Husar und Pandur
Husar und Pandur.[1]
In der Hofburg zu Wien, in ihrem Arbeitscabinet, saß die Kaiserin Maria Theresia in dem schweren, auf vergoldeten Löwenfüßen ruhenden Fauteuil, der auf einer Erhöhung in der tiefen Fensternische stand. Geist, Lebhaftigkeit und Wohlwollen waren die Eigenschaften, die aus den noch immer so schönen Zügen der tief in den Vierzigen stehenden Frau sprachen. Heute jedoch war der Ausdruck des mütterlichen Wohlwollens verdrängt durch den einer gewissen strengen Entschlossenheit. Damit warf sie einen kleinen Stoß von Papieren, worin sie eine Weile aufmerksam gelesen hatte, auf ein vor ihr stehendes Tabouret.
„Und jetzt ist’s aus – ganz aus,“ sagte sie dabei – „jetzt duld’ ich’s nimmer! Eine Schande wär’s, und vor meinem Herrgott könnt’ ich’s nicht verantworten, wenn ich ihm nicht ein End’ machte!“
Diese Worte waren an einen jungen Mann in grüner Uniform gerichtet, der vor ihr stand, sich leicht an den offenen Fensterflügel lehnend, denn die Kaiserin saß am geöffneten Fenster, durch das eine kalte Frühjahrsluft hereinströmte; und der junge Mann, dessen hochrother Teint eben nicht andeutete, daß er an Blutleere leide, hatte dennoch sich in seine Uniform enge zugeknöpft und gab alle Symptome, daß ihm fröstelte, zu erkennen. Sein Gesicht, seine hohe Stirn, die stark gebogene Nase, und die von der Jagellonischen Ahnfrau Cimburga ererbte Lippe verrieth, daß er dem Geschlechte Habsburgs angehöre.
Der junge Mann war Joseph II., erwählter römischer König.
„Wenn die gnädigste Frau Mutter nur betrachten wollte, von wem die Anklagen ausgehen,“ erwiderte er in beschwichtigendem Tone. „Die Denuncianten sind beinahe sammt und sonders ehemalige Officiere, die der Oberst von der Trenck, weil sie nichtsnutzige Menschen waren, cassirt und von seinem Corps fortgejagt hat.“
„Nichtsnutzige Menschen, sagt der Herr Sohn, und ich sag’,“ fiel Maria Theresia eifrig ein – „es sind auch Ehrenmänner darunter, die den Gräuel nicht mehr ansehen konnten!“
König Joseph zog die Achseln.
„Man muß einen Mann, der unserem Hause so viel Dienste geleistet hat und noch so große leisten kann …“
„Davor behüt’ mich mein allmächtiger Schöpfer, daß ich in eine Lage komme, wo ich wieder solche Werkzeuge gebrauchen muß,“ unterbrach ihn die Kaiserin, – „und dieser Türke mir seine entsetzlichen Dienste leistet … ich weiß wohl, daß der Herr Sohn sich andere Gedanken macht – aber so lange meine Augen offen stehen, fängt Oesterreich keinen Krieg wieder an!“
„Dann aber wird die gnädigste Frau Mutter berücksichtigen, daß es uns den Vorwurf der Undankbarkeit zuziehen würde, einen Menschen, den wir nicht mehr gebrauchen können und wollen, zu verfolgen und zu beseitigen!“
„Das rührt mich Alles nicht,“ fiel die Kaiserin ein. „Les’ der Herr Sohn die Eingaben selber und dann sprech’ Er: soll noch Gerechtigkeit und Zucht im Lande sein oder nicht?“
„Der Bericht ist vom Hofkriegsrath Weber und von dem General Löwenwalde gemacht – sie sind Beide des Panduren-Trenck Widersacher, und ich fürchte …“
„Was fürchtet der Herr Sohn?“
„Daß in ihren Augen die größten Verbrechen des Obersten die Millionen sind, welche er zusammengebeutet hat, ohne den Federn der Herren vom Hofkriegsrath zu erlauben, auch nur die mäßigsten Procente für sich von den vollen Scheffeln abzustreichen …“
„Verunglimpf’ mir der Herr Sohn die Herren nicht, die ihre Pflicht thun; und wenn’s auch wäre – wir sind alle Menschen – so ist’s eben meine Pflicht, streng die Sache untersuchen zu lassen. Wenn sich der Protégé des Herrn Sohnes dann weißbrennen kann, mich soll’s freuen! Aber ich glaub’s halt nicht. Es ist zu viel, was ihm schuld gegeben wird, und himmelschreiende Dinge sind’s … daß er ein Atheist und ein Freigeist ist, dem auf Gottes Welt nichts heilig …“
„Als seine Kaiserin, seine Ehre und sein Wort als Soldat!“ unterbrach sie König Joseph.
„Auch das schwerlich – aber,“ fuhr Maria Theresia fort, „ich will’s ihm nachgesehen haben, weil er eine alte Kriegsgurgel ist, die nicht weiß, was sie thut: aber in den Papieren da les’ der Herr Sohn – les’ Er die Geschichte von dem armen brustkranken Teufel von Soldaten, der aus dem Spital heraus klagt, der Trenck habe ihm tausend Stockschläge geben lassen, weil er eine Lieferung, die erpreßt werden sollte, aus Mitleid nicht eingetrieben hätte; les’ er die abscheuliche Geschichte von der Müllerstochter in Böhmen, wie der Trenck mit der umgegangen ist – und dann sag Er mir, wenn’s dem Herrn Sohn gefällt, ob das Alles auf sich beruhen soll oder nicht – ob eine christliche und gottesfürchtige Obrigkeit einen Menschen ungestraft lassen soll, den der Großtürk nicht so hausen ließe …!“
„Ew. Majestät,“ fiel Joseph ein, „haben vollständig Recht, [706] der Trenck ist ein entsetzlicher Mensch – er ist wie ein Bär oder wie ein anderes Ungeheuer, das man gegen seinen Feind loslassen kann, aber dann, wenn es seine Schuldigkeit gethan hat, an die Kette legen muß. Aber ich gebe nur zu erwägen, daß es unpolitisch wäre, damit zu rasch vorzugehen. Es stellen sich obendrein Schwierigkeiten, die nicht gering sind, entgegen. Wollen Ew. Majestät, daß der Hofkriegsrath ihn einfach von seinem Commando abberuft und ihm befiehlt, sich dahier an einem bestimmten Tage vor ein Kriegsgericht zu stellen?“
„Er wäre freilich im Stande und käme nicht!“ räumte die Kaiserin ein. „Ich fürchte ohnehin,“ fuhr sie fort, „er denkt daran, sich mit seinen rothen Banden nach Slavonien zu ziehen und dort auf seinen Gütern den Bassa zu spielen, dem’s nicht darauf ankommt, sich zum Landesherrn zu machen, wenn man ihn von Wien aus sekirt!“
„Es könnte etwas noch weit Schlimmeres eintreten!“ bemerkte Joseph – „und daran würde er, fürcht’ ich, zuerst denken … er ginge zum Preußen über! Der würde ihn mit Gold aufwiegen!“
Maria Theresia wurde offenbar betroffen von diesem Einwurf ihres Sohnes, den sie bis jetzt nicht erwogen zu haben schien.
„Das wär’ freilich arg,“ sagte sie, „… aber der Herr Sohn hat Recht … ein Ketzer ist er … und von Haus aus daheim aus Preußen …“
„Und dazu darf es nicht kommen!“ fiel Joseph ein.
„Nein – lieber, als dem bösen Manne diesen Triumph zu gönnen, laß ich eine Armee marschiren, um dem Trenck die Wege abzuschneiden und ihn einzufangen!“
„Und das würde der Welt ein Schauspiel sein, welches wir ihr nicht geben dürfen – welcher Hohn, wenn es hieße, Oesterreich führe Krieg mit seinen eigenen Generälen – es wolle, wie der Sultan, mit der seidenen Schnur dem einzigen seiner Feldobersten lohnen, der während der Kriegsjahre immer siegreich und glücklich gewesen, der ihm ganz unschätzbare Dienste erwiesen, … und das thue Maria Theresia, die der tolle Kroat als seine Göttin anbetet, um deren willen er tausend Toden trotzt …!“
„Damit erweicht mich der Herr Sohn nicht – wenn er seine Kaiserin und seine Landesmutter anbetet, so bedank’ ich mich sehr dafür, denn er thut’s nur, weil ein sterblicher Mensch Etwas anbeten muß, und einen Gott hat der Trenck dazu nicht … er glaubt weder an Gott noch Teufel!“
„Und was befiehlt meine gnädigste Frau Mutter, daß geschehen soll?“ fragte nach einer stummen Pause König Joseph.
Maria Theresia erhob sich. Sie nahm die Schriften von dem Tabouret, trat damit an ihren Schreibtisch und schrieb an den Rand der ersten Seite:
- „Der von der Trenck soll anhero citiret und vor einer von Unserm Hofkriegsrath zu bestellenden Commission zur Verantwortung gezogen werden.
- Maria Theresia.“
„Das soll geschehen, was der Herr Sohn da liest!“ sagte sie, indem sie das Heft dem römischen König übergab.
Joseph machte eine leichte Verbeugung, zum Zeichen, daß er sich unterwerfe.
„Dann erlauben die gnädigste Frau Mutter mir nur, daß ich mich in dieser hälichen Angelegenheit als den Vollstrecker Ihres Willens betrachten darf, wenigstens was die schwierige Seite desselben, das Anherocitiren des Trenck, betrifft. Es muß dabei die gehörige Vorsicht und Klugheit angewandt werden, sonst spielt uns dieser Pandur einen ärgerlichen Streich, der unsere Würde compromittirt. Geht die Sache ihren gewiesenen Weg, durch die Kanzleien, wird sie dem Panduren vorher verrathen … .“
„Da mag der Herr Sohn Recht haben,“ fiel die Kaiserin ein; „aber wie gedenkt Er, sich der Angelegenheit anzunehmen?“
„Ich bitte um eine Ordre der Kaiserin an mich als Obersten meines Husaren-Regiments, den von der Trenck nöthigenfalls mit Gewalt dahier vor die zu bildende Commission zu gestellen. Von der eigenen Hand der Frau Mutter. Unterdeß wird es gut sein, jenes Rescript an den Hofkriegsrath noch einige Tage zurück zu halten.“
König Joseph deutete auf das Actenheft.
„Das kann also geschehen,“ versetzte Maria Theresia. Sie nahm ein Blatt Papier und schrieb die gewünschte Ordre nieder.
„Ich lege es in Deine Hand, Joseph,“ sagte sie dann, indem sie das Blatt ihrem Sohne übergab. „Thu’ damit, was Du willst, nur sei behutsam, daß der tolle Pandur nicht in’s Lager unseres Feindes übergeht … lieber als solch ein Scandal wäre mir, wenn er offen rebellirte oder gar sich zum König von Slavonien auswürfe, was seine geheimen Absichten sein sollen, wie mir zuverlässige Leute schon mehr als einmal versichert haben!“
„Ueberlassen Sie jetzt Alles mir, Mutter,“ antwortete Joseph, indem er die Hand der Kaiserin küßte – „Sie haben mir nichts mehr zu befehlen?“
„Geh mit Gott, mein Sohn,“ versetzte sie mit einem freundlichen Lächeln und leichtem Neigen des Kopfes … „aber bevor Du gehst, schließ mir das Fenster, der Kaunitz kommt zum Vortrag, und ich muß sorgen, daß mir das Männlein nicht erfriert.“
Joseph erfüllte ihren Wunsch und verließ das Gemach.
Eine Stunde später stand in einem andern Wohngemache der Wiener Hofburg der römische König Joseph neben seinem Arbeitstisch, die linke Hand auf die Platte des Tisches stützend, die rechte halb verborgen unter den rothen Rabatten seiner Uniform. Vor ihm, in strack militärischer Haltung stand ein Officier seines Husaren-Regiments, der ein zusanimengefaltetes Papier in der Hand hielt, und dabei mit einem ganz eigenthümlichen Blicke freudiger Verlegenheit zu ihm niederblickte – denn der Officier war fast um die Länge eines Kopfes größer als der römische König.
„Mein lieber Frohn,“ sagte der Letztere, „Er braucht mir in der That nicht zu danken für das, was Er da in Händen hält. Er hat es sich selber durch seine Dienstführung verdient, und ich danke Ihm, daß er mir die Freude macht, einem Officier meines Regiments meine volle Zufriedenheit aussprechen zu können.“
„Und doch,“ entgegnete der Officier, „werden Ew. Majestät mir glauben, daß mich diese rasche und so unerwartete Beförderung zum Oberstwachtmeister beschämt, und daß ich nur wünsche …“
„Mir weiter durch die That zu beweisen, welch tüchtiger Soldat der Herr von Frohn ist,“ fiel lächelnd der römische König ein, „… daran zweifle ich nicht!“
„Das wollte ich in der That sagen, Ew. Majestät.“
„Und Er ahnt dabei nicht, Frohn,“ fuhr der König fort, „wie nahe Sein Wunsch der Erfüllung ist! Es wird gerade so etwas dem neuen Oberstwachtmeister angesonnen … etwas, wozu ein Mann wie Er gehört.“
„Befehlen Ew. Majestät!“
„Es soll sich nicht um einen Befehl, sondern nur um eine Frage handeln! Sag’ Er mir, Frohn, nimmt Er es auf sich, den Oberst von der Trenck, der jetzt mit seinem Corps, wie Er weiß, in Oberösterreich steht, mitten aus seinem Hauptquartier herauszuholen und uns hierher nach Wien zu liefern, wo die Justiz ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hat?“
Frohn sah höchst überrascht und fragend in des römischen Königs Züge.
„Glaubt Er, ich mache Spaß?“
„Nein, Ew. Majestät, aber …“
„Aber Er hat nöthig, sich erst ein wenig zu fassen, wenn Ihm eine solche homerische Heldenthat angesonnen wird?“
„Geruhen mir Ew. Majestät zu sagen, wie Sie sich die Ausführung eines solchen Auftrags denken – ob durch Gewalt, im Fall der Oberst sich widersetzlich zeigen sollte …“
„Er wird sich widersetzlich zeigen, daran zweifle ich nicht,“ fiel der römische König ein; „und doch möchte ich offene Gewalt vermieden sehen. Eine Meuterei in der Armee hervorzurufen, das kann nicht die Absicht der Kaiserin sein, indem sie den Befehl gibt, dem Treiben des Panduren ein Ende zu machen. Und daneben liegt noch die Gefahr, daß dieser tolle Gesell, erbost und aufgebracht, eid- und treubrüchig wird und zum Feinde übergeht, der vielleicht schon längst Versuche gemacht hat, einen solchen Soldaten zu gewinnen!“
„Dem Trenck ist freilich nichts in der Welt heilig,“ fiel der neue Oberstwachtmeister ein, „und die Sorge, daß er solche Entschlüsse fassen könnte, liegt so nahe …“
„Glaubt Er, daß dem Trenck in der That nichts heilig sei?“ unterbrach ihn König Joseph. „Ich glaube, als ein tapferer und tüchtiger Soldat wird er wenigstens sein Ehrenwort heilig halten, und das habe ich auch heute vor der Kaiserin verfochten. Gewinne Er ihm das Ehrenwort ab, daß er sich mit Ihm hierher nach Wien begeben wolle, und dann wird er kommen.“
Frohn schwieg eine Weile.
„Wenn das möglich zu machen wäre,“ sagte er dann, „daß der Oberst von der Trenck als Soldat und Edelmann sein Ehrenwort einlösen wird, ist freilich anzunehmen …“
[707] „Nun wohl, so versuche Er’s auf diese Weise. Sag Er dem Trenck, daß König Joseph sich dafür verbürgt habe, er werde sein Ehrenwort halten – verbürgt bei der Kaiserin; daß ich überzeugt sei, die Anschuldigungen, welche gegen ihn erhoben sind, werden von ihm siegreich widerlegt werden können; daß ich ihm alsdann meinen vollen Schutz zusichere.“
„Es kommt nur darauf an, ihm das Ehrenwort abzugewinnen,“ versetzte Frohn.
„Das wäre denn zunächst Seine Aufgabe, mein lieber Frohn, wenn Er keine bessere Art, die Sache durchzuführen, findet. Hält Er’s für unmöglich?“
„Da Ew. Majestät geruhen, diese Aufgabe mir zu stellen, so darf sie mir nicht unmöglich sein – im Dienst Ew. Majestät darf ich dies Wort nicht kennen!“
„Bravo, mein Herr Oberstwachtmeister! Das heißt gesprochen, wie ich’s vom Frohn erwartete. Er kann sich dort das Memoire des Hofkriegsraths ansehen, damit Er sich über die Angelegenheit näher unterrichtet. Dann fasse Er seine Entschlüsse. Ich werde unterdeß die nöthige Ordre für Ihn schreiben, die Ihn bevollmächtigt, alle und jede Maßregel zu ergreifen, welche Er bei der Ausführung des Ihm gewordenen Befehls für zweckmäßig findet. Er erhält plein pouvoir.“
Während Frohn das vom König ihm bezeichnete Papierheft, dasselbe, welches wir in den Händen der Kaiserin sahen, vom Arbeitstische nahm und zu überfliegen begann, setzte sich der römische König in seinen Sessel und schrieb die Ordre nieder.
„Hier hat Er, Frohn!“ sagte er dann, ihm das Blatt übergebend. „Ich bin überzeugt, ich kann diesen Befehl in keine besseren Hände niederlegen, und hätte ich Ihn nicht in meinem Regiment, so würde ich mich gehütet haben, mich und mein Regiment in die Sache zu mischen!“
„Ew. Majestät,“ versetzte Frohn, die Ordre seines Regimentschef neben seinem Oberstwachtmeister-Patente auf der Brust bergend, „Ew. Majestät werden mich mit dem Trenck innerhalb acht Tagen dahier zurück sehen, oder gar nicht. Es stände mir schlecht an, die Schwierigkeit der Aufgabe, womit Ew. Majestät mich beehren, zu vergrößern, aber sollte es eine Aufgabe auf Leben und Tod sein, so werde ich den letzteren nicht scheuen im Dienste meiner Kaiserin!“
„Gehe Er mit Gott, Frohn,“ sagte König Joseph, indem er ihm gerührt die Hand schüttelte. „Vergeß Er nicht, mit meiner Ordre sich beim Präsidenten des Hofkriegsraths zu melden und sich von diesem eine Anweisung auf die Kriegscasse geben zu lassen, damit Er die nöthigen Fonds erhält. Noch einmal: Behüt Ihn Gott!“
Frohn machte Kehrt und verließ das Zimmer des römischen Königs.
Zwei Tage, nachdem diese Unterredung stattgefunden hatte, an einem schönen kühlen, aber heitern Aprilmorgen ritt ein Officier, in einen weiten blauen Mantel gehüllt, der eine blaue Husaren-Uniform bedeckte, und gefolgt von sechs Reitern seines Corps, zum Rothenthurm-Thor der Kaiserstadt hinaus. Die Reiter waren mit kräftigen, wohlgepflegten Pferden ungarischer Race versehen, und ihre sehr feldmäßig aussehende Ausrüstung verrieth, daß sie einen mehrtägigen Marsch beabsichtigten.
Der Officier, welcher an ihrer Spitze und allein vorauf ritt, war ein auffallend hochgewachsener und kräftig gebauter Mann mit edlen, aber wettergebraunten Zügen und dunklen feurigen Augen. Es war eine Kriegergestalt, wie man keine ausdrucksvollere und malerischere sehen konnte. Er war nicht gerade jung mehr, sondern in das volle Mannesalter eingetreten. Aber wenn diese Reife des Alters seinen Zügen ihr Gepräge von muthiger Entschlossenheit und unbezähmbarer Energie aufgedrückt hatte, so hatte sie doch dem ruhigen und wie verhaltenen Feuer, das aus seinen Blicken sprach, nichts von seiner Lebhaftigkeit genommen.
Die kleine Truppe zog durch die Rossau-Vorstadt und schlug dann den Weg donauaufwärts ein. Als sie die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich hatte, winkte der Officier einem seiner Husaren den Befehl zu, an ihn heran zu kommen. Dieser, der die Wachtmeister-Abzeichen an seinem Kragen trug, war im nächsten Augenblick neben seinem Vorgesetzten.
„Was befehlen der Herr Oberstwachtmeister?“
„Der Herr Oberstwachtmeister befehlen Dir nichts, Franzl,“ versetzte der Officier mit einem Ton gutmüthiger Freundlichkeit – „sie wollen nur dem Franzl, da sich just Zeit und Ort dazu schicken, eine kleine Vorlesung halten. Ich denk’, es wird dem Franzl zuträglich sein; denn wenn er auch seinen Dienst erträglich versieht und ein brauchbarer Soldat geworden ist – mit dem Morale und dem sonstigen Menschen bin ich noch immer nicht zufrieden.“
„Ich mein’ halt, Herr Oberstwachtmeister, ich thue, was ich vermag, um meine Vorgesetzten zufrieden zu stellen!“
„Das thut der Franzl, es ist richtig,“ entgegnete der Officier.
„Nachdem man ihn wegen seiner liederlichen Streiche zum Militär assentirt hat – er kann’s dem Himmel danken, daß man so glimpflich mit ihm verfahren ist und daß die Polizeistelle der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt gedacht hat, das Bürschlein sei nicht der Mühe werth, viel Federlesens und Criminal-Untersuchens mit ihm zu machen, und man werde am besten thun, wenn man ihm einen Soldatenrock anziehe und ihm den Haselstock zum Präceptor gebe …“
„Es ist schon wahr, Herr Oberstwachtmeister,“ bemerkte Franzl, „und ich dank meinem Schöpfer, „daß ich dabei als früherer Eleve der kaiserlichen Reitschule bei den Husaren assentirt wurde und der Herr von Frohn bald nachher das Commando über unsere Schwadron bekam. Was aus mir geworden ist – ein ordentlicher Soldat …“
„Mit Wachtmeistersrang, welcher, wie Du weißt, die Staffel zu jeder militärischen Größe und Würde ist …“
„Das,“ fuhr Franzl fort, „haben der Herr Oberstwachtmeister aus mir gemacht!“
„Ich freue mich, daß Du es anerkennst, Franzl, denn, weiß Gott, ich habe mir Mühe mit Dir gegeben, und habe Dich allezeit scharf im Auge behalten. Ich wußte, daß Du von Haus aus zu einem redlichen Menschen angelegt warst, das hatte mir unsere erste Begegnung gezeigt – die Herren Eltern hatten Dich nur nicht zu ziehen gewußt und Du warst in Zuchtlosigkeit verkommen. Nun, seit dem Tage, wo ich Dich in meiner Schwadron fand, hast Du Dich über Zuchtlosigkeit weiter nicht beklagen können, und so ist es denn glücklicher Weise dahin gekommen, daß Du ein Mann geworden bist!“
„Der dem Herrn von Frohn Alles verdankt und für ihn durch’s Feuer gehen würde.“
„Sieh, Franzl, das ist brav von Dir“ – fuhr der Officier fort. „Aber worüber ich unzufrieden mit Dir bin, das ist, daß Du zu wenig Ehrgeiz hast. Du bist guter Leute Kind; Du hast mehr gelernt, als ein Husarenwachtmeister bedarf … weshalb legst Du es nicht darauf an, weiter zu kommen?“
„Weiter zu kommen … das thu ich ja auch,“ versetzt Franzl, „… ich meine, ich thue Alles, daß der Herr von Frohn mich demnächst, wie Sie mir versprochen haben, zum Regimentsschreiber vorschlagen können.“
„Regimentsschreiber … was ist das! Officier mußt Du werden, Franzl.“
„Unser Eins … ich … Officier?“
„Du meinst, wegen Deiner Vergangenheit? Nun, man schickt Dich nach Ungarn, nach Friaul, hinter den Karst. Da kennt Deine schlimmen Streiche von ehemals Niemand. Und wollte Gott, wir hätten in der Armee keine Officiere, welche schlimmere Dinge auf dem Kerbholz! Es kommt nur auf den Willen an, auf den festen Vorsatz sich auszuzeichnen. Unter einem Herrn zumal, wie unser edler Regimentschef ist, der das Verdienst königlich zu lohnen strebt, wo er es nur findet!“
Der Wachtmeister antwortete nur durch einen tiefen Seufzer; aber der Officier, der seine Züge beobachtete, sah, daß seine Augen in einem eigenthümlichen Feuer aufleuchteten.
„Sieh, Franzl,“ fuhr er fort, „eine solche Gelegenheit, es zum Officier zu bringen, bietet sich Dir vielleicht gerade jetzt – bei der Ausführung dessen, was mir befohlen ist, und wozu ich gerade deshalb Dich mitgenommen habe.“
Franz warf einen fragenden Blick, in dem etwas wie ein freudiges Erschrecken lag, auf seinen Vorgesetzten.
„Du merkst daraus, daß es sich just nicht um ein Kinderspiel handelt, Franzl,“ fuhr dieser fort.
„Das mag sein,“ antwortete der Wachtmeister, „aber ein guter Husar fürchtet sich nicht und holt, wie das Sprückwort sagt, den Teufel aus der Hölle, wenn’s ihm befohlen wird.“
„Richtig, Franzl,“ antwortete kaustisch der Officier, „und sieh, das ist just eben unser Fall, und darauf lautet unser Befehl.“
[708] „Den Teufel aus der Hölle zu holen?“
„Nicht gerade mit diesen Worten, in der Sache aber ist’s so ziemlich eins. Unser Befehl lautet: den Pandurenoberst von der Trenck aus seinem Hauptquartier zu holen und als Arrestanten nach Wien zu bringen.“
„Gott steh uns bei!“ rief Franzl aus, und seine Hand zuckte, als ob er im Schrecken sein Pferd zum Stehen bringen wolle.
„Nun, ich hoffe, Du fällst nicht vor Entsetzen aus dem Sattel, Franzl.“
„Nein, das nicht,“ entgegnen der Wachtmeister aufathmend, „aber das ist mehr als wir, unser sieben zusammen, zu Stande bringen!“
„Daß wir’s zu Stande bringen, wirst Du schon sehen, und es ist meine Sache – es kommt nur ein wenig darauf an, daß ich einen Mann neben mir habe, auf den ich mich verlassen kann, wie auf mich selbst. Ich habe Dich dazu ausersehen. Viel Schlauheit verlange ich nicht von Dir, nur Gehorsam, es mag kommen, was da will. Was ich Dir befehle, das hast Du auszuführen, und wenn man Dir auch droht, Dich zu spießen und an langsamem Feuer zu rösten; und wenn es auch ein Befehl wäre, wie: Franzl, zieh Dein Pistol und jage mir eine Kugel durch den Kopf! Soll ich darauf zählen können, Franzl? wirst Du blindlings thun, was ich Dir befehle, so sicher wie der Tod? Bedenk Dir’s wohl, Du kannst in schlimme Situationen dabei kommen, und wenn Du zurückschrickst vor der Ehre, mein Adjutant zu sein bei dieser unserer kleinen Bärenjagd, so ist der Istevan, der da hinter uns reitet, der Mann, den ich gebrauchen werde, und ich will ihn vorrufen …
„Lassen der Herr Oberstwachtmeister ihn nur da hinten, den Istevan,“ fiel Franzl mit einem Stirnrunzeln und einer Miene kecker Entschlossenheit ein, „ich bin zu Allem bereit, und Sie sollen auf mich zählen können!“
„Nun gut, und ich verspreche Dir, wenn ich so zufrieden mit Dir bin, wie ich es zu sein hoffe, dann hast Du acht Tage, nachdem wir mit dem Trenck in Wien wirklich und richtig eingeritten sind, Dein Officierspatent in der Tasche.“
Ueber Franzl’s Züge flog ein freudiges Erröthen. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Wenn Einer die Sache zu Stande bringt, dann ist’s freilich der Herr von Frohn; aber ein Anderer käm’ nicht durch damit; ich glaube zwar nicht, daß der Trenck hieb- und schußfest ist, wie das dumme Volk sagt, aber ein gefährlicher Bösewicht ist er einmal doch …“
„Er ist ein großer Krieger,“ fiel Frohn ein, „er hat sich um Oesterreich Verdienste erworben, wie fast kein anderer Soldat dieser Zeit, und wenn seine Tapferkeit auch mit einer ruchlosen Verachtung fremder Leiden und mit empörender Grausamkeit verbunden ist, so darf man das, was er geleistet hat, und das, was er ist, doch nicht vergessen. Es macht leider unsere Aufgabe nicht leichter. Wäre mir befohlen worden, einen Bär einzufangen, den man lebendig oder todt abliefern kann, so wäre es eine Lustpartie gegen die Aufgabe, den Trenck mit allen militärischen Ehren und mit aller Courtoisie, aber doch gefangen nach Wien zu liefern!“
„Der Herr Oberstwachtmeister gedenken ihn also glimpflicher zu behandeln, als er selber es mit seinen Feinden zu thun gewohnt ist, z. B. mit den zwei Harumbaschi’s in Slavonien?“
„Du meinst mit dem Harumbaschi, dessen Vater er hat spießen lassen?“
„Auch das,“ versetzte Franzl, „ist eine arge Geschichte. Der Räuber bot ihm einen ehrlichen Zweikampf mit gleichen Waffen an, und wie sie mit ihren Säbeln auf einander losgehen, zieht der Trenck plötzlich ein geladenes Pistol aus der Tasche und schießt den Räuberhauptmann in dichtester Nähe vor den Kopf. Aber ich dachte an das andere Stücklein, wie er eines Tages auf der Jagd ist, in einem abgelegenen Hause auf seinen Gütern Musik hört …“
„Und dann?“ sagte Frohn – „erzähle weiter!“
„Dann geht er hinein und findet Hochzeitsgäste bei Tisch; das gefällt ihm, er setzt sich mitten zwischen sie und läßt sich’s wohlschmecken, ohne zu vermuthen, unter welche Art von Menschen er gerathen ist. Aber er bekommt eine Ahnung davon, als sich die Thüre öffnet und zwei riesengroße Kerle, zwei bewaffnete Harumbaschi’s, hereintreten. Erschrocken blickt er nach seiner Flinte; die steht fern von ihm an der Wand. Einer der Räuber aber beruhigt ihn mit den Worten: „„Bleib wo Du bist, Trenck, wir haben Dir nie Uebles zugefügt, aber Du verfolgst uns mit der Grausamkeit eines Tigers und der List einer Schlange. Jetzt könnten wir Dich niederschießen und Dir den Lohn geben – aber wir verschmähen es, feig den Zufall, der Dich in unsere Hand lieferte, zu benutzen. Iß und trink mit uns. Wenn wir gesättigt sind, dann nehmen wir den Säbel zur Hand und sehen, ob Du so stark und unüberwindlich bist, wie die Leute sagen.““ Nach diesen Worten setzen die Harumbaschi’s sich ihm gegenüber an den langen schmalen Tisch und langen sorglos und ruhig zu. Dem Trenck ist natürlich sehr wenig wohl bei der Geschichte … wenn er im Zweikampf auch mit den Räuberhauptleuten fertig wird, dann muß er fürchten, daß ihre Gesellen nicht fern sind, und so nimmt er einen guten Augenblick wahr, zieht seine Sackpistolen heimlich aus der Tasche, richtet sie unter dem Tische auf den Bauch seiner Gegner, drückt zu gleicher Zeit ab, ergreift dann den ganzen Tisch, wirft ihn mit allem, was darauf ist, auf sie hin und springt glücklich zur Thüre hinaus. Dabei ist er gewandt genug, das Gewehr des einen Räubers zu fassen, welches neben der Thüre lehnt. Von den Harumbaschi’s bleibt einer blutend am Boden liegen, der andere arbeitet sich unter dem Tische hervor in die Höhe und rennt wuthschäumend dem Flüchtigen nach; der Trenck aber erwartet ihn stehenden Fußes, schießt ihn mit seiner eigenen Flinte nieder, schneidet ihm den Kopf ab und bringt diese Trophäe seinen Leuten nach Hause.“
„Ich habe davon gehört,“ sagte Frohn – „es ist so eines seiner Stücklein aus der Zeit, wo er in Ermangelung von anderem Zeitvertreib von den Gütern seines Vaters in Slavonien aus die großen Treibjagden auf die Grenzräuber unternahm und die ganze gefährliche Menschenhände, gegen die man früher alles Mögliche vergebens aufgeboten hatte, ausrottete … bis auf einen Rest von dreihundert entsetzlichen Kerlen, aus denen er den Kern seines Pandurencorps machte. Es ist das eine merkwürdig lehrreiche Schule für ihn gewesen – leider hat er seitdem nie begriffen, daß er nicht mehr Krieg gegen Räuber in Slavonien führte!“
„Und was soll jetzt mit ihm geschehen, wenn der Herr Oberstwachtmeister die Frage vergönnt?“ sagte Franzl.
„Du fragst mehr, als ich weiß,“ antwortete Frohn. „Der Krug geht eben so lange zu Wasser, bis er bricht – der Trenck hat so lange geplündert, gebrandschatzt und gehaust, bis die Kaiserin über alle die Klagen, welche wider ihn eingelaufen sind, in Zorn gerathen ist und ihren Kopf aufgesetzt hat, und der Welt zeigen will, daß in Oesterreich Gerechtigkeit herrsche gegen den Höchsten wie den Niedrigsten.“
Der Wachtmeister Franzl verrieth durch einen Zug seines Gesichts, der wie ein bittres Lächeln aussah, daß er sich innerlich seine Gedanken bei diesen Worten seines Vorgesetzten mache, die er doch nicht auszusprechen wagte.
„Du meinst, es sei nicht ganz so schlimm?“ fuhr Frohn fort, „und der Höchste habe immer noch gegen den Niedrigsten etwas wie einen kleinen Vorsprung voraus? … nun, das ist nicht unsere Sache zu beurtheilen, Franzl, die wir der Kaiserin schlichte Kriegsknechte sind und thun, was uns befohlen ist. Gute Freunde und Geld haben in der Welt immer viel ausgerichtet – von jenen hat der Trenck freilich nicht viele in Wien – dafür hat er desto mehr von letzterem – und wenn er damit den Hals aus der Schlinge ziehen kann, was denn in der That das Ende vom Liede sein wird: so ist’s für uns desto angenehmer, Franzl, wir können desto leichteren Herzens den Dienst verrichten, der uns befohlen ward und der auch deshalb nicht angenehm ist, weil er ein wenig nach Häscherdienst aussieht!“
Der Oberst von der Trenck stand in jenen Tagen, in der Zeit, nachdem Oesterreich mit Preußen den Frieden geschlossen, mit seinem Corps von Rothmäntlern im Hausruckviertel an der Donau; er selbst hatte sein Hauptquartier in der kleinen freundlichen Benediktiner-Abtei Engelhardszell aufgeschlagen, die etwa in der Mitte zwischen Passau und Linz, nahe der heutigen Grenze Oesterreichs, in einer Umgebung von großartiger landschaftlicher Schönheit liegt.
Das Thal der Donau ist hier von hohen malerischen Bergen eingeengt, deren Gipfel von alten Burgen gekrönt, deren steil ansteigende Wände oder Leithen von Hochwald bedeckt sind.
Das Kloster und die Abteikirche sind, wie die meisten kirchlichen Bauten in Oesterreich, keineswegs düstre mittelalterliche Bauwerke: sie gehören zum größten Theil dem siebenzehnten oder achtzehnten Jahrhundert an; und auch Engelhardszell bot in seinen verschiedenen Flügeln vergleichungsweise geräumige und lichte Gemächer dar, und in der Wohnung des Abtes freundliche Zimmer und Salons, in welchen der Pandurenoberst bequem auf seinen Lorbeeren ausruhen konnte.
Die Mönche hatten sich dicht zusammendrängen müssen, um ihm und einem Theil seiner Officiere Raum zu machen. Die frommen Herren führten einmal wieder ein sehr beschauliches stilles Leben; sie hatten vielleicht seit den Zeiten ihres Stifters, des Baiernherzogs Thassilo, nicht mehr in so strenger Zurückgezogenheit gelebt wie jetzt, wo sie sich scheuten, auf Gängen und Korridoren den wilden Gesellen, die unter ihrem Dache und leider auch in ihrem Keller das Regiment führten, zu begegnen … Die schwarze Soutane duckte sich vor dem rothen Mantel, wie eine Taube vor dem Weih.
In dem einen Büchsenschuß weit von der Abtei liegenden Marktflecken Engelhardszell war ein starker Trupp von Trenck’s Panduren einquartiert.
Am vierten Tage nach seinem Ausmarsch aus Wien, kurz nach Mittag, war der Oberstwachtmeister von Frohn in diesem Ort eingetroffen. Von der Ortsobrigkeit hatte er Quartiere für seine Leute verlangt, und die Ortsobrigkeit hatte rathlos und niedergeschlagen die Marschroute angestarrt, welche Frohn dem ehrlichen Oberösterreicher vorgehalten.
„Es ist halt ganz unmöglich,“ sagte der „Pfleger“ – „alle Häuser sind mit den Kroaten besetzt.“
„Und die Abtei auch?“
„Die Abtei … da liegt ja der Oberst selber!“
„Thut nichts, geb’ Er mir Quartierbillets für die Abtei.“
„Aber ich sag’s ja, Ew. Gnaden, da liegt der Oberst von der Trenck, der läßt Ew. Gnaden nicht hinein, und mich könnt’s gerad nur den Hals kosten …“
„Schreib Er nur das Billet – für alles Andere steh’ ich,“ antwortete Frohn befehlend; „es soll Ihm kein Haar gekrümmt werden – aber vorwärts, meine Leute sind hungrig und meine Pferde müde!“
Der „Pfleger“ sah mit einem Blick voll unbeschreiblichen Kleinmuths zu Frohn auf; der arme Teufel verrieth in seinem ganzen eingeschüchterten und rathlosen Wesen, wie angenehm die Lage eines Beamten in einem Orte sein mußte, wo der Trenck mit seinen Kroaten im Quartier lag; aber da Frohn jetzt Anstalt machte, selber an den obrigkeitlichen Schreibtisch zu treten und nach den Formularen für Quartierbillete zu suchen, lieferte er endlich das, was so gebieterisch von ihm verlangt wurde, aus, freilich mit einer Miene, als ob es im Grunde für ihn gleichgültig sei, ob er einen Tag früher oder später von seinen schrecklichen Gästen massacrirt oder in die Donau geworfen oder auf irgend eine andere grausame Weise seiner entsetzlichen officiellen Thätigkeit überhoben werde!
Der Oberstwachtmeister ritt nun mit seiner kleinen Escorte dem Kloster zu, vor dem zwei Seressaner mit ihren breiten Handschars Wache standen.
Ein Trupp dieser verrufenen und mit ihrem halbtürkischen Costüme, ihrer fremdartigen Bewaffnung wie ein Stück wilden Heidenthums aussehenden Kerle lagerte um ein großes Feuer, das sie auf dem freien Platze vor dem Kloster entzündet hatten; sie lagen auf ihren Mänteln auf der Erde; den Ehrenplatz auf einer Bank, die seitwärts aufgeschlagen stand, hatten sie einem großen Fasse überlassen, an welchem ein junger Trommlerbube den Zapfer machte.
Frohn überließ es seinem Wachtmeister, den Pater Kellner oder Klostervogt aufzutreiben, damit er Raum für Mann und Roß schaffe; er selbst warf die Zügel seines Pferdes einem seiner Husaren zu und betrat das Innere der Abtei durch ein Portal, welches heute trotz klösterlicher Clausur sperrangelweit offen stand. In einem Gange, an dessen rechter Seite eine Treppe aus rothem Salzburger Marmor in die Abtswohnung führte, fand er einen Kroaten, dem er befahl, ihn zum Obersten zu bringen.
„Was wollen bei Oberst? – Oberst hat nicht Zeit – hat zu thun, Oberst, viel zu thun!“
„Führ’ Du mich nur zu ihm, mein Bursche, ich komme von der Kaiserin!“
[722] „Darf nicht,“ sagte der Kroat achselzuckend, „was ist Kaiserin – Oberst ist Kaiser, wo ist Oberst!“
„Richtig – Oberst ist Kaiser, wo ist Oberst – ich habe aber mit ihm zu reden, und Du wirst mir zeigen, wo ich ihn finde, oder ich gebe Dir mit meiner Reitpeitsche eine Lection, wie Du den Stabelmeister Deines Kaisers zu machen hast!“
Der Pandur griff augenblicklich nach dem langen Pistol mit incristirtem Kolben, das er in seinem Gürtel trug, aber kaum hatte er es herausgerissen, als ein furchtbarer Hieb der Reitpeitsche Frohn’s seinen Unterarm traf, daß die Waffe klirrend zu Boden fiel.
Der wilde Mensch stieß eine Fluth von Flüchen aus und bückte sich, das Pistol wieder aufzuraffen, Frohn stieß es mit dem Fuße, daß es weithin den Gang hinab flog … am Ende dieses Ganges öffnete sich im selben Augenblick eine Thüre, und ein dunkles bärtiges Männergesicht blickte heraus.
„Was gibt’s da?“ rief der Mann mit zorniger Stimme.
Frohn wandte sich augenblicklich zu ihm.
„Ein Stabsofficier aus Wien, der den Oberst von der Trenck zu sprechen verlangt,“ sagte er mit großer Entschiedenheit „aber auf dem Wege zu ihm auf Mordgesindel stößt, gegen das er sein Leben vertheidigen muß!“
Ohne dieser Beschwerde eine weitere Beachtung zu zollen, zog der Mann in der Thüre sich zurück; man sah, daß er in das Innere des Zimmers hinein sprach, dann trat er über die Schwelle und indem er die Thüre weiter öffnete, sagte er: „Sie können eintreten.“
Der Oberstwachtmeister von Frohn trat in ein großes, ursprünglich im Rococo-Geschmack ziemlich reich decorirtes Zimmer, mit einem kleinen Deckengemälde, Stuckarbeiten und Supporten; es war wahrscheinlich der Empfangssalon des hochwürdigen Klostervorstandes; der Anblick, den es jetzt darbot, konnte jedoch nicht unklösterlicher gedacht werden. Auf einem großen runden Tische in der Mitte standen Flaschen und Gläser, lagen Karten und Würfel und türkische Pfeifen bunt durcheinander; hinter dem Tische saßen ein paar eben so bärtige, eben so braun und martialisch aussehende Männer, wie der, welcher Frohn einführte, aber der Letztere fand keine Zeit, ihnen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, weil diese zunächst vollständig gefesselt wurde durch die merkwürdige Gestalt, die sich bei seinem Eintritt erhob und ihm ein paar Schritte entgegentrat.
Es war ein baumstarker, an Größe Frohn selber noch bedeutend überragender Mann, mit einem Gesichte, das einen unverlöschlichen Eindruck auf Jeden, der es einmal erblickt hatte, machen mußte; es war nicht ursprünglich unschön, dies Gesicht, die Züge nicht unregelmäßig geschnitten, aber tiefe Furchen waren in die von Wetter und Wind gegerbte braune Lederhaut gegraben, aus den dichten schwarzen Brauen sprangen einzelne lange dicke Haare vor, und erhöhten den Eindruck des Katzenhaften, den die eigenthümlichen grauen Augen machten, welche einen matten, halb erloschenen Glanz hatten; das Auffallendste an dem Gesicht aber bestand darin, daß die ganze eine Seite desselben schwarz war, wie die eines Negers – die Explosion eines Pulverfasses in unmittelbarster Nähe hatte es verbrannt und für immer so schwarz gefärbt.
„Was steht dem Herrn zu Diensten? Ich bin der Oberst von der Trenck,“ sagte der Mann.
„Oberstwachtmeister von Frohn, vom Husarenregimente König Joseph,“ antwortete Frohn in militärischer Haltung; „ich habe die Ehre, mich bei dem Herrn Obersten zu melden.“
„Im Dienst hier?“
„In speciellen Aufträgen der Kaiserin.“
„Und die lauten?“
„Da sie ein wenig diplomatischer Natur sind, so werden der Herr Oberst erlauben …“ Frohn warf einen Blick auf die im Hintergrund sitzenden Officiere Trenck’s.
„Nun, so wird’s Zeit haben bis später,“ fiel dieser ein; „unterbrechen wir unser Spiel darum nicht. Der Herr Camerad kann Theil daran nehmen, wenn er Lust hat.“
Dabei deutete er auf einen Stuhl und warf sich wieder auf das Ruhebett neben dem Tische, von dem er vorhin aufgestanden war.
Frohn fand es zweckmäßig, seine Ermüdung durch den zurückgelegten Tagemarsch nicht zu beachten; er setzte sich ruhig an den Tisch, knöpfte seine Uniform auf, löste die Kuppel seines Säbels und ließ diesen rasselnd auf den Boden neben sich niederfallen.
„Wenn der Herr Oberst erlauben, verhelfe ich mir zuerst zu einem Glase Wein. Ich glaube, es ist vortrefflicher Ruster, ich bin durstig durch meinen Marsch geworden.“ Er schenkte sich ein großes Kelchglas voll, leerte es auf einen Zug, schnalzte dann mit der Zunge und sagte: „Nun stehe ich zu Befehl. Bitte den Herrn Obersten jedoch, mich zuvor noch mit den drei andern Herren bekannt zu machen.“
„Das da ist mein Oberstlieutenant Baron de Dolne, das der Herr von Wrtschowar und dies Herr von Nakowitsch, Majore in meinem Corps.“
„Halte mich den Herren empfohlen!“ sagte Frohn, indem er jedem eine kurze Verbeugung mit dem Haupte machte. „Was ist der Einsatz?“
Der Oberst von der Trenck griff zu den Karten, nachdem er einen eigenthümlichen lauernden Blick auf Frohn geworfen. Er war nicht gewohnt, daß Leute, welche sich zum ersten Male in seiner Gegenwart befanden, diese vollständige Sicherheit an den Tag legten und sich so in keiner Weise zu geniren schienen.
„Der Namen des Herrn Cameraden ist mir bekannt,“ sagte er dann, während er die Karten mischte; „ich habe von ihm gehört – hat er nicht als Kriegsgefangener in Magdeburg gesessen und da die Bekanntschaft meines Vetters, des preußischen Windbeutels, gemacht?“
„Ich habe allerdings den Herrn Vetter dort kennen lernen.“
„Und sieht ihn auch wohl unterweilen in Wien?“
„Selten,“ versetzte Frohn – „ich vertrage mich nicht wohl mit ihm. Der Mann ist mir zu groß. So viel Weisheit, Geistesgröße und Heldenmuth, wie sich in diesem einen Sterblichen beieinander finden, ist für ein untergeordnetes Menschenkind wie unser Eins, auf das er mit so viel Recht von seiner Höhe tief herabblickt, nicht bequem und unangenehm.“
„Ja, es ist ein hochmüthiger Bursch, der Fritz!“ fiel lachend der Oberst ein. „Seitdem alle Welt seine Lebensbeschreibung und was er sonst von sich ausgehen läßt, gelesen hat, und er ein berühmter Mann dadurch geworden ist – seitdem die Narren in Wien und Paris Trenckdosen und Trenckhüte und Trenckschnupftücher tragen, ist der Hansdampf in allen Gassen ganz übergeschnappt und will Papst und Potentaten belehren und die Welt anders machen, als sie der liebe Gott gemacht hat, der die Dummheit beging, den Fritz nicht dabei zu fragen! Na, er wird schon gedemüthigt werden; ich habe ihn zu meinem Erben eingesetzt, und wenn mich einmal der Teufel holt, was doch über kurz oder lang der Fall sein muß, dann wird der Fritz zu schaffen bekommen!“
Der Oberst stieß hierbei ein stilles boshaftes Lachen aus; dann begann er als Bankhalter die Karten abzuziehen, während die Officiere Goldstücke setzten und auch Frohn aus einer schweren, von Gold strotzenden Börse eine Anzahl Stücke hervorzog, um damit zu pointiren.
Das Auge des Obersten streifte mit einem Seitenblick, der nicht sprechender und gieriger aus dem Auge eines Wucherers hätte blitzen können, die volle Börse Frohn’s.
Er war eben im besten Zuge des Abschlagens der Karten begriffen – es war das einfache Spiel: „Landsknecht“, was die Herren trieben – als die Thüre sich öffnete und ein Paar Männer, die eine eigenthümliche Gruppe zusammen bildeten, eintraten. Es waren ein Mönch und ein Seressaner; dieser, ein vierschrötiger Mensch mit einer tiefen Narbe über das Gesicht, hatte den erschrocken aussehenden geistlichen Herrn, dem das schwarze Käpplein vom Haupte gefallen war und die dünnen weißen Haare unordentlich um die Schläfe hingen, an der Schulter gefaßt und in’s Zimmer geschoben, wo der letztere angsterfüllt sich ein Mal über das andere demüthig verbeugte, während der Seressaner in stracker Haltung eine Meldung in kroatischer Sprache machte.
Unser Oberstwachtmeister hatte seine militärischen Lehrjahre nicht umsonst im Banat durchgemacht; er verstand die Meldung vollständig und fiel sogleich ein: „Es handelt sich um die Einquartierung meiner Leute, wie ich höre; ich habe dem Pfleger im Marktflecken befohlen, uns Quartier hier im Kloster anzuweisen, da der Flecken, wie er behauptet, überfüllt ist.“
Das Auge Trenck’s leuchtete von einem unheimlichen Glanz auf; während sich die Furchen seiner Stirn in tiefe Falten zusammenzogen.
„Der Herr Oberstwachtmeister haben befohlen?“ sagte er mit einem zornigen Hohn; „und da der Trenck mit seinen Leuten im [723] Kloster liegt, wird derselbe wohl, um Raum für den Herrn Oberstwachtmeister zu schaffen, sich hinaus trollen müssen und bivouakiren?“
„Ich bitte sehr,“ antwortete Frohn mit der größten Ruhe und voller Ernsthaftigkeit, „daß der Herr Camerad sich um meinetwillen nicht geniren. Ich hoffe, daß Platz für uns Alle da ist; nöthigenfalls können meine Leute auf Stroh in den Corridoren liegen!“
Der Oberst blickte mit Verwunderung auf den Mann, der ihm mit solcher Unbefangenheit die Stirn bot, und ebenso sahen die anderen Officiere staunend auf Frohn.
„Dem Herrn Pater Kellner,“ fuhr dieser zu dem angsterfüllten Benedictiner gewendet fort, „empfehle ich meine Leute zu guter Verköstigung; ich werde dem Kloster ein gutes Douceur dafür hinterlassen. Meine Leute sind strenge danach instruirt, daß sie sich aufs Bescheidenste betragen. Wenn dem Herrn Pater weiter etwas in den Weg gelegt werden sollte, so wende er sich nur an mich, ich stehe jeden Augenblick bereit, ihn nachdrücklich in Schutz zu nehmen und dem geistlichen Gewand, das der Herr trägt, Respect zu verschaffen.“
„Tod und Teufel!“ rief der Oberst von der Trenck hier auffahrend aus, „wer commandirt denn hier, der Trenck oder …“
„Der Herr Oberst von der Trenck commandiren hier Ihr Panduren-Freicorps,“ versetzte Frohn gemessen, „und der Oberstwachtmeister von Frohn vom Regiment König Joseph-Husaren commandirt sein Detachement. Das nöthige Quartier gibt der Unterthan her, und wenn Ihre Majestät die Kaiserin militärische Dispositionen treffen, wonach sich Dero verschiedene Truppen auf einem Platze begegnen, so müssen sich dieselben in den Raum theilen und zusammen schicken, so gut es eben angeht. Das ist, dünkt mich, so klar und einfach und so über allen Zweifel hinaus, daß der Herr Oberst gewiß kein Wort mehr darüber verlieren wollen, damit wir nicht länger um unser angenehmes Spiel kommen!“
Der Oberst von der Trenck warf sich in seine ruhende Lage zurück. Er murmelte einige zornige Flüche zwischen den Lippen, während er wieder nach den Karten griff. Dann lachte er plötzlich laut auf.
„Der Herr Camerad hat beim Teufel Recht!“ rief er dabei aus, „packt Euch, Ihr da an der Thüre, die Husaren können bleiben, und daß ich von keinem Streit und von keinen Raufereien höre, oder das Wetter fährt Euch auf den Schädel!“
Der Pater Kellner und der Seressaner verschwanden sofort; Trenck schlug die Karten ab, wie zuvor, aber die anderen Officiere beobachteten mit eigenthümlichen Blicken den Oberstwachtmeister von Frohn. Vielleicht war es Bewunderung seiner ruhigen Kühnheit, was in ihren Blicken lag, vielleicht dachten sie nicht viel anders als: wenn unser Geizhals von Oberst nicht vorzöge, Dich hier zu halten, um erst Deine volle Geldbörse zu plündern, so würdest Du einen ganz andern Mann an ihm gefunden haben!“
Das Spiel hatte etwa eine Stunde gedauert; Frohn hatte den Inhalt seiner Börse sich um ein Bedeutendes vermindern sehen, denn es war, als ob der Pandurenoberst eine magnetische Anziehungskraft für die blanken Kremnitzer Ducaten besitze; endlich hatte er sich erhoben, um zu revidiren, wie sein kleines Kommando sich unter Dach und Fach gebracht, und um sich im Kloster-Refectorium einen Imbiß auftragen zu lassen, da er seit dem Frühstück nichts genossen hatte. Er fand seine Leute im Refektorium versammelt; da sie die Sprache der Panduren nicht verstanden und vielleicht eine Art aristokratische Abneigung fühlten sich mit diesen Burschen einzulassen, hatten sie sich im Kloster zusammengehalten, und zu ihnen hatten ein paar von den Klosterherren sich gesetzt, die aus der Anwesenheit so disciplinirter und wohlgeschulter Kriegsknechte eine Art Trost und Beruhigung schöpften. Franzl, der Wachtmeister, saß hinter einem Bierkruge neben dem Pater Kellner, welcher ihm die haarsträubendsten Dinge von den Streichen dieser Panduren erzählte, die nach seinen Berichten eine Art eingefleischter Teufel sein mußten.
Frohn setzte sich zu ihnen, und während für ihn die Speisen bereitet wurden, hörte er diesen Berichten zu. Der Imbiß wurde aufgetragen; nachdem Frohn gegessen, winkte er Franzl in den Hintergrund des langen und dunklen Raumes, wo er ihm leise flüsternd mehrere Befehle gab. Franzl verschwand danach aus dem Kloster, um sich sogleich nach dem Marktflecken hinab zu begeben. Frohn aber ließ sich in die Zelle führen, die für ihn bereitet war und wohin Franzl bereits seinen Mantelsack hatte bringen lassen – dort warf er sich auf das Bett nieder, um ein paar Stunden zu ruhen.
Es mochte neun Uhr sein, als Franzl ihn weckte. Der Oberst ließ den Herrn Cameraden ersuchen, das Nachtmahl mit ihm einzunehmen.
Frohn erhob sich.
„Was hast Du ausgerichtet, Franzl?“ fragte er.
„Alles in Ordnung; der Schiffer war ganz willig und ist ein Mann wie wir ihn brauchen!“
„Gut … und was ich Dir anvertraut habe?“
Franzl schlug mit dem Säbel lächelnd an den Schaft seines Halbstiefels.
„Hier steckt’s, Herr Oberstwachtmeister – seien Sie ganz ruhig; es nimmt mir’s Niemand!“
„So gib mir den Dolman.“
Frohn warf den Dolman über die Schultern und ging den Corridor hinab zum Zimmer Trenck’s.
Als Frohn bei diesem eintrat, fand er Trenck allein. Er schritt, die Hände auf dem Rücken, langsam auf und nieder. Ein Diener hielt sich aufrecht neben dem Sessel des Obersten, der an einen mit Speisen besetzten Tisch geschoben war.
„Nehmen der Herr Camerad mit mir vorlieb,“ empfing Trenck den Eintretenden. Dieser verbeugte sich.
„Nachher,“ fuhr jener fort, „können wir zu den Aufträgen übergehen, die der Herr von Frohn an mich zu haben behauptet.“
„Ich stehe dem Herrn Oberst ganz zu Befehl!“
Man setzte sich. Trenck aß rasch, und da Frohn ihm gleichen Schritt zu halten suchte, konnte die Tafel bald abgeräumt werden: die Flaschen und Gläser blieben.
„Laß Er uns jetzt allein,“ sagte der Oberst zu dem Diener, und als dieser gegangen war, fuhr er zu Frohn gewendet fort:
„Wenn’s also beliebt, können wir zur Sache übergehen, mein Herr Diplomat … packe der Camerad aus mit seiner Angelegenheit, und ein wenig kurz, damit wir zur Ruhe kommen.“
Frohn füllte sein Glas mit rothem Ungar; dann zog er ein geschliffenes Krystallfläschlein aus der Brusttasche seiner Uniform hervor und goß einige Tropfen daraus in seinen Wein.
„Was tröpfelt der Oberstwachtmeister denn da in sein Getränk?“ fragte der Oberst, der ihm aufmerksam zusah.
„Ein Lebenselixir, das von besonderer Kraft ist. Ich habe es von einem alten türkischen Arzt bekommen, dem ich beisprang, als ihn ein Haufe Slavonier in die Donau werfen wollte. Es hat eine ganz merkwürdige Kraft und wer es braucht, den schützt es vor allen inneren Krankheiten; es curirt vom Fieber und merkwürdig ist, wie ruhig und fest man danach schläft.“
Frohn leerte sein Glas zur Hälfte mit großem Behagen, dann goß er noch einige Tropfen zu.
„Das könnt’ ich brauchen,“ sagte Trenck, „ich liege manche Stunde schlaflos in der Nacht und wälze mich, fluchend über die Langeweile, hin und her.“
„Will der Herr Camerad versuchen?“ versetzte Frohn. „Das Recept steht ihm zu Diensten.“
Trenck hielt Frohn sein Glas hin, und dieser ließ eine ziemlich starke Dosis seines Elixirs in den rothen Wein tröpfeln.
Der Oberst trank davon.
„Man schmeckt nichts!“ sagte er, mit den Lippen schnalzend.
„Aber die Wirkung wird sich schon verspüren lassen,“ entgegnen Frohn, sein Glas leerend.
„Und nun die Aufträge?“
„Sie bestehen zunächst darin, daß ich dem Herrn Oberst ein Gespräch mittheilen soll, welches in den letzten Tagen zwischen der Kaiserin und dem König Joseph über den Herrn Oberst stattgefunden hat. Die Kaiserin hat da ein wenig ungnädig sich über den Herrn Obersten ausgesprochen und von allerlei Klagen geredet, die gegen denselben bei ihr angebracht seien; er sei ein Ketzer, ein Gottesleugner, er hätte keinen Respect vor Gott noch dem Teufel, und es sei ihm nichts auf der Welt und im Himmel heilig. Wogegen denn seine Majestät der römische König den Herrn Obersten vertheidigt haben; und endlich haben die junge Majestät mich rufen lassen und haben mir befohlen: Frohn, setze Er sich zu Pferde und reite Er zum Trenck; sage Er dem Obersten, ich hätte mein Wort verpfändet, daß ihm wenigstens das heilig sei, was jedem guten Soldaten heilig ist, sein Ehrenwort. Nehme Er dem Obersten [724] von der Trenck das Ehrenwort ab, daß er hierher nach Wien kommen und sich vor seiner Kaiserin verantworten wolle gegen das, was allerlei Menschen, die ihr Gehör gefunden, gegen ihn vorgebracht haben. Der Oberst von der Trenck kann in Wien auf meine Protection rechnen, da ich nicht zweifle, daß er sich von allen jenen Anschuldigungen wird mit leichter Mühe rechtfertigen können.“
Der Pandurenoberst hatte den Oberstwachtmeister, während dieser mit größter Seelenruhe sprach, überrascht angesehen, und seine Augen funkelten jetzt in heftigem Zorne auf.
„Zum Teufel,“ rief er aus, „das ist eine schöne Litanei, die der Herr Camerad mir da vorbetet. Und dazu soll der Trenck geduldig Amen sagen? Also die Frau Kaiserin, für die ich hundert Mal mein Leben in die Schanze geschlagen habe, hat sich von Pfaffen und alten Weibern wider mich aufhetzen lassen? Und jetzt, wo der Krieg aus ist, in dem der Trenck Wunder gethan hat, wo man ihn nicht mehr gebraucht, da soll er sich verdefendiren! Hölle und Teufel, Herr Camerad, ich habe erwartet, daß meine Kaiserin mir das Feldmarschalllieutenants-Patent schickte, aber solche Botschaft nicht!“
„Ich meine, es muß dem Herrn Obersten lieb sein,“ fiel Frohn ein, „daß man ihm Gelegenheit geben will, sich von dem Verdacht zu reinigen, den man der Kaiserin nun einmal beigebracht hat!“
„Die Kaiserin ist ein unvernünftiges Weibsbild,“ schrie Trenck wüthend auf, „das Hofgesindel und die Federfuchser in Wien sind meine Feinde …“
„Vergesse der Herr Oberst nicht, daß ich von Ihrer Majestät der Kaiserin, die Gott erhalte, nicht in meiner Gegenwart so reden hören darf …“
„Darum scheer’ ich mich den Henker,“ fuhr der zornige Pandurenoberst fort, „wie um die ganze Wiener Hallunkenbande, die mir etwas an’s Zeug flicken wollen, blos deshalb, weil ich nicht Lust habe, mich von ihnen als Schwamm gebrauchen zu lassen der sich bei Freund und Feind vollsäuft und den sie dann gemüthlich ausdrücken … da liegt der Hase im Pfeffer, mein schlauer Herr Camerad, der sich zu solchen Botendiensten beim Trenck gebrauchen läßt! – Ja, darauf läuft’s hinaus – sie wissen, die Federfuchser in Wien, daß der Trenck mit saurem Schweiß und halsbrechender Mühe sich ein paar Groschen auf die Seite gebracht hat …“
„Aber,“ fiel hier Frohn ein, auf dessen Lippen es ein leises Lächeln brachte, als er sah, wie fest der Ideengang eines Geizhalses bei seinem Gelde haftete, – „aber darum handelt es sich ja nicht, sondern blos um eine dienstliche Verantwortung über Dinge, die Sie schon Ihrer Ehre wegen nicht unaufgeklärt lassen, werden, – der König hat mir das selbst gesagt, und ich wiederhole Ihnen, daß er mir ausdrücklich aufgetragen, Sie seiner Protection zu versichern.“
„Was Protection – ich kenne das … wenn man die Schreiberseelen einmal so weit hat kommen lassen, daß sie ihr Gift in die Protokolle laichen können, dann ist ein ehrlicher Kerl unrettbar verloren, dann hilft ihm Joseph’s Protection nicht mehr. Wird der Monarch daran erinnert, so heißt es: wir haben nicht voraussetzen können, daß die Untersuchung eine solche Wendung nehmen würde, es sind Umstände eingetreten, die uns zwingen, von einer persönlichen Einmischung in den Lauf der Sache abzusehen, und was diese diplomatischen Ausflüchte sind, die einem ehrlichen Soldaten, der sein Bestes meint gethan zu haben, den Strick um den Hals lassen!“
„Ich fasse nicht,“ entgegnete Frohn, „wie der Herr Camerad die Sache so bedenklich findet – ich an seiner Stelle würde sogleich an den Hof eilen und meine Widersacher beschämen.“
„Das werde ich schön bleiben lassen,“ rief Trenck aus. „Solchem Gesindel ist eine redliche Kriegsgurgel nicht gewachsen – und wenn ich es wäre, hätte ich keine Lust, zum Ritter Sanct Georg an dem Hofkriegsraths-Lindwurm mit den Gänsekielen und dem schwarzen Tintengift zu werden. Mögen die niederträchtigen Bestien, die meine Monarchin wider mich aufhetzen, in ihrem eigenen Gift ersticken – ich bleibe wo ich bin – wir wollen doch einmal sehen, ob man wagen wird, offen etwas gegen den Trenck zu unternehmen, den einzigen fähigen Kopf, den das Haus Oesterreich unter seinen Soldaten hat; denn das mag mir der Camerad glauben, die Andern, vom großmüthigen Herrn Feldmarschall Herzog von Lothringen an, bis herunter auf den weisen Laudon, den ich als Lieutenant bei meinem Corps hatte und als unbrauchbar zum Teufel jagte, die Andern sind Alle Dummköpfe!“
„Sie wollen mich also nicht nach Wien begleiten?“
„Nein!“ versetzte Trenck, sein Glas leerend.
„Wenn ich aber Ihr Ehrenwort erhalte?“ fragte Frohn, das seinige ebenfalls leerend und, als Trenck die beiden Gläser wieder voll schenkte, in beide etwas von seinem Elixir tröpfelnd.
„Mein Ehrenwort wird der Camerad nicht erhalten,“ versetzte Trenck, in seiner Erhitzung nach dem Glase greifend und es hinunterstürzend.
„Aber,“ fiel Frohn ein, „wenn ich es erhalte, so werden Sie zeigen, daß König Joseph Recht hatte, und daß es Ihnen heilig ist.“
„Daran wird der Camerad nicht zweifeln,“ murrte Trenck, „oder ich müßte ihn vor die Klinge fordern!“
„Nun wohl, mein Herr Oberst von der Trenck, so sind wir beide morgen auch zusammen auf dem Wege nach Wien,“ antwortete Frohn.
„Wie ist das zu verstehen? Was heißt das?“
„Weil der Herr Camerad mir sein Wort geben wird.“
„Tollheit!“
„Innerhalb der nächsten Viertelstunde.“
„Ich? daß ich mit dem Oberstwachtmeister nach Wien reiten werde? Den Teufel werde ich thun!“
„Wollen Sie meine Gründe hören?“
„Larifari – der Herr Camerad hat meine Antwort auf seine diplomatischen Aufträge gehört, jetzt ist genug über die Sache geschwatzt … Was ich gesagt habe, kann er in Wien bis auf die letzte Sylbe wieder berichten, ich scheer’ mich den Henker darum – und nun mag er gehen und sich auf’s Ohr legen, es ist Schlafenszeit!“
„Noch nicht, ich habe noch einige Worte zu sagen, um zu Ende zu kommen.“
„Ich meine, ich habe genug Unsinn gehört,“ fiel Trenck ein, „was hat der Camerad noch auf dem Herzen?“
„Oberst von der Trenck,“ entgegnete Frohn, indem er dem riesigen Mann mit dem abenteuerlichen Kopfe, der jetzt von Zorn und Wein geröthet doppelt unheimlich und wild aussah, ernst und fast drohend in die funkelnden Augen blickte – „Oberst von der Trenck, ich weiß sehr wohl, daß Sie sich sehr wenig aus ihrem Leben machen; Sie haben es mehr als hundert Mal in die Schanze geschlagen, wer wie Sie mit dreihundert Mann die Festung Budweis stürmt und ein ganzes Regiment Preußen darin zum Gewehrstrecken zwingt; wer ganz allein in eine meuterische Truppe hineinsprengt, und je dem vierten Mann den Kopf herunter haut, der betrachtet den Tod als ein Kinderspiel. Was mich angeht, so habe ich es freilich bis zu dieser Gleichgültigkeit nicht gebracht, und wenn ich auch im Felde und dem Feinde gegenüber als guter Soldat meine Schuldigkeit gethan habe, so ist es mir doch ein furchtbarer Gedanke, in der Kraft meiner Jahre plötzlich sterben zu sollen …“
„Aber zum Teufel, wie gehört das hierher – was ficht den Cameraden denn an?“ rief Trenck aus, indem eine gewisse Unruhe aus seinen unstät aufblitzenden Blicken hervorbrach.
„Es gehört sehr hierher,“ fuhr Frohn fort; „denn wenn der Oberst von der Trenck bei seinem Entschluß bleiben und mir sein Ehrenwort nach wie vor verweigern wird, so sind wir in ein paar Stunden oder noch früher Beide Leichen, er wie ich!“
„Hölle und Teufel,“ fuhr Trenck auf, „was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß wir Beide Gift genommen haben, eine ganz hinreichende Dosis, um ein Pferd zu tödten.“
„Gift!“ schrie Trenck, indem er entsetzt aufsprang und nach seinem Säbel griff.
„Gift!“ wiederholte Frohn, ebenfalls aufstehend, und mit ruhiger Hand, an der nicht das leiseste Zittern zu bemerken war, die kleine Krystallflasche, die vor ihm stand, zum Lichte erhob. „Ich habe dem Cameraden gesagt, daß dies ein Wundertrank wider alle Krankheiten sei und einen merkwürdig ruhigen und festen Schlaf verleihe; es verleiht den Todesschlaf! Hat der Oberst einen kunstverständigen Mann, einen tüchtigen Arzt in seinem Hauptquartier, so lasse er ihn herbeiholen; er kann es untersuchen … wenn es noch Zeit dazu ist – der Trank wirkt in einer bis zwei Stunden!“
[751] Der Anblick, den Trenck bei Frohn’s Worten darbot, war unbeschreiblich. Die dunkelrothe Seite seines Gesichts war gelbgrau, die schwarze erdfahl geworden; die Augen traten aus ihren Höhlen hervor, und dann ergoß sich wieder ein dunkler Blutstrom über diese häßlichen Züge, und in unbändige Wuth ausbrechend, rief er: „Giftmischer … ich erwürge Dich …!“ und drang mit dem gehobenen Säbel auf Frohn ein.
Dieser hatte jede seiner Bewegungen beobachtet; er hatte seinen eigenen Säbel rasch genug erhoben, um mit demselben, ohne ihn aus der Scheide zu ziehen, Trenck’s Waffe pariren zu können.
„Laß der Oberst die Säbel fort,“ sagte er dann ruhig und gebieterisch, „wir können uns die Mühe sparen, uns die Hälse zu brechen. Uns zu stillen Leuten zu machen, dazu reicht das Gift hin … die Augenblicke sind kostbar, und ich verlange, daß Sie mich anhören. Es gibt eine Rettung für uns!“
Der Oberst von der Trenck ließ sich auf seinen Sessel zurückfallen, warf den Säbel neben sich auf den Boden und horchte auf.
„Es gibt eine Rettung,“ fuhr Frohn fort, sich ebenfalls wieder setzend, „… ich habe dies Gift nicht getrunken, ohne seine Wirkung, wenn ich will, lähmen zu können!“
„Aha, ein Gegengift hat Er bei der Hand … das Ganze ist eine Komödie, die man mit mir spielen will,“ fiel Trenck aufathmend ein.
„Eine Komödie nicht – ich werde mir mein Gegengift abkaufen lassen … beliebt dem Obersten mein Preis nicht, so sterben wir Beide. Ich bin in seiner und seiner Leute Gewalt … ich kann, wenn er’s verhindern will, keinen Schritt thun – das Gegengift einnehmen, ohne es ihm auch zukommen zu lassen, kann ich also nicht. Es ist aber auch dafür gesorgt, daß es ohne meinen Willen nicht in Ihre Hände gelangt, mein Herr Oberst. Lasse der Herr Camerad mich in Stücke hauen, es hilft ihm nichts; er sieht, daß ich zu sterben bereit bin, wenn es sein muß. In meinem Gepäcke ist das Gegengift auch nicht, und nicht in meiner Kleidung verborgen … kurz, mit Gewalt richtet der Camerad nichts aus, darauf gebe ich ihm mein Wort als Officier und Edelmann.“
Trenck sah den Redenden starr an; er schien in Frohn’s Zügen dessen innerste Gedanken lesen zu wollen.
„Verflucht,“ sagte er dann, „… es ist zehn gegen eins zu wetten, daß Er mich belügt, daß in der Phiole da nichts ist, als harmloser Stoff … Wasser … aber der Teufel lasse es darauf ankommen – es ist mir, als fühlt’ ich’s jetzt schon im Magen brennen.“
„Und darum ist keine Zeit zu verlieren,“ fiel Frohn ein, „… es gibt nur ein Heilmittel wider diesen Trank – Ihre Quacksalber, wenn Sie sie rufen lassen, vermögen nichts dawider … kommen wir zum Schluß – geben Sie mir schriftlich Ihr Ehrenwort, daß Sie morgen mit mir nach Wien reiten, dann hole ich das Gegengift herbei.“
„Sie sind ein entsetzlicher Mensch!“ sagte Trenck, düster aber ruhig seine Augen auf Frohn heftend.
„Wer mit dem Obersten von der Trenck zu thun hat, muß schon besondere Mittel anwenden,“ entgegnete Frohn lächelnd. „Aber entschließen Sie sich. Ist Ihnen mein Preis zu hoch? Oder wollen Sie einige Augenblicke länger warten, um erst die Wirkungen des Giftes zu spüren? Es könnte dann leicht zu spät werden.“
„Ich muß mich gefangen geben,“ antwortete der Oberst nach einer Pause, während welcher er Frohn fortwährend angestarrt und unverständliche Worte vor sich hin gemurmelt hatte. „So sei’s denn in des Teufels Namen!“
Er zog aus seiner Brusttasche ein Portefeuille hervor, schrieb mit dem Bleistift einige Worte hinein, riß das Blatt heraus mit überreichte es Frohn.
„Es genügt,“ versetzte dieser, nachdem er es überblickt, und barg das Blatt auf seiner Brust. „Lassen Sie Ihren Diener kommen und ihn rasch den Wachtmeister von meinen Husaren herbeiholen; auch lassen Sie Wasser herbeischaffen.“
Trenck nahm eine kleine silberne Pfeife, die vor ihm auf dem Tische lag, und lockte einen hellgellenden Ton daraus hervor. Nach wenig Augenblicken trat der Diener in’s Zimmer.
„Schaff’ Er augenblicklich den Wachtmeister von den Husaren herauf und bring’ Er Wasser herbei!“ herrschte der Oberst ihm zu.
„Der Husar lungert schon lang auf dem Gange,“ sagte der Diener, indem er hinauseilte; gleich darauf kam er in der That mit Franzl wieder herein.
„Franzl,“ sagte der Oberwachtmeister, „wir haben Deinen Stiefel nöthig.“
Franzl hockte im nächsten Augenblicke am Boden und zog mit merkwürdiger Behendigkeit eine seiner Tschismen aus; eben so rasch machte er mit einem Taschenmesser einen Einschnitt in das Lederfutter des Schaftes und zog daraus zwei weiße Päckchen hervor. Aber bei diesem Thun verrieth das Zittern seiner Hände die große Aufregung, worin er sich befand. Frohn nahm ihm die Päckchen ab und ließ sich von dem Diener in zwei Gläser ein wenig von dem Wasser gießen, das der Mensch eben aus dem Nebenzimmer herbeigeholt hatte. Die Päckchen enthielt ein gelben Pulver – Frohn schüttete eines derselben in jedes Glas aus, [752] mischte es mit dem Wasser, und während er Trenck eines der Gläser reichte, leerte er selbst das andere.
„Wir haben nie in unserm Leben eine wirksamere Medicin eingenommen,“ sagte er dann lächelnd. „Der alte Türk, von dem ich dies kleine schätzbare Geheimmittel habe, hat vor meinen Augen damit die merkwürdigsten Versuche an allerlei Thieren angestellt. Ich freue mich, dem Herrn Obersten jetzt eine ruhige Nacht wünschen zu können … außer etwas Kopfweh und ein wenig Appetitlosigkeit wird dem Herrn Cameraden morgen nichts Beschwerde machen!“
„Will’s hoffen,“ sagte Trenck, indem er rasch die kleine Giftflasche Frohn’s, die noch auf dem Tische stand, ergriff und zu sich steckte, „… es wird auch nöthig sein, damit wir morgen mit freiem Kopfe überlegen können, was weiter zu thun. Bis dahin gehabe der Herr Giftdoctor und sein Apotheker sich wohl!“
Trenck sprach diese Worte mit einem lauten Hohn und jetzt wieder zornig aufflammenden Augen, denen Frohn mit dem ruhig’sten Blicke von der Welt begegnete.
„Auf Wiedersehen!“ sagte er und verließ mit seinem Wachtmeister das Zimmer des Obersten.
„Ist Alles bereit?“ flüsterte er dann Franzl zu, während er den Gang vor Trenck’s Wohnzimmer hinabschritt.
„Alles, wie Sie es befohlen haben. Drei von unsern Leuten stehen auf der Treppe vor uns postirt, wenn Sie das Zeichen gegeben hätten, zu Ihrer Hülfe bereit … zwei sind im Stall bei den gesattelten Pferden, und einer wartet, um uns zum Schiffer zu führen, am Eingang vom Flecken.“
„Und mein Mantelsack?“
„Ist schon aufgeschnallt, der Mantel ist auch bei den Pferden, die großen Pistolen sind frisch geladen und stecken in den Halftern.“
„Dann also vorwärts!“ antwortete Frohn.
Sie waren an der Treppe angekommen, schritten die Stufen hinab, und gefolgt von den drei Husaren, welche auf der Treppe bereits ihres Vorgesetzten harrten, verließ Frohn jetzt eilig das Abtei-Gebäude, um sich über den dunkeln Klosterhof nach den Stallungen zu begeben.
„Der Oberstlieutenant de Dolne soll zu mir kommen,“ sagte Trenck zu seinem Diener, nachdem er eine Zeitlang mit finster gerunzelter Stirn Frohn nachgeblickt hatte.
Der Diener eilte fort, und der Oberstlieutenant erschien.
Er fand Trenck heftig auf- und abgehend und zornig halblaute Worte ausstoßend.
„Setzt Euch, de Dolne – ich will Euren Rath hören. Es gehen merkwürdige Dinge vor.“
„Was ist Euch widerfahren, Oberst … hat Euch die Conferenz mit dem Wiener so echauffirt?“
„Echauffirt? Es ist kein Wunder, daß man echauffirt ist, wenn man eine Dosis Höllenfeuer im Leibe hat … dieser Wiener ist ein wahrer Teufel … ich hätte Lust, einmal meine Seressaner an ihm den Versuch machen zu lassen, ob sie noch einen Kerl richtig zu spießen verstehen!“ – und dann erzählte der Oberst dem Baron de Dolne die ganze Scene, die eben vorgefallen war.
„Das ist ja ein ganz verzweifelter Mensch!“ rief der Letztere außer sich vor Erstaunen aus.
„Und wenn man solch einen Cujon mit solchen verruchten Mitteln in Bewegung setzt,“ fiel der Oberst ein, „um den Trenck zu bewegen, nach Wien zu kommen, um ihn herzuschaffen, er mag wollen oder nicht, so muß da nicht viel Gutes für ihn zusammengebraut werden!“
De Dolne nickte mit dem Kopfe.
„Das ist leicht möglich,“ sagte er. „Das ganze Schock dummer und nichtsnutziger Kerle, die Ihr nach und nach cassirt habt, wühlt da gegen Euch, und der Eine hat diese, der Andere jene Connexionen. Der Krieg ist aus, und man braucht Trenck und seine Panduren nicht mehr. Handhaben wider Euch werden sie schon finden; ich habe Euch immer gerathen, es mit dem Rechnungswesen nicht so leicht zu nehmen. Ihr unterschreibt Alles, was man Euch vorlegt, ohne lange zu lesen, und werft dann die Wische den Schreibern vor die Füße – es ist eine böse Menschensorte, die Federfuchser!“
„Deshalb sollen sie mir vom Halse bleiben, wie ich ihnen,“ fuhr Treuck auf. „Ich kehre mit meinen ganzen Corps direct nach Slavonien heim, und dort wollen wir sehen, wer uns was anhaben wird – Ihr macht noch in dieser Nacht die Marschroute und nehmt den kürzesten Weg durch Steyermark und Illyrien …“
„Ihr werdet also nicht nach Wien gehen?“
„Ich werde mich hüten.“
„Aber Euer Ehrenwort, Oberst, das dieser Wiener Major in der Tasche hat …?“
„Brauch’ ich darum nicht zu brechen,“ rief der Oberst mit höhnischem Lachen. „Glaubt Ihr, der Trenck sei so dumm, sich fangen zu lassen? Er hat mein Ehrenwort, daß ich mit ihm nach Wien reisen wolle … mit ihm – versteht Ihr – ich brauche also nur dafür zu sorgen, daß er nicht hinreist!“
„Ja so!“ rief der Oberstlieutenant aus, mit einem etwas gezwungenen Lachen, hinter dem sich ein stiller Zweifel an der Ehrenhaftigkeit einer solchen Auslegung barg … ein Zweifel, den er jedoch Trenck’s gereizter Stimmung gegenüber zu verschweigen für gut fand.
„Was habt Ihr beschlossen?“ fragte er dann.
„Es gibt mehrere Wege,“ antwortete Trenck, „und ich wollte Euren Rath hören, welcher Euch der beste scheine, de Dolne. Es wird Niemand in der Welt leugnen können, daß dieser Oberstwachtmeister von Frohn ein Giftmischer ist?“
„Es läßt sich wenigstens so darstellen,“ sagte der Oberstlieutenant.
„Deshalb kann ich ihn morgen in Eisen legen lassen und vor ein Kriegsgericht aus meinen Officieren stellen! Man schickt dann die Acten nach Wien und wartet ab, was von dort aus befohlen wird. Unterdeß führt man ihn als Gefangenen dem Corps nach, und auf dem Transport …“
„Können mancherlei Umstände und Zufälle eintreten…“
„Man kann ihn auch meinetwegen entwischen lassen – er wird dann wohl mürbe genug geworden sein und sich hüten, erst bei mir anzuklopfen und mich an mein Ehrenwort zu erinnern.“
„Das ist Ein Weg,“ sagte de Dolne.
„Der zweite ist,“ fuhr Trenck fort, „ich reite morgen ruhig mit ihm, bis wir nach Linz kommen. Dort bestehe ich darauf, daß wir uns beim Feldmarschall-Lieutenant Gouverneur melden, was der Wiener nicht ablehnen kann. Dem Feldmarschall-Lieutenant mache ich Bericht von der Sache und liefere ihn als Arrestanten ab.“
Der Baron de Dolne schüttelte den Kopf.
„Wißt Ihr, Oberst, welche Vollmachten er bei sich führt?
Das Ende vom Liede könnte sein, daß der Feldmarschall-Lieutenant Euch wie ihn sofort arretirt nach Wien instradirte.“
„Arretirt? Mich arretiren?“ fuhr Trenck auf. „So weit sind wir hoffentlich nicht!“
„Hoffentlich nicht … aber es wäre möglich!“
„Pah … darauf hin will ich’s wagen!“
„Beschließt, was Euch das Beste dünkt … mir scheint der erste Weg der klügste!“
„Will mir’s überlegen,“ sagte Trenck nach einer Pause – „mir ist der Kopf ohnehin schwer, und das Zeug, was ich im Magen habe, rumort darin, wie wenn ich ein Ratzennest im Leibe hätte.“
„Wollt Ihr nicht nach dem Feldscheer schicken?“
„Der wird den Teufel wissen, was dawider zu machen ist – ich will’s verschlafen!“
„Seid Ihr so sicher, daß Ihr wirkliches Gift und wirkliches Gegengift bekommen habt?“
„Ja – darauf mögt Ihr Euch verlassen, de Dolne, Komödie spielt dieser Frohn nicht! Er ist nicht der Mann dazu, oder ich verstehe mich auf Menschen nicht!“
„Nun wohl, so geht zur Ruhe. Habt Ihr noch sonst etwas anzuordnen?“
„Nein, de Dolne, ich danke Euch – aber es würde nicht überflüssig sein, den Wiener ein wenig überwachen zu lassen – sorgt dafür, daß er im Auge behalten wird und nicht den Hals aus der Schlinge zieht!“
„Wie Ihr befehlt; ich will einige Seressaner dazu commandiren.“
„Thut das. Gute Nacht!“
[753] Es waren kaum fünf Minuten verflossen, seit der Oberstlieutenant de Dolne den Oberst von der Trenck verlassen hatte, als er schon wieder zurück kehrte.
„Seid Ihr noch auf, Oberst?“ sagte er, in Trenck’s Wohnzimmer tretend, welches jetzt leer und dunkel war, und in das nur ein Lichtschein aus der offenen Thüre des Nebenzimmers fiel.
„Was gibt’s, de Dolne?“ antwortete die Stimme Trenck’s, und gleich darauf trat dieser, halb entkleidet, mit einem Lichte in der Hand aus seinem Schlafzimmer wieder ein.
„Ich komme Euch zu melden, daß der Vogel schon auf und davon geflogen ist.“
„Wer, der Frohn?“
„Ist fort!“
„Nicht möglich!“
„Er ist sogleich, nachdem er von Euch gekommen, zum Kloster hinaus gegangen, hat die Pferde gesattelt im Stall gefunden und hat sich mit seinen Leuten augenblicklich in Nacht und Dunkelheit verzogen.“
„Unbegreiflich!“ rief Trenck aus.
„Er hat Euch eben nicht getraut, Oberst, und das scheint mir begreiflich genug,“ antwortete lachend de Dolne.
„Und der Dummkopf glaubt, ich würde jetzt durch mein Ehrenwort gebunden sein und auch ohne ihn reisen!“ sagte mit höhnischer Freude der Oberst.
„Ich meine, dies gibt der Sache eine sehr gute Wendung.“
„Die allerbeste, die sie nehmen konnte,“ versetzte Trenck, „vorausgesetzt, er kommt nicht morgen zurück.“
„Ich glaube nicht, daß er solch ein Narr ist!“ meinte de Dolne.
„Und doch wäre es möglich,“ fiel Trenck ein, „wißt Ihr was, de Dolne – gebt die nöthigen Befehle noch heute Abend, daß, wenn der Major von Frohn sich wieder in der Nähe meines Hauptquartiers blicken läßt, er sofort arretirt wird.“
„Wie Ihr befehlt, Oberst,“ entgegnete der Baron de Dolne und ging, diesen Befehl sogleich auszuführen.
Der Oberst wurde am andern Morgen frühzeitig geweckt. Er fuhr aus schweren wüsten Träumen auf und starrte finster aus seinen halberloschenen Augen den Diener an, der vor ihm stand.
„Was gibt’s, Ferenz … was weckst Du mich?“ sagte er, mit der Hand über die Stirn fahrend, hinter der ein dumpfer Schmerz sich fühlbar machte.
„Es ist eine Ordonnanz mit einer Meldung da, die gleich vorgelassen zu werden verlangt. Ich habe sie zuerst zum Oberstlieutenant de Dolne geführt, und der Oberstlieutenant hat befohlen, ich solle den Herrn Obersten sogleich wecken.“
„Führ’ die Ordonnanz herein,“ befahl Trenck.
Es war Franzl, der Husaren-Wachtmeister, der im nächsten Augenblick in das Schlafzimmer trat und in strammer militärischer Haltung an der Thüre stehen blieb.
„Vom Major von Frohn,“ sagte Trenck, durch den Anblick der blauen Husaren-Uniform nicht sehr angenehm berührt … „was will Er?“
„Der Oberstwachtmeister von Frohn läßt dem Herrn Obersten vermelden, daß er reisefertig sei und den Herrn Obersten erwarte. Er hätte ein Schiff genommen, um die Reise bequemer und schneller als zu Pferde machen zu können, und ließe den Herrn Obersten ersuchen, sich mit ihm desselben bedienen zu wollen.“
„Ein Schiff?“
„Zu Befehl, Herr Oberst!“
„Aber in des Teufels Namen, welche Idee ist denn das? Ist der Mensch verrückt? Einen Kahn hat er genommen, um mich darin als Arrestanten zu transportiren? Das Wetter soll ihm auf den Schädel fahren. Ferenz, lauf hinaus und schick eine Ordonnanz … nein, laß meine Seressaner-Leibwache antreten und dann komm wieder, mich anzukleiden.“
Ferenz stürzte eilfertig zum Zimmer hinaus.
„Das ist wohl ein Kniff,“ fuhr unterdeß Trenck aus dem Bette springend fort, „zu verhindern, daß ich eine Anzahl Leute zu meiner Bedienung mit mir nehme.“
„Die Leute des Herrn Oberstwachtmeisters werden sich zu Lande auf den Marsch machen,“ versetzte Franzl; „der Herr Oberst werden vielleicht befehlen, daß Ihre Leute, so viel Sie mitnehmen wollen, ebenfalls so reisen. Nur Zwei von uns sind bei dem Oberstwachtmeister im Schiff, und mehr als zwei Begleiter von dem Herrn Obersten würden nicht Platz darin haben.“
„Vortrefflich,“ sagte Trenck, hastig sich in seine Kleider werfend. „Der Herr Oberstwachtmeister hat ja Alles vortrefflich angeordnet – wir werden nicht säumen, uns unter seine Befehle zu stellen – geh Er und sage Er das … sage Er ihm, der Oberst von der Trenck werde sogleich dem Oberstwachtmeister aufwarten.“
Trenck sagte diese Worte mit dem zornigsten Hohne und einem Flammen seines Auges, aus dem die höchste Wuth und Tücke blitzten. Er vollendete dabei seinen Anzug, ließ sich von seinem Diener, der eben wieder hereinkam, seinen Säbel und seine Pistolen reichen und den Mantel überwerfen, und dann herrschte er dem Husaren zu: [754] „Nun mach’ Er vorwärts … zeig Er den Weg … wo ist der Major?“
Franzl machte Rechtsumkehrt und marschirte mit klirrenden Sporen vorauf, der Oberst hinter ihm drein. Als sie aus dem Portale der Abtei traten, blieb Trenck einen Augenblick stehen; er sah sich nach der Leibwache von Seressanern um, die er hier zu finden erwartete, und die beim besten Willen in den wenigen Augenblicken sich nicht hatten auf den Platz zaubern können; fluchend und wetternd stürmte er deshalb zurück in die Kammer des Kloster-Pförtners, die jetzt einem kleinen Haufen Panduren zur Wachtstube diente, schreckte die hier auf ihrem Stroh sich streckende Mannschaft aus dem Morgenschlaf und befahl, daß ein halb Dutzend der Leute ihm folgen solle. Die Seressaner sollten ihm nachgeschickt werden.
„Vorwärts, Husar!“ befahl er dann und eilte auf dem Wege zum Flecken, der zugleich zur Donau führte, voran; Franzl konnte kaum Schritt mit ihm halten.
Es war ein feuchter, kühler Morgen; ein leiser Nebel füllte die Luft, an allen Aesten und den hervorbrechenden Knospen jungen Grüns hingen dicke Tropfen; desto großartiger stiegen die hohen Donauleithen oder Bergwände des jenseitigen Ufers aus den Dunstwolken empor; dichte Nebelschichten, die über dem Wasserspiegel schwebten, verhüllten ihren Fuß, während von den frei darüber weg ragenden Kämmen die Burgruinen von Riedl und Ranariedl düster und grau in das enge Flußthal blickten.
Nach wenigen Minuten war der Eingang des Fleckens erreicht; mit einer Wendung nach links führte der Weg den ersten Häusern zu; gerade vor den Kommenden aber lag das Ufer des Flusses.
Franzl ging gerade aus, dem Wasser zu; als er das ziemlich abschüssige Gestade niedergestiegen war, wandte er sich rechts und schritt auf dem nassen Kiesgrund des Ufers, dem Leinpfad, unter überhängenden Weidengebüschen stromabwärts.
Das Wasser schoß mit reißender Schnelligkeit und lautem Rauschen links neben ihnen dahin; an jedem Gegenstand, der ihm Widerstand bot, jeder sich in das Bette erstreckenden Baumwurzel, jeder zu Tage tretenden Felskante warf es hohe Schaumwellen auf.
Der Weg, auf welchem Trenck, von Franzl geführt und von seinen Panduren gefolgt, dahinstürmte, diente, wie gesagt, als Leinpfad; er bot deshalb Raum genug für vier der Husaren Frohn’s, die bei einer Biegung des Ufers plötzlich sichtbar wurden. Sie waren aufgesessen und hielten die leeren Pferde der Andern am Zügel.
Einen Steinwurf weiter hinter ihnen erblickte man den Nachen, in welchem Frohn den Obersten erwartete. Es war ein ziemlich geräumiges Fahrzeug, das Eigenthum des Schiffers von Engelhardszell, der darin die Ueberfahrt von einem Ufer zum andern zu bewerkstelligen pflegte, wenn er eine größere Anzahl von Leuten, als sein kleiner Kahn fassen konnte, überzusetzen hatte. Zwei der Husaren saßen seitwärts auf der Bank; hinten am Steuer der Schiffer und sein Gehülfe; Frohn selbst stand in der Mitte, mit untergeschlagenen Armen, der Rückkehr Franzl’s harrend.
„Sie kommen,“ sagte er, sich zu seinen beiden Husaren wendend; „haltet Eure Waffen bereit und Eure Augen offen!“
Trenck hatte bald die kleine Gruppe der wartenden Husaren erreicht; als er an ihnen vorübergeschritten, wandte er sich an die ihm folgenden Leute zurück: „Vier von Euch bleiben hier,“ sagte er halblaut, „und schneiden die Reiter vom Schiff ab. Die andern bleiben mir an der Seite!“ Damit stürmte er weiter und hatte bald die Stelle erreicht, wo der Nachen mit einer Kette am Ufer befestigt lag; diese Kette war lose um eine Baumwurzel geschlungen.
„Ich freue mich, den Herrn Obersten so prompt zu sehen,“ rief Frohn dem kommenden entgegen, zum militärischen Gruße die Hand an die Mütze legend.
„So, freut Er sich?“ rief Trenck, indem er sofort in den Kahn sprang und seinen Säbel zog. „Es freut mich auch, daß ich Ihn treffe und fassen kann. Oberstwachtmeister von Frohn, Er ist mein Arrestant, ich verhafte Ihn als einen Giftmischer und Verbrecher!“
„Was soll das heißen?“ sagte Frohn ruhig, ein paar Schritte zurückweichend, während der Kahn plötzlich in heftiges Schwanken gerieth, weil hinter Trenck jetzt zwei Panduren ihrem Oberst nach hinein sprangen. „Was soll das heißen?“ rief Frohn, „ich habe Ihr Ehrenwort, Oberst von der Trenck, daß Sie mit mir die Reise nach Wien machen.“
„Mit Ihm – ja wohl,“ knirschte Trenck, „aber Er selber wird eben die Reise nicht machen … ergeb’ Er sich, den Degen her, oder ich haue Ihn über den Schädel.“
In diesem Augenblick erklirrte hinter Trenck und seinen beiden Panduren, die ebenfalls ihre Säbel gezogen hatten, ein lautes Kettengerassel; als Trenck sich umsah, erblickte er Franzl, den Wachtmeister, der eben die Schiffskette gelöst und in den Kahn geworfen hatte, und jetzt sich selber hineinschwang. Zugleich fing das kleine Fahrzeug an sich fortzubewegen, und dann schoß es mit unglaublicher Schnelligkeit davon, der Mitte des Strombetts zu.
„Was soll das bedeuten?“ schrie Trenck, „der Kahn bleibt am Ufer … an’s Ufer zurück, oder ich werde den Hallunken von Schiffer niederhauen!“
„Wenn der Schiffer sich rührt,“ antwortete Frohn, der dem zu Tode erschrockenen, hinten am Steuerruder sitzenden Fährmann zunächst stand und ihn deckte, „so werfe ich ihn in’s Wasser … gehen Sie nicht zu unnützen Gewaltthaten über, Herr Oberst, sondern hören Sie mich an.“
„Ergeb Er sich, oder …“
„Hören Sie nur drei Worte – ich weiß ja, daß ich in des Obersten Gewalt bin, und es wäre sehr thöricht von mir, ließe ich’s darauf ankommen, daß er von den Waffen Gebrauch macht; obwohl ich zwei Husaren bei mir habe und er auch nur zwei seiner Leute. Ich stehe meinen Mann, aber ich bin einem Obersten von der Trenck, der einem Ochsen mit einem Hieb den Nacken durchhaut, nicht gewachsen. Ich muß zu andern Mitteln greifen. Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen und …“
„Der Trenck hat nie sein Ehrenwort gebrochen,“ schrie der Oberst, – „aber Er ist ein Mörder, den ich verhafte und hier vor ein Kriegsgericht stellen werde. Dann mag Er sehen, wer mit Ihm nach Wien reist! Her mit dem Degen …“
„Nur noch einen Augenblick,“ sagte Frohn, während der Nachen immer rascher der Mitte des Strombetts zugerissen wurde; „ich will mich einem Kriegsgericht und jeder Untersuchung stellen, die die Kaiserin über mich verhängen wird – aber nur wenn’s die Kaiserin befiehlt – nur in Wien, und der Oberst von der Trenck wird mich dahin begleiten; er kann da seine Klage vorbringen.“
„Werft Euch auf die Husaren und haltet mir den Rücken frei,“ rief Trenck statt aller Antwort seinen Panduren zu – dann machte er einen Schritt vorwärts, um auf Frohn einzudringen.
„Halt!“ schrie dieser jetzt mit einer donnernden Stimme – „wir können die Sache ohne Blutvergießen abmachen!“
Zugleich zog er ein großes Reiterpistol unter seinem Mantel hervor, spannte den Hahn, senkte die Mündung vor sich hin auf den Boden und schoß es ab.
„Was soll das?“ rief Trenck aus.
Frohn deutete schweigend auf den Boden vor seinen Füßen. Die Kugel war durch die Eichenbohle geschlagen, und durch das Loch, welches sie hineingerissen hatte, quoll eine Wasserwelle wie ein kleiner Springbrunnen in die Höhe.
„Was soll das heißen?“ rief Trenck noch einmal.
„Das soll heißen, Herr Oberst von der Trenck, daß der Nachen in wenig Augenblicken zu sinken beginnen wird, und daß, wenn wir nicht vorher die Minuten, welche uns übrig geblieben sind, benutzen, um Frieden zu schließen, wir beide ertrinken.“
„Zum Ufer zurück, zum Ufer zurück, nehmt die Ruder, Ihr Dummköpfe!“ schrie Trenck seinen Panduren zu.
„Ihre Befehle werden nicht ausgeführt werden, Herr Oberst,“ antwortete Frohn, sein Pistol einsteckend und jetzt ebenfalls seinen Säbel ziehend. „Ruder sind im Kahn gar nicht vorhanden – dafür habe ich gesorgt. Der Kahn geht ganz sicherlich unter, wenn Sie sich länger meinem Willen widersetzen. Ich erlaube Ihren Leuten in’s Wasser zu springen, wenn sie versuchen wollen, ob sie sich durch Schwimmen retten können, obwohl ich nicht gehört habe, daß an dieser Stelle des Flußlaufs Jemand durch die reißende Donau geschwommen sei. Meine Husaren mögen sich dann auch so zu retten suchen, und der Schiffer mit seinen Buben auch. Wir Beide aber, mein Herr Oberst, werden ertrinken!“
[755] „Aber,“ rief Trenck, dessen Wuth sich zu legen begann, aus, „Er hat ja wahrhaft den Teufel im Leib …“
„Wenigstens Courage genug, um ruhig abzuwarten, was der Obrist von der Trenck beschließt. Er kann einen Kampf hier im Nachen anfangen; aber bevor der Kampf zu Ende ist, darauf mache sich der Oberst gefaßt, liegen wir Beide längst im Wasser. Will der Herr Camerad sich dann durch Schwimmen retten, so mag er’s versuchen; ich aber sage ihm vorher, daß ich auch ein wenig Schwimmer bin, und mich ihm sofort nachstürmen werde, um mich an ihn zu klammern und ihn auf den Grund des Strome zu ziehen. Darauf geb ich ihm mein Ehrenwort. Ich meine, der Camerad kennt mich von gestern her!“
Der Kahn begann sich immer mehr mit Wasser zu füllen.
„Wenn Sie noch lange zögern,“ fuhr Frohn fort, „so wird unsere Rettung immer schwieriger.“
„Hölle und Teufel Ihm auf den Kopf,“ fluchte Trenck, „was will Er denn?“
„Sein Ehrenwort, daß der Herr Camerad geduldig und ohne weiteres Sträuben mit mir nach Wien hinunterschifft. Nur ein Wort von ihm, und der Leck wird sofort gestopft!“
Trenck schien noch einen Augenblick seine ganze Lage zu überblicken. Er konnte allerdings den Versuch machen, Frohn zu überwältigen, und ohne Zweifel war er ihm an Körperkraft überlegen. Aber ein verächtlicher Gegner war dieser hochgewachsene breitschultrige Husaren Major auch für einen Mann wie Trenck nicht, und ein Ringen mit ihm mußte kostbare Minuten wegnehmen, vielleicht doppelt so viel Zeit, als nöthig war, den Kahn bis an den Rand zu füllen und auf den Grund des Strombetts zu senken. Im Schwimmen sein Heil zu suchen, war ebenfalls zu gewagt; die Donau war an dieser Stelle verzweifelt tief und reißend, und der Gegner war der Mann, seine Drohung buchstäblich auszuführen!
„Wenn ich mich drein ergebe, wie will Er denn den Kahn oben halten?“ rief er deshalb aus.
„Noch ist das möglich,“ antwortete Frohn gleichmüthig, „denn wir stehen erst bis an die Knöchel im Wasser und können den Leck noch stopfen – steigt das Wasser noch um einige Zoll höher, so ist’s zu spät!“
„Nun denn, in’s Teufels Namen,“ sagte Trenck zähneknirschend, „ich ergebe mich drein!“
„Der Herr Camerad gibt hier vor meinen und seinen Leuten sein Ehrenwort als Soldat und Edelmann, daß er jetzt, ohne Ausflüchte und Hinterlist zu suchen, mir ruhig nach Wien folgt?“
„Ich gebe es!“
„Und sich später nicht an mir zu rächen sucht?“
„Will Er das auch noch?“
„Auch das!“
„Nun, in’s Henker’s Namen, Alles was Er will … mach’ Er nur ein Ende mit der Sache!“
Frohn zog jetzt rasch aus seinem Mantel einen Gegenstand hervor, den er dem erschrockenen und bleich hinter ihm stehenden Schiffer reichte. Es war ein kleines viereckiges Bret, an den vier Ecken durchbohrt; der Mann kniete damit eilfertig in das den Boden des Nachens bedeckende Wasser nieder und drückte es auf das Loch in der mittelsten Bohle, welches Frohn’s Kugel geschlagen hatte. Nägel und Hammer hatte der Fährmann in der Tasche seiner Jacke; er war nicht faul sie zu gebrauchen, und nach einigen kräftigen Hammerschlägen war der Leck oberflächlich gestopft. Frohn gab nun seinen Husaren einen Wink, diese begannen das Wasser mit ihren Mützen auszuschöpfen, die zwei Panduren zeigten sich ebenfalls nicht lässig, zu helfen, während der Gehülfe des Fährmanns sich des Ruders bemächtigt hatte und den Kahn steuerte, der unter der ganzen Scene eine weite Strecke stromabwärts geschossen war. Der Fährmann ging dazu über, mit Werg und Talg das aufgenagelte Holzstück zu kalfatern.
„Wenn der Herr Oberst einen Befehl für Ihr Hauptquartier hinterlassen wollen,“ hub Frohn jetzt wieder an, „so wird einer Ihrer Leute ihn dahin bringen können; wir wollen so nahe an’s Ufer zu gelangen suchen, daß er hinüberschwimmen kann.“
„Sehr gütig,“ versetzte Trenck bitter ironisch, sich auf der Bank ausstreckend, auf die er sich, in seinen Mantel gewickelt, hingeworfen hatte. Nach einer Pause jedoch wandte er sich an einen seiner Panduren und sagte:
„Du kannst heim gehen; ich lasse dem Oberstlieutenant de Dolne befehlen, bis auf weitere Ordre in seinem jetzigen Standquartier zu bleiben. Er soll mir vier Seressaner mit meinen drei besten Pferden, Geld, Kleider und Wäsche nachsenden, und meine übrigen Sachen in Verwahrung nehmen.“
Auf Frohn’s Befehl bemühte sich der Steuermann, dem rechten Donau-Ufer so nahe zu kommen, als es ihm möglich war ohne Ruder und bei der fortreißenden Gewalt des Stroms. Endlich war man dem Gestade des Flusses auf eine Entfernung von etwa dreißig Schritt nahe gekommen; auf einen Wink Trenck’s warf der Pandur seinen rothen Mantel ab, wickelte Wamms und Waffen hinein und sprang dann in den Strom, um, sein Bündel mit der linken Hand über den Kopf haltend, als geübter Schwimmer dem Ufer zuzustreben, das er glücklich erreichte.
„Wie sind Sie denn auf diese dämonische Idee gerathen, mich im Schiffe zu transportiren?“ fragte Trenck nach einer Weile Frohn, der sich eben ihm gegenübergesetzt und eine ungarische Meerschaumpfeife hervorgezogen hatte, die er mit großer Seelenruhe stopfte.
„Sie lag nicht weitab,“ versetzte Frohn lächelnd, „diese Idee; nach dem, was gestern zwischen uns vorgefallen, dachte ich mir, es sei nicht räthlich, die Nacht im Hauptquartier des Herrn Obersten zuzubringen; es schwante mir wohl etwas von Auslegungen, die dem Herrn Cameraden belieben könnten, von dem gegebenen Worte zu machen. So suchte ich mir für meine Nachtruhe ein Plätzchen aus, wo ich vor einem Ueberfall sicher mein Haupt niederlegen konnte, und ein guter geräumiger Kahn war dazu die beste Stelle, die sich finden ließ. Sobald ich gestern Abend den Herrn Cameraden verlassen, zog ich mich dahin zurück und ließ einen Theil meiner Leute mit den Pferden als Wachtposten am Ufer. Einmal im Schiffe, kam ich denn auch leicht auf den Gedanken, in demselben die Rückreise zu machen und den Herrn Obersten zu bitten, mir darin das Vergnügen seiner Begleitung zu schenken. Es geht rasch, wie Sie sehen, und es ist sehr viel bequemer, als vier oder fünf Tage lang auf müden Pferden im Sattel zu hängen!“
„Sollen wir denn ganz bis Wien hinunter in dem Kasten hocken bleiben?“
„Wenn’s dem Herrn Cameraden so beliebt, ja … wir werden uns vom ersten uns begegnenden Nachen oder Floß Ruder kaufen; dann können wir bequem landen, wo wir wollen, und in passend gelegenen Uferstädtchen unsere Mahlzeiten nehmen. In Rußdorf werden wir Extrapost nehmen, um nicht zu Fuße in die Kaiserstadt einziehen zu müssen, und ich werde dann die Ehre haben, den Herrn Obersten an dem Gasthofe abzusetzen, den er mir zu bezeichnen die Güte haben wird!“
„Wahrhaftig,“ sagte Trenck mürrisch nach einer Pause. „Er ist ein durchtriebener Patron, wenn Er auch mein Feind ist. Es thut mir leid, daß ich den Oberstwachtmeister von Frohn nicht unter meinen Corps habe. Er wäre der Mann gewesen, den ich hätte brauchen können. Der Herr Camerad hat wohl keine Tabakspfeife mehr bei seinen Sachen?“
„Leider nein … aber der Wachtmeister hat eine; wenn Sie die nicht verschmähen – mit gutem Latakia steh’ ich zu Befehl!“
Franzl, der Wachtmeister, zog eine saubere kleine Meerschaumpfeife aus der Tasche hervor, und der Oberst nahm sie, ohne sie einer weitern Besichtigung zu unterwerfen. Frohn reichte den Tabaksbeutel dar, und Franzl schlug Feuer … nach einer Viertelstunde saßen sich die beiden Kriegsmänner friedlich gegenüber und unterhielten sich von ihren Abenteuern und Erlebnissen.
Der Nachen schwamm unterdeß lustig stromabwärts, die Husaren Frohn’s, die mit den Pferden auf dem Leinpfad nachgeritten waren, waren längst nicht mehr sichtbar; doch hatten Trenck’s Panduren ihrem Abzuge nichts in den Weg gelegt, als sie gesehen, daß ihr Oberst selber mir dem Husaren-Officier Frieden geschlossen hatte und mit ihm davon zog.
Zwei oder drei Tage nachher, kurz vor Mittag, rollte eine Extrapost, die mit zwei Panduren auf dem Bocke besetzt war, durch das Rothethurmthor in die Kaiserstadt ein. Der Corporal von der Wache, der an den Schlag trat, erhielt aus dem Innern die Meldung: „Der kaiserliche Oberst Freiherr von der Trenck und Oberstwachtmeister von Frohn.“
Der Wagen rollte weiter durch die dichtgedrängten Straßen, [756] bis er vor dem Eingang eines großen Hotels auf dem Graben still hielt. Die Panduren sprangen von ihrem Sitz herunter und öffneten, Kellner und Wirth kamen herbei und vergaßen einen Augenblick ihre Verbeugungen und Hülfeleistungen, als sie die Athleten-Gestalt des Obersten mit dem wilden halb schwarzen Gesicht aus dem Wagen steigen und mit gerunzelter Stirn unter sie treten sahen – es war Keiner da, dem dies Gesicht und dieser Mann nicht wenigstens aus Beschreibungen bekannt gewesen wäre.
„Herr Oberst,“ sagte Frohn, nach ihm aus dem Wagen steigend, „mein Auftrag endet hier, und ich habe jetzt nur die Pflicht, mich für gute Cameradschaft auf der Reise zu bedanken! Unsere Bekanntschaft hat auf ein wenig ungewöhnliche Weise begonnen – ich hoffe, daß der Herr Oberst darum nicht minder mich in gutem Andenken halten wird.“
„Daß ich an den Oberstwachtmeister von Frohn denken werde,“ antwortete Trenck, „dafür hat er gesorgt … aber ich werde nicht anders an ihn denken, als an einen vortrefflichen Reisegefährten, der mich durch seine gute Unterhaltung und zuvorkommenden Manieren hat die Art und Weise vergessen machen, wie er mich zu dieser verdammten Reise gepreßt hat!“
„Das,“ erwiderte Frohn lächelnd, „wird noch mehr, hoffe ich, die Aufnahme vergessen machen, welche der Oberst von der Trenck dahier in Wien finden werden!“
„Nun, wir wollen’s hoffen,“ versetzte der Oberst, indem er Frohn mit einer Handbewegung verabschiedete und sich dem Wirthe zuwandte.
Frohn verließ ihn, und nachdem er sein nicht fern liegendes Quartier aufgesucht und sich ein wenig erquickt hatte, ging er die nöthigen Meldungen zu machen. Als er in die Burg und in die Vorzimmer des römischen Königs kam, ward er sofort vorgelassen. Joseph trat ihm lebhaft und gespannt entgegen.
„Frohn,“ rief er aus, „Er ist wieder da … nun – mit ihm oder ohne ihn … ?“
„Ew. Majestät, der Oberst von der Trenck ist von mir vor einer halben Stunde am Thore des weißen Lamms abgesetzt worden, wo er zu wohnen wünschte!“
„Ist das wahr, ist das in der That wahr?“ rief der junge König froh aufathmend, „nun dann sei der Himmel gelobt – denn, daß ich’s Ihm nur gestehe – mir war Angst um Ihn und ich habe mir Vorwürfe gemacht, alle diese Tage her, daß ich einen so treuen Diener wie Ihn so in die Höhle des Löwen getrieben.“
„Majestät, es ist mir gelungen, den Löwen zu zähmen – wir sind so eben von einander geschieden wie die besten Freunde.“
„Nun, das ist mehr, als ich möglich geglaubt – ich fänge an, Ihn für einen Zauberer zu halten – aber setze Er sich – dorthin – ich will’s – erzähle Er mir Alles haarklein.“
Frohn gehorchte, der König nahm in seinem Schreibsessel Platz und horchte mit der größten Spannung auf die Erzählung des Oberstwachtmeisters.
„Aber zum Henker, Er ist ja ein gefährlicher, ein entsetzlicher Mensch!“ rief der König Joseph auffahrend aus, als Frohn zur Erwähnung seines Giftes gekommen.
„Majestät, ich hatte keine Hoffnung meinen Auftrag auszuführen, wenn ich nicht mein Leben dabei einsetzte, und die bloße Gewalt hätte bei einem Trenck nicht ausgereicht.“
„Ein verzweifeltes Mittel,“ fiel Joseph ein – „woher hatte Er denn dieses merkwürdige Gift?“
„Es ist ein orientalisches Harem-Geheimniß. Mir hat es ein alter türkischer Arzt, dem ich das Leben mit Gefährdung meines eigenen rettete, gegeben; er nannte es ein Opium-Präparat.“
„Und war Er denn so sicher, daß das Gegengift es ganz unschädlich mache?“
„Sicher – nun wie ich es sein konnte; an Menschen habe ich freilich nicht die Erfahrung machen können – an Thieren wohl … was es ist, weiß ich auch nicht – wenn ich mich recht erinnere, sprach mein alter Hakimbaschi von einer concentrirten und krystallisirten Säure … aber Genaueres habe ich nicht behalten.“
Der römische König schwieg eine Weile: dann sagte er:
„Lieber Frohn, thu Er mir den Gefallen, dies merkwürdige Mittel, nachdem es so vortrefflich seine Schuldigkeit gethan, für zukünftige Fälle nicht mehr in Anwendung zu bringen; es hat mir etwas Unbehagliches, es im Besitz eines so tapfern Soldaten zu wissen – wie wäre es, wenn Er das Recept dazu ins Feuer würfe?“
„Ew. Majestät,“ antwortete Frohn, „das ist bereits geschehen – ich habe alles, was ich davon besaß, in das Recept gewickelt in die Donau geworfen.“
„Desto besser,“ fiel Joseph ein, „und nun erzähle Er weiter!“
Frohn nahm den Faden seiner Erzählung wieder auf; als er geschlossen, sagte der römische König:
„Wie soll ich Ihm danken, Frohn? – Er hat Seiner Kaiserin und unserm Hause einen großen Dienst geleistet – ich werde es meiner Mutter zu rühmen wissen!“
„Ew. Majestät,“ versetzte Frohn, „ich weiß es tief zu erkennen, daß ich von der Gnade Ew. Majestät mir den Ausdruck Ihrer Zufriedenheit erhalte. Denn außer daß dies für mich der Gnadenbeweis ist, welcher mir am höchsten von allen steht, würde ein andrer etwas sein, was meiner Leistung in den Augen der Menschen vielleicht einen Charakter gäbe, den ein auf seine Ehre eifersüchtiger Soldat zurückweisen muß. Und dennoch bin ich so eigennützig, diesen Augenblick zu benutzen, um von Ew. Majestät eine Belohnung zu erbitten.“
„Spreche Er, Frohn,“ fiel der König eifrig ein – „Er kann von mir verlangen, was nur in meiner Macht steht zu erfüllen.“
„So bitte ich um ein Lieutenantspatent für meinen Wachtmeister. Der Mann hat mir treu und redlich beigestanden; er ist in die ganze Gefahr eingeweiht gewesen, in welcher wir schwebten, aber er hat mit männlicher Entschlossenheit dieser Gefahr getrotzt.“
„Und wer ist dieser Phönix von einem Unterofficier?“
„Er heißt Franz Fellhamer, Majestät.“
Joseph blickte verwundert den Sprechenden an.
„Seitdem er assentirt wurde, stand er bei meiner Schwadron, und ich habe einen tüchtigen und zuverlässigen Menschen aus ihm gezogen.“
„Hat Er das wirklich, Frohn? Nun, so hat Er auch da Wunder geleistet,“ fiel lächelnd der König ein, „und weil Er’s ist, will ich’s Ihm glauben, obwohl –“ Joseph erhob drohend und mit sprechenden Blicken ihn ansehend den Finger, „obwohl ich den Verdacht haben könnte, jetzt sei mein tapfrer Oberstwachtmeister etwas wie ein – Höfling geworden.“
Frohn legte die Rechte auf seine Brust.
„Nun, ich will ja thun, was Er verlangt,“ sagte der König Joseph, „der Franz soll das Lieutenantspatent haben.“
„Ich danke Ew. Majestät.“
„Das Danken, mein lieber Frohn, ist an diesem Tage an mir,“ fiel Joseph ein, „und das soll mit diesem warmen Händedruck geschehen.“
Es war gegen alle Etikette, daß ein römischer König einem Husaren-Major die Hand schüttelte; aber Joseph kümmerte sich sehr wenig darum, und Frohn nahm die ihm dargebotene Rechte und erwiderte mit männlichem Selbstbewußtsein energisch ihren warmen Druck.
Anmerkungen
- ↑ Vergl. die Erzählungen des Verfassers in Nr. 19-22: „In den Casematten von Magdeburg“ und in Nr. 36-39: „Der Arcier“.