Ein bairischer Schwärzer

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Autor: Heinrich Noë
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Titel: Ein bairischer Schwärzer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 95–97
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein bairischer Schwärzer.


Vor wenigen Jahrzehnten noch war das wilde Wettersteingebirge, die Grenze zwischen Baiern und Tirol, der Schauplatz einer Art von Romantik, welche immer mehr und mehr ausstirbt. Noch finden Diejenigen, welche von Mittenwald oder Partenkirchen aus in die erhabenen Einöden des Rainthales, der oberen Leutasch, in die Felsenwüsten des Kalkgebirges vordringen, in ihren Reisehandbüchern an manchen Stellen angegeben, daß hier und dort ein Schwärzersteig über die steilen Jöcher führe. Solche finden sich zum Beispiel angegeben in einiger Entfernung von dem wunderbaren Wasser der Blauen Gumpe, bei der Lockhütte, von wo früher die Schwärzer über die gewaltigen Schutthalden des Hundsstalles oder über die Wände, die sich zwischen dem Teufelsgrate oberhalb der Rainthaler Schrofen hinziehen, nach Tirol hinübergestiegen sind. Es giebt aber deren in Wirklichkeit noch viel mehr, als diese Bücher angeben.

Eines Tages befand ich mich in Gesellschaft eines alten Leutaschers, dessen Name wegen der untenstehenden Geschichten der Mitwelt verschwiegen bleiben soll, bei der eben erwähnten Lockhütte, zu welcher wir über das sogenannte „Teufelsg’saß“ herübergestiegen waren. Schon unterwegs hatte er mich auf verschiedene Stellen aufmerksam gemacht, die ihm aus der Zeit seiner Jugendabenteuer her im Gedächtnisse geblieben waren. Doch die Anstrengung des scharfen Anstieges, den ich überhaupt nicht Jedem empfehlen möchte, hemmte die Redseligkeit des nunmehr schon ziemlich bejahrten Burschen. Erst nachdem wir das Frauenalple im Rücken hatten, gewann er mehr Athem.

Als wir aber unten dort rasteten, wo das aus dem oberen Rainthale kommende Wasser sich mit den Wellen der Partnach vermengt und der mitgebrachte Wein die Zunge löste, da wurden die alten Erinnerungen lebendig, nahmen Gestaltung an, und im Angesichte des eben überkletterten Felsgrates entstanden die Umrisse der Skizze, welche hier dem Leser vorgeführt wird.

Heutzutage wird deshalb nicht mehr über diese hohen Jöcher geschmuggelt, weil kein Zoll hoch genug ist, um durch dessen Ersparniß die Leute zu solcher Mühe und Lebensgefahr anzuspornen. Was man heute schmuggelt, geht meist an der Landstraße hin und besteht aus Kleinigkeiten, für die sich kein Mensch einem größeren Abenteuer unterzieht: einigen Päckchen Feigenkaffee, ein paar Kistchen Cigarren, einem Pack groben Tuches, einem Fäßchen mittelmäßigen Tiroler Weines. Damals aber, als mein Leutascher noch jung war, gab es Zölle, die allerdings so hoch waren, daß sie die Lust am Gewinne herausforderten. Zu Mittenwald hat sich manches Haus, welches den Schmugglern ein sicheres Obdach bot, durch den damaligen Schleichhandel eine gewisse Wohlhabenheit erworben.

Vor Allem waren es Seidenwaaren, welche die bairische Zollgesetzgebung mit einer unverhältnißmäßigen Abgabe belastete. Diese Seidenwaaren konnte man in dem mit Italien zusammenhängenden Tirol damals um die Hälfte von Dem kaufen, was man in Baiern dafür zu zahlen hatte. – Auch die sechs Burschen, welche eines Tages vor einer Reihe von Jahren auf dem nämlichen Pfade heraufstiegen, den ich heute mit manchem heimlichen Ach- und Wehrufe überklettert hatte, schleppten theure Seidenwaaren mit sich. Bald stiegen sie keuchend die jähen Wände an, bald rasteten sie, und das nicht selten, denn eine solche Last schier lothrecht aufwärts zu schleppen, hält Niemand lange aus. Wenn sie rasteten, entfernten sich immer Zwei von ihnen und setzten sich in verschiedener Richtung nieder, um nach allen Seiten hin ausspähen zu können. Die Anderen aber thaten sich abwechselungsweise bei Speck, Brod, Branntwein und bei einem Pfeifchen Tabak gütlich. Die Gewehre, welche sie bei sich trugen, versteckten sie während einer Rast immer in den nächstgelegenen Büschen.

„Die Kropfglocken“ – diesen Spitznamen führte damals mein Gewährsmann – besaß ein ziemlich gutes Fernrohr und schaute damit in der Richtung gegen die enge Schlucht des sogenannten Scharnitzthales und darüber hinweg bis gegen die oberen Häuser der Leutasch hinab. Manchmal kam es ihm wohl vor, als ob er einige verdächtige Gestalten hinter großen Steinen sich bewegen sähe. Er machte seine Genossen darauf aufmerksam, diese aber behaupteten, es sei eine Täuschung des Nebels, welcher in dunkeln Ballen über das feuchte Gestein hin- und herzog. Im Uebrigen fühlten sie sich ein paar Zollwächtern gegenüber durch ihre Bewaffnung und Zahl vollständig sicher. Ueber die steilen Schneehänge, die sie hüben wie drüben an- und abzusteigen hatten, ging es langsam, bedächtigen Schrittes, Schritt für Schritt hinüber, denn nichts wäre für sie verderblicher gewesen, als wenn sie eine Lawine, wie man im Gebirge sagt, „angetreten“ hätten.

Es wurde ihnen aber bald klar, daß Dasjenige, was sie hinter den Steinblöcken sich hatten bewegen sehen, keine schwanken Nebelschatten gewesen waren. Denn plötzlich krachte es hervor und „die Kropfglocken“ hatte zwei Schüsse im Leibe, den einen an der linken Hand, den andern am linken Fuße. Doch fühlte er sofort, daß kein Knochen zerschmettert war. Auch ein anderer Genosse, der „Duxer Neuner“, blutete stark.

Doch derlei Abenteuer waren nichts Ungewöhnliches und das Benehmen der Schmuggler in einem solchen Falle vorgesehen. Sie liefen langsam in der nämlichen Reihenfolge, in welcher sie vorwärts geschritten waren, zurück, so daß der Vorderste der Letzte und der Hinterste der Erste wurde. Die beiden Verwundeten nahmen sie in die Mitte und führten sie so weit, bis sie außer Tragweite der vorhin abgeschossenen Gewehre waren. Dann erst wurden die Wunden untersucht, während sich Zwei mit Gewehren hinter einigen Steinblöcken aufstellten, um die etwa herannahenden Zollwächter abzuhalten. Die Wunden erwiesen sich als Streifschüsse und ziemlich ungefährlich. Sie wurden, so gut es ging, verbunden, dann aber Rath gehalten, was im Angesichte der drohenden Gefahr zu thun sei. – Die Schmuggler waren darin einig, daß sie verrathen worden seien und zwar von ihrem eigenen Zuträger. Sie erinnerten sich, daß sie ihm den Botenlohn von dem letzten Gange her schuldig geblieben seien. Der Mann versuchte deshalb sein Glück mit den Zollwächtern. Nach der Anzahl der Schüsse, welche auf sie abgefeuert worden waren, schien es, als ob die Zollwächter ihnen um das Doppelte überlegen seien. Es konnte also von einem weiteren Fortschreiten auf diesem Wege nicht mehr die Rede sein. Denn die Verwundeten waren nicht mehr kampffähig, und so geschwächt konnten sie dem Trupp der Zöllner nicht gegenübertreten.

Nach ihrer Berechnung konnten die Feinde, welche vom gegenüberliegenden Hange aus geschossen hatten, unter zwei Stunden nicht zur Stelle sein. Es wurde deshalb zwischen zwei Felsen unter vielen Schwierigkeiten ein Feuer angemacht. Die Verwundeten hatten einen Anfall von Schüttelfrost; sie hatten auch seit langer Zeit nichts Warmes mehr genossen, und einige Pflege war deshalb unumgänglich nothwendig.

Mittlerweile wurde es dunkel, und die ausgestellte Wache meldete durch den nachgeahmten Schrei eines Raben, daß die Verfolger herannahten. Obwohl es schon dunkel war, bemerkten die Schmuggler doch, daß jene ihre Körper nicht einem möglichen Feuer aussetzten, sondern fortwährend springend hinter den Blöcken Deckung suchten.

Die Schmuggler hätten indessen, auch wenn sie sich frei gezeigt hätten, schwerlich auf sie geschossen. Es war überhaupt nicht ihre Art, durch unnützes Blutvergießen Verfolgungen im größten Maßstabe auf sich zu ziehen. Als ihnen überdies nach einer weiteren Viertelstunde von ihrer Wache gemeldet wurde, [96] daß die Zollwächter nicht mehr vorrückten, so vermutheten sie, daß jene am Ende ihres Muthes angelangt und gesonnen seien, für jetzt in gedeckter Stellung zu verbleiben.

Nach langer Berathung beschlossen sie, ihren Weg nunmehr auf der entgegengesetzten Seite fortzusetzen. Er war zwar um ein Beträchtliches weiter, auch mußte er durch tiefen Schnee gebahnt werden, aber es blieb ihnen in der That nichts Anderes übrig, wenn sie nicht die theuren Waaren und die Verwundeten zurücklassen wollten. Aber selbst wenn sie den schwierigen Gang auf den Schneefeldern versuchten, befanden sie sich deshalb doch nicht außerhalb der Gefahr feindlicher Kugeln, denn es war nicht so dunkel, daß sich die schwarzen Gestalten nicht deutlich von der weißen Fläche abgehoben haben würden. Um das zu vermeiden, zog Jeder aus der Umhüllung, in der die Seidenwaaren staken, ein großes Leinentuch und schlug es sich in der Art eines Plaids um den Leib. So waren sie Alle weiß eingehüllt und konnten vom Schnee nur schwer unterschieden werden. Ehe sie den Marsch antraten, wurde dem Feuer noch eine Menge Nahrung zugeschleppt, damit die Grünröcke glauben sollten, sie blieben hier über Nacht und bereiteten ihnen einen Hinterhalt.

Zu einem Kampfe hätten es die Verwegenen nicht mehr kommen lassen dürfen; denn abgesehen von der Noth, die sie mit den Verwundeten hatten, waren bei dem Schneewaten Munition und Gewehre naß und unbrauchbar geworden. Die Flucht gelang ihnen, obwohl sie oft mit Sack und Pack tief in den Schnee hineinstürzten und dadurch naß und starr wurden. Auch ging ihnen auf diesem Wege mancher nothwendige Gegenstand verloren.

Endlich erreichten sie einen Thalboden und luden in einem alten Bergmannsstollen den Inhalt ihrer Bündel ab. Obwohl rings herum Schnee lag, hatten sie doch von einem Auffinden dieses Stollens durch unberufene Lauscher nichts zu fürchten. Man konnte ihre Spuren deshalb nicht entdecken, weil aus dem Stollen ein Wässerlein herausfloß, das niemals zufror, ringsherum auf mehrere Hand breit den Schnee wegleckte, keine verrätherische Kruste trug und also die Schritte Derjenigen, die in ihm selbst auf- und abwärtsgingen, Niemanden verrieth.

Aber auch den Fall angenommen, es wäre ein Unkundiger in den finsteren Schacht hineingerathen, so wäre er ohne Zweifel ertrunken oder über einen Absturz im Innern hinabgefallen. Der Stollen zieht sich nämlich zuerst eben und wagrecht in den Berg hinein, endet aber an einem sehr tiefen und breiten Schacht, der ganz und gar mit Wasser ausgefüllt ist. Wer hier nicht Bescheid weiß, kann unmöglich darüber hinwegkommen. Seitwärts an der Felsenwand liegt etwa zwei Fuß unter dem Wasser versteckt ein an Ketten wohl befestigter Baumstamm. Der Uneingeweihte sieht ihn nicht, wer ihn aber kennt, der vermag ganz gut auf ihm fortzuwaten.

Am anderen Ufer des Schachtes, welches einige Klafter weit entfernt ist, zieht sich der Stollen wieder weiter und zwar in eine sehr geräumige Höhle hinein. Diese Höhle ist vollkommen trocken, weil die aus dem Berg abtriefenden Wasser in dem Schacht ihr Bett gefunden haben. Die Höhle war also zum Aufbewahren der Päcke um so mehr geeignet, als das Weiterschaffen von da in gesicherte Unterkunftsörter als eine Kleinigkeit betrachtet werden konnte.

Noch Mancherlei wäre anzuführen von nächtlichen Schmuggelfahrten, die über den Eibsee hin veranstaltet wurden, von Kämpfen im Wald und in den hohen Felsklippen. Doch würde das Alles hier zu weit führen, und ich beschränke mich darauf, nach den Mittheilungen meines Gewährsmannes ein Bild von dem schließlichen Schicksale eines der Hauptunternehmer dieser Züge, nämlich des oben erwähnten sogenannten Duxer Neuner, zu entwerfen.

Da steht am Bergabhang ein altes Holzhaus inmitten von Feldern. Oberhalb der Zäune zieht sich ein ansehnlicher Wald, mit Felsblöcken untermischt, von Schluchten und Gräben durchzogen, hin. Es ist das eine Gegend wie gemacht für Rehe, Füchse, Hasen, Marder und – Wildschützen. Man hat von hier eine sehr hübsche Aussicht auf die hohen Kalkschrofen, aber auch die Staffage macht keinen unangenehmen Eindruck. Aus einem Felsenbrunnen sprudelte helles Wasser; zwei Kühe standen im Stalle; Schweine und Hühner trieben sich vor dem Hause herum. Dem Anscheine nach waltet hier ein glücklicher Hausstand. Die Thür ist verschlossen, aber die sichtbaren Fußtritte deuten darauf hin, daß der Bewohner oder letzte Besucher des Hauses bergauf in den Wald gegangen ist.

Nach dem Stand der Sonne muß es etwa vier Uhr Nachmittags, das heißt Melkzeit, sein. Wir werden deshalb im Schatten des blühenden Holunderbaumes nicht lange zu warten haben, bis irgend Jemand zur Bedienung des Viehes erscheint. In der That kommt hinter dem Feldsaum her ein Mann von mittlerem Alter geschritten. An der Thür angekommen, öffnet er dieselbe mit einem sogenannten Züngl und verschwindet im Hausgang. Bald darauf kehrt derselbe mit einem Melkseiher und einem mit Kleien gefüllten Geschirr zurück. Die Thiere werden gefüttert, gemolken; die schäumende Milch wird in’s Haus gebracht. Dieser Mann ist kein Anderer als der „Duxer Neuner“, der sich von seinem Geschäft zur Ruhe gesetzt und in diesem versteckten Winkel angesiedelt hat. Er ist aber unbeweibt geblieben, wie viele unserer Gebirgsbauern, die dennoch ihren eigenen Haushalt führen.

Bald darauf erscheint auf dieser Bühne ein Schicksalsgenosse, nämlich „die Kropfglocken“ in eigener Person. Welches die Beziehungen dieses Letzteren, der sich aus seinen Unternehmungen weniger erübrigt hat, zu dem klugen Ersteren waren, das werden wir sofort sehen.

„Neuner, ich möcht’ einen Hochwurzenen (Branntwein);“ sagt er zum alten Gefährten, der unter die Thür getreten ist. „Aber echt muß er sein, und das Gährfaßl darf nicht zu nah’ beim hinteren Thürl draußen (das heißt beim Brunnen) gestanden haben. Verstehst Du mich? Zahlen möcht’ ich ihn schon, zuerst aber verkosten.“

Der „Neuner“ begrüßte den Ankömmling freundlich und brachte bald ein großes mit Enzian-Branntwein gefülltes Glas. Aus diesem goß er in ein Kelchgläschen und reichte es ihm zum Versuchen.

„Doch geh’ herein!“ setzte er hinzu, „die Sonne ist heiß, und bei der Hitze könnte es leicht den Geist austreiben.“

Da ich den Leser nicht in die Dialekteigenthümlichkeiten der Leutascher einweihen kann, so berichte ich hochdeutsch und in indirecter Redeform über die stattgefundene Unterredung und ihre Folgen.

Der „Neuner“ sagte, es gehe ihm da heroben in seiner Einsamkeit recht gut. Wenn ihm die Zeit zu lang würde, ginge er in den Wald, machte Fallen, finge Füchse, Dachse, Marder und was ihm sonst unterkäme. Er hätte zwar auch ein Schießgewehr, doch das gebrauchte er nur im Nothfalle und ginge nicht gern damit aus. Denn beim Schießen würde man leicht entdeckt, und überdies hatte der Neuner mehrmals eine Ursache gehabt, sich vollständig ruhig zu verhalten und so wenig als möglich von sich sprechen zu machen, damit nicht alte Geschichten wieder aufgerührt würden. Doch löste der Einsiedler vom Wildpret so viel, als er von seiner kleinen Besitzung gewann, insbesondere vom Rauchwerk. Das trug er in’s Oberinnthal hinunter, wo er für diese Felle seine sicheren Abnehmer hatte. Damit aber, wenn er einmal in eine Untersuchung von Seiten der neugierigen Gerichte geriethe, seine Werkstätte nicht entdeckt werden sollte, so hatte er sich einen versteckten Ort für diese seine Thätigkeit ausgesucht. Dort wurde den eingefangenen Thieren die Haut abgezogen und dieselbe gedörrt. Diejenigen, welche verfrüht eingefangen wurden, räucherte er eben dort selbst, damit das Pelzwerk keinen Schaden nähme. Das Fleisch wurde von ihm in gesottenem, gebratenem oder geräuchertem Zustande gegessen. An ein Auffinden dieses Versteckes durch Späher war nach des Neuner Behauptung in keiner Weise zu denken.

„Die Kropfglocken“ wurde, wie man begreift, sehr neugierig und bat den Genossen, ihm diese absonderliche Oertlichkeit zu zeigen. Der aber wollte davon durchaus nichts wissen. Er würde, sagte er, keine ruhige Stunde mehr haben, wenn er wüßte, daß noch ein Anderer sein Geheimniß kenne, und überdies habe er gelobt, niemals irgend Jemanden in dieser Beziehung zu seinem Vertrauten zu machen.

„Die Kropfglocken“ aber antwortete ungefähr so: „Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, so finde ich es. Und ich entdecke zuversichtlich diese Gegend, wenn nicht im heurigen Jahre, so im nächsten.“

Der Neuner wußte zwar aus ihren gemeinschaftlichen Schmugglerabenteuern, daß seinem Genossen ein sehr feiner Spürsinn [97] zugemuthet werden könne, aber in Anbetracht der Verstecktheit seiner Werkstätte und Vorrathskammer fühlte er sich so sicher, daß er unbedenklich auf eine von diesem vorgeschlagene Wette, bei welcher es sich um den Werth einer Kuh handelte, einging. Zum Schlusse dieses Besuches zeigte er seinem Gaste die verschiedenen Räumlichkeiten des Hauses, gleichsam, als wollte er ihm andeuten, daß er hier nichts zu suchen habe, und ihm so die Arbeit des Nachspürens abkürzen.

Trotz vielen Suchens fand „die Kropfglocken“, dem das Auffinden des Versteckes so zu sagen eine Ehrensache geworden war, in der Umgebung nichts, als einen engausgetretenen Fußsteig im Schwarzbeeren- und Alpenrosengestrüpp, der aber kreuz und quer im Walde und zwischen den Felsblöcken herumführte und an dem weder Anfang noch Ende zu erkennen war. Der alte Schmuggler beschloß deshalb, den ersten Schnee abzuwarten, um auf Fußspuren zu kommen. Als im Spätherbste die Gegend weiß geworden war, ging er wieder in den Wald und fand Fährten in allen Richtungen, die sich an vielen Stellen kreuzten und aus denen er ebensowenig klug zu werden vermochte, wie aus dem Fußpfad im Sommer. Schon gab er die Wette für verloren, als er bemerkte, daß gegen einen Punkt hin die Fährten hin und wieder zurückgingen. Es war dies allerdings an mehreren Stellen wahrzunehmen, doch erschienen hier die Spuren häufiger als sonstwo und viel mehr ausgetreten. Eine Fährte führte zu einem alten Baumstamm hin, den wahrscheinlich einmal der Blitz getroffen hatte, denn er war seines Wipfels beraubt und mehrere Aeste, die von ihm abstanden, waren halb verkohlt. Vor diesem Baum, in der Entfernung weniger Klafter, zog sich eine niedrige Felswand hin. Es waren Spuren menschlicher Füße auch zwischen dem Baum und dem Felsen zu sehen. Am Felsen entdeckte „die Kropfglocken“ allerdings ein kleines Bett aus Moos, dieses konnte aber selbstverständlich nur im Sommer benutzt werden. Ueberdies waren die Spuren zwischen Fels und Baum viel weniger ausgetreten. Was konnte auch ein Mensch im Winter an dieser Wand zu schaffen haben?

Der Baum zeigte bei näherer Besichtigung einige dicke, dürre Stümpfe von abgebrochenen Aesten. Auf diesen kletterte der Schmuggler empor und entdeckte nun, daß der Stamm, der mehr als eine Klafter im Durchmesser hatte, inwendig ausgehöhlt und oben mit einem Brette verschlossen sei. Bei diesem Anblicke wurde er der Ueberzeugung, daß er vor der Lösung des Räthsels stehe.

Er drückte an dem Brette, welches den Deckel der Baumhöhlung vorstellte, herum. Plötzlich neigte sich derselbe senkrecht um seine aus einem durchgesteckten Stücke Holz bestehende Achse. Hinabschauend sah er sofort eine Leiter, die im Innern des Baumes befestigt war. So sehr ihn diese Entdeckung freute, so wenig getraute er sich, sie sogleich zu verfolgen. Er spähte vorsichtig umher, ob ihn Niemand gesehen habe, und beschloß, die Untersuchung auf die Nacht zu verschieben. Denn er fürchtete, daß „Neuner“, wenn er ihn hier überraschen würde, von seiner Leidenschaftlichkeit so weit hingerissen werden könne, daß er im Stande wäre, sich an dem Eindringling zu vergreifen.

Als es dunkel geworden war, verfügte er sich mit einer Laterne zu dem Baume. Auch hatte er eine Waffe mitgenommen, um sich gegen „Neuner“ vertheidigen zu können, falls dieser ihn ertappen und angreifen sollte. Er öffnete das Brett, stieg auf der Leiter hinab und erreichte, auf dem Erdboden angekommen, einen Schlüpfgang, der so eng war, daß sich ein Mensch mit Mühe durch ihn hinabwinden konnte. Zwei oder drei Klafter tiefer aber wurde er breiter und führte, nunmehr in Felsen ausgehauen, um die Felswand herum. Nachdem er, auf- und absteigend, einige Krümmungen zurückgelegt hatte, mündete er in eine Höhle, deren Anblick vollständig dem eines Zerwirkgewölbes glich. Da hingen Rehe, Hasen, Füchse, Fleischstücke, Keulen in einem vom Räuchern ganz und gar geschwärzten Raume. Aber auch Schmelztiegel, Schlacken, Geschirre, Bleierze, wie man sie an vielen Stellen im Wettersteingebirge findet, lagen herum. In der Mitte stand ein Windofen, zum Schmelzen eingerichtet.

„Die Kropfglocken“ wollte nunmehr auch entdecken, wohin der Rauch aus diesem Laboratorium abgeleitet werde und wo Gang und Höhlung endigten.

Was die letzte Frage anbelangt, so war sie bald entschieden. Es gab keine Fortsetzung mehr. Der Rauch aber schien durch zerklüftetes Felsgestein seinen Ausweg zu finden. Denn als der Schmuggler sich eine Pfeife ansteckte, merkte er an dem Luftzuge, der den Tabaksqualm nach einer gewissen Richtung trieb, daß sich irgendwo Oeffnungen befinden mußten.

„Die Kropfglocken“ führte sich eine geselchte Rehkeule zu Gemüthe und übernachtete auf Moos in seines Freundes Speisekammer. Als er diesem am nächsten Tage den Verlust seiner Wette ankündigte, war der „Neuner“ anfänglich sehr bestürzt. Bald aber faßte er die Sache von der vernünftigeren Seite auf und machte seinem alten Gefährten den Vorschlag, zu ihm zu ziehen und fortan das Geschäft gemeinschaftlich mit ihm zu betreiben.

So geschah es auch. Beide „arbeiteten“ fort bis zu „Neuner’s“ Tode. Dann setzten Alter und andere Verhältnisse dem Betrieb ein Ende. Das Häuschen wurde verkauft und von der romantischen Sippe sind nur der alte Knabe und die Erinnerung übrig geblieben.

Heinrich Noé.