Ein Wunder aus Feldkirch

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Textdaten
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Autor: Z.
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Titel: Ein Wunder aus Feldkirch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 457–458
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[457] Ein Wunder aus Feldkirch. „Nichts macht den Menschen einfältiger und blinder als fanatischer Glaube,“ meinte mein Freund X. „Das habe ich als Zögling des Jesuitenklosters in Feldkirch oft genug erfahren; am drastischsten aber beweist die Wahrheit dieses Satzes ein toller Steich, den ich meinem Mitschüler, einem Berliner mit Namen W…dorf, gespielt habe, Dieser W…dorf war im ganzen Kloster wegen seiner übergroßen Frömmigkeit bekannt und stand fast im Geruche eines halben Heiligen. Man wußte, daß er Abends in seiner Zelle noch stundenlang auf den Knieen lag, ehe er sich endlich unter ascetischen Seufzern zur Ruhe begab. Um nun diesen Jugendübungen ein besseres Relief zu geben, verfiel ich mit einem ebenso weltlich gesinnten Complicen auf die Idee, in W…dorf’s Zelle eine übernatürliche Erscheinung zu veranstalten. Zum bessern Verständnisse schalte ich ein, daß unser gemeinschaftlicher, sehr großer Schlafsaal aus zwei Reihen Betten bestand, welche rechts und links an den Wänden standen und so in der Mitte einen freien Gang offen ließen. Getrennt waren die Betten durch spanische Wände und die so gebildeten Zellen nach dem Mittelgange durch eine Gardine verschließbar, Eines Abends schrieb ich nun auf die dieser Gardine gegenüberliegende Wand mit Phosphor die Worte:

‚W....dorf, Du bist heilig!‘

[458] Dann öffnete ich die nach dem Gange führende Gardine und ließ das Licht von diesem in die Zelle strömen, wodurch die entstandene Flammenschrift verschwand.

Wenige Minuten später erschien W…dorf in der Zelle, und kaum hatte derselbe die Gardine geschlossen, so trat ihm die zitternde Flammenschrift entgegen. Er stürzte sofort auf die Kniee und sah unter inbrünstigen Gebeten und frommen Schauern die ihn heilig sprechenden Buchstaben langsam verflackern. Nach einer schlaflosen Nacht meldete er die Erscheinung dem Pater Präfect. Der überlegt sich die Sache und ermahnt den angehenden Heiligen, im Gebete wohl darüber nachzudenken, was die Erscheinung zu bedeuten habe, aber auch wohl zu erwägen, daß dies vielleicht eine Versuchung des Bösen sei, dem oft viele Macht über den Menschen gegeben.

Am folgenden Abend wurde dieselbe Erscheinung mit gleichem Effecte in Scene gesetzt. Der arme W…dorf hatte eine noch unruhigere Nacht als die vergangene, und auf seinen neuen Bericht erklärte der Präfect, daß man nach einer dreimaligen Wiederholung an der Göttlichkeit des Wunders nicht mehr zweifeln dürfe. Obwohl nun am dritten Tage die Zelle scharf bewacht wurde, gelang es mir Abends dennoch, in dieselbe zu schlüpfen und die dritte Erscheinung vorzubereiten.

Zitternd vor Aufregung betrat bald darauf W…dorf in Begleitung des Pater Präfecten die Zelle. Aber, o Entsetzen, statt der heiligsprechenden Worte war da zu lesen:

‚W…dorf, Du bist ein Esel!‘

Mit der Göttlichkeit des Wunders war es natürlich vorbei. Eine eingeleitete Untersuchung blieb lange ohne Erfolg, bis später durch einen Zufall ich und mein Mitattentäter entdeckt und empfindlich bestraft wurden.“

So mein Gewährsmann. Derselbe blieb nach jener Geschichte nicht lange mehr in Feldkirch. W…dorf aber ist Jesuit geworden und soll sich jetzt als Missionär unter den Wilden befinden.

Z.