Ein deutscher Sonntag im brasilianischen Urwald

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Textdaten
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Autor: H. Robert
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Titel: Ein deutscher Sonntag im brasilianischen Urwald
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 512
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[512] Ein deutscher Sonntag im brasilianischen Urwald. Auf einer längeren beschwerlichen Expedition im Innern der Provinz Matto-Grosso hörte ich von einigen uns begegnenden Eingeborenen, daß wir uns einer kleinen deutschen Colonie näherten, was mir um so angenehmer war, als ich schon seit Monden die süßen Klänge der heimathlichen Sprache entbehrt hatte. Wir beschleunigten nun unsern Marsch so sehr, wie es eben die schlechten Wege durch die Wälder erlaubten, und langten endlich am dritten Tage (einem Sonntage) am ersehnten Ziele an. Zu unsern Füßen dehnte sich ein schönes fruchtbares, in voller Blüthe stehendes Thal aus, in dessen Mitte ungefähr sechs bis zehn nach den hiesigen Verhältnissen erbaute Häuschen standen, die von kleinen Gärtchen und Feldern umgeben waren. Ein klarer Bach, der das Thal durchrieselte, gab dem Ganzen einen noch anmuthigeren Anblick. Papageien und andere Vögel der Tropen schaukelten sich auf den leise im Winde wehenden Palmen oder flogen schreiend dem Walde zu. Sonst war Alles still, und tiefer Friede schien über diesem schönen Stückchen Erde zu herrschen.

Ich zügelte mein treues Thier und hielt einige Augenblicke, in den freundlichen Anblick versunken, still. Da trat ein anderes Thal, weit, weit über dem Meere, ein anderes Dörfchen in den Bergen des lieben Schlesierlandes vor mein inneres Auge. Jetzt eben mochten die Glocken des Gotteshauses zur Andacht rufen, die Bewohner dem Kirchlein zuströmen. Ich wurde aus meinen Gedanken aufgeschreckt. Plötzlich schallten aus dem Thale, zuerst leise, dann immer voller und voller anschwellend, wie von unsichtbaren Stimmen gesungen, die Töne des schönen Gerhardt’schen Chorals „Befiehl Du Deine Wege“ zu uns herauf. Welchen Eindruck dieser einfache deutsche Gesang hier mitten im Urwalde, viele hundert Meilen von der Heimath, auf mich machte, kann ich nicht beschreiben.

Lange hätte ich gelauscht, wäre nicht mein Thier ungeduldig geworden. Ich zerdrückte eine verstohlene Thräne und gab Befehl, den Ansiedelungen zuzureiten. Bald hatten wir dieselben erreicht, doch gewahrten wir immer noch keinen Menschen. Da der Gesang von jenseits der Häuser zu kommen schien, stieg ich vom Pferde, hieß meine Begleiter warten und schritt, durch die Sträucher der Gärten gedeckt, der anderen Seite zu. Doch wie wurde ich da überrascht! Im Schatten einer dichten Gruppe Bäume saßen und standen ungefähr dreißig bis vierzig Männer und Frauen, während eine Anzahl Kinder fröhlich im Sande mit bunten Blumen und Steinen spielte. – Der Choral war nun beendet und Alles lauschte dem Vortrage eines freundlichen alten Mannes, der auf etwas erhöhtem Standpunkte in einer Laube saß. Ich wurde von den milden, erbaulichen Worten des Alten über den Vers David’s „Und ob ich schon wanderte im finstern Thal“ tief ergriffen. Nachdem er das Amen gesprochen, las er noch einige vor ihm liegende Blätter vor (wie ich später erfuhr, waren es die Uhlich’schen Sonntagsblätter), worauf wiederum ein Choral folgte. Bis jetzt war ich noch unbemerkt geblieben, da verrieth mich aber das Klirren der Sporen, und Alles eilte nun auf mich zu, mich zu bewillkommnen. Die Freude wurde noch größer, als ich meine Heimath nannte, und wie im Triumph ward ich in das Haus des Alten geführt, während meine Begleiter anderweitig untergebracht wurden. Das Stübchen, in welchem ich mich nun befand, war so traulich und mit so vielen Erinnerungen aus Deutschland geschmückt, daß ich mich wirklich in die Heimath versetzt glaubte. Mein Gastgeber erzählte mir unter Anderm auch seine Lebensgeschichte. Als ehemaliger Rector in einer Stadt Thüringens war er wegen seiner freisinnigen Ansichten öfters bekämpft worden und später hatte er sogar aus ähnlichem Grunde seinen Abschied erhalten. Zufälliger Weise erbte er in jener Zeit etwas Vermögen und beschloß, mit seiner zahlreichen Familie und einigen Verwandten und Bekannten nach Brasilien auszuwandern. Das Glück war ihm günstig gewesen. Hier, fern von der Welt, in einer schönen Gegend, in der Mitte seiner Lieben, konnte er frei und nach seiner Weise seinen Schöpfer bekennen und predigen. Sein einziger Sohn war in Deutschland zurückgeblieben und versorgte ihn mit Nachrichten aus der Heimath; ebenso sandte er die Uhlich’schen Sonntagsblätter, die stets mit großer Freude begrüßt wurden.

Es war ein ordentlicher Festtag für die kleine Colonie. Ich blieb noch bis zum Morgen des andern Tages bei den lieben Leuten und schied dann in der Hoffnung auf Wiedersehn in Villabella.H. Robert.