Ein Wildschützen-Stücklein

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Titel: Ein Wildschützen-Stücklein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 25–28
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Wildschützen-Stücklein.

Aus dem bairischen Walde.

Was den von Passau am linken Donauufer sich hinziehenden sogenannten böhmisch-bairischen Wald besonders charakterisirt, ist die tiefe Wildniß. In anderen Gebirgen findet man nur selten einen Platz, wo nicht die Thätigkeit des Menschen bemerkbar wird; in den Thälern klappert das Mühlrad, in dem Walde raucht der Meiler, und auf den Höhen tönt der Schlag der Aexte und das Kreischen der Sägen. Aber wer von diesen Höhen niederschaut, sieht unten nichts als einen endlosen, dunklen Wald, ruhig und ernst, und die tiefe Stille wird nur unterbrochen vom Klopfen des Spechts oder von dem heisern Krächzen der Raben. Lange wird dieses Bild nicht mehr dauern, bereits dringt man von allen Seiten in das Innerste dieser Waldungen, und Hunderte von Mühlen verarbeiten Millionen von Stämmen zu jenen kleinen, zum Schiffsbau bestimmten Bretern, die nach Regensburg und von da weg auf dem Canale nach Holland geführt werden.

Nachdem ich bereits den Arber, den König des Waldes, mit seinen beiden gefeiten Seen, wovon der größere auf seinem Grunde goldene Fischlein mit diamantenen Augen birgt, von denen jedes ein Königreich werth ist, und den finstern Rachel mit seinem düstern See besucht hatte, beschloß ich den Lusen zu besteigen, von dessen wunderlicher geognostischer Bildung ich viel Anziehendes gehört hatte. Ich begab mich deshalb nach H …, wo ich an dem dortigen Revierförster einen alten Bekannten hatte, dessen Beistandes ich versichert war.

Es war an einem schönen Augustmorgen, als wir mit dem ersten Grauen des Tages den interessanten Marsch antraten. Während der Nacht hatte sich trotzdem, daß der vorhergehende Abend wenig daran denken ließ, ein starkes Gewitter von heftigem Regen begleitet entladen. Der Boden war weich, und die aus den Thälern entsteigenden Dünste verhüllten die Höhen, aber die Lust war rein und frisch, und wir griffen wacker aus.

Als wir den Wald betraten, umgab uns noch keine Waldeinsamkeit; denn eine große Anzahl Arbeiter war hier auf einer langen Strecke beschäftigt, eine Straße den Berg hinauf zu führen, und das Krachen fallender Bäume und das Sprengen der Felsen donnerte uns entgegen. Es war ein Bild der Entweihung, und [26] ich bedauerte den schönen Wald in seiner Jungfräulichkeit, daß auch er den Angriffen einer geldgierigen materiellen Welt nicht widerstehen konnte. Bald wird deine Poesie vorbei sein!

Aber weiter und weiter stiegen wir, und immer wilder und unwegsamer ward die Gegend. Der Boden war stellenweise sumpfig, große Felsstücke lagen uns im Wege, die wir umgehen, oder halbvermoderte Bäume, über die wir hinwegklettern mußten. Das Kraut der Heidelbeeren reichte bis über unsere Kniee und netzte uns, während ihre schwarzen Früchte uns labten.

Es war 8 Uhr, als wir an einem kleinen Hochplateau ankamen, das die Wäldler wegen seiner starren wilden Eigenthümlichkeit sehr charakteristisch den „Eisbären“ nennen. Die Kälte verbunden mit den scharfen Winden, die den größten Theil des Jahres hier herrscht, ist der Grund, daß die abgestorbenen Stämme weniger bald faulen und stürzen. Wie man ihre Brüder tief unten, dahingestreckt auf ein weiches Blätterbett oder sanftes Moos, Baumleichen nennt, so könnte man diese, welche die Kälte vor Verwesung schützt, mit vollem Rechte die Mumien des Waldes nennen. Ihr Aussehen hat ganz das Kalte und Starre des Todes.

Als wir auf die freie Stelle hinaustraten, bot sich mir ein überraschender Anblick dar. Vor mir lag die Kuppe des Lusen, vielleicht die einzige ihrer Art. Man denke sich einen ziemlich hohen Berg aus lauter Steinplatten, die der Zufall über einandergeworfen hat, so sieht der Lusen aus. Zwischendurch am Fuß der Kuppe kriecht die Krummholzkiefer, während der bei weitem größere Theil ganz kahl ist. Eine feine dünne Flechtenart giebt dem ganzen Steinhaufen eine eigene metallische Färbung und verleiht diesem sonst so kahlen und öden Platze eine sonderbare Stimmung. Als wir die Kuppe bestiegen, sah ich, daß die übereinanderliegenden Platten fast ohne Unterschied einander gleich waren. Sie mochten anderthalb bis zwei Fuß dick und fünf bis sechs Fuß lang und fast ebenso breit sein, und deutlich konnte man durch die Klüfte hindurch die darunter liegenden sehen, sie waren sich alle gleich. Das Steigen selbst war gerade nicht gefährlich zu nennen, doch erforderte es Aufmerksamkeit, denn ein unvorsichtiger Tritt konnte leicht einen Beinbruch oder eine Verrenkung zur Folge haben. Von der Spitze aus hat man eine prächtige Umsicht sowohl auf die untenliegende große Waldmasse, als auch hinein in’s Böhmerland, aber der Wind, der von dorther bläst, ist kein guter, er schneidet schier den Leib durch und dringt bis in’s Mark, so daß wir bald Abschied nehmen mußten. Unten wieder angekommen, nahm ich mein Skizzenbuch und zeichnete mir den sonderbaren Gesellen, den ich kaum wieder sehen werde, in flüchtigen Umrissen, um mich manchmal an seinem unwirschen Aussehen ergötzen zu können.

Wir wandten uns nun zum Rückwege und bogen links ab. Je höher die Sonne emporstieg, desto beschwerlicher ward unser Marsch. Die Kühle des Morgens war verschwunden, und unter den Bäumen herrschte eine warme, dunstige Luft, die uns in Schweiß versetzte und ermattete. Dessenohngeachtet aber nahm mein Interesse für den mich umgebenden Wald nicht ab, und ich betrachtete mit wahrem Entzücken diese Waldriesen. Mein Freund führte mich auf den sogenannten Tummelplatz, einen großen mit Palissaden eingeschlossenen Raum, in dessen Mitte früher eine Diensthütte gestanden hatte, die aber niedergebrannt und von der nichts mehr zu sehen war als ein hoher Kamin, der trauernd auf die verbrannte Stätte niedersah. Wilddiebe hätten sie angezündet, erzählte mein Begleiter und sprach dabei von der Schönheit des Gebäudes und von den Annehmlichkeiten, die sie den Forstleuten bot, deren Revier so ausgedehnt und beschwerlich sei wie dieses hier. Was die Vortheile betraf, die sie gewährt hatte, so war ich weit entfernt, dieselben in Frage zu stellen, und was die Schönheit anbelangt, so mußte ich gestehen, daß sie in ihrer Zerstörung auch kein übles Bild darbot. Der wilde weite Wald ringsum, schwarz und finster, der von Palissaden umschlossene öde Raum, geräumig genug eine ganze Viehheerde bequem aufnehmen zu können, die niedergebrannte Hütte, von der blos die Grundmauern noch sichtbar waren, der rauchgeschwärzte Kamin und die halbverbrannten und verkohlten Balken ringsum – wahrlich, es gehörte wenig Phantasie dazu, um sich eine von blutdürstigen Wilden zerstörte Wohnung eines Ansiedlers in den Urwäldern Amerika’s zu denken. Und während mir dergleichen Gedanken durch den Sinn zogen, sah wirklich das Gesicht eines Wilden zur Umzäunung herein, kupferfarben und mordlustig vielleicht. Mit einem Ausrufe der Ueberraschung zeigte ich darauf hin.

„Das ist mein Waldaufseher“ sagte mein Freund, „ich habe ihn mit den Hunden und ein paar Treibern hieher bestellt; wir wollen sehen, ob uns da unten an der Seebacher Aue nicht ein Bock anspringt.“

Nickl, so, glaube ich, hieß der Mann, war, wenn auch kein Hurone aus den Urwäldern Amerika’s, doch jedenfalls ein gezähmter Wilder aus dem bairischen Walde. Er war nicht groß von Gestalt, aber die breite Brust, die sehnigen Arme und stämmigen Beine zeigten von einer körperlichen Kraft, die allen Widerwärtigkeiten, mochten sie von den Launen des Wetters oder von den Tücken der Menschen kommen, Trotz bieten konnte. Das Gesicht war fast kupferfarben roth und ebenso die von Haaren bedeckte Brust, die das offene Hemd schauen ließ. Uebrigens war sein Blick freundlich und sein Auge grau und hell, aber unruhig, immer suchend und spähend. Den eisengrauen Locken nach zu schließen, die unter dem dicken Filzhute hervorguckten, mußte er die Fünfziger bereits stark angetreten haben.

Er betheiligte sich sogleich an dem Gespräche und indem er auf die Brandstätte wies, sagte er: „Da haben uns die Strauchdiebe eine schöne Bescheerung angerichtet. Das schöne Haus! Das hätten Sie sehen sollen, wie wohnlich und ruhesam es da war. Es ist es ein wahres Kreuz: jetzt, wo das Wild wieder mehr wird, treiben auch die Wilddiebe wieder ihr Handwerk.“

„Wild und Wilderer,“ sagte der Förster, sind unzertrennlich; aber neuerdings wird die Sache wieder recht ernstlich. Vor ohngefähr vierzehn Tagen wurden ein College von mir und sein Waldaufseher, als sie unvermuthet auf eine solche Bande stießen, ohne Weiters niedergeschossen, und es steht sehr in Frage, ob sie noch aufkommen. Sie sind Beide Familienväter, und letzterer hat neun Kinder. Ein Anderer, da drüben,“ und dabei wies er mit dem Daumen über die Achsel zurück und nannte den Ort, „trägt noch das gehackte Blei mit sich herum, und sein Gehülfe hat einen Schuß im Schenkel. Zwar schoß dieser auch einen nieder, allein man konnte trotz des starken Schweißes den Kerl nicht ausfindig machen.“

„Ja, und diesen Morgen hat mir der Rottmeister da unten am Steinbrückel erzählt, daß letzten Sonntag drüben in Schönau die beiden Fuchsgruber, Vater und Sohn, geschossen heimgebracht wurden. Die haben’s lang verdient, aber der Krug geht so lang zum Brunnen bis er bricht.“

„Das ist ja ein förmlicher Krieg, den Ihr da führt,“ rief ich entsetzt aus, „läßt sich denn dem Unwesen nicht steuern durch fleißiges Begehen der Orte, wo diese Frevler ihr Unwesen treiben, und durch genügende Vermehrung des Forstschutzpersonales?

„Nicht möglich,“ erwiderte mein Freund. ”Wenn diese Diebe von hiesiger Gegend wären, so dürfte das am Ende nicht schwer sein, aber so sind es meist Bursche ganz unten herauf aus dem Wegscheid’schen oder aus dem obern bairischen Wald, die sich zusammenthun, vierzehn Tage eine ganze Waldstrecke, Staats- und Privat-Waldungen durchjagen, was sie bekommen können, mitnehmen und dann monatelang nichts mehr von sich hören lassen.“

„Da hilft nichts als so schnell als möglich der Erste am Drücker zu sein,“ sagte Nickl, indem er den Hahn überzog und ihn wieder in die Ruhe zurückfallen ließ. Und dabei hatte er wirklich etwas von indianischer Mordlust im Gesichte.

„Ihr würdet also,“ erwiderte ich, „einen Menschen niederschießen, auch wenn Ihr es ungesehen von ihm thun könntet, also ohne eigentliche Nothwehr?“

„Ob ich es thun würde!“ sagte Nickl ganz erstaunt ob meiner Frage, „ganz gewiß werde ich ihn niederschießen, wenn er sich bewaffnet in unserm Reviere blicken läßt. Und was die Nothwehr betrifft, so ist meinen Begriffen nach unser Einer immer im Zustande der Nothwehr.“

„Nickl hat Recht,“ sagte mein Freund, „denke Dir zum Beispiel da oben am Lusen einen verwundeten Menschen, ob der wohl nach Hause käme? Ich glaube nicht; überdies kann Nickl ein Lied davon singen.“

„Ein garstiges Lied das, es hat mir lange in den Ohren geklungen,“ erwiderte der Andere.

„Halt, Alter,“ sagte ich, „heraus mit dem Liede.“ Und Nickl, ohne sich weiter bitten zu lassen, erzählte: „Als die Geschichte, die ich erzählen will, sich zutrug, war ich als Waldaufseher da draußen, weiter der Donau zu. Wir hatten nebst einem prächtigen Wildstand in unserm Reviere auch einige Bergbäche mit den herrlichsten Forellen, die ich theilweise [27] gepachtet hatte und aus denen ich ziemlich Erkleckliches löste. Um so verdrießlicher war es mir, als ich seit einiger Zeit Spuren von Ottern bemerkte. Es wird Ihnen bekannt sein, welch’ erheblichen Schaden so ein Räuber anzurichten im Stande ist. Ich hatte deshalb fleißig die Eisen gelegt und ging regelmäßig des Morgens hinaus, um nachzusehen.

„Eines Morgens bemerkte ich denn, daß eines derselben fehlte. Die Stelle, auf der ich es gelegt hatte, war ringsum zerwühlt und aufgerissen, die freilich etwas alte Kette war abgesprengt und der zurückgebliebene Theil derselben um eine ganz zerzauste Weidenstaude geschlungen. Augenscheinlich hatte sich das Thier schlecht gefangen, die Kette abgesprengt und war, um sich seines vermeintlichen Feindes zu entledigen, seinem natürlichen Elemente zugeflüchtet.

Aber da das Eisen schwer war, mußte es ersaufen. So dachte ich, als ich alles übersah. Ich legte deshalb Gewehr und Tasche weg, stieg in das Wasser hinab, das hier etwas tiefer war und einen kleinen Tümpel bildete, und suchte mit dem langen Stocke nach dem Thiere. Umsonst, ich konnte nichts entdecken. Ich ging darauf eine Strecke weiter hinauf, in der Vermuthung, daß es aus dem Grunde weiter gelaufen sein möchte. Plötzlich hörte ich in einer kleinen Einbuchtung ein starkes Geräusch, das in einem Schnauben und in dem eigenthümlichen Pfeifen bestand, welches die Otter ausstößt, sobald sie gereizt wird oder verwundet ist. Ich stieg sofort aus dem Bache und ging etwa noch fünfzehn Schritte seitwärts an einem sogenannten Altwasser hinauf, und erblickte denn auch alsbald eine gewaltige Otter, die größte die ich je sah, wie sie um sich schlug und wühlte und sich wie toll gebehrdete. Mit leichter Mühe schlug ich sie todt. Das Eisen hatte augenscheinlich, als sie Verrath witternd aufspringen wollte, sie unglücklicker Weise noch mit der Ruthe gefangen, das Thier hatte sich, wie ich vermuthet hatte, in das Wasser geflüchtet und, als es merkte, daß es, vom schweren Eisen zu Boden gezogen, ersaufen müßte, auf dem Grunde fortlaufend sich wieder dem Lande zugewendet und war in dieser „Altern,“ wie wir es nennen, wieder herausgekommen, wo es sich des Eisens zu entledigen suchte. Die Ruthe war beinahe abgedreht, und wäre ich nur um eine halbe Viertelstunde später gekommen, so wäre das Thier entwischt. Wie gesagt, der Bursche war der größte, den ich je gesehen hatte; er maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze 5 Fuß, und ich schätzte sein Gewicht auf 20 Pfund.

„Den Prachtkerl auf die Schulter nehmend, wollte ich nunmehr Gewehr und Tasche holen, allein wer beschreibt mein Erstaunen, als Beides verschwunden war! Daß sie gestohlen waren, unterlag keinem Zweifel, ich sah die Fußtritte der Diebe im thauigen Grase und ward ganz wüthend, wenn ich an den Spott dachte, der mir zu Theil werden würde, wenn ich ohne Gewehr nach Hause käme. Ohne weiter an das Gefährliche meines Beginnens zu denken, folgte ich rasch der Fährte. Umsonst, auf dem abgefallenen Laube im Walde war jede Spur bald verloren. Nun eilte ich einen kleinen Hügel hinan, der, mit einigen Bäumen bewachsen, niederes Buschholz hatte, um von dort aus den kecken Dieb zu erspähen. Kaum war ich jedoch auf der Höhe angelangt und in das Gebüsch eingetreten, als es rechts und links neben mir knackte und ich mit einem Ruck zu Boden gerissen war. Mein Rufen war vergebens, ich hatte nichts als meine Fäuste, denn selbst das Messer steckte in der gestohlenen Waidtasche, und meine Gegner waren sechs starke Männer. Man band mir die Hände auf den Rücken zusammen und schlang die Leine um einen nahen Baum, so daß ich mit dem Rücken an dem Stamm lehnen mußte.

„Während ich so dastand, hatten sich die Burschen etwas weiter zurückgezogen und berathschlagten, was sie mit mir anfangen sollten. Einer derselben, der Haupträdelsführer wie es schien, und derselbe, der sich meines Gewehrs und meiner Tasche bemächtigt hatte, flüsterte leise den Uebrigen etwas zu, worauf das Corps in ein schallendes Gelächter ausbrach. Sie ließen mich nicht lange über den Grund ihrer Heiterkeit im Ungewissen. Vorne am Hügel, wo ein Felsen senkrecht abwärts fiel in das Thal, standen zwei ziemlich starke Birken nahe aneinander. Auf jede derselben stieg nun einer der Burschen, und indem sie sich an einem der oberen Zweige anhaltend herabließen, bogen sie mit Hülfe der Untenstehenden beide Bäume herab fast bis auf den Boden. Dann schnitt man mich vom Baume los, zog mich unter die beiden Birken hinein und band mich mit je einem Arm und Fuß an die herabgebogenen Aeste. Als ich gehörig befestigt war, ließen sie beide Bäume, unter einem schrecklichen Jubelgeschrei in die Höhe schnellen. Ich glaubte gegen den Himmel hinauf geworfen zu werden, und die Prellung, die im Augenblicke erfolgte und mir fast alle Gelenke zerriß, preßte mir einen furchtbaren Schmerzensschrei aus. Denken Sie sich meine Lage. Da hing ich zwischen Himmel und Erde, an immer schwankenden Aesten über einem Abgrund von gewiß fünfzig Fuß Tiefe. Ich rief aus Leibeskräften, aber meiner Stimme antworteten anfangs nur die Spottreden meiner abziehenden Feinde und dann blos noch das höhnende Echo. Der Schmerz an den Gelenken war furchtbar.

„Als der Abend herankam, zog ein Wetter am Himmel herauf, der Wind blies aus vollen Backen, ich flog auf und nieder, die Bäume bogen sich, und ich hoffte jede Minute, daß sie brechen möchten, denn ich hatte vor Schmerz nur den einen Wunsch zu sterben, und ich wäre damals froh gewesen, wenn mich der Sturm in die Tiefe hinabgeschleudert hätte. Je dunkler es wurde, desto heftiger wüthete der Sturm, der Regen goß in Strömen nieder, der Donner brüllte und blendende Blitze fuhren um mich her. Endlich erbarmte sich eine mitleidige Ohnmacht meiner.

„Als ich wieder zu mir kam, stand die Sonne bereits hoch am Himmel, Alles war frisch und grün und glänzend, aber ich schwebte, wie eine arme Seele zwischen Seligkeit und Verdammniß, zwischen Himmel und Erde. Je weiter die Sonne emporstieg, desto gräßlicher ward meine Lage. Ihren glühenden Strahlen ausgesetzt, glaubte ich verbrennen zu müssen, mein Gehirn kochte und das Blut, das in meinen Adern tobte, drohte mir den Kopf zu zersprengen. Lange konnte dieser Zustand nicht mehr dauern, und in den lichten Augenblicken, die anfingen immer seltener zu werden, suchte ich so gut wie möglich meine Gedanken zu sammeln, um als guter Christ aus der Welt zu scheiden.

„Da tönte mit einem Male ein helles Pfeifen an mein Ohr, so fröhlich als nur je eines aus der Brust eines herumlungernden Strolches hervorkam. Ich strengte mich mit aller Gewalt an zu sehen, woher diese Töne kamen. Nicht lange, so erschien unter den Bäumen da unten das Menschenkind, und ich erkannte in ihm einen unserer ärgsten Holzdiebe, den ich schon einige Dutzend Male zur Anzeige gebracht und öfters eigenhändig abgestraft hatte. Es war der Gabelmacher Lenz wie er leibte und lebte, mit seiner Pelzkappe, die Hände tief in den Taschen seiner blauen, zwilchenen Hosen. Augenscheinlich lungerte der Kerl da oben herum in der Absicht, sich ein Stück Holz auszusuchen, das er bei nächster Gelegenheit holen konnte, und mochte dabei wohl nicht ahnen, daß er so genau beobachtet werde. Sonst war mir der Kerl, wenn er mir auf der Landstraße begegnete, ein Dorn im Auge, aber jetzt erschien er mir als rettender Engel. – – Ich versuchte zu rufen, aber ein neuer Schrecken durchbebte mich, ich konnte mit aller Anstrengung keinen Laut hervorbringen, der Hals war mir wie zugeschnürt.

Schon begann sich der Gabelmacher in immer weitern Kreisen von mir zu entfernen, in wenigen Augenblicken vielleicht war er verschwunden und ich war rettungslos verloren. Da strengte ich alle meine Kräfte an und stieß ein heiseres Gebrüll aus. Ich konnte gerade noch erkennen, wie der Lenz unten erschrocken bei Seite sprang und wie er dann zu mir heraufsah, dann schwanden meine Sinne und ein heftiger Blutsturz war die Folge dieser Anstrengung. Der Gabelmacher wäre, wie er mir nachher erzählte, beinahe vor Schrecken davongelaufen, wie er da oben einen Menschen hängen sah, und dann wäre ich wohl sicher verloren gewesen. Aber er hatte sich rasch besonnen und war zu einigen Holzhauern hinabgeeilt, die eine Stunde weiter unten beschäftigt waren, und hatte diese heraufgeholt, worauf sie mich dann so gut als möglich aus meiner Lage erlösten und in’s Dorf hinunterbrachten. Der herbeigerufene Arzt erklärte es für ein wahres Wunder, daß ich so lange dieser Qual hatte widerstehen können, und behauptete, daß ich, wenn dieser Blutsturz nicht eingetreten wäre, ohnfehlbar hätte ersticken müssen. Zeitlebens ein Krüppel würde ich aber wohl bleiben, meinte er. Und wirklich war mein Zustand schlimm genug. Mein linker Arm war ganz aus der Achselhöhle gerissen und an den beiden Handgelenken das Fleisch bis aus die Knochen durchschnitten; hier sehen Sie noch die Narbe davon. Gegen alles Erwarten gelang aber meine Heilung, und mit allem Respecte vor dem Doctor, der sein Möglichstes that, mich wieder herzustellen, so sehen Sie doch, wie ihn seine Weisheit diesmal im Stiche ließ.“ Damit machte Nickl einen Kreuzsprung, der einem Jongleur Ehre gemacht hätte. „Und da jetzt meine Geschichte zu Ende ist,“ fuhr er fort, „dächte ich, ich ginge mit meiner Mannschaft da links [28] hinab, die beiden Herren können sich dann im Thannet da unten anstellen.“ Mit diesen Worten entfernte er sich.

„Und ist die Geschichte wirklich wahr?“ sagte ich, als Nickl fort war, „und war es den Gerichten nicht möglich, eine Spur von den Thätern aufzufinden?“

„Was die Wahrheit der Geschichte betrifft, so ist darüber kein Zweifel. Uebrigens ist Nickl nicht der Mann dazu, die Gerichte viel mit seinen Angelegenheiten zu plagen. Er ist oder war wenigstens, wie man sagt, Kläger, Richter und Vollstrecker des Urtheils in eigener Person. Von allen denen, die damals beisammen waren, ist keiner mehr übrig, um über die Geschichte zu lachen.“

„Du wirst doch nicht sagen wollen, daß er alle erschossen habe?“ sagte ich ganz entsetzt.

„Das sage ich auch nicht,“ sagte mein Gefährte, indem er zweideutig die Achsel zuckte. „Genug, es ist eben keiner mehr da! Doch halt, da bleib stehen, hier kannst Du am ersten zum Schusse kommen, wenn Du überhaupt noch Dein altes Glück hast.“

Ich lächelte bei dieser Anspielung auf unsere früheren gemeinschaftlichen Jagden, und wie er vorausgesagt hatte, schoß ich bald darauf einen schönen Sechserbock. Gleich darauf knallte weiter unten ebenfalls ein Schuß.

Während Nickl, der inzwischen einen Rundgang gemacht, den Bock aufbrach, erzählte er, daß ihm unten beim Durchgehen ein kleiner fremder Hund angesprungen sei, der so eifrig jagte, daß er ihn nicht eher gewahrte, bis er ihn anrief.

„Das ist wieder einer von den Böhmischen drüben,“ sagte mein Freund, „wir müssen ihnen doch noch einige wegschießen, sie jagen gar zu oft herüber. Hättest ihn schießen sollen.“

„Ja, ich wollte das auch und war schon mit dem Gewehre aufgefahren, aber es war so ein nettes, gelbes Hündchen, und wie er dastand, einen Vorderfuß in die Höhe und den Kopf etwas bei Seite geneigt, und mir gar so treuherzig in die Augen sah, als wollte er sagen: „Nun sei nur nicht böse, es ist ja weiter nichts als ein bloßer Irrthum, daß ich da bin,“ da konnte ich es nicht über’s Herz bringen zu schießen. Und als ich das Gewehr wieder absetzte, sprang es wieder zurück, und jetzt bin ich froh, daß ich es nicht gethan habe.“

Ich kann’s nicht leugnen, ich hatte eine Art Abneigung gegen Nickl gefaßt, weil ich ihn für einen Menschen ohne Gefühl hielt. Dieser kleine Zug seiner Gutmüthigkeit machte Alles wieder gut. Der Mensch hatte wirklich ein Herz.

Nun betraten wir die Seebacher Aue. Ein drei Viertelstunden langer Pfad, der so schmal war, daß nicht Zwei nebeneinander gehen konnten, führte durch dieselbe. Links und rechts steht undurchdringliches Gebüsche, stachliges Brombeergesträuch und Dornhecken machen ein Eindringen in dasselbe unmöglich und sperren jeden Luftzug. Die dem sumpfigen Boden entsteigende Feuchtigkeit bei einer Hitze von 24° R. machte diesen Weg zu einer anstrengenden Wanderung, um so mehr, als bereits Mittag vorüber und wir seit drei Uhr Morgens auf den Füßen waren. Ich glaubte wahrhaftig neugeboren zu sein, als ich diese Hölle hinter mir hatte und wieder den schattigen freien Hochwald betrat.

Noch eine Stunde Wanderns, und dann sahen wir wieder Culturland. Da standen braune, schindelgedeckte Häuser in der Mitte grünender Wiesen zwischen schattigen Obstbäumen, und von der Höhe jenes kegelförmigen Berges blickt freundlich das Dörfchen Kreuzberg hernieder und gewährt mit seinem spitzen Kirchthurm einen gar lieblichen Anblick, während links unterhalb die Schönbrunner Glashütte mit ihren langen, braunen Gebäuden zu beiden Seiten des schloßartig aussehenden Wohnhauses sichtbar wird. Hier wird ein ausgezeichnetes Bier gebraut.

Erst spät, als der Vollmond hoch am Himmel stand, dachte ich an den Heimweg und trennte mich von meinem Freunde und Nickl, dem Huronen, der inzwischen dem Gerstensafte tüchtig zugesprochen hatte, und mir unter kräftigem Handschütteln versicherte, er würde, wenn es darauf ankäme, mir zu Liebe noch ein Maß trinken.