Ein echt deutsches Baudenkmal deutscher Bruderliebe
Ein echt deutsches Baudenkmal deutscher Bruderliebe.
In einer der lieblichsten Gegenden des an malerischen Schönheiten so reichen Maingrundes, der sich von Bamberg bis Schweinfurt erstreckt, auf einer sanften Anhöhe, hart am rechten Ufer des Mains malerisch hingegossen, liegt das hübsche Städtchen Haßfurt, südlich von den waldigen Bergen des Steigers, an seiner Nordseite von der Eisenbahn begrenzt, die von Lohr am Fuße des Spessart bis über Kulmbach an dem Fuße des Fichtelgebirges den Krümmungen des Flusses folgt.
Dem aus dem Stationshause tretenden Reisenden fällt eben so scharf, wie dem Fahrer auf dem Mainschiff, ein in nächster Nähe der Stadt, auf dem Rücken der Anhöhe, dicht am östlichen Ende der Stadt stolz emporragender Kirchenbau mit einem zu demselben in gar keinem Verhältniß stehenden Thürmchen in’s Auge. Der hintere (östliche) Theil des alten Gotteshauses ist mit Baugerüsten bis zum steilen Dache umgürtet, auf welchen sich rüstige Steinmetzen munter bewegen. Unter ihren Händen verjüngen sich Pfeiler und
[757]Wände, quillt die prächtige symbolische Ornamentik des deutschen Baustyls aus dem feinkörnigen Sandstein an den neubekleideten Pfeilern hervor, wölbt sich der neue Spitzbogen, glühen alle Wappenschilde in einem wunderbaren Wappenfries in neuen frischen Farben auf. Der Wandrer wird unwillkürlich in die nächste Nähe der Kirche gezogen und sieht den sie umgebenden Platz mit Sandsteinblöcken bedeckt, die eben vom Meister des Steinmetzen zu sinniger Kunstform des deutschen Kirchenbaustyls verarbeitet werden; er überzeugt sich, daß man fleißig dran und drauf ist, den alten herrlichen Kirchenbau in würdiger Weise zu erneuern. Mitten unter den Arbeitern fällt ihm ein Greis mit bedeutsamer Gesichtsbildung und langen weißen Locken auf, von dem sie Befehle [758] annehmen, und dessen scharfes Auge forschend und prüfend ihre Leistungen überfliegt. Unverkennbar ist er der Baumeister.
Ehe wir von dem Allen Namen und Erklärung geben, schreiten wir durch die Straßen der freundlichen heitern Stadt, die nichts von der engen, winkligen Art alter deutscher Kleinstädte an sich hat, besehen uns die zweithürmige ansehnliche Stadtkirche aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts, das freigelegene alte Rathhaus auf dem Markte und bleiben endlich vor der baulichen Perle der Sladt, der Marien- oder Ritterkapelle stehen, jener oben erwähnten im Erneuerungsbau begriffenen Kirche, deren östlicher Theil, namentlich der Chor, einen wahrhaft erhebenden, den Schönheitssinn in jeder Weise entzückenden Anblick gewährt.
Dieses glänzende Denkmal deutscher Kirchenbaukunst, das seines Gleichen weit und breit nicht findet, wird durch einen Umstand zum einzigen in seiner Art und zu einer kulturhistorischen Wichtigkeit gesteigert, welche die Augen des ganzen deutschen Vaterlandes darauf lenken muß. Dieser Umstand besteht in einer dreifachen, dicht unter einander hinlaufenden Wappenreihe am Frieß, an der Außenseite des herrlichen Chors; im obersten Theile drängt sich eng Wappen an Wappen, wie Blume an Blume in einem Kranze, die beiden untern zeigen die Wappen vereinzelter, so daß dieses Schlußgesims, über welchem die Gallerie läuft, wirklich einen prächtigen Kranz bildet, einen symbolischen Gürtel deutscher ritterlicher Pietät, wie ihm kein zweiter an die Seite gestellt werden kann. Außerdem sind an den Pfeilern noch verschiedene Wappen von Engeln gehalten und noch andere im Innern der Kirche am Gewölbe in Stein gehauen zu sehen, so daß die Gesammtzahl der Wappen die überraschende Summe von 248 erreicht.
Setzen die reinen tadellosen Verhältnisse des Baues, der leichte gefällige Schwung der spitzbogigen Wölbung und die echt deutsche Ornamentik das Auge des Beschauers in ästhetisch befriedigte Bewunderung, so ruft der kostbare Wappenfrieß ein gerechtes Erstaunen in ihm wach. Ist ihm die regelmäßige Gestalt der Stadt ein Räthsel, so ist der Chor der Ritterkapelle ein doppeltes. Das erste wird erklärt, wenn man erfährt, daß im dreißigjährigen Kriege die Stadt mit allen entsetzlichen Gräueln des Mordes und Brandes heimgesucht wurde, so daß der Neubau derselben nach regelrechtem Plane ausgeführt werden konnte. Für das Doppelräthsel der Ritterkapelle gab es bis jetzt keine Lösung. Daß der Bau des Chors in die erste Hälfte des fünfzehnten, ja wohl noch in das vierzehnte Jahrhundert fallen möchte, darüber waren die Kenner der deutschen Baukunst einig, daß aber keine Inschrift, kein Document, keine Chronik auch nur die leiseste Kunde von der Veranlassung und Bedeutung dieses hochwichtigen Baues gibt, mußte um so mehr auffallen, als diese Veranlassung nothwendigerweise keine gewöhnliche, alltägliche und willkürliche sein konnte. Nur ein ganz besonderes, hochwichtiges und bedeutungsvolles Ereigniß mußte es gewesen sein, welches dieses ausgezeichnet schöne Denkmal in’s Leben gerufen, und ganz unmöglich ist es, daß nur zufälliges Belieben oder eine gewöhnliche Adelsverbrüderung fast dritthalbhundert der edelsten deutschen Geschlechter zum Bau dieses künstlerisch so hoch stehenden Gotteshauses zu Ehren der Muttergottes vereinigt hätte, die es dem Zwecke angemessen fanden, ihre Wappen zunächst an der Außenseite des Baus in Stein bilden zu lassen. Denn das ist von stark zu betonender charakteristischer Wichtigkeit, daß der reiche dreifache Wappengürtel um die Außenseite der Kirche sich schlingt, indem gewöhnliche Adelsverbrüderungen des Mittelalters ihre Wappen nur in den Kirchen aufzuhängen pflegten, wie denn auch hier, wie bereits erwähnt, eine Anzahl Wappen sich wirklich in der Kirche am Chorgewölbe in Stein gehauen befinden. Wenn man nun auch annehmen wollte, daß die auf den Chorbau bezüglichen Documente im Kirchenarchiv im Bauernkriege, an welchem sich Haßfurt auf Seite der aufrührerischen Bauern betheiligte und dafür schwer büßen mußte, oder noch früher in einer Fehde, die es in Gemeinschaft mit zehn andern würzburgischen Städten zu Anfang des Jahres 1400 um ihre Freiheiten gegen den Bischof Gerhard von Schwarzburg führte und verlor, vernichtet worden seien: so ist damit noch nicht erklärt, daß kein Chronist des Chorbaus erwähnt und keine Inschrift daran Bauherrn und Veranlassung des Baues nennt, da doch eine solche an dem unwichtigen Langhause gefunden wird, welche besagt, daß dieser Theil der Kirche im Jahre 1438 vom Bischof Johann von Bronn vollendet worden ist. Daß der Chorbau ein Denkmal deutscher Einigkeit und Brüderlichkeit sei, das predigt der dreifache Wappenkranz zu deutlich, als daß es je hätte bezweifelt werden können; welches geschichtlich großartige Ereigniß rief aber diesen großartigen Eintrachtsbund und die Errichtung seines großartigen Denkmals hervor? Wenn Schriften schweigen, müssen Steine reden.
Es fragt sich zuerst: läßt sich aus der baulichen Construction und der Ornamentik des Chors, so wie aus den Wappen bestimmen, welcher Zeit der Bau angehört? Wenn dies möglich ist, so vermögen nur drei Disciplinen im engsten Bunde genügend zu antworten und Licht auf das schöne mittelalterliche Räthsel zu werfen: die tiefste und genaueste Kenntniß des deutschen (gothischen) Kirchenbaustyls und seiner künstlerischen Entwickelung von Jahrhundert zu Jahrhundert, ja eigentlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt; sodann eine nicht minder tief greifende Beherrschung des großen und weitläufigen Feldes der Heraldik und der Specialgeschichte des deutschen Adels im Mittelalter, um die Wappen am Chorfrieß genau zu bestimmen; endlich eine gute Kenntniß der politischen und Kirchengeschichke des deutschen Reichs jener Zeit.
Zunächst ist ins Auge zu fassen: gehören die Wappen am Frieß blos fränkischen Adelsgeschlechtern an, oder befinden sich auch Geschlechtsabzeichen andrer deutscher Adelshäuser darunter? Im erstern Falle wäre die Erbauung des Chors der marianischen Ritterkapelle eine speciell fränkische Angelegenheit gewesen und dürfte für das Gesammtvaterland schwerlich große und allgemeine Bedeutung gehabt haben; im andern Falle wachsen die Dimensionen der Bedeutung zu riesiger Größe, und der Bau wird zu monumental großartiger, allgemein deutscher patriotischer Wichtigkeit. Gelingt es nun dem tiefen Kenner der deutschen Kirchenbaukunst und seiner artistisch-historischen Entwickelung, aus der baulichen Construction und der Ornamentik des Chors zu bestimmen, daß dieser Bau durchaus nur in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtet sein könne; gelingt es ferner dem gelehrten Kenner der Heraldik nachzuweisen, daß die Wappen an und in der Kirche außer denen fränkischer auch solche andrer deutscher Adelsgeschlechter aus allen Theilen des großen Vaterlandes enthalten, und daß alle Wappen nur Geschlechtern angehören, welche in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts blüheten: so erwächst die dritte Frage: fällt in diesen kurzen Zeitraum ein so allgemein hochwichtiges politisches Ereigniß, ganz besonders würdig geeignet und auffordernd, ihm ein so schönes großartiges und bedeutungsvolles Denkmal deutscher Eintracht und Bruderliebe zu errichten, und zwar von einem so großen Vereine bedeutender Adelsgeschlechter? Mit andern Worten: geschah in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine That deutscher Eintracht und Bruderliebe, die das Gemüth des gesammten deutschen Adels, als des Trägers der damaligen Geistesbildung, so mächtig ergriff, daß er sich in seinen Sommitäten zur Erbauung eines so herrlichen Denkmals dieser patriotischen Liebesthat ebenfalls in christlicher Liebe und Brüderlichkeit vereinigte?
Können diese Fragen befriedigend beantwortet werden, so bleibt immer noch die Lösung des Räthsels offen: wie war es möglich, daß eines so großartigen Denkmals, einer so großartigen Liebesthat, an dessen Errichtung sich die Gesammtblüthe der Gesittung der Nation betheiligte, nirgend Erwähnung geschieht? Würde es gelingen, auch auf diese Frage befriedigende Antwort zu geben, so erhöbe sich die Ritterkapelle zu Haßfurt zu einem so herrlichen allgemein deutschen Denkmal und strahlte nun fünf Jahrhunderte in so erhabener patriotischer Bedeutung, daß es unsre, der Jetztlebenden, heilige Pflicht wäre, dieses Denkmal würdig vollendet der großen deutschen Zukunft als Erinnerungszeichen an Einigkeit, Brüderlichkeit und Liebesthat der Väter und unser selbst zu übergeben.
Schon ehe es einem edlen deutschen Manne und hochberühmten echt deutschen Baukünstler gelang, die oben aufgeworfenen Fragen zur Freude aller deutschen Patrioten befriedigend zu lösen, genügte die weniger umfangreiche Anschauung der marianischen Ritterkapelle als einer Votivkirche des mittelalterlichen deutschen Adels, den hochsinnigen König von Baiern und begüterte Adelige für die nothwendig gewordene Restauration der Kirche zu gewinnen und zu Anfang dieses Jahres einen „Verein deutscher Adeligen zur Wiederherstellung der Ritterkapelle in Haßfurt“ ins Leben zu rufen, dessen Vereinsausschuß in Würzburg seinen Sitz hat, und dessen Thätigkeit bereits von erfreulichen Erfolgen gekrönt worden ist.
Der Zweck dieses Vereins ist, „die Ritterkapelle in Haßfurt, und zwar zunächst den Chor derselben, als ein ehrwürdiges, in seiner Art einziges Denkmal der Vorzeit, in seiner ursprünglichen [759] Schönheit herzustellen und dasselbe neuverjüngt der Nachwelt zu überliefern.“
Kehren wir behufs dieser letzten und wichtigsten Erörterung zu der Liebfrauenkirche (diesen Namen führt die Ritterkapelle im Volksmunde) zurück, und machen wir nun die Bekanntschaft des greisen Baumeisters, dessen hochberühmten europäischen Namen ich bis jetzt mit Absicht verschwiegen habe. Dieser Name ist Karl von Heideloff! Er ist’s, der allgemein hochverehrte Nestor und Regenerator der deutschen Baukunst, der gemüth- und poesiereiche Sohn der Schwabenhauptstadt, und das trauliche Idiom seiner Geburtsheimath, das auch unser Schiller geredet, klingt uns aus seinem beredten Munde so anheimelnd entgegen; er ist’s, der gewissenhafte kunstsinnige Conservator der mittelalterlichen deutschen architektonischen und monumentalen Schätze Nürnbergs, wo jede Straße von seinem Kunstsinn, seinem Eifer und seiner Pietät für das Kunsterbe des deutschen Mittelalters zu erzählen weiß; er ist’s, der unermüdliche Schöpfer unzähliger Kirchen und Schlösser in allen Gauen des Vaterlandes, lauter herrliche Denkmale seines echt deutschen Hochsinns und seiner – trotz vieler bittern Erfahrungen – nie erkalteten Begeisterung für deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft, deutschen Ruhm und deutsche Größe, Denkmale, die seinen gefeierten Namen der späten Nachwelt zurufen werden. Wahrlich, wem die hohe patriotische Wichtigkeit des Ausbaues der Ritterkapelle in Haßfurt noch nicht eingeleuchtet, dem würde sich eine Ahnung von ihrer Größe aufdrängen, wenn er erfährt, daß dieser greise Meister, der geistige Nachkomme Erwin’s von Steinbach, sich die Vollendung dieser Kirche ausersehen hat, daß sie in der Gestalt, wie sie seiner künstlerischen Phantasie vorgeschwebt und wie er sie mit jener Meisterhand, die die Welt bewundert, in großartigem unvergleichlich schönem Entwurf auf das Papier gezaubert hat, den würdigen Schlußstein seiner künstlerischen Thätigkeit bilde. Der Bau, mit dem ein Heideloff sein reiches Künstlerleben zu beschließen gedenkt, muß von der höchsten poetisch-patriotischen Bedeutung sein.
Unsere Abbildung der Ritterkapelle in ihrer einstigen Vollendung ist eine Copie dieses meisterhaften Entwurfs, und schon diese Nachbildung wird jeden Beschauer, der das Original zu sehen nicht Gelegenheit hatte, zu dem Ausrufe freudiger Ueberraschung hinreißen: „ja, das ist eins der würdigsten Denkmale deutscher Baukunst und des schöpferischen Cultus derselben, welchen ihr begeisterter Priester Heideloff sein Lebenlang ausgeübt!“
Wenn es nun möglich wäre, daß unsere Verehrung und Pietät vor dem ehrwürdigen Altmeister sich steigern könnte, der mit allen geistigen Lebensfasern an dem Herzen seines Volkes hängt und sich in liebenswürdiger Anspruchslosigkeit als einer seiner treuesten Söhne erweist; wenn es möglich wäre, ihn noch mehr zu lieben und zu verehren, als bereits der Fall ist: so würde es geschehen, nachdem wir erfahren haben, daß er, der weltberühmte deutsche Baumeister, auch der gelehrte Kenner der Heraldik und sowohl der allgemeinen Geschichte des Mittelalters, als auch der speciellen Dynastengeschichte der deutschen Fürsten- und Adelshäuser ist und mehr als die Hälfte seines langen thätigen Lebens auf das genaue und tiefe Studium dieser Disciplinen gewandt hat, sodaß schwerlich ein Lebender in der Kenntniß der stufenweisen Entwicklung der christlich-deutschen Baukunst, der Wappenkunde und Specialgeschichte sich mit ihm messen kann. Wer auch nur flüchtige Blicke in seine reichen Sammlungen architektonischer, ornamentaler und heraldischer Zeichnungen und deren Commentare geworfen hat, wird sich von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugen.
Unser gelehrter Baukünstler hat sich nun die oben aufgeworfenen Fragen zur gewissenhaften Prüfung und Beantwortung vorgelegt, und das Resultat seiner Forschung ist folgendes:
1) Die Architektur und Ornamentik der Ritterkapelle erweist sich klar als eine Schöpfung aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts.
2) Die Wappen sowohl in der innern Wölbung der Kirche als im Frießgürtel der Außenseite sind nur Wappen fürstlicher und adeliger Häuser aus dem ganzen deutschen Reiche, deren Existenz in der spätern Regierungszeit des Kaisers Ludwig des Baiern nachgewiesen werden kann.
3) Die ungewöhnlich große Anzahl der Wappen der hervorragendsten deutschen Fürsten- und Adelsgeschlechter in und an dem herrlichen Chor constatirt unwiderleglich einen großen Eintrachts- und Liebesverein, der nur durch einen ungewöhnlichen und höchst merkwürdigen, bedeutungsvollen öffentlichen Act der Eintracht und Bruderliebe hochgestellter, ja geradezu der vornehmsten Persönlichkeiten jener Zeit hervorgerufen sein konnte. Die Kirche, welche dieser Verein baute und reich ausschmückte, kann durchaus nur ein Denkmal dieses Acts gewesen sein, der von der höchsten politischen und socialen Wichtigkeit sein mußte, um einen solchen Verein zur Errichtung eines solchen Denkmals in’s Leben zu rufen!
4) Im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts tritt uns aber ein solcher Act von so bewältigender Wichtigkeit, von so hoher politischer, socialer und sittlicher Bedeutung und von so herrlicher poetischer Schönheit und Tragweite entgegen, daß er seines Gleichen nicht hat in der ganzen Geschichte des deutschen Mittelalters, sodaß nur dieser Act und kein anderer einen so großartigen Verein und ein so herrliches Denkmal in’s Leben rufen konnte.
Dieser Act ist die Versöhnung der beiden Gegenkaiser, fürstlichen Vettern und Jugendgespielen Ludwigs von Baiern und Friedrichs von Oesterreich und ihr Bruderbund zur gemeinsamen Regierung des Reichs im Jahre 1325.
Die Ritterkapelle ist sonach das Denkmal einer welthistorischen Liebesthat, welche das deutsche Reich vom Abgrunde des Verderbens rettete, an welchen es der unselige Kampf der beiden Gegenkaiser, die Ränke des französischen Hofes und die gewaltthätige List des Papstes Johann XXII., eines herrschsüchtigen Franzosen, gebracht, und sie erhält durch diese natürliche Erklärung ihre würdige Deutung. Jedes unbefangene Gemüth wird sogleich eingestehen: so ist es! es kann nicht anders sein! Die herrliche Kirche mit ihrem reichen Wappenkranze und die liebreiche Vereinigung der beiden Kaiser sind gegenseitig einander angemessen und würdig. Kein Ereigniß von geringerer Bedeutung konnte einen solchen Verein zusammenbringen, um ein solches Gotteshaus zu Ehren der Jungfrau zu bauen. Die Kirche ist ein köstliches monumentales Feiergedicht in kunstvoller deutscher Architektur zur Verherrlichung des Bruderbundes der beiden mächtigsten Fürsten Deutschlands nach verderblichem blutigen Streit gegenüber der französischen und päpstlichen Herrschsucht, und das Gedicht unsers Schiller: „Deutsche Treue“, auf diesen deutschen Fürstenliebesbund ist gleichsam ihre Paraphrase und sollte in Marmor oder Erz gegraben einst über dem vollendeten Portale prangen.[1]
Den französischen Feinden des deutschen Reichs in Paris und Avignon (es war die Zeit, wo die Päpste als Schildträger des französischen Königs hier residirten), welche den deutschen Zwiespalt bejubelt und darauf ihre hinterlistigen Pläne gebaut hatten, war diese unerwartete Vereinigung der beiden Kaiser ein Strich durch die Rechnung. Der Papst sprach den Bann über Ludwig aus, dem alsbald das Interdict folgte. Aber Deutschland jauchzte den in Liebe vereinten Fürsten seine freudige Anerkennung zu. Der hohe Adel vereinigte sich ebenfalls, um dem Bruderbunde der Kaiser ein würdiges Denkmal zu errichten. Dieses konnte natürlich nur eine Kirche sein. Sie mußte im Herzen Deutschlands auf dem Gebiete eines Kirchenfürsten erbaut werden. Der damalige Bischof von Würzburg, Wolfram von Grumbach-Wolfskeel, war Kaiser Ludwigs Freund und hatte dessen Besuch öfter empfangen. Auf seiner Reise von München nach Würzburg hatte der fromme Kaiser wohl mehr als einmal sein Gebet in der uralten Marienkirche zu Haßfurt, dessen freundliche Lage am Mainstrom ihn anmuthete, verrichtet. Um ihn zu erfreuen, wurde von Bischof Wolfram diese Kirche zu dem beabsichtigten monumentalen Umbau bestimmt. So entstand der herrliche Chor mit dem Wappenfrieß. Aber Wolfram starb, ehe der ganze Kirchenbau vollendet werden konnte, auch Kaiser Ludwig endete im 61. Lebensjahre plötzlich sein thatenreiches Leben (1347), nachdem auch Papst Clemens VI. einen zweiten Bannfluch über ihn ausgesprochen hatte. Der Bau der Kirche blieb liegen. Niemand mochte es wagen, das zu Ehren eines Kaisers begonnene Denkmal zu vollenden, der im Banne gestorben war.
Aus diesen Umständen ergibt sich die Lösung der letzten schwierigen Frage von selbst, weshalb keine Inschrift am Chor uns über Zeit und Veranlassung des Prachtbaus belehrt, weshalb kein Chronist seiner erwähnt, kein Document darüber vorhanden ist. Kaiser [760] Ludwig lag in Bann und Interdict, und die Kirche wurde auf dem Gebiete und unter dem Schutze eines geistlichen Fürsten erbaut. Es durfte also öffentlich nicht davon gesprochen werden.
Heideloff hat in einer Broschüre die nähern Umstände angedeutet; die ausführlichen Beweise, der Architektur und Sculptur und den heraldischen Verzierungen der Ritterkapelle entnommen, verspricht er in einem Prachtwerke vorzulegen, welches unter dem Titel: „Das Fürsten- und Ritter-Album der Ritterkapelle unserer lieben Frau und des Ritters St. Georg in Haßfurt, ein kaiserliches Denkmal der deutschen Einigkeit und Bruderliebe“, in der Ebner’schen Kunsthandlung in Stuttgart erscheinen wird. Die 248 Wappen werden darin in Farbendruck wiedergegeben und die Geschichte der Fürsten- und Adelsgeschlechter, welchen sie angehörten, in möglichster Ausführlichkeit abgehandelt. Nach den Proben, welche von Heideloff mit freundlicher Bereitwilligkeit vorlegt, wird das Werk des Gegenstandes und der Ehre des deutschen Namens vollkommen würdig sein. Der greise Verfasser hat den ganzen Schatz seiner Gelehrsamkeit angewendet, um zu beweisen, daß der Chor der Ritterkapelle zu Haßfurt durchaus nur ein Denkmal der brüderlichen Vereinigung Ludwig des Baiern und Friedrich des Schönen von Oesterreich sein kann. Man darf annehmen, daß Kenner der Geschichte und der deutschen Kirchenbaukunst, welche Gründe zu haben glauben, an Heideloff’s Angabe zu zweifeln, das Erscheinen des Fürsten- und Ritter-Albums abwarten, um seine versprochnen Beweise mit kritischem Scharfsinn zu prüfen und ihnen dann mit gewichtigen, stichhaltigen Gegengründen zu begegnen, und auch dann dürfte man mit Recht voraussetzen, daß jüngere Männer an diese Entgegnung mit aller Pietät, die der greise, gelehrte und verdienstvolle Baukünstler doch gewiß mit vollstem Rechte verdient, gehen werden. Jedenfalls ist also das Erscheinen des v. Heideloff’schen Werkes abzuwarten.
Wir aber geben uns mit voller Seele der schönen Ueberzeugung hin, daß die Ritterkapelle in Haßfurt ein Denkmal der deutschen Einigkeit und Brüderlichkeit gegenüber französischer Herrsch- und Ränkesucht ist, und daß unsere Zeit, in welcher der deutsche Patriotismus so mächtig aufflammt, um den neuen französischen Ränken mit vereinter Kraft und Begeisterung entgegen zu treten, im höchsten Grad geeignet und berufen ist, die Ritterkapelle nach Heideloff’s herrlichem Entwurf zu vollenden, damit sie, analog ihrer alten Bestimmung, auch ein würdiges Denkmal deutscher Einigkeit und Brüderlichkeit des lebenden Geschlechts werde und, am schönen Mainstrom stolz sich erhebend, dem eitlen Franzosenthum jetzt und in Zukunft zurufe, daß wir Deutsche im Süden und Norden, im Osten und Westen
„sind eines Herzens, eines Bluts“,
und
„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Noth uns trennen und Gefahr.“
- ↑ Wir erzählen den merkwürdigen Liebesbund der beiden Gegenkaiser Ludwig des Baiern und Friedrich des Schönen von Oesterreich hier nicht, weil wir ihn zu einem besondern Artikel der „Deutschen Bilder“ ausersehen haben.