Ein Vorkämpfer der Frauenbildung in Indien

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Titel: Ein Vorkämpfer der Frauenbildung in Indien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 128
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibt Manockjee Cursetjee
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[128] Ein Vorkämpfer der Frauenbildung in Indien. Wie in allen Ländern des Orients, so stehen auch in Indien die Frauen auf der niedrigsten Stufe geistiger und moralischer Bildung; sie werden zu nichts erzogen, als zur sclavischen Unterwürfigkeit gegen den Mann, dem sie bereits als Kinder von zehn bis zwölf Jahren vermählt werden; darüber hinaus ist ihnen alles Denken und Fühlen förmlich untersagt.

Man darf nur die Vorschriften lesen, welche in dem heiligen Buche der Inder, dem Polavor Purina, den dortigen Frauen gegeben werden. Dieselben lauten z. B.: „Die Frau darf keinen andern Gott auf Erden haben, als ihren Mann. Möge derselbe nun auch alle Fehler und Gebrechen besitzen und noch so bösartig und unangenehm sein, so muß ihn die Frau dennoch stets als ihren Gott betrachten, ihm alle Sorgfalt widmen und ihm niemals Veranlassung zu Aerger und Verdruß geben. Sie muß sich ihm zu Gefallen schmücken und zierlich kleiden und sich in jeder Hinsicht nach ihm richten, ihm niemals widersprechen; lacht er, so muß sie auch lachen; weint er, so muß sie gleichfalls weinen. Sie darf nicht eher essen, als bis ihr Mann gegessen hat; fastet er, so muß sie auch fasten; kann er nicht essen, so darf sie auch nicht essen. Singt der Mann, so muß die Frau außer sich vor Freude sein; tanzt er, so muß sie ihm mit Entzücken zusehen; spricht er, ihm mit Bewunderung zuhören. Ist der Mann zornig, sagt er ihr beleidigende Worte oder schlägt sie gar ungerechterweise, so muß sie seine Hände küssen und ihn um Verzeihung bitten, aber weder schreien noch entfliehen.“

In diesem Tone gehen die Vorschriften fort und enden schließlich mit dem Gebot, sich nach dem Tode des Gatten mit ihm lebendig verbrennen zu lassen. Diesen traurigen Zuständen so viel als möglich zu steuern und den unglückseligen, geknechteten Frauen das Licht der Aufklärung zu bringen, ist ein wahrhaft edler Mann in Bombay bemüht, der seit dreißig Jahren daran arbeitet, den armen indischen Weibern, welche in stumpfem Gleichmuth dahin vegetiren, Urtheils- und Denkkraft, Verstand und Bildung einzuflößen.

Sein Name ist Manokdschi Kursetdschi, er gehört der Religionskaste der Parsen oder Feueranbeter an und zählt durch Geistesbildung, durchdringenden Verstand und Reichthum zu den berühmtesten Notabilitäten Indiens; er ist Mitglied aller erdenklichen Gesellschaften für wissenschaftlichen und sittlichen Fortschritt und bereiste kürzlich wieder Europa, verweilte zu Beginn dieses Jahres in Paris und wurde dort zu den Tuilerienbällen eingeladen, wo das französische Kaiserpaar den seltenen Mann in jeder Weise auszeichnete.

Er stiftete 1863 in Bombay die erste Mädchenschule für indische Mädchen nach englischem System und nannte dieselbe zu Ehren der Prinzessin von Wales „Alexandra-Institution“. Trotz seiner unablässigen Bemühungen zählte doch die Schule 1865 erst zwanzig Schülerinnen im Alter von sechs bis zu dreizehn Jahren, von denen dreizehn der Parsenrace angehörten und sieben Hindumädchen waren. Allmählich gelang es dem unermüdlichen Manne mehr und mehr, die herrschende Unwissenheit und den finsteren Aberglauben zu besiegen, am meisten dadurch, daß er selbst mit dem Beispiel voranging, alle Vorurtheile, Gewohnheiten und Traditionen seiner Kaste bei Seite zu werfen, seinen Kindern eine ganz europäische Bildung und Erziehung zu geben und sein Haus den Europäern in gastfreundlichster Weise zu öffnen, wobei seine Töchter allen indischen Gebräuchen zum Trotz in liebenswürdigster Weise die Honneurs machten. Freilich wurde dies Beispiel nicht sogleich von seinen Landsleuten befolgt, sondern erwarb ihm anfangs die bitterste Feindschaft derselben, aber endlich gelang es seiner Beharrlichkeit, mit der Zeit große Erfolge zu erringen. Manokdschi Kursetdschi hat zwei Töchter und zwei Söhne. Die Söhne studiren in Oxford und Cambridge, die Töchter sind die getreuen Schülerinnen und Gehülfinnen des Vaters; sie leiten den Unterricht in den von ihnen begründeten Schulen und beschäftigen sich mit Werken der Barmherzigkeit, pflegen die Kranken, trösten die Betrübten, gleichviel, ob dieselben Parsen, Hindus oder Christen sind.

Die Verheirathung der ältesten dieser Töchter, Miß Amy Manokdschi Kursetdschi, welche kürzlich in Bombay stattfand, war ebenfalls ein glänzender Protest gegen die hergebrachten indischen Gebräuche; der Vater vermählte seine Tochter nämlich nicht in den Kinderjahren, nach eigener Willkür, wie dort stets geschieht, sondern ließ das herangewachsene, in jeder Hinsicht trefflich ausgebildete Mädchen eine Wahl nach eigener Herzensneigung treffen, was eine unerhörte Thatsache ist und auf’s Neue den Zorn aller Landsleute erregte. So bezeichnete die Hochzeit von Miß Amy mit Mr. K. R. Cama förmlich eine neue Aera und eine schönere Zukunft für die indische Frauenwelt durch den Triumph der Civilisation. Alle hervorragenden Persönlichkeiten der europäischen Gesellschaft von Bombay wohnten diesem Feste bei, und die Damen lächelten dem jungen Parsenmädchen, welches den Muth hatte, eine Liebesheirath zu schließen, ihren freundlichsten Glückwunsch zu.