Ein Stücklein vom „alten Herrn“

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Textdaten
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Autor: Karl Wartenburg
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Titel: Ein Stücklein vom „alten Herrn“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 420
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[420] Ein Stücklein vom „alten Herrn. Es sind kaum einige Wochen her, daß die Zeitungen eine Notiz aus Göttingen brachten, nach welcher ein hoher Polizeibeamter an die Studenten der dortigen Universität das Ansinnen gestellt hätte, beim Einzug des Kaisers Alexander II. von Rußland mit den Bürgern vereint Spalier zu bilden, und dadurch dem Czaar ihre Huldigung zu zeigen. Dieser an den Seniorenconvent der Corps gerichtete Antrag wurde von diesem bekanntlich zurückgewiesen, und Kaiser Alexander II. zog in Göttingen ein, ohne von den Studenten empfangen zu werden.

Als ich diesen Vorfall las, erinnerte ich mich einer kleinen Begebenheit aus meinen Studentenjahren, deren Mittheilung an dieser Stelle vielleicht manchem Leser dieser Blätter nicht ganz uninteressant sein wird.

In den späten Abendstunden eines windigen und regnerischen Herbstabends im Jahre 1847 saßen wir – ein Kreis lustiger Studio’s – in Auerbach’s Keller in Leipzig, trinkend, singend und plaudernd über Alles, was irgend nur das Interesse junger, frischer, strebender Herzen erregen kann. Schließlich kam das Gespräch auch auf Goethe – eine Wendung, die man in Auerbach’s Keller mit seinen alten, damals sehr verräuchert und rußig aussehenden Wandbildern aus der Faustsage natürlich finden wird – und von Goethe auf seinen fürstlichen Freund Karl August von Weimar, den „alten Herrn“. Wie die Unterhaltung diese Richtung nahm, erhob sich ein ältlicher Herr, der bis jetzt still und schweigend in der Nische, unweit des mächtigen Pfeilers, der die Wölbung stützt, gesessen hatte, und sprach, an unsern Tisch herantretend:

„Meine Herren, werden Sie es für indiscret oder für zudringlich halten, wenn ich als ein Ihnen Fremder an Ihrem Tisch Platz nehme?“

Auf unsere Verneinung und Bitte, sich auf den Sessel, welchen ihm einer der Commilitonen bot, niederzulassen, dankte er und fuhr dann fort:

„Ich hörte Sie von Karl August sprechen, und als früherer Jenenser, der ich bin, dessen Studienzeit in die letzten zehn Regierungsjahre des unvergeßlichen Herzogs fällt, können Sie sich wohl erklären, wie mich Ihr Gespräch anregte.“

So gab ein Wort das andere und der alte Herr, der, nebenbei bemerkt, Geistlicher, Superintendent einer norddeutschen Stadt war, wurde gesprächig, wie der Jüngsten einer. Unter andern verschiedenen Mittheilungen über Karl August erzählte er uns auch Folgendes:

„Es war,“ begann der Erzähler, „in den ersten Jahren nach den Befreiungskriegen, zur Zeit jener Congresse, auf denen sich die Fürsten Europa’s Rendez-vous gaben, um persönlich die schwebenden Streitfragen der Politik zu schlichten. Niemals gab es an den deutschen Höfen ein regeres Leben, zahlreichere Besuche gekrönter Häupter, als damals. Besonders aber war es der weimarische Hof, dessen Ruf und Ruhm von nah und fern fürstliche Gäste herbeizog.

Die Namen Schiller, Goethe, Wieland, Herder hatten Weimar einen Glanz verliehen, der weit über Deutschland’s Grenzen hinausstrahlte und der kleinen Stadt eine Berühmtheit gegeben, welche die vieler Großstädte übertraf. So kam auch Kaiser Alexander, ohnedies durch die Verbindung seiner Schwester mit dem Erbprinzen Carl Friedrich mit dem „alten Herrn“ verschwägert, nach Weimar. Bei Tafel kam das Gespräch unter Anderem auch auf Jena und der Kaiser äußerte dabei den lebhaften Wunsch, die Jenenser Studentenschaft in corpore zu sehen; dies würde auch, setzte er hinzu, sehr leicht zu bewerkstelligen sein, da der Großherzog nur befehlen dürfe, daß die Studenten Spalier bilden sollten, wenn er mit dem Czaar nach Jena käme. Karl August lächelte fein bei diesen Worten und meinte:

„Wollen sehen, wollen sehen, was sich thun läßt.“

Eine Stunde später sprengte ein Courier mit einer eigenhändigen Cabinetsordre des Großherzogs an den Prorector der Universität nach Jena und am nächstfolgenden Tage reiste Karl August selbst mit seinem Gaste, dem Kaiser, dahin ab. Die offene Jagdkalesche des Herzogs, in welcher dieser neben Alexander saß, war ungefähr eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, als man schon von dem Wagen aus eine Menge Studenten, die zur Rechten und Linken des Weges, den der fürstliche Wagen nehmen mußte standen, bemerken konnte. Ein schlaues Lächeln spielte um des Herzogs Mund und sich zu Alexander wendend sprach er:

„Sie werden sie alle sehen, die flotten Burschen, Alle, Sire, es wird kein Einziger fehlen.“

Und in der That war es so. In langen Reihen, die dreifarbigen Bänder um die Brust, das bunte Cereviskäppchen auf dem Kopfe und die lange Pfeife im Munde standen sie Alle da, Burschenschafter wie Landsmannschafter, und ließen die hohen Reisenden Revue passiren.

Kaiser Alexander musterte mit überraschtem, neugierigem Auge die langen Reihen der Studenten und als sie an das Stadtthor ankamen, sprach er, sich zum Großherzog wendend:

„Man spricht so viel von dem rebellischen, aufrührerischen Geiste der deutschen akademischen Jugend, allein einen größeren Gehorsam, als diese Studenten zeigen, die sich auf Ihren Befehl am Wege aufgestellt haben, würde ich auch in Rußland nicht finden.“

Karl August griff in seine Brusttasche und sprach lächelnd und dem Kaiser ein Blatt Papier überreichend:

„Wollen Sie diesen Befehl lesen, Sire? Es ist derselbe, den ich gestern durch den Courier an den Prorector schickte, mit dem Bedeuten, ihn sogleich am schwarzen Brete anzuschlagen.“

Der Kaiser entfaltete das Blatt und las:

„Da am nächsten Tage Se. Königl. Hoheit der Großherzog mit Ihrem erhabenen Gaste in den Nachmittagsstunden Jena passiren wird, so wird hierdurch auf ausdrücklichen Befehl Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs jedem Studirenden auf das Strengste verboten, sich an der Straße, welche die hohen Reisenden passiren werden, zu zeigen.“

Alexander stutzte und seine Züge drückten ein eigenthümliches Befremden aus, Karl August aber fügte lächelnd hinzu:

„Ja, ja, Sire, ich kenne meine Pappenheimer.“ –[1]

Karl Wartenburg.
  1. Unser geehrter Mitarbeiter möge entschuldigen, wenn wir an der Wahrheit des oben Mitgetheilten etwas zweifeln. Karl August war der Liebling nicht nur der Jenenser, sondern überhaupt aller deutschen Studenten damaliger Zeit, und seine Wünsche würden sicherlich respectirt worden sein. Karl August war aber ein viel zu vorsichtiger und geistreicher Mensch, als daß er zu Experimenten seine Zuflucht genommen hätte, die seinem Ansehen nur schaden konnten.
    D. Redact.