Zum Inhalt springen

Ein Schwindelfest

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: K. S.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Schwindelfest
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 851
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[851]

Ein Schwindelfest.

Lügen haben kurze Beine“, sagt das Sprichwort. Wenn das auf irgend etwas zutrifft, so ist es unser heutiges öffentliches Nachrichtenwesen. Es kommt ja auch heute noch vor, daß aus Absicht oder Unverstand eine falsche Kunde in die Welt hinausgesandt wird – aber ihre Herrlichkeit ist meist nur von kurzer Dauer. Mit derselben Blitzesschnelle, mit der sie selbst nach allen Richtungen hin saust, folgt ihr die Gegenmeldung, und oft geschieht’s dem erstaunten Zeitungsleser, daß er Behauptung und Widerlegung zugleich in einer Nummer aufgetischt erhält.

In Kriegszeiten, wo der Verkehr den mannigfaltigsten Störungen unterliegt, ist es schon eher möglich, daß Fälschungen ein längeres Leben fristen; das haben die Franzosen im Jahre 1870 zur Genüge erprobt. In früheren Tagen aber gar, wo die Hilfsmittel zur raschen Beförderung von Nachrichten äußerst kümmerlich waren, konnten die fettesten Zeitungsenten tage- und wochenlang ungestört umherflattern, bis endlich auch sie das wohlverdiente Schicksal aller Enten ereilte – das Dementi.

Ein tolles Stücklein dieser Art hat in Frankreich während des sogenannten pfälzischen Erbschafts- oder Orleans’schen Krieges gespielt, während jenes Krieges, den Ludwig XIV. gegen die gewaltige Koalition fast des ganzen übrigen Europa führte und dessen unselige Spuren noch heute so manche Trümmerstätte im pfälzischen und badischen Lande bezeichnet, allen voran die Ruine des Heidelberger Schlosses.

Der Anfang Juli 1690 hatte für Ludwigs Waffen manchen Erfolg gebracht. Der Marschall von Luxembourg hatte bei Fleurus über die Deutschen und Holländer gesiegt, der Admiral Tourville die englisch-holländische Flotte in der Nähe der Insel Wight geschlagen. Paris und Frankreich taumelten von einem Siegesfest ins andere. Da war es denn sehr unangenehm, daß unmittelbar darauf Ludwigs Schützling, der entthronte König Jakob II. von England, als Besiegter von Irland nach Frankreich zurückkam. Sein Gegner, König Wilhelm III. aus dem Hause Oranien hatte ihm am Boynefluß eine schwere Niederlage beigebracht, allerdings selbst dabei seinen Feldherrn, den Marschall von Schomberg, eingebüßt.

Sei es nun, daß man die Hiobspost aus Irland überhaupt nicht unter die Leute kommen lassen oder daß man den schlechten Eindruck verwischen wollte, den sie gemacht hatte, kurz, es wurde ein Gaukelspiel in Scene gesetzt, wie seinesgleichen in der Weltgeschichte vergeblich zu suchen sein dürfte. Wie weit Ludwig XIV. selbst dabei beteiligt ist, ob er zu den Betrogenen oder zu den Betrügern gehört, geht aus den Quellen nicht genau hervor; wahrscheinlicher ist unter allen Umständen das letztere.

Noch waren die Pariser erschöpft vom vielen Festefeiern, als am Morgen des 28. Juli um 3 Uhr in der Frühe schon wieder Freudenschüsse aus den schweren Geschützen der Bastille über die Stadt hindonnerten. Königliche Beamte rannten von Haus zu Haus, schlugen mit ihren Stäben gegen Pforten und Fensterladen und schrieen: „Stehet auf, stehet auf und zündet Freudenfeuer an, denn der Prinz von Oranien und der Marschall von Schomberg sind tot!“ Labadie, der Kammerdiener des Königs Jakob, hatte die Botschaft in eiligem Ritt von St. Germain en Laye nach der Hauptstadt gebracht, und Ludwig XIV. hatte, wie gesagt als Mitbetrogener oder Mitbetrüger, die feierliche Begehung dieses frohen Ereignisses befohlen. Die Pariser sprangen auch gehorsamst aus den Betten, kleideten sich an, eilten hinaus auf Straßen und Plätze, um pflichtschuldigst als gute Patrioten und getreue Unterthanen den öffentlichen Jubel mitzumachen. Den ganzen Tag über legten Umzüge mit lärmender Musik, lodernde Freudenfeuer, große Ansammlungen angenehm erregter Volksmassen Zeugnis ab für die pünktliche Befolgung des königlichen Befehls. Da und dort wurde im Freien an wohlbesetzten Tafeln gespeist, die Kaufmannschaft von Paris ließ vor dem Rathaus mächtige Weinfässer auffahren und ihren Inhalt an das jauchzende Volk verteilen, auch die Geistlichkeit, insbesondere der Franziskanerorden, beteiligte sich auffällig am Festlärm, indem sie vor ihren Klöstern und Kirchen Feuerwerk abbrannte und ebenfalls Wein in Strömen spendete. Zur Würze des Jubels diente grausame Verhöhnung des angeblich toten „Prinzen von Oranien“ oder „Wilhelm von Oranien“, wie man den englischen König geringschätzig betitelte. Vorübergehende wurden gezwungen, die Gesundheit König Jakobs II. auszubringen und Wilhelm von Oranien zu verwünschen. Große Bildnisse des Oraniers wurden umhergeschleppt, vom Pöbel mit Steinen und Schmutz beworfen; auf einem dieser Plakate war Wilhelm III. dargestellt, wie er vom Teufel mit den Worten empfangen wird: „Auf Dich habe ich seit zwei Jahren gewartet!“ Denen, die sich nach Aufhebung des Edikts von Nantes gezwungenerweise zur katholischen Staatskirche bekehrt hatten, heftete man das Bild des protestantischen Herrschers an Thüren und Fenster und zwang sie, unter Androhung der Ausplünderung, das Bild auszulösen. Und selbstverständlich gab es in diesen Tagen keine Polizei, die Ausschreitungen verhindert hätte.

Wie in Paris, so draußen im Lande. Die Kuriere Ludwigs hatten überall hin den Freudenbefehl getragen, und wo er eintraf, wurde auch zur Ausführung geschritten. Nach Lyon gelangte er am 30. Juli, einem Sonntag, worauf alsbald große Freudenfeuer angezündet wurden. Drei Tage hindurch mußten auf Anordnung der gestrengen Obrigkeit die Läden geschlossen bleiben, „zur Erhöhung der Feststimmung“. In Sedan ließ am selben Tage die ehrsame Stadtverwaltung fünf große Freudenfeuer auf öffentliche Unkosten unterhalten. Den Beginn der Festlichkeiten zeigten dreißig Kanonenschüsse und drei Gewehrsalven der Besatzung vor der Wohnung des Gouverneurs und die Bürgerkompagnien antworteten gleichfalls mit drei Salven und zogen dann in feierlichem Parademarsch am Dauphinsbrunnen vorüber, der an diesem Tage Wein spendete. König Wilhelms Bildnis, mit der den Holländer kennzeichnenden Tabakspfeife im Mund, wurde an verschiedenen Stellen unter Hohn und Spott verbrannt, ja vor dem Kloster der Kapuziner sah man sogar Wilhelms Gemahlin Maria in lebensgroßem Spottbild aufgehängt, obwohl sie die Tochter des von Frankreich beschützten Jakob II. war. Und damit nicht genug! Am andern Morgen ward mit dem Bilde des Königs ein Spottleichenbegängnis veranstaltet, das auf dem städtischen Richtplatz endigte und bei dem der wüsteste Unfug getrieben wurde.

Zu Orange in der Provence feierte man das improvisierte Nationalfest erst am 4., 5. und 6. August. Am Abend des letztgenannten Tages fand sogar in der dortigen Domkirche ein feierliches Tedeum statt unter Teilnahme der ersten Würdenträger und großem Zudrang der Bevölkerung.

Besonders toll ging es in der England benachbarten Provinz, in der Normandie zu – vierzehn Tage dauerte dort die Ausgelassenheit bei der Bevölkerung und den Behörden. Auf den Straßen rief man den Vorübergehenden zu: „Wilhelm von Oranien ist tot!“ Wer nicht sofort einstimmte, wurde mißhandelt, wer widersprach, mußte für sein Leben fürchten. In Dieppe wurde Wilhelms Bild an den Galgen genagelt und auch sonst aufs schnödeste verhöhnt und beschimpft. Eben dort in Dieppe hing auch in einem Wirtshause seit alter Zeit das Bildnis irgend eines oranischen Prinzen. Niemand hatte seither daran Aergernis genommen; jetzt aber erschien die gesamte Richterschaft von Dieppe in feierlichem Aufzuge, begleitet von Trommlern und Bewaffneten, in dem Wirtshause und gebot strengstens die sofortige Abnahme des hochverräterischen Bildes. Büttel und Häscher mußten sich seiner bemächtigen, und nun bewegte sich der ganze Zug in größtem Ernste unter Trommelwirbel nach dem Gefängnis der Stadt, wo das Gemälde feierlich als Arrestant zur Haft gebracht wurde.

Wie weit bei all diesen Tollheiten ehrlicher Glaube an das frohe Ereignis oder aber liebedienerischer Eifer gegen den „Roi Soleil“, gegen den „Sonnenkönig“, den Sporn bildete, läßt sich im einzelnen schwer unterscheiden. In Paris hatte übrigens einer der ersten damaligen Kupferstecher eine künstlerisch wohlgelungene Darstellung „des in Irland stattgehabten Leichenbegängnisses des Prinzen von Oranien“ angefertigt und viele Abzüge zu hohen Preisen verkauft.

Wann der hinkende Bote der Aufklärung hinterdrein kam, ist leider aus dem Bericht des alten „Theatrum Europaeum“, dem wir eine Darstellung dieses „Schwindelfestes“ verdanken, nicht ersichtlich. Zu spät kam er jedenfalls, um die 50 Millionen Franken Bargeld zu retten, welche der Zauber gekostet hatte. Wilhelm III. aber hat den Jubel über seinen angeblichen Tod noch um ein Dutzend Jahre überlebt. K. S.