Eine Klosterschule

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Titel: Eine Klosterschule
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 507–509
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine Klosterschule.

Im Herzen Deutschlands, in Thüringen, gibt es ein weites, schönes Thal, das die „güldne Aue“ heißt. Diesen Namen verdankt es schon seit alten Zeiten der außerordentlichen Fruchtbarkeit seines Bodens; denn hier prangen die Saaten in üppigster Pracht und bringen alljährlich goldnen Erntesegen, hier grünen Wiesen und Wälder, daß sich des Menschen Herz erfreut. Die Helme und Unstrut, welche das Thal durchfließen und es alljährlich mit ihrem trüben Wasser, dem Nil gleich, düngen, tragen viel zu dieser Fruchtbarkeit bei. Diese Aue fängt bei der Stadt Nordhausen an, zieht sich von West nach Ost viele Meilen weit hin, nach Sangerhausen, Artern, Wiehe, von einer Seite durch die hohe Bergwand des Harzes gegen die kalten Nordwinde geschützt, während sie auf der andern Seite von weniger hohen Bergzügen, welche mit Feld und Wald bedeckt sind, begrenzt wird.

In einem der schönsten Theile dieses gesegneten Thales, nahe an der Unstrut, liegt auf einer Anhöhe die Klosterschule Roßleben, welche unsere Abbildung darstellt.

In früheren Zeiten stand hier ein Augustiner-Nonnenkloster, welches, soweit reichen die ältesten Nachrichten, seit 1142 bestanden hat. Auch hierher kam die Reformation mit ihrer zersetzenden Kraft. Das Kloster wurde aufgehoben und säcularisirt. Ein frommer Thüringer Ritter, Heinrich von Witzleben, wurde damit beliehen; er gründete in dem Klostergebäude im Jahre 1554 eine Gelehrten-Schule, die er mit dem Klostergut und einigen andern Besitzungen ausstattete. – Die Familie von Witzleben war früher im Besitz aller Güter jener reichen Gegend, daher waren schon die Vorfahren des Stifters die Schirmherrn des alten Klosters gewesen, und so verwaltet einer seiner Nachkommen die Angelegenheiten der Schule mit bestimmten Vorrechten, unter dem Titel eines Erb-Administrators. Gegenwärtig führt der Oberpräsident der Provinz Sachsen, Hartmann Erasmus von Witzleben, die Erb-Administratur.

Im Jahre 1686 wurden die alten Klostergebäude durch Feuer gänzlich zerstört. Ein neues, größeres Gebäude, aus drei Flügeln bestehend, für die Zwecke der Schule eingerichtet, trat an dessen Stelle. Es hat außer den ökonomischen Localen, den Lehrerwohnungen, den Speise- und Classensälen und einer Kapelle hochgelegene und gesunde Wohnungen zur Aufnahme der Schüler. Die Zahl derselben war bisher 60–80, doch ist im letzten Jahrzehnt der Zudrang zu der Anstalt so gewachsen, daß man sich genöthigt sah, neue Stellen zu gründen. Die Leitung der Anstalt unter dem jetzigen Rector, eines als Mensch, wie als Lehrer gleich ausgezeichneten Mannes, des Professor Dr. Anton, hat zur Blüthe der Schule viel beigetragen. Der Geist, der hier herrscht, ist ein höchst humaner. Lehrer und Schüler leben wie eine große Familie. Die jungen Leute werden nicht nur in jeder wissenschaftlichen Hinsicht vortrefflich für die Universität vorbereitet, es wird auch durch eine sittliche Mitgabe für ihre Zukunft Sorge getragen.

Außer den eigentlichen Zöglingen, Alumnen genannt, für welche es ganze und halbe Freistellen gibt, finden andere als außerordentliche Kostgänger in den Familien der Lehrer Aufnahme; diese heißen Extraneer. Aber nicht nur für die geistige und sittliche Ausbildung, sondern auch für das körperliche Gedeihen der Schüler ist vielseitig gesorgt; ein großer freier Spielplatz, mit alten Linden besetzt, schließt sich unmittelbar dem Gebäude an, eine Turnanstalt, ein Flußbad, eine Eisbahn auf überschwemmter Wiese und vor allem ein naher großer Wald, das Ziel täglicher Spaziergänge, geben den jungen Leuten hinreichend Gelegenheit, ihre Körperkräfte zu üben und sich tüchtig zu tummeln.

Folge mir, lieber Leser, durch das ansehnliche Portal des Hauptgebäudes und die Treppensäulenhallen in die hohen, hellen Räume. Vergebens siehst Du dich um nach dunkeln Kreuzgängen, düstern Zellen, nach steinernen Weihkesseln und Nischen mit Heiligenbildern. Du findest nichts dergleichen, noch weniger Treppen, welche auf jeder Stufe die Spuren von Büßenden tragen. Alles, was Du suchst, hat der Strudel der Zeiten verschlungen. Aber beim Eintritt begegnen dir blühende, fröhliche Jünglinge, die nach beendetem Unterrichte aus den luftigen Hörsälen eilen, um sich in Gottes schöner Natur, die sie in reicher Fülle umgibt, besonders im nahen grünen Laubwalde, zu stärken und zu erquicken. Das neue, mit Seitenflügeln versehene Gebäude ist speciell für die Zwecke der Schule eingerichtet und hat außer den Localien für den Oekonomen in den untern Räumen die Classen- und Speisesäle, in der Mitteletage die Wohnungen der Lehrer, und darüber die sechzehn gesunden Zellen der Alumnen. Der Mittelbau, über dem wir auf unserm Bilde das Thürmchen sich erheben sehen, enthält die einfache aber freundliche Kapelle behufs des sonntäglichen Gottesdienstes, sammt den Bibliothekräumen. Die Zahl der Alumnen und Extraneer, früher auf 60–80 bestimmt, ist jetzt bis über 100 gestiegen. Sie wohnen je 3–4 beisammen; auf Fleiß und Sitte der Jüngern (Untergesellen) achtet als senior ein Zögling der ersten Classe. Den Lehrern sind zur allgemeinen Beaufsichtigung Inspektoren (gewöhnlich die sechs obersten Primaner) beigeordnet. Speciellere Aufsicht, besonders über die Ausgaben und Geldbedürfnisse der Schüler, führen die Lehrer als Sutores. Jeder Alumnus wird bei der Aufnahme einem solchen zugewiesen. Für Krankheitsfälle ist ein Schularzt angestellt.

Die Lebensordnung ist, wie das Programm von 1845 sich ausspricht, „nach gleichen Gesetzen ein fest geregeltes, und die Disciplin keine andere, als wie sie ein christliches und gebildetes Familienleben in einem so großen Kreise erfordert.“ – Der Unterricht wird von sieben Lehrern ganz nach den für alle preußischen Gymnasien gültigen Vorschriften ertheilt, und begreift wissenschaftliche und sittliche Vorbereitung für die Universität. – Beiläufig sei hier auch des Klosterwappens gedacht: ein einfaches Kreuz, an welchem eine Schlange sich emporwindet, dem unten eine Rose erblüht.

Die Schule hat sich, besonders unter dem Rectorat des originellen Benedict Wilhelm (seit 1786), welcher am 17. Mai 1836 als „Vater Wilhelm“ (Wahlspruch: non scholae, sed vitae) sein höchst jubelvolles Jubiläum unter Theilnahme vieler alter Schüler beging, dessen sich mancher Leser dieses Aufsatzes gewiß mit freudigem Rückblick erinnern wird, ganz vorzüglich aber unter der Direction des jetzigen Rectors, des trefflichen Anton (Doctor humanus!), als ausgezeichnet bewährt. Hat auch keiner der Lehrer älterer und neuerer [508] Zeit im steten Bewußtsein seiner höhern Pflichten gegen die Anstalt danach gestrebt, durch Epoche machende Werke zu glänzen und nach ungewöhnlichem schriftstellerischen Ruhme zu trachten, so haben dieselben doch, so weit bekannt, mit wenigen Ausnahmen – besonders in neuern Zeiten – den dauernden Ruhm der treusten Hingebung an die edlern Zwecke der Schule bewährt und Roßleben zur wahrhaften Pflege- und Bildungsstätte des echten Humanismus gemacht, wo Obscurantismus und anderer Ismus gleicher Art zu keiner Zeit die mindeste Wurzel fassen konnten. – Der deutsche Norden hat überhaupt – und Roßleben sammt seinen ein Jahrzehnt früher gestifteten drei „fürstlichen“ Schwestern Pforta, Meißen, Grimma, schließt sich dem zum Beweise ganz vorzüglich an – einen hochgebildeten Lehrerstand aufzuweisen, der eine feste, unerschütterliche

Die Klosterschule Roßleben.

Phalanx gegen die Ueberfluthungen theologischen und ähnlichen Unwesens bildete und bildet.

Hier und da haben sich neuerer Zeit vereinzelte Stimmen gegen diese „geschlossenen“ Klosterschulen hören lassen. Man hat ihre Licht- und Schattenseiten abgewogen. Wir wollen hier darauf nicht näher eingehen. Nur dies sei bemerkt: Eine gemeinsame Erziehung scheint ganz besondere Vortheile zu bieten. Eine solche im größern Maßstabe, wie auf Klosterschulen, ist nicht ohne festgewurzelte Disciplin und Ordnung möglich. Ordnung aber erheischt Commando. Lehr- und Erziehungsinstitute dieser Art – dies ist unsere feste Ueberzeugung – können nur durch den Geist ihrer Leiter und Lehrer zu schlechten werden, also durch Brutalität – Gamaschendienst – Pedanterie – Niedertreten der Ueberzeugungen und der IndividualitätBevorzugung einzelner und vornehmerer Zöglinge, Hinsteuern zu unwürdigen (auch Partei-)Zwecken etc. Eine solche Corruption der Bildungsprincipien scheint jedoch auf unsern protestantischen Gymnasien kaum möglich, am wenigsten in Roßleben, das sich von jeher, ja früher, als viele andere Schulen, durch wahrhaft humane Lehr- und Erziehungsweise auszeichnete, worüber wohl alle ehemaligen Zöglinge dieser trefflichen Anstalt in Rückblick auf ihre Schulzeit mit mir einig sein werden.

Viele ausgezeichnete Männer sind schon aus dieser Anstalt hervorgegangen. Alle, wohin das Schicksal sie auch verschlagen hat, gedenken mit warmer Freude der schönen Jahre, die sie in Roßleben zugebracht. Mit Entzücken wird das Auge manches Greises, manches gereiften Mannes auf unserem Bilde ruhen, und voll Begeisterung erzählt er dem Kreise lauschender Kinder oder Enkel von der „güldnen Aue“, ihren Schönheiten und Merkwürdigkeiten. Diese herrliche weite Landschaft, dicht mit reichen Dörfern besät, ihren prächtigen unabsehbaren Wiesen und waldgekrönten Bergen – wer könnte sie je vergessen? Eine grüne Weide, das Ried genannt, zieht sich meilenweit am Ufer der Unstrut entlang, belebt von großen Heerden weidenden Rindviehs und Pferden, die der Gegend einen sehr belebenden Reiz geben. Ein Geist des Friedens, der Stille ist über dem ganzen, weiten, sonnigen Thale ausgebreitet und theilt sich dem Gemüth des Beschauers gar wohlthätig mit. Man ist hier entfernt vom Trouble großer Stätte, keine Eisenbahn stört durch ihren schrillen Pfiff die tiefe Ruhe der Natur – nicht einmal eine Chaussee geht durch diesen Theil des Thales.

Gegen Westen schließt die Aussicht von Roßleben der Kyffhäuser-Berg, auf dessen höchster Spitze ein alter Thurm, gleich einem emporgestreckten Finger, gegen den goldnen Abendhimmel absticht. Er erinnert uns, daß wir hier auf historischem Boden [509] wandeln. Wie alle reichen und malerischen Gegenden Deutschlands, waren auch in diesem Thale die schönsten Punkte mit Schlössern und Klöstern besetzt, die uns aus ihren Ruinen die Kunde geben von früherer Herrlichkeit (?), von einer längst versunkenen Zeit. Die deutschen Kaiser waren es, die die „güldne Aue“ vorzüglich liebten, und sich oft und lange hier aufzuhalten pflegten. Ganz in der Nähe Roßlebens liegt Kloster Memleben, ein Lieblingsort des Kaiser Heinrich I. des Finklers oder Vogelstellers. Er starb hier im Jahre 936. Doch ist er nicht in Memleben begraben, wie man dort irrig meint, sondern seine Leiche wurde nach Quedlinburg zur feierlichen Bestattung gebracht. Die Namen von vier Ortschaften sollen nach einem Ausspruch dieses vortrefflichen Kaisers benannt sein. „Wie wohl mir steht allhier mein Leben!“ rief der Kaiser aus, und taufte dadurch die Orte: Wiehe, Wohlmirstett, Allerstett, Memleben. Letzteres war ein großes und reiches Kloster, die Kirche ist erst im vorigen Jahrhundert verfallen, ihre Ruinen, sowie eine unterirdische Kirche, erregen noch unsere Bewunderung. Auf jeden Kirchenpfeiler ist in den Sandstein das Bild eines deutschen Kaisers eingegraben mit Krone und Scepter, ihm gegenüber seine Gemahlin. Macht man die Steine naß und tritt in einige Entfernung, so werden die Gestalten um so deutlicher.

Bei unserer Rückkehr nach Roßleben berühren wir noch die Ruinen von Wendelstein, die einen Felsen krönen, der unmittelbar am Ufer der Unstrut sich erhebt. Ihr Ursprung liegt in grauer Ferne, ihr Name deutet auf eine Wehr gegen die Wenden. Domänengebäude und die Oberforstmeisterei sind auf die alten Mauern gebaut – ein moderner Schornstein entsendet die Dämpfe einer Zuckerfabrik aus den alten Ruinen empor!

Sehr verschieden von diesen Betrachtungen des Alterthums wird die Aufmerksamkeit des Wanderers durch ein Werk der Gegenwart in Anspruch genommen. Die im Winter so befruchtenden Überschwemmungen der Unstrut thun den Wiesen und Feldern, wenn sie im Sommer nach heftigen Gewitterstürmen oder lang anhaltendem Regen eintreten, unendlichen Schaden. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, wird jetzt ein großartiger Bau an den Ufern des genannten Flusses ausgeführt. Unter der Leitung eines Mannes, der schon durch bedeutende Wasserbauten von ähnlicher Art, die er mit Glück ausgeführt hat, sich einen berühmten Namen erworben – des Geheimrath Würfbein – sollen auch hier unendliche Schwierigkeiten überwunden werden. Bewährt sich dieser Bau, der seiner Vollendung, wie man hofft, bereits nahe ist, dann werden für den Landmann seine Felder und Wiesen von Neuem zur „güldenen Aue“.