Ein deutscher Dichter und Dulder
Stehst Du zum deutschen Sängerorden,
Denk’ nicht an Lohn und Lorbeerkron’!
Das Vaterland ist Bettler worden,
Was fordert noch des Bettlers Sohn?
Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden;
Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden; –
Nur kühn voran!
Julius Mosen.
In einer kleinen Residenzstadt unseres an diesen Marksteinen äußerer und innerer Zerklüftung so überreichen armen Vaterlandes, in Oldenburg, steht freundlichen Ansehens ein bescheidenes Haus, auf dem eine besondere Weihe zu ruhen scheint. Mittag ist’s; die Rosen unten im Garten schauen wie sehnsüchtige Bräute zu den geöffneten Fenstern und senden grüßend ihre zartesten Düfte hinauf; in der Laube lagern zwei blühende Jünglinge, auch sie wenden sich zuweilen erwartungsvoll empor; oben im Wohnzimmer bereitet die Hausfrau den Tisch zum Mahle. Emsig waltet sie und geräuschlos, wie in der Nähe eines Krankenbettes; plötzlich unterbricht sie sich, ein dumpfer Ton hat unhörbar fast ihr geübtes Ohr berührt, schon ist sie im Nebengemach. Zusammengekrümmt sitzt dort die abgezehrte Gestalt eines Mannes, machtlos ruht das Haupt auf der Brust, in unheimlicher Weiße erglänzt die gewaltige Stirne, bis zur Unsichtbarkeit sind die Augen von den schweren, müden Lidern überhangen, die farblosen Lippen zucken wie im Krampfe. Vor ihm auf dem Tische liegt ein Zeitungsblatt. Behutsam neigt die Frau sich über ihn und wendet es um, seine unablässig zitternden Hände versagen jeden Dienst. Unhörbar, wie sie gekommen, ist die treue Helferin schon wieder entschwunden, er liest weiter. Was liest er? Vielleicht von dem frevelhaften Spiele, das ein nachbarlicher Gewaltherrscher bedrohlich an unseren Grenzen treibt, und dem Proteste, den einzig das kleinste und freieste Volk dagegen erhoben, kühn aber fruchtlos, da die Mächtigen unthätig zuzuschauen sich begnügten. Und der Feuergeist, der in der schlackenhaften Hülle des Lesenden unversehrt sich erhalten, lodert zürnend empor, und sein Unmuth kleidet sich in die Worte eines Liedes, seines Liedes: „Gott sei mit euch, mit dem verrathnen deutschen Reich!“ Er liest weiter. Vielleicht von den armen deutschen Brüdern, die angesichts der Uebrigen der höhnende Uebermuth fremder Rohheit mit den Geißeln der Knechtschaft peitscht, oder von Anderen, die im eigenen Vaterlande vergebens nur ihr Recht begehren. Ein wildes Weh ergreift ihn, ein Weh, wie er es vor langen Jahren bereits hinausgesungen in die weite Welt mit den zündenden Lauten: „Es blutete der Brüder Herz, ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz!“ Vielleicht aber auch weht ihm aus den Spalten des Zeitungsblattes der Flügelschlag eines frischeren, freieren Geistes entgegen, der im Vaterlande jetzt mächtig sich zu regen beginnt, und sein Schmerzenslager umleuchtet gleich freundlichem Abendrothe die Hoffnung, daß auch er nicht umsonst gelebt, gekämpft und gelitten, daß der Same, den auch er mit treuen Händen ausgestreut, noch Früchte tragen werde weit über sein nahes Grab hinaus.
Vielleicht auch erfährt er, wie unter Vielem, was man endlich zu begreifen anfängt, auch die späte Einsicht gekommen, daß ein der Freiheit entgegenstrebendes Volk nicht länger dem Soldaten der Freiheit den Ehrensold versagen dürfe, daß es seiner Dichter und Schriftsteller werkthätig sich annehmen müsse. Und wenn vor seinem Blicke das überraschende Ergebniß freudiger Anstrengungen sich berechnet, überschleicht ihn bei aller Befriedigung sicher auch ein leises Gefühl zweifelnder Verstimmung. Er weiß und fühlt es wie kein Anderer, daß der Dichter höhere Ansprüche hat, als nicht zu verhungern, daß er vor Allem verstanden und gewürdigt sein will. Er hat im Laufe eines langen Lebens schmerzlich erfahren, wie es um die geistige und sittliche Reife eines Volkes beschaffen, das seine gediegensten Schätze unbeachtet im Dunkel verstauben läßt und, wie der Wilde, an nichtigem Flittertande ein kindisches Ergötzen hat, das die Kanzel des Dichters, das Theater, hartnäckig dem wahren Berufe verschließt und jämmerlichen Gauklern zum Tummelplatze überläßt. Ein freundliches Geschick hat es verhindert, daß mit der Krankheit das Elend sich gegen ihn verbündete, aber vergebens harrt er noch darauf, daß seinem Namen die volle Ehre werde, die ihm gebührt. Julius Mosen, der Sänger des Hoferliedes, der seit mehr denn zehn Jahren langsam stirbt, ist lange schon ein fast Verschollener, nur in einzelnen Liedern lebt er noch
[556]fort in seinem Volke, dem die schönsten Werke eines seiner besten Dichter unbekannt und vorenthalten bleiben.
Julius Mosen ist am 8. Juli 1803 in Marieney, einem Dorfe des sächsischen Vogtlandes geboren, der zweite Sohn des dortigen Schullehrers. Sein Vater, ein geistig geweckter und gebildeter Mann, der seine kärglichen Verhältnisse mit glücklichem Humor sich zurechtzulegen verstand, unterrichtete den Knaben selbst, bis er ihn, gewiß mit schweren Opfern und banger Besorgniß, im Drangsals- und Hungerjahre 1817 auf das Gymnasium nach Plauen brachte. Von da aus bezog der angehende Student fünf Jahre später die Universität Jena, um die Rechte zu studiren. Unbeachtet lebte der bescheidene Jüngling hier still und zurückgezogen, bis er eines Tages im Freundeskreise seine erste Novelle: „Der Gang nach dem Luthersbrunnen“ vorlas, und sich dadurch mit einem Schlage die Achtung und Zuvorkommenheit aller seiner Genossen erwarb. Ein Festlied, welches er bald darauf zur Jubelfeier des Großherzogs von Weimar, Karl August, als Rector magnificus der Universität dichtete, ließ sein väterlicher Gönner, der Professor Hand, auf eigene Kosten drucken und überreichte es dem fürstlichen Jubilar. Goethe erkannte diesem Gedicht vor allen eingegangenen den Preis zu, und der jugendliche Sänger erhielt vom Hofe zwölf Dukaten nebst huldreichen Zusicherungen.
Als Mosen 1824 im Begriff war, nach Leipzig zu gehen, verlor er seinen Vater, die Mutter zog mit den übrigen Kindern nach ihrer Heimathstadt Oelsnitz. Er mußte schon damals thätig seiner Familie sich annehmen, die der Tod ihres Ernährers in arge Bedrängniß gebracht hatte; dessenungeachtet fand er aber gerade in dieser schweren Zeit den Muth und die Mittel, einen längst gehegten Lieblingswunsch auszuführen, und machte sich auf den Weg nach Italien. Von gewaltigstem, auf sein ganzes Leben und Schaffen nachwirkendem Einflusse waren die Eindrücke und Anregungen, die der in der Gährung begriffene Dichter auf dieser Wanderung empfing. Sein Form- und Schönheitssinn klärte sich an der antiken Ruhe classischer Schöpfung ab, sein Forschergeist, der stets mit eingehender Vorliebe und besonderem Verständnisse den Entwickelungsgängen der Geschichte gefolgt, stand auf der erinnerungsreichen Markscheide der alten und neuen Götter- und Völkerwelt, und entzifferte die Riesenschrift, deren Zeichen jedem Steine eingeprägt sind.
Als er im Winter 1826 in Oelsnitz an der Stadtmauer wieder heraufkam, erkannte ihn sein jüngster Bruder, der dort mit andern Knaben spielte, nicht, so mächtig war er auch im Aeußeren entwickelt. Hier in der Ruhe der mütterlichen Häuslichkeit schuf er das Epos „Ritter Wahn,“ dessen Stoff er zu Florenz gefunden hatte in einer alten, jedenfalls zur Zeit der Völkerwanderung von germanischen Stämmen auf italienischen Boden verpflanzten Sage, deren Grundzug echtdeutsches Heimweh ist. Er dachte jedoch viel zu edel von dem Schatze, den ein Gott in seine Brust gelegt, um handwerkermäßig die Scheidemünze des täglichen Unterhaltes daraus prägen zu wollen, und so ging er zur Beendigung seiner Fachstudien mit dem kommenden Frühling nach Leipzig.
[557] Mit der drückendsten Noth kämpfend und nur von einem hochherzigen Gönner, dem Hofgerichtsrath Dr. Wenck, freundlich unterstützt, arbeitete er so unverdrossenen Eifers, daß er schon im nächsten Jahre die Prüfung mit der ersten Censur bestand. Hierauf bildete er sich drei Jahre lang in Neukirchen bei dem Stadtschreiber Schweinitz zum praktischen Juristen aus. Mag es dem jungen Dichter, an dessen Schöpferdrang unablässig neue Pläne und Entwürfe gebieterische Ansprüche erhoben, schon schwer genug gefallen sein, die Flügel niederzuhalten und geduldig in das trockene Formularwesen seiner Beschäftigung und den bureaukratischen Hochmuth eines verknöcherten Pedanten sich zu ergeben, schwerer noch lastete auf seiner freiheitliebenden Seele die Noth und Schmach des Vaterlandes.
In Mosen’s Knabenzeit fielen die herrlichsten Jahre unserer Geschichte: er hatte sein Volk wie einen Mann sich erheben sehen, er hatte es mit erlebt, daß Deutschlands Einigkeit eine Macht, an welcher eine für unüberwindlich gehaltene Gewalt wie an einem Felsen zerschellte; die heilige Begeisterung der Befreiungskriege mit ihrer maßgebenden Wirkung auf die Gegenwart, mit ihren zuversichtlichen Hoffnungen für die Zukunft hatte auch ihn berauscht – er war kaum zum Jüngling herangewachsen, als auch er schon gewaltsam ernüchtert ward. Man hatte die heiligsten Gefühle des Volkes benutzt, und als der Zweck erreicht war, drückte man die erhabenen Regungen, denen man die Erlösung aus der schmählichsten Erniedrigung verdankte, mit eiserner Faust wieder zu Boden; man strafte, um der Verlegenheit zu entgehen, belohnen zu müssen. Man lebte in banger Furcht, daß ein Volk, welches nach außen eine so achtunggebietende Macht entwickelt, auch nach innen mit gleicher Stärke sich geltend machen könnte, und schuf deshalb den Polizeistaat, der jeden Einzelnen ängstlich vom Allgemeinen absperrte und es zum Verbrechen stempelte, sich um die Wohlfahrt des Ganzen zu bekümmern. Männer, die mit Wort und Schwert in den Reihen der Befreier gekämpft, wurden „unschädlich“ gemacht, wenn nicht verfolgt und des Landes verwiesen, die Demagogen-Untersuchungen begannen, die Karlsbader Beschlüsse wurden gefaßt; ja als der so schroff unterdrückte Freiheitstrieb außerhalb der heimischen Grenzen einen Zielpunkt suchte und Alles den Griechen zujauchzte, die das türkische Joch abzuschütteln begannen, wies der Congreß von Verona die philhellenischen Bestrebungen zurück, nur um im Sultan das Princip der Rechtmäßigkeit aufrecht zu erhalten.
Mosen hat ein Jahrzehnt später diesen Congreß als Vorwurf und Titel eines Romanes benutzt, der ein höchst treues und wechselvolles, leider aber auch wenig erhebendes Gemälde des neueren Staatengetriebes entrollt. Während so der Dichter und der Vaterlandsfreund dumpf trauernd in Neukirchen einförmige Tage spann, brach unter gewaltigen Stürmen die Juli-Revolution aus; sie weckte auch Mosen aus seiner Erstarrung, alle Fesseln von sich abschüttelnd, eilte er nach Leipzig. Hier ward ihm endlich an Ambrosius Barth ein Verleger für seinen „Ritter Wahn“, der ein nicht geringes Aufsehen erregte, obschon die allgemeine Aufmerksamkeit damals ganz andern Gegenständen zugewandt war.
Einen wahren Jubel aber erregten einzelne, unter dem Einflusse der herrschenden Stimmung gedichtete Lieder, die seinen Namen augenblicklich in allen Gauen des gesammten Vaterlandes zu einem der beliebtesten und gefeiertsten machten, und gegenwärtig noch als Volkslieder in jedem Munde leben: „Der Trompeter an der Katzbach,“ „Andreas Hofer“ und „Die letzten Zehn vom vierten Regiment.“ Dieses namentlich hallte in Aller Herzen wieder, da das unglückliche Schicksal der Polen allerorten die wärmste Theilnahme erregte. Mosen war nicht nur einer ihrer begeistertsten, sondern auch thätigsten Freunde. Im Herbst 1831 beim Patrimonialgericht in Kohren als Actuar angestellt, unterstützte er von seinem kärglichen Einkommen die Mutter, ließ den jüngsten Bruder auf seine Kosten erziehen und opferte außerdem noch den unglücklichen Flüchtlingen manches Scherflein. In dem benachbarten Altenburg, wo er jener Zeit viel verkehrte, bildete sich unter seiner Anregung eine Gesellschaft von Polenfreunden, die ihre Versammlungen an einem nicht weit von der Stadt gelegenen Vergnügungsorte abhielt, dem noch bis heute der Name „Polen“ geblieben. Natürlich fehlte es nicht an Conflicten mit der Polizei.
Gewissenhaft und treu erfüllte Mosen seine Berufspflichten, die sich stets mehrten, da der Justitiar Schmelzer, ein schließlich in Wahnsinn endender Trunkenbold, dem der Dichter in der Novelle „Vinetus“ ein Denkmal gesetzt, ihm nach und nach alle Arbeitslast aufbürdete. Dabei fand er doch Muße, einen Roman „Georg Venlot“ erscheinen zu lassen, neue Lieder, mehrere Novellen und das Schauspiel „Heinrich der Finkler“ zu dichten, ein herrliches Denkmal seiner schöpferischen Kraft und seines echt vaterländischen Sinnes. Als der Besitzer von Kohren 1834 die Gerichtsbarkeit an den Staat abgetreten, ließ sich Mosen in Dresden, zunächst als Armen-Advocat, nieder. Seine schnell wachsende Praxis versetzte ihn bald in freundliche äußere Verhältnisse, und so begann die glücklichste und fruchtbarste Zeit seines Lebens. Unter den jüngeren Dichtern und Künstlern fand er zusagenden und anregenden Umgang: am innigsten befreundete er sich mit Bähr, Professor an der Maler-Akademie, einer ihm nahe verwandten, selbstständig den eigenen Weg gehenden und zu keinerlei Zugeständnissen sich herablassenden Natur; auch in Tieck’s, des Vielgefeierten, Hause verkehrte er, ohne jedoch über allen Vorzügen des hochbegabten Mannes dessen servile, fortschrittsfeindliche Gesinnung verwinden zu können. Mosen’s „Gedichte“ und „Novellen“ erschienen gesammelt, er vollendete das Epos „Ahasver“, das sich stellenweise bis zu schwindelnder Großartigkeit emporgipfelt, und zu Michaelis 1839 ging sein Drama „Otto III.“ zur Eröffnung der Wintersaison über die Hofbühne. Es wurde mit ungetheiltem Enthusiasmus aufgenommen und der Dichter am Schlusse stürmisch gerufen. Er erschien und, was in Dresden etwas ganz Unerhörtes war, er redete das Publicum an, ungefähr mit folgenden Worten: „Wenn das Schiff glücklich den Hafen erreicht hat, so ist das nicht das Verdienst dessen, der es gebaut, sondern der Piloten, die es so meisterhaft gesteuert haben; dem Zimmermann aber wird der Erfolg den Muth geben, wieder einmal die Axt zu ergreifen, um ein neues Schiff zu zimmern.“ Mit ganz demselben Erfolge wurde das Stück in den nächsten Tagen noch zwei Mal gegeben, um dann unerklärlicher Weise für immer von den Bretern zu verschwinden.
Bald darauf verlobte sich Mosen, und der nächste Sommer vereinigte auf dem anmuthigen Landaufenthalte seiner Schwiegereltern in dem Dorfe Strehlen allabendlich um das glückliche Brautpaar einen Kreis feingebildeter und gefühlswarmer Menschen, der häufig durch fremde Gäste erweitert ward; es gibt fast nicht einen unter den bedeutenderen Dichtern und Schriftstellern unserer Tage, von Uhland an, der nicht einmal an jenem gastfreundlichen Tische gesessen. Dabei verbreitete sich Mosen’s Ruhm immer weiter, und von nah und fern wurden ihm Zeichen der Anerkennung; so ernannte ihn die Universität Jena 1840 zum Ehren-Doctor. Im Winter führte er seine Minna heim, und am Hochzeitstage wurde sein neues Stück „die Bräute von Florenz“ aufgeführt. Gleich den spätern Dramen „Bernhard von Weimar“ und „Cola Rienzi“, die auch noch in Dresden zur Darstellung gelangten, zündete es so mächtig, daß man sich nicht enträthseln kann, wie solch erprobte Dichtungen in dem Archive der Hofbühne ein so frühes, unverdientes Grab finden konnten. In der Fülle seiner männlichen und dichterischen Kraft, die ihn jetzt fast ausschließlich dem Drama zudrängte, im Schooße seines herrlich erblühenden häuslichen Glückes, vermißte Mosen nun nichts weiter mehr, als eine seinem inneren Berufe entsprechendere äußere Thätigkeit. Auch dieser Wunsch sollte sich ihm erfüllen. In Oldenburg war ein Hoftheater errichtet worden, für das ein Dramaturg gewonnen werden sollte. Adolf Stahr schlug Mosen vor, suchte ihn auf und ließ dessen eben vollendetes Trauerspiel „der Sohn des Fürsten“ noch im Manuscript durch den Intendanten Herrn von Gall dem Großherzog Paul Friedrich August vorlegen. Dieser gewann den Dichter daraus lieb und lud ihn zur Probe und Aufführung des „Bernhard von Weimar“ nach Oldenburg ein. Von Hof und Publicum ehrenvoll empfangen wie gebührend gewürdigt, kehrte Mosen, nachdem er die Anstellung als Dramaturg mit dem Charakter „Hofrath“ erhalten, einstweilen nach Dresden zurück. Mosen, ein Dichter von Gottes Gnaden, ehrt diesen Titel, den so Viele, die dieser meist zweifelhaften Auszeichnung ihr Talent und ihre Gesinnung geopfert, einem noch schlimmeren Fluche, als dem der Lächerlichkeit, preisgegeben haben.
Nachdem er der Bevölkerung Dresdens, die ihm bei seinem Scheiden in rührender Weise die allgemeinste Theilnahme kundgab, in dem poetischen und kunstkritischen Werke „die Dresdener Gemälde-Gallerie“ ein werthvolles und dauerndes Andenken [558] hinterlassen, siedelte er im Mai 1844 mit seiner Frau und zwei Knaben nach Oldenburg über. Mit wahrer und warmer Begeisterung trat er in seinen neuen Wirkungskreis; beschirmt von einem kunstsinnigen und hochherzigen Fürsten, von allen Seiten unterstützt und gefördert, schuf er unter bescheidenen, ja theilweise beschränkten Verhältnissen eine Musterbühne, wie sie Deutschland nur selten besessen, indem er durch die mächtige Gluth seines Inneren Schauspieler und Publicum entzündete und wie im Sturme mit sich fortriß. Was er durch seinen jetzt unmittelbarsten Verkehr mit der Bühne an praktischer Einsicht gewonnen, verwerthete er in dem Drama „Johann von Oesterreich“, das einen entschiedenen Fortschritt nach dieser Seite hin bekundet. So näherte er sich mit gewaltigen Schritten dem Gipfel der Vollendung und des Glückes, als er mit einem Male dicht am Ziele jäh zusammenbrach. Eine entsetzliche Krankheit, gegen die er mit aller Ausdauer seines männlichen Muthes ankämpfte, überwältigte ihn und beraubte ihn der Herrschaft über seinen Körper. Nachdem er vergeblich alle Heilquellen versucht und seine letzten Kräfte in dem fruchtlosen Widerstande aufgerieben hatte, mußte er mit der Darstellung des Lessing’schen „Nathan“ seinem dramaturgischen Wirken ein Ziel setzen. 1840 hatte er noch „die Bilder im Moose“ herausgegeben, eine Novellen-Sammlung, die zwei der köstlichsten Perlen unserer Literatur auf diesem Gebiete umschließt: „die blaue Blume“ und „das Heimweh“; schon bei ihrem ersten Erscheinen in der „Urania“ hatten sie Alles entzückt. Vor zwei Jahren ist „der Sohn des Fürsten“ im Druck erschienen, dem Andenken des 1853 verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich August gewidmet, jenes edlen Fürsten, der dem unglücklichen Dichter eine sorgenfreie äußere Lage gesichert und allein die Schuld einer ganzen Nation abgetragen hat.
Der arme Dulder hat seinen hohen Freund überlebt und schmachtet seit langen Jahren selber im qualvollsten Zustande der Erlösung entgegen. Er muß gehoben und getragen werden, da jede Bewegung ihm die ungeheuersten Schmerzen verursacht. Früher gewann er es bisweilen, um seine Familie zu beruhigen, mit unsäglicher Anstrengung über sich, aus dem Gemache, wo er vor Tische die Zeitungen zu lesen pflegte, allein in das anstoßende Wohnzimmer zu gehen; seit er aber bei einem solchen Versuche gestürzt ist und sich schwer beschädigte, hat er auch dazu den Muth verloren. Nicht ganze Worte, nur einzelne Sylben vermögen mit leisem, dumpfen Tone mühsam über seine bleichen Lippen zu gelangen, und so muß seine Gattin die Gedankenblitze verdolmetschen, die er in die Unterhaltung wirft, wenn sich am Abend jedes Donnerstages ein Kreis hochgebildeter Männer um sein Lager versammelt. Er nimmt an Allem noch den lebhaftesten Antheil, und daß selbst die schöpferische Ader seines Geistes zuweilen noch in alter Kraft hervorquillt, beweisen sein Festgedicht zu Schiller’s Jubelfeier, das dessen Tochter als die herrlichste Gabe jenes Tages bezeichnet hat, und die Verse zum Angedenken Arndt’s, die kürzlich von ihm in diesen Blättern veröffentlicht wurden.
Ein erschütternderes Schicksal hat selten einen Menschen getroffen, als Mosen; schnöderer Undank ist vielleicht niemals einem Dichter von so ehrlichem Streben und so hoher Bedeutung widerfahren. Während täglich speculirende Buchhandlungen die Erzeugnisse flacher Mittelmäßigkeit unter der Firma und in dem Formate von Classikern in die Häuser colportiren, warten wir immer noch vergeblich auf eine Gesammtausgabe von Mosen’s Werken; seine Gedichte sind nur zwei Mal aufgelegt, seine Romane und Novellen von der Sündfluth seichtester Unterhaltungsjämmerlichkeiten verschlungen worden. Am schwersten aber wird gegen den Dramatiker gesündigt, der Schiller am nächsten verwandt ist, ohne Nachahmer zu sein. Vaterländische Stoffe und vaterländische Gesinnung mit dem das deutsche Gemüth so mächtig ergreifenden und fortreißenden vaterländischen Pathos sind die unschätzbaren Vorzüge von Mosen’s dramatischen Dichtungen, die sämmtlich ihre Lebensfähigkeit auf der Bühne auf das Glänzendste dargethan. Warum werden sie uns mit solcher Hartnäckigkeit vorenthalten? Wie viel geradezu Unsinniges und Ekelhaftes bekommen wir allabendlich zu sehen und zu hören, und welche Wirkung müßte es bei dem Ernste unserer jetzigen Lage und der Richtung unserer heutigen Stimmung auf uns äußern, wenn Mosen in seinem „Heinrich der Finkler“ von den Bretern herab uns zurufen dürfte:
„O, hätt’ ich eines Domes Glockenstimme,
Ich wollte zu euch stürmen Tag und Nacht:
Vereinigt euch und rettet euch, ihr Brüder!
Ach, meine Hand ist schwach, vereinigt aber –
Vor unsrer Brust zerbräche eine Welt!
Wohl Eins! nur Eins! ein einzig deutsches Reich!“