Ein Trost in blutiger Zeit

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Titel: Ein Trost in blutiger Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 500–503
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Trost in blutiger Zeit.

Die Brandfackel des Krieges ist über Nacht und unerwartet von frevelhafter, verbrecherischer Hand in unsere segensreichen, fruchttragenden Gefilde geschleudert worden, und die Göttin der Verheerung, in ruchlosem Uebermuth wachgerufen, erhebt ihr bleiches, todbringendes Medusenhaupt. Wie ein Wolf naht der Feind zu räuberischem Ueberfall unseren Grenzen, zu deren Schutz im Augenblick, da wir diese Zeilen schreiben, die Völker Deutschlands mit der nämlichen Begeisterung und mit der nämlichen Einmüthigkeit, die einst dem Oheim des gegenwärtigen Franzosenkaisers den Untergang bereiteten, sich unter ihre Fahnen schaaren, um – wenn es einen gerechten Gott im Himmel giebt, bald und siegreich wieder heimzukehren. Aber die wogenden Kornfelder harren umsonst der Arme, die ihre goldene Gabe in Empfang nehmen sollen, die Fabriken stehen müßig, die Maschinen ruhen, entlassene Arbeiter hungern und an dem verwaisten Heerde trauert die Frau um den aus dem Kreise der Familie gerissenen Gatten, die Schwester um den Bruder, die Braut um den Geliebten, die Mutter um den Sohn. Wie Gespenster eilen an ihrem Auge alle die Schrecken vorüber, die der Krieg in seiner unbarmherzigen Wildheit entfesselt, und der Schall der Kanonen, der Wehruf der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden trifft in qualvollen Träumen ihr Ohr.

Diesen Martern der Seele gegenüber, die kaum minder schwer zu tragen sind, als die körperlichen Leiden der wirklich vom Schwert oder der Kugel Getroffenen, bieten wir heute einen Trost – einen geringen zwar, aber doch immerhin einen solchen, weil er in der Erkenntniß besteht, daß in demselben Maße, wie die Schrecken und Verwüstungen des Krieges durch die unausgesetzte Erfindung neuer und immer furchtbarerer Zerstörungsmittel sich vermehrten, auch die Civilisation und Humanität auf Mittel und Wege sann, das Unheil so viel als möglich zu beseitigen und das dadurch hervorgerufene Elend zu mildern. Freilich – wir müssen das gleich hier bekennen – steht die Hülfe noch immer in keinem Verhältniß zu dem entsetzlichen Verderben, sie wird es auch nie zu solcher Vollkommenheit bringen können, ihr größter Segen wird nur einen kleine Theil des tödtlichen Unheils zu mildern, zu lindern, zu erleichtern vermögen, das sich in ungemessenem Maße über die Schlachtfelder ergießt. Trotzdem aber ist mit dem größten Danke anzunehmen, was diese Hülfe bietet, und schon Tausende haben

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Uebungen der Sanitätsmannschaften vor den Mitgliedern des internationalen Vereins.
Nach der Natur aufgenommen von H. Lüders.

[502] den Segen der „Internationalen Hülfsthätigkeit im Kriege“, von der wir hier sprechen, gepriesen.

Dies wird jetzt noch mehr der Fall sein, nachdem alle die zahlreichen internationalen Hülfsvereine, die sich, aus Männern und Frauen bestehend, seit dem italienischen Kriege in allen Ländern Europas gebildet und sich die Hülfsleistung für verwundete und kranke Krieger zur Aufgabe gestellt haben, im vorigen Jahre zu Berlin für den engeren Anschluß an die militärischen Sanitätsbehörden und für Zusammenfassung aller derartigen Bestrebungen im Vaterlande sich aussprachen.

Daß den Regierungen die Mitwirkung der Hülfsvereine auf dem Schlachtfelde nur willkommen sei, hatten dieselben schon früher zugestanden, und zwar wohl im Hinblick auf die gänzlich veränderte Kriegführung, welche die mit den verderblichsten Zerstörungswerkzeugen ausgerüsteten Heere vermittelst der Eisenbahnen rasch auf einen Punkt zu werfen, den Krieg zu localisiren und die Entscheidung fast in so viel Tage zusammenzudrängen vermag, als man sonst Jahre brauchte. Als eine natürliche Folge der neuen Verhältnisse mußte der Mangel an einem ausreichenden Sanitätspersonal anerkannt werden, welches, wenn auch noch so gut geschult und entwickelt, den gesteigerten Ansprüchen nicht mehr genügt, so daß nothwendiger Weise die Privathülfe für solche Fälle eintreten muß. Dieselbe besteht denn auch zum großen Theile in der Unterstützung des Pflegedienstes nach dem Kampfe bei dem Transport der Verwundeten und Kranken und in den Lazarethen, in der Herstellung und Unterhaltung von Reservelazarethen und in der Anlegung von Haupt- und Filialdepôts. Um die eben genannten Zwecke sicher zu erreichen, beschloß man auf der vorjährigen Berliner Conferenz selbständige Ausbildung von Krankenpflegerinnen, anhaltende Uebung und Erprobung derselben in der Armeekrankenpflege, Auswahl und Ausrüstung eines Hülfskörpers thatkräftiger Männer für die Zwecke des Vereins, Anschaffung leichter Krankenzelte, von Baracken und Tragbahren, und es steht zu hoffen, daß alle diese Maßregeln schon jetzt unseren wackeren Truppen im reichsten Maße zu Gute kommen werden.

Nicht genug hervorzuheben ist, daß man die Vereinsthätigkeit in allen Beziehungen planmäßig den amtlichen Verfügungen und Maßregeln unterzuordnen beschloß, und überhaupt nach allen Seiten der Wichtigkeit der Sache gerecht zu werden suchte. So wurde für die Verwundeten des Sanitätspersonals im Fall der Erwerbsunfähigkeit und auch für ihre Hinterbliebenen eine Pension in Aussicht gestellt, außerdem aber noch der Wunsch ausgesprochen, die Badeorte und Heilanstalten mit ihren Kranken den Kriegslazarethen und den in der Schlacht Verwundeten gleichstellen. Als dringendes Bedürfniß erkannte man eine strenge Polizei auf dem Schlachtfelde zum Schutz der Todten und Verwundeten vor Plünderung und Mißhandlung. Daneben wurde an geeignete Mittel gedacht, um die Identität der Verwundeten und Gefallenen festzustellen, sowie die Nothwendigkeit betont, die Vorschriften der Genfer Convention möglichst zu verbreiten und namentlich den Kriegern zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Dieselbe setzt bekanntlich in der Hauptsache fest, daß das gesammte Personal und Material, welches im Kriege zur Heilung und Pflege der Kranken und Verwundeten gebraucht wird, so wie Alles, was damit zusammenhängt, als neutral angesehen und weder zu Kriegsgefangenen gemacht, noch als Beute angesehen werden soll. Als gemeinschaftliches Erkennungszeichen für Alle, welche diesen Schutz genießen, ist das rothe Kreuz im weißen Felde gewählt.

Ein bedeutungsvoller Antrag wurde bei der Versammlung der internationalen Hülfsvereine im vorigen Jahre auch von dem berühmten Chirurg Professor Langenbeck mit den Worten eingebracht: im Falle des Krieges stellen die am Kriege nicht betheiligten Mächte eine der Größe ihrer Armeen entsprechende Anzahl von Militärärzten zur Verfügung der kriegführenden Parteien, um dieselben für den Dienst der Verwundeten in den Lazarethen zu verwenden. Zur Motivirung sagte unter Anderem der geniale Arzt: „Wenn Sie meinen Antrag verwerfen, so wird der nächstfolgende Krieg, und läge er in noch so großer Ferne, die ärztliche Hülfe nach der Schlacht ebenso unzureichend finden, und das Elend nach der Schlacht ebenso groß, wie in den bisherigen Kriegen dasselbe ohne Ausnahme gewesen ist.“

Als höchst ersprießlich wird sich der in verschiedenen Städten, wie Berlin, Leipzig etc. unternommene Bau von Baracken erweisen, und darum hat man gelegentlich der mehrerwähnten Conferenz mit Recht dem vom Berliner Frauenlazarethverein gegründeten neuen Barackenlazarethbau die größte Aufmerksamkeit und eingehende Besichtigung zugewandt; es ist dies eine jener Einrichtungen, die zuerst von den praktischen Amerikanern in’s Leben gerufen, anfänglich bemängelt, später aber die allgemeine Anerkennung gefunden hat, nachdem man sich überzeugt, daß die luftigen Baracken die wünschenswerthesten Resultate liefern und besonders dem Ausbruche des gefürchteten Hospitalbrandes, der Eitervergiftung etc. vorbeugen. Das kleine Augusta-Hospital des Frauenlazarethvereins, das erst am Ende des vergangenen Jahres vollständig fertig und der öffentlichen Benutzung übergeben worden ist, befindet sich hinter dem Charitégebäude im Invalidenpark, rings von lauschigen Bosquets umschlossen, und kann ein Muster unter den Krankenanstalten Berlins genannt werden. Nach den Plänen und Angaben des verdienstvollen Geheimraths Esse ausgeführt, vereinigt es in seinem Pavillon mit künstlerischem Geschmack alle Vortheile des Baracken- und Zellensystems. An sich nicht groß, bietet es im heißen Sommer, wo besonders die genannten Krankheiten drohen, ein bequemes Unterkommen für sechszig bis siebenzig Kranke, versehen mit allem möglichen Schutz und Comfort: Einrichtungen zu Bädern, amerikanische Rohrbrunnen, ausgezeichnete Ventilationsapparate, Waschhaus und selbst eine kleine Capelle für den Gottesdienst. Ein nach demselben Systeme angelegtes Krankenhaus befindet sich, wie schon erwähnt, gegenwärtig auch in Leipzig im Bau.


Die höchste Befriedigung nach jeder Seite boten zu Berlin auch die damals veranstalteten Uebungen einer mit hundertfünfundsechszig Krankenpflegern und fünfzehn Lazarethgehülfen formirten Krankenträger-Compagnie, welche auf dem Artillerie-Exercirplatze unter Oberleitung des Majors von Schmeling und des Oberstabsarztes Dr. Roth von den Gardefüsilieren ausgeführt wurden. Man fingirte dabei ein imaginäres Kampffeld nach stattgefundenem Gefecht. Die commandirten Soldaten bedeckten als angenommene Verwundete den Boden, während die Art der Verwundung durch einen angeklebten Papierstreifen angedeutet wurde. Die Sanitätsmannschaft setzte sich mit ihren Apparaten in Bewegung, Patrouillen wurden unter ihren Führern formirt, die Tragen und Wagenbahren fertig gemacht, und bald eilten die Abtheilungen ihren hingestreckten Cameraden zu Hülfe, während andere in der kurzen Zeit von zehn Minuten ein Zelt für den Verbandsplatz aufrichteten und die sonst nöthigen Vorbereitungen zur Aufnahme der scheinbar Verwundeten trafen. Dieselben wurden sorgfältig wie im Kriege behandelt, der erste Verband sogleich angelegt, der Transport nach den Ambulancen mit aller gebotenen Rücksicht ausgeführt, wie die beigegebene Illustration zeigt.

Eine zweite Uebung war von gleichem Interesse, indem dabei angenommen wurde, daß die Sanitätsmannschaft nicht zur Stelle und die Soldaten gegenseitig auf sich allein angewiesen seien. Hier wurden zu Schienen die Seitengewehre, zu Nothverbänden die Taschentücher und zu Tragen die Gewehre mit dem darüber gebreiteten Mantel verwendet. Tornister und Patrontaschen unterstützten die Lage der zerschossenen Glieder.

Der Transport scheinbar Verwundeter auf der zunächstgelegenen Stettiner Eisenbahn von Berlin bis Bernau bildete die Fortsetzung dieser lehrreichen Vorstellungen. Die auf den Ambulancen Verbundenen wurden in besonders hierzu eingerichteten Waggons gelagert, um sie in den rückwärts gelagerten Feldlazarethen zu bergen. Es kamen dabei drei Systeme in Anwendung. Für das erste war ein Personenwagen vierter Classe eingerichtet, dessen bequeme Eingänge sich auf der Kopf- und Stirnseite befanden. Die Tragbahren wurden hier parallel mit den Längsseiten, je zwei übereinander, in dazu angebrachten Vorrichtungen und vermittelst Kautschukringen eingehängt, an jeder Seite drei, so daß ein solcher Wagen bequem zwölf Verwundete aufnehmen kann. Man erkannte diesem Systeme den Preis zu, während die beiden anderen, wozu ein bedeckter Güterwagen benutzt wurde, weniger befriedigten.

„Ich kann nur wünschen,“ äußerte der König bei jener Gelegenheit zu Mitgliedern der internationalen Hülfsvereine, „daß der Fall Ihrer Wirksamkeit, sowohl im Kriege als bei Landesnothständen im Frieden, noch recht lange, lange nicht eintreten möge; käme aber eine solche Heimsuchung, so hoffe ich Ihre Bemühungen von verdientem Erfolge belohnt zu sehen.“

[503] Diese „Heimsuchung“ ist nun gekommen – wie wir am Anfange unseres Artikels sagten, über Nacht, rasch und unerwartet. Aber mitten unter den vielen Beweisen von Opfermuth und Opferfreudigkeit, welche uns die letzten Tage schon brachten und welche die kommenden Wochen noch bringen werden, wird die „internationale Hülfsthätigkeit im Kriege“ mit ihrer Hingebung, ihrer Furchtlosigkeit vor dem Tode und mit dem einzigen Bemühen, Wunden, die eine fremde, mörderische Hand geschlagen, zu heilen, nicht die letzte Stelle einnehmen. Ihre Bemühungen „werden von dem verdienten Erfolge begleitet sein“, und als Lohn wird sie den Dank der Kranken, den Segen der Sterbenden und die Anerkennung des ganzen Landes ernten.