden; sie waren uns daher vollständig nutzlos; so blieb uns nur noch die Brigantine Peresia, deren muthvoller Commandant bei mir war und uns mit der Mehrzahl seiner Mannschaft in unserer Arbeit beistand.

„Inzwischen nahte der Feind mit sieben Kriegsschiffen, voll der begründetsten Siegesgewißheit. Trotz der drohenden Gefahr, in der ich mich befand, überließ ich mich doch nicht der Verzweiflung. Nein, Gott erweist mir die Gnade, mir in den äußersten Nöthen stets das Vertrauen auf ihn zu bewahren; ich überlasse aber gern Anderen, namentlich Seeleuten, zu beurtheilen, in welcher Lage ich mich befand. Hier handelte sich’s nicht allein um’s Leben, auf welches ich in diesem Augenblicke gern verzichtet hätte, es galt, die Ehre zu retten. Diese blutig, aber rein aus dieser schlimmen Lage herauszuretten, war mein fester Entschluß. Es handelte sich nicht darum, sich dem Kampfe zu entziehen zu suchen, sondern ihn in der bestmöglichen Stellung aufzunehmen. Da nun meine Fahrzeuge, leichter als die des Feindes, nicht so tief im Wasser gingen, so ließ ich sie möglichst nahe an die sich mir darbietende Küste bringen, um, da auf dem Flusse Alles verloren war, ein letztes Auskunftsmittel, die Landung, zu versuchen. Ich ließ hierauf, so weit es anging, das Verdeck der Goelette frei machen, um wenigstens einige Kanonen gebrauchen zu können, und erwartete also gerüstet den Feind.

„Das Geschwader, das mich anzugreifen im Begriff stand, wurde von Admiral Brown befehligt; ich wußte daher, daß ich es mit einem der tapfersten Seemänner zu thun haben würde. Der Kampf dauerte drei Tage, ohne daß der Feind es für angemessen hielt, zu entern. Am Morgen des dritten Tages blieb mir zwar noch Pulver, aber die Kugeln waren ausgegangen. Ich ließ daher die Ketten der Fahrzeuge auseinander sprengen, ließ die Nägel, die Hämmer, alles Leder oder Eisen, was die Geschosse ersetzen konnte, herbeischaffen und schleuderte dies dem Feinde in’s Gesicht; so hielten wir uns den Tag über hin. Endlich, gegen Sonnenuntergang des dritten Tages, als ich keine Kugel mehr am Bord, und mehr als die Hälfte meiner Mannschaft bereits eingebüßt hatte, ließ ich Feuer an die drei Schiffe legen, während wir unter dem feindlichen Kanonendonner das Land zu erreichen suchten. Jeder nahm sein Gewehr und den Antheil an den uns verbliebenen Patronen mit. Alles, was von Verwundeten transportabel war, wurde mit fortgeschafft. Was die Uebrigen betrifft, … ich habe schon gesagt, wie’s unter solchen Umständen zu geschehen pflegte.

„Wir befanden uns noch 150 bis 200 Miglien von Montevideo entfernt und auf einer feindlichen Küste. Zunächst suchte die Besatzung der Insel Martin Garcia uns zu belästigen; da jedoch in uns noch das Feuer glühte, in welches uns der Kampf mit dem Admiral Brown versetzt hatte, so empfingen wir sie dergestalt, daß sie an kein Wiederkommen dachten. Hierauf schlugen wir den Weg durch die Wüste ein, während dessen wir von dem wenigen Proviant, den wir mit uns genommen, und von dem, was wir auf der Reise fanden, uns unterhielten. Die Schlacht von Arroyo-Grande war inzwischen verloren worden; wir schlossen uns den Flüchtlingen an und nach fünf bis sechs Tagen des Kampfes, der Gefechte, der Entbehrungen und Leiden aller Art, von denen sich Niemand eine Idee zu machen vermag, trafen wir wieder in Montevideo ein und brachten das rein und unversehrt zurück, was ich, wie man geglaubt, unterwegs einbüßen würde, die Ehre!“

Nach dem Siege von Arroyo-Grande marschirte der Feind auf Montevideo und erklärte, Niemand, selbst nicht den Fremden, die in seine Hände fallen würden, Pardon zu geben. Und in der That wurde Jedermann, der ihm unterwegs aufstieß, enthauptet oder erschossen. Da sich nun in Montevideo eine große Anzahl Italiener befand, die daselbst theils in Handelsgeschäften, theils als Proscribirte lebten, erließ Garibaldi eine Proclamation an seine Landsleute, in welcher er sie aufforderte, zu den Waffen zu greifen und auf Tod und Leben für die zu kämpfen, die sie in ihrer Mitte gastlich aufgenommen hätten.

Inzwischen sammelte Ribeira die Ueberreste seiner Armee, und genehmigte mit Freuden den Vorschlag Garibaldi’s. Diese italienische Legion bekam keinen Sold, sondern Rationen an Brod, Wein, Salz, Oel u. dgl., während man nach beendigtem Kriege den Ueberlebenden, oder den Frauen und Kindern der Legionairs Besitzthum in Ländereien und Vieh versprach. Anfangs vier- bis fünfhundert Mann stark, stieg die Legion bald bis auf achthundert Mann, größtentheils proscribirte Italiener oder Leute, die aus Europa kamen, um hier ihr Glück zu versuchen.

Als die Legion zum ersten Male aus den Verschanzungen herausmarschirte, ergriff sie, man weiß nicht, ob aus Schuld der Führer oder der Soldaten, ein panischer Schrecken, und sie zog sich eiligst, ohne einen Schuß abgefeuert zu haben, wieder in die Verschanzungen zurück. Garibaldi hielt eine heftige Anrede an sie, setzte einen der Bataillonscommandanten ab und schrieb wiederholt an Auzani, der sich in einem Handelshause zu Uruguay befand, und endlich den Bitten des Freundes nachgab, um sich wieder mit Garibaldi zu vereinigen. Mit ihm kam neue Kraft und neues Leben in die Legion; die zeither schauderhafte Verwaltung derselben nahm seine ganze Sorgfalt in Anspruch. Inzwischen hatte man, wohl oder übel, eine kleine Flottille reorganisirt, deren Befehligung man Garibaldi übertrug. Auch in dieser neuen Stellung leistete dieser treffliche Dienste, und zwang namentlich den Admiral Brown, sich mit ansehnlichem Verlust von der Insel de los Ratos zurückzuziehen. Bald darauf treffen wir ihn wieder an der Spitze seiner italienischen Legion, die sich nach ihrem ersten traurigen Auftreten durchaus ehrenhaft benahm. Er versuchte mit ihr, im Verein mit Pacheco, die Truppen Oribe’s anzugreifen, und seine Soldaten hielten sich so brav, daß der Feind nach dreistündigem Kampfe in die Flucht geschlagen wurde. Dies geschah am 28. März 1843. Triumphirend zog Garibaldi wieder in Montevideo ein; [702] seine Legion hatte die Feuertaufe erhalten. Sie erhielt jetzt eine Fahne von schwarzem Stoffe mit dem Bildnisse des Vesuvs, ein Sinnbild Italiens und der in seinem Schooße sich bergenden Revolutionen.

Am 17. November desselben Jahres befand sich die italienische Legion mit Garibaldi auf Postendienst. Nach dem Frühstück stieg der montevideische Oberst Neyra zu Pferde und ritt mit einigen Mann die Linien entlang. Man zielte auf ihn, und tödllich verwundet stürzte er vom Pferde. In demselben Augenblicke machte der Feind eine Charge und bemächtigte sich seines Leichnams, kaum hatte Garibaldi diese Nachricht vernommen, als er sogleich beschloß, die Leiche dieses tapfern Officiers dem Feinde wieder zu entreißen. Mit einigen hundert Mann, die er zur Hand hatte, griff er die Truppen Oribe’s an und bald war er wieder im Besitz des entseelten Körpers. Zwar erhielten die erbitterten Feinde sofort ansehnliche Verstärkungen, so daß Garibaldi rings eingeschlossen wurde; allein auch ihm kam Hülfe zu, und schon nach kurzer Frist war die ganze Legion in’s Gefecht verwickelt. Der Kampf wurde allgemein und dauerte acht Stunden; der Feind erlitt einen ungeheuren Verlust, und abermals kehrte Garibaldi siegreich mit seiner Legion nach Montevideo zurück. Unser Held hatte in diesem Kampfe – so gesteht er selbst – „wie ein einfacher Soldat“ gefochten und wußte daher nicht, was um ihn herum vorgegangen war. Am Abend erstattete ihm jedoch Auzani, dessen besonnene Ruhe und Tapferkeit durch nichts erschüttert worden war, Bericht über alle Einzelnheiten und setzte ihn in den Stand, der Legion im Namen Italiens Dank zu sagen und diejenigen, die sich am meisten ausgezeichnet, zu belobigen und im Range zu erhöhen. Beide Gefechte verschafften aber der Legion eine derartige Achtung bei dem Feinde, daß er, sobald er sie mit dem Bajonnet anrücken sah, nicht länger Stand hielt und das Weite suchte.

Mit gleicher Tapferkeit focht die italienische Legion am 24. April 1844 beim Uebergang über die Boyada, wo sie sechs Stunden lang unausgesetzt im Feuer stand; namentlich zeichneten sich bei dieser Gelegenheit Garibaldi’s Neger aus. Ein Tagesbefehl des General Paz ertheilte der italienischen Legion die größten Lobeserhebungen. Es konnte nicht fehlen, daß solche Thaten kriegerischer Tapferkeit die Blicke der an der Spitze der Republik von Montevideo stehenden Männer auf die italienische Legion und ihren kühnen Führer hinlenkten. Der Präsident der Republik, General Fructuoso Ribeira, erließ daher unterm 30. Januar 1845 ein Schreiben an Garibaldi, in welchem er diesem, „der die italienische Legion so würdig befehligt und sich schon vor dieser Zeit durch die der Republik geleisteten Dienste ein so unbestreitbares Anrecht auf die Dankbarkeit und Erkenntlichkeit Montevideos erworbcn hat,“ sowie den Officieren und der „hochberühmten und tapfern italienischen Legion“ Ländereien und Viehheerden für ihre heroischen Dienste anbot. Garibaldi schlug jedoch im Einverständniß mit allen seinen Officieren diese Ehrengabe aus und erklärte dem Präsidenten im Namen der ganzen Legion, „daß sie, als sie die Waffen ergriffen und der Republik ihre Dienste anboten, nichts Weiteres beansprucht hätten, als die Ehre, die Gefahren zu theilen, welche die Söhne des Landes, das sie gastlich aufgenommen, bestehen müßten; wenn sie so handelten, so gehorchten sie nur der Stimme ihres Innern. Nachdem sie dem Genüge geleistet, was sie einfach als Erfüllung einer Pflicht betrachteten, würden sie fortfahren, die Leiden und Gefahren der edlen Montevideer zu theilen, ohne jedoch einen anderen Preis oder eine andere Belohnung für ihre Arbeit zu wünschen.“

Bis zur Aufhebung der Blokade von Montevideo durch eine anglo-französische Intervention blieb Garibaldi mit seiner Legion die Seele der Vertheidigung und zeichnete sich durch viele kühne Handstreiche zu Wasser und zu Lande aus. Noch einmal, in dem mörderischen Gefecht von San Antonio, tritt der Name Garibaldi’s, Auzani’s und der italienischen Legion glänzend wie kaum ein anderer hervor; schreibt doch Garibaldi selbst darüber an die Commission der italienischen Legion zu Montevideo: „Nicht für eine Welt von Gold würde ich den Namen eines italienischen Legionairs dahingeben,“ und am Schlusse: „Ach! das war ein Gefecht, das verdiente in Erz gegossen zu werden.“ Es war seine letzte große Waffenthat in Montevideo.

Nach der Schlacht von San-Antonio schrieb der französische Admiral Lainé, welcher die La Plata-Station befehligte, einen Brief an Garibaldi, worin er ihm wegen seiner seltenen Umsicht und seines unerschütterlichen Muthes die größten Lobsprüche ertheilte. Dies genügte aber dem Admiral noch nicht, er wollte ihm auch persönlich seine Glückwünsche überbringen. Er landete daher in Montevideo und begab sich in die Straße Pontone, wo Garibaldi wohnte. Diese Wohnung, ebenso ärmlich, wie die des letzten Legionairs, konnte nicht verschlossen werden und stand Tag und Nacht für Jedermann offen, „namentlich für Wind und Regen,“ wie sich Garibaldi selbst äußerte, als er diese Anekdote erzählte.

Es war Nachts. Admiral Lainé warf die Thüre zu, und da das Haus nicht erleuchtet war, stieß er sich an einen Stuhl. „Holla!“ rief er jetzt, „muß man denn hier unbedingt den Hals brechen, wenn man Garibaldi besuchen will?“

„He, Frau,“ rief jetzt Garibaldi seinerseits, ohne die Stimme des Admirals zu erkennen, „hörst Du nicht, daß Jemand im Vorzimmer ist? leuchte!“

„Womit soll ich denn leuchten?“ entgegnete Anita, „weißt Du nicht, daß keine zwei Kreuzer im Hause sind, um ein Licht zu kaufen?“

„’s ist wahr,“ erwiderte Garibaldi philosophisch.

Er stand auf und öffnete die Thüre des Zimmers, in dem er sich befand. „Hierher,“ rief er, „hierher!“ damit seine Stimme, in Ermangelung des Lichts, dem Besuchenden zum Führer dienen möchte. Admiral Lainé trat ein. Die Dunkelheit war aber so groß, daß er seinen Namen nennen mußte, damit nur Garibaldi wisse, mit wem er es zu thun hatte. „Admiral,“ redete er diesen jetzt an, „Sie werden mich entschuldigen; als ich aber meinen Vertrag mit der Republik von Montevideo abschloß, vergaß ich, unter den festgesetzten Rationen eine Ration Licht zu specificiren. Wie Ihnen nun bereits Anita gesagt, bleibt das Haus, da wir keine zwei Kreuzer haben, um ein Licht zu kaufen, im Finstern. Zum Glück setze ich voraus, daß Sie gekommen sind, mit mir zu plaudern, und nicht, mich zu sehen.“

Und in der That plauderte der Admiral mit Garibaldi, ohne daß er ihn erkennen konnte. Er verabschiedete sich später und stattete noch dem General Pacheco y Obes, dem Kriegsminister, einen Besuch ab, bei welcher Gelegenheit er diesem das Erlebte erzählte.

Der Kriegsminister, der soeben ein Decret über Garibaldi und seine Legion erlassen hatte, nahm sogleich hundert Patagonen (fünfhundert Francs) und schickte sie an Garibaldi. Dieser wollte seinen Freund Pacheco durch Zurückweisung des Geldes nicht verletzen; aber am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch, nahm er die hundert Patagonen und vertheilte sie unter die Wittwen und Kinder der bei San Antonio gebliebenen Soldaten; für sich selbst behielt er nur so viel, als zum Ankauf eines Pfundes Lichte gehörte, wobei er seine Frau aufforderte, fein sparsam damit umzugehen, falls der Admiral Lainé ihm einen zweiten Besuch abstatten würde.

Das obenerwähnte Decret bestand in einem Tagesbefehl des Kriegsministers[WS 1]und verordnete, „um den heldenmüthigen Waffengenossen, die sich auf dem Schlachtfelde von San Antonio unsterblich gemacht haben, einen hohen Beweis der Achtung zu geben, welche die republikanische Armee von Montevideo, die sie in diesem denkwürdigen Treffen wie sich selbst verherrlicht haben, für sie hegt,“ daß sämmtliche Truppen sich in Montevideo in Parade aufstellen, durch eine große Deputation Garibaldi und der italienischen Legion eine Schrift der obersten Staatsgewalt überreichen und dann in Ehrencolonne vor der italienischen Legion defiliren sollten, während die Corpschefs unter dem Rufe: „es lebe das Vaterland! es lebe Garibaldi und seine tapfern Cameraden!“ salutirten.

Jene Schrift bestimmte, daß auf das Banner der italienischen Legion nachstehende Worte mit goldenen Buchstaben gestickt würden:

Treffen
der italienischen Legion unter Garibaldi’s Befehlen
am 8. Februar 1846.

Ferner räumte sie der italienischen Legion den Vorrang bei allen Paraden ein, verordnete, daß die Namen der in dem genannten Treffen Gefallenen auf eine Tafel verzeichnet im Regierungspalaste aufgehangen würden und jeder Legionair am linken Arme ein Schild tragen sollte, auf welchem ein Kranz die Inschrift umgab: „dem unüberwindlichen Mitkämpfer, 8. Februar 1846.“

Fürwahr eine Auszeichnung, wie sie wohl selten einem republikanischen General und seinen tapfern Streitern zu Theil geworden ist!

[703] Wie arm auch Garibaldi war, so fand er doch eines Tages einen Legionair, noch ärmer als er selbst. Der arme Teufel hatte nicht einmal ein Hemd. Garibaldi führte ihn in einen Winkel, zog hier sein Hemd aus und gab es ihm. Als er nach Hause kam, bat er seine Anita um ein anderes. Anita schüttelte aber den Kopf. „Du weißt doch,“ sagte sie zu ihm, „daß Du nur eins hast; hast Du’s weggegeben, desto schlimmer für Dich.“ Und nun blieb Garibaldi ohne Hemd, bis Auzani ihm ein neues verschaffte.

Aber Garibaldi war auch unverbesserlich.

Eines Tags hatte man ein feindliches Schiff gefangen genommen. Garibaldi vertheilte die Beute unter seine Gefährten. Nach geschehener Theilung rief er seine Leute zu sich, einen nach dem andern, er befrug sie über ihre Familienverhältnisse. Den Bedürftigsten gab er einen Theil von seiner Beute. „Nehmt das, es ist für Eure Kinder!“ Es fand sich außerdem eine ansehnliche Summe Geldes auf dem Schiff vor, aber Garibaldi sendete sie an den Schatz von Montevideo und weigerte sich, auch nur einen Pfennig davon anzurühren. Einige Zeit später war der Beuteantheil so gut vertheilt, daß ihm für sein Haus nicht mehr als drei Kreuzer blieben.

An diese drei Kreuzer knüpft sich eine Anekdote, welche Garibaldi selbst Dumas erzählt hat.

Er hörte eines Tages sein Töchterchen Teresita laut aufschreien. Da er das Kind anbetete, so lief er herbei, um zu sehen, was es gäbe. Es war eine Treppe herabgefallen und hatte sich das Gesicht blutig aufgeschlagen. Garibaldi, der nicht gleich wußte, wie er es trösten sollte, besann sich auf die drei Kreuzer, welche sein ganzes Hausvermögen bildeten und die man für wichtige Ereignisse aufbewahrt hatte. Er nahm seine drei Kreuzer und eilte ein Spielzeug einzukaufen, welches sein Kindlein beruhigen könnte. Vor der Thüre begegnete ihm ein Diener des Präsidenten Joaquin Suarez, der ihn im Auftrag seines Herrn zu einer wichtigen Mittheilung abholen sollte. Er begab sich daher sogleich zum Präsidenten, vergaß den Grund seines Ausgangs und hielt mechanisch seine drei Kreuzer in der Hand. Die Conferenz währte zwei Stunden, denn es handelte sich wirklich um wichtige Gegenstände. Nach Verlauf dieser zwei Stunden kehrte Garibaldi nach Hause zurück; das Kind war besänftigt, Anita dagegen äußerst unruhig. „Man hat die Börse gestohlen!“ rief sie ihm zu, sowie sie ihn erblickte.

Jetzt erst dachte Garibaldi an die drei Kreuzer, die er noch in der Hand hielt. – Er war der Dieb.

Um diese Zeit vernahm Garibaldi, daß Pius IX. auf den päpstlichen Stuhl erhoben worden sei. Man weiß, wie sich die Anfänge seiner Regierung gestalteten. „Wie Viele,“ so schreibt Garibaldi, „glaubte auch ich an eine Aera der Freiheit für Italien. Ich beschloß sogleich, um ihn in den hochherzigen Entschlüssen, die ihn belebten, zu unterstützen, ihm meinen Arm, wie den meiner Waffengefährten anzubieten. Diejenigen, welche an eine systematische Opposition meinerseits gegen das Papstthum glauben, können leicht aus dem Schreiben, das ich im Verein mit Auzani an den Nuntius Seiner Heiligkeit richtete und welches obengenannte Bitte enthielt, ersehen, daß dem nicht so war; meine Hingebung galt der Sache der Freiheit im Allgemeinen, auf welchem Punkte der Erde sich auch diese Freiheit Bahn brach. Man wird jedoch einsehen, daß ich meinem Lande den Vorzug gab und bereit war, unter demjenigen zu dienen, der berufen schien, der politische Messias Italiens zu werden.“ Allein Garibaldi und Auzani warteten vergebens auf Antwort vom Nuntius oder vom Papst, dennoch beschlossen sie mit einem Theile ihrer Legion nach Italien abzureisen. Ihr Zweck war, die Revolution da zu unterstützen, wo sie bereits in Waffen stände oder sie wachzurufen, wo sie noch schlief, z. B. in den Abruzzen. Leider hatte jedoch keiner von Allen einen einzigen Kreuzer in der Tasche, um die Ueberfahrt bestreiten zu können.

„Ich nahm,“ lassen wir Garibaldi wieder selbst berichten, „meine Zuflucht zu einem Mittel, das bei edeldenkenden Herzen stets anschlägt: ich eröffnete eine Subscription unter meinen Landsleuten. Die Sache ging vorwärts, allein einige schlechte Seelen suchten unter den Legionairen einen Theil gegen mich einzunehmen und diejenigen, die mir zu folgen geneigt waren, davon abzuschrecken. Man redete den armen Kerlen vor, ich würde sie einem sichern Tode entgegenführen, das von mir beabsichtigte Unternehmen sei unmöglich und es sei ihnen ein ähnliches Loos wie das der Brüder Bandiera vorbehalten. Dies hatte zur Folge, daß sich die Furchtsamsten zurückzogen und nur 85 Mann bei mir blieben, von welchen uns noch 29, als sie schon eingeschifft waren, verließen. Zum Glück waren jedoch die, welche bei mir blieben, die Tapfersten, fast alle Waffengenossen aus dem Kampfe von San Antonio. Ueberdies nahm ich einige zuverlässige Orientalen mit mir, und unter diesen meinen armen Neger Aguyar, der bei der Belagerung von Rom fiel. – Die Subscription, an welcher sich vorzüglich ein in Montevideo ansässiger Genuese, Namens Stefano Antonini, betheiligte, ging gut von Statten. Ihrerseits erbot sich die Regierung, uns mit allem, was in ihrer Gewalt stände, zu unterstützen; ich wußte jedoch, wie arm sie war, und wollte daher von ihr nur zwei Kanonen und achthundert Flinten annehmen, die ich auf unsere Brigg schaffen ließ. Allein im Augenblick unserer Abfahrt begegnete uns mit dem Commandanten des Biponte Carolo dasselbe, was die Franzosen zur Zeit der Kreuzfahrt Balduin’s von den Venetianern erfuhren, die sie nach dem gelobten Lande zu schaffen versprochen hatten. Seine Forderung war so groß, daß wir Alles, bis auf unsere Hemden, verkaufen mußten, um ihm gerecht zu werden, sodaß während der Ueberfahrt Einige aus Mangel an Kleidern auf ihren Lagerstätten bleiben mußten.

„Wir hatten bereits eine Küstenstrecke von dreihundert Stunden zurückgelegt und befanden uns beinahe auf der Höhe der Orinocomündungen, als auf einmal, während ich mich eben mit Orrizoni belustigte, Meerschweine vom Bugspriet zu harpuniren, das Geschrei: „Feuer!“ erscholl.

„Vom Bugspriet auf den Schiffsschnabel, vom Schiffsschnabel auf das Verdeck springen und mich am Netz herabgleiten lassen, war das Werk eines Augenblicks. Beim Vertheilen der Lebensmittel hatte der Austheiler die Unvorsichtigkeit begangen, Branntwein aus einem Fasse mit dem Lichte in der Hand zu ziehen. Der Branntwein fing Feuer; der Austheiler verlor den Kopf und statt das Faß wieder zuzuschlagen, ließ er den Branntwein stromweise herausfließen. Die Speisekammer, die von der Pulverkammer durch eine kaum zolldicke Planke getrennt war, bildete einen wahren See von Feuer. Hier sah ich recht, wie leicht auch die Muthigsten der Furcht zugänglich sind, sobald sich die Gefahr ihnen in einer andern Gestalt zeigt, als sie sie zu sehen gewohnt sind. Alle diese Menschen, welche Helden, Halbgötter auf dem Schlachtfelde waren, liefen, rannten gegen einander und verloren den Kopf, zitternd und verstört wie Kinder. Nach Verlauf von zehn Minuten hatte ich, von Auzani, der beim ersten Lärmschrei aus seinem Bett gesprungen war, unterstützt, das Feuer gelöscht.

„Der arme Auzani hütete in der That das Bett, nicht weil er gänzlich von aller Bekleidung entblößt gewesen wäre, sondern weil er schon heftig von der Krankheit ergriffen war, an welcher er bei seiner Ankunft in Genua sterben sollte, an einer Lungenschwindsucht. Dieser bewundernswürdige Mensch, an dem sein grimmigster Feind, wenn er anders einen Feind hatte haben können, auch nicht einen einzigen Fehler zu finden vermochte, wollte, nachdem er sein Leben der Sache der Freiheit gewidmet, daß seine letzten Augenblicke noch seinen Waffengefährten nützlich würden; täglich half man ihm, das Verdeck zu besteigen; als er nicht mehr heraufsteigen konnte, ließ er sich herauftragen, und hier gab er, auf einer Matratze hockend und sich oft auf mich stützend, den Legionairen, die sich um ihn im Hintertheil des Schiffs versammelt hatten, Unterricht in der Strategie. Dieser Auzani war ein wahres Wörterbuch der Wissenschaften, und es würde ebenso schwer sein, alle die Sachen aufzuzählen, die er wußte, als eine zu finden, die er nicht gewußt hätte.

„Zu Palo, ungefähr fünf Miglien von Alicante, stiegen wir an’s Land, um eine Ziege und Orangen für Auzani zu kaufen. Hier erfuhren wir durch den sardinischen Viceconsul einen Theil der Ereignisse, die sich in Italien zugetragen; hier vernahmen wir, daß die piemontesische Constitution proclamirt worden sei und daß die fünf glorreichen Tage von Mailand stattgefunden hätten; lauter Dinge, die wir seit unserer Abfahrt von Montevideo, d. h. seit dem 27. März 1848, nicht wissen konnten. Der Viceconsul erzählte uns, daß er italienische Fahrzeuge mit der tricoloren Flagge habe vorbeifahren sehen. Sofort entschloß ich mich daher, die Fahne der Unabhängigkeit aufzupflanzen. Ich führte die Flagge von Montevideo bei mir, unter welcher wir segelten, und jetzt hißte ich an der Gabel unseres Schiffes das sardinische Banner [704] auf, das aus einem halben Betttuch, einem rothen Mantel und dem Rest grüner Aufschläge unserer Schiffsuniform improvisirt wurde.

„Am 24. Juni, am Johannistage, kamen wir vor Nizza an. Viele waren der Ansicht, daß wir ohne genauere Nachrichten nicht landen sollten. Ich wagte mehr als irgend einer, da noch die Todesstrafe auf mir lastete. Dennoch zauderte ich nicht, oder vielmehr ich hätte nicht gezaudert, denn von Leuten, die auf einem Boote heranruderten, wiedererkannt, verbreitete sich sogleich mein Name, und kaum war dies erfolgt, als ganz Nizza nach dem Hafen stürzte und ich mitten unter lauten Beifallsrufen die Festlichkeiten annehmen mußte, die uns von allen Seiten angeboten wurden. Sobald man erfuhr, daß ich in Nizza war und den Ocean durchschifft hatte, um der Sache der italienischen Freiheit zu Hülfe zu eilen, strömten Freiwillige von allen Seiten herbei. Ich hatte jedoch für den Augenblick Pläne, die ich für besser hielt. Dasselbe, was ich vom Papst Pius IX. gehalten, glaubte ich auch vom Könige Carl Albert; anstatt mich ausschließlich mit Medici zu beschäftigen, den ich nach Via-Reggio abgesendet, um daselbst die Insurrection zu organisiren, glaubte ich, da die Insurrection bereits organisirt und der König von Piemont an der Spitze der Erhebung stand, nichts Besseres thun zu können, als diesem meine Dienste anzubieten.

„Ich nahm Abschied von meinem armen Auzani, einen um so schmerzlicheren Abschied, als wir Beide wußten, daß wir uns nicht wiedersehen würden, und so schiffte ich mich wieder nach Genua ein, von wo aus ich ins Hauptquartier des Königs Carl Albert eilte. Der Ausgang bewies mir, daß ich Unrecht hatte. Wir verließen uns, der König und ich, Einer mit dem Andern unzufrieden, und ich kehrte nach Turin zurück, wo ich Auzani’s Tod vernahm. Ich verlor die Hälfte meines Herzens, den besten Theil meines Geistes. Italien verlor einen seiner hervorragendsten Söhne. O Italien! Italien! unglückliche Mutter! welcher Trauertag war der für dich, als dieser Bravste der Braven, dieser Treueste der Treuen dem Lichte deiner schönen Sonne die Augen für immer verschloß! Beim Tode eines Mannes, wie Auzani, sage ich dir es, o Italien! Die Nation, die ihm das Leben gegeben, muß aus der Tiefe ihres Innersten einen Schmerzensschrei ausstoßen, und wenn sie nicht weint, wenn sie nicht wehklagt, wie Rahel in Rama, so ist diese Nation weder der Sympathie noch des Mitleids würdig, sie, die weder Sympathie noch Mitleid für ihre hochherzigsten Märtyrer hatte!

„Ja, Italien! Wenn der Allmächtige das Endziel Deiner Leiden bezeichnet haben wird, so wird er Dir Auzani’s senden, die Deine Söhne leiten werden bei der Vertilgung Derer, die Dich in den Koth treten und Dich tyrannisiren!“




  1. Das Kind, jetzt ein kräftiger Jüngling, kämpft augenblicklich an der Seite seines Vaters und hat bereits mehrere Male für die Errettung seines Vaterlandes geblutet.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Krigsministers