Ein deutsches Kaiser- und Dichterheim

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Textdaten
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Autor: Rudolf Scipio
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Titel: Ein deutsches Kaiser- und Dichterheim
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 720–722
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[720]
Ein deutsches Kaiser- und Dichterheim.


Bei Aachen an der Kaiserstadt,
Da liegt ein grüner See –[1]

traumhafte Stille ruht über seinen dunkeln Wassern, deren glatter, von dichtem Eichen- und Buchengezweige umrahmter Spiegel von keinem Windhauche bewegt wird. Nur das Schilf nickt und flüstert leise, als ob es drunten mit den Wasserrosen geheime Zwiesprache führen wollte, die weithin leuchtend aus dem See emporlugen, auf dessen dunkelm Grunde, wie die Sage erzählt, der Zauberring Fastradens, der schönen Kaiserin, seit einem Jahrtausend in den Fluthen ruht.

Ueber dem See, aus hohen, dichtbelaubten Wipfeln erhebt sich das graue, von Epheu umsponnene Gemäuer eines alten Schlosses, die Burg Frankenberg, einst der Lieblingssitz Karl’s des Großen, der, von dem Zauber jenes Ringes hier gebannt, hinter diesen Mauern um sein verlorenes Liebesglück trauerte.

Schenkendorf, der längere Zeit hier lebte und in jenem [721] grauen Thurme seine Wohnung aufgeschlagen hatte, singt von der alten Burg:

„Ich zieh’ in euch, ihr Mauern,
Mit Wehmuth und mit Lust:
O Vorzeit, reich an Schauern,
Du ziehst in meine Brust.

Ihr Wände habt belauschet
Des alten Kaisers Glück,
Vom Saitenklang durchrauschet,
Erhellt vom Sonnenblick.“

Von der Romantik der Sage umwoben und in manchem Liede verherrlicht, schaut die alte Burg als ein Zeuge aus längst vergangener Zeit zu uns herüber. Die an sie und den dunkeln

Burg Frankenberg bei Aachen.
Nach einer Skizze von Rudolf Scipio.

stillen See sich knüpfende Sage ist eine überaus sinnige und ansprechende. Die schöne Fastrade, Karl’s des Großen inniggeliebtes Ehegemahl, war ihm durch den Tod entrissen; doch der Kaiser vermochte sich nicht an den Gedanken seines unersetzlichen Verlustes zu gewöhnen. Er glaubte noch immer, daß Fastrade zum Leben erwachen und in seine Arme zurückkehren werde,

„– – und herzt und küßt das bleiche Bild,
Als wär’s noch rosenroth.“

Erzbischof Turpin, der Freund und vertraute Rath des Helden, sann vergebens nach, wie er den Kaiser von der traurigen Wahrheit überzeugen könne, daß die schöne Fastrade nie wieder die hellen Augen aufschlagen werde. Endlich zeigte ihm ein Traumbild in dem Haarschmucke der todten Herrin den Ring, von dem jener Zauber, der den Kaiser bestrickt hatte, ausging. Kaum hatte der Erzbischof am andern Tage das Kleinod aus Fastradens Haar entfernt, als Karl’s Augen sich öffneten und dieser nun in wilden Schmerz um den Tod der Geliebten ausbrach. In Gold und Purpur gekleidet, wurde Fastrade in der Kaisergruft beigesetzt, und von Stund’ an wandte Karl seine ganze Anhänglichkeit und Liebe dem im Besitze des Ringes befindlichen Freunde zu, bis dieser, um den Zauber, den er für gottlos hielt, zu brechen, das Kleinod in den dunkeln See warf.

„Und was ihn so gekränket,
Was ihm sein Herz bezwang,
Hier liegt’s im See versenket
Schon tausend Jahre lang.“

Doch auch in der Tiefe des See’s hatte das Kleinod seine Zaubermacht über den Kaiser noch nicht verloren. Karl zog fortan die Burg Frankenberg allen seinen anderen Schlössern vor. Hier in der durch Nichts gestörten Stille, fern von dem Getriebe der Welt, saß er Tage lang an den einsamen Ufern des Sees und blickte, vergangener Zeiten und seines verlorenen Glückes gedenkend, hinab in die dunkle Fluth.

Schenkendorf singt, an die Sage anknüpfend:

„Hier hat der Held gesessen,
Als ihm sein Lieb entschlief,
Die Lust war ungemessen,
Das Leid war gar zu tief.

D’rum ist der See so trübe,
Mit Laub und Schilf bedeckt,
Weil ihren Gram die Liebe
Gern aller Welt versteckt.“

[722] Der große Frankenheld, dessen Erzbild heute den Platz vor dem alten Rathhause zu Aachen schmückt, schlummert nun auch in der alten Kaisergruft, im Tode mit seiner geliebten Fastrade auf’s Neue vereint. Der Zauberring der schönen Kaiserin aber bewährt noch heute, nach mehr als tausend Jahren seine alte Kraft: Wie einst der alte Kaiser, so möchte man auch noch heute unter den schattigen Bäumen an dem See ruhen, wo sich so schön träumen läßt, und in die Fluthen hinabschauen, in denen das Kleinod versenkt ist, während die rauschenden Bäume und das flüsternde Schilf und die nickenden Wasserrosen uns alte Geschichten aus ferner Zeit erzählen.

Doch nicht allzu lange mehr wird es dauern, und der Zauber wird gebrochen sein. Die frische, duftende Wiese, der rauschende, schattige Wald, der stille, geheimnißvolle See und die alte Kaiserburg darin, sie werden, wie so manches andere Stück alter Romantik dem zerstörenden Geiste der Zeit erliegen. „Wohnungsnoth“ heißt das arge Zauberwort, welches hier einem tausendjährigen Heiligthume mit Vernichtung droht. Schon hat eine Actiengesellschaft dieses schöne Fleckchen Erde angekauft, um ein neues Stadtviertel darauf zu errichten. Noch wenige Jahre und wo heute der Fuß des Wanderers über den weichen Wiesenteppich oder unter schattigen Bäumen dahin schreitet, wird eine von abgetriebenen Pferden gezogene Droschke über das Straßenpflaster rumpeln. In der Fluth, die den Zauberring birgt, wird man dann vielleicht die Wäsche reinigen, während die alte Kaiserburg längst zu einer Restauration umgewandelt worden ist, wenn man sie nicht bis dahin etwa ganz abgebrochen und ihre Steine zu einem Neubau benutzt haben wird.

„So ist die Welt. Das schöne, würd’ge Alte,
Es stürzt im Lauf der flücht’gen Zeit
Und die Cultur, die rechnende, die kalte,
Baut rastlos fort auf der Vergangenheit.“

Rudolf Scipio.

  1. Wilhelm Müller, „Die Burg Frankenberg“.